01 – Einführung in die Klassik

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in:
Werner Rieß
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Griechische Geschichte II: Die Klassik

01 – Einführung in die Klassik

In dieser Vorlesung beschäftigen wir uns mit der klassischen Periode Griechenlands, also dem 5. und 4. Jh. v. Chr. Diese Zeit markiert den kulturellen und geistigen Höhepunkt des Griechentums. Sie beginnt am Ausgang der Archaischen Zeit mit den Reformen des Kleisthenes in Athen, die zur Demokratie hinführten und den Perserkriegen, in denen sich diese Reformen bewährten, und der Sieg über die Perser zu einem bislang unbekannten Selbstbewusstsein führte. Die natürliche Folge der siegreichen Perserkriege war die Gründung des Delisch-Attischen Seebundes durch die Athener, die damit die durch ihre Flotte im Ägäisraum gewonnene Vormachtstellung institutionell zementierten und den Bund allmählich zu einem Herrschafts- und Machtinstrument Athens ausbauten. Diese enorme Machtentfaltung Athens wurde von der zweiten Hegemonialmacht, der Landmacht Sparta, mit großer Sorge verfolgt; ein Dualismus zwischen diesen beiden Mächten bildete sich heraus, der schließlich in die Katastrophe des Peloponnesischen Krieges mündete. Die ca. 50 glücklichen Jahre Athens zwischen der Schlacht von Salamis 480 v. Chr. und dem Ausbruch des Peloponnesischen Krieges 431 v. Chr., die man als Pentekontaetie bezeichnet, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in dieser Zeit zu ständigen Auseinandersetzungen mit Persien und zu Scharmützeln mit Sparta kam.
Dennoch ist es richtig, dass die athenische Kunst, insbesondere die Architektur, denken wir an die Akropolis, und die attische Tragödie, in diesem Zeitraum ihren unerreichten Höhepunkt erreichte. Der Peloponnesische Krieg veränderte dann die griechische Welt dauerhaft. Zwar gelang es Athen noch einmal, im 4. Jh. einen Seebund zu gründen, doch die alte Suprematie war dahin. Keine griechische Polis konnte dauerhaft eine Hegemonie ausüben, wie Sparta und Athen es im 5. Jh. vermochten. Die Kräfte waren zersplittert. Der Aufstieg Thebens nach der Schlacht von Leuktra war nur von kurzer Dauer.
Im Schatten der dauernden Kämpfe zwischen den griechischen Stadtstaaten mit ständig wechselnden Koalitionen gelang es dem randständigen Makedonien im 4. Jh. aufzusteigen. Philipp von Makedonien gelang es, mit Brutalität und Rücksichtlosigkeit eine Vormachtstellung in Griechenland aufzubauen, die dann sein Sohn Alexander als Grundlage für die Errichtung seines Weltreiches nutzen sollte. Im unruhigen 4. Jh. erreicht jedoch die athenische Demokratie ihre volle Ausgestaltung, erlebt die athenische Literatur in Gestalt der attischen Redner einen weiteren Höhepunkt.
Nach diesen einleitenden Worten möchte ich kurz in das letzte Jahrhundert der archaischen Zeit in Athen zurückblenden, in das 6. Jh., in dem wir die Probleme der Archaik wie in einem Brennspiegel sehen. Nur die Rückschau in die Archaik kann uns vielleicht helfen, den Sonderweg Athens schon in einer frühen Phase zu greifen. Welche Faktoren ließen Athen einen anderen Weg als die anderen griechischen Poleis einschlagen? Wie kam es, dass Athen ab dem 5. Jh. dann die anderen Städte wirtschaftlich, militärisch, politisch und kulturell überflügeln konnte?
Solon wurde 594 v. Chr. zum Archon mit umfassenden Vollmachten bestellt. Er sollte Athen aus seiner Agrarkriese herausführen. Viele kleine Bauern waren so in Not geraten, dass sie sich hoffnungslos verschuldet hatten und sogar in Schuldknechtschaft gerieten, zum Teil sogar als Sklaven außer Landes verkauft wurden. Solon ergriff nun auf verschiedenen Ebenen einschneidende Maßnahmen. Mit seiner Seisachtheia, Lastenabschüttelung, entschuldet er die Bauern. Die Schuldsklaverei ist damit abgeschafft, allerdings nimmt er keine Neuaufteilung des Bodens vor, wie dies die armen Bauern gefordert hatten. Schon diese Maßnahme allein schuf eine gesunde demographische Basis, auf der Athen später aufbauen konnte. Neben vielen anderen Reform- und Gesetzesmaßnahmen ist v.a. seine Verfassungsreform fundamental. Solon bringt die wirtschaftliche und damit die militärische Leistungsfähigkeit in Einklang mit der politischen Teilhabe.
Wir nennen eine Verfassung, die auf dem Vermögen gründet, eine Timokratie, wahrlich keine Demokratie (denn wer reicher ist, hat mehr politisches Gewicht), doch unleugbar ein Fortschritt im Vergleich zur vorherigen Aristokratie. Die adelige Geburt war nun nicht mehr entscheidend; oder andersherum: Auch Neureiche konnten nun aufsteigen und wichtige Ämter bekleiden. Zur Bestimmung der Leistung und der Rechte teilte Solon die Bevölkerung in Vermögensklassen ein: An der Spitze standen die Fünfhundertscheffler, die sogenannten Pentakosiomedimnoi. Nur sie konnten Archonten und Schatzmeister werden. Unter ihnen rangieren die Hippeis, die Reiter oder Ritter, mit einem Mindesteinkommen von 300 Scheffeln. Ab 150 oder 200 Scheffeln war man Zeugite und gehörte damit der Hoplitenklasse an. Die Grundbesitzlosen, die sich als Landarbeiter bedingen, werden Theten genannt. Im Krieg dienen sie als Leichtbewaffnete, später auch als Ruderer. Diese vier solonischen Zensusklassen blieben die ganze klassische Zeit hindurch in Kraft. Nach ihnen stuften sich militärische Pflichten, die Besteuerung und auch die politischen Rechte ab. Da nun für ehrgeizige und fähige Leute Aufstiegschancen bestanden, wurde die soziale Mobilität erhöht. Obwohl, wie gesagt, diese Timokratie, noch nichts mit Demokratie zu tun hat, war sie doch ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin, und betrachteten die Athener des 4. Jahrhunderts Solon als den Begründer ihrer Demokratie.
Solon behielt in seinen Reformen das Maß, so dass er sich sowohl bei den radikalen Armen als auch bei den konservativen Reichen unbeliebt machte; er hatte sich zwischen alle Stühle gesetzt. Die Tyrannis, die ihm angeblich angetragen wurde, lehnte er ab, stattdessen ging er ins Ausland, um seine Reformen ohne sein Zutun wirken zu lassen. Sie waren nicht von Bestand. Attika zerfiel in drei Regionen, die jeweils unter einem Adeligen standen. 561 versuchte Peisistratos zum ersten Mal die Macht an sich zu reißen. Er sollte noch einmal scheitern, erst 546 konnte er endgültig mit ausländischer Hilfe eine Tyrannis über Athen errichten. Er lässt die Verfassung intakt, besetzt aber die Schlüsselpositionen mit seinen Leuten.
In typischer Adelsmanier sichert er seine Herrschaft ab mit Geld, Söldnern und mit Hilfe internationaler Beziehungen. Peisistratos betrieb Politik mit Zuckerbrot und Peitsche und sehr populistisch. Er verteilte das Land seiner enteigneten Gegner an mittellose Bauern. Er schaffte also, was Solon nicht gewagt hatte zu tun. Adelige, die nicht mit ihm kooperierten, mussten ins Exil. Doch im Allgemeinen versuchte Peisistratos den Adel einzubinden. Religionspolitische Maßnahmen sollten den Zusammenhalt der Athener stärken. Auf der Akropolis entstand der erste Athena-Tempel. Die Panathenäen werden von den Peisistratiden zu einer Art „Nationalfeier“ ausgebaut, zu deren Anlass die homerischen Epen rezitiert werden.
Die Rechtsprechung wurde gestrafft, indem er Demenrichter, also Richter für die Dörfer in Attika, einsetzte. Man kann sagen, dass durch diese Entwicklungen paradoxerweise der Weg hin zur Demokratie beschleunigt wurde oder vorsichtiger ausgedrückt: Der Weg zu einer immer weiteren Verstaatlichung, zu einer Verfasstheit der Polis Athen beschleunigte sich. Peisistratos starb eines natürlichen Todes. Die Herrschaft wurde problemlos auf seine Söhne Hippias und Hipparchos übertragen. Erst als Hipparchos aus persönlichen Gründen ermordet wurde, verschärfte Hippias als Folge die Herrschaft. Erst jetzt gingen die Alkmeoniden ins Exil.
Die Tyrannis wurde schließlich von den Spartanern beendet, die in Athen über ihren Strohmann Isagoras eine Oligarchie einrichten wollten. Hippias wurde vertrieben und ging ins persische Exil. Kleomenes, der spartanische König, verkalkulierte sich. Die Athener lehnten Isagoras rundweg ab, es kam zu innerathenischen Machtkämpfen, aus denen schließlich der aus dem Exil heimgekehrte Kleisthenes als Sieger hervorging. Er konnte sich auf eine breite Machtbasis stützen, v.a. weil er populistische Maßnahmen vorschlug, die mit Begeisterung aufgenommen wurden. Und hier sind wir nun bei den Kleisthenischen Reformen, die die Demokratie begründen sollten.

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