07 – Religiöse Strukturen, Judentum und Christentum

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in:
Werner Rieß
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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

07 – Religiöse Strukturen, Judentum und Christentum

In der römischen Kaiserzeit herrscht nach wie vor Polytheismus. Regional gibt es in der Götterverehrung und in den religiösen Auffassungen große Unterschiede. Neu hinzukommen der Kaiserkult, der sogenannte Synkretismus und die verstärkte Verbreitung von Mysterienkulten, insbesondere des Isis- und Mithraskultes. Das entstehende Christentum sollte das Reich dann allmählich grundlegend verändern.
Der römische Kaiserkult geht vereinfachend gesprochen aus dem hellenistischen Herrscherkult hervor. Die Menschen waren mehrheitlich der Meinung, dass ein Mensch, der mit der Allgewalt eines römischen Kaisers ausgestattet ist, unter dem besonderen Schutz der Götter stand, besonders von ihnen begünstigt wurde und dass er eben auch Verehrung verdiene. In zahlreichen Inschriften wird der Kaiserkult greifbar, der auf lokaler und regionaler Ebene von den jeweiligen Eliten gepflegt wurde.
Synkretismus heißt Mischung; Göttervorstellungen werden miteinander verbunden oder verschmelzen. Isis wurde untrennbar mit Osiris verbunden, später wurde Osiris mit Sarapis gleichgesetzt. In Italien wurden Isis und Venus immer mehr ineinander geblendet.
Warum aber gewannen die Mysterienkulte immer mehr an Boden? Was boten Sie den Menschen, das die althergebrachten Staatskulte nicht bieten konnten? Die Ausübung der Staatskulte war formelhaft geworden und oftmals zu mechanisch zu vollziehenden Ritualen erstarrt, die wenig Möglichkeit zur persönlichen Identifikation mit dem Glauben schafften. Da die Eliten die Kulthandlungen vollzogen, waren die meisten Menschen auf eine Zuschauerrolle beschränkt; die Distanz zum Kultgeschehen und zu den Kultausübenden verstärkte sogar noch die sozialen Schranken.
Die Mysterienreligionen gingen dagegen auf die Sehnsüchte und die Bedürfnisse der Menschen ein: Sie boten in kleinen Kreisen Geborgenheit. Durch das Absolvieren von umfangreichen Aufnahmeritualen hatte man das Gefühl, zu einem privilegierten Kreis von Eingeweihten zu gehören, denen Glück, ja Heil in Aussicht gestellt wurde. Die Erwartung eines Lebens nach dem Tod war intrinsischer Bestandteil aller Mysterienreligionen. Genau festgelegte Rituale, an denen aber alle Eingeweihten teilnahmen, vermittelten offenbar intensive religiöse Gemeinschafts- und Glücksgefühle. Geprägt waren die Mysterienkulte von der Überzeugung, dass es eine Vergebung der Sünden und nach dem Tod eine Auferstehung geben würde, die man sich mehr oder weniger als eine Vereinigung der eigenen Seele mit der Gottheit vorstellte. Die rituelle Sequenz Tod, Liminalität, Auferstehung wurde offenbar im Kult nachvollzogen und entsprechend zelebriert. Der Einzelne wurde also persönlich ganz anders von diesen Kulten angesprochen und individuell in Gemeinden eingebunden als dies bei den traditionellen Staatskulten der Fall war. Neben dem Kybele-, Isis- und Jupiter Dolichenus-Kult gewann vor allem die Mithras-Verehrung eine weite Verbreitung, v.a. im Westen. Zwischen dem alten iranischen Gott Mithra und dem kaiserzeitlichen Gott gibt es sicher Bindeglieder, die uns aber heute verloren sind. Der Mithraskult wurde v.a. eine Soldatenreligion, wurde aber auch von Händlern und Kaufleuten praktiziert. Frauen waren ausgeschlossen. Man traf sich in Grotten oder Höhlen, die meist künstlich gebaut wurden. Dort fand dann eine Stiertötung statt und ein gemeinsames Opfermahl, bestehend aus Brot und Wein und natürlich aus dem Verzehr des Stierfleisches und dem Trinken seines Blutes. Die Anhänger waren streng in sieben Stufen, Grade der Einweihung eingeteilt, jede Stufe wurde durch einen Himmelskörper symbolisiert. Das Denken war dualistisch, Gut siegte über Böse, Licht über Dunkel. Da der Mithraskult keinen Ausschließlichkeitsanspruch kannte, konnten seine Anhänger auch andere Götter verehren, insbesondere wurde auch der Kaiser verehrt – noch einmal: Soldaten waren die Hauptträger dieses Kultes, so dass Merkelbach den Mithraskult auch als Loyalitätsreligion bezeichnete.
Bei den Intellektuellen und den philosophisch Gebildeten gab es ebenfalls eine große Bandbreite an religiösen Überzeugungen. Sie reichte von der Befürwortung der traditionellen Götterkulte aus Gründen des Respekts und der Pietät gegenüber überkommenen Glaubensformen über Agnostizismus bzw. Skeptizismus bis hin zu mittelplatonisch und neuplatonischen Gottesvorstellungen, die zum großem Teil auch einen monotheistischen Gottesbegriff kannten, auf dem das Christentum aufbauen konnte.
Eine aktive Religionspolitik der römischen Kaiser gab es bis Mitte des dritten Jahrhunderts nicht. Sie schritten nur dann ein, wenn es aus religiösen Gründen zu Tumulten kam. Vorgegangen wurde dann nicht per se gegen die jeweilige Religion, sondern gegen die Unruhestifter, welche die römische Ordnung zu gefährden schienen. Sowohl das Judentum als auch das Christentum waren von diesem Eingreifen des römischen Staates betroffen und auf diese Religionen gilt es nun etwas näher einzugehen.
Die Römer standen den Juden ambivalent gegenüber: Caesar und Augustus bestätigten alte Privilegien bzw. schufen neue, man respektierte das hohe Alter des Judentums und war zum Teil auch beeindruckt vom strengen Monotheismus und der tiefen Gläubigkeit vieler Juden. Den Juden wurde die Ausübung ihres Glaubens garantiert, insbesondere die Einhaltung der Sabbatgebote. Sie waren vom Militärdienst befreit und besaßen eine begrenzte zivile Gerichtsbarkeit, v.a. in Glaubensfragen. Andererseits kamen viele jüdische Sitten den Römern und Griechen fremd vor, v.a. die Beschneidung und die Speisevorschriften. Es gab Missverständnisse und Vorurteile auf beiden Seiten, immer wieder kam es zu Anfeindungen, Pogromen und blutigen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Andersgläubigen. In Rom lebten die Juden von alters her in einem eigenen Viertel, wir würden von Ghetto sprechen, jenseits des Tiber, also in Trastevere. 186 v. Chr. waren beim sogenannten Bacchanalienprozess auch Juden betroffen. 139 v. Chr. schreitet ein Prätor gegen die Juden in Rom ein. Als Claudius 49 n. Chr. gegen Isis-Anhänger vorging, waren auch die Juden mitbetroffen. Cicero und Tacitus, letzterer in seinem berühmten Judenexkurs in den Historien, zeichnen ein denkbar negatives Bild von den Juden. 38-41 n. Chr. kam es zu beinahe kriegerischen Zuständen in Alexandria, Juden und Griechen metzelten sich gegenseitig nieder. Claudius versuchte, auf die Streitparteien mäßigend einzuwirken.
In Judäa gelang es Rom nicht, wie andernorts, die lokalen Eliten für die Sache Roms zu gewinnen und somit auch die Bevölkerung in den römischen Herrschaftsverband einzugliedern. Andernorts waren die lokalen und regionalen Eliten bereit, sich zu integrieren, städtische Ehrenämter einzunehmen, im Reichsdienst tätig und damit von Rom belohnt zu werden. Diese Menschen dachten diesseitig. Ehrungen von Seiten der Römer bedeuteten aber der religiös orientierten Elite der Juden nichts, im Gegenteil, eine zu enge Kooperation mit der Besatzungsmacht wäre als ein Verrat am Monotheismus und am Tempel ausgelegt worden. Rom fand letztlich in Judaea keinen Ansprechpartner, mit dem römische Politik durchzusetzen gewesen wäre. Hierin gründen die Katastrophen des jüdischen Volkes im 1. und 2. Jh. n. Chr.. Die Römer nahmen die vielen jüdischen Gruppierungen, ja Sekten, die unterschiedlich stark gegen Rom opponierten und noch untereinander zerstritten waren, als eine amorphe Masse von Fanatikern wahr: Pharisäer, Sadduzäer, Zeloten und Essener waren für sie letztlich nicht wirklich unterscheidbar. Und während die Römer durch die Ausschaltung des Druidentums bei den Kelten die religiöse und kulturelle Überlieferung dieses Volkes vernichteten, war das Judentum als Schriftreligion auf einer viel breiteren gesellschaftlichen Basis aufgestellt. Die Eliminierung des jüdischen Priestertums hätte schlichtweg nichts gebracht. Soziale Probleme, wie hohe Verschuldung, kulturspezifische Fehler der römischen Statthalter, die nicht sensibel genug auf jüdische Befindlichkeiten einzugehen wussten, führten schließlich in die Katastrophe des Jüdischen Krieges 66-73/74 n. Chr., der in der Zerstörung des Tempels in Jerusalem gipfelte (70 n. Chr.). Damit verloren die Juden ihr religiöses und kulturelles Zentrum. Die Verluste Roms waren hoch, doch ging Rom mit unglaublicher Brutalität gegen die Juden vor. Der Sieg der Römer war komplett und wurde in einem großen Triumphzug in Rom gefeiert. Ikonographisch wurde der Sieg auf dem Titusbogen festgehalten, wo zu sehen ist, wie der Siebenarmige Leuchter durch die Straßen Roms gezogen wird. Aus der unermesslichen Beute wurde das Amphitheatrum Flavium, das Kolosseum, finanziert, wie Geza Alföldy aus der Rekonstruktion der Kolosseumsinschrift herausgefunden hat. Noch nach dem Fall Jerusalems hielt sich die Bergfestung Masada. In einem gewaltigen Kraftaufwand bauten die Römer eine große Rampe, deren Reste noch heute zu sehen sind, und stürmten die Burg (73/74 n. Chr.). Die Verteidiger waren nicht bereit, sich Rom zu unterwerfen und zuzulassen, dass ihre Frauen und Kinder in römische Sklaverei kämen. Eine Gruppe von Männern wurde dazu bestimmt, alle anderen zu töten und dann Selbstmord zu begehen. An die 1000 Menschen gaben sich so den Tod kurz bevor die römischen Truppen ins Innere stürmten. Bis heute ist Masada das Symbol der jüdischen Widerstandskraft.
Vor allem in Alexandria blieb die jüdische Gemeinde aber stark verwurzelt. 115-117 kam es wieder zu einem großen Massaker an Juden in Alexandria, dem sog. Diasporaaufstand. Vorausgegangen waren jüdische Angriffe auf Griechen in der Kyrenaika. Greueltaten wurden auf beiden Seiten begangen, und die Truppen Trajans hatten alle Mühe, den Aufstand niederzuschlagen. Tausende von Juden wurden in Alexandria von Griechen und Römern niedergemetzelt.
132-135 n. Chr. kam es unter Hadrian zur letzten Auseinandersetzung zwischen Rom und den Juden im sogenannten Bar Kochba-Aufstand. Auch der weltoffene, kulturell hoch gebildete Hadrian, durch seine viele Reisen mit allen Reichsteilen vertraut, fand mit den Juden keinen modus vivendi, d.h. keine Möglichkeit, sie irgendwie über die Eliten in das Reich zu integrieren. Es ist unklar, ob die Umbenennung Jerusalems in Colonia Aelia Capitolina den Aufstand auslöste oder eine Strafmaßnahme nach der Niederschlagung des Aufstands war. Auf alle Fälle wurde dieser letzte verzweifelte Aufstand der Juden wieder mit äußerster Entschlossenheit von Seiten der Juden geführt und mit ebensolcher Grausamkeit von Seiten der Römer unterdrückt. Die Niederlage der Juden war diesmal noch einschneidender in ihren Konsequenzen als nach dem Jüdischen Krieg. Jerusalem wurde als römische Stadt neu angelegt. Ein Jupiter Capitolinus-Tempel ersetzte den alten Tempel der Juden. Juden durften Jerusalem nicht mehr betreten, die Provinz wurde nun als Palaestina bezeichnet. Spätestens hier liegt nun der Beginn der jüdischen Diaspora, die Juden verstreuten sich als Flüchtlinge in alle Welt, behielten jedoch ihren Glauben bei und gründeten vielerorts Synagogen. Septimius Severus förderte das Judentum wieder, im 4. Jh. werden Synagogen auch in Ägypten wieder neu gegründet.
Das Christentum entwickelte sich aus dem Judentum heraus. Am Anfang waren Juden und Christen für Römer kaum zu unterscheiden; die Christen wurden als eine neue jüdische Sekte betrachtet, die aufgrund ihres geringen Alters nicht einmal die Altehrwürdigkeit des Judentums besaß und zunächst als reines Unterschichtenphänomen wahrgenommen wurde. Vom historischen Jesus wissen wir recht wenig, die Evangelien entstehen erst um 70 n. Chr. und gehen auf ältere, kürzere Quellen zurück, die wohl v.a. Spruchsammlungen Jesu waren.
Der erste christliche Autor war das theologische Genie Paulus, der in mehreren Missionsreisen in Kleinasien und in Griechenland den neuen Glauben verbreitete. Auf dem sogenannten Apostelkonzil 48 n. Chr. trennt sich das Christentum sozusagen vom Judentum, indem Paulus den Christen die Beschneidung und die strenge Befolgung des mosaischen Gesetzes erlässt. Der philosophisch geschulte Paulus und später v.a. Johannes vermitteln den neuen Glauben über die platonische Philosophie und Gedankenwelt an die griechischsprechenden Oberschichten des Ostens. Erste Hochburgen des Christentums werden Antiochia, Alexandria, wo die philosophische Deutung des Christentums mit Hochdruck betrieben wird, und auch Ephesos. Im Westen gibt es schon früh eine judenchristliche Gemeinde in Rom, die offenbar unter Claudius für Unruhe sorgte, und Christen fassen in den Hafenstädten Karthago und Massilia Fuß, von wo aus das Christentum die Rhône nordwärts wandert. Die großen theologischen Auseinandersetzungen finden aber ausschließlich im Osten und in griechischer Sprache statt. Noch ist ausschließlich Griechisch die Sprache des Christentums.
In diesem Rahmen kann nur ganz kurz auf die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Christentum und römischem Staat eingegangen werden. Viele andere Aspekte müssen ausgeklammert werden. In der lateinischen Literatur tauchen die Christen zum ersten Mal prominent in den Annalen des Tacitus auf. Nero missbrauchte nach dem Brand Roms 64 n. Chr. die Christen als Sündenböcke und dachte sich grausamste Hinrichtungsarten für sie aus. Es handelte sich allem Anschein nach nicht um eine reichsweite Verfolgung, sondern um eine auf Rom begrenzte Polizeiaktion. Dann hören wir erst wieder unter Trajan von römischer Seite von den Christen. Plinius der Jüngere, der 111 n. Chr. kaiserlicher Gesandter in der Provinz Bithynien und Pontos war, richtet einen berühmten Brief an Trajan (10,96), indem er ihn fragt, wie denn mit Christen zu verfahren sei. Er wendet sich an den Kaiser, weil die Christen immer mehr wurden, auf dem Lande wie in der Stadt, Männer und Frauen, alte Menschen wie Kinder, ein interessanter Einblick in die Missionserfolge des kleinasiatischen Christentums zu Beginn des 2. Jhs. n. Chr.. Plinius schildert genau, wie er Menschen befragt, ob sie Christen seien, obwohl er vorgibt, nichts über Christenprozesse zu wissen. Es ist unklar, woher er seine Informationen hat. Es ist möglich, dass das Prozedere des Verhörs unter Nero festgesetzt wurde und die neronische Weisung Eingang fand in die mandata, welche die Statthalter mit sich führten, also eine Art Handbuch für Statthalter. Trajan bestätigt Plinius, dass er die Verhöre richtig durchführe, indem er die Angeklagten dreimal frage, ob sie Christen seien und sie bei Leugnung vor dem Standbild des Kaisers opfern lasse. Man blieb inkonsequent: Obwohl Trajan bejaht, dass das Christsein allein schon ein todeswürdiges Verbrechen sei, gelte es nicht, nach ihnen zu fahnden. Anzeigen dürften nicht anonym entgegengenommen werden.
Für das 2. Jh. hören wir nur von wenigen Zusammenstößen zwischen den Christen und der römischen Staatsmacht. 177 n. Chr. kam es zu einer Verfolgungswelle mit vielen Märtyrern in Lyon, 203 in Karthago, in deren Verlauf Perpetua stirbt, von der ihre Passionsgeschichte zum Teil aus eigener Feder erhalten ist, ein einmaliges Zeugnis einer Frau aus der römischen Kaiserzeit. Wir dürfen noch mehr lokal begrenzte Zwischenfälle vermuten, immer dann, wenn Menschen sich aus welchen Gründen auch immer dazu entschlossen, Christen bei den Behörden anzuzeigen. Im Großen und Ganzen jedoch konnte sich das Christentum im 2. Jh. ungehindert ausbreiten, eben weil die Christen keine Probleme machten und dem Kaiser treu im Militär und durch Bezahlung von Steuern dienten. Erst als das Reich im 3. Jh. vielerorts in arge Bedrängnis geriet und die Kaiser wieder verstärkt auch auf religiöse Loyalität zum Kaiser und zum Reich pochten, kamen die Christen in Schwierigkeiten. Kaiser Decius wollte um die Mitte des dritten Jahrhunderts alle Bewohner des Reiches auf seine Person verpflichten und erließ ein reichsweites Opfergebot. Auch dies war strenggenommen keine Christenverfolgung, da sich die Maßnahme nicht explizit auf Christen bezog, doch waren sie die einzige religiöse Gruppe, die sich dem Opfer für den Kaiser verweigerte. Und somit gerieten sie zwangsläufig in den Fokus der römischen Behörden. Und die Altgläubigen fragten sich schon, wer diese Menschen waren, die in höchster Not (das Reich führte ständig Zweifrontenkriege gegen die Germanen im Norden und die Sassaniden im Osten) ihre Loyalität zu Rom nicht bekunden wollten. Natürlich opferten unter dem Druck die meisten Christen, nur die wenigsten wurden zu Märtyrern, aber die Maßnahme des Decius wurde sehr wohl als massive Bedrohung und eben Christenverfolgung wahrgenommen. Valerian ging dann gezielt gegen das Christentum vor, indem er auf die Priester und damit den Kultvollzug zugriff. Der Letzte, der das Rad der Geschichte zurückdrehen wollte, war schließlich Diokletian, der noch einmal mit aller Kraft versuchte, das Christentum zu beseitigen, was gründlich misslang. Kurze Zeit später, unter Konstantin, wurde das Christentum schließlich zur religio licita, zu einer Religion, die gleichberechtigt neben den anderen Glaubensvorstellungen stand. Schon bald förderte Konstantin das Christentum, und es sollte nicht lange dauern, bis das Christentum seinerseits gegen Heiden vorging.
Schwierig zu interpretieren ist der Erfolg des Christentums. Im 2. Jh. war nicht klar, ob nicht der Isis- oder der Mithraskult die Oberhand behalten würde. Sicher ist die rasche geographische Ausbreitung des Christentums in allen Gesellschaftsschichten nur mulitkausal zu erklären. Es bot Dinge an, welche die anderen Mysterienreligionen nicht im Repertoire hatten. Anfangs sprach der neue Glaube mit seiner antihegemonialen Weltsicht (die letzten werden die ersten sein, alle Menschen sind Brüder und Schwestern) vor allem die Unterschichten an, Sklaven und die stark benachteiligten Frauen. Da die Unterschichten aber die Mehrheit der Reichsbevölkerung ausmachten, fand der Glaube rasch Anklang in weiten Kreisen der Bevölkerung. Auch dass die Frauen anfangs eine tragende Rolle spielten (ihre Zurückdrängung begann erst mit dem Aufbau von kirchlichen Strukturen im 2. Jh.), trug sicher zur schnellen Ausbreitung bei. Entscheidend war sicher auch, dass das Christentum anders als andere Religionen schon bald eine Buchreligion war, die heilige Schriften kannte, ja dass über das Verlesen und Versenden von Schriften missioniert wurde, ein Aspekt, der beim Mithras- und Isiskult vollkommen fehlte. Zwar hatten auch die Juden eine Buchreligion, doch taten sich die Juden aufgrund der vielen Vorschriften, die im täglichen Leben zu beachten waren, bei der Verbreitung ihres Glaubens in der hellenistischen Welt schwerer. Ja oftmals verzichteten die Juden ganz auf Missionierung.
Dann waren dem Christentum auf einer persönlichen Ebene zwei Umstände besonders günstig: Zum einen gab es wenige, aber geniale Denker (v.a. Paulus und die Evangelisten), die eine hochstehende Theologie entwickelten, mit der die griechischen Intellektuellen gewonnen werden konnten. Zum anderen gab es in jeder Generation Männer und Frauen, die für den neuen Glauben glühten und bereitwillig als Märtyrer in den Tod gingen, um diesen neuen Glauben zu bezeugen. Diese Glaubensinbrunst muss auf die Zeitgenossen einen enormen Eindruck gemacht haben. Die Märtyrer waren es dann auch, die als die ersten Heiligen verehrt wurden. Und schließlich bauten die Gemeinden schon früh organisatorische Strukturen auf, aus denen heraus sich die Kirche entwickelte. Lokale, regionale und überregionale Verwaltungsstrukturen entstanden, weswegen Diokletian das Christentum auch nicht mehr stoppen konnte. Anders herum: Als sich die römischen Verwaltungsstrukturen am Ende der Antike auflösten, waren es die kirchlichen Strukturen, die fortbestanden und die größte Not der Bevölkerung linderten. Der Frankenkönig Chlodwig wurde wohl auch deshalb katholisch, weil er sich die guten Strukturen der Kirche in Gallien zunutze machen wollten. Wichtig ist, dass diese christlichen Verwaltungsstrukturen immer und überall schon von ihrem Selbstverständnis her mit karitativen Aufgaben betraut waren. Die Gemeinden nahmen Armenspeisungen vor, bauten Hospize für Waisen, Arme und Alte. Dieser Aspekt der Nächstenliebe war den antiken Religionen vollkommen fremd. Der heidnische Kaiser Julian erkannte dieses Manko des Heidentums um die Mitte des vierten Jahrhunderts, doch es war viel zu spät gegenzusteuern und die heidnischen Kulte mit Nächstenliebe aufzuladen. Also: Die Unterschichten wurden zu Christen, weil sie sich von der antihegemonialen Weltsicht und der praktisch geübten Nächstenliebe angesprochen fühlten, die Oberschichten, weil sie im neuen Glauben die philosophischen Systeme der Antike aufgehoben, erneuert und stark erweitert fanden. Für manche mögen diese Gründe zur Erklärung des Erfolgs des Christentums nicht ausreichen. Eine Erklärungslücke mag bleiben. Inwieweit hier der Gott des Christentums eine Rolle gespielt haben mag, mag jeder für sich selbst entscheiden.

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