Kimon überführt die Gebeinde des Theseus

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Plutarch
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Plut. Kim. 8.3-6 – Original:

[3] ὤικισαν δὲ καὶ Σκῦρον ἑλόντος Κίμωνος ἐξ αἰτίας τοιαύτης. Δόλοπες ᾤκουν τὴν νῆσον, ἐργάται κακοὶ γῆς: ληϊζόμενοι δὲ τὴν θάλασσαν ἐκ παλαιοῦ, τελευτῶντες οὐδὲ τῶν εἰσπλεόντων παρ᾽ αὐτοὺς καὶ χρωμένων ἀπείχοντο ξένων, ἀλλὰ Θετταλούς τινας ἐμπόρους περὶ τὸ Κτήσιον ὁρμισαμένους συλήσαντες εἷρξαν. [4] ἐπεὶ δὲ διαδράντες ἐκ τῶν δεσμῶν οἱ ἄνθρωποι δίκην κατεδικάσαντο τῆς πόλεως Ἀμφικτυονικήν, οὐ βουλομένων τὰ χρήματα τῶν πολλῶν συνεκτίνειν, ἀλλὰ τοὺς ἔχοντας καὶ διηρπακότας ἀποδοῦναι κελευόντων, δείσαντες ἐκεῖνοι πέμπουσι γράμματα πρὸς Κίμωνα, κελεύοντες ἥκειν μετὰ τῶν νεῶν ληψόμενον τὴν πόλιν ὑπ᾽ αὐτῶν ἐνδιδομένην. [5] παραλαβὼν δ᾽ οὕτω τὴν νῆσον ὁ Κίμων τοὺς μὲν Δόλοπας ἐξήλασε καὶ τὸν Αἰγαῖον ἠλευθέρωσε, πυνθανόμενος δὲ τὸν παλαιὸν Θησέα τὸν Αἰγέως φυγόντα μὲν ἐξ Ἀθηνῶν εἰς Σκῦρον, αὐτοῦ δ᾽ ἀποθανόντα δόλῳ διὰ φόβον ὑπὸ Λυκομήδους τοῦ βασιλέως, [6] ἐσπούδασε τὸν τάφον ἀνευρεῖν. καὶ γὰρ ἦν χρησμὸς Ἀθηναίοις τὰ Θησέως λείψανα κελεύων ἀνακομίζειν εἰς ἄστυ καὶ τιμᾶν ὡς ἥρωα πρεπόντως, ἀλλ᾽ ἠγνόουν ὅπου κεῖται, Σκυρίων οὐχ ὁμολογούντων οὐδ᾽ ἐώντων ἀναζητεῖν. τότε δὴ πολλῇ φιλοτιμίᾳ τοῦ σηκοῦ μόγις ἐξευρεθέντος, ἐνθέμενος ὁ Κίμων εἰς τὴν αὑτοῦ τριήρη τὰ ὀστᾶ καὶ τἆλλα κοσμήσας μεγαλοπρεπῶς κατήγαγεν εἰς τὴν αὐτοῦ δι᾽ ἐτῶν σχεδὸν τετρακοσίων. ἐφ᾽ ᾧ καὶ μάλιστα πρὸς αὐτὸν ἡδέως ὁ δῆμος ἔσχεν.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: Bernadotte Perrin
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Übersetzung:

[3] They settled Scyros too, which Cimon seized for the following reason. Dolopians were living on the island, but they were poor tillers of the soil. So they practised piracy on the high sea from of old, and finally did not withhold their hands even from those who put into their ports and had dealings with them, but robbed some Thessalian merchants who had cast anchor at Ctesium, and threw them into prison. [4] When these men had escaped from bondage and won their suit against the city at the Amphictyonic assembly, the people of Scyros were not willing to make restitution, but called on those who actually held the plunder to give it back. The robbers, in terror, sent a letter to Cimon, urging him to come with his fleet to seize the city, and they would give it up to him. [5] In this manner Cimon got possession of the island, drove out the Dolopians and made the Aegean a free sea. On learning that the ancient Theseus, son of Aegeus, had fled in exile from Athens to Scyros, but had been treacherously put to death there, through fear, by Lycomedes the king, Cimon eagerly sought to discover his grave. [6] For the Athenians had once received an oracle bidding them bring back the bones of Theseus to the city and honor him as became a hero, but they knew not where he lay buried, since the Scyrians would not admit the truth of the story, nor permit any search to be made. Now, however, Cimon set to work with great ardour, discovered at last the hallowed spot, had the bones bestowed in his own trireme, and with general pomp and show brought them back to the hero’s own country after an absence of about four hundred years. This was the chief reason why the people took kindly to him.
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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Agnes von der Decken
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Plut. Kim. 8.3-6

Leitfragen:

1) Wovon handelt die Quellenstelle?

2) Welches Interesse hatte Kimon an der Rückführung der Gebeine?

3) Welche Bedeutung hatten die Rückführung der Gebeine für Athen?

Kommentar:

Die vorliegende Quellenstelle ist ein Auszug aus der Kimon-Vita des Plutarch (um 50 bis 120 n. Chr.). Plutarch schildert hier die Überführung der „Gebeine“ des Theseus, des mythischen Königs und Staatsheros der Athener, von der Insel Skyros nach Athen durch den athenischen Politiker Kimon. In der Quelle heißt es, dass die Doloper, die die Insel Sykros bewohnten, das Land schlecht bewirtschafteten und Seeräuberei betrieben. Zudem überfielen sie thrakische Kaufleute und nahmen sie gefangen. Als diese aus der Haft entkamen, erwirkten sie beim Gericht der Amphiktyonie (Staatenbund zur Verwaltung eines Heiligtums) ein Urteil gegen die Doloper. Einige auf Sykros lebende Doloper, die sich nicht schuldig fühlten, wollten sich dem Amphiktyonen-Spruch jedoch nicht beugen und riefen deswegen den Athener Kimon um Hilfe, damit das Urteil gegen sie nicht umgesetzt werde. Kimon hat daraufhin die Insel eingenommen, die Doloper vertrieben und die Ägäis von der Seeräuberei befreit. Während der Eroberung der Insel erfuhr Kimon, dass dort der alte König Theseus getötet worden sei und suchte deswegen nach dessen Grab. Denn ein Orakel hatte den Athenern aufgetragen, die Gebeine des Theseus nach Athen zu holen. Daraufhin suchten und fanden die Athener das Grab und Kimon ließ die Gebeine auf seine Triere bringen, die prunkvoll geschmückt war. So führte er die Gebeine des Theseus nach 400 Jahren wieder nach Athen und wurde dafür von den Bürgern Athens verehrt.

Dass der Athener Kimon die Gebeine des Theseus, wahrscheinlich um 476/5 v. Chr., in einem Triumphzug nach Athen überführte, wird in der Forschung als historisch anerkannt. Kimon, Sohn des Marathonsiegers Miltiades und führender Mann des altehrwürdigen Geschlechts der Philaiden, war zu dem Zeitpunkt der Überführung der Gebeine des Theseus einer der herausragendsten Köpfe der athenischen Politik. Die Eroberung der im ägäischen Meer gelegenen Insel Skyros durch diesen steht dabei sehr wahrscheinlich im Zusammenhang mit den frühen Aktivitäten des 478/7 v. Chr. gegründeten delisch-attischen Seebundes, an dessen Gründung Kimon entscheidend beteiligt war. Kimon erlangte durch die Eroberung von Skyros nicht nur einen Erfolg als Heerführer, sondern konnte sich auch als Politiker etablieren, indem er im Anschluss an den kriegerischen Akt der Einnahme der Insel die Heimführung der Gebeine des Theseus initiierte. Kimon konnte seinem Profil dadurch einen deutlichen religionspolitischen Akzent hinzufügen. Die Eroberung, das Auffinden des vermeintlichen Grabes sowie die Rückführung der Gebeine bedeutete für Kimon einen Zugewinn an Ansehen und Einfluss für sich und sein Geschlecht. Mit der berühmten Überführung gelang es Kimon somit, das Idealbild eines Atheners zu verkörpern, der Tatkraft und Tugend auf sich vereinte, eine Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen konnte.

Die Eroberung der Insel Skyros diente dem Aufbau und der Konsolidierung des noch jungen delisch-attischen Seebundes und der Stellung Athens innerhalb dieses Verbundes. Die anschließende Überführung der Gebeine des Theseus hatte hingegen eine andere, nämlich besonders symbolische Bedeutung. Theseus galt den Athenern als Stammesheros und die Rückführung seiner Gebeine nach Athen daher als große Heimkehr des Nationalhelden. In Athen selbst errichtete man dem Heros daraufhin eine Gedenkstätte, das Theseion. Das Theseion wurde dabei mit bedeutenden Sagenszenen aus dem Leben des Theseus geschmückt, wie etwa seinen Kämpfen gegen die Amazonen oder Kentauren. Diese Erinnerungen an die Taten des Theseus versinnbildlichten auf symbolische Weise den erfolgreichen Widerstand gegen fremde Invasoren und stellten damit gleichzeitig eine Verbindung zu den jüngst siegreich gefochtenen Schlachten der Athener gegen die Perser her. Die Perserkriege wurden auf diese Weise mythologisiert und erhöht. Durch die Rückführung der Gebeine des Theseus konnten die Athener somit einen Zusammenhang zwischen den heroischen und historischen Taten herstellen und damit gleichsam ihren Führungsanspruch im Ägäisraum begründen. Nicht unerwähnt sollte darüber hinaus bleiben, dass Kimon durch die Rückführung der Gebeine des Theseus zu einer Überhöhung der eigenen Familiengeschichte beitrug, da das kimonische Geschlecht der Philaiden sich damit rühmte, von Theseus abzustammen.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Die Kleisthenischen Reformen / Die athenische Außenpolitik des 5. Jahrhunderts“. Um einen breiteren Einblick in die Klassik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte II – Klassik“.
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Sehen Sie auch den Beitrag zu Athen und der Delisch-Attische Seebund.