Die Senatoren II

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Sextus Aurelius Victor
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Aur. Vict. Caes. 37, 5-7 – Original

[5] Abhinc militaris potentia convaluit ac senatui imperium creandique ius principis ereptum ad nostram memoriam, incertum, an ipso cupiente per desidiam an metu seu dissensionum odio.

[6] Quippe amissa Gallieni edicto refici militia potuit concedentibus modeste legionibus Tacito regnante, neque Florianus temere invasisset, aut iudicio manipularium cuiquam, bono licet, imperium daretur amplissimo ac tanto ordine in castris degente.

[7] Verum dum oblectantur otio simulque divitiis pavent, quarum usum affluentiamque aeternitate maius putant, munivere militaribus et paene barbaris viam in se ac posteros dominandi.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: A. Forbiger
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Übersetzung

[5] Von da an erstarkte die Macht des Kriegerstandes und dem Senate blieb das Regiment und das Recht den Kaiser zu wählen bis auf unsre Zeit entrissen, wobei es ungewiß ist, ob nach eigenem Wunsche desselben in Folge träger Schlaffheit, oder aus Furcht und Abscheu vor inneren Zwistigkeiten.

[6] Denn nach Aufhebung des Gallienischen Edicts hatte das Heerwesen wieder besser organisiert werden können, da die Soldaten, so lange Tacitus regierte, bescheiden nachgaben, und es würde weder Florianus ohne Berechtigung die Regierung an sich gerissen haben, noch würde dieselbe irgend einem, wenn auch braven Manne [blos] durch den Ausspruch der Legionen zuerkannt worden sein, wenn ein so angesehener und hoher Stand im Lager sich befunden hätte.

[7] Doch während sie sich träger Ruhe erfreuen und zugleich für ihren Reichthum zittern, dessen Genuß und Aufhäufung sie höher achten als Unsterblichkeit, haben sie Kriegsmännern und beinahe Barbaren den Weg zur Herrschaft über sich selbst und ihre Nachkommen gebahnt.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Heidi Heil
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Aur. Vict. Caes. 37, 5-7

Leitfragen:

1) Wie beschreibt Aurelius Victor den Senatorenstand?

2) Für welche Entscheidung macht er die Senatoren verantwortlich?

3) Aus welcher Sicht schreibt der Autor?

Kommentar:

Sextus Aurelius Victor (* um 320, † um 390 n. Chr.) entstammte einfachen Verhältnissen in Nordafrika und schaffte es dank einer guten Ausbildung gesellschaftlich aufzusteigen. Unter Kaiser Julian wurde er 361 n. Chr. Statthalter der Provinz Pannonia Secunda, um 389 n.  Chr. war er praefectus urbi (Stadtpräfekt) von Rom. Er erreichte damit den zweithöchsten zivilen Rang im Reich, der nur noch von der Reichspräfektur übertroffen wurde.

Um 360 n. Chr. verfasste er seine biographisch angelegten Historiae Abbreviatae, Liber de Caesaribus/Caesares genannt. In dieser knappen römischen Kaisergeschichte, von Augustus bis Constantius II., bot er erstmals die Einteilung in Claudische und Flavische Dynastie, Adoptiv- und Soldatenkaiser.

Der vorliegende Quellenausschnitt stammt aus Victors Textabschnitt zu Probus (276-282 n. Chr.), einem Soldatenkaiser illyrischer Herkunft. Nachdem dieser von seinen eigenen Männern umgebracht worden war, stieg, laut Victor, die Macht des Militärs und die Senatoren verloren die Herrschaft über den Staat. Dies passierte entweder, weil die Senatoren zu träge waren oder sich vor inneren Konflikten fürchteten. Victor gibt an, dass es den Senatoren durchaus möglich gewesen wäre, das Militär zu kontrollieren und Legionskommandos zu führen, nachdem das Edikt des Gallienus, das Senatoren die hohen Militärposten verschlossen hatte, aufgehoben worden war.  Dadurch hätte auch verhindert werden können, dass die Legionen eigenmächtig Kaiser ausriefen, wie z.B. Florianus (276 n. Chr.). Da die Senatoren aber ein träges Leben und die Anhäufung von Besitz dem Dienst am Staat vorzogen, regierten von dieser Zeit an Militärs und beinahe auch Barbaren.

Victor reflektiert hier die Verhältnisse seiner Zeit und verortet den Auslöser dafür im 3. Jahrhundert. Er beschreibt die Senatoren als schwach und nur an Reichtum, statt an Ruhm und Staatsdienst interessiert. Dabei muss man sich fragen, inwieweit sie überhaupt die Möglichkeit hatten, an der Reichspolitik teilzuhaben. Schon seit Augustus hatte der Senat seine Leitfunktion verloren. Es kam immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Senatoren und Kaisern. Die Macht der Kaiser stützte sich dabei auf das Militär, das durch eine zunehmende „Barbarisierung“ innerlich vom Senat abrückte. In der sogenannten Reichskrise des 3. Jahrhunderts wurde es nötig, hohe Militärkommandos nicht mehr nach Rang, sondern Eignung zu besetzen, was den Aufstieg der MIlitärs begünstigte. Gallienus‘ (253-268 n. Chr.) Ausschluss der Senatoren von hohen Militärposten war nur einer der ersten Höhepunkte einer Entwicklung, die von Diocletian (284-305 n. Chr.) und Constantin (324-337 n. Chr.) abgeschlossen wurde. Die Trennung in Militär- und Zivilverwaltung machte die Senatoren dann wieder als höhere Beamte einsetzbar, im 4. Jahrhundert stellten sie meistens den Stadtpräfekten von Rom. Die Funktion des Senates hatte sich jedoch auf eine symbolische und kulturelle Komponente reduziert, beispielhaft dafür ist der Symmachus-Kreis, der die klassische lateinische Literatur sammelte und neu herausgab. Wie die Stadt Rom, die seit Diokletian keine Residenzstadt mehr war, repräsentierte der Senat immer noch alte Werte, Größe und Traditionen – bis zum Ende des 4. Jahrhunderts waren die meisten Senatoren noch Anhänger der heidnischen Religion – aber in der Reichspolitik hatte er kein Mitspracherecht mehr, im 6. Jahrhundert verschwand er sogar vollständig.

Zur Zeit von Aurelius Victor waren die wichtigsten Aufgaben zum Eintritt in die Curie das Ausrichten von Spielen und das Spenden von Getreide für die stadtrömische Bevölkerung. Auch die weiteren Ämter der senatorischen Laufbahn, wie die Prätur, hatten meist nur zeremoniellen Charakter und waren vor allem mit finanziellem Aufwand verbunden. Es verwundert also nicht, dass sich die Senatoren große Gedanken um ihr Vermögen und den Erhalt oder die Vermehrung desselben machten bzw. machen mussten.

Gleichzeitig mit dem Verlust der Kontrolle über den Staat aus eigenem Verschulden, macht Victor die Senatoren damit auch für den Aufstieg der Militärs und Barbaren verantwortlich. Da das Heer vergrößert werden musste, um den militärischen Herausforderungen genügen zu können, mussten bei der Rekrutierung auch immer mehr Barbaren berücksichtigt werden. Dies war zwar keine neue Praxis, aber die Anzahl der barbarischen Rekruten wurde so hoch, dass das Heer sie nicht mehr romanisierte, sondern sie das Heer eher barbarisierten. Die Römer hatten immer weniger Lust, selbst in die Legionen einzutreten und bezahlten stattdessen das aurum tironicum (Wehrersatzsteuer). Da die Senatoren nicht mehr in das Militär eingebunden waren, bildete sich hier, neben der Zivilaristokratie, eine Militäraristokratie mit teilweise barbarischen Wurzeln heraus, die so wichtig für das Reich wurde, dass sich das Kaiserhaus mit ihnen verschwägerte, wie zum Beispiel mit Stilicho, der vandalischer Herkunft war. Er heiratete eine Nichte Theodosius‘ I. und verheiratete seine Töchter wiederum mit dessen Sohn Honorius.

Interessant ist hier die Kritik, die Aurelius Victor mit seiner Beschreibung der Senatoren übt, obwohl er diesem Stand angehörte und Heide war. Sein Vater war zwar wahrscheinlich ein Bauer gewesen, aber er selbst hatte sich nach oben gearbeitet und musste spätestens seit seiner Statthalterschaft 361 n. Chr. dem Senatorenstand angehört haben. Da er jedoch nicht in diesen Stand hineingeboren worden war, sondern eher nominell, aus Gründen des Ranges und aufgrund eigener Verdienste, in ihn erhoben wurde, bietet er in seinem Werk quasi eine Außensicht, die (möglicherweise enttäuschte?) Sicht eines Aufsteigers auf ein traditionsreiches Organ der römischen Gesellschaft, das seine einstige Größe und Macht verloren hatte.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Die Gesellschaft in der Spätantike“. Um einen breiteren Einblick in die Spätantike zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Römische Geschichte III – Spätantike“.
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Siehe zur Entwicklung des Senats auch den Podcast „Die Gesellschaft der Kaiserzeit“ und zum Senat in der Spätantike auch die 7. Rede von Symmachus.