01 – Das frühe Rom und die Etrusker

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in:
Werner Rieß
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CC-BY-NC-SA

Römische Geschichte I: Die Republik

01 – Das frühe Rom und die Etrusker

Die Geschichte des frühen Roms ist ohne die Etrusker nicht zu verstehen, denn die Stadtwerdung Roms vollzieht sich ganz innerhalb der etruskischen Kultur. Wir werden uns deshalb im heutigen Podcast ein wenig mit diesem in vielerlei Hinsicht immer noch rätselhaften Volk beschäftigen, um die Grundlagen für die Beschäftigung mit der frühen Geschichte Roms zu schaffen. Die Etrusker sind ein vor-indoeuropäisches Volk, weswegen wir von ihrer Sprache nur wenig verstehen. Andere vorindogermanische Gruppen auf der Apenninenhalbinsel waren die Ligurer im Norden und die Sikaner auf Sizilien, ebenso die Terramare Kultur in Norditalien, die wir etwa von 1600 bis 1200 greifen können.
Ab 1000 werden für uns indoeuropäische Gruppen greifbar, deren Wanderzüge in der Forschung hoch umstritten sind. Anhand ihrer Sprache unterscheidet man drei Großgruppen, die latino-faliskische, die am Unterlauf des Tiber siedelte, die umbrisch-sabellische bzw. oskisch-umbrische Gruppe, zu denen auch die Samniten gehören sollten, in den Bergen sowie die Illyrer entlang der Adria. Während im Süden der italischen Halbinsel ab dem 8. Jh. Griechen in Folge der Großen griechischen Kolonisation siedelten, greifen wir die Etrusker ab dem 7. Jh. zwischen Arno und Po. In einem letzten Einwanderungsschub kamen die Kelten, die sich an der Wende vom 5. zum 4. Jh. in Norditalien ansiedelten.
Obwohl nun die Etrusker vorindoeuropäischen Ursprungs sind, ist ihre Herkunft noch immer ungeklärt. Es ist nämlich ganz und gar nicht klar, ob sie tatsächlich autochthon, also einheimisch in Italien sind. Befürworter dieser These sehen eine Kontinuität von der Villanova Kultur (12.-7. Jh. v. Chr.) zu den Etruskern, insbesondere was die Bestattung anbelangt. Eine andere These geht von einer Einwanderung aus dem Osten aus, eine Theorie, die sich auf Herodot stützt, der die Herkunft der Etrusker in Lydien sieht. Ihr plötzliches Auftreten in Italien, ihre Siedlungsweise in Städten sowie die Verwendung der Mantik, Techniken der Zukunftsschau, sprechen für diese herodoteische These. Eine dritte Theorie bildet sozusagen einen Kompromiss aus den beiden vorhergehenden: Die Etrusker seien in einer Ethnogenese entstanden. Zugezogene aus dem Osten hätten sich mit einem einheimischen Substrat verbunden und etwas Neues hervorgebracht. Die Etrusker sind fähige Leute, sehr aktiv im Erzbergbau, aber auch im Handwerk und im Handel, selbstverständlich treiben sie auch Piraterie. Ihre Kultur ist sehr expressiv und griechenabhängig. Oft kann man bei den wunderbaren Vasenmalereien und den Fresken in den Tumuli-Gräbern nicht sagen, ob etruskische oder griechische Meister am Werk waren.
Schon bald expandieren die Etrusker nach Norden in die oberitalische Tiefebene hinein und nach Süden, ins spätere Latium und Kampanien, was natürlich zu Auseinandersetzungen mit den dort ansässigen Griechen führte. Sinnvollerweise verbündeten sich die Etrusker mit den Karthagern und konnten daher die griechischen Phokäer in der Seeschlacht von Alalia vor der Ostküste Korsikas besiegen (um 540 v. Chr.). Offenbar planten die Etrusker, die Griechen ganz aus Kampanien zu vertreiben, was allerdings nicht gelingen sollte. Gegen Kyme erlitten die Etrusker 474 eine so schwere Niederlage, dass eine Art Machtvakuum in Mittelitalien entstand, von dem die Osker im Binnenland und die Latiner am Unterlauf des Tiber profitierten. Die Etrusker verloren allmählich ihre Vormachtstellung in Kampanien und Latium und damit auch ihre Dominanz über die latinischen Ansiedlungen im späteren Rom.
Der dortige etruskische König wurde entweder gestürzt, was die Sage von Tarquinius Superbus bewahrt hat, oder aber langsam entmachtet. Der einheimische Adel übernahm die Herrschaft, und damit sind wir auch schon mittendrin in der römischen Frühgeschichte, die wir nun nicht mythologisch, sondern auf der Basis der archäologischen Befunde nachskizzieren wollen.
Nach wie vor ist es umstritten, ob die Dörfer auf den Hügeln allmählich zusammenwuchsen oder sich in einem Synoikismos vereinten, also in einem formellen Gründungsakt. Klar ist jedoch, dass sich aufgrund der günstigen geopolitischen Lage Menschen ab dem 13. Jh., also in der mittleren Bronzezeit, an den Aventin-Höhlen und an der Tiberfurt ansiedelten. Der Übergang wurde noch zusätzlich durch die Tiberinsel erleichtert, ideale Bedingungen also für die Salzstraße von Etrurien nach Kampanien. Die frühesten Funde stammen vom Forum Boarium, unter der Kirche S. Omobono und vom Südhang des Kapitols. Im 10. Jh. sind wir am Ende der Bronzezeit; eine Siedlung am Forum Romanum ist greifbar. Wir sehen dort Urnen-, aber auch Körperbestattung. In der Eisenzeit, ab dem 9. Jh., sind der Palatin und der Quirinal besiedelt, ab dem 8. Jh. der Esquilin, es gibt nun auch einen Hafen an der Tiberfurt. Im 6. Jh. ist Rom eindeutig eine wohlgeordnete Stadt etruskischen Zuschnitts. Die Siedlungen auf den Hügeln sind nun vereint.
Lange Zeit ging man davon aus, dass zwei Kulturkreise in Rom zusammenwuchsen, zum einen wegen des Doppelcharakters mancher archaischer religiöser Institutionen, wie die der Priesterschaften der Salii Palatini und der Salii Collini, zum anderen schienen archäologische Befunde diese distinkten Kulturkreise zu bestätigen: Man fand Brandgräberleute auf dem Palatin und dem Caelius, die man für Latiner hielt, und Bestattungsgräberleute auf dem Esquilin, dem Quirinal und dem Viminal, die als Osker, Sabeller und Sabiner firmierten. Neuere Forschungen liefern jedoch ein differenziertes und komplizierteres Bild und brachten diese alte These zum Einsturz.
Klar ist jedoch, welche Gruppen auch immer in Rom siedelten, dass sie stark von der etruskischen Kultur beeinflusst waren. Die Stadtwerdung selbst ist ohne die Etrusker nicht denkbar, die spätestens seit dem 7. Jh. urbane Strukturen kannten. Die Etrusker brachten den Römern die Schrift, wohl nicht die Griechen direkt, d.h. die Etrusker dienten auch hier als Transmissionsriemen für die Weitergabe griechischer Kulturtechniken an die Römer. Das dreigliedrige römische Namenssystem (praenomen, nomen gentile, cognomen) geht auf die etruskische Nomenklatur zurück. Die Herrschaftsinsignien der römischen Magistrate, wie Purpurtoga, Purpurmantel, Schnabelschuhe, goldener Kranz, sella curulis (Elfenbeinsessel) sowie die Liktoren mit ihren fasces (Rutenbündel) sind etruskischer Herkunft. Die Gladiatorenkämpfe stammen aus etruskischen Begräbnisritualen. Die Etrusker waren Meister der Mantik, d.h. der Zeichendeutung zum Zweck der Weissagung. Kern der disciplina etrusca war die Eingeweide- v.a. die Leberschau. Diese Spezialisten waren die haruspices. Andere Deuter widmeten sich der Deutung des Vogelflugs, dem auspicium. Auch aus Blitz und Donner meinte man, Aussagen über die Zukunft herleiten zu können(ars fulguratoria).
Auch in den Institutionen lehnen sich die Römer an etruskische Strukturen an: Die gentilizische Kurieneinteilung, die vorerst gentilizische Einteilung in drei Tribus, die die etruskischen Namen Tities, Ramnes und Luceres tragen. Der Senat und das Wahlkönigtum waren schon etruskische Verfassungseinrichtungen.
Wichtige Maßnahmen der Frühzeit schreiben sogar die späteren römischen Historiker legendären etruskischen Königen zu. So habe Tarquinius Priscus das Pomerium, d.h. die heilige Grenze um Rom gezogen. Er habe zusätzlich zu den gentilizischen Kurien vier lokale Tribus eingerichtet, die Suburana oder Sucusana, die Esquilina, sowie die Collina und Palatina. Auf diesen lokalen Tribus, die vermehrt werden, wird später ein Teil des römischen Wahlsystems aufbauen. Priscus soll außerdem einen Abwasserkanal, also eine cloaca gebaut und den Bau der Regia/Curia begonnen haben. Sein Nachfolger Servius Tullius soll die sogenannte servianische Mauer gebaut haben, eine Stadtmauer, die Archäologen heute ins frühe vierte vorchristliche Jahrhundert datieren. Interessant ist aber, dass die späteren römischen Historiographen diese Stadtmauer als urbanes Symbol einem legendären Etruskerkönig attribuierten. Der Sage nach soll er auch eine Schatzung der Bürger durchgeführt und die Zenturiatskomitien eingeführt haben, die man wohl eher in das Zeitalter der Ständekämpfe datiert. Vielleicht hat er und nicht schon Tarquinius Priscus die Regioneneinteilung der Tribus aufs Land übertragen. Der letzte etruskische König über Rom, der berühmt-berüchtigte Tarquinius Superbus, soll den Jupitertempel auf dem Kapitol weitergebaut, wenn nicht vollendet haben.
Die archaische Sozialstruktur der Römer ist ganz etruskisch geprägt. Die Rolle der gentes, der Geschlechter, bestehend aus mehreren Familien gleicher Abstammung, im weiteren Sinne auch mit ihren Klienten, war entscheidend. Die größere gentilizische Einheit war die curia. Es hat wohl ursprünglich 30 Kurien gegeben. Je zehn Kurien bildeten eine Tribus, also einen gentilizischen Personenverband, der zunächst auch militärische Bedeutung hatte. Die etruskischen Namen dieser drei Tribus kennen wir bereits, Ramnes, Tities, Luceres. Das können drei Gentilnamen sein oder aber auch drei Gruppen bezeichnen, etwa Sabiner, Etrusker und Latiner, aber das wissen wir nicht. Die 30 Kurien kamen zweimal pro Jahr auf dem Comitium, dem Volksversammlungsplatz zusammen. Wir sprechen von den comitia curiata, der ältesten Art der Volksversammlung. Die 30 curiae waren wiederum auf die drei ursprünglichen Tribus verteilt, jede Tribus beinhaltete also zehn Kurien.
An der Spitze der Gesellschaft stand ein Geburts- und Grundbesitzeradel, die sogenannten Patrizier, die auch die Reiter stellten, die equites. Ihnen waren mehr oder weniger abhängige Bauern als Klienten zugeordnet, die Plebejer. In diesem Klientelverhältnis fungierte der Patrizier als patronus, der die Interessen des Klienten z. B. auch vor Gericht vertreten musste. Ab den Ständekämpfen schließen sich die Plebejer zu einem Stand ab, was bei den Patriziern schon früher der Fall gewesen sein muss. Ab dem 5. Jh., also zur Zeit der Ständekämpfe, wurden die oben erwähnten ersten vier regionalen Tribus geschaffen, städtische Bezirke, die 241 v. Chr. ihre endgültige Zahl, 35, erreichen sollten. Jeder römische Bürger wurde dann in eine dieser 35 Wahlkörperschaften eingeschrieben. Die Macht des Familienvaters, die patria potestas, erstreckte sich nicht nur auf seine Frau, seine Kinder und seine Sklaven, sondern sogar noch auf die verheirateten erwachsenen Söhne und deren Ehefrauen (anders als im klassischen Athen).
Zusammenfassend kann man also sagen, dass die römische Gesellschaft horizontal in Familien, gentes, curiae und tribus gegliedert ist, vertikal in einen Adel, von dem das Volk sozial, politisch, ökonomisch, rechtlich, religiös und militärisch abhängig ist. Bald sollte das Volk nach mehr politischer Partizipation und nach einer Verbesserung der ökonomischen Lage streben, die Ausgangslage für die Ständekämpfe, die sich über Jahrhunderte hinziehen und an deren Ende das gewachsene politische System der Römischen Republik stehen sollte.
Die Sklaverei war noch nicht differenziert wie später. Sklaven waren noch Familienmitglieder, mit denen man am gleichen Tisch aß. Bis ins 4. Jh. wurden auch Mitglieder des eigenen Volkes versklavt, Rechtsgrundlage hierfür war die Schuldknechtschaft (nexum), die erst als ein Ergebnis der Ständekämpfe abgeschafft werden sollte. Noch gab es keine Sklavenaufstände.
Die politische Struktur baut nun auf der sozialen auf, sie ist also auch gentilizisch. Die Adeligen wählen aus ihren Kreisen einen König. Das Wahlkönigtum bedeutet bereits eine allmähliche Entmachtung des Königs. Er vertritt das Gemeinwesen gegenüber den Göttern, ist ein Heerkönig und leitet die Sitzungen des Adelsrates (Senat) und der Volksversammlungen.
Die Kuriatkomitien, die sich zweimal im Jahr versammeln, bestätigen den König in seiner Machtfülle, sanktionieren Akten bzgl. der Familie und der Geschlechter, erlassen Sakralgesetze, wählen ursprünglich die Magistrate und entscheiden über Krieg und Frieden.
Auch der Senat war nach Kurien zusammengesetzt, zehn patres je Kurie, also insgesamt 300 patres, also patrizische Senatoren. Dieser Adelsrat beriet den König. Beim Tod des Königs wählte der Senat einen interrex für fünf Tage, der Adel stellte auch die Magistrate. Nach der sogenannten servianischen Schatzung fungierte auch die Heeresversammlung, die comitia centuriata, als eine zusätzliche Volksversammlung. Auf sie werden wir dann im nächsten Podcast eingehen.

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