05 – Die Gesellschaft der Kaiserzeit

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in:
Werner Rieß
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CC-BY-NC-SA

Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

05 – Die Gesellschaft der Kaiserzeit

Die römische Gesellschaft war seit den Tagen der Republik eine äußerst konservative Gesellschaft, in der sich sozialer Wandel nur sehr langsam vollzog. Da die Krise der römischen Republik primär eine politische war, änderte sich nur der politische Rahmen dieser Gesellschaft (aus einer Republik wurde eine Monarchie), die gesellschaftlichen Strukturen wurden aber im wesentlich beibehalten und überdauerten die Zeiten bis zu den großen Wandlungen in der Spätantike. Wir wollen uns in diesem Podcast mit den wesentlichen sozialen Gruppen befassen, das wären, von unten nach oben, die Sklaven, die Freigelassenen, die Provinzialen, die freien römischen Bürger, die Munizipalaristokratie, die Ritter, die Senatoren und schließlich das Kaiserhaus, die domus Augusta oder domus principis.
Ganz unten in der gesellschaftlichen Hierarchie standen die Sklaven. Ein Sklave war als Eigentum eines anderen rechtlos, ein bloßes Ding, lat. res. Die Zahl der Sklaven ging zwar im Prinzipat leicht zurück, da es keine Eroberungskriege mehr gab, dafür nahm aber die Zahl der hausgeborenen Sklaven zu, ebenso wohl die Zahl der Selbstversklavungen. Die Kindesaussetzungen taten ein Übriges, die Sklavenzahl relativ stabil zu halten. Wichtig ist, dass, sozial gesehen, die Sklaven keine homogene Schicht bildeten. Grundsätzlich ist zwischen Sklaven auf dem Land und solchen in der Stadt zu unterscheiden. Letzteren ging es in der Regel besser, weil sie einen direkten Kontakt zu ihrem Herrn hatten. Am schlimmsten erging es den Bergwerkssklaven, die, oftmals zur Bergwerksarbeit verurteilt, einen langsamen und qualvollen Tod starben. Auf dem Land waren ihre Einsatzgebiete vielfältig. Die Qualifizierten konnten sich bis zum Verwalter eines Landgutes hocharbeiten. Daneben gab es Experten für Obst-, Wein- und Olivenanbau und die Hirten, die besonders arm waren. Eigene Gruppen bildeten die Gladiatoren, unter denen sich allerdings nicht nur Sklaven, sondern auch Verbrecher und Kriegsgefangene befanden, und die Sklaven am Kaiserhof, die sogenannte familia Caesaris. Von ihnen gab es tausende.
Bei manchen kaiserzeitlichen Autoren findet sich ein Trend hin zur Humanisierung. Vor allem bei Seneca und Plinius dem Jüngeren finden sich verständnisvolle Töne und die feste Überzeugung, dass Sklaven Menschen wie Freie seien. Doch sind diese Stimmen der philosophischen Richtung der Stoa zuzuschreiben und vertreten wohl eine Minderheitenmeinung. Andererseits war das Leben von Sklaven aber nicht nur von exzessiver Brutalität und Ausbeutung geprägt, denn Sklaven waren immer auch teuer und wurden daher durchaus auch als kostbares Gut betrachtet. Eine zusätzliche Dimension der römischen Sklavenhaltergesellschaft stellt das Faktum dar, dass viele Sklavenbesitzer in ständiger Angst vor ihren eigenen Sklaven lebten.
Kommen wir zu den Freigelassenen, den liberti. In der Kaiserzeit nahm ihre Zahl zu, ihre Kinder galten dann bereits als Freigeborene. Viele Sklaven konnten sich durch die Ansparung einer gewissen Summe (peculium) von ihrem Herrn loskaufen, indem sie ihm den Kaufpreis zurückerstatteten. Es gibt fünf Freilassungsformen: Die sehr häufige manumissio testamento, also die Freilassung per Testament, die manumissio censu, vor dem Zensor, die manumissio vindicta, ein fiktiver Freilassungsprozess vor einem Magistrat und dann die häufigen manumissio inter amicos (also mündlich vor Zeugen) sowie die manumissio per epistulam. In den meisten Fällen behielten die Freigelassenen die beruflichen Tätigkeiten bei, die sie auch schon als Sklaven ausgeübt hatten. Das strikte Abhängigkeitsverhältnis zum dominus. zum Herrn, veränderte sich zu einem Klientelverhältnis zwischen Patron und Klient. Der Freigelassene schuldete seinem ehemaligen Herrn lebenslange Treue. Ikonographisch berühmt sind die vielen Freigelassenenreliefs von Ostia aus claudischer Zeit. Stolz zeigen sie den Freigelassenen, der mit seiner rechten Hand die rechte Hand seiner Frau ergreift. Hier wird betont, dass mit der Freilassung aus einem illegitimen Verhältnis zwischen zwei Sklaven eine anerkannte Ehe wurde. Die uxor legitima wird somit auch mit ins Bild gesetzt.
Für die römische Sozialgeschichte wichtig ist die Rolle der Freigelassenen im Kaiserkult. Sie gehören oft den seviri Augustales an. Bedeutenden Einfluss übten begabte Freigelassene zudem manchmal am Kaiserhof aus, nämlich immer dann, wenn der Kaiser den Senatoren misstraute und andere Loyalitäten brauchte, suchte und fand. Dies war unter Nero und Caligula der Fall, aber v.a. unter Claudius, unter dem Pallas und Narzissus teilweise die Regierungsgeschäfte de facto führten. Wieder sieht man, wie bei den Sklaven, dass Rechts- und Sozialstatus nicht unbedingt miteinander einhergingen.
Bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung des Römischen Reiches von ca. 60 Millionen Menschen beim Tod des Augustus waren nur ca. fünf Millionen römische Bürger. D.h. die überwiegende Mehrzahl der Reichsbevölkerung bestand aus freien Provinzialen, auch Peregrine genannt. Je nach Region unterschieden sie sich kulturell stark. Die römische Verwaltung musste sich aufgrund ihrer Ressourcenknappheit nur auf Hauptaufgaben beschränken; dies war die Schaffung von Ruhe und Ordnung, der Schutz von Leben und Eigentum und die Garantie der lokalen und regionalen Selbstverwaltung, auf die Rom unbedingt angewiesen war. In der Praxis bedeutete dies, dass Rom die lokalen Eliten in ihrem Herrschaftsanspruch stützte, Rom also als Garantiemacht der einheimischen Eliten fungierte. Rom legte also nur eine dünne Suprastruktur über die indigenen sozialen und rechtlichen Strukturen, die fortbestanden. Dank der papyrologischen Zeugnisse aus Ägypten erkennen wir, wie sich dort verschiedene Rechtskreise überlagerten, der altägyptische, der ptolemäische und der römische. In Trier wurde bis in die Spätantike hinein Keltisch gesprochen. Besonders in religiösen Dingen übten die Römer völlige Toleranz.
Auf der anderen Seite war progressiv denkenden Einheimischen klar, dass für sie und ihre Söhne ein sozialer Aufstieg nur innerhalb des römischen Systems möglich war. Langsam etablierten sich also römische Strukturen, lernten immer mehr Menschen Latein und bildeten sich regionale Mischkulturen aus, also einheimische Kulturen, die sich mehr oder weniger vom römischen way of life beeinflussen ließen, was wir auch in den archäologischen Quellen sehen. Und da immer mehr Menschen das römische Bürgerrecht erlangten, wurde die Großgruppe der römischen Bürger immer heterogener. Der Endpunkt war schließlich im Jahr 212/13 n. Chr. mit der Constitutio Antoniniana Caracallas erreicht, die allen Reichsbewohnern das römische Bürgerrecht verlieh. Fortan gab es also keine Provinzialen mehr.
Damit sind wir jetzt bei den römischen Bürgern angelangt: Seit den Expansionskriegen der hohen Republik fühlten sich die Römer als etwas Besonderes, sie waren gegenüber den unterworfenen Provinzialen sozial, wirtschaftlich, privat- und auch strafrechtlich privilegiert. Sie genossen aktives und passives Wahlrecht, die Volkstribunen schützten sie vor dem spontanen Zugriff von Magistraten auf Leib und Leben, sie durften an der Kolonisation teilnehmen, nur sie durften in den Legionen dienen, den Eliteeinheiten im römischen Heer, sie bekamen den Großteil der Kriegsbeute und nur sie hatten einen Anspruch auf Getreideversorgung in Rom. Es ist klar, dass diese Privilegien Neid bei den Italikern im 1. Jh. v. Chr. weckten, der sich im Bundesgenossenkrieg entlud. Als wichtigstes Ergebnis dieses Krieges ist festzuhalten, dass alle Italiker auf einen Schlag zu römischen Bürgern wurden. Caesar weitete das Bürgergebiet dann auf Norditalien aus, v.a. um auch dort Legionäre ausheben zu können. Schon vorher konnten Gruppen, die loyal zu Rom standen bzw. Einzelne, die sich um die Sache Roms verdient gemacht hatten, mit dem Bürgerrecht belohnt werden. Hier vermittelten entweder die Statthalter, oder die Militärpotentaten der späten Republik nahmen diese Verleihungen vor. In der Kaiserzeit waren also die Angehörigen der plebs urbana und der plebs rustica Italiens römische Bürger, ferner die Bewohner römischer Kolonien in den Provinzen, alle Legionäre, die Munizipalaristokratie sowie die örtlichen Honoratioren, sofern sie sich für die Sache Roms engagierten. Sobald jemand sich z. B. in einer latinischen Kolonie oder in einem Munizipium, das sich eine „römische“ Verfassung gegeben hatte, in ein Amt wählen ließ, bekam er meist automatisch das römische Bürgerrecht.
Die Munizipalaristokratie organisierte sich in Stadträten und bildete den sogenannten ordo decurionum, dem in den ca. 1000 Städten des Reiches wohl max. 150.000 Mitglieder angehörten. Die Zusammensetzung der Stadträte war äußerst heterogen. Während im römischen Augsburg ein Schweinehändler aufgenommen wurde, wäre das im vornehmen Alexandria undenkbar gewesen. Vor Ort gab es normalerweise eine Volksversammlung, zumindest noch im 1. Jh. n. Chr., welche die Magistrate wählte, die sich im Rat zusammenfanden, dem die Beamten rechenschaftspflichtig waren. Der Weg in den Rat erfolgte über die Bekleidung der städtischen Wahlämter, der sogenannten honores. Um sich zur Wahl aufstellen zu können, musste man freier Bürger der betreffenden Stadt sein, ein Mindestvermögen vorweisen können, in Karthago waren das z. B. 100.000 Sesterzen, andernorts sehr viel weniger, einer ehrbaren Tätigkeit nachgehen und in der Lage sein, vor dem Amtsantritt eine summa honoraria zu zahlen, also eine Art Eintrittsgebühr in die städtische Laufbahn. Die curia vor Ort bildete den Senat im Kleinen ab: Es gab einen Quaestor, einen Ädil und über diesen als eine Art Bürgermeister die duoviri oder auch quattuorviri. Alle fünf Jahre wurden die Oberbeamten duoviri quinquennales gennant, weil sie zensorische Aufgaben zu erfüllen hatten, d.h. z. B. die Bürgerverzeichnisse zu prüfen und die Mitgliedschaften im Rat festzuhalten sowie das album decurionum auf den neuesten Stand zu bringen. Für Canusium in Apulien ist uns aus dem Jahr 223 so ein album decurionum inschriftlich erhalten, das uns einen sensationellen Einblick in die soziale Zusammensetzung eines solchen Stadtrates bietet. Die Dekurionen, also die Mitglieder des städtischen Rates, aus dem sich auch die Magistrate speisten, waren für die städtische Selbstverwaltung zuständig und bildeten somit das Rückgrat der urbanen Kultur des römischen Reiches. Sie garantierten das Funktionieren der Verwaltung vor Ort und wurden von der Zentrale in ihren Privilegien geschützt. Allerdings wurde von den Dekurionen eine enorme Leistungs- und Spendenbereitschaft erwartet. Der sogenannte Euergetismus, die Wohltätigkeit, finanzierte die meisten Annehmlichkeiten vor Ort: Die städtischen Bauten, wie Fora, Bäder und Theater, Getreidespenden, Spiele, die städtische Gerichtsbarkeit, die Entlohnung von Ärzten und Lehrern sowie die Finanzierung ständiger Gesandtschaften an den Statthalter und den Kaiser, um sich den goodwill der Oberen gegenüber der Stadt zu erhalten. Ohne diesen Euergetismus, der über Jahrhunderte funktionierte, wäre die Blüte des Reiches im 2. Jh. nicht denkbar gewesen. Die Mentalität dieser städtischen Eliten unterschied sich von unserer fundamental. Man war stolz, diese Leistungen für die Heimatstadt erbringen zu können, ja man konkurrierte geradezu um diese Ämter, um seine eigene Freigebigkeit (munificentia) unter Beweis stellen zu können. Natürlich erwarteten die Spender und Stifter eine Gegenleistung der Bürger in Form von Dank und Anerkennung, die sich in tausenden von Ehreninschriften mit Ehrenstatuen niederschlugen. Das Studium der Inschriften, also die Epigraphik, hat uns das Funktionieren des Euergetismus gelehrt. Im 2. Jh. wurden jedoch keine Rücklagen gebildet. Die Städte, v.a. im Osten, wetteiferten um die schönsten städtischen Bauten und verschuldeten sich hoch. Immer mehr Belastungen wurden vom Statthalter auf die munizipalen Eliten abgewälzt, sie gelangten an den Rand ihrer finanziellen Belastbarkeit. Gleichzeitig wurden durch die Verleihung von Privilegien immer mehr Gruppen von den Leistungsverpflichtungen (munera) befreit, wie etwa hohe Beamte, Senatoren, langgediente Soldaten und Offiziere, Veteranen, Ärzte, städtisch angestellte Lehrer, Priester u.a.m.. Das heißt, immer weniger Honoratioren hatten immer größere Aufwendungen zu bestreiten. In der ausgehenden Spätantike kollabierte das System schließlich, immer mehr Dekurionen zogen sich in Klöster zurück bzw. konnten die Zahlungen einfach nicht mehr leisten. Als Folge zerfiel langsam auch die städtische Infrastruktur, die antiken Strukturen lösten sich auf.
Als Dekurion konnte man auch in den Ritterstand aufsteigen. Der ordo equester spielte in der Reichsverwaltung eine ganz entscheidende Rolle, denn viele Ritter, wenn auch keineswegs alle, waren im militärischen oder im zivilen Bereich im Reichsdienst tätig. Der Ritterstand war im Gegensatz zum Senatorenstand ein Personenstand, d.h. der Sohn eines Ritters war nicht automatisch Ritter. Er musste sich erst selbst verdient machen, um vom Kaiser in den ordo equester erhoben zu werden. Voraussetzungen waren die freie Geburt seit mindestens zwei Generationen, was oft missachtet wurde, sowie ein Mindestvermögen von 400.000 Sesterzen. Dem Stand gehörten aber nicht nur Menschen an, die sich für den Staat engagierten, sondern auch Großgrundbesitzer, reiche Dekurionen, Literaten, Intellektuelle und Juristen. Martial und Sueton waren genauso Ritter wie Pontius Pilatus und der Jurist Ulpian. Die Zahl der Ritter im Reichsdienst nahm ständig zu, weil die Aufgaben immer mehr wurden. Unter Augustus gab es ca. 300 Stellen für ritterliche Offiziere, im 2. Jh. waren es wohl ca. 500. Die meisten Provinzen wurden jedoch von senatorischen Statthaltern verwaltet. Beim Tod des Augustus 14 n. Chr. standen acht von 31 Provinzen unter ritterlichen Statthaltern, um 150 n. Chr. waren es 13 von 46. Der Reichsdienst begann typischerweise mit den sogenannten tres militiae equestres, also drei aufeinander aufbauenden militärischen Rangstufen. Ab dem 2. Jh. kam noch eine vierte hinzu. Nach dieser langen Zeit beim Militär an den Grenzen folgte der zivile Dienst in einer Vielzahl von Stellen in den Provinzen, wiederum in unterschiedlichen Rangstufen. Die höchsten ritterlichen Ämter waren der praefectus classis, der Flottenkommandant, der praefectus vigilum in Rom (Chef der Nachtwachen und Feuerwehr), der praefectus Aegypti (der Statthalter von Ägypten war seit Augustus grundsätzlich ein Ritter, um den Aufbau senatorischer Macht in dieser reichen Provinz zu vermeiden), der praefectus annonae, der für die Getreideversorgung zuständig war sowie der praefectus praetorio, der Chef der Prätorianergarde in Rom. Statussymbole der Ritter waren der schmale Purpurstreifen an der Toga (angustus clavus), eine Paradadeuniform und Ehrensitze im Theater.
Eine Konkurrenz zu den Senatoren gab es zu keinem Zeitpunkt, im Gegenteil, zahlreiche Ritter- und Senatorenfamilien waren durch Heiraten verwandtschaftlich verbunden. Und somit sind wir auch schon beim höchsten Stand angelangt, beim ordo senatorius. Schon unter Augustus hatten die Senatoren ihre politischen Kompetenzen weitgehend verloren, doch ihr Sozialprestige blieb unangefochten. Eine Million Sesterzen war der Mindestzensus, um in die vornehme Körperschaft aufgenommen zu werden. Wichtig ist, dass sich der Senat seit der Späten Republik immer mehr zu einem Stand entwickelte, ein Prozess der erst in claudischer Zeit abgeschlossen sein sollte, d.h. der Sohn eines Senators gehörte zwar als Minderjähriger noch nicht dem Gremium „Senat“ an, aber er war bereits im Senatorenstand geboren. Auch Frauen gehörten dem Senatorenstand an, ohne der Körperschaft anzugehören.
Nach den wiederholten Säuberungen des Senats durch Augustus und seiner Aufstockung mit Weggefährten und loyalen Freunden gehörten ihm etwa 600 Mitglieder an. Schon unter Tiberius hatten die meisten Senatoren die Republik nicht mehr selbst erlebt. Die Erinnerung an das republikanische Erbe schwand zunehmend. Durch die Bürgerkriege und die Beseitigung von monarchiekritischen Stimmen hatte sich die Zusammensetzung des Senats stark verändert, nur noch ganz wenige Familien konnten sich auf republikanische Vorfahren zurückführen. Doch obwohl der Senat politisch entmachtet war, konnte der Kaiser auf ihn nicht verzichten. Die Senatoren waren es, die für ihn das Reich verwalteten, die, wie oben erwähnt, die meisten Statthalter in den Provinzen stellten und auch die hohen militärischen Kommandos innehatten. Nur bei den Senatoren waren die Bildung und das Know-how vorhanden, den Reichsdienst im Wesentlichen zu tragen. Somit ergab sich eine sensible Balance, welche die Kaiser mit dem Senat erhalten mussten. Auf den eigenen Herrschaftsanspruch wollten und konnten die Kaiser nicht verzichten, aber sie mussten ihn so verbrämen, dass die stolzen Senatoren keinen Anstoß daran nahmen; die Kommunikation musste so subtil sein, dass sich die Senatoren wertgeschätzt fühlten, auch wenn sie de facto die Leitlinien der Politik nicht bestimmen konnten. Bei weitem nicht alle Kaiser beherrschten diesen Drahtseilakt so gut wie Augustus. Die sogenannten schlechten Kaiser, wie Caligula oder Nero, hatten permanent Probleme mit dem Senat und bekamen von diesem schlechte Presse, die bis heute nachwirkt. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass die Senatoren die Geschichtsschreiber waren. Für gut befanden sie die Kaiser, die mit dem Senat gut auskamen, als schlecht, bösartig und geradezu wahnsinnig wurden diejenigen charakterisiert, welche die Rechte des Senats nicht zu achten wussten.
Nach wie vor gab es eine Ämterhierarchie innerhalb des Senats, den cursus honorum, der nun von den Kaisern reguliert und normiert wurde. Die alte republikanische Konkurrenz der führenden Familien um die Ehrenstellungen im Staat fand jetzt unter veränderten Vorzeichen statt. Der Kaiser überwachte diesen Wettbewerb, er legte die Spielregeln des Wettkampfes fest und er traf letztendlich alle Personalentscheidungen, wenn auch zu Anfang des Prinzipats noch Wahlen durch die Volksversammlungen stattfanden (wobei der Prinzeps bestimmte, wer zur Wahl aufgestellt wurde!).
Die Ämter, die die Senatoren bekleideten waren sowohl im militärischen als auch im zivilen Sektor angesiedelt. Sie wurden also in beiden Bereichen ausgebildet. Als Statthalter einer Provinz vertraten sie den Kaiser vor Ort und bildeten somit die militärische, administrative und jurisdiktionelle Spitze einer Provinz. Ronald Syme nannte diese Männer daher treffend all-round gentlemen.
Der Senat war grundsätzlich ethnisch offen. Im Laufe des zweiten Jahrhunderts wurden immer mehr reiche Bürger aus den Provinzen zu Senatoren, v.a. aus dem griechischen Osten. Keine Senatoren sind aus Britannien, den beiden germanischen Provinzen, Rätien und Noricum belegt, offenbar griff die Romanisierung hier nicht so tiefgreifend wie in der Gallia Narbonensis, Hispanien und Kleinasien und Africa.
An der Spitze der Gesellschaftspyramide stand der princeps mit seiner Familie, der domus principis. Beim Kaiser liefen alle Fäden der Politik und der Administration zusammen. Verfassungsrechtlich lässt sich seine Position nur schwer bestimmen. Seine Machtfülle übersteigt die Kumulation von Amtsgewalten, die Augustus vorgenommen hatte. Römisch ausgedrückt besteht die Machtbasis des Prinzeps aus einer Vielzahl von Klientelbeziehungen. Der Kaiser war der oberste Patron der Soldaten, der plebs urbana sowie der römischen Bürger generell und auch der Provinzialen. Eine größere Klientel war nicht vorstellbar. Egon Flaig bezeichnet dieses Reich als ein Akzeptanzsystem. Und um diese Akzeptanz der verschiedenen sozialen Gruppen musste der Kaiser stets bemüht sein. Der Kaiser besaß zudem das größte Vermögen des Reiches und er hatte auch allen militärischen Ruhm auf seine Person monopolisiert. Siege seiner Generäle wurden ihm zugeschrieben. Die Loyalität der Armee wie der Prätorianergarde war die ganz konkrete Grundlage und Absicherung dieser Militärmonarchie.
Und eben weil der Kaiser die soziale wie politische Spitzenposition einnahm, hatte er eine enorme Aufgabenfülle zu bewältigen. Er musste hunderte von Personalentscheidungen im Jahr fällen, eine ausführliche Korrespondenz mit seinen Statthaltern pflegen, mit Hilfe seiner Kanzlei Bittgesuche und Anfragen beantworten, Dutzende von Gesandtschaften empfangen, Entscheidungen über Schenkungen, Stiftungen, Steuererleichterungen und v.a. über Krieg und Frieden treffen. Hinzu kam eine aufwändige Gerichtsbarkeit, denn der Kaiser war oberste Appellationsinstanz. Ein zum Tode verurteilter römischer Bürger konnte immer den Kaiser anrufen. Wir wissen, dass die fähigen und verantwortungsvollen Kaiser rund um die Uhr arbeiteten. Das Funktionieren des Reiches war nur möglich, wenn sich der Kaiser auf fähige und loyale Menschen in seiner Umgebung verlassen konnte, d.h. sowohl in seiner eigenen Famile, der domus principis, als auch im weiteren Umfeld der familia Caesaris, die ein sehr weitgespannter Personenkreis war, der durch die Einbeziehung von kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen tausende von Mitgliedern umfasste. Unter schwachen Kaisern entstand an der Spitze ein Machtvakuum, das sofort von anderen Gruppen ausgefüllt wurde, das waren in erster Linie andere Mitglieder der Kaiserfamilie, v.a. auch ehrgeizige Frauen, und fähige Freigelassene, die die Geschicke des Reiches leiteten, ohne dass es zu größeren Verwerfungen kam. Gefährlich wurde es für den Prinzeps immer dann, wenn er seine Nachfolge nicht selbst regelte, sondern einen Kampf um sein Erbe zuließ. Potentielle Kandidaten und ihre Entourage kämpften dann mit allen Mitteln, die bis hin zum Mord in der kaiserlichen Familie und zum Attentat auf den Kaiser selbst reichten. Dass die existentielle Bedrohung des Lebens des Prinzeps meist nicht von den Senatoren, sondern gerade von seinen eigenen Familienmitgliedern ausging, verdeutlicht vielleicht mehr als alles andere die extrem personale Regierungsform des Prinzipats und die wahren Machtverhältnisse. Die Struktur des Prinzipats wurde nicht in Frage gestellt, der Senat erwog weder die Rückkehr zur Republik noch etwaige Reformen. Schlechte Verhältnisse wurden ausschließlich auf die Person des Kaisers selbst zurückgeführt. Besserung versprach nach dieser Auffassung eben nur seine Beseitigung und Ersetzung durch einen geeigneteren Kandidaten. Angesichts dieser stets labilen Verhältnisse erstaunen die Stabilität und Langlebigkeit des Reiches. Erst mit den Reformen Diokletians wurde das Wesen des Prinzipats grundlegend umgestaltet.

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