Severin und Odoaker

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Eugippius
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Vita sancti severini 32 – Original:

Isdem temporibus Odovacar rex sancto Severino familiares litteras dirigens, si qua speranda duceret, dabat suppliciter optionem, memor illius praesagii, quo eum quondam expresserat regnaturum. Tantis itaque sanctus eius alloquiis invitatus, Ambrosium quemdam exulantem rogat absolvi. Cuius Odovacar gratulabundus paruit imperatis. Quodam etiam tempore, dum memoratum regem multi nobiles coram sancto viro humana, ut fieri solet, adulatione laudarent, interrogat, quem regem tantis praeconiis praetulissent. Respondentibus, „Odovacarem“, „Odovacar -inquit- integerinter tredecim et quattuordecim“ annos videlicet integri eius regni significans: et his dictis adiecit citius illos, quod ipse praedixerat, probaturos.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: Roger Pearse
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Übersetzung:

At about the same time King Odoacer addressed a friendly letter to Saint Severinus, and, mindful of that prophecy, by which of yore he had foretold that |87 he should become king, entreated him to choose whatsoever gift he might desire. In response to this august invitation, the saint asked that one Ambrose, who was living in exile, be pardoned. Odoacer joyfully obeyed his command.
Also, once when in the saint’s presence many nobles were praising Odoacer with the adulation usual among men, Severinus asked on what king they were conferring such great commendations. They replied, „Odoacer.“ „Odoacer,“ he said, „safe between thirteen and fourteen“; meaning of course the years of his unchallenged sovereignty: and he added that they should live to see the speedy fulfillment of his prophecy.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Nathalie Klinck
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Vita sancti severini 32

Leitfragen:

1) Welche Rolle spielt Severin?

2) Wie wird Odoaker beschrieben?

3) Welche Rolle spielt die Prophezeiung?

Kommentar:

Der Quellenausschnitt ist Teil der Bischofsvita des Heiligen Severin von Noricum, die von einem gewissen Eugippius (465-533 n. Chr.) verfasst worden ist. Die Vita Sancti Severini deckte in etwa einen Zeitraum vom Tode Attilas (453 n. Chr.) bis zum Tode Severins (482 n. Chr.) ab. Auch diese hagiographische Schrift wurde mit der Intention verfasst, das Leben und die beschriebenen Wundertaten des Heiligen zu überhöhen und damit als motivierendes Beispiel für die Gemeinde zu dienen.

Die um 511 n. Chr. verfasste Vita ist die Hauptquelle über das Leben des Heiligen. Severin selbst war ein spätantiker Heiliger und Missionar. Eine Zeit lang lebte er als Einsiedler und Mönch in der Wüste. Erst nach dem Tod des Hunnenkönigs Attila und in einer politisch schwierigen Situation begab er sich nach Ufernoricum, einer Provinz nördlich der Alpen. Der Mönch unterstützte die lokale Bevölkerung und versuchte diese vor den zunehmenden Überfällen der Germanen zu schützen und setzte sich auch sonst als Fürsprecher für sie ein. Allerdings hatte er wohl zu diesem Zeitpunkt kein offizielles Amt inne, sondern lebte als Anachoret, mehr oder weniger unabhängig vom öffentlichen Leben.

Der Ausschnitt beschreibt eine Szene zwischen dem weströmischen Offizier Odoaker (ca. 433-493 n. Chr.) und dem Heiligen Severin. Odoaker hatte bereits in seiner Jugend eine Prophezeiung von Severin erhalten, die besagte, dass er eines Tages König werden würde. Nachdem Odoaker tatsächlich nach der Absetzung von Romulus Augustulus 476 n. Chr. den barbarischen Titel rex Italiae annahm und sich als König von Rom bezeichnen konnte, wollte er sich bei Severin noch einmal für die Prophezeiung bedanken. Im Gegenzug forderte Severin einen Gefallen ein und bat den König darum, dass er einen gewissen Ambrosius – welcher nicht identisch mit Ambrosius von Mailand ist – begnadigen und ihn aus seiner Verbannung zurückzuholen sollte. Odoaker gestattete ihm diese Bitte und wurde darauf von der Bevölkerung für seine Milde gepriesen. Severin verweist allerdings auch auf die Fehlbarkeit Odoakers und sollte damit schließlich auch Recht behalten, denn der König wurde 493 n. Chr. in einem Kampf um die Macht von dem Ostgotenkönig Theoderich getötet. Besonders deutlich wird in dieser Szene zum einen der faktische Untergang des Weströmischen Reiches, welches nun unter der Herrschaft eines „barbarischen“ Königs stand, zum anderen nimmt der Heilige hier eine allen anderen übergeordnete Rolle ein; er wusste und weiß um das Schicksal des Königs und ist in der Lage, vor diesem wie vor anderen Herrschern Fürsprache für seine Gemeinde und seine Freunde vorzutragen.

Nach dem Tod Severins wurden die Gebeine des Heiligen zuerst in seinem Kloster beigesetzt und später im Rahmen einer Zwangsumsiedlung der Provinzialbevölkerung nach Italien gebracht. Im Auftrag von Odoaker 488 n. Chr. wurde der von Severin gegründete Konvent – mitsamt den Gebeinen des Heiligen – nach Italien übersetzt und in Neapel erneut beigesetzt. Seit 1807 liegen die Gebeine Severins in der Pfarrkirche von Frattamaggiore, ebenfalls in Neapel.

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Podcast-Hinweise
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