Kolonisation und Seeräubertum

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Thukydides
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Thuk. 1.7-8.2 – Original:

[1] τῶν δὲ πόλεων ὅσαι μὲν νεώτατα ᾠκίσθησαν καὶ ἤδη πλωιμωτέρων ὄντων, περιουσίας μᾶλλον ἔχουσαι χρημάτων ἐπ᾽ αὐτοῖς τοῖς αἰγιαλοῖς τείχεσιν ἐκτίζοντο καὶ τοὺς ἰσθμοὺς ἀπελάμβανον ἐμπορίας τε ἕνεκα καὶ τῆς πρὸς τοὺς προσοίκους ἕκαστοι ἰσχύος: αἱ δὲ παλαιαὶ διὰ τὴν λῃστείαν ἐπὶ πολὺ ἀντίσχουσαν ἀπὸ θαλάσσης μᾶλλον ᾠκίσθησαν, αἵ τε ἐν ταῖς νήσοις καὶ ἐν ταῖς ἠπείροις ἔφερον γὰρ ἀλλήλους τε καὶ τῶν ἄλλων ὅσοι ὄντες οὐ θαλάσσιοι κάτω ᾤκουν, καὶ μέχρι τοῦδε ἔτι ἀνῳκισμένοι εἰσίν. [1] καὶ οὐχ ἧσσον λῃσταὶ ἦσαν οἱ νησιῶται, Κᾶρές τε ὄντες καὶ Φοίνικες: οὗτοι γὰρ δὴ τὰς πλείστας τῶν νήσων ᾤκησαν. μαρτύριον δέ: Δήλου γὰρ καθαιρομένης ὑπὸ Ἀθηναίων ἐν τῷδε τῷ πολέμῳ καὶ τῶν θηκῶν ἀναιρεθεισῶν ὅσαι ἦσαν τῶν τεθνεώτων ἐν τῇ νήσῳ, ὑπὲρ ἥμισυ Κᾶρες ἐφάνησαν, γνωσθέντες τῇ τε σκευῇ τῶν ὅπλων ξυντεθαμμένῃ καὶ τῷ τρόπῳ ᾧ νῦν ἔτι θάπτουσιν. [2] καταστάντος δὲ τοῦ Μίνω ναυτικοῦ πλωιμώτερα ἐγένετο παρ᾽ ἀλλήλους οἱ γὰρ ἐκ τῶν νήσων κακοῦργοι ἀνέστησαν ὑπ᾽ αὐτοῦ, ὅτεπερ καὶ τὰς πολλὰς αὐτῶν κατῴκιζε,

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung:: Richard Crawley
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

[1] With respect to their towns, later on, at an era of increased facilities of navigation and a greater supply of capital, we find the shores becoming the site of walled towns, and the isthmuses being occupied for the purposes of commerce, and defence against a neighbor. But the old towns, on account of the great prevalence of piracy, were built away from the sea, whether on the islands or the continent, and still remain in their old sites. For the pirates used to plunder one another, and indeed all coast populations, whether seafaring or not. [1] The islanders, too, were great pirates. These islanders were Carians and Phoenicians, by whom most of the islands were colonized, as was proved by the following fact. During the purification of Delos by Athens in this war all the graves in the island were taken up, and it was found that above half their inmates were Carians: they were identified by the fashion of the arms buried with them, and by the method of interment, which was the same as the Carians still follow. [2] But as soon as Minos had formed his navy, communication by sea became easier, as he colonized most of the islands, and thus expelled the malefactors.
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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Niklas Rempe
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Thuk. 1.7-8.2

Leitfragen:

1) Beschreiben Sie die Veränderungen im Kolonisationsverhalten, die sich mit der Zeit ergaben.

2) Welche Gefahr gab es für die frühen Kolonien und wie wurde sie beseitigt?

3) Was lässt sich aus der Quelle über die Voraussetzungen der Kolonisation im Mittelmeerraum herausfinden?

Kommentar:

Thukydides beginnt sein Werk über den Peloponnesichen Krieg mit einigen einleitenden Überlegungen über die frühe griechische Geschichte. Unter anderem gibt er seine Meinung über die erste Besiedlung und Kolonisation des Mittelmeerraumes wieder. Nach Thukydides sei das Gründen von Kolonien und Befestigungen an der Küste eine relativ neue Entwicklung. Ursprünglich habe man sich eher im Landesinneren angesiedelt. Dies sei aus Schutz vor den Seeräubern geschehen, welche die Regionen an der Küste zu unsicher gemacht hätten. Neuerdings könne man dieser Gefahren allerdings durch eigene Flotten und andere Ressourcen begegnen und hätte sich somit auch die Küstenregion zur Besiedlung erschlossen (zu denken ist an Poleis wie Syrakus und Milet). Insbesondere Engpässe und Landengen wurden so durch ihre strategische Position zu begehrten Siedlungsplätzen. Gleiches gilt nach Thukydides für die vielen Inseln im Ägäischen Meer, deren ursprünglichen Bewohner – Phönizier und Karer – zuvor vertrieben wurden.

Nach Thukydides geht die größte Gefahr für die frühen Kolonien von Seeräubern aus. Hier ist allerdings nicht an einzelne Schiffe und Mannschaften zu denken, die allein auf Plünderung und Raub aus waren. Eher sollte man sich sowohl kleinere Flotten, die von den jeweiligen mächtigeren Siedlungen gegeneinander ausgeschickt wurden, vorstellen als auch Handelsschiffe, die bei schlechtem Ertrag nicht davor zurückschreckten, sich die Ware gewaltsam zu nehmen. Thukydides betont, dass derartiges Verhalten insbesondere bei den Völkern des östlichen Mittelmeerraumes (Karer und Phönizier), die zu der Zeit viele der Inseln bewohnten, der Fall gewesen sei. Erst Minos – der mythische König von Kreta – soll diese Gefahr gebannt bzw. gemindert haben. Er konnte erstmals genügend militärische Mittel – das heißt in diesem Fall eine große Flotte – bereitstellen, um sich den Seeräubern entgegenzustellen. Dadurch wurde der Seeverkehr friedlicher und reger, was wiederum neue Handelswege und Einnahmequellen zur Folge hatte. Dass Minos nach Thukydides zudem die Phönizier und Karer als einen Unruheherd von den Inseln vertrieb, beförderte dann schlussendlich deren Kolonisation durch Griechen.

Thukydides beschreibt hier zu seiner Zeit (5 Jh. v. Chr.) schon lange zurückliegende Ereignisse. Nichtsdestoweniger gibt die Passage einen guten Einblick in die Kolonisationsbewegungen der griechischen Welt. Zum einen hebt Thukydides die unterschiedlichen Begebenheiten und Möglichkeiten, was die Lage der Kolonie angeht, hervor. Im Landesinneren gelegene Orte seien zwar vor den gefährlichen Seeräubern geschützt gewesen, hätten allerdings selber auch nicht die so lukrative Seefahrerei betreiben können. Die Völker, die vor den Griechen den Mittelmeerraum bewohnten, hätten durch ihre schon bestehenden Siedlungen auf den Mittelmeerinseln eine Bremse in der griechischen Ausbreitung dargestellt. Ob es wirklich der sagenhafte König Minos auf Kreta war, der sowohl Phönizier und Karer vertrieb als auch die anderen Bedrohungen für neue Siedlungen im Mittelmeerraum beseitigte, ist sicherlich fraglich. Dennoch ist es plausibel, dass derartige Gefahren für die frühen Kolonisten in irgend einer Form behoben werden mussten – oder die Risiken wurden irgendwann durch das wirtschaftliche Potenzial in Kauf genommen; zumal jenes Potenzial enorm war. Thukydides der zu seiner Lebenszeit mit dem Delisch-Attischen Seebund ein Paradebeispiel dafür vor Augen hatte, wusste um den Reichtum und damit um den Machtzuwachs, den eine starke Präsenz in der Ägäis erlangen konnte.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Die große Kolonisation / Der Orient“. Um einen breiteren Einblick in die griechische Archaik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte I – Archaik“.
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