Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Werner Rieß
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Griechische Geschichte III: Der Hellenismus
05 – Das Alltagesleben und das Leben am Hof
Die griechische Kultur, obwohl bis nach Indien reichend, gravitierte doch zum Mittelmeer hin. Schon Seleukos gab die östlichsten Gebiete auf, auch Baktrien löste sich aus dem Seleukidenreich. Antiocheia wurde schließlich wichtiger als Seleukeia am Tigris. Die Zentren des hellenistischen urbanen Lebens blieben Athen, Alexandria, Pergamon und Antiocheia, das Mittelmeer bildete also das Zentrum, um den herum sich urbanes, d.h. griechisches Leben abspielte.
Die hellenistische Zeit zeichnet sich durch höhere Mobilität aus als je zuvor, v.a. Söldner sind in großen Zahlen unterwegs. Sie kommen aus allen Himmelsrichtungen; unter den Griechen sind v.a. die Kreter als Söldner begehrt, die oft ihren Lebensunterhalt als Piraten verdingten. Piraterie und Söldnerwesen sind die wichtigsten Einnahmequellen für viele und wohl auch austauschbar.
Außerdem sind ständig viele Gesandte unterwegs in den unterschiedlichsten Missionen, v.a. aber korrespondierten die Städte untereinander und mit den Königen, später verhandelte man ständig mit Rom. Man löste so Konflikte und tauschte natürlich die vielfältigen Ehren aus, die oftmals inschriftlich erhalten sind.
Ebenfalls unterwegs sind die professionellen Schauspieler, die im Rahmen der großen religiösen Feste Theateraufführungen darboten. Die dionysischen Techniten, wohl die berühmteste Gruppe, reisten von Einsatzort zu Einsatzort. Offiziell waren sie religiöse Körperschaften und nicht sehr angesehen, weil sie immer unterwegs waren.
Ebenfalls unterwegs sind Ärzte; die werden von Städten manchmal an andere Städte ausgeliehen, manche Städte setzen Steuern fest (iatrikon), um gute Ärzte bezahlen zu können. Viele Ärzte wurden auf Kos ausgebildet, am dortigen Asklepieion.
Eine bedeutende Rolle spielten auch Sportler, die in der ganzen hellenischen Welt an internationalen Wettkämpften teilnahmen. Bei Siegen wurden sie hoch geehrt und auf vielfältige Art und Weise gefeiert. Ruhm erwarben sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Heimatpolis, sie wurden also als Superstars verehrt.
Auch Künstler, Lehrer, Musiker, Dichter, Ingenieure und Baumeister ziehen durch die Lande und hoffen auf Aufträge, v.a. suchen sie natürlich die großen Höfe auf, wo immer Bedarf an fähigen Leuten bestand. Auch Richter, Schiedsmänner und Pilger, die zu den Orakelstätten reisten, fuhren umher.
Griechische Vereine
Vereine und Assoziationen prägten schon das Leben in den Mutterstädten, nun aber, in der Fremde mit gemischter Bevölkerung sind sie noch notwendiger als vorher. Eranoi oder Thiasoi heißen die Vereinsmitglieder, die sich an eine bestimmte Gottheit anschließen. Mitgliedsbeiträge finanzieren verschiedene soziale Zwecke, wie anständige Beerdigungen, das Clubhaus, gemeinsame Feiern; hier konnte man gleich soziale Kontakte schließen, wenn man neu zuzog. Die Vereine prägten also entscheidend das soziale wie private Leben. Sie waren weniger exklusiv und griechisch als die Gymnasien. Sie nahmen Männer und Frauen, Griechen wie Barbaren, Arme wie Reiche auf, Freie wie Sklaven. Die Oberschichten blieben rein griechisch und makedonisch. Wenn man hier von Homogenität spricht, dann meinen wir nur die dünne graeco-makedonische Oberschicht. Hier gab es in der Tat soziale Vermischung. Landsmannschaftliche Verschiedenheiten spielten in der Fremde keine große Rolle mehr. Man fühlte sich nun griechisch und nicht mehr thebanisch, athenisch, milesisch oder ephesisch. Damit grenzte man sich von den Mehrheiten vor Ort bewusst ab. Die Könige rekrutierten nur diese Oberschichtgriechen für die gehobenen Posten und die Zentralverwaltung. Sie zeichneten sich durch ein weiteres kulturelles Merkmal aus, nämlich den Besuch eines mehrjährigen Gymnasion. Und auf das Gymnasion und seine Rolle müssen wir nun kurz eingehen.
Gymnasion
Die Philosophenschulen wären ohne städtische Bildung nicht möglich gewesen, so sehr die Intellektuellen auch an den Höfen gefördert wurden. Die Erziehung fand für die Oberschichten-Jungen in den städtischen Gymnasien statt. Zunächst waren sie erst einmal wichtig für die sportliche Ertüchtigung, aber die Musen wurden nie vernachlässigt. Das Gymnasion von Pergamon hatte drei Ebenen, eine für die Knaben, eine für die Epheben und eine für junge Männer. Es gab Lesezimmer, Säulenhallen, wo man diskutierte, und Bibliotheken. In Teos gab es Koedukation, hier waren auch Mädchen zum Gymnasion zugelassen. Es ging vornehmlich um literarische Bildung, d.h. Rhetorik und das Studium Homers und Euripides‘. In Teos gab es drei Lehrer, zwei paidotribai, also Sportlehrer, und einen Lyraspieler, der für die musikalische Unterweisung verantwortlich war. Die Lehrer waren sozial nicht hochstehend, aber die Bürger schätzten ihre Gymnasien sehr. Paidonomoi passten auf die Schüler auf, der Gymnasiarch war eine Art Direktor. Die höheren Beamten in den Städten waren unbezahlt und damit aus den Oberschichten selbst, sie waren sehr angesehen. Der Gymnasiarch, also der Direktor, war für die gesamte Organisation der Einrichtung und auch für die Opfer und die Wettkämpfe verantwortlich. Nun wurden nicht mehr die städtischen Beamten so oft geehrt, weil ihre politische Bedeutung abgenommen hatte, sondern die Gymnasiarchen. Das war also ein neues Betätigungsfeld für die Elite, die ja immer nach Distinktion und Auszeichnung strebt. Auch die Könige unterstützten die Gymnasien. Aus Inschriften kennen wir die Gewinner bei den Wettkämpfen, eine Art Sportfeste mit verschiedenen, eben auch musischen Disziplinen, wie etwa die Komposition von Liedern, das Spielen auf der Kithara, das Singen zur Kithara, Malerei, Arithmetik usw. Hier wurden die griechischen Bildungswerte, der Bildungskanon vermittelt, der eben von Athen über Pergamon, Alexandria, Antochia und Seleukeia bis nach Indien der gleiche war. Körperliche und geistige Übungen inklusive Literatur machten den Menschen zum Gebildeten, zum hellenischen Menschen, zum pepaidomenos, ein ganz wichtiges Konzept dann in der Zweiten Sophistik der römischen Kaiserzeit. Die pepaidomenoi, die diese Schulung durchlaufen hatten, sahen sich im Verhältnis zu allen anderen Völkern als überlegen an und betrachteten diese als Barbaren. Man konnte nun auch außerhalb Griechenlands Kulturgrieche werden, indem man an ein Gymnasion ging, dort perfekt Griechisch lernte, griechische Umgangsformen annahm und den Bildungskanon verinnerlichte, also dem ganzen Habitus nach Grieche wurde. Somit war man Hellene und hatte Zugang zur griechischen Kultur.
Landwirtschaft
Die Griechenstädte waren im Osten eigentlich Fremdkörper. Das Land gehörte im Prinzip dem König. Wir sehen wenige Innovationen in der Landwirtschaft. Allerdings kam nun viel Geld in Umlauf, weil Alexander die Schatzkammern des Großkönigs öffnete. Das führte aber auch zur Inflation. Anfangs gab es verschiedene regionale Währungssysteme, langsam kam es aber zu einer Harmonisierung, Antigoniden und Seleukiden prägten und benutzten die beliebte Tetradrachme mit 17g. Die Ägypter machten nicht mit, da die Ptolemäer ein monetarisches Monopol anstrebten. Die Monetarisierung war aber nur in den Städten stark. Auf dem Land herrschten weiterhin Tauschhandel und Steuerabgaben in Naturalien vor, was den Herrschern nur Recht war. Städte richteten eigene Fonds ein, um Getreide auch in mageren Zeiten kaufen zu können, z. B. Samos. Die Könige sahen aber diese Sparwünsche nicht gern und verwiesen auf ihre königlichen Güter, die auch zur Versorgung der Stadtbevölkerung bei Engpässen beitragen konnten.
Auch im Gewerbe und im Handel gab es keine fundamentalen Änderungen. Manche Städte schafften es, durch einen blühenden Handel reich zu werden, so z.B. die Kaufmannsaristokratie auf Rhodos. Bis 168 v. Chr., dem Zusammenstoß mit Rom, sicherte Rhodos sich in der Außenpolitik ab und institutionalisierte eine gewisse Wohltätigkeit im Inneren. Die rhodische Oligarchie gab den Armen bewusst, um Unruhen zu verhindern. In Tyros und Sagalassos gab es berühmte Färbereien. In Sidon war die Glasproduktion berühmt, Tarsos produzierte Leinen. Aber es gab keine Produktionssteigerungen zu vorher, nirgends kam es zu einer wirklichen Massenproduktion. Der Handel fühlte sich massiv eingeschränkt durch die ständig virulente Piraterie, für die v.a. Kreta berühmt-berüchtigt war. Die Piraten versorgten den Sklavenmarkt mit immer neuen gefangengenommenen Menschen. Vor allem in den alten Griechenstädten des Mutterlands und in Kleinasien war die Wirtschaft auf Sklaven angewiesen, weniger im Osten. Piraterie und Söldnerwesen waren, wie vorhin dargelegt, die Haupterwerbsquelle für die Männer, die kein landwirtschaftliches Grundstück erbten. Der Weg von der Piraterie zum Söldnerwesen war nach beiden Seiten hin offen, sehr typisch für die Vormoderne.
Wirtschaft der Städte
Die Städte waren nun nicht mehr selbständig, die meisten müssen Tribute an die Könige zahlen, außer diejenigen, die davon expressis verbis per Dekret ausgenommen waren. Immer wieder wurden die Städte auch wegen der Kriege zur Kasse gebeten oder mussten verschiedene Leistungen erbringen. Oft konnten diese Summen nur mit Hilfe der örtlichen Euergetai, der reichen Wohltäter, aufgebracht werden. Diese hatten ihren Reichtum meist im Sklavenhandel erworben und paktierten mit den skythischen und thrakischen Barbarenfürsten. Sie bekamen Sklaven, die Städte zahlten Schutzgelder, die z.T. aber von den Euergetai selbst aufgebracht wurden. Also eine Hand wäscht die andere, ein sehr korruptes System. Manchmal erwiesen sich die hellenistischen Könige aber auch großzügig, um ihr Image etwas aufzupolieren, indem sie Schenkungen an Städte machten und Geld bereitstellten für Bauten, Tempel, Säulenhallen, Bäder und Theater. Gelder wurden also auch zu Prestigezwecken ausgegeben, zur ostentativen Zurschaustellung des eigenen Reichtums, also wieder sehen wir die Wichtigkeit der Performanz. Reichtum wurde nicht in die Wirtschaft gesteckt, um diese anzukurbeln, ein wirtschaftspolitisches Denken fehlte.
Problem der Entvölkerung
Viele heirateten nicht mehr, auch der Kindsmord war allgemein üblich. Die Folge war die Entvölkerung ganzer Städte und Landstriche, angeblich, so Polybios, in Wahrheit war die Kinderlosigkeit wohl ein Phänomen der Oberschicht. Es gab wohl zu wenig Land, nicht zu wenig Menschen. Indizien dafür sind etwa die Piraterie und das Söldnerwesen auf Kreta sowie die ständige Forderung nach einer Neuverteilung des Landes, also wollen die Bauern pflügen, aber sie haben zu wenig Land zur Verfügung. Der Geburtenrückgang in der Oberschicht erklärt sich wohl dadurch, dass das Leben allgemein als sehr unsicher empfunden wurde. Not und Elend herrschten durch Kriege, Landknappheit und Verschuldung bei gleichzeitiger Verprassung der Ressourcen durch die Reichen, also ein Dritte Welt-Szenario. Wenn die Bauern nicht mehr konnten, wie oft in Ägypten belegt, liefen sie weg, wurden Söldner oder gleich Piraten und Banditen oder suchten Zuflucht in den großen Städten, wo sie als Bettler noch eher auf die Munifizenz der Könige hoffen konnten als auf dem flachen Land. Diese Entwicklungen erklären also die Entvölkerung vieler kleiner Städte und dass sie dringend Neubürger brauchten, denen dann auch gleich das Bürgerrecht verliehen wurde.
Gesellschaftliche Konflikte:
Sozialrevolutionäre Unruhen sind v.a. für Griechenland und Kleinasien belegt, von den Weiten des Ostens haben wir wenig Zeugnisse. Die alten Städte profitierten von der Ausbreitung nach Osten eigentlich kaum. In Ägypten war der Widerstand gegen die Obrigkeiten oft „nationalistisch“ angehaucht, weil die Oberschichten eben Makedonen und Griechen waren. Die Formeln „Neuverteilung des Landes“ (anadesmos ges) und „Aufhebung der Schulden“ wurden oft in die Bürgereide mit aufgenommen, dass man danach nicht trachten dürfe. Die Formel begegnet uns schon bei Solon, d.h. die sozialen Probleme Griechenlands waren eigentlich nie gelöst worden. Tatsächlich gab es immer wieder Unruhen, staseis, wobei man oft nicht sagen kann, ob die Ursachen allein in den desolaten inneren Verhältnissen zu suchen sind oder auch von außen befördert wurden. Beides blendet ineinander, Innen- und Außenpolitik sind oftmals unentwirrbar miteinander verwoben. Ätoler z. B. fördern gerne Umstürze in achäischen Städten. In den meisten Fällen verliefen die Erhebungen ohne Erfolg, sie verschlimmerten nur die ohnehin schon prekäre Situation, es gab Ermordungen, Verbannungen, Enteignungen wie eh und je. Die Sklaven waren von diesen Bewegungen ausgeschlossen, denn um sie ging es den freien Griechen nicht. Dass es nicht mehr Revolten gab, ist der „freiwilligen“ Wohltätigkeit der Reichen geschuldet, die mir ihren Almosen den schlimmsten Zorn der Armen eindämmen konnten.
Die Höfe
Der griechische Geist und die griechische dynamis verbreiteten sich gen Osten, aber natürlich gab es auch Konzentrationsprozesse an den Höfen, wie Pergamon und Alexandria. Die energischste Kulturpolitik betrieben die ersten drei Ptolemäer durch die Gründung des Museion und der Bibliothek. Es ist unklar, wann genau die Bibliothek gegründet wurde, vielleicht unter Ptolemaios I. Soter oder durch Ptolemaios II. Philadelphos. Unsummen wurden für Bücher ausgegeben und um die besten Köpfe nach Alexandria zu holen. Zuletzt besaß die Bibliothek 500.000 Schriftrollen. Das Museion war das an die Bibliothek angegliederte Forschungsinstitut, wo v.a. Philologie betrieben wurde. Der erste Leiter des Mueseion war Philitas von Kos. Zenodotos von Ephesos (ein Schüler des Philitas) ist der erste Bibliotheksleiter, er besorgt die erste Edition Homers. Auch Aristophanes von Byzanz und Aristarchos von Samothrake widmeten sich v.a. Homer, hier entsteht die Homerphilologie. Manche heutige Forscher wie z. B. Greg Nagy vermuten, dass die homerischen Epen eigentlich erst hier ihre endgültige Gestalt bekamen. Hier liegen die Grundlagen für die philologischen Forschungen ab der Renaissance. Alexander aus Aitolien und Lykophron von Chalkis, beide Dichter, beschäftigen sich philologisch mit der Tragödie und Komödie.
Theokrit von Syrakus, der große Hirtendichter, verweilte nur kurz in Alexandria, wir wissen nicht warum. Sein Idyll 15, ein Dialog zweier Syrakusanerinnen, die ausgehen, um am Adonis-Fest teilzunehmen, vermittelt den Flair einer kosmopolitischen Urbanität. Kallimachos wird der Meister der Kleinform und ist der Vertreter der Alexandrinischen Dichterschule; Wortwitz und Kürze, Prägnanz sind hier wichtig. Im Gegensatz dazu steht Apollonios Rhodios, der sein Epos über die Argonauten in Alexandria schreibt, eine Zeitlang war er der Chefbibliothekar. Er propagierte genau das Gegenteil einer Kleinform, weswegen er in Konflikt mit Kallimachos geriet und schließlich Alexandria verließ.
In Pergamon gab es im 2. Jahrhundert v. Chr. einen ähnlichen Musenhof. Die Bibliothek dort war die zweitgrößte der Alten Welt nach Alexandria. Krates von Mallos ist der große Homergelehrte in Pergamon, der oft eine allegorische Deutung schwieriger Passagen vorschlägt. Bei einer Reise nach Rom brach er sich dort ein Bein, musste dann einige Zeit in Rom bleiben, hielt dort Vorträge und erweckte ein gewisses Interesse an der Homer-Philologie. Die Historiker schrieben überall, nicht nur an den Höfen: Hieronymos von Kardia schreibt in Pella, Timaios in Athen, Polybios notgedrungenerweise als Geisel in Rom und auch zu Hause in Megalopolis.