Sprache und Bildung

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Übersetzung: Pius Knöll
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Übersetzung

[13] Wie es aber eigentlich kam, daß mir die griechische Literatur verhaßt war, ist mir selbst nicht ganz klar. Denn die lateinische Literatur gewann ich lieb, freilich nicht, wie sie die Elementarlehrer, sondern die sogenannten Grammatiker lehrten; denn jener Elementarunterricht war mir nicht weniger lästig und peinlich als alles Griechische. Woher jedoch stammte dies, wenn nicht aus der Sünde und der Eitelkeit des Lebens, wodurch ich Fleisch war und ein Wind, der dahinfährt und nicht wiederkommt? Denn jene Anfangsgründe, durch welche es mir möglich wurde und ist, durch welche ich es innehabe, sowohl Geschriebenes lesen als auch selbst alles nach Willen schreiben zu können, waren weit besser, weil sie zuverlässiger waren als jene, vermittels deren ich gezwungen wurde, die Irrfahrten eines Äneas meinem Gedächtnisse einzuprägen, während ich meine eigenen Irrfahrten vergaß, und den Tod der Dido zu beweinen, weil sie, von Liebesgram übermannt, sich selbst den Tod gab, während ich, Tiefunglücklicher, es tränenlosen Auges ertrug, daß ich vertieft in diese, von dir, Gott mein Leben, abstarb. (…)

Ebenso, gesetzt ich früge, was von beiden wohl zum größeren Nachteil für das Leben vergessen würde, Lesen und Schreiben oder jene poetischen Erfindungen, weiß wohl jeder die Antwort, der sich nicht gänzlich vergessen hat. ich fehlte also, da ich als Knabe jene unnützen Dinge diesen nützlichen eifrig vorzog oder vielmehr diese haßte, jene aber liebte. Nun aber war mir das eins und eins ist zwei, zwei und zwei ist vier ein Lied von gar verhaßtem Klang und das angenehmste Schauspiel für meine Eitelkeit das hölzerne Pferd von Bewaffneten, der Brand Trojas und der Schatten Creusas.

[14] Warum haßte ich denn aber die griechische Literatur, die doch solches besang? Denn auch Homer verstand es, das Gewebe solcher Märlein, und ist in seiner Eitelkeit so süß und doch mir Knaben so bitter. Ich glaube, auch den griechischen Knaben wäre es mit Vergilius also ergangen, wenn man sie zwänge, ihn auf solche Art verstehen zu lernen wie mich jenen. Natürlich vergällte die Schwierigkeit, eine gänzlich fremde Sprache zu erlernen, mir alle Schönheiten der griechischen Mythen. Ich verstand die Worte nicht und wurde dennoch mit harten Drohungen und Strafen gewaltsam dazu angetrieben, sie zu erlernen. Freilich kannte ich als Kind einst die lateinische Sprache noch nicht und doch lernte ich sie mit Aufmerksamkeit ohne jegliche Furcht und Qual unter den Liebkosungen meiner Ammen, unter den Scherzen derer, die mir zulachten, und unter fröhlichen Spielen. (…)

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Heidi Heil
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Aug. conf. 1,13-14

Leitfragen:

1) Wie beschreibt Augustinus sein Verhältnis zur lateinischen und griechischen Sprache/zum Schulbesuch allgemein?

2) Welche Rückschlüsse lassen sich aus Augustinus‘ Text über den spätantiken Bildungsweg ziehen?

3) Kann Augustinus in seinem Verhältnis zum Lateinischen und Griechischen als exemplarisch für eine allgemeine Entwicklung angesehen werden?

Kommentar:

Augustinus, Bischof von Hippo Regius (Nordafrika), war der bedeutendste lateinische Kirchenvater der Antike. 354 n. Chr. in Thagaste geboren, starb er 430 n. Chr. in Hippo, während der Belagerung der Stadt durch die Vandalen. Er stammte aus relativ einfachen Verhältnissen, als begabtester Sohn wurde ihm jedoch eine umfassende Ausbildung ermöglicht. Seine Arbeit als Grammatik- und Rhetoriklehrer führte ihn u.a. nach Karthago, Rom und Mailand. Durch seine Mutter war er schon früh christlichen Einflüssen ausgesetzt, ließ sich aber erst 387 n. Chr. in Mailand durch Bischof Ambrosius (* um 340, † 397 n.Chr.) taufen. Nach seiner Rückkehr nach Afrika empfing er 391 n. Chr. die Priesterweihe und wurde 395 n. Chr. zum Bischof von Hippo Regius geweiht. Augustinus war gelehrt und hoch angesehen, so dass man ihn schon als einfachen Priester zu Konzilien einlud und die Bischöfe ihn um seine Auslegungen von Bibelstellen baten.

Sein literarisches Werk umfasst zahllose Briefe und Predigten, Schriften gegen Donatisten, Manichäer und Pelagianer u.v.m. Die vorliegenden Quellenstellen stammen aus Augustinus` Bekenntnissen (confessiones), einer autobiographischen Schrift in 13 Büchern, geschrieben ca. 397-400 n. Chr. Hauptthema ist seine Suche nach der Wahrheit, von frühester Kindheit an bis zu seiner Bekehrung.

Seine ersten Schuljahre, den Elementarunterricht, hat Augustinus in keiner guten Erinnerung. Das Erlernen von Lesen, Schreiben und Rechnen war ihm „lästig“, wogegen danach, im Grammatikunterricht, die Liebe zur lateinischen Muttersprache in ihm erwachte, besonders beim Lesen von Vergils Aeneis. Warum er gleichzeitig das Griechische hasste, das ja mit Homers Ilias ebensolche fesselnden Erzählungen zu bieten hatte, ist ihm ein Rätsel. Er erklärt es sich mit dem Zwang, der beim Erlernen der fremden Sprache herrschte, die nicht wie seine Muttersprache Latein von klein auf durch Ermutigung und auf natürliche Weise erlernt wurde. Körperliche Züchtigung durch Lehrer war im Römischen Reich Alltag, ein Alltag, über den Augustinus sich als Kind bei seinen Eltern beschwerte, die ihren Sohn jedoch lachend abtaten und die Striemen eher als Kompetenzbeweis des Lehrers ansahen (Aug. conf. 1,9). Rückblickend, aus der Sicht des Bischofs, sieht Augustinus das Erlernen von Grundkenntnissen, wie Lesen und Schreiben, als viel Wichtiger an als die Beschäftigung mit den (heidnischen!) Klassikern, die ihn nur von Gott entfernt hatten. Seine Begeisterung für die Epen und seine Verachtung des Elementarunterrichts schreibt er seiner eigenen Eitelkeit und Sündhaftigkeit als Kind zu.

Augustinus erwähnt in den Quellenstellen zwei Unterrichtsstufen. Beginnend mit dem Elementarunterricht, den Mädchen und Jungen ab 6/7 bis 11 Jahren besuchten, um Lesen, Schreiben und Rechnen zu erlernen. Es folgte für Söhne sozial besser gestellter Familien der zweisprachige Grammatik-Unterricht bis sie ca. 15/16 Jahre alt waren. Er bestand vor allem aus der Sprachlehre und dem Lesen von Dichtern, wie Homer, Menander, Horaz, Terenz und Vergil. Die dritte Stufe, die Augustinus hier nicht erwähnt, aber in Karthago selbst durchlaufen hat, ist die Rhetorik. Diese höchste Bildungsstufe beschäftigte sich mit der Prosalektüre und Deklamationsübungen.

Augustinus` schlechte Griechischkenntnisse sind in der Spätantike kein Einzelfall. War die Beherrschung des Griechischen im Westen des Reiches während des Principats noch das Merkmal höherer Bildung, drifteten die beiden Reichshälften in der Spätantike auch sprachlich auseinander. Als Symptom und Konsequenz dieser Entwicklung ist auch die wachsende Übersetzungstätigkeit zu sehen, wobei mehr aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt wurde als umgekehrt. Für eine Karriere in der kaiserlichen Verwaltung war das Erlernen der lateinischen Sprache inzwischen unerlässlich und für griechischsprachige Reichsbewohner auch einer der Gründe sie zu lernen. Possidius, ein Schüler und Freund des Augustinus und dessen Biograph, nennt als einen Grund für die Ernennung seines Freundes zum Mitbischof in Hippo 395 n. Chr. das schlechte Latein des griechischstämmigen Amtsinhabers Valerius (Poss. 5,2). Der Grieche versteht und spricht kaum Latein, umgekehrt geht es der lateinischen Bevölkerung mit dem Griechischen genauso. Mag Possidius hier vielleicht auch übertreiben und der Hauptgrund für Augustinus` Bischofsweihe eher dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass Valerius befürchtete, sein angesehener Gehilfe könnte abgeworben werden, stehen Possidius` Bemerkung und Augustinus eigenes Zeugnis für eine allgemeine Entwicklung in der Spätantike.

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Podcast-Hinweise
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Siehe zum Christentum und Augustinus auch die Podcasts „Religiöse Strukturen – Die Entwicklung des Christentums“ und „Religiöse Strukturen – Judentum und Christentum„.

Patrocinienwesen und Curialenproblem

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: Heidi Heil
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Übersetzung

[7] Dieses Schutz-System jedoch bringt genau das gegenteilige Ergebnis. Es liefert die Antriebskraft andere zu verletzen – darunter auch die Steuereintreiber. Ich erwähne sie hier, um mich zu unterstützen und ihr Leid zu klagen. Dies alles begleitet die Tränen der Männer, die vom Reichtum in die Armut gestoßen wurden. Wollt Ihr wissen, Majestät, wie es dazu kommt? Nun, die, deren Aufgabe und Pflicht es ist, gehen zu den befestigten und von den Feldherren verteidigten Dörfern, um die Abgaben einzusammeln. Dann tragen sie ihre Forderungen vor, zuerst auf nette Weise und in zurückhaltendem Ton, aber dann, wenn sie auf Verachtung und Spott treffen, mit zunehmendem Ärger und erhobener Stimme, wie es zu erwarten ist, wenn jemand nicht die gebührende Behandlung erfährt. Dann drohen sie dem Dorfvorsteher, aber ohne Ergebnis, weil dieser denen, die das Dorf ausbeuten, unterlegen ist. Dann vergreifen sie sich an diesen und verhaften sie, aber die Dorfbewohner enthüllen darauf ihr Arsenal an Steinen.

[8] So sammeln die Geldeintreiber Wunden statt den Zehnten und machen sich auf den Weg zurück in die Stadt, durch das Blut auf ihrer Kleidung offenbarend was sie erlitten haben. Sie haben niemanden, der den Kampf für sie aufnimmt, weil der Einfluss dessen, der das Schutzgeld genommen hat, das verbietet. Und den Unglücklichen wird gesagt, dass sie voll bezahlen müssen oder ausgepeitscht werden bis sie nachgeben. Da sie dazu gezwungen sind, und da sie an den Einnahmen aus ihren Landgütern verzweifeln und mehr Verletzungen fürchten, und da sie keinen Vorrat an Gold oder Silber haben, bieten sie unter Tränen ihre Dienerinnen zum Verkauf an, ihre Diener, die Söhne ihrer Pflegeeltern, während diese die Knie des Verkäufers ergreifen.

[9]  Sie begeben sich auch auf ihre Ländereien, aber nicht wie zuvor mit ihren Kindern für eine Familienfeier, sondern mit interessierten Käufern, um sie zu veräußern. Ein gewöhnlicher Tisch wird vor ihnen aufgestellt, aber der Verkäufer sieht den Erlös aus seinem Land zu Steuergeld werden. Als er die Ländereien seines Vaters, manchmal seines Großvaters, verlässt, blickt er zurück auf ihre Gräber, ehrt sie, indem er seine Hände küsst, erbittet ihre Vergebung und geht so davon. Dann muss er sich um seinen Unterhalt, den seiner Frau und seiner Kinder sorgen, und wenn man ihnen nirgends entgegenkommt, sind sie gezwungen zu betteln.

[10] So wird ein Mitglied aus der Curie gestrichen, kein Schwamm löscht seinen Namen aus, sondern er hat nicht länger das nötige Vermögen. Das ist es was, die Curien herabsetzt anstatt sie wachsen zu lassen, und es verringert die Zahl ihrer Mitglieder anstatt sie zu erhöhen.  Und das ist ein Verlust für die ganze Stadt. Wahrlich, wenn sonst auch alles erfolgreich ist, aber in dieser Hinsicht die Dinge schiefgehen, leidet alles andere und besonders das Glück des Reiches, da sein Wohlergehen und sein Verderben von seinen Untertanen abhängen. Die Curien erleiden Schaden wegen dieses feinen Schutz-Systems und die Städte erleiden Schaden aufgrund dessen, was den Curien angetan wird, und ebenso die Truppen, aufgrund dessen was die Städte erleiden. Und ihr dürft die Truppen nicht ignorieren, Hoheit, denn durch sie herrscht ihr und werdet nicht beherrscht, durch sie inspiriert ihr und fühlt keine Furcht. Also unterdrückt dieses Schutz-System als etwas, das unsere Feinde für uns wollen.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Heidi Heil
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Lib. or. 47, 7-10

Leitfragen:

1) Was beschreibt Libanios im vorliegenden Text?

2) Auf welche allgemeine Entwicklung geht der Autor hier ein?

3) Wie ist seine Beschreibung zu beurteilen?

Kommentar:

Libanios von Antiocheia (*314, †393 n. Chr.) war der bedeutendste griechische Rhetor der späteren Kaiserzeit und umfassend in den griechischen Klassikern gebildet. Der umfangreiche erhaltene Teil seines Werkes beinhaltet Reden, Briefe, Deklamationen u.a. Er war ein Freund Kaiser Julians und ein Anhänger der antiken heidnischen Religion, stand dem Christentum aber relativ tolerant gegenüber, auch wenn es ihm nicht zusagte. Seine Karriere als Rhetorik-Professor führte ihn nach Athen, Konstantinopel, Nikaia in Bithynien, Nikomedeia und am Ende wieder in seine Heimatstadt Antiocheia.

Der vorliegende Text-Ausschnitt stammt aus der Rede (oratio, λόγος) 47, die wahrscheinlich nach 388 n. Chr. und vor seinem Tod 393 n. Chr. verfasst wurde und an Theodosius I. gerichtet war. Libanios beschreibt hier zwei Entwicklungen: Zum einen wie sich Pächter unter das Patronat eines Mächtigen, in diesem Fall eines Feldherrn, begeben, der nicht ihr eigentlicher Herr ist, zum anderen, wie die Curien der Städte aufgrund dieser Entwicklung verfallen.

Das Patrocinium ist ein Phänomen der Spätantike. Es beruht auf dem schon aus der Republik bekannten Schutzverhältnis zwischen Patronen und Klienten, das jedoch im Laufe der Zeit an Bedeutung verloren hatte. Da der Staat in der Spätantike die übernommene Schutzfunktion immer weniger wahrnehmen konnte, gewann das System wieder an Bedeutung, sogar zum Schutz gegen den Staat. Es ist vor allem im ländlichen Raum anzutreffen. Kleinbauern unterstellten sich dem Schutz eines mächtigen Amtsträgers oder Großgrundbesitzers, um den Steuereintreibern zu entkommen.

Das wiederum führt uns zum Curialenproblem des 4. Jahrhunderts n. Chr. Die Curien (Stadträte) waren die Führungsorgane der Städte des Reiches, analog zu den Senaten in den Hauptstädten. Wie die Senate durch die Konsuln, wurden die Stadträte von zwei Männern, den duoviri/duumviri, geführt. Die Curien waren für den geregelten Ablauf in den Städten, die Steuerabgaben und Belustigung der Bevölkerung auf eigene Kosten verantwortlich und unerlässlich für die kommunale Selbstverwaltung. In der Republik und frühen Kaiserzeit war dieses kostenintensive Ehrenamt hochgeschätzt und wurde gerne wahrgenommen, ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. jedoch entwickelte es sich immer mehr zu einer Last und die Mitglieder versuchten sich den Verpflichtungen zu entziehen. Das führte zur rechtlichen Festschreibung des Curialenstandes als erblich und nicht auf freiwilliger Basis abtretbar. Diese und viele andere Maßnahmen scheinen aber nicht gefruchtet zu haben, wie allein über 200 Gesetze zu diesem Thema im Codex Theodosianus (Sammlung von Kaisererlassen mit rechtlichem Charakter aus dem 5. Jahrhundert n. Chr.) belegen. Traditionellerweise wurden die Steuerforderungen vom Staat auf die Provinzen und von den Statthaltern auf die Curien umgelegt, die mit ihrem persönlichen Vermögen für Differenzen haften mussten. Wenn sich nun immer mehr Steuerzahler den curialen Steuereintreibern entzogen, indem sie sich in das Patronat eines mächtigen Mannes begaben, gegen den die Curien nicht ankamen, so führte das zur Verarmung und Ausdünnung des Curialenstandes.

Libanios ist selbst Curiale, dessen Pächter sich ihm auf die genannte Weise entzogen haben. Nicht einmal ein Gericht verschaffte ihm sein Recht, da der neue Patron seiner Pächter zu mächtig war. Libanios vertritt also eine hoch emotionale und keineswegs objektive Sichtweise. Für die Ausdünnung der Curie macht er allein die Verarmung der Mitglieder durch unwillige Pächter und das Patrocinium verantwortlich. Er erwähnt nicht, dass sich viele Mitglieder aus ihren Verpflichtungen davonstahlen und so die verbliebenen Ratsmitglieder noch mehr belastet wurden, oder dass die staatlichen Forderungen möglicherweise zu hoch und drückend und die Gegenleistungen, wie Schutz vor Übergriffen, nicht ausreichend vorhanden waren. So begaben sich sogar freie Bauern in die Abhängigkeit des Patrociniums und übergaben ihre Ländereien den neuen Patronen. Libanios jedoch stellt die Curialen auf dramatische Weise als fast einzige schuldlose Opfer dieser Entwicklungen dar und bittet den Kaiser in weiteren Teilen der Rede gegen das Patrocinium und die Selbstbereicherung der Feldherren vorzugehen, denn was den Curien schade, schade den Städten, was wiederum dem Reich schade und dem Herrscher, und mache beide angreifbar.  

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Siehe zum Codex Theodosianus und zur Berufsbindung den entsprechenden Beitrag.

 

Soziale Mobilität

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Autor_in: Ammianus Marcellinus
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Amm. 27,3,1-4 – Original

[1] Hoc tempore vel paulo ante, nova portenti species per Annonariam apparuit Tusciam, idque quorsum evaderet, prodigialium rerum periti penitus ignorarunt. In oppido enim Pistoriensi, prope horam diei tertiam, spectantibus multis, asinus tribunali escenso audiebatur destinatius rugiens, et stupefactis omnibus, qui aderant quique didicerant referentibus aliis, nulloque coniectante ventura postea quod portendebatur evenit.

[2] Terentius enim, humili genere in urbe natus et pistor, ad vicem praemii, quia peculatus reum detulerat Orfitum ex praefecto, hanc eandem provinciam correctoris administraverat potestate. Eaque confidentia deinceps inquietius agitans multa, in naviculariorum negotio falsum admisisse convictus, ut ferebatur, perit carnificis manu, regente Claudio Romam

[3] Multo tamen antequam hoc contingeret, Symmachus Aproniano successit, inter praecipua nominandus exempla doctrinarum atque modestiae. Quo instante urbs sacratissima otio copiisque abundantius solito fruebatur, et ambitioso ponte exsultat quem ipse, 1 iudicio principum maximorum, et magna civium laetitia dedicavit, ingratorum, ut res docuit apertissima.

[4] Qui consumptis aliquot annis, domum eius in Transtiberino tractu pulcherrimam incenderunt, ea re perciti, quod vilis quidam plebeius finxerat, 1 illum dixisse sine indice ullo vel teste, libenter se vino proprio calcarias exstincturum, quam id venditurum pretiis quibus sperabant.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: John C. Rolfe
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

[1] At this time or a little earlier a new form of portent appeared in Annonarian Tuscany, and how it would turn out even those who were skilled in interpreting prodigies were wholly at a loss to know. For in the town of Pistoria, at about the third hour of the day, in the sight of many persons, an ass mounted the tribunal and was heard to bray persistently, to the amazement both of all who were present and of those who heard of it from the reports of others; and no one could guess what was to come, until later the portended event came to pass.

[2] For one Terentius, born in that city, a fellow of low origin and a baker by trade, by way of reward because he had brought Orfitus, an ex-prefect, into court on the charge of embezzlement, held the position of governor in that province. Emboldened by this, he proceeded to stir up many disturbances, and being convicted of cheating in a matter of business with some ship-captains, as was reported, he met death at the hands of the executioner when Claudius was city-prefect.

[3] However, long before this happened, Apronianus was succeeded by Symmachus, a man worthy to be classed among the conspicuous examples of learning and moderation, through whose efforts the sacred city enjoyed an unusual period of quiet and prosperity, and prides itself on a handsome bridge, which Symmachus himself, by the decision of our mighty emperors, dedicated, and to the great joy of the citizens, who proved ungrateful, as the result most clearly showed.

[4] For after some years had passed, they set fire to Symmachus‘ beautiful house in the Transtiberine district, spurred on by the fact that a common fellow among the plebeians had alleged, without any informant or witness, that the prefect had said that he would rather use his own wine for quenching lime-kilns than sell it at the price which the people hoped for.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Heidi Heil
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Amm. 27,3,1-4

Leitfragen:

1) Welches Phänomen beschreibt Ammian in der ersten Hälfte der Quelle?

2) Was lässt sich daraus im Hinblick auf die Durchlässigkeit der spätantiken Gesellschaft schließen?

3) Wie steht Ammian zu dieser Entwicklung?

Kommentar:

Fast alle Informationen über das Leben von Ammianus Marcellinus (*ca. 330-335, † um 400 n. Chr.) sind direkt oder indirekt seinem Werk entnommen. Möglicherweise um den Curialenpflichten in seiner Heimatstadt Antiochia zu entkommen, wählte er die Militärlaufbahn. Er diente als protector domesticus unter dem Heerführer Ursicinus in Gallien und Mesopotamien. In Gallien lernte er wahrscheinlich den späteren Kaiser Julian (361-363 n. Chr.) persönlich kennen, begleitete ihn vielleicht sogar auf seinem Perserfeldzug 363 n. Chr. Im Alter ließ er sich zur Abfassung seines Geschichtswerkes in Rom nieder.

Sein Res gestae genanntes Geschichtswerk umfasste ursprünglich 31 Bücher. An Tacitus anschließend setzte es zeitlich im Jahr 96 n. Chr. an. Geschrieben ist es in Latein, obwohl Griechisch Ammians Muttersprache war. Überliefert sind nur die Bücher 14-31, die die Ereignisse von 353-378 n. Chr. behandeln. Ein großer Teil davon, zehn von achtzehn Büchern, widmet sich Julian und seinem Perserfeldzug. Ammian, ebenfalls ein Heide, bewunderte den Kaiser, dessen Taten und Persönlichkeit. In seinem Geschichtswerk sah er den Grundstock zu einer breit angelegten Bildung, die sich alle Führungspersönlichkeiten des Reiches, vom niedrigen Beamten über den Feldherrn bis zum Kaiser, zur sachgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben aneignen sollten.

In der ersten Hälfte der Quellenstelle (27,3,1-2) berichtet Ammian von einem Vorzeichen, das sich niemand erklären kann. In Pistoria in Etrurien (heute Pistoia in der Toskana) besteigt ein Esel die Rednerbühne und schreit eine Zeit lang. Im Nachhinein wird das Ereignis als Vorzeichen für die Statthalterschaft des ehemaligen Bäckers Terentius über Etrurien (364/365 n. Chr.) gedeutet. Laut Ammian erhielt dieser seinen Posten nur, weil er den Stadtpräfekten von Rom wegen Unterschlagung angezeigt hatte. Terentius erfüllt seine Aufgaben dann auch schlecht und wird selbst wegen Fälschung hingerichtet. In der antiken Kultur war der Esel oft negativ konnotiert. Er war dumm und träge, stand für Unglück und Leiden und ist in diesem Fall als ein schlechtes Omen für die Statthalterschaft des Terentius zu sehen. Da Esel auch in den Mühlen zum Mahlen des Korns eingesetzt wurden, kann er außerdem als Anspielung auf den Beruf des Bäckers (pistor) verstanden werden.

Ein gesellschaftlicher Aufstieg, wie der des Terentius, war in der Spätantike kein Einzelfall. Hatte es im Prinzipat noch Generationen gedauert, sich von ganz unten bis zum Konsulat hochzuarbeiten, gelang dies inzwischen auch Einzelpersonen. Das Militär, die Verwaltung und die Kirche boten Aufstiegsmöglichkeiten, auch wenn die Kaiser versuchten, die für den Staat wichtigen Bevölkerungsgruppen durch Gesetzeserlasse an ihre Berufe und/oder ihre Ländereien zu binden. Hunderte solcher Erlasse sind im Codex Theodosianus, einer Gesetzessammlung aus dem 5. Jahrhundert n. Chr., zu finden. Diese Bestrebungen, eine Art „Kastensystem“ einzuführen, schlugen jedoch fehl. Die Gesetze mussten andauernd bekräftigt und erweitert werden, weil die Bevölkerung sich nicht an sie hielt. Selbst Ammian, eigentlich ein Angehöriger des erblichen Curialenstandes, schlug wider geltendes Recht die Militärlaufbahn ein, die ihn den Verpflichtungen seines Geburtsstandes entzog. Die erhöhte soziale Mobilität bot aber nicht nur Aufstiegschancen, sondern barg auch die Gefahr des Rangverlusts. Durch Kriege, religiöse Auseinandersetzungen, Steuerdruck und vieles mehr konnten angesehene Familien ihren Stand verlieren oder freie Bauern in den halbfreien Status eines Kolonen absinken.

Ammian beurteilt den Fall des Terentius nicht positiv. Die Verbindung der Geschichte des Statthalters mit dem Vorzeichen des Esels und die Beschreibung seiner schlechten Amtsführung bergen ein negatives Urteil über den Aufstieg eines niedrig geborenen Bäckers in den gehobenen Stand der honestiores. Im zweiten Teil der Quelle (27,3,3-4) stellt er ihm dann Symmachus (*ca. 345, † 402 n. Chr.) gegenüber. In eine alteingesessene römische Senatorenfamilie geboren, bekleidete dieser 384/385 n. Chr. das Amt des Stadtpräfekten von Rom und war einer der Führer des größtenteils noch heidnischen Senats. Auf ihn geht der literarische Symmachus-Kreis zurück, der sich der Sammlung und Verbreitung der Klassiker verschrieben hatte. Ammian kam in seiner Zeit in Rom wahrscheinlich mit diesem Umfeld in Berührung. Aus seiner Beschreibung von Symmachus‘ Wesen und Amtsführung sprechen Bewunderung und Respekt. Ein späterer Aufstand des undankbaren „Pöbels“ gegen Symmachus, der Rom so viel Gutes getan hatte, ist dann, laut Ammian, auch nur auf die unbewiesene und bösartige Verleumdung eines niedrigen Plebejers zurückzuführen, eines Menschen, der von ebenso niedriger Geburt war wie Terentius.

Obwohl Ammian selbst von der erhöhten sozialen Mobilität seiner Zeit profitiert hatte, kritisiert er an dieser Stelle einen gesellschaftlichen Aufsteiger und lobt einen geborenen Senatoren. Er kritisiert dabei jedoch nicht explizit die Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs, wie man auf den ersten Blick denken könnte, sondern er nutzt die niedrige Geburt und Unfähigkeit des Terentius, um seiner Darstellung des Symmachus mehr Wirkung zu verleihen.  Dabei soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass der Autor sich ebenso über die alteingesessenen Senatoren beschweren konnte, wenn es in seine Darstellung passte (z.B. 14,6;28,4). Es müssen hier also eher die persönlichen Sympathien Ammians gegenüber Symmachus, einem Träger der traditionellen, heidnischen Kultur und Werte, berücksichtigt werden, als eine allgemeine Abneigung gegen soziale Aufsteiger per se anzunehmen. 

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Siehe zum Vergleich auch den Beitrag zur Berufsbindung mit zwei Erlassen aus dem Codex Theodosianus . Siehe zu den Senatoren und gesellschaftlichem Aufstieg auch die Beiträge „Die Senatoren I“ und „Die Senatoren II„.

Berufsbindung

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Autor_in: Verschiedene
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CTh. 13,6,1;14,3,1 – Original

[13,6] De praediis naviculariorum

[13,6,1] Imp. constantinus a. ad decretum naviculariorum. alienationes possessionum a naviculariis factas fugiendi muneris gratia praeiudicare vobis non sinimus. ideoque volumus, ut comparatores supra scriptarum possessionum interpellato praefecto annonae ad id obsequium compellantur, cui se obnoxios esse fecerunt. dat. v kal. nov. constantino a. vii et constantio caes. conss. (326 oct. 28).

[14,3] De pistoribus et catabolensibus

[14,3,1] Imp. constantinus a. ad profuturum praefectum annonae. cunctis pistoribus intimari oportet, quod, si quis forte possessiones suas ideo putaverit in alios transferendas, ut postea se, rebus in abdito collocatis, minus idoneum adseveret, tamquam in locum eius alio subrogando, nihil ei haec astutia nec detestabilia commenta profutura sunt, sed in obsequio pistrini sine ulla excusatione durabit nec ad eius iura revocabuntur, si quas emptiones transcripserit. proposita id. aug. constantino a. v et licinio caes. conss. (319 aug. 13).

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Übersetzung: Heidi Heil
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Übersetzung

[13,6] Über die Landgüter der Reeder

[13,6,1] Imperator Constantinus Augustus als Antwort auf ein Gesuch der Reeder.

Wir erlauben die Veräußerung von Grundbesitz nicht, die Reeder betreiben um sich ihren Pflichten zu entziehen und euch von vornherein zu beeinflussen. Und daher wollen wir, dass die Käufer der oben beschriebenen Güter, nach eurem Antrag an den praefectus annonae, gezwungen sind, die Pflichten zu übernehmen, zu denen sie sich selbst verpflichtet haben.

Beschlossen fünf Tage vor den Kalenden des November im Jahr des siebten Konsulats von Constantinus Augustus und des Konsulats von Constantius Caesar. – 28. Oktober 326.

[14,3] Über Müllerbäcker und Eseltreiber

[14,3,1] Imperator Constantinus Augustus an den praefectus annonae Profuturus.

Alle Müllerbäcker müssen darüber unterrichtet werden, sollte einer von ihnen etwa annehmen, dass er seine Güter an eine andere Person übertragen könne, so dass er danach, wenn sein Vermögen im Verborgenen untergebracht ist, behaupten könne, er sei finanziell nicht befähigt und eine andere Person solle an seiner Stelle gewählt werden, dann sollen ihm weder diese Verschlagenheit noch diese verabscheuenswürdige Lüge etwas nützen, sondern er soll ohne Anspruch auf eine Ausnahme im Dienst der Brotherstellung verbleiben. Wenn er seinen Besitz an andere verkauft hat, soll er ihm nicht zurückgegeben werden.

Beschlossen an den Iden des August im Jahr des fünften Konsulats von Constantinus Augustus und des Konsulats von Licinius Caesar. – 13. August 319.

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Autor_in: Heidi Heil
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CTh. 13,6,1;14,3,1

Leitfragen:

1) Auf was zielen die beiden Gesetze ab?

2) Was machte diese Berufe so wichtig, dass Gesetze dazu erlassen wurden?

3) Welche Entwicklung ist hier zu erkennen?

Kommentar:

Der Codex Theodosianus (CTh.) ist eine Gesetzessammlung, die der oströmische Kaiser Theodosius II. (408-450 n. Chr.) zusammenstellen ließ und die ab dem 1. Januar 439 n. Chr. im ganzen Reich galt. Der Codex ist unvollständig erhalten und umfasst über 2500 Kaisererlasse ab 312 n. Chr. Er besteht aus 16 Büchern, die in sachliche Titel eingeteilt sind, in denen sich wiederum die Erlasse zum jeweiligen Thema meist in chronologischer Reihenfolge befinden. Zum Teil sind die Erlasse schon von der zusammenstellenden Kommission verändert oder gekürzt worden. Der Codex Theodosianus war nicht die erste und auch nicht die letzte, jedoch die älteste erhaltene Sammlung von Gesetzen römischer Kaiser. Im Osten des Reiches wurde er im 6. Jahrhundert vom Codex Iustinianus abgelöst.

Es liegt hier der jeweils erste Erlass aus zwei Titeln vor, die sich mit bestimmten Berufsgruppen befassen, nämlich den Reedern (navicularii) und den Müllerbäckern (pistores). Dabei geht es hauptsächlich um solche, die in einer Zunft (collegium oder corpus) organisiert waren. Sie hatten eine große Bedeutung für die städtische Versorgung. So transportierten die navicularii im öffentlichen Auftrag Waren, insbesondere Weizen, v.a. nach Rom. Die pistores waren für die Verarbeitung des Getreides zu Brot verantwortlich, was das Mahlen und Backen beinhaltete.

Die Lebensmittelversorgung der städtischen Bevölkerung mit vergünstigten, teilweise kostenlosen Lebensmitteln und überhaupt die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung zu moderaten Preisen waren ein Teil der staatlichen Fürsorge und wurden dementsprechend auch vom Staat überwacht. So unterstand u.a. die Getreideversorgung vom Verschiffen über den Transport in und durch die Städte bis zur Übergabe an die pistores zu moderaten Preisen dem praefectus annonae.

Vom Staat wurden diese Berufsstände, die die Versorgung der Städte sicherstellten, sowohl privilegiert, als auch belastet. Ihre Güter waren (teilweise) steuerfrei, sie waren vom Militärdienst und von sonstigen öffentlichen Diensten und Abgaben befreit. Außerdem war ihnen oft ein außergewöhnlicher gesellschaftlicher Aufstieg möglich. Dafür waren sie an ihre Güter gebunden, unterlagen oft einer erblichen Berufspflicht und einer immer strengeren staatlichen Kontrolle.

In der Spätantike scheinen viele diese Pflichten und Einschränkungen, die mit den Privilegien einhergingen, als immer drückender empfunden zu haben und versuchten deshalb sich ihnen zu entziehen. Die Kaiser jedoch setzten diesen Versuchen Erlasse entgegen. So waren die Pflichten der navicularii an ihre Landgüter gebunden, und ihnen der Verkauf derselben untersagt. Sollte doch ein Verkauf stattfinden, musste der Käufer die Pflichten, mit denen der Besitz belastet war, übernehmen (CTh. 13,6,1). Dem betrügerischen Verhalten der pistores, die versuchten, unter Vorspiegelung von Zahlungsunfähigkeit, aus der Gilde ausgeschlossen zu werden, also von der erblichen Verpflichtung der Brotherstellung befreit zu werden, wurde die Berufsbindung entgegengesetzt, wenn sie gefasst wurden (CTh. 14,3,1).

Dies sind jeweils nur die ersten von vielen Erlassen, die sich mit dem Thema der Berufsflucht befassen und dieses Phänomen war nicht nur auf die navicularii und pistores beschränkt, sondern lässt sich in der Spätantike z.B. auch bei Dekurionen, Arbeitern in staatlichen Fabriken, Kolonen u.a. beobachten. Dass immer wieder neue Konstitutionen zum selben Thema erlassen werden mussten, bestätigt die Wirkungslosigkeit derselben. Mit den beiden Gesetzen von 319 und 326 n. Chr. ist ein Stadium einer Entwicklung dargestellt, bei der der Staat versuchte, immer mehr Kontrolle über die Berufsstände auszuüben, sie durch Privilegien attraktiv zu machen, durch Verordnungen zu konsolidieren und durch Androhung von Strafe bei Austritt oder Flucht zu erhalten. So war für die pistores theoretisch nicht einmal der Kirchendienst ein Ausweg. Sie blieben trotzdem zur Brotherstellung verpflichtet.

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Siehe zum Vergleich auch die Beiträge zur Sozialen Mobilität und zu senatorischen Aufsteigern.

Die Senatoren II

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Sextus Aurelius Victor
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Aur. Vict. Caes. 37, 5-7 – Original

[5] Abhinc militaris potentia convaluit ac senatui imperium creandique ius principis ereptum ad nostram memoriam, incertum, an ipso cupiente per desidiam an metu seu dissensionum odio.

[6] Quippe amissa Gallieni edicto refici militia potuit concedentibus modeste legionibus Tacito regnante, neque Florianus temere invasisset, aut iudicio manipularium cuiquam, bono licet, imperium daretur amplissimo ac tanto ordine in castris degente.

[7] Verum dum oblectantur otio simulque divitiis pavent, quarum usum affluentiamque aeternitate maius putant, munivere militaribus et paene barbaris viam in se ac posteros dominandi.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: A. Forbiger
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

[5] Von da an erstarkte die Macht des Kriegerstandes und dem Senate blieb das Regiment und das Recht den Kaiser zu wählen bis auf unsre Zeit entrissen, wobei es ungewiß ist, ob nach eigenem Wunsche desselben in Folge träger Schlaffheit, oder aus Furcht und Abscheu vor inneren Zwistigkeiten.

[6] Denn nach Aufhebung des Gallienischen Edicts hatte das Heerwesen wieder besser organisiert werden können, da die Soldaten, so lange Tacitus regierte, bescheiden nachgaben, und es würde weder Florianus ohne Berechtigung die Regierung an sich gerissen haben, noch würde dieselbe irgend einem, wenn auch braven Manne [blos] durch den Ausspruch der Legionen zuerkannt worden sein, wenn ein so angesehener und hoher Stand im Lager sich befunden hätte.

[7] Doch während sie sich träger Ruhe erfreuen und zugleich für ihren Reichthum zittern, dessen Genuß und Aufhäufung sie höher achten als Unsterblichkeit, haben sie Kriegsmännern und beinahe Barbaren den Weg zur Herrschaft über sich selbst und ihre Nachkommen gebahnt.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Heidi Heil
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Aur. Vict. Caes. 37, 5-7

Leitfragen:

1) Wie beschreibt Aurelius Victor den Senatorenstand?

2) Für welche Entscheidung macht er die Senatoren verantwortlich?

3) Aus welcher Sicht schreibt der Autor?

Kommentar:

Sextus Aurelius Victor (* um 320, † um 390 n. Chr.) entstammte einfachen Verhältnissen in Nordafrika und schaffte es dank einer guten Ausbildung gesellschaftlich aufzusteigen. Unter Kaiser Julian wurde er 361 n. Chr. Statthalter der Provinz Pannonia Secunda, um 389 n.  Chr. war er praefectus urbi (Stadtpräfekt) von Rom. Er erreichte damit den zweithöchsten zivilen Rang im Reich, der nur noch von der Reichspräfektur übertroffen wurde.

Um 360 n. Chr. verfasste er seine biographisch angelegten Historiae Abbreviatae, Liber de Caesaribus/Caesares genannt. In dieser knappen römischen Kaisergeschichte, von Augustus bis Constantius II., bot er erstmals die Einteilung in Claudische und Flavische Dynastie, Adoptiv- und Soldatenkaiser.

Der vorliegende Quellenausschnitt stammt aus Victors Textabschnitt zu Probus (276-282 n. Chr.), einem Soldatenkaiser illyrischer Herkunft. Nachdem dieser von seinen eigenen Männern umgebracht worden war, stieg, laut Victor, die Macht des Militärs und die Senatoren verloren die Herrschaft über den Staat. Dies passierte entweder, weil die Senatoren zu träge waren oder sich vor inneren Konflikten fürchteten. Victor gibt an, dass es den Senatoren durchaus möglich gewesen wäre, das Militär zu kontrollieren und Legionskommandos zu führen, nachdem das Edikt des Gallienus, das Senatoren die hohen Militärposten verschlossen hatte, aufgehoben worden war.  Dadurch hätte auch verhindert werden können, dass die Legionen eigenmächtig Kaiser ausriefen, wie z.B. Florianus (276 n. Chr.). Da die Senatoren aber ein träges Leben und die Anhäufung von Besitz dem Dienst am Staat vorzogen, regierten von dieser Zeit an Militärs und beinahe auch Barbaren.

Victor reflektiert hier die Verhältnisse seiner Zeit und verortet den Auslöser dafür im 3. Jahrhundert. Er beschreibt die Senatoren als schwach und nur an Reichtum, statt an Ruhm und Staatsdienst interessiert. Dabei muss man sich fragen, inwieweit sie überhaupt die Möglichkeit hatten, an der Reichspolitik teilzuhaben. Schon seit Augustus hatte der Senat seine Leitfunktion verloren. Es kam immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Senatoren und Kaisern. Die Macht der Kaiser stützte sich dabei auf das Militär, das durch eine zunehmende „Barbarisierung“ innerlich vom Senat abrückte. In der sogenannten Reichskrise des 3. Jahrhunderts wurde es nötig, hohe Militärkommandos nicht mehr nach Rang, sondern Eignung zu besetzen, was den Aufstieg der MIlitärs begünstigte. Gallienus‘ (253-268 n. Chr.) Ausschluss der Senatoren von hohen Militärposten war nur einer der ersten Höhepunkte einer Entwicklung, die von Diocletian (284-305 n. Chr.) und Constantin (324-337 n. Chr.) abgeschlossen wurde. Die Trennung in Militär- und Zivilverwaltung machte die Senatoren dann wieder als höhere Beamte einsetzbar, im 4. Jahrhundert stellten sie meistens den Stadtpräfekten von Rom. Die Funktion des Senates hatte sich jedoch auf eine symbolische und kulturelle Komponente reduziert, beispielhaft dafür ist der Symmachus-Kreis, der die klassische lateinische Literatur sammelte und neu herausgab. Wie die Stadt Rom, die seit Diokletian keine Residenzstadt mehr war, repräsentierte der Senat immer noch alte Werte, Größe und Traditionen – bis zum Ende des 4. Jahrhunderts waren die meisten Senatoren noch Anhänger der heidnischen Religion – aber in der Reichspolitik hatte er kein Mitspracherecht mehr, im 6. Jahrhundert verschwand er sogar vollständig.

Zur Zeit von Aurelius Victor waren die wichtigsten Aufgaben zum Eintritt in die Curie das Ausrichten von Spielen und das Spenden von Getreide für die stadtrömische Bevölkerung. Auch die weiteren Ämter der senatorischen Laufbahn, wie die Prätur, hatten meist nur zeremoniellen Charakter und waren vor allem mit finanziellem Aufwand verbunden. Es verwundert also nicht, dass sich die Senatoren große Gedanken um ihr Vermögen und den Erhalt oder die Vermehrung desselben machten bzw. machen mussten.

Gleichzeitig mit dem Verlust der Kontrolle über den Staat aus eigenem Verschulden, macht Victor die Senatoren damit auch für den Aufstieg der Militärs und Barbaren verantwortlich. Da das Heer vergrößert werden musste, um den militärischen Herausforderungen genügen zu können, mussten bei der Rekrutierung auch immer mehr Barbaren berücksichtigt werden. Dies war zwar keine neue Praxis, aber die Anzahl der barbarischen Rekruten wurde so hoch, dass das Heer sie nicht mehr romanisierte, sondern sie das Heer eher barbarisierten. Die Römer hatten immer weniger Lust, selbst in die Legionen einzutreten und bezahlten stattdessen das aurum tironicum (Wehrersatzsteuer). Da die Senatoren nicht mehr in das Militär eingebunden waren, bildete sich hier, neben der Zivilaristokratie, eine Militäraristokratie mit teilweise barbarischen Wurzeln heraus, die so wichtig für das Reich wurde, dass sich das Kaiserhaus mit ihnen verschwägerte, wie zum Beispiel mit Stilicho, der vandalischer Herkunft war. Er heiratete eine Nichte Theodosius‘ I. und verheiratete seine Töchter wiederum mit dessen Sohn Honorius.

Interessant ist hier die Kritik, die Aurelius Victor mit seiner Beschreibung der Senatoren übt, obwohl er diesem Stand angehörte und Heide war. Sein Vater war zwar wahrscheinlich ein Bauer gewesen, aber er selbst hatte sich nach oben gearbeitet und musste spätestens seit seiner Statthalterschaft 361 n. Chr. dem Senatorenstand angehört haben. Da er jedoch nicht in diesen Stand hineingeboren worden war, sondern eher nominell, aus Gründen des Ranges und aufgrund eigener Verdienste, in ihn erhoben wurde, bietet er in seinem Werk quasi eine Außensicht, die (möglicherweise enttäuschte?) Sicht eines Aufsteigers auf ein traditionsreiches Organ der römischen Gesellschaft, das seine einstige Größe und Macht verloren hatte.

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Podcast-Hinweise
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Siehe zur Entwicklung des Senats auch den Podcast „Die Gesellschaft der Kaiserzeit“ und zum Senat in der Spätantike auch die 7. Rede von Symmachus.

Die Senatoren I

Originalquelle

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: Barbara Saylor Rodgers
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

[1] That I am present as an advocate rather than a witness for the son of Julianus the most distinguished man my especial friend, let no one think that it was attended to because of want of confidence in the man, since I considered, patres conscripti, that I ask you for good faith with no lesser reverence than the rest of men. I wish to give my oath and by Hercules I ought to have taken on the part of giving testimony, if I had not accepted a request from one whose familiarity to you demands encomiasts rather than people on oath against your hesitation.

[2] So let my free choice of service be suspect to no one one: being about to ask that a new senator be added to our dignity, I have an immediate penalty, if I am joined to an unworthy man, and that penalty is not single in number and kind, if by one action I am the author of an injury to myself and accused of injury to you. Thus I would have you believe it was not because of my caution but because of peace of mind for the man I sponsor that I came to prefers this duty. While he had an abundance of „swearers,“ and while he was sure of his own merit, he summoned as advocate one whom another would have kept as witness. Yet do not think me actually freed from the situation of those on oath. But when it is a question of a friend’s affair, I consider that a judgment will be made of us as well.

[3] I remember how much care the friendship of individuals costs me, nor am I so prodigal of public dignity that I would pay a contract of personal favor by one that is foreign. I do not mention the praiseworthy successions of our offices: I do not wish the senate to intervene for my debt, for both things are repugnant, that a future colleague not be evaluated on his own merit and that his sponsor be made whole from public resources. How much more honorably do I say, that Synesius ought to be chosen for the senate not because he is joined to me in friendship, but that he is friendly to me because he is worthy to be chosen!

[4] The father of this young man was long ago admitted as a senator, and attained this on his merits; since dignity inborn belongs to felicity, dignity conferred belongs to virtue. The rest of his ancestors from the past were approved by you at the time when he himself was chosen. The credibility of my oration does not depart from testimony, does it? Consider that I am under oath, because I proclaim what you can acknowledge. Nor would someone say without cause that Synesius contributes more honor than his father, to whom even this has been added, that from the same house he is now the second to be admitted. For the offspring of a family extends as much higher toward nobility the farther it recedes from the estate of new men . . .

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Heidi Heil
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Symm. or. 7, 1-4

Leitfragen:

1 ) Zu welchem Anlass hat Symmachus die Rede gehalten?

2 ) In welcher Funktion tritt er dabei auf?

3) Wie steht er zu neu aufgenommenen Senatoren?

Kommentar:

Quintus Aurelius Symmachus Eusebius (*ca 345; † ca. 402 n. Chr.) war der bedeutendste Redner der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts. In den Senatorenstand hineingeboren, machte er sich schon in jungen Jahren mit seinem rhetorischen Talent einen Namen. 373-375 n. Chr. war er Proconsul Africae (Statthalter in Afrika), 384 n. Chr. praefectus urbi (Stadtpräfekt von Rom) und 391 Consul. Symmachus war ein Anhänger der heidnischen Kulte und sammelte Gleichgesinnte um sich, die es sich zur Aufgabe machten, die heidnische lateinische Literatur zu erhalten und neu herauszugeben. Die Gruppe wird als „Symmachus-Kreis“ bezeichnet.

Seine erhaltenen Werke können in drei Kategorien eingeteilt werden: Epistulae (Briefe), Orationes (Reden) und Relationes (Berichte/Gesuche). Die über 900 Briefe wurden nach seinem Tod von seinem Sohn herausgegeben. Sie sind meist inhaltsleer, aber stilistisch auf höchstem Niveau. Von den 49 Relationes, die Symmachus als Stadtpräfekt an den Kaiser schrieb, ist die dritte wohl die berühmteste und steht exemplarisch für das Ringen zwischen Heidentum und Christentum. Darin fordert er, dass die Maßnahmen Gratians gegen die heidnischen Kulte rückgängig gemacht würden. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der Wiederaufstellung des Victoria-Altars in der Curie. Sogar der größte Gegner des Symmachus in dieser Angelegenheit, Bischof Ambrosius von Mailand, musste die Schönheit und Kunstfertigkeit der Relatio anerkennen, als er seine Widerlegung schrieb. Von den acht erhaltenen Reden sind drei Panegyrici auf Valentinian I. (364-375 n. Chr.) und Gratian (375-383 n. Chr.). Wie die vorliegende Rede auch, weisen sie oft Lücken auf.

Seine siebte Rede hielt Symmachus im Senat vor 388 n. Chr. Er trat dabei als Fürsprecher beziehungsweise Antragssteller für die Aufnahme von Synesius, Sohn seines Freundes Sextus Rusticus Iulianus, in den Senat auf. Als Fürsprecher für diese adlectio in senatum bezeugte er die Eignung von Synesius und hätte auch belangt werden können, wenn sich das Gegenteil herausgestellt hätte.

In den ersten zwei Abschnitten geht Symmachus vor allem darauf ein, warum er als Fürsprecher und nicht als Zeuge auftritt. Dabei betont er, dass Synesius aufgrund seiner Eignung genug Zeugen zur Verfügung stünden, er auch als Antragssteller eine ähnlich hohe Verantwortung habe und ihn ebenso Strafe treffen würde, falls sich der Kandidat als unwürdig herausstellen sollte. Im dritten Abschnitt stellt er heraus, dass er nur für Synesios‘ Aufnahme spricht, weil dieser es sich verdient hätte, nicht weil er mit diesem Dienst irgendeine Schuld begleichen müsste. Im letzten Abschnitt schließlich wird noch einmal über Iulianus gesprochen, der ebenfalls nicht in den Senatorenstand geboren worden war, sondern aufgrund eigener Verdienste aufgenommen wurde. Sein Sohn Synesius wurde wahrscheinlich vor dieser adlectio geboren und musste deswegen ebenfalls seine Aufnahme in den eigentlich erblichen Senatorenstand beantragen.

In der Republik gehörten die Söhne von Senatoren formal noch zum ordo equester (Ritterstand) bis sie in den Senat eintraten. In der Kaiserzeit jedoch entwickelte sich der ordo senatorius (Senatorenstand) zu einem erblichen Stand. Außerdem konnten auch verdiente Magistrate und andere als Auszeichnung zu viri clarissimi erhoben werden. Um dann ein „richtiger“ Senator zu sein musste man mindestens ein Amt, wie die Quaestur oder Praetur, ausüben, die jedoch in der Spätantike keine wirkliche Machtfülle mehr besaßen, sondern eher Ehrenämter mit zeremonialem Charakter und hohem finanziellem Aufwand waren. Die Gestaltung der Reichspolitik war inzwischen auf eine Art Militäraristokratie übergegangen, die von der Zivilaristokratie getrennt war.

Trotzdem wird Synesius‘ Eignung für Symmachus schon dadurch verstärkt, dass sein Vater ebenfalls Senator ist. Obwohl er ausdrücklich betont, dass es reine Glückssache ist, in den Clarissimat hineingeboren worden zu sein, so wie er selbst, spricht er dieser Herkunft doch eine ihr selbst innewohnende höhere Würde zu. Diese verstärkt sich noch, je weiter sich die Nachkommen von dem neu aufgenommenen Senator entfernen. So nähert man sich Generation für Generation der Nobiliät an und streift langsam die niedere Herkunft ab. Dieser Stolz auf die Vorfahren war typisch für die Senatoren, die auch den Charakter eines Mannes an seiner Ahnenlinie maßen. Aber nicht nur die Senatoren selbst betrachteten sich als die „Edelsten der Menschheit“ (Symm. or. 6,1), auch die Öffentlichkeit betrachtete sie oft auf diese Art. Und wo Iulianus noch allein anhand seiner Leistungen und wahrscheinlich seiner guten finanziellen Lage in den Senat aufgenommen wurde, konnte Synesius zumindest schon auf einen senatorischen Vorfahren verweisen.

Symmachus sah den Senatorenstand also als überlegen an, aber stand Aufsteigern, wie Iulianus, positiv gegenüber und lobte sie. Hier mögen, trotz Symmachus‘ gegenteiliger Beteuerung, persönliche Schulden durchaus eine Rolle gespielt haben, aber Aufsteiger waren auch kein neues Phänomen. Genannt sei hier als Beispiel Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.), der es in der Republik als erster aus seiner Familie in den Senat schaffte (homo novus). In der Spätantike setzte dann eine Art Titelinflation ein. Das Prädikat vir clarissimus wurde so häufig vergeben, dass innerhalb des Senatorenstandes weitere Rangabstufungen eingeführt wurden, von denen das Clarissimat die unterste bildete. Symmachus handelte also im Rahmen seiner Zeit, wenn er als in den Stand Geborener Aufsteiger unterstützte, vertrat dabei aber trotzdem ein Standesbewusstsein, das sich aus Traditionen und alter Größe ableitete, auch wenn der Senat in der Spätantike eher kulturellen Wert als wirkliche Macht besaß. 

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Siehe zur Entwicklung des Senats auch den Podcast „Die Gesellschaft der Kaiserzeit“ und zum Senat in der Spätantike auch Aurelius Victor.

Die Kontorniaten

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Heidi Heil
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Kontorniat Nero, 355-95/423 n. Chr.

Leitfragen:

1) Was ist auf der Vorder- und Rückseite des Kontorniats zu sehen?

2) Wer kommt als Urheber der Kontorniaten infrage?

3) Welchen Zweck erfüllten die Kontorniaten?

Kommentar:

Der Begriff Kontorniat kommt vom italienischen contorno und bedeutet „Rand/Umrandung“. Der Name bezieht sich auf den erhabenen Rand und die an der Innenseite eingetiefte Rille, welche die Kontorniaten von den meisten anderen antiken Münzen und Medaillons unterscheidet. Sie waren nicht als Zahlungsmittel gedacht und wurden fast immer geprägt, einige gegossen, wenige graviert. Bei den Abbildungen wurde oft auf alte Münzvorbilder zurückgegriffen, wobei Vorder- und Rückseiten neu zusammengestellt wurden, auch ohne Bezug zueinander. Die größte Gruppe, die der geprägten Kontorniaten, lässt sich in drei Serien unterteilen:

  1. Die Kaiserserie (379-472 n. Chr.) mit Kaisern des 4. und 5. Jahrhunderts n. Chr. auf der Vorderseite. Wahrscheinlich von den Kaisern geprägt, als Fortsetzung der regulären Bronzemedaillons, die als Geschenke dienten.
  2. Die Reparatio-Muneris-Serie (um ca. 400 n. Chr.), die sich auf eine Erneuerung von Spielen bezieht. Sie feiert ein Hilfsprogramm der Senatoren für die Ausrichtung der stadtrömischen Spiele durch die Quästoren. Relativ kleine Serie, bei der Senatoren Urheber und Empfänger sind.
  3. Die regulären Kontorniaten (355/360-395/423 n. Chr.), die alle anderen geprägten Kontorniaten umfassen.

Das vorliegende Kontorniat gehört zur Serie der regulären Kontorniaten. Auf der Vorderseite ist der Kopf des Kaisers Nero (54-68 n. Chr.) abgebildet. Er trägt einen Lorbeerkranz und schaut nach rechts. Im rechten Feld ist ein nachträglich eingravierter Palmzweig zu erkennen. Die Inschrift IMP NERO CAESAR AVG P MAX lässt sich als die Kaisertitulatur Imperator Nero Caesar Augustus Pontifex Maximus auflösen. Auf der Rückseite ist in der Vorderansicht ein Kutscher in einem Viergespann zu sehen. In der rechten Hand hält er eine Peitsche, in der linken einen Palmzweig. Über seiner linken Schulter ist ein Helm zu erkennen. Im unteren Teil der Abbildung wird ein Kranz von Palmzweigen flankiert. Die Inschrift gibt den Namen E-VT-VMIV-S = Euthymius an.

Sah man die Kontorniaten anfangs noch als Eintrittsmarken für den Circus oder Brettspielsteine, vertrat Andreas Alföldi die Meinung, dass sie den heidnischen stadtrömischen Senatoren als Propagandamittel gegen das christliche Kaisertum gedient hatten. Herstellungsort war für ihn die staatliche Münze in Rom, zu der nicht viele Menschen Zugriff hatten. Außerdem begründete er seine Meinung mit den Abbildungen, wie denen von heidnischen Kaisern, Philosophen, Autoren, Mythen und Schauspielen.  In diesem Fall würden die Kontorniaten einen Einblick in das Selbstverständnis der Senatoren geben, das noch lange  den alten Kulten und Traditionen verhaftet blieb.

Wie aber passt das vorliegende Kontorniat dazu? Nero war zwar ein heidnischer Kaiser und bekannt als der erste Christenverfolger, aber in senatorischen Kreisen trotzdem nicht besonders beliebt. Zu seiner Zeit war er sogar gegen den Senat vorgegangen und hatte einige Mitglieder hinrichten lassen. Über ihn wurde nach seinem Tod die damnatio memoriae verhängt, die Auslöschung der (öffentlichen) Erinnerung an eine Person, und in der senatorisch geprägten Literatur wird er fast durchgehend negativ beschrieben. Trotzdem ist er nach dem „Idealkaiser“ Trajan der am zweithäufigsten abgebildete Kaiser. Eine Erklärung dafür ergibt sich, wenn man an die Empfänger der Kontorniaten denkt. Bei der plebs urbana war Nero nämlich durchaus beliebt. Die stadtrömische Bevölkerung verband mit ihm wahrscheinlich auch in der Spätantike noch den Bau von Thermen, die Liebe zu Wagenrennen, die Senkung des Festpreises für Getreide u.v.m. Das macht auch die Verbindung mit der Wagenlenker-Abbildung auf der Rückseite noch plausibler. Viele der regulären Kontorniaten hatten einen Bezug zum Circus und gerade diese waren wohl am beliebtesten.

Verzichteten die Senatoren hier auf Selbstdarstellung, um den Wünschen bzw. dem Geschmack der Empfänger zu entsprechen und so eine größere Wirkung zu erzielen? Da das eine ungewöhnliche Abweichung vom sonstigen Verhalten wäre, nämlich der durchgehenden Darstellung der eigenen Vorstellungen, ist eine senatorische (und auch kaiserliche) Urheberschaft für das vorliegende Kontorniat und auch die anderen regulären Kontorniaten unwahrscheinlich. Auch die Annahme, dass nur die staatliche Münze als Herstellungsort infrage kommt, kann nicht bewiesen werden. Es kommen damit noch vermögende Nichtsenatoren und Handwerker als Urheber infrage, die die Mittel zur Herstellung von Kontorniaten hatten.

Einige Indizien verweisen darauf, dass die regulären Kontorniaten wahrscheinlich als glückverheißende Amulette dienten, die die magiegläubige stadtrömische Bevölkerung gerne zu Feiertagen verschenkte und die sich nahezu jeder leisten konnte. Schon seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. wurden alte Münzen, die meist noch als Zahlungsmittel einsetzbar waren, geschätzt und gerne verschenkt. Nachdem aber alte Münzen aus dem Umlauf genommen wurden, musste Abhilfe geschaffen werden.  Dies erklärt auch den Rückgriff der Kontorniaten auf alte Münzvorbilder. Einige weisen nachträglich angebrachte Löcher auf, die es ermöglicht haben könnten, sie als Amulett direkt am Körper anzubringen. Auch die nachträglich angebrachten Sieges- und Glückszeichen, in diesem Fall der Palmzweig auf der Vorderseite, unterstützen diese These. Wagenlenker galten außerdem als magiekundig, wurden aber aufgrund ihrer Beliebtheit und Stellung nicht dafür belangt. Auch die meist dargestellten „einfachen“ Themenwelten von der Verherrlichung Roms und den Spielen passen zur stadtrömischen Bevölkerung als Empfänger und unterstreichen die Eignung der Kontorniaten als Geschenke innerhalb dieser Gruppe.

Damit erfüllten die regulären Kontorniaten keinen politischen Zweck, sondern waren ein einfaches, privat hergestelltes Handelsgut, das sich in der Bildsprache gerne auf die „bessere“ Vergangenheit und glückbringende Zeichen stützte, um den Geschmack der Abnehmer zu erfüllen.

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Siehe zur Münzprägung in der Spätantike auch die Münze des Diokletian und Konstantins Sol Invictus-Münze.

07 – Religiöse Strukturen, Judentum und Christentum

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in:
Werner Rieß
Lizenz:
CC-BY-NC-SA

Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

07 – Religiöse Strukturen, Judentum und Christentum

In der römischen Kaiserzeit herrscht nach wie vor Polytheismus. Regional gibt es in der Götterverehrung und in den religiösen Auffassungen große Unterschiede. Neu hinzukommen der Kaiserkult, der sogenannte Synkretismus und die verstärkte Verbreitung von Mysterienkulten, insbesondere des Isis- und Mithraskultes. Das entstehende Christentum sollte das Reich dann allmählich grundlegend verändern.
Der römische Kaiserkult geht vereinfachend gesprochen aus dem hellenistischen Herrscherkult hervor. Die Menschen waren mehrheitlich der Meinung, dass ein Mensch, der mit der Allgewalt eines römischen Kaisers ausgestattet ist, unter dem besonderen Schutz der Götter stand, besonders von ihnen begünstigt wurde und dass er eben auch Verehrung verdiene. In zahlreichen Inschriften wird der Kaiserkult greifbar, der auf lokaler und regionaler Ebene von den jeweiligen Eliten gepflegt wurde.
Synkretismus heißt Mischung; Göttervorstellungen werden miteinander verbunden oder verschmelzen. Isis wurde untrennbar mit Osiris verbunden, später wurde Osiris mit Sarapis gleichgesetzt. In Italien wurden Isis und Venus immer mehr ineinander geblendet.
Warum aber gewannen die Mysterienkulte immer mehr an Boden? Was boten Sie den Menschen, das die althergebrachten Staatskulte nicht bieten konnten? Die Ausübung der Staatskulte war formelhaft geworden und oftmals zu mechanisch zu vollziehenden Ritualen erstarrt, die wenig Möglichkeit zur persönlichen Identifikation mit dem Glauben schafften. Da die Eliten die Kulthandlungen vollzogen, waren die meisten Menschen auf eine Zuschauerrolle beschränkt; die Distanz zum Kultgeschehen und zu den Kultausübenden verstärkte sogar noch die sozialen Schranken.
Die Mysterienreligionen gingen dagegen auf die Sehnsüchte und die Bedürfnisse der Menschen ein: Sie boten in kleinen Kreisen Geborgenheit. Durch das Absolvieren von umfangreichen Aufnahmeritualen hatte man das Gefühl, zu einem privilegierten Kreis von Eingeweihten zu gehören, denen Glück, ja Heil in Aussicht gestellt wurde. Die Erwartung eines Lebens nach dem Tod war intrinsischer Bestandteil aller Mysterienreligionen. Genau festgelegte Rituale, an denen aber alle Eingeweihten teilnahmen, vermittelten offenbar intensive religiöse Gemeinschafts- und Glücksgefühle. Geprägt waren die Mysterienkulte von der Überzeugung, dass es eine Vergebung der Sünden und nach dem Tod eine Auferstehung geben würde, die man sich mehr oder weniger als eine Vereinigung der eigenen Seele mit der Gottheit vorstellte. Die rituelle Sequenz Tod, Liminalität, Auferstehung wurde offenbar im Kult nachvollzogen und entsprechend zelebriert. Der Einzelne wurde also persönlich ganz anders von diesen Kulten angesprochen und individuell in Gemeinden eingebunden als dies bei den traditionellen Staatskulten der Fall war. Neben dem Kybele-, Isis- und Jupiter Dolichenus-Kult gewann vor allem die Mithras-Verehrung eine weite Verbreitung, v.a. im Westen. Zwischen dem alten iranischen Gott Mithra und dem kaiserzeitlichen Gott gibt es sicher Bindeglieder, die uns aber heute verloren sind. Der Mithraskult wurde v.a. eine Soldatenreligion, wurde aber auch von Händlern und Kaufleuten praktiziert. Frauen waren ausgeschlossen. Man traf sich in Grotten oder Höhlen, die meist künstlich gebaut wurden. Dort fand dann eine Stiertötung statt und ein gemeinsames Opfermahl, bestehend aus Brot und Wein und natürlich aus dem Verzehr des Stierfleisches und dem Trinken seines Blutes. Die Anhänger waren streng in sieben Stufen, Grade der Einweihung eingeteilt, jede Stufe wurde durch einen Himmelskörper symbolisiert. Das Denken war dualistisch, Gut siegte über Böse, Licht über Dunkel. Da der Mithraskult keinen Ausschließlichkeitsanspruch kannte, konnten seine Anhänger auch andere Götter verehren, insbesondere wurde auch der Kaiser verehrt – noch einmal: Soldaten waren die Hauptträger dieses Kultes, so dass Merkelbach den Mithraskult auch als Loyalitätsreligion bezeichnete.
Bei den Intellektuellen und den philosophisch Gebildeten gab es ebenfalls eine große Bandbreite an religiösen Überzeugungen. Sie reichte von der Befürwortung der traditionellen Götterkulte aus Gründen des Respekts und der Pietät gegenüber überkommenen Glaubensformen über Agnostizismus bzw. Skeptizismus bis hin zu mittelplatonisch und neuplatonischen Gottesvorstellungen, die zum großem Teil auch einen monotheistischen Gottesbegriff kannten, auf dem das Christentum aufbauen konnte.
Eine aktive Religionspolitik der römischen Kaiser gab es bis Mitte des dritten Jahrhunderts nicht. Sie schritten nur dann ein, wenn es aus religiösen Gründen zu Tumulten kam. Vorgegangen wurde dann nicht per se gegen die jeweilige Religion, sondern gegen die Unruhestifter, welche die römische Ordnung zu gefährden schienen. Sowohl das Judentum als auch das Christentum waren von diesem Eingreifen des römischen Staates betroffen und auf diese Religionen gilt es nun etwas näher einzugehen.
Die Römer standen den Juden ambivalent gegenüber: Caesar und Augustus bestätigten alte Privilegien bzw. schufen neue, man respektierte das hohe Alter des Judentums und war zum Teil auch beeindruckt vom strengen Monotheismus und der tiefen Gläubigkeit vieler Juden. Den Juden wurde die Ausübung ihres Glaubens garantiert, insbesondere die Einhaltung der Sabbatgebote. Sie waren vom Militärdienst befreit und besaßen eine begrenzte zivile Gerichtsbarkeit, v.a. in Glaubensfragen. Andererseits kamen viele jüdische Sitten den Römern und Griechen fremd vor, v.a. die Beschneidung und die Speisevorschriften. Es gab Missverständnisse und Vorurteile auf beiden Seiten, immer wieder kam es zu Anfeindungen, Pogromen und blutigen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Andersgläubigen. In Rom lebten die Juden von alters her in einem eigenen Viertel, wir würden von Ghetto sprechen, jenseits des Tiber, also in Trastevere. 186 v. Chr. waren beim sogenannten Bacchanalienprozess auch Juden betroffen. 139 v. Chr. schreitet ein Prätor gegen die Juden in Rom ein. Als Claudius 49 n. Chr. gegen Isis-Anhänger vorging, waren auch die Juden mitbetroffen. Cicero und Tacitus, letzterer in seinem berühmten Judenexkurs in den Historien, zeichnen ein denkbar negatives Bild von den Juden. 38-41 n. Chr. kam es zu beinahe kriegerischen Zuständen in Alexandria, Juden und Griechen metzelten sich gegenseitig nieder. Claudius versuchte, auf die Streitparteien mäßigend einzuwirken.
In Judäa gelang es Rom nicht, wie andernorts, die lokalen Eliten für die Sache Roms zu gewinnen und somit auch die Bevölkerung in den römischen Herrschaftsverband einzugliedern. Andernorts waren die lokalen und regionalen Eliten bereit, sich zu integrieren, städtische Ehrenämter einzunehmen, im Reichsdienst tätig und damit von Rom belohnt zu werden. Diese Menschen dachten diesseitig. Ehrungen von Seiten der Römer bedeuteten aber der religiös orientierten Elite der Juden nichts, im Gegenteil, eine zu enge Kooperation mit der Besatzungsmacht wäre als ein Verrat am Monotheismus und am Tempel ausgelegt worden. Rom fand letztlich in Judaea keinen Ansprechpartner, mit dem römische Politik durchzusetzen gewesen wäre. Hierin gründen die Katastrophen des jüdischen Volkes im 1. und 2. Jh. n. Chr.. Die Römer nahmen die vielen jüdischen Gruppierungen, ja Sekten, die unterschiedlich stark gegen Rom opponierten und noch untereinander zerstritten waren, als eine amorphe Masse von Fanatikern wahr: Pharisäer, Sadduzäer, Zeloten und Essener waren für sie letztlich nicht wirklich unterscheidbar. Und während die Römer durch die Ausschaltung des Druidentums bei den Kelten die religiöse und kulturelle Überlieferung dieses Volkes vernichteten, war das Judentum als Schriftreligion auf einer viel breiteren gesellschaftlichen Basis aufgestellt. Die Eliminierung des jüdischen Priestertums hätte schlichtweg nichts gebracht. Soziale Probleme, wie hohe Verschuldung, kulturspezifische Fehler der römischen Statthalter, die nicht sensibel genug auf jüdische Befindlichkeiten einzugehen wussten, führten schließlich in die Katastrophe des Jüdischen Krieges 66-73/74 n. Chr., der in der Zerstörung des Tempels in Jerusalem gipfelte (70 n. Chr.). Damit verloren die Juden ihr religiöses und kulturelles Zentrum. Die Verluste Roms waren hoch, doch ging Rom mit unglaublicher Brutalität gegen die Juden vor. Der Sieg der Römer war komplett und wurde in einem großen Triumphzug in Rom gefeiert. Ikonographisch wurde der Sieg auf dem Titusbogen festgehalten, wo zu sehen ist, wie der Siebenarmige Leuchter durch die Straßen Roms gezogen wird. Aus der unermesslichen Beute wurde das Amphitheatrum Flavium, das Kolosseum, finanziert, wie Geza Alföldy aus der Rekonstruktion der Kolosseumsinschrift herausgefunden hat. Noch nach dem Fall Jerusalems hielt sich die Bergfestung Masada. In einem gewaltigen Kraftaufwand bauten die Römer eine große Rampe, deren Reste noch heute zu sehen sind, und stürmten die Burg (73/74 n. Chr.). Die Verteidiger waren nicht bereit, sich Rom zu unterwerfen und zuzulassen, dass ihre Frauen und Kinder in römische Sklaverei kämen. Eine Gruppe von Männern wurde dazu bestimmt, alle anderen zu töten und dann Selbstmord zu begehen. An die 1000 Menschen gaben sich so den Tod kurz bevor die römischen Truppen ins Innere stürmten. Bis heute ist Masada das Symbol der jüdischen Widerstandskraft.
Vor allem in Alexandria blieb die jüdische Gemeinde aber stark verwurzelt. 115-117 kam es wieder zu einem großen Massaker an Juden in Alexandria, dem sog. Diasporaaufstand. Vorausgegangen waren jüdische Angriffe auf Griechen in der Kyrenaika. Greueltaten wurden auf beiden Seiten begangen, und die Truppen Trajans hatten alle Mühe, den Aufstand niederzuschlagen. Tausende von Juden wurden in Alexandria von Griechen und Römern niedergemetzelt.
132-135 n. Chr. kam es unter Hadrian zur letzten Auseinandersetzung zwischen Rom und den Juden im sogenannten Bar Kochba-Aufstand. Auch der weltoffene, kulturell hoch gebildete Hadrian, durch seine viele Reisen mit allen Reichsteilen vertraut, fand mit den Juden keinen modus vivendi, d.h. keine Möglichkeit, sie irgendwie über die Eliten in das Reich zu integrieren. Es ist unklar, ob die Umbenennung Jerusalems in Colonia Aelia Capitolina den Aufstand auslöste oder eine Strafmaßnahme nach der Niederschlagung des Aufstands war. Auf alle Fälle wurde dieser letzte verzweifelte Aufstand der Juden wieder mit äußerster Entschlossenheit von Seiten der Juden geführt und mit ebensolcher Grausamkeit von Seiten der Römer unterdrückt. Die Niederlage der Juden war diesmal noch einschneidender in ihren Konsequenzen als nach dem Jüdischen Krieg. Jerusalem wurde als römische Stadt neu angelegt. Ein Jupiter Capitolinus-Tempel ersetzte den alten Tempel der Juden. Juden durften Jerusalem nicht mehr betreten, die Provinz wurde nun als Palaestina bezeichnet. Spätestens hier liegt nun der Beginn der jüdischen Diaspora, die Juden verstreuten sich als Flüchtlinge in alle Welt, behielten jedoch ihren Glauben bei und gründeten vielerorts Synagogen. Septimius Severus förderte das Judentum wieder, im 4. Jh. werden Synagogen auch in Ägypten wieder neu gegründet.
Das Christentum entwickelte sich aus dem Judentum heraus. Am Anfang waren Juden und Christen für Römer kaum zu unterscheiden; die Christen wurden als eine neue jüdische Sekte betrachtet, die aufgrund ihres geringen Alters nicht einmal die Altehrwürdigkeit des Judentums besaß und zunächst als reines Unterschichtenphänomen wahrgenommen wurde. Vom historischen Jesus wissen wir recht wenig, die Evangelien entstehen erst um 70 n. Chr. und gehen auf ältere, kürzere Quellen zurück, die wohl v.a. Spruchsammlungen Jesu waren.
Der erste christliche Autor war das theologische Genie Paulus, der in mehreren Missionsreisen in Kleinasien und in Griechenland den neuen Glauben verbreitete. Auf dem sogenannten Apostelkonzil 48 n. Chr. trennt sich das Christentum sozusagen vom Judentum, indem Paulus den Christen die Beschneidung und die strenge Befolgung des mosaischen Gesetzes erlässt. Der philosophisch geschulte Paulus und später v.a. Johannes vermitteln den neuen Glauben über die platonische Philosophie und Gedankenwelt an die griechischsprechenden Oberschichten des Ostens. Erste Hochburgen des Christentums werden Antiochia, Alexandria, wo die philosophische Deutung des Christentums mit Hochdruck betrieben wird, und auch Ephesos. Im Westen gibt es schon früh eine judenchristliche Gemeinde in Rom, die offenbar unter Claudius für Unruhe sorgte, und Christen fassen in den Hafenstädten Karthago und Massilia Fuß, von wo aus das Christentum die Rhône nordwärts wandert. Die großen theologischen Auseinandersetzungen finden aber ausschließlich im Osten und in griechischer Sprache statt. Noch ist ausschließlich Griechisch die Sprache des Christentums.
In diesem Rahmen kann nur ganz kurz auf die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Christentum und römischem Staat eingegangen werden. Viele andere Aspekte müssen ausgeklammert werden. In der lateinischen Literatur tauchen die Christen zum ersten Mal prominent in den Annalen des Tacitus auf. Nero missbrauchte nach dem Brand Roms 64 n. Chr. die Christen als Sündenböcke und dachte sich grausamste Hinrichtungsarten für sie aus. Es handelte sich allem Anschein nach nicht um eine reichsweite Verfolgung, sondern um eine auf Rom begrenzte Polizeiaktion. Dann hören wir erst wieder unter Trajan von römischer Seite von den Christen. Plinius der Jüngere, der 111 n. Chr. kaiserlicher Gesandter in der Provinz Bithynien und Pontos war, richtet einen berühmten Brief an Trajan (10,96), indem er ihn fragt, wie denn mit Christen zu verfahren sei. Er wendet sich an den Kaiser, weil die Christen immer mehr wurden, auf dem Lande wie in der Stadt, Männer und Frauen, alte Menschen wie Kinder, ein interessanter Einblick in die Missionserfolge des kleinasiatischen Christentums zu Beginn des 2. Jhs. n. Chr.. Plinius schildert genau, wie er Menschen befragt, ob sie Christen seien, obwohl er vorgibt, nichts über Christenprozesse zu wissen. Es ist unklar, woher er seine Informationen hat. Es ist möglich, dass das Prozedere des Verhörs unter Nero festgesetzt wurde und die neronische Weisung Eingang fand in die mandata, welche die Statthalter mit sich führten, also eine Art Handbuch für Statthalter. Trajan bestätigt Plinius, dass er die Verhöre richtig durchführe, indem er die Angeklagten dreimal frage, ob sie Christen seien und sie bei Leugnung vor dem Standbild des Kaisers opfern lasse. Man blieb inkonsequent: Obwohl Trajan bejaht, dass das Christsein allein schon ein todeswürdiges Verbrechen sei, gelte es nicht, nach ihnen zu fahnden. Anzeigen dürften nicht anonym entgegengenommen werden.
Für das 2. Jh. hören wir nur von wenigen Zusammenstößen zwischen den Christen und der römischen Staatsmacht. 177 n. Chr. kam es zu einer Verfolgungswelle mit vielen Märtyrern in Lyon, 203 in Karthago, in deren Verlauf Perpetua stirbt, von der ihre Passionsgeschichte zum Teil aus eigener Feder erhalten ist, ein einmaliges Zeugnis einer Frau aus der römischen Kaiserzeit. Wir dürfen noch mehr lokal begrenzte Zwischenfälle vermuten, immer dann, wenn Menschen sich aus welchen Gründen auch immer dazu entschlossen, Christen bei den Behörden anzuzeigen. Im Großen und Ganzen jedoch konnte sich das Christentum im 2. Jh. ungehindert ausbreiten, eben weil die Christen keine Probleme machten und dem Kaiser treu im Militär und durch Bezahlung von Steuern dienten. Erst als das Reich im 3. Jh. vielerorts in arge Bedrängnis geriet und die Kaiser wieder verstärkt auch auf religiöse Loyalität zum Kaiser und zum Reich pochten, kamen die Christen in Schwierigkeiten. Kaiser Decius wollte um die Mitte des dritten Jahrhunderts alle Bewohner des Reiches auf seine Person verpflichten und erließ ein reichsweites Opfergebot. Auch dies war strenggenommen keine Christenverfolgung, da sich die Maßnahme nicht explizit auf Christen bezog, doch waren sie die einzige religiöse Gruppe, die sich dem Opfer für den Kaiser verweigerte. Und somit gerieten sie zwangsläufig in den Fokus der römischen Behörden. Und die Altgläubigen fragten sich schon, wer diese Menschen waren, die in höchster Not (das Reich führte ständig Zweifrontenkriege gegen die Germanen im Norden und die Sassaniden im Osten) ihre Loyalität zu Rom nicht bekunden wollten. Natürlich opferten unter dem Druck die meisten Christen, nur die wenigsten wurden zu Märtyrern, aber die Maßnahme des Decius wurde sehr wohl als massive Bedrohung und eben Christenverfolgung wahrgenommen. Valerian ging dann gezielt gegen das Christentum vor, indem er auf die Priester und damit den Kultvollzug zugriff. Der Letzte, der das Rad der Geschichte zurückdrehen wollte, war schließlich Diokletian, der noch einmal mit aller Kraft versuchte, das Christentum zu beseitigen, was gründlich misslang. Kurze Zeit später, unter Konstantin, wurde das Christentum schließlich zur religio licita, zu einer Religion, die gleichberechtigt neben den anderen Glaubensvorstellungen stand. Schon bald förderte Konstantin das Christentum, und es sollte nicht lange dauern, bis das Christentum seinerseits gegen Heiden vorging.
Schwierig zu interpretieren ist der Erfolg des Christentums. Im 2. Jh. war nicht klar, ob nicht der Isis- oder der Mithraskult die Oberhand behalten würde. Sicher ist die rasche geographische Ausbreitung des Christentums in allen Gesellschaftsschichten nur mulitkausal zu erklären. Es bot Dinge an, welche die anderen Mysterienreligionen nicht im Repertoire hatten. Anfangs sprach der neue Glaube mit seiner antihegemonialen Weltsicht (die letzten werden die ersten sein, alle Menschen sind Brüder und Schwestern) vor allem die Unterschichten an, Sklaven und die stark benachteiligten Frauen. Da die Unterschichten aber die Mehrheit der Reichsbevölkerung ausmachten, fand der Glaube rasch Anklang in weiten Kreisen der Bevölkerung. Auch dass die Frauen anfangs eine tragende Rolle spielten (ihre Zurückdrängung begann erst mit dem Aufbau von kirchlichen Strukturen im 2. Jh.), trug sicher zur schnellen Ausbreitung bei. Entscheidend war sicher auch, dass das Christentum anders als andere Religionen schon bald eine Buchreligion war, die heilige Schriften kannte, ja dass über das Verlesen und Versenden von Schriften missioniert wurde, ein Aspekt, der beim Mithras- und Isiskult vollkommen fehlte. Zwar hatten auch die Juden eine Buchreligion, doch taten sich die Juden aufgrund der vielen Vorschriften, die im täglichen Leben zu beachten waren, bei der Verbreitung ihres Glaubens in der hellenistischen Welt schwerer. Ja oftmals verzichteten die Juden ganz auf Missionierung.
Dann waren dem Christentum auf einer persönlichen Ebene zwei Umstände besonders günstig: Zum einen gab es wenige, aber geniale Denker (v.a. Paulus und die Evangelisten), die eine hochstehende Theologie entwickelten, mit der die griechischen Intellektuellen gewonnen werden konnten. Zum anderen gab es in jeder Generation Männer und Frauen, die für den neuen Glauben glühten und bereitwillig als Märtyrer in den Tod gingen, um diesen neuen Glauben zu bezeugen. Diese Glaubensinbrunst muss auf die Zeitgenossen einen enormen Eindruck gemacht haben. Die Märtyrer waren es dann auch, die als die ersten Heiligen verehrt wurden. Und schließlich bauten die Gemeinden schon früh organisatorische Strukturen auf, aus denen heraus sich die Kirche entwickelte. Lokale, regionale und überregionale Verwaltungsstrukturen entstanden, weswegen Diokletian das Christentum auch nicht mehr stoppen konnte. Anders herum: Als sich die römischen Verwaltungsstrukturen am Ende der Antike auflösten, waren es die kirchlichen Strukturen, die fortbestanden und die größte Not der Bevölkerung linderten. Der Frankenkönig Chlodwig wurde wohl auch deshalb katholisch, weil er sich die guten Strukturen der Kirche in Gallien zunutze machen wollten. Wichtig ist, dass diese christlichen Verwaltungsstrukturen immer und überall schon von ihrem Selbstverständnis her mit karitativen Aufgaben betraut waren. Die Gemeinden nahmen Armenspeisungen vor, bauten Hospize für Waisen, Arme und Alte. Dieser Aspekt der Nächstenliebe war den antiken Religionen vollkommen fremd. Der heidnische Kaiser Julian erkannte dieses Manko des Heidentums um die Mitte des vierten Jahrhunderts, doch es war viel zu spät gegenzusteuern und die heidnischen Kulte mit Nächstenliebe aufzuladen. Also: Die Unterschichten wurden zu Christen, weil sie sich von der antihegemonialen Weltsicht und der praktisch geübten Nächstenliebe angesprochen fühlten, die Oberschichten, weil sie im neuen Glauben die philosophischen Systeme der Antike aufgehoben, erneuert und stark erweitert fanden. Für manche mögen diese Gründe zur Erklärung des Erfolgs des Christentums nicht ausreichen. Eine Erklärungslücke mag bleiben. Inwieweit hier der Gott des Christentums eine Rolle gespielt haben mag, mag jeder für sich selbst entscheiden.

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06 – Religiöse Strukturen, Die Entwicklung des Christentums

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Werner Rieß
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Römische Geschichte III: Die Spätantike

06 – Religiöse Strukturen, die Entwicklung des Christentum

Wenn man sich im Rahmen eines Podcasts mit dem Phänomen der Religion in der Spätantike beschäftigen möchte, muss man sich eng beschränken. Es sollen hier nur die wichtigsten Informationen zur Entstehung einer Reichskirche gegeben werden mit einem Seitenblick auf die vielen dogmatischen Streitigkeiten, die innerhalb des Christentums ausgetragen wurden. Daneben müssen selbstverständlich auch die wichtigsten Strömungen im Heidentum zur Sprache kommen, das noch lange nicht tot war und das geistig-religiöse Klima der spätantiken Welt immer noch entscheidend mitprägte.
Die Christenverfolgungen, die im 3. Jh. stattgefunden hatten, waren aus politischen Gründen erfolgt, um Loyalität zu erzwingen, nicht aus religiösen. Erst Diocletian ging es auch um religiöse Gründe, doch es war zu spät, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Constantin hatte wohl schon vor der umstrittenen „Bekehrung“ an der Milvischen Brücke mit dem Monotheismus geliebäugelt. Sol invictus, der Sonnengott, der schon unter Aurelian weiter an Prominenz gewonnen hatte, stelle eine gute Brücke zum christlichen Monotheismus dar. Zur Bekehrung Constantins im unmittelbaren Vorfeld der Schlacht an der Milvischen Brücke gegen Maxentius im Jahr 312 n. Chr. gibt es widersprüchliche Quellen von Eusebius und Laktanz. Auch die Fragen, inwieweit nun Constantin tatsächlich Christ war und aus welchen Motiven heraus, gehören seit Jacob Burkhardt zu den umstrittensten Themen der Althistorie überhaupt und können hier nicht weiter vertieft werden.
Tatsache ist, dass Constantin ab 312 das Christentum immer weiter begünstigte, Bischöfe bald auch eine gewisse Zivilgerichtsbarkeit bekamen (318) und z. B. vor ihnen auch Freilassungen durchgeführt werden konnten (321). Ganz in antiker Tradition fühlte sich Constantin als Patron der Kirche und damit für sie verantwortlich. Als ein großer dogmatischer Streit über das Wesen Jesu ausbrach, ob er nur gottähnlich oder aber gottgleich sei, versuchte Constantin, diesen sogenannten arianischen Streit, der erbittert zwischen Arius und Athanasius ausgetragen wurde, zu lösen, indem er 325 n. Chr. zu einem reichsweiten Konzil nach Nicaea einlud. Das Glaubensbekenntnis, das anlässlich dieses Konzils formuliert wurde, das sogenannte Nicaenum, das die Wesenseinheit von Gott Vater und Gott Sohn festschrieb, wird noch heute an hohen Feiertagen gebetet. Zugleich geschah bei diesem Konzil aber etwas Neues, etwas, das Folgen für die Geschichte haben sollte: Der Kaiser übernahm hier zum ersten Mal Verantwortung für die Religion, was im Prinzipat undenkbar gewesen wäre. Eine religiöse Frage wurde zur Staatsangelegenheit, und Constantin empfand sich als oberste Instanz auch in Glaubensfragen. Diese Form des Regierens nennen wir „Caesaropapismus“, und im oströmischen Reich blieb der Kaiser auch Kirchenoberhaupt, wohingegen im Westen allmählich eine Trennung zwischen dem geistlichen Oberhaupt, dem Bischof von Rom, und dem Kaiser stattfand. Auch auf diesem Gebiet drifteten also Ost- und Westreich auseinander. Trotz des Glaubensbekenntnisses schwelte der Konflikt zwischen Arius und Athanasius weiter; Constantin und seine Nachfolger waren nicht in der Lage, die dogmatischen Streitigkeiten, die v.a. im Osten auftraten und immer zahlreicher wurden, einzudämmen.
Einer Taufe ging meist eine dreijährige Zeit der Vorbereitung voraus, das sogenannte Katechumenat. Im Klerus gab es noch keine festgeschriebene Ämterlaufbahn, aber sehr wohl schon hierarchische Strukturen. Ganz unten standen Helfer, die Diakone, die in verschiedenen Bereichen, v.a. in der Finanzverwaltung tätig waren. Die Priester (nur freie und getaufte Männer konnten Priester werden) hießen zunächst presbyter oder sacerdotes, später auch pontifices. Meist aus den sozialen Oberschichten stammten die Bischöfe (episcopus oder antistes), sie mussten jedoch nicht studiert sein. Der wichtigste Bischof einer Provinz war der Bischof der Provinzhauptstadt, der Metropolit. Ihm oblag die Aufsicht über das religiöse Leben seiner Provinz. Und über den Metropolitanbischöfen ragten die Bischöfe von Rom, Konstantinopel, Antiochia, Alexandria, Jerusalem und auch Karthago besonders heraus. Der Bischof von Konstantinopel war einflussreich, weil er eben in der Hauptstadt des oströmischen Reiches residierte, doch der Primat Roms wurde durch tatkräftige Bischöfe, wie Damasus, Leo den Großen, Gelasius und Gregor den Großen zunehmend gefestigt. Allmählich entwickelte sich so das Papsttum, das auch Repräsentationsformen der Kaiser übernahm.
Dauerfragen wie die nach dem Militärdienst von Christen oder die Ehelosigkeit von Priestern wurden stets unterschiedlich gehandhabt, verschiedene Theologen formulierten hier ganz unterschiedliche Ansichten.
Die Sprache des frühen Christentums war Griechisch, zunächst auch im Westen. Die afrikanische Kirche wechselte als erste selbstbewusst ins Lateinische. Aber erst die wortgewaltigen Bischöfe Ambrosius, Augustinus und Papst Damasus etablierten das Lateinische auch als Sprache der Kirche, insbesondere Ambrosius und Augustinus prägten viele lateinische Ausdrücke, um schwierige theologische Konzepte aus dem Griechischen ins Lateinische zu übersetzen und das Lateinische als Kirchensprache anschlussfähig zu machen. Eine erste Bibelübersetzung, die vetus Latina, wurde von Hieronymus‘ Übersetzung der Bibel ins Lateinische, beendet im Jahre 405, obsolet gemacht; Hieronymus‘ Übersetzung wurde dann im Wesentlichen im lateinischen Mittelalter gelesen. Hier erhebt sich natürlich die Frage nach der Kanonbildung der neutestamentarischen Schriften. Origines hatte sich schon mit dieser Frage beschäftigt. Athanasius war dann der Erste, der 367 in einem Osterbrief die 27 heute als kanonisch geltenden Bücher des Neuen Testaments als kanonisch titulierte. Kurze Zeit später, 382, legte sich Papst Damasus auf diesen Kanon fest. Es ist kein Zufall, dass sich in den 370ern die Dinge verhärteten, machte doch Theodosius 380 in seinem Orthodoxiedekret das Christentum zur Staatsreligion.
In einer Zeit, in der viele Menschen verarmten und z. B. am Ausgang der Spätantike auch die Honoratioren verarmten bzw. der Euergetismus auch aus anderen Gründen zum Erliegen kam, wurde die Kirche durch Tempelenteignungen, v.a. aber durch testamentarische Schenkungen immer reicher, trotz der Ausgaben für karitative Zwecke, Kirchenbauten und die Besoldung der unteren Kirchenämter. Immer mehr wuchsen den kirchlichen Institutionen, deren Verwaltung im Gegensatz zur römischen funktionierte, staatliche Aufgaben zu. Die Bischöfe wurden für die Getreideversorgung der Bevölkerung zuständig, sie verhandelten mit Feinden, ja wurden zum Teil sogar militärisch tätig. Als sich die römischen Strukturen auflösten, blieben die kirchlichen übrig, damit sind wir in der Welt des Mittelalters angekommen. Und noch aus einem Grund ist die Kirche wichtig: Sie bewahrte die antike Bildungstradition und vermittelte sie in den Klöstern gemeinsam mit der Sprache und der Literatur der Antike an die nächsten Generationen weiter.
Diese Erfolgsgeschichte der Kirche darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kirche stets in ihrer Einheit gefährdet war. Schismatische Bewegungen (denen es „nur“ um disziplinarische Fragen ging) sowie Häresien bzw. Sekten (die andere Glaubenslehren verbreiteten) drohten die Kirche zu zerreißen, v.a. im spirituell stets aufgeheizten Osten. Auf die Vielzahl der abweichlerischen Gruppen kann hier nicht eingegangen werden.
Im Westen waren die dogmatischen Streitigkeiten weniger ausgeprägt, aber hier gab es Donatisten sowie Priscillianisten, die mit der Orthodoxie in Konflikt gerieten. Im donatistischen Streit, der v.a. in Africa zu verorten ist, ging es darum, ob Christen, die ihren Glauben angesichts der Verfolgungen verleugnet hatten (lapsi), wieder in die Gemeinde aufgenommen werden dürften oder nicht. Insbesondere ging es darum, ob Bischofsweihungen, bei denen traditores, also Verräter, zugegen gewesen waren, gültig waren oder nicht. Während die „Amtskirche“ hier milde war, vertraten die Donatisten eine harte und kompromisslose Haltung. Sie wurden immer mehr, und auch mit militärischen Aktionen war ihnen nicht beizukommen. Besonders radikal war die Splittergruppe der Circumcellionen, die Güter von Katholiken verheerten. Der Streit zog sich über Jahrhunderte hin, selbst Augustinus scheiterte mit Vermittlungsversuchen.
Die Priscillianisten waren Asketen, die sich um Priscillian v.a. in Spanien scharten und bald in Konflikt mit dem Episkopat gerieten. Der Usurpator Magnus Maximus köpfte Priscillian schließlich in Trier, damit war aber die Bewegung noch lange nicht überwunden.
Insgesamt zeichnen sich auch hier große Unterschiede zwischen Ost und West ab. Die Ostkirche konnte die Abfallbewegungen nie verhindern, das Christentum blieb zersplittert, die Orthodoxie blieb daher schwach. Der Islam bereitete den meisten christlichen Strömungen dann ein Ende, doch einige Gruppen, wie die koptische, syrische oder armenische Kirche konnten sich behaupten. Im Westen setzte sich der Katholizismus schließlich gegen den Arianismus durch, weil immer wieder arianische Germanen durch Ostrom besiegt wurden bzw. arianische Germanenfürsten unter dem Druck der romanischen Mehrheitsbevölkerung zum Katholizismus übertraten.
Es darf nun nicht der Eindruck erweckt werden, dass die spätantike Welt bereits weitgehend christianisiert war, und die Kirche um ihre eigenen Probleme kreisen konnte. Auch das Heidentum spielte immer noch eine bedeutende Rolle; gerade in den konservativen senatorischen Oberschichten hielt sich der alte Glaube noch lange. Dem alten Glauben hingen auch Bauern und Philosophen noch lange Zeit an, also sowohl Ungebildete wie Gebildete. Obwohl man sich das Nebeneinander von Christentum und Heidentum keinesfalls als konstanten Kampf um den rechten Glauben vorstellen darf, gibt es immer wieder Kristallisationspunkte, an denen sich die Auseinandersetzungen und die gegenseitigen Argumente gut zeigen lassen. So ein Beispiel ist der Streit um den Victoria-Altar bzw. die Victoria-Statue, die seit Augustus in der Curie stand, also am Versammlungsort des Senats. 382 ließ Kaiser Gratian die Statue beseitigen. Der hochrangige heidnische Senator Symmachus erhob dagegen Einspruch und schrieb in seiner berühmten Dritten Relatio von 384 ein flammendes Plädoyer, ein rhetorisches Meisterstück, für die Beibehaltung des Altars und der Statue. In diesem Text werden alle Argumente des Heidentums noch einmal zusammengefasst, auch die grundsätzliche Toleranz des Heidentums gegenüber allen Religionen kommt deutlich zum Ausdruck. Symmachus sagt: uno itinere non potest perveniri ad tam grande secretum, auf einem einzigen Weg gelangt man nicht zu so einem großen Geheimnis. Der fanatische Ambrosius von Mailand reagierte sofort und setzte den jugendlichen Kaiser Valentinian II. so unter Druck, dass dieser die Maßnahme nicht rückgängig machte. Auch Theodosius folgte einer weiteren Bitte der Heiden 389 nicht. Die Verhältnisse hatten sich umgekehrt: War das Christentum im 3. Jh. noch sporadisch verfolgt worden, so setzte nun das Christentum die Anhänger des alten Glaubens zahlreichen Repressalien aus. Das passierte nicht alles auf einmal, aber die Tendenz war klar. Julian Apostata, der letzte Heide auf dem Kaiserthron, der noch einmal dem alten Glauben zu Glanz verhelfen wollte, blieb aufgrund seiner kurzen Regierungszeit der Erfolg versagt. Das Christentum war nicht mehr zu stoppen. 380 erklärte Theodosius das Christentum zur Staatsreligion, Theodosius II. verbot das Heidentum 435 ganz.
Das Heidentum wird in der Spätantike insgesamt intellektueller und nimmt auch Christliches in sich auf. Eine bedeutende Strömung wird der Neuplatonismus. Die wichtigsten Vertreter sind Plotin, Porphyrius und schließlich Jamblichos. Sie leisten auf der Basis der platonischen Schriften noch einmal eine große Synthese der antiken Philosophie. In ihrer Lebensweise unterscheiden sich diese Philosophen kaum von christlichen Gelehrten. Sie vertreten eine strenge Ethik und suchen durch Kontemplation ihre Seele mit dem Göttlichen zu verschmelzen.
Noch wichtiger als die offiziellen Erlasse der Kaiser ist die gelebte soziale Praxis, und hier sehen wir, dass heidnische Institutionen am Ende des vierten und zu Beginn des fünften Jahrhunderts langsam aufhören zu existieren und das heißt, dass die alten Rituale nicht mehr vollzogen werden. Im heiligen Bezirk von Delphi bauen die Christen eine Kirche, die Olympischen Spiele versiegen unter Theodosius, Alarich zerstört 395 Eleusis, die letzte Vestalin ist 394 belegt, Justinian schließt bewusst die platonische Akademie in Athen im Jahre 529 n. Chr. Damit ist der letzte genuin heidnisch-philosophische Lehrbetrieb zu Ende.
Diese Einschnitte bedeuten jedoch nicht, dass das Heidentum nicht in anderer Form weitergelebt hätte. Von den Christen als magische Praktiken diffamierte Praktiken hielten sich weitere Jahrhunderte. Das gesamte mittelalterliche Bildungswesen blieb antik und d.h. in großen Teilen heidnisch geprägt. Mit Vergils Aeneis wurde im Mittelalter Latein gelernt. Und die Christen verstanden es geschickt, heidnische heilige Orte und Feste in christliche umzuwandeln. Kapellen und Kirchen wurden oft an Stelle der alten Heiligtümer errichtet, so dass die Menschen ihre gewohnten Wege nicht aufgeben mussten. Und viele heidnische Feste wurden unter christlichen Vorzeichen beibehalten, das berühmteste Beispiel ist wohl der Geburtstag des Sonnengottes am 24. Dezember, der zum christlichen Weihnachten umgedeutet wurde. Auch durch diese interpretatio Christiana ist vieles vom alten Heidentum bis heute unter der Oberfläche erhalten geblieben.

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