Der erste Auszug der Plebejer

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Livius
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Liv. II, 32,9,1-12 – Original

32. timor inde patres incessit ne, si dimissus exercitus foret, rursus coetus occulti coniurationesque fierent. itaque quamquam per dictatorem dilectus habitus esset, tamen quoniam in consulum uerba iurassent sacramento teneri militem rati, per causam renouati ab Aequis belli educi ex urbe legiones iussere. [2] quo facto maturata est seditio. et primo agitatum dicitur de consulum caede, ut soluerentur sacramento; doctos deinde nullam scelere religionem exsolui, Sicinio quodam auctore iniussu consulum in Sacrum montem secessisse. trans Anienem amnem est, tria ab urbe milia passuum.
[…] [7] nullam profecto nisi in concordia ciuium spem reliquam ducere; eam per aequa, per iniqua reconciliandam ciuitati esse. [8] placuit igitur oratorem ad plebem mitti Menenium Agrippam, facundum uirum et quod inde oriundus erat plebi carum. is intromissus in castra prisco illo dicendi et horrido modo nihil aliud quam hoc narrasse fertur: [9] tempore quo in homine non ut nunc omnia in unum consentiant, sed singulis membris suum cuique consilium, suus sermo fuerit, indignatas reliquas partes sua cura, suo labore ac ministerio uentri omnia quaeri, uentrem in medio quietum nihil aliud quam datis uoluptatibus frui; [10] conspirasse inde ne manus ad os cibum ferrent, nec os acciperet datum, nec dentes quae acciperent conficerent. hac ira, dum uentrem fame domare uellent, ipsa una membra totumque corpus ad extremam tabem uenisse. [11] inde apparuisse uentris quoque haud segne ministerium esse, nec magis ali quam alere eum, reddentem in omnes corporis partes hunc quo uiuimus uigemusque, diuisum pariter in uenas maturum confecto cibo sanguinem. [12] comparando hinc quam intestina corporis seditio similis esset irae plebis in patres, flexisse mentes hominum.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: Benjamin Oliver Foster
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Übersetzung

32. Thereupon the senators became alarmed, fearing that if the army should be disbanded there would again be secret gatherings and conspiracies. And so, although the levy had been held by order of the dictator, yet because the men had been sworn in by the consuls they regarded the troops as bound by their oath, and, under the pretext that the Aequi had recommenced hostilities, gave orders to lead the legions out of the City. [2] This brought the revolt to a head. At first it is said, there was talk of killing the consuls, that men might thus be freed from their oath; but when it was explained to them that no sacred obligation could be dissolved by a crime, they took the advice of one Sicinius, and without orders from the consuls withdrew to the Sacred Mount, which is situated across the river Anio, three miles from the City.
[…] [7] Assuredly no hope was left save in harmony amongst the citizens, and this they concluded they must restore to the state by fair means or foul. [8] They therefore decided to send as an ambassador to the commons Agrippa Menenius, an eloquent man and dear to the plebeians as being one of themselves by birth. On being admitted to the camp he is said merely to have related the following apologue, in the quaint and uncouth style of that age: [9] In the days when man’s members did not all agree amongst themselves, as is now the case, but had each its own ideas and a voice of its own, the other parts thought it unfair that they should have the worry and the trouble and the labour of providing everything for the belly, while the belly remained quietly in their midst with nothing to do but to enjoy the good things which they bestowed upon it; they therefore conspired together that the hands should carry no food to the mouth, nor the mouth accept anything that was given it, nor the teeth grind up what they received. [10] While they sought in this angry spirit to starve the belly into submission, the members themselves and the whole body were reduced to the utmost weakness. [11] Hence it had become clear that even the belly had no idle task to perform, and was no more nourished than it nourished the rest, by giving out to all parts of the body that by which we live and thrive, when it has been divided equally amongst the veins and is enriched with digested food —that is, the blood. [12] Drawing a parallel from this to show how like was the internal dissension of the bodily members to the anger of the plebs against the Fathers, he prevailed upon the minds of his hearers.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Falk Wackerow
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Leitfragen:

1) Was führt zu dem Ausbruch der Revolte und der ersten secessio plebis?

2) Worauf berief sich Menenius Agrippa bei seinem Gleichnis?

3) Wie glaubwürdig ist diese Darstellung des Livius?

Kommentar:

Obiges Zitat stammt aus dem umfassenden Geschichtswerk Ab urbe condita („von Stadtgründung an“) des Titus Livius (59 v. – 17 n. Chr.). Es befasst sich mit der gesamten Geschichte des römischen Stadtstaates von der mythischen Gründung (753 v. Chr.) bis in augusteische Zeit. Hintergrund dieser Erzählung ist der 494 zu Ende gegangene Krieg mit den Rom benachbarten Aequern und Volskern, den die Römer für sich entscheiden konnten. Die patrizischen Senatoren aber misstrauen ihren plebejischen Soldaten und wollen die Armee nicht entlassen, da sie Verschwörungen fürchten. Unter dem Vorwand wiederaufgeflammter Feindseligkeiten vonseiten der Aequer halten sie die Legionäre unter dem Fahneneid. Damit ziehen insbesondere die Konsuln als militärische Oberbefehlshaber den Zorn ihrer Untergebenen auf sich, die sodann geschlossen rebellieren, auf den so genannten heiligen Berg – eine dem Jupiter heilige Erhebung – ziehen und dort ein festes Lager errichten.

Als Reaktion darauf entsendet der Senat Menenius Agrippa, der mit einer Parabel versucht, seine Landsleute zum Umdenken zu bewegen. Er bemüht das Bild eines Körpers, dessen Teile einst einig waren und an einem Strang zogen, nun jedoch aufgrund von Individualismus und Eigensucht diese fruchtbare Kooperation eingestellt hätten. Die „anderen Teilen“ stehen hierbei für die Plebejer, deren mühevolles Tagewerk den faulen Magen der Senatoren versorgt, der sich gewissermaßen auf ihrer Früchte Arbeit ausruht. Agrippa äußert also Verständnis für die Sorgen der Plebejer, zeigt ihnen jedoch, dass ihr Plan scheitern muss, da der Magen ebenso ein unerlässlicher Teil des Körpers sei wie Hände, Mund und Zähne, da er die lebensnotwendigen Güter gerecht an alle verteile. Nur durch die Zusammenarbeit aller könne der Körper als Gesamtheit funktionieren. Mit dieser einfach verständlichen Parabel überzeugt er die Plebs, die Waffen niederzulegen und wieder in die Stadt zu ziehen.

Wie häufig bei Fabeln und Legenden ist der historische Wert wohl als eher gering einzuschätzen. Ein plebejischer Menenius Agrippa passt besser in Livius‘ Erzählung, da er sich wohl eher mit den Sorgen und Nöten seiner Standesgenossen identifizieren konnte, als ein Patrizier dies vermocht hätte. Laut Konsulatsliste bekleidete ein gewisser Menenius Agrippa jedoch im Jahre 503 v. Chr. den Konsulat. Dieser war aber bis weit in das vierte Jahrhundert v. Chr. hinein für Angehörige der plebs gesperrt. Es ist also äußerst unwahrscheinlich, dass dieses Detail der Erzählung der Wahrheit entspricht. Wichtiger ist jedoch die kritische Auseinandersetzung mit dem Inhalt. Auch hier überzeugt Livius‘ Schilderung nicht. Wenn die Plebejer im Heer die Befehlsgewalt der Konsuln, der sie sich per Eid verschrieben haben, missachten und sogar die Ermordung ihrer Vorgesetzten erwägen, ist es unglaubwürdig, dass sie sich von einer einfachen Erzählung eines offiziellen Gesandten eben jenes Senats umstimmen lassen, dem ihre Revolte gilt. Entscheidend für ihre friedliche Rückkehr in die Stadt wird eher das Einlenken des Senats in die politischen Forderungen der Plebejer gewesen sein. Nach deren Erfüllung entfiel jeder Grund zur Auflehnung. Dass in dieser Zeit erweiterte Rechte gewährt wurden, wissen wir aus anderen Quellen.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Das Zeitalter der Ständekämpfe“. Um einen breiteren Einblick in die Zeit der Römischen Republik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Römische Geschichte I – Republik“.
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