Grundstücksverzeichnis von Pylos

 

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Übersetzung der Linear B Tafel PY Er312 (Nr. 152), in: Documents in Mycenaean Greek: Three Hundred Selected Tablets from Knossos, Pylos and Mycenae, with Commentary and Vocabulary by Michael Ventris, John Chadwick. Cambridge University Press 1959, S. 266.

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Grundstücksverzeichnis von Pylos

Leitfragen:

1) Worum handelt es sich bei diesem Quellentext?
2) Welche Bedeutung haben die einzelnen Wörter auf der Linear- B – Tafel?
3) Was kann uns die Linear-B Tafel über Personengruppen und Landanteile in Pylos sagen?

Kommentar:

Die hier vorliegenden Linear-B Tafel ist die Tafel Er 312 aus Pylos, die – wie viele Linear-B Tafeln – einen Verwaltungstext abbildet. Sie stammt aus der sogenannten E-Serie aus Pylos, die Landbesitz und Nießbrauch an Grundstücken des pylischen Reiches verzeichnet. Linear-B Tafeln sind dabei die wichtigsten Quellen für das Studium der Wirtschaftsgeschichte der mykenischen Gesellschaft. Da die Linear-B Tontafeln in der Ägäis aber nie absichtlich gebrannt wurden, sind die heute existierenden Tafeln allein durch Brände erhalten geblieben und datieren daher in die Zeit ihrer Zerstörung. Die meisten Linear-B Texte stammen aus dem späten 13. Jh. v. Chr., so wie auch die hier vorliegende Linear-B-Tafel aus Pylos. Seitdem Michael Ventris und John Chadwick die Schrift 1952 entschlüsselten, können Linear-B Texte übersetzt werden. Insofern ist es uns möglich, auch die vorliegende Linear-B Tafel ER 312 aus Pylos zu verstehen.

Einige Worte des Pylos-Täfelchens finden ihre Entsprechungen im Altgriechischen. So ist in der ersten Zeile des Textes die Rede vom wa-na-ka-te-ro/ wanaks, was dem homerischen und später auch griechischen Terminus ἄναξ – „Herr“ entspricht. In der Ilias (Hom. Il. 9, 98) wird der Anführer der griechischen Streitkräfte, Agamemnon, als ἄναξ bezeichnet. Insofern ist anzunehmen, dass es sich bei dem Wanax um einen Herrscher im mykenischen Staat handelte. Als nächstes ist das Wort te-me-no/temenos zu lesen, das seine Entsprechung im Altgriechischen τέμενος hat. Es bedeutet in etwa „das Grundstück, das vom übrigen Land abgesondert ist“. In der dritten Zeile steht ra-wa-ke-ta/lāwāgetās, was Altgriechisch λαγέτας, also etwa „Führer des Volkes“ bedeutet. In der Ilias bedeutet das Wort oft soviel wie „das zum Kampf geordnete Volk oder Kriegsheer“. Vielleicht war der mykenische Lāwāgetās insofern der Befehlshaber des Heeres. Bewiesen werden konnte dies bisher aber nicht. Jedenfalls war der Lāwāgetās aber wohl ein ranghoher Beamter. Zudem finden wir in Zeile 5 das Wort te-re-ta/telestai, auf welches die τελεστά, „die Amtsträger“, zurückgehen. Die genaue Stellung und Funktion der Telestai ist jedoch unklar. Wahrscheinlich handelte es sich um die Besitzer von großen Grundstücken, die auf lokaler Ebene eine gewisse Bedeutung hatten. Zwei Zeilen weiter lesen wir e-re-mo/erēmon, also ἔρημος, was in etwa mit „unbebautes Land“ übersetzt werden kann. Zusammengenommen geht es in diesem Linear-B Text also um die Grundstücke des Königs und des Lāwāgetās sowie um Grundstücke von drei Amtsträgern und um unbebautes Land. Die Größe der genannten Grundstücke wird dabei durch die Angabe der zum Anbau notwendigen Saatgutmenge (to-so pe-mo/ tos(s)on spermo, vgl. σπέρμα – „Samen“) in Getreide (GRA) aufgezeichnet.

Die vorliegende Pylos-Tafel kann uns sowohl über die jeweiligen Besitzungen, als auch im Umkehrschluss über das soziale Gefüge Auskunft geben. So zeigt der Text, dass es einen Wanax, König, gegeben hat. Der Titel wird hier – wie in anderen Linear-B Texten auch – nie genauer beschrieben oder spezifiziert. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass es in jedem Reich nur einen einzigen König gegeben hat. Der Besitz des Königs beträgt dabei das dreifache der Liegenschaften des Lāwāgetās. Hieran zeigt sich, dass der König allein aufgrund seiner Besitzungen eine privilegierte Person gewesen sein muss. Sicherlich hat er noch mehr Land besessen, denn das Täfelchen listet wahrscheinlich nur die Besitzungen an einem Ort auf. Der Lāwāgetās besaß hingegen nicht mehr an Grundbesitz als im Durchschnitt einer der drei Telestai. Dennoch kam der Lāwāgetās wahrscheinlich an zweiter Stelle hinter dem Wanax und war wohl der einzige in seiner Funktion. Das Land der Telestai entspricht an Umfang zusammengenommen dem des Königs. Dass dieses Täfelchen existiert, zeigt zudem, dass die Paläste wahrscheinlich die Kontrolle über weite Teile des Landes ausübten. Offenbar wurde über die entsprechenden Grundstücke des Reiches penibel Buch geführt. Die genaue Auflistung der Landbesitzverhältnisse diente dabei wohlmöglich dazu, die Höhe der Abgaben und Dienstleistungen festzusetzen. Und so liefert uns diese Linear-B Tafel aus Pylos – obwohl über die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden im mykenischen Griechenland weitgehend Unklarheit herrscht – einen kleinen Einblick in Personengruppen und Landanteile in Pylos.

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Sehen Sie hierzu auch den Beitrag zum Megaron in Pylos.

Luwisches Bronzesiegel

 

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Luwisches Bronzesiegel

Leitfragen:

1) Worum handelt es sich bei dem luwischen Bronzesiegel?
2) Wurde in Troja luwisch gesprochen?
3) Woher konnte das Siegel stammen?

Kommentar:

Dieses Bronzesiegel wurde 1995 bei Grabungen in der Zitadelle in Troja entdeckt. Es ist das bisher einzige bekannte Schriftzeugnis, das in Troja gefunden wurde. Es datiert in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts und gehört damit vermutlich der Schicht Troja VIIb an. Bei dem Siegel handelt sich um ein beidseitig nach außen gewölbtes (also bikonvexes) Bronzesiegel, das hethitisch-luwische Schriftzeichen trägt. Luwisch ist dabei eine Sprache der indogermanisch-anatolischen Sprachgruppe und mit dem Karischen, Lydischen und Lykischen verwandt. Neben zwei Eigennamen bedeuten die Logogramme auf dem Siegel SCHREIBER, GUT und FRAU. Das Siegel gehörte also vielleicht einmal einem Schreiber und seiner Frau.

Der Altphilologe Joachim Latacz nahm das in Troja gefundene luwische Bronzesiegel zum Anlass, seine These, dass es sich bei Troja um die bronzezeitliche Stadt Wilusa handelte und Troja/Wilusa damit eine Vasallenstadt der Hethiter gewesen ist, zu bestärken. Sie sei Handels- und Residenzstadt gewesen und habe eine enge Verbindung zum Hethiter-Reich gepflegt. Latacz nimmt an, dass die luwische Sprache hier, wenn nicht als Umgangssprache, zumindest als Diplomaten- oder Amtssprache verwendet wurde. Auch der Tübinger Archäologe Manfred Korfmann hat den Fund des luwischen Bronzesiegels als Hinweis darauf gedeutet, dass die Trojaner die Kunst des Schreibens sowie die luwische Sprache beherrschten, und glaubte, der These Lataczs folgend, dass Troja eher dem anatolischen als dem griechischen Kulturkreis zugerechnet werden müsse.

Hier sollte allerdings Vorsicht geboten werden, da der Aussagewert des luwischen Bronzesiegels nicht all zu hoch eingeschätzt werden darf – es handelt sich bei dem Siegel um den einzigen trojanischen Siegelfund überhaupt. Der Archäologe Dieter Hertel gibt deswegen zu bedenken, dass bisher jegliches Indiz dafür fehle, dass die Trojaner der Schichte VI und VIIa überhaupt schreiben konnten, da keinerlei Spuren eines Tontafelarchivs oder Siegel(abdrücke) in Ton gefunden wurden. Zudem könnte das Kulturniveau der Trojaner dieser Zeit gering gewesen sein. Und auch der Tübinger Althistoriker Frank Kolb steht Korfmanns und Lataczs Thesen skeptisch gegenüber und verweist nachdrücklich darauf, dass es zur Zeit des Siegels, also am Ende des 12. Jh. v. Chr., weder eine Herrscherresidenz noch überhaupt eine bedeutende Siedlung in Troja gegeben habe.

Doch woher könnte das Siegel dann stammen? Hier sind einige Möglichkeiten denkbar. So könnte das Siegel als Andenken oder Geschenk einer Reise in luwische Länder von einem Trojaner nach Troja gebracht worden sein. Oder andersherum könnte es von einem Luwier als Gastgeschenk in Troja zurückgelassen worden sein. Verschiedene vorderorientalische Siegel sind an unterschiedlichsten Orten in der ägäischen Welt gefunden worden, die aufgrund ihres Metall- oder Kunstwertes als Beute oder Geschenk dort hingelangt sind. Denkbar ist zudem, dass das Bronzesiegel auf Handelswegen nach Troja gelangte. Und so ist wohl wahrscheinlicher, dass das luwische Bronzesiegel aus dem 12. Jh. v. Chr. gar nicht aus Troja selbst, sondern vielmehr von außen in die Stadt gelangt ist.

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Schliemanns Methode und Schatz des Priamos


Q1: Schliemann, Heinrich: Atlas trojanischer Alterthümer: Photographische Berichte über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874.

Q2: Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer: Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig 1874, S. 295-296:
„Da ich alle vorgenannten Gegenstände, einen viereckigen Haufen bildend, zusammen, oder ineinanderverpackt auf der Ringmauer fand, so scheint es gewiss, dass sie in einer hölzernen Kiste (φωριαμῶός) lagen, wie schon in der Ilias (XXIV, 228) im Palast des Priamos erwähnt wurde;

Q3: Hom. Il., 24. Gesang, V. 228:
ἦ καὶ φωριαμῶν ἐπιθήματα κάλ᾽ ἀνέῳγεν:

Übersetzung: A.T. Murray
He spake, and opened the goodly lids of chests, wherefrom he took twelve beauteous robes

 

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Leitfragen:

1) In welchem Zusammenhang stehen die drei Quellen?

2) Welche methodische Prämisse Schliemanns lassen die Quellen erkennen?

3) Welche Folgen hatte Schliemanns Vorgehen?

Kommentar:

Auf der Suche nach dem antiken Troja aus Homers Ilias stieß der deutsche Amateur Archäologe Heinrich Schliemann am 31. Mai 1873 in 8,5 Metern Tiefe auf einen großen kupfernen Gegenstand, hinter dem er Gold erkennen konnte. Schliemann grub den Gegenstand trotz der Einsturzgefahr mit einem Messer frei und entdeckte eine große Anzahl wertvoller Gegenstände, die als der „Schatz des Priamos“ Berühmtheit erlangten. Der Schatz beinhaltet große Kupferschilde, silberne Vasen, einen Silberkelch und einen Kessel, goldene Flaschen und Becher, Dolche und Speerspitzen aus Kupfer, silberne Messerschneiden und diversen Goldschmuck. Die hier zu sehende Abbildung zeigt den „Schatz des Priamos“ in Schliemanns Athener Haus. Die Abbildung stammt aus Heinrich Schliemanns „Atlas trojanischer Alterthümer“ (Leipzig 1874). Die von Schliemann gemachten Funde waren beim Auffinden in der Erde zusammengebogen oder ineinander gezwängt worden. In seinen Berichten über die Ausgrabungen in Troja (vgl. den Auszug aus “Trojanische Alterthümer”) beschreibt Schliemann den Fund als viereckigen Haufen. Für ihn ist dies das Indiz dafür, dass der Schatz in einer Holzkiste gelegen hat, wie es sie laut Homer im Palast des Priamos typischerweise gegeben hat. Schliemann verweist hier auf eine entsprechende Stelle in der Ilias, in welcher Priamos diverse Reichtümer aus einer hölzernen Kiste nimmt (Hom. Il. 24. Gesang, V. 228).

Schliemanns Bericht über die Entdeckung des Schatzes, mit welchem er eine direkte Verbindung zu Homers Ilias knüpfte, offenbart die fragwürdige methodische Prämisse, mit welcher er seine umfangreichen Grabungen vornahm: Er war der Ansicht, dass der Trojanische Krieg keine Legende war, sondern wirklich stattgefunden hatte und suchte mit dem Spaten nach Beweisen für diese These. Schliemann glaubte an die historische Existenz der sagenhaften Gestalten wie Priamos, Hektor, Agamemnon oder Helena. Die methodischen Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft völlig außer Acht lassend, glaubte er dabei – so wie an das „Evangelium“ – an die Genauigkeit der Angaben der Ilias. Er war sich deswegen sicher, dass mit dem Auffinden der Stelle des homerischen Trojas der Nachweis erbracht wäre, dass der in der Ilias beschriebene Trojanische Krieg ein historisches Ereignis gewesen ist.

Mit diesem Ziel vor Augen unternahm Schliemann Grabungen am Hügel Hisarlık. Von Frank Clavert, einem britischen Konsul der Troas, hatte er zuvor den Hinweis erhalten, dass das antike Troja an dieser Stelle, dem Hügel Hisarlık, zu suchen sei. Zwischen 1871 und 1873 unternahm Schliemann auf der Suche nach Homers Troja eine erste große Grabungskampagne. Schliemann und seine Helfer legten einen tiefen, von Norden nach Süden verlaufenen Schnitt quer durch den Hügel an. Der Deutsche vermutete, dass die Ruinen Trojas so alt seien, dass sie unmittelbar auf dem Boden des Hügels zu suchen seien. Dabei grub er immer tiefer und stieß auf eine Stadt, die heute zwischen 2250 und 2250 v. Chr. datiert wird (Troja II). Fälschlicherweise hielt er die Überreste dieser Stadt, in welcher er auch den „Schatz des Priamos“ entdeckte, für das homerische Troja. Er war davon überzeugt, dass Homer in seiner Ilias diese Stadt und ihr tragisches Ende besungen habe. So interpretierte er Überreste von Gebäuden, auf die er stieß, etwa als Palast des Priamos und hielt den gefundenen Schatz, wie oben beschrieben, für den Schatz des homerischen Königs. Heute weiß man jedoch, dass das Troja Homers 1200 Jahre jünger gewesen sein muss und Schliemanns Fund daher keinesfalls der Schatz des Königs Priamos gewesen sein kann. Unglücklicherweise führten Schliemanns Traum, Troja zu entdecken, in Verbindung mit seiner archäologischen Unkenntnis zu Beschädigungen an der Grabungsstätte: Schliemann ignorierte bei seinen Grabungen die Tatsache, dass das homerische Troja Nachfolgestädte gehabt haben muss, die höher liegen mussten als die von ihm ausgemachte Stadt. Bei seinen Grabungen zerstörte er daher verschiedene Schichten jüngerer Perioden, wie etwa aus der kaiserzeitlichen und hellenistischen, sowie der mittelbronzezeitlichen Zeit.

Kurz vor seinem Tod im Jahre 1890 hegte Schliemann jedoch selbst Zweifel daran, ob die von ihm entdeckte Siedlungsschicht Troja II tatsächlich das homerische Troja der Ilias gewesen ist. Dennoch verhalf ihm sein Vertrauen auf die historische Richtigkeit der Gedichte zur Entdeckung von Troja – einem der spektakulärsten archäologischen Entdeckungen aller Zeiten.

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Seevölker-Inschrift

Inschrift der Schilderung des Sieges über die Seevölker im 8. Regierungsjahr des Königs (Pharao) Ramses III. Relief am Totentempel Ramses’ III. in Medinet Habu, Ägypten.
Aus: Medinet Habu: Vol. 1 Earlier Historical Records of Ramses III : plates 1 – 54 / Oriental Institute. Chicago 1936.

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Übersetzung: William F. Edgerton und John A. Wilson
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Übersetzung:

[…] „As for the foreign countries, they made a conspiracy in their isles. Removed and scattered in the fray were the lands at one time. No land could stand before their arms, from Hatt, Kode, Carchemish, Yereth, and Yeres on, (but they were) cut off at [one time].
A camp [was set up] in one place in Amor. They desolated ist people, and ist land was like that which has never come into being. They were coming, while the flame was prepared before them, forward toward Egypt. […]

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Leitfragen:

1) Was erfahren wir aus der Quelle über die Seevölker?

2) In welchem Zusammenhang stehen die Seevölker und der Untergang der Mykener?

3) Was spricht gegen eine Zerstörung der mykenischen Welt durch die Seevölker?

Kommentar:

In der Forschung wird davon ausgegangen, dass das mykenische Reich um 1200 Jahrhundert v. Chr. unterging. An sogenannten „Zerstörungshorizonten“, welche die Zerstörung von Gebäuden, z.B. durch Feuer, sichtbar machen können, konnte dabei gezeigt werden, dass an verschiedenen Orten des ägäischen Raumes zur gleichen Zeit Zerstörungen stattfanden. Der letzte dieser Zerstörungshorizonte, der mit dem Zusammenbruch des mykenischen Reiches in Verbindung gebracht wird, fällt etwa in das Jahr 1200 v. Chr. In dieser Zeit wurden die mächtigen Zentren des mykenischen Griechenlands abschließend zerstört. Warum und durch wen die mykenische Welt unterging, ist jedoch nach wie vor nicht geklärt.

Eine mögliche Antwort kann durch einen Blick nach Osten gefunden werden, was gleichzeitig zu der oben angeführten Quelle überleitet. Im 12. Jahrhundert v. Chr. kam es auch im Ostmittelmeerraum zu nachhaltigen Veränderungen: Das Großreich der Hethiter ging in Kleinasien unter, Troja wurde zerstört und das kanaaänische Königreich von Ugarit in der Levante fand sein Ende. Die Gegner der Hethiter und Kanaaniter waren die sogenannten „Seevölker“, die sich, wie zwei Schlachtszenen am Totentempel von Medina Habu zu erkennen geben, zu Wasser und zu Land auch gegen die Ägypter wandten. Über jene Seevölker erfahren wir auch aus obigem Quellentext. Es handelt sich bei der Quelle um eine Inschrift aus dem achten Regierungsjahr des Pharao Ramses III. von der Wand von Medina Habu (etwa 1180 v. Chr). Der Textausschnitt ist das Kernstück einer feierlichen Ansprache des Pharaos an die Ägypter. In diesem Siegesbericht über den ägyptischen Abwehrkampf gegen die Seevölker nennt Ramses III. die Namen fremder Eroberer, die von „Inseln“ stammen und auf ihrem Weg nach Ägypten eine Reihe von Zerstörungen hinterließen. Um die Wende vom 13. zum 12. Jahrhundert v. Chr. brachten diese Seevölker in einem „Seevölker-Sturm“ dem griechischen Festland bis zur Levanteküste wahrscheinlich großes Unheil. Nach wie vor gibt es allerdings unbeantwortete Fragen hinsichtlich der Identifikation der Seevölker. Eine Gleichsetzung der Namen der Seevölker aus der ägyptischen Inschrift mit antiken Völkernamen bereitet der Forschung Schwierigkeiten. Einzig die „Peleset“ können mit Sicherheit als die Philister identifiziert werden, die schon in der Bibel als Bewohner der Südküste Knaans erwähnt werden. Zudem ist unklar, ob die Seevölker eine organisierte Armee waren, oder eine lockere bzw. schlecht organisierte Gruppe von Plünderern. Vielleicht handelte es sich bei ihnen sogar um Flüchtlinge, die vor Naturkatastrophen flohen und auf der Suche nach einer neuen Heimat waren.

Auch wenn die Gruppe der Seevölker in Bezug auf Zusammensetzung und Herkunft nicht eindeutig zu bestimmen ist, kann ein Zusammenhang zwischen den von Ramses III. erwähnten Seevölkern und dem Untergang der mykenischen Welt um 1200 v. Chr. hergestellt werden. Schon im ausgehenden 13. Jahrhundert v. Chr. gibt es Anzeichen dafür, dass es im mykenischen Mittelmeerraum teilweise zu grundlegenden Veränderungen kommt, die den Eindruck einer Bedrohung vermitteln (Versorgungsengpässe, Unterbrechungen der Handelsrouten, der Um- und Erweiterungsbau der Befestigungsmauern, die Einrichtung geschützter Wasserversorgungssysteme). Vieles deutet also auf einen Ausbruch von Gewalt und Zerstörung hin. Dieser könnte von fremdländischen Invasoren ausgegangen sein – z.B. von den Seevölkern. Ein Indiz dafür, dass die Mykener tatsächlich von den durch Ramses III. beschriebenen Seevölkern angegriffen wurden, ist die Tatsache, dass die Mykener von Invasoren heimgesucht worden sein mussten, die keinerlei archäologische Spuren hinterließen. Es muss sich also um Feinde gehandelt haben, die nach der Zerstörung weiterzogen. Dies würde auf die Seevölker zutreffen.

Ein anderes Indiz für die Invasions-These der Seevölker ist eine Linear-B-Tafel aus Pylos: Auf der Tafel mit der Überschrift „Maßnahmen zur Überwachung der Küstenregion“ wird der Auftrag gegeben, dass insgesamt 800 Männer zur Küste geschickt werden sollen. Es ist möglich, dass diese Männer die Küste entweder verteidigen oder aber eine Art Frühwarnsystem bilden sollten, um den küstennah gelegenen Palast rechtzeitig zu warnen, wenn sich ein Feind von See näherte. Dieser Feind waren dabei vielleicht die Seevölker.

Die Theorie, dass zwischen den Zerstörungen im mykenischen Griechenland und den durch Ramses III. historisch dokumentierten Ansturm der Seevölker ein Zusammenhang besteht, ist reizvoll. Dennoch muss eine solche Verbindung stets skeptisch betrachtet werden, da es keine konkreten Hinweise dafür gibt, dass die Seevölker jemals die Ägäis aufsuchten. Dass die Seevölker Orte wie Pylos, die an der Küste gelegen haben, niederbrannten, ist vorstellbar. Dass sie aber auch für die Verheerungen im übrigen Festland verantwortlich waren, ist unwahrscheinlich. Denn viele der sogenannten Zufluchtsorte, die an Bevölkerung zunahmen, weil Mykener, die aus ihren Gebieten vertrieben wurden, in diese Orte flohen, lagen an der Küste oder nicht weit davon entfernt (wie Tiryns oder Lefkandi). Offenbar wurde also keine allgemeine Bedrohung vom Meer aus befürchtet. Dennoch soll nicht ausgeschlossen werden, dass die Seevölker, welche Ramses III. später siegreich vertreiben konnte, die mykenischen Küsten angriffen. Wichtig im Hinblick auf den Untergang der mykenischen Welt ist jedoch, dass nicht die Seevölker allein für den Untergang verantwortlich waren, sondern dass es sich dabei um einen langwierigen und nicht einheitlichen Prozess handelte. Mit großer Wahrscheinlichkeit muss von verschiedenen Ursachen ausgegangen werden, die schlussendlich das Ende der mykenischen Welt besiegelten.

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Solons Tyrannenkritik

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Autor_in: Solon (bei Diogenes Laertios)
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Diog. Laert. 1.52 – Original:

εἰ δὲ πεπόνθατε δεινὰ δι᾽ ὑμετέρην κακότητα, μή τι θεοῖς τούτων μοῖραν ἐπαμφέρετε.
αὐτοὶ γὰρ τούτους ηὐξήσατε, ῥύσια δόντες, καὶ διὰ ταῦτα κακὴν ἴσχετε δουλοσύνην.
ὑμέων δ᾽ εἷς μὲν ἕκαστος ἀλώπεκος ἴχνεσι βαίνει, σύμπασιν δ᾽ ὑμῖν κοῦφος ἔνεστι νόος.
εἰς γὰρ γλῶσσαν ὁρᾶτε καὶ εἰς ἔπη αἱμύλου ἀνδρός, εἰς ἔργον δ᾽ οὐδὲν γιγνόμενον βλέπετε.

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Übersetzung: R.D. Hicks
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Übersetzung:

If ye have suffered sadly through your own wickedness, lay not the blame for this upon the gods. For it is you yourselves who gave pledges to your foes and made them great; this is why you bear the brand of slavery. Every one of you treadeth in the footsteps of the fox, yet in the mass ye have little sense. Ye look to the speech and fair words of a flatterer, paying no regard to any practical result.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Agnes von der Decken
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Diog. Laert. 1.52

Leitfragen:

1) Worum geht es in dieser Quelle?

2) Auf wen oder was bezieht sich Solons Kritik?

3) Welche Hinweise auf die Tyrannis ergeben sich daraus?

Kommentar:

Bei der vorliegenden Quelle handelt es sich um ein Fragment des berühmten archaischen Reformers und Gesetzgebers Solon, der zu Beginn des 6. Jh. v. Chr. großen Einfluss auf die Politik und Gesellschaft Athens ausübte. Solon ist darüber hinaus bekannt für seine Lyrik, die oftmals sein politisches Handeln begleitete und die er insofern vielfach für seine politischen Zwecke einsetzte. Auch das vorliegende Fragment, bei welchem es sich um ein Gedicht in elegischem Versmaß handelt, kann aufgrund seines Inhalts in die Kategorie der politischen Lyrik eingeordnet werden. In diesen Versen sagt Solon nämlich, dass die Menschen ihr Leid nicht den Göttern zuschreiben dürfen, sondern selbst dafür verantwortlich seien. Denn durch ihr politisches Handeln, indem sie nämlich den falschen Leuten Schutz gewährten, seien sie nun in eine schlimme Knechtschaft geraten. Anstatt eigenständig zu denken, habe die Masse sich durch schmeichelnde Worte eines Mannes verführen lassen und erkenne nun den rechten Weg nicht mehr.

In der Forschung wird kontrovers diskutiert, was und wen Solon mit diesen Worten gemeint haben könnte. Grundsätzlich muss das Gedicht dafür in seinen historischen Kontext eingeordnet werden: Die Polis Athen befand sich zu Solons Zeit in einer schweren politischen, ökonomische und sozialen Krise. Die Athener entschieden sich deswegen dazu, einen Mann als Schlichter zu berufen. Dieser Mann war Solon. Mit Hilfe seiner Reformen und Gesetze gelang es Solon, die Krise vorerst beizulegen. Die Fragmente Solons zeigen jedoch, dass seine Maßnahmen nicht überall wohlwollend aufgenommen wurden. Bei Aristoteles heißt es sogar, dass es, nachdem Solon, um seine Reformen wirken zu lassen, zehn Jahre auf Reisen ging, erneut zu Streitereien gekommen sei, die schlussendlich in die Tyrannis des Peisistratos mündeten. Es ist möglich, dass das oben angeführte Fragment, das bei Diogenes Laertios überliefert ist, in diese Zeit zu verorten ist und sich Solons Worte hier auf eben jene Tyrannis des Peisistratos beziehen. Dieser war bei seinem ersten Versuch, die Herrschaft in Athen zu erlangen, mit Hilfe einer durch Volksbeschluss bestellten Leibwache an die Macht gekommen. Die solonischen Verse können also als Widerstand gegen das Emporkommen des Peisistratos verstanden werden. Interessant ist darüber hinaus die Frage, wen Solon mit seinen Versen adressierte. Vielfach wurde angenommen, dass er den Demos, das Volk, anspricht. Allerdings ist es auch plausibel, dass Solon zu Aristokraten gesprochen hat, da diese eine Tyrannis, anders als der Demos, als Knechtschaft oder Sklaverei empfunden haben muss. Die Vermutung, dass Solon sich an dieser Stelle auf die Tyrannis des Peisistratos bezieht und die Frage, wen Solon anspricht, ergeben sich jedoch nicht aus den Worten selbst, sodass eine abschließende historische Einordnung des Fragmentes offenbleiben muss. Sicher ist nur, dass Solon mit seinen Worten die Verleihung allzu großer Macht an eine bestimmte Person kritisiert.

Mit diesen Versen Solons liegt ein Plädoyer gegen die Übel der Tyrannis vor. Gleichzeitig wird aber ein anderer Aspekt besonders deutlich: Die Verantwortung, die Solon den angesprochenen Menschen für ihr Leid überträgt. Nicht die Götter, sondern die Menschen selbst seien es, die dafür gesorgt haben, dass sie in Knechtschaft geraten sind, denn die Masse sei im Gegensatz zum Einzelnen ignorant. Hier zeigt sich ein wesentlicher Aspekt der Ursachen einer Tyrannis: Durch Zugeständnisse an das Volk und einer damit einhergehenden Unterstützung von Seiten des Volkes konnte es einem einzelnen Aristokraten gelingen, sich an der Spitze des Staates zu etablieren. Begünstigt wurde dies oft dadurch, dass sich die Polis in einer Krise befand. In dieser Situation der Uneinigkeit war es einfach, das Volk auf seine Seite zu ziehen. Unabhängig von der Frage, ob Solon hier von dem Coup des Peisistratos berichtet, spiegeln seine Worte eben jene Situation wider, in welcher der es einem Aristokraten gelingt, durch die Verführung des Volkes, die Macht an sich zu ergreifen.

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Sehen Sie zu diesem Beitrag auch den Kommentar zu Aristoteles und den Ursachen einer Tyrannis.

Alkaios – aristokratischer Machtkampf

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Autor_in: Alkaios
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Fr. 70 West – Original:

κῆνος δὲ παώθεις Ἀτρεΐδα
δαπτέτω πόλιν ὠς καὶ πεδὰ Μυρσί̣[λ]ω̣
θᾶς κ’ ἄμμε βόλλητ’ Ἄρευς ἐπιτ.ύχε
τρόπην· ἐκ δὲ χόλω τῶδε λαθοίμεθ
χαλάσσομεν δὲ τὰς θυμοβόρω λύας
ἐμφύλω τε μάχας, τάν τις Ὀλυμπίων
ἔνωρσε, δᾶμον μὲν εἰς ἀυάταν ἄγων
Φιττάκωι δὲ δίδοις κῦδος ἐπήρ[ατ]ο̣ν̣.

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Fr. 70 West

Leitfragen:

1) Worum geht es in diesem Fragment des archaischen Dichters Alkaios?

2) Welche Absichten verfolgte Alkaios mit seinen Äußerungen?

3) Was sagen uns diese Verse über die Tyrannis in Mytilene?

Kommentar:

In diesem Fragment richtet der Dichter Alkaios (geboren etwa Mitte des 7. Jh. v. Chr.) seine Worte gegen seinen einstigen Freund und Gefährten Pittakos und unterstellt diesem, dass er, erhöht durch die Ehe mit einer aristokratischen Frau aus dem Geschlecht der Atriden, die Stadt ausnehme, so wie er es vorher schon im Bunde mit dem ehemaligen Tyrannen Myrsilos gemacht habe. Sodann ruft Alkaios seine Gefährten, zu denen er in der Hetairie (exklusiver „Club“) spricht, zu den Waffen, um Pittakos an einer weiteren Ausbeutung der Stadt zu hindern. Er prophezeit seinen Zuhörern, dass die Entmachtung des Pittakos ein Ende des zermürbenden Streites sowie des Bruderkampfes bedeute und stellt den Hetairoi damit eine friedliche Polis-Zukunft in Aussicht. Zum Schluss resümiert er noch einmal verbittert, dass das Volk Pittakos die lang ersehnte Macht gegeben habe.

Alkaiosʼ Absicht ist es, mit diesen Versen seinen Feind Pittakos bei seinen Freunden in der Hetairie zu diffamieren. Das Gedicht gehört damit in den Kontext der internen Machtkämpfe um die Vormachtstellung in Alkaiosʼ Heimatstadt Mytilene auf Lesbos. Alkaios lebte zu einer Zeit des politischen und sozialen Wandels. In Mytilene kämpften im 7. Jh. v. Chr. verschiedene aristokratische Gruppierungen, von denen eine Alkaiosʼ eigene Hetairie war, um die Vormachtstellung in der Stadt. Nach dem Sturz des regierenden Königsgeschlecht der Penthiliden kam es in Mytilene in den darauffolgenden Jahrzenten zu stetigen internen Machtkämpfen, wobei sich immer wieder einzelne aristokratische Männer für kurze Zeit als Tyrannen etablieren konnten. Dies gelang auch besagtem Pittakos, der zu Beginn des 6. Jh. v. Chr. von den Mytilenern zum Aisymneten (Schlichter), gewählt wurde. Pittakos war einst Gefährt des Alkaios und gehörte der gleichen Hetairie wie Alkaios an, wendete sich aber im Laufe der Zeit gegen seine alten Freunde. Aus diesem Grund ist Pittakos die beliebteste Zielscheibe der politischen Angriffe des Alkaios, was sich auch an Fr. 70 zeigt. In leidenschaftlichem Ton prangert Alkaios das Verhalten des einstigen Freundes an. Indem Alkaios Pittakos mit seinen Beleidigungen zu diffamieren sucht, verurteilt er die Gesellschaft des politischen Gegners und zeichnet gleichsam das Gegenbild zu seiner eigenen, vermeintlich kultivierten Hetairie. So etwa durch die Äußerung, dass Pittakos allein aufgrund seiner Heirat in einen aristokratischen Stand aufgestiegen sei, was vermutlich im Gegensatz zu Alkaiosʼ eigener Abkunft stehen soll. An dem alkäischen Fr. 70 zeigt sich deutlich die von Alkaios und seiner Gruppe eingenommene Haltung: Es ist die eines orthodoxen Adels, der die überkommenden Machtstrukturen, also die gemeinschaftlich ausgeübte Adelsherrschaft, wiederherstellen möchte.

Alkaiosʼ Dichtung gibt uns einen Einblick in die sich befehdenden Aristokratengruppen im 7. Jh. v. Chr. Die Tyrannen, die sich an der Spitze der Stadt etablieren konnten, gehörten jeweils zu aristokratischen Familien. Alkaiosʼ Dichtung spiegelt eine Situation wider, in welcher es einem offenbar charismatischen Mann gelang, sich gegen seine Standesgenossen abzugrenzen und die Herrschaft an sich zu bringen. Begünstigt wurde dies wohl durch die ständigen internen Machtkämpfen in Mytilene – einem Nährboden, der die Möglichkeit bot, sich als Freund des Volkes zu stilisieren und so seine Machtinteressen gegenüber konkurrierenden Adligen durchzusetzen. Genau diese Situation lässt sich aus Alkaios Gedicht herauslesen. Alkaios gehört offenbar der unterlegenen Gruppe der Aristokraten an, die der Herrschaft des Pittakos tatenlos zuschauen musste. Pittakos wurde hingegen, wie Alkaios sagt, vom Volk an die Spitze gewählt. Offenbar konnte er sich auf eine öffentliche Basis stützen, die über seine adlige Hausmacht hinausging. Dabei ist eine solche Unterstützung allerdings nicht ohne entsprechende politische Zugeständnisse von Seiten des Usurpators, also des Pittakos, denkbar.

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Bronzedolch Löwenjagd

 

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Bronzedolch Löwenjagd

Leitfragen:

1) Welche Motive sind auf dem Dolch zu erkennen?
2) Wozu diente der Löwendolch?
3) Was kann uns der Dolch über die Mykener sagen?

Kommentar:

Diese bronzene Dolchklinge (von hier ab an der Einfachheit halber „Löwendolch“ genannt) stammt aus Schachtgrab IV. des Gräberrundes A aus dem 16. Jahrhundert v. Chr., das Heinrich Schliemann 1878 in Mykene entdeckte und ausgrub. Der Löwendolch ist einer von unzähligen Grabbeigaben, die Schliemann in den Schachtgräbern in Mykene entdeckte. Neben anderen (künstlerisch) wertvollen Gegenständen ist der Löwendolch Teil des großen Waffenbestandes (Speere, Wurfmesser, Pfeilspitzen, Streitäxte u.v.m.), der in den Gräbern gefunden wurde. Schliemann entdeckte sowohl ehemals funktionale Waffen als auch eine Anzahl von Waffen, die von großem künstlerischen Aufwand zeugen. Hierunter fällt aufgrund seiner in Edelmetall gearbeiteten eingelegten und gravierten Miniaturszene auch der Löwendolch. Er ist damit einer der fünf Dolche mit eingelegter Verzierung, die in den Gräbern IV und V entdeckt wurden.

Der Löwendolch aus Bronze ist 23,7 cm lang und 6,3 cm breit. Er zeigt auf der einen Seite der Klinge fünf bewaffnete Figuren, die einen angreifenden Löwen abwehren (eine Figur liegt bereits entwaffnet unter dem Löwen, seine (?) Lanze steckt im Maul des Tieres) sowie zwei flüchtende Löwen in der Dolchspitze. Drei Jäger heben Lanzen, ein anderer hält einen gespannten Bogen als Waffe in der Hand. Die Jäger tragen Schurze und sind zudem mit großen Ganzkörperschilden bewaffnet, wovon zwei Schilde die Form einer Acht haben, die andern beiden hingegen rechteckige Turmschilde sind. Auf der anderen Seite der Klinge ist ein Löwe vor felsigem Terrain abgebildet, der eine Gruppe Antilopen jagt.

Das Nebeneinander von Beute und Jäger, wie die Darstellung auf dem Löwendolch, war ein häufiges Motiv in der mykenischen Welt. Dabei stand der Löwe, der in der Bronzezeit wohl noch in manchen Gebieten Griechenlands gejagt worden ist, für große Stärke. Damit stellte er eine angemessene Beute für einen tapferen mykenischen Krieger dar. Der verzierte Löwendolch als Grabbeigabe fungiert daher wohl symbolisch als Zeugnis der Kraft des verstorbenen Kriegers und zollte ihm dadurch Respekt. Vermutlich hatte dieser Löwendolch jedoch nie praktischen Nutzen, sondern wurde aufgrund seiner reichen Verzierung eher bei feierlichen Anlässen als in der Schlacht verwendet.

Der große Fund an Waffen in den mykenischen Schachtgräbern zeichnet das Bild einer kriegerischen Kultur. Zwar wäre es zu einfach, die Mykener – insbesondere im Gegensatz zu den vermeintlich friedlichen Minoern – lediglich als kriegerisch darzustellen, dennoch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Mykener viel in die Entwicklung ihrer militärischen Infrastruktur investierten. Dass der Kampf für die Mykener große Bedeutung hatte, zeigt sich dabei auch in der aufwändigen und kunstvollen Verarbeitung des Löwendolches. Hieran wird daneben gleichzeitig ersichtlich, dass die Mykener in den Metallarbeiten versiert waren. Die Metalle bezogen sie dabei aus der ganzen damals bekannten Welt: Das Kupfer des Dolches stammte vermutlich aus Zypern, das Zinn für die Herstellung von Bronze wahrscheinlich aus Zentralasien. Aus Ägypten und Anatolien (vielleicht auch aus dem Balkan- und Schwarzmeerraum) kam das Gold. Der aus diesen Metallen aufwendig gearbeitete Löwendolch markiert damit nicht nur die Wichtigkeit des Kampfes und die Bedeutung des Gestorbenen, sondern auch die Verbindung der Mykener zur Außenwelt.

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Das Megaron in Pylos

 

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Das Megaron in Pylos

Leitfragen:

1) Was finden wir im Megaron von Pylos vor?
2) Welche Funktion hatte das Megaron?
2) Was sagt uns das Megaron über seinen König?

Kommentar:

Einer der großen und bedeutenden Paläste der Mykener war der Palast in Pylos, der um 1200 v. Chr. durch einen großen Brand zerstört wurde. Der Palast lag etwa 12 km nördlich der heutigen Stadt Pylos an der Westküste der Peleponnes und wurde Mitte des 20. Jahrhunderts von Carl Blegen ausgegraben. Dieser gab ihm in Anspielung auf den Herrscher von Pylos in Homers Ilias den Namen „Palast des Nestor“. Wie bei den Minoern, waren es in der mykenischen Welt die Palastbauten, die die wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Zentren bildeten. Viele dieser mykenischen Paläste ähnelten sich häufig in ihrer Bauweise und ihren architektonischen Besonderheiten. Ein Kernelement des mykenischen Palastes war dabei das sogenannte Megaron. Die dargestellte Rekonstruktion zeigt hier das imaginierte Megaron im Palast von Pylos, das im Wesentlichen dem Megaron von Tiryns und Mykene ähnelt. Zu dem Megaron eines Palastes zählten meist mehrere Räume. Diese Raumgruppe bestand oft – und so auch hier – aus einem Thronraum, dem zentralen Raum des Palastes, mit zwei davor gelagerten Vorräumen.

Dieser zentrale Raum im Palast von Pylos (von hier an vereinfacht „Megaron“ genannt) ist knapp 13 Meter lang und etwa elf Meter breit. Im Zentrum des Megarons befindet sich eine große, verputzte und kreisförmige Herdstelle mit einer ringförmigen Einfassung, die im Durchmesser etwa vier Meter misst. Nirgendwo anders ist die Feuerstelle so gut erhalten wie in Pylos. Der Herd ist dabei mit bemaltem Stuck verziert. Der Rand ist mit flammenartigen Mustern bemalt und die Oberseite mit einem Spiralmotiv verziert. Um die Herdstelle herum standen vier kannelierte Säulen. Vielleicht haben diese Säulen eine Art Schornstein getragen, durch welchen der Rauch von der Herdstelle in den Himmel ziehen konnte. Der Boden des Thronraumes ist schachbrettartig gepflastert, wobei jeder viereckige Pflasterstein mit geometrischen Figuren dekoriert ist. Einer der Pflastersteine ist hingegen mit einem Oktopus bemalt und befindet sich vor einer niedrigen, ebenfalls gepflasterten Plattform. Sehr wahrscheinlich stand hier der hölzerne Thron. Zudem befindet sich im Megaron ein in den Boden eingelassenes, flaches und rundes Becken, das mit einem zweiten Becken durch einen schmalen Kanal verbunden ist. An den Wänden befinden sich Fresken. Die Stelle, an der vermutlich der Thron stand, wird von Löwen- oder Greifen-Fresken flankiert. Andere Fresken zeigen einen singenden Lyra-Spieler oder Szenen, in denen Männer bei festlicher Angelegenheit trinken.

Nicht eindeutig bestimmbar ist die Funktion, die das Megaron gehabt hatte. So kann es sich bei dem Megaron um einen einfachen Herd-Raum gehandelt haben, der als allgemeiner Versammlungsbau diente. Blegen vermutete, dass der große Herd dazu gedient haben könnte, den Raum im Winter zu heizen. Zudem glaubt er, dass der Herd auch geeignet war, für eine größere Gruppe an Menschen, etwa für ein Bankett, zu kochen. Mehrere Indizien weisen aber darauf hin, dass das Megaron (auch) für rituelle Zwecke benutzt wurde: Kleine Trinkgefäße (Kylix), die auf einem Opfertisch neben dem Herd gefunden wurden und die kreisförmigen Vertiefungen, die durch einen Kanal im Boden neben dem Thron miteinander verbunden sind, weisen darauf hin, dass Trankopfer im Megaron vollzogen wurden. Ein großes Fresko in der Vorhalle des Megaron in Pylos zeigt zudem eine Prozession, bei der ein Stier zu einem Altar geführt wird. Auch dies weist auf eine kultisch-rituelle Funktion des Megaron innerhalb des Palastes hin. Vielleicht zeigt das Fresko, dass im Megaron auch Stieropfer vollzogen wurden.
Diese Funde erlauben es uns, Rückschlüsse über den im Palast residierenden König, den wanax, zu ziehen. Zum einen zeigt uns das Vorhandensein des Megaron ganz grundsätzlich, dass es in Pylos einen König gegeben hat. Diese scheinbar banale Tatsache ist nicht zu vernachlässigen, da es bei den Mykenern kaum Hinweise auf herrschaftliche Repräsentation gibt. Weder gibt es Statuen von Königen, noch Wandmalereien oder Reliefs.

Die einzelnen Funde im Megaron in Pylos können zudem Hinweise auf die Beschaffenheit eines solchen Königtums geben. So lassen der Zeremonialherd in der Mitte des Thronsaales sowie die Rinne neben dem Thron, die zum Abfluss der Trankspenden gedient haben kann, auf eine kultische Funktion des Regenten schließen. Es wird zuweilen angenommen, dass der wanax einen großen Teil seiner Macht aus seiner Rolle im religiösen Kontext zog. Die vielen Trinkgefäße, die man in den das Megaron benachbarten Räumen gefunden hat, verweisen andererseits auf Festbankette oder Gelage, die ebenfalls eine religiöse oder aber identitätsstiftende Funktion erfüllt haben können. Solche Feste sind vielleicht vom wanax selbst veranstaltet worden. Die Fresken an den Wänden des Megaron und im Vorraum zeigen Szenen solcher rituellen oder festlichen Veranstaltungen: Das oben erwähnte Prozessionsfresko sowie die Fresken, die weltliche Szenen zeigen, wie den Sänger mit seiner Lyra und die Männer, die sich gegenübersitzend mit Kylikes zuprosten. Vielleicht war der König Gastgeber großer Gelage oder Feste. Die Ausstattung des Megaron bestätigt damit neben der sakralen auch eine weltliche Funktion des wanax, der nach allgemeiner Ansicht an der Spitze des jeweiligen Palaststaates stand.

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Der Palast von Knossos

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Der Palast von Knossos

Leitfragen:

1) Welche Auffälligkeiten zeigt der Grundriss des Palastes von Knossos?

2) Welche Funktion können die einzelnen Räume gehabt haben und was sagen sie uns über die Minoer?

3) Ist „Palast“ eine sinnvolle Bezeichnung für dieses Gebäude?

Kommentar:

Zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. begann der Bau der heute so genannten „älteren Paläste“ auf Kreta. Die genauen Gründe für die Entwicklung solch komplexer Palaststrukturen kennen wir nicht. Denkbar ist jedoch, dass zunehmender Wohlstand und die Komplexität der minoischen Gesellschaft, mit der der Bedarf nach einer zentralen Organisation der Wirtschaft einherging, sowie eine Inspiration durch Kontakte zu anderen Ländern den Bau der Paläste bedingte. Um 1950 v. Chr. wurde in Knossos mit dem Bau des alten Palastes begonnen. Die Reste dieses alten Palastes sind unter den heute sichtbaren Mauern des neuen Palastes teilweise noch rekonstruierbar und wurden an verschiedenen Stellen in den jüngeren Palast integriert. Die Ausgrabung des jüngeren Palastes von Knossos begann 1900 unter der Leitung Arthur Evans aus Oxford, dem wir also den vorliegenden Grundriss des Palastes zu verdanken haben. Der Grundriss des Palastes von Knossos zeigt, dass das Gesamtareal eine Fläche von ungefähr 2,5 Hektar maß. Damit ist seine Größe vergleichbar mit der einer kleinen Stadt. Knossos war in der jüngeren Palastzeit der größte der vier wichtigen Paläste (Knossos, Phaistos, Mallia und Kato Zakros) und konnte vermutlich mehrere hundert Menschen beherbergen. Der Palast hatte keine Festungsmauer oder sonstige Verteidigungsanlage, wie auf dem Festland üblich. Wahrscheinlich waren die Minoer also eine friedliche Kultur, die keine Bedrohung von außen fürchten musste.

Der Palast selbst macht aufgrund seiner Vielzahl von kleinen Räumen und Gängen auf den ersten Blick einen verwirrenden Eindruck. Auf Anhieb ist kein symmetrisches Gestaltungsprinzip erkennbar. Dass nachfolgende Griechen die labyrinthischen Ruinen von Knossos als unheimlich empfanden, verwundert daher nicht, zumal mit ihnen die Sage des menschenfressenden Ungeheuers Minotauros verbunden ist. Der Palast von Knossos hatte sicherlich mehrere Stockwerke, jedoch sind nur Erdgeschoss und die Kellerebene erhalten. Gemächer, die sich vielleicht in den oberen Stockwerken befunden haben, können also höchstens vermutet werden. Zentrum des Palastes von Knossos ist sein ca. 25×50 m. großer Zentralhof, der, wie die anderen Paläste auch, eine Nord-Süd-Ausrichtung hat. Fresken, die im Zentralhof entdeckt wurden, deuten darauf hin, dass der Zentralhof Ort wichtiger religiöser Feste und Rituale gewesen ist und Zuschauer in ihm Platz fanden. Darüber hinaus spielte sich hier wohl der Alltag der Menschen ab. Westlich des Zentralhofes befindet sich der „Thronsaal-Komplex“. Dieser Bereich scheint besonders heilig gewesen zu sein, denn dort befinden sich auch die Tempelmagazine, in denen wohl rituelle Gegenstände verwahrt wurden. Der Thronsaal selbst beherbergt neben dem Alabaster-Thron und mehreren an den Wänden stehenden Steinbänken ein von Evans so genanntes Lustralbecken, eine vertiefte rechteckige Einlassung in den Boden (in Knossos gab es insgesamt mindestens drei Lustralbecken). Teilweise wurde angenommen, dass es sich hierbei um ein kultisches Bad zur symbolischen Reinigung gehandelt hat. Das Fehlen von Abflüssen und Hinweise auf Wasser lassen dies jedoch unwahrscheinlich erscheinen. Möglich ist stattdessen, dass Opfergaben im Lustralbecken dargebracht wurden. Besonders auffällig sind die sich noch weiter westlich befindenden fensterlosen Räume, die Magazine, die wohl als Vorratsräume dienten. In ihren Böden befanden sich rechteckige Vertiefungen oder Kisten, die als weitere Lagermöglichkeit gedient haben können. Diese von einem langen Korridor zugänglichen Magazine lagerten große Pithoi für Öl, Getreide, Wein oder Wolle. Eine der Hauptaufgaben des Palastes muss also die Annahme, Lagerung und Verwaltung der Ware gewesen sein. Der davor gelagerte Westhof war möglicherweise ebenfalls Versammlungsort großer Menschenmassen. Zudem könnten Altäre, die auf dem Westhof entdeckt wurden, darauf hinweisen, dass hier Opferhandlungen vollzogen wurden. Vielleicht wurden auch Feste abgehalten, wie etwa Erntefeste, was einerseits die räumliche Nähe zu dem Theaterbereich, andererseits zu den Magazinen bedeutet haben kann.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Palastes, östlich und südöstlich des Zentralhofes, befinden sich viele Räume, deren Nutzen nicht abschließend erkennbar ist. Hierbei kann es sich um weitere Magazine oder Nebenräume gehandelt haben. Vielleicht waren es aber auch Wohnräume, in denen die Menschen, die im Palast beschäftig waren, wie Handwerker, Diener, Wachen oder Sklaven, lebten. Auffallend in diesem Teil des Palastes ist die große Treppe, die vom Zentralhof aus sowohl zu oberen, als auch zu den unteren Stockwerken führte. Zwei Stockwerke unterhalb des Zentralhofes liegen der sogenannte „Saal der Doppeläxte“ (hier wurden Steinmetzzeichen in Form einer Doppelaxt auf einigen Steinen gefunden) sowie das „Megaron der Königin“. Arthur Evans gab den Räumen diese Bezeichnungen und vermutete dabei die Gemächer des Königspaares. Ob dies wirklich die Wohnräume eines Königs oder einer Königin gewesen sind, kann nur spekuliert werden, da noch nicht einmal sicher ist, ob es ein solches Königspaar überhaupt gegeben hat. Jedoch sind diese Räume architektonisch anspruchsvoll und erinnern an Villen der minoischen Oberschicht, was die Interpretation einer königlichen Nutzung möglich macht. Arthur Evans glaubte, er habe den Palast von König Minos freigelegt. Doch wissen wir nicht einmal, ob Knossos von einem König oder einem oberen Priester oder einer Gruppe von Herrschenden regiert wurde. Nordöstlich des Zentralhofes befanden sich noch einmal kleine Räume, die ebenfalls Vorratslager gewesen sein können sowie Werkstätten, in denen Töpfer und Steinschneider arbeiteten.

Der Grundriss des Palastes zeigt uns, dass die Minoer ein immenses Fachwissen für die Errichtung desselben besaßen. Die Existenz eines einheitlichen Maßes, konkrete Planung der labyrinthischen Struktur oder speziell dafür benötigte Werkzeuge zeigen, dass wir es hier mit einer hoch entwickelten Kultur zu tun haben. Zudem entsteht aufgrund der Größe des Palastes der Eindruck, dass die Minoer ein mächtiges Volk gewesen sind. Der Grundriss des Palastes verdeutlicht auch, dass einzelne Räume unterschiedliche Funktionen gehabt haben, was uns wiederrum zeigt, dass der Palast von Knossos verschiedenen Zwecken diente: Er war kultisches Zentrum, Verwaltungszentrum, Ort für Herstellungs- und Verarbeitungsprozesse sowie Lagerort. Ob er darüber hinaus den „Minos“ und seine Familie beherbergte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Jedoch ist es wahrscheinlich, dass es sich bei einigen Räumen um Wohnräume handelte. Insofern stellt sich die abschließende Frage, ob der Name „Palast“ für dieses multifunktionale Gebäude die richtige Bezeichnung ist. Sicherlich war das Gebäude allein aufgrund seiner wirtschaftlichen Bedeutung der zentrale Dreh- und Angelpunkt von Knossos. Zudem ist wahrscheinlich, dass die herrschende Schicht in den Palästen wohnte. Allerdings gibt es auch viele Räume des Gebäudes, die mehr an einen Tempel als an einen Palast erinnern, weil sie Ort kultischer Praktiken waren. Wäre die Bezeichnung „Tempel“ daher schlüssiger? Schlussendlich kann eine klare Terminologie aufgrund mangelnder Kenntnis über die Herrschaftsform in Knossos nicht gegeben werden und das Beibehalten der Bezeichnung „Palast“ ist aufgrund der jahrzehntelangen Forschung, in der mit diesem Terminus hantiert wurde, sinnvoll. Dass der Palast von Knossos jedoch mehr vereinte als das, was unsere moderne Vorstellung eines Palastes ist, darf darüber nicht vergessen werden.

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Ein Siegelring mit Baumheiligtum


Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Ein Siegelring mit Baumheiligtum

Leitfragen:

1) Was ist auf dem Siegelring zu sehen?
2) Was könnte sich in dieser Szene am Baumheiligtum abspielen?
3) Welche Bedeutung hatte der Baum?

Kommentar:

Dass Bäume eine große Rolle in der minoischen Religion spielten, zeigt ihr häufiges ikonographisches Auftreten in Verbindung mit Kultszenen. Vor allem auf Goldringen, wie unserer Quelle, sind kultische Handlungen in Verbindung mit Bäumen abgebildet. Anders als die Palastruinen oder geschützte Höhen-Heiligtümer, sind die Baumheiligtümer archäologisch jedoch schwer nachzuweisen. Möglich ist, dass sie im freien Land angesiedelt waren, weil sie weder auf Bergen noch in Palastarealen gefunden wurden. Anders als dieser Siegelring, der eine Pflanze am Boden der Darstellung zeigt, weisen manche Abbildungen allerdings auch einen gepflasterten Boden auf. Dies könnte auf ein gebautes Areal mit offiziellem Charakter deuten, was zeigt, dass Baumheiligtümer auch einen hohen oder offiziellen Status des Kultes gehabt haben können. Dafür spräche auch, dass meist die wertigen Goldringe die Bildträger der Baumheiligtümer sind.

Die Darstellung auf dem Goldring aus Candia zeigt uns wahrscheinlich eine Szene während einer kultischen Handlung an einem Baumheiligtum. An den äußeren Rändern der Darstellung sind rechteckige Konstruktionen abgebildet, aus denen jeweils ein mit Früchten beladener Baum (vielleicht auch nur Zweige) herauswachsen. Auffällig ist, dass auch auf anderen Abbildungen von Baumheiligtümern die Bäume nicht auf natürlichem Grund wachsen, sondern ebenfalls in oder auf solch stein- oder holzartigen Umhegungen stehen, die deswegen als Altäre oder Schreine gedeutet werden können. Die hier abgebildeten Schreine sind verhältnismäßig simpel. Es könnte sein, dass im rechten Schrein eine kurze freistehende Säule zu erkennen ist. Der linke Schrein vermittelt den Eindruck einer geschlossenen Tür. Zwischen den Baumheiligtümern befinden sich drei weibliche Figuren. Alle drei Figuren tragen den gleichen bodenlangen Volantrock. Ihre Oberkörper sind nackt. Die Haare tragen sie nach oben gesteckt, und eine Kette aus Perlen, die im Haar festgemacht zu sein scheint, hängt den Rücken herunter. Die rechte Figur umfasst mit gesenktem Kopf den Stamm des Baumes und scheint diesen zu Schütteln. Die mittlere Figur steht dem Betrachter frontal gegenüber. Sie ist etwas erhöht abgebildet, sodass der Eindruck entsteht, sie würde schweben. Ihr rechter Arm ist angewinkelt und ihre erhobene Hand wird von der linken Figur berührt, auf die sie herabblickt. Die linke Figur steht dabei mit dem Rücken zum linken Baumschrein und hebt beide Arme in die Höhe. Ihre Handflächen sind geöffnet und berühren die ausgestreckte Hand der mittleren Figur.

Bei den dargestellten Figuren könnte es sich um Adorantinnen, also Kultteilnehmerinnen, handeln, die eine rituelle Handlung am Baumheiligtum vollführen. Typisch für diese Rituale scheint das Rütteln und Schütteln des Baumes zu sein. Viele Darstellungen von Szenen an Baumheiligtümern zeigen Verehrer, oder häufiger Verehrerinnen, die den Baum berühren, schütteln oder greifen. Die rechte Figur der Abbildung könnte eben dies tun. Die Interaktion der beiden anderen hier dargestellten Figuren gibt jedoch Rätsel auf. Es besteht zum einen die Möglichkeit, dass sie einen kultischen Tanz vollführen. Die Körperhaltung der Figuren könnte dabei auf die Ausführung eines Tanzes verweisen. Ähnliche Haltungen nehmen Adorantinnen auf anderen Goldringen oder Siegeln ein. Oft wurde angenommen, dass die häufig dynamisch wirkenden Bewegungen ähnlicher Darstellungen von starken Gefühlsregungen zeugen, was zu der Vermutung geführt hat, dass der Kult ein ekstatischer oder orgiastischer war. Eine Interpretation der Figuren als Tanzende liegt dieser These zu Folge nahe, weil der Tanz im Kult oft ekstatischen Charakter hat.

Andererseits könnte die zentrale Figur auch als eine herabschwebende Gottheit angesprochen werden, die von der linken Figur angebetet wird. Nach dieser Interpretation würde der Goldring eine Epiphanie, die Erscheinung einer Göttin unter Menschen, darstellen. Vielleicht handelt es sich hier also um eine Naturgöttin, die im Baumkult entstanden ist und von weiblichen Kultteilnehmerinnen verehrt wird. Dafür spräche, dass die mittlere Figur eine zentrale und erhöhte Stellung in der Darstellung einnimmt. Dagegen spricht wiederrum, dass alle Figuren ungefähr gleich groß sind und sich die mittlere Figur auch optisch nicht von den anderen beiden Figuren unterscheidet. Die Entscheidung darüber, ob es sich also um eine Epiphanie handelt, ob ein kultischer Tanz dargestellt ist oder aber eine andere rituelle Handlung ausgeführt wird, die wir aufgrund mangelnder Quellen nicht nachvollziehen können, kann hier nicht klar getroffen werden.

Abschließend bleibt die Frage nach der Heiligkeit der Bäume selbst. Waren sie heilig, weil sie in einem besonderen Götterheiligtum standen oder weil sie eine bestimmte Naturgottheit verkörperten? Oder waren sie vielleicht um ihrer selbst willen heilig? Waren sie überhaupt heilig? Eine abschließende Antwort auf diese Fragen kann auch hier nicht gegeben werden. Grundsätzlich zeigt uns dieser Goldring aus Candia aber, dass der Baum mit seinem Stamm und seinen Ästen in der minoischen Religion ein bedeutendes Kultobjekt gewesen sein muss. An ihm zeigt sich erneut (wie an den Gipfel- und Höhlenheiligtümern) die Verbindung der minoischen Religion zur Natur. Offenbar wurden Bäume intensiv verehrt. Ihnen scheint eine besondere Energie inne gewohnt zu haben, die sich darin zeigt, dass die Minoer die Bäume in Schreinen oder Altären platzierten, sie vielleicht mit ekstatischen Riten und Tänzen verehrten und ihre heiligen Zweige berührten und schüttelten.

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