Die Gefallenenrede des Perikles

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Thukydides
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Thuk. 2.41, 2.43.1-2 – Original:

[1] ‘ξυνελών τε λέγω τήν τε πᾶσαν πόλιν τῆς Ἑλλάδος παίδευσιν εἶναι καὶ καθ᾽ ἕκαστον δοκεῖν ἄν μοι τὸν αὐτὸν ἄνδρα παρ᾽ ἡμῶν ἐπὶ πλεῖστ᾽ ἂν εἴδη καὶ μετὰ χαρίτων μάλιστ᾽ ἂν εὐτραπέλως τὸ σῶμα αὔταρκες παρέχεσθαι. [2] καὶ ὡς οὐ λόγων ἐν τῷ παρόντι κόμπος τάδε μᾶλλον ἢ ἔργων ἐστὶν ἀλήθεια, αὐτὴ ἡ δύναμις τῆς πόλεως, ἣν ἀπὸ τῶνδε τῶν τρόπων ἐκτησάμεθα, σημαίνει. [3] μόνη γὰρ τῶν νῦν ἀκοῆς κρείσσων ἐς πεῖραν ἔρχεται, καὶ μόνη οὔτε τῷ πολεμίῳ ἐπελθόντι ἀγανάκτησιν ἔχει ὑφ᾽ οἵων κακοπαθεῖ οὔτε τῷ ὑπηκόῳ κατάμεμψιν ὡς οὐχ ὑπ᾽ ἀξίων ἄρχεται.[4] μετὰ μεγάλων δὲ σημείων καὶ οὐ δή τοι ἀμάρτυρόν γε τὴν δύναμιν παρασχόμενοι τοῖς τε νῦν καὶ τοῖς ἔπειτα θαυμασθησόμεθα, καὶ οὐδὲν προσδεόμενοι οὔτε Ὁμήρου ἐπαινέτου οὔτε ὅστις ἔπεσι μὲν τὸ αὐτίκα τέρψει, τῶν δ᾽ ἔργων τὴν ὑπόνοιαν ἡ ἀλήθεια βλάψει, ἀλλὰ πᾶσαν μὲν θάλασσαν καὶ γῆν ἐσβατὸν τῇ ἡμετέρᾳ τόλμῃ καταναγκάσαντες γενέσθαι, πανταχοῦ δὲ μνημεῖα κακῶν τε κἀγαθῶν ἀίδια ξυγκατοικίσαντες. [5] περὶ τοιαύτης οὖν πόλεως οἵδε τε γενναίως δικαιοῦντες μὴ ἀφαιρεθῆναι αὐτὴν μαχόμενοι ἐτελεύτησαν, καὶ τῶν λειπομένων πάντα τινὰ εἰκὸς ἐθέλειν ὑπὲρ αὐτῆς κάμνειν. […] [1] καὶ οἵδε μὲν προσηκόντως τῇ πόλει τοιοίδε ἐγένοντο: τοὺς δὲ λοιποὺς χρὴ ἀσφαλεστέραν μὲν εὔχεσθαι, ἀτολμοτέραν δὲ μηδὲν ἀξιοῦν τὴν ἐς τοὺς πολεμίους διάνοιαν ἔχειν, σκοποῦντας μὴ λόγῳ μόνῳ τὴν ὠφελίαν, ἣν ἄν τις πρὸς οὐδὲν χεῖρον αὐτοὺς ὑμᾶς εἰδότας μηκύνοι, λέγων ὅσα ἐν τῷ τοὺς πολεμίους ἀμύνεσθαι ἀγαθὰ ἔνεστιν, ἀλλὰ μᾶλλον τὴν τῆς πόλεως δύναμιν καθ᾽ ἡμέραν ἔργῳ θεωμένους καὶ ἐραστὰς γιγνομένους αὐτῆς, καὶ ὅταν ὑμῖν μεγάλη δόξῃ εἶναι,ἐνθυμουμένους ὅτι τολμῶντες καὶ γιγνώσκοντες τὰ δέοντα καὶ ἐν τοῖς ἔργοις αἰσχυνόμενοι ἄνδρες αὐτὰ ἐκτήσαντο, καὶ ὁπότε καὶ πείρᾳ του σφαλεῖεν, οὐκ οὖν καὶ τὴν πόλιν γε τῆς σφετέρας ἀρετῆς ἀξιοῦντες στερίσκειν, κάλλιστον δὲ ἔρανον αὐτῇ προϊέμενοι. [2] κοινῇ γὰρ τὰ σώματα διδόντες ἰδίᾳ τὸν ἀγήρων ἔπαινον ἐλάμβανον καὶ τὸν τάφον ἐπισημότατον, οὐκ ἐν ᾧ κεῖνται μᾶλλον, ἀλλ᾽ ἐν ᾧ ἡ δόξα αὐτῶν παρὰ τῷ ἐντυχόντι αἰεὶ καὶ λόγου καὶ ἔργου καιρῷ αἰείμνηστος καταλείπεται.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: Richard Crawley
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Thuk. 2.41, 2.43.1-2 – Übersetzung:

[1] In short, I say that as a city we are the school of Hellas; while I doubt if the world can produce a man, who where he has only himself to depend upon, is equal to so many emergencies, and graced by so happy a versatility as the Athenian. [2] And that this is no mere boast thrown out for the occasion, but plain matter of fact, the power of the state acquired by these habits proves. [3] For Athens alone of her contemporaries is found when tested to be greater than her reputation, and alone gives no occasion to her assailants to blush at the antagonist by whom they have been worsted, or to her subjects to question her title by merit to rule. [4] Rather, the admiration of the present and succeeding ages will be ours, since we have not left our power without witness, but have shown it by mighty proofs; and far from needing a Homer for our panegyrist, or other of his craft whose verses might charm for the moment only for the impression which they gave to melt at the touch of fact, we have forced every sea and land to be the highway of our daring, and everywhere, whether for evil or for good, have left imperishable monuments behind us. [5] Such is the Athens for which these men, in the assertion of their resolve not to lose her, nobly fought and died; and well may well every one of their survivors be ready to suffer in her cause. […] [1] So died these men as became Athenians. You, their survivors, must determine to have as unaltering a resolution in the field, though you may pray that it may have a happier issue. And not contented with ideas derived only from words of the advantages which are bound up with the defence of your country, though these would furnish a valuable text to a speaker even before an audience so alive to them as the present, you must yourselves realize the power of Athens, and feed your eyes upon her from day to day, till love of her fills your hearts; and then when all her greatness shall break upon you, you must reflect that it was by courage, sense of duty, and a keen feeling of honor in action that men were enabled to win all this, and that no personal failure in an enterprise could make them consent to deprive their country of their valor, but they laid it at her feet as the most glorious contribution that they could offer. [2] For this offering of their lives made in common by them all they each of them individually received that renown which never grows old, and for a sepulchre, not so much that in which their bones have been deposited, but that noblest of shrines wherein their glory is laid up to be eternally remembered upon every occasion on which deed or story shall fall for its commemoration.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Niklas Rempe
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Thuk. 2.41, 2.43.1-2

Leitfragen:

1) Welche Gründe nennt Perikles für die Vorbildfunktion der Polis Athen?

2) Wie versucht Perikles seine Zuhörer für den andauernden Krieg gegen Sparta zu motivieren?

3) Bewerten Sie das Bild von Athen, welches Perikles nach Thukydides zeichnet.

Kommentar:

Bei der Quellenpassage handelt es sich um einen Ausschnitt aus der Gefallenenrede des Perikles im Jahre 431/430 – gehalten nach dem ersten Jahr des Peloponnesischen Kriegs. Derartige Reden wurden in Athen anlässlich der Bestattung der Kriegstoten jährlich abgehalten, wobei ein prominenter Sprecher die Leichenrede (epitaphios logos) vor den zahlreich anwesenden Athenern hielt. Perikles war im Athen der Zeit der führende Politiker und blieb dies bis zu seinem Tod 429. Thukydides gibt diese Rede nun wieder, wobei sie sicherlich nicht wortwörtlich mit der wirklichen Rede des Perikles übereinstimmt – nichtsdestoweniger wird der Geschichtsschreiber keine großen Änderungen vorgenommen haben, zumal er und seine Leser bei dem Vortrag zugegen waren. Perikles soll Athen nun die „Schule von Hellas“ genannt und einige Argumente für diese Vorbildfunktion der Polis angegeben haben. So sei sie die einzige Stadt, deren Feinde sich nicht schämen würden, von ihr besiegt zu werden. Auch ihre Untertanen (zu denken ist hier wohl an die tributpflichtigen Bundesgenossen Athens), würden sich durch den gerechtfertigten Herrschaftsanspruch mit ihrer Rolle zufrieden geben. Die derzeitige Machtstellung Athens sei zudem deutlich von jedem erkennbar und oftmals bezeugt – Denkmäler für ihre Siege und Taten gebe es genug und so seien Lobeshymnen von Dichtern dafür nicht nötig.

Perikles richtet sich mit seinen Worten an die versammelten Athener, um sie für den andauernden Krieg gegen die Spartaner und deren Bündner einzustimmen. Sie sollen die im ersten Kriegsjahr Gefallenen Athener ehren und sich an ihrem Mut und ihrer Opferbereitschaft ein Beispiel nehmen. Ziel könne es für die Athener zukünftig nur sein, siegreich aus den folgenden Kämpfen hervorzugehen. Dass sie die Verteidigung ihrer Heimat und ihrer Familie damit bewirken und sie dies als Motivation betrachten sollen, hält Perikles für selbstverständlich. Er betont darüber hinaus, dass die Größe und der Ruhm Athens, wie er ihn zuvor darstellte, selbst Anreiz für die Kämpfer sein sollte. Nach Perikles sei den Athenern der Rückblick auf die Taten der Vorfahren sowie ihre politischen, gesellschaftlichen und militärischen Errungenschaften und nicht zuletzt das größte Opfer, welches die Kriegsgefallenen erbrachten, der beste Ansporn.

Das Bild Athens, welches der Geschichtsschreiber Thukydides den Staatsmann Perikles in der Quellenpassage zeichnen lässt, ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Zum einen wird deutlich, wie stolz die Athener der Zeit auf ihre Polis waren – und dies nicht zu Unrecht: Der Einfluss Athens in der griechischen Staatenwelt ist zu dieser Zeit unübertroffen. Sowohl in politischen als z.B. auch in philosophischen Belangen war Athen Vorreiter, und nicht zuletzt bewundern auch noch heutzutage viele Menschen die prachtvollen und monumentalen Bauten in Athen, die zu Perikles‘ Zeit errichtet wurden. Dass sich Perikles‘ Zeitgenossen den Ruhm der Stadt zu Herzen nehmen sollten, ist nachzuvollziehen und auch, dass dieser Ruf sicherlich als Motivation in dem noch mehrere Jahrzehnte langen Kampf mit Sparta diente, erscheint plausibel. Nichtsdestoweniger ist zu betonen, dass Perikles an der einen oder anderen Stelle die Taten und den Einfluss der Athener beschönigt. So ist z. B. anzuführen, wie hart und mit wie viel Zwang die Athener mit ihren Bundesgenossen umgingen und diese sich keineswegs immer mit ihrer unterwürfigen Stellung zufrieden gaben – inbs. nicht in den folgenden weniger erfolgreichen Kriegsjahren. Auch die Einordnung der Gefallenenrede im Gesamtwerk von Thukydides ist interessant, wenn er ihr nur kurz darauf die Beschreibung der verheerenden Seuche in Athen folgen lässt, die den von Perikles noch so hochgelobten Zusammenhalt und die Überlegenheit der athenischen Bürger auf eine harte Probe stellen wird; zumal auch Perikles durch diese Krankheit später den Tod finden würde. Es erscheint fast so, als ob Thukydides mit der Rede den Nimbus Athens noch einmal hochhalten wollte, bevor die Wirren und Gräuel des Peloponnesischen Krieges auch diesen Glanz verblassen ließen.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Der Peloponnesische Krieg“. Um einen breiteren Einblick in die griechische Klassik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte II – Klassik“.
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