Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Agnes von der Decken
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Das Gräberrund A
Leitfragen
1) Was ist das Gräberrund und was ist zu erkennen?
2) Wie entwickelte sich das Gräberrund A?
3) Was kann uns das Gräberrund über die Mykener sagen?
Kommentar:
Im Jahre 1876 stieß Heinrich Schliemann bei Grabungen in Mykene auf eine imposante Grabstätte: Das sogenannte Gräberrund A. Das Gräberrund A (in Abgrenzung zu einer zweiten, älteren, Grabstelle, dem Gräberrund B) befindet sich nach Eintritt durch das Löwentor nach etwa 20 Metern zur rechten Seite. Heute ist davon noch eine kreisförmige Umfassungsmauer sichtbar, die doppelreihig ist (in einem Abstand von 1,30 Meter) und aus senkrechten Kalksteinplatten besteht. Ursprünglich war diese kompakte Plattenmauer durch weitere Platten horizontal abgedeckt. Der Durchmesser des Gräberrundes beträgt etwa 27,50 Meter. Innerhalb des Gräberrundes stieß man auf insgesamt sechs Gräber, die aufgrund ihrer tiefen, rechteckigen Form als Schachtgräber bezeichnet werden und in ihrer Größe zwischen 3 x 3,50 Metern und 4,50 x 6,40 Metern und in ihrer Tiefe zwischen einem und vier Metern variieren. Zudem gab es kleine, flache Gräber, von denen aber nur eines erhalten ist.
Schliemann glaubte, die Grabstätte des legendären Königs Agamemnon und seiner Männer aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. ausgegraben zu haben. Dank moderner Datierungsmethoden sowie durch die in den Gräbern entdeckten Funde, weiß man jedoch heute, dass die Gräber ca. 300 Jahre älter waren, als Schliemann vermutete und aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. stammen. Zu dieser Zeit befand sich hier eine Gruppe großer Schachtgräber, in welchen sehr wahrscheinlich tatsächlich ein Herrschergeschlecht begraben lag. Die heute sichtbare Gestaltung der Grabstätte entstand jedoch 300 Jahre nach der letzten Beerdigung, die im 16.Jahrhundert v. Chr. stattgefunden haben muss. Ursprünglich lagen die alten Gräber, die von einer niedrigen, kreisförmigen Mauer eingefriedet waren, außerhalb der Siedlungsbegrenzung auf der Akropolis. Im 13. Jahrhundert v. Chr. wurde die Burgmauer jedoch erweitert, um die alten Gräber der herrschenden Vorfahren einzubeziehen. Weil diese aufgrund ihrer Lage am Steilhang der Akropolis tiefer lagen als das neu entstandene Löwentor, musste die Grabstelle mit Erde aufgefüllt werden, um das Niveau des Löwentors zu erreichen. Die künstliche Erdauffüllung wurde mit einer starken Mauer umfasst und dadurch zusammengehalten. Hierdurch entstand ein ebenes Gelände, auf welches die oben beschriebene Plattenmauer zur Sichtbarmachung der Gräber gebaut wurde. Kalksteinstelen markierten die Gräber der Vorfahren (s. Rekonstruktion des Gräberrundes A).
In den Schachtgräbern wurden die Skelette von insgesamt 19 Menschen gefunden, darunter neun Frauen, acht Männer und zwei Kinder. In den Gräbern stieß man auf außergewöhnlich viele und reiche Beigaben. Bei den Männern entdeckte man handgefertigte Schwerter, Dolche, Speere und Messer. Alle Toten waren zudem mit Schmuck bedeckt. Es gab Artefakte aus Bergkristallen und Halbedelsteinen, Goldringe mit Darstellungen aus dem Leben der Menschen und goldene Diademe. Einige Männer trugen goldene Totenmasken und auch die Kleider oder Leichentücher waren mit Gold verziert. Daneben wurden Gold- und Silbertassen in den Gräbern gefunden. Der Goldfund wird auf annähernd 15 kg geschätzt (ausgestellt im Nationalmuseum in Athen) und ist damit der bis heute reichste Grabfund der mykenischen Kultur.
Der reiche Fund in Gräberrund A lässt die Vorstellung an das „goldreiche Mykene“ Homers aufleben. Die zahlreichen Goldfunde spiegeln dabei einerseits die machtvolle und kämpferische Welt der Mykener wider, andererseits zeigen sie auch ihr hohes künstlerisches Können und ihren feinen Geist. Ägyptische und minoische Einflüsse sind erkennbar. Insbesondere die goldenen Siegelringe mit ihren kultischen Darstellungen zeigen dabei den Einfluss der kretischen Minoer. Die Reichtümer geben auch Hinweise auf den Wohlstand der frühmykenischen Gesellschaft und ihre Verbindungen zur Außenwelt.
Die Grabfunde verweisen dabei auch darauf, dass hier die Elite begraben lag, der diese glänzenden Gaben beigegeben wurden. Dass es sich um das Grab elitärer Vorfahren handelte, zeigt auch die völlige Bedeckung einer der Kinderleichen mit goldenem Blech. Offenbar muss dieses Kind eine herausgehobene Stellung gehabt haben, denn der Tod eines Säuglings oder Kindes war aufgrund der hohen Kindersterblichkeit eigentlich alltäglich und die Ehrung der mit Gold bedeckten Kinderleiche war daher etwas Besonderes. Vielleicht war das Gräberrund die letzte Ruhestätte einer mykenischen Herrscherdynastie, als sich die Stadt zum regionalen Machtzentrum entwickelte. Diese These kann durch die Baumaßnahmen im 13. Jahrhundert v. Chr. gestärkt werden: Bei der Neugestaltung der Burgmauer war es offenbar besonders wichtig, die Gräber der Vorfahren in die Akropolis einzubeziehen. Dies zeigt, welche Ehrfurcht und Achtung den Toten entgegengebracht wurden und lässt vermuten, dass sie als Begründer einer royalen Dynastie verehrt wurden. Das Gräberrund könnte demnach auch die Funktion eines Heroons der Vorfahren, also eines Grabdenkmals der Heroen, für spätere Generationen gehabt haben.