Das christliche Pilgerwesen

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Egeria
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Der Reisebericht der Egeria – It.Eg.19,2-5

1 Unde denuo proficiscens, peruenimus in nomine Christi Dei nostri Edessam. Ubi cum peruenissemus, statim perreximus ad ecclesiam et ad martyrium sancti Thomae. Itaque ergo iuxta consuetudinem factis orationibus et cetera, quae consuetudo erat fieri in locis sanctis, nec non etiam et aliquanta ipsius sancti Thomae ibi legimus. Ecclesia autem, ibi que est, ingens et ualde pulchra et noua dispositione, ut uere digna est esse domus Dei; et quoniam multa erant, quae ibi desiderabam uidere, necesse me fuit ibi statiua triduana facere. Ac sic ergo uidi in eadem ciuitate martyria plurima nec non et sanctos monachos, commanentes alios per martyria, alios longius de ciuitate in secretioribus locis habentes monasteria. Et quoniam sanctus episcopus ipsius ciuitatis, uir uere religiosus et monachus et confessor, suscipiens me libenter ait michi: «Quoniam uideo te, filia, gratia religionis tam magnum laborem tibi imposuisse, ut de extremis porro terris uenires ad haec loca, itaque ergo, {49} si libenter habes, quaecumque loca sunt hic grata ad uidendum Christianis, ostendimus tibi»: tunc ergo gratias agens Deo primum et sic ipsi rogaui plurimum, ut dignaretur facere, quod dicebat.

Text zum downloaden

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: M. L. McClure
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung:

Departing thence, we arrived at Edessa in the Name of Christ our God, and, on our arrival, we straightway repaired to the church and memorial of saint Thomas. There, according to custom, prayers were made and the other things that were customary in the holy places were done; we read also some things concerning saint Thomas himself. The church there is very great, very beautiful and of new construction, well worthy to be the house of God, and as there was much that I desired to see, it was necessary for me to make a three days‘ stay there. Thus I saw in that city many memorials, together with holy monks, some dwelling at the memorials, while others had their cells in more secluded spots farther from the city. Moreover, the holy bishop of the city, a truly devout man, both monk and confessor, received me willingly and said: „As I see, daughter, that for the sake of devotion you have undertaken so great a labour in coming to these places from far-distant lands, if you are willing, we will show you all the places that are pleasant to the sight of Christians.“

Text zum downloaden

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Nathalie Klinck
Lizenz: CC-BY-NC-SA

It.Eg.19,2-5

Leitfragen:

1.) Um was für eine Textgattung handelt es sich?
2.) Auf welche Monumente bzw. Sehenswürdigkeiten verweist Egeria in ihrem Bericht?
3.) Mit welcher Intention wurde der Text verfasst?

Kommentar:

Der hier vorliegende Quellenauszug stammt aus dem Itinerarium Egeriae, dem Reisebericht der Pilgerin Egeria. Dieser Reise- oder Pilgerbericht wurde um 384 n. Chr. von einer Frau aus Galicien oder Aquitanien namens Egeria verfasst. Der überlieferte Text teilt sich in zwei Abschnitte; zum einen der eigentliche Reisebericht, der ihre Reisen durch das Heilige Land, Ägypten, Mesopotamien und Kleinasien beschreibt (It.Eg. 1-23) und zum anderen eine detaillierte Beschreibung der Liturgie Jerusalems (It.Eg. 24-49). Der Text ist in einem für die Spätantike charakteristischen Vulgärlatein verfasst und mit vielen Bibelzitaten gespickt.

In diesem Bericht beschreibt Egeria einige Reiseetappen ihres mehrjährigen Aufenthaltes in Jerusalem und seinem Umland von ca. 381-384 n. Chr. Bei den Adressatinnen des Schreibens handelt es sich um ihre dominae-sorores „Damen-Schwestern“ in der Heimat, wobei die Intention dieses narrativen Itinerars durch das Fehlen des Anschreibens und des Vorwortes nicht abschließend geklärt ist. Und auch über die Autorin selbst liegen keine weiteren Informationen vor – lediglich in einer Randnotiz beschreibt sie sich sehr neugierig, cum satis curiosa (It.Eg. 16,3).

Die obige Beschreibung der mesopotamischen Stadt Edessa findet sich am Ende des Berichtes. Hier ist die erste Station von Egeria und ihrer (Reise)Gruppe die Kirche und das Martyrion (ein kleines Bauwerk oder ein Schrein zur Verehrung von Heiligen und Märtyrern). Der Auszug macht einmal die grundsätzliche Routine deutlich, die die Gruppe an jeder neuen Station durchläuft: Zuerst suchen sie die heilige Stätte, die Kirche oder das Martyrion auf, um dort gemeinsam zu beten und ggf. die passende Textstelle in der Heiligen Schrift zu lesen – wie auch hier im Falle des Heiligen Thomas. Egeria hebt als nächsten Punkt die Vielzahl an christlichen Monumenten hervor, die es für sie notwendig machen drei Tage in Edessa zu verbringen. Zudem freut sie sich ebenso sehr darüber, die sanctos monachos, die heiligen Mönche zu sehen, die sich dicht bei den heiligen Stätten, oftmals auch etwas außerhalb der Stadt, angesiedelt hatten. Als dritten Punkt hebt Egeria die äußerst freundliche Aufnahme durch den lokalen Bischof hervor, der ihre besondere Frömmigkeit hervorhebt, die sie einen so weiten Weg hat zurücklegen lassen, allein für ihren Glauben. Er ist zudem bereit, sie persönlich durch die Stadt zu führen und ihr die verschiedenen Sehenswürdigkeiten zu zeigen und zu erläutern. Diese Behandlung verweist auf ihre hohe gesellschaftliche Stellung.

Mit der Etablierung des Christentums durch Kaiser Konstantin begannen viele Christen zu Pilgerreisen ins Heilige Land aufzubrechen. Pilgerreisen, respektive die Idee, zu besonderen, als heilig angesehenen Orten zu reisen, war eine Neuerung des Christentums. Denn erst mit dem Christentum bildete sich mit dem Heiligen Land ein zentrales Kultzentrum heraus. Bei Reisen zu paganen Heiligtümern, Heilszentren oder Orakeln in den paganen Kulten spielten nie der zurückgelegte Weg oder die durchstandenen Strapazen eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur christlichen Pilgerreise hätte z.B. der pythische Apollon in Delphi wohl nicht die Reise Egerias aus den weit entfernten Gegenden der Welt besonders hervorgehoben.

Somit ist der Reisebericht von Egeria nicht nur eines der wenigen antiken Ego-Dokumente einer Frau, sondern auch eine einzigartige Quelle zum Pilgerwesen und zu christlichen Reisen im frühen Christentum, durch das Egeria den Leser mit Hilfe der Bibel Schritt für Schritt führt.

Text zum downloaden