Ein Rechtsstreit zwischen einer Ägypterin und einem Griechen

 

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Agnes von der Decken
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Ein Rechtsstreit zwischen einer Ägypterin und einem Griechen

Leitfragen:

1) Geben Sie den Inhalt der Quelle wieder.
2) Wie handelt Herakleides nachdem ihm Unrecht widerfahren ist?
3) Was zeigt die Quelle über die Gesellschaftsstruktur im Ptolemäerreich?

Kommentar:

Bei der vorliegenden Quelle handelt es sich um eine Klageschrift, die sich über Jahrtausende auf einem Papyrus im Wüstensand erhalten hat. In ihr beschwert sich der griechischer Soldat Herakleides bei König Ptolemaios über die Ägypterin Pesnobastis. Herakleides berichtet dem König, dass er im 5. Finanzjahr am 21. Pamenoth (das entspricht dem 05. Mai 218 v. Chr.) aus privaten Gründen in das Dorf Pysa, welches inmitten Ägyptens im Faijum, einer Oase in der libyschen Wüste, liegt, gegangen sei. Dort hätte eben jene Ägypterin, als er arglos durch die Straßen von Pysa lief, ihren Nachttopf über seinem Kopf ausgeleert, sodass Urin über seine Kleider geflossen sei. Als Herakleides die Frau daraufhin wütend beschimpfte, sei es zu einem Streit zwischen dem Griechen und der Ägypterin gekommen, im Zuge dessen Pesnobastis dem Herakleides das Gewand von der Brust gerissen und ihm ins Gesicht gespuckt haben soll. Die Ägypterin habe erst von ihrem Opfer abgelassen, als anwesende Zuschauer sie zu beschimpfen anfingen. Nachdem Herakleides all dies dem König – der Zeitangabe zu Folge muss es sich dabei um Ptolemaios IV. handeln – in seiner Klageschrift geschildert hat, geht er dazu über, Ptolemaios darum zu bitten, die entsprechenden rechtlichen Schritte einzuleiten, damit die Ägypterin ihre gerechte Strafe erhielte. Auf diese Weise würde er, Herakleides, durch den König Gerechtigkeit erlangen.

Herakleides bat den König darum, den Strategen Diophanes anzuweisen, dem Dorfvorsteher Sogenes zu schreiben, damit dieser die Ägypterin Psenobastis vorlade, um über den Fall zu entscheiden. Wie zur damaligen Zeit üblich, verfasste Herakleides hier aufgrund des Unrechts, das ihm widerfahren ist, eine Klageschrift und sandte sie direkt an den König des Landes. Statt ebenfalls Gewalt oder Selbstjustiz anzuwenden, beschritt Herakleides also den Rechtsweg und bat den König darum, seinen Fall untersuchen zu lassen. Der König musste seinen Untertanen also das Recht gewähren, musste sich selbst daran halten, und gewährleistete demnach die innere Stabilität und Rechtssicherheit des Reiches. Interessant ist dabei, dass Herakleides sein Anliegen nicht vor ein Gericht – von denen es sowohl ägyptische als auch griechische gab –, sondern einen höheren Beamten bringen wollte. Dies war ein übliches Vorgehen, das die ptolemäische Regierung nach ägyptischem Brauch anwendete. Wie wir der Quelle entnehmen können, soll der Fall dem Strategen Diophanes bzw. dem Dorfvorsteher Sogenes bekannt gemacht werden. Diese hatten also offenbar die Kompetenz, in Privatrechtsstreitigkeiten ein Prozessverfahren durchzuführen und eine Entscheidung zu fällen. Im Falle einer solchen Sondergerichtsbarkeit war es der Regierung vermutlich daran gelegen, eine schnelle Entscheidung herbeizuführen, die bei einem offiziellen Gerichtsprozess längere Zeit in Anspruch genommen hätte.

Diese kurze Klageschrift spiegelt die Veränderung der Gesellschaft Ägyptens wieder, die die Eroberung Alexanders des Großen und die anschließende Etablierung der Herrschaft makedonischer Könige mit sich brachte. Zahlreiche Fremde kamen als Soldaten, Händler, Verwaltungsexperten oder einfach Abenteurer in das Land am Nil, die in der zweiten Generation Einheimische wurden. Doch verstanden sie sich, wie die Klageschrift des griechischen Soldaten Herakleides zeigt, keinesfalls als Ägypter. Herakleides selbst bezeichnet sich in seiner Klageschrift als „Grieche und Fremder“ (Ἕλλην[α ὄν-] τα καὶ ξένον), was sein Fremdheitsgefühl verdeutlicht. Bestätigt wird dies auch dadurch, dass er den Namen der Ägypterin nicht korrekt wiedergibt: Psenobastis bedeutet „Sohn des Bastet“. Geheißen hat die Ägypterin jedoch wohl Thenobastis – die „Tochter des Bastet“. Offenbar sprach Herakleides so wenig Ägyptisch, dass er Psenobastis für einen Frauennamen hielt. Die griechischen Zuwanderer beharrten also in vielen Fällen auf ihre griechische Identität. Dies war nicht verwunderlich, da sie somit zur privilegierten Bevölkerungsschicht zählten, die wichtige Positionen in Heer und Verwaltung besetze und den Ägyptern häufig vorgezogen wurde. Aufgrund dieser sozioökonomischen Unterschiede kam es im Laufe der Zeit immer wieder zu Aufständen der Ägypter gegen die griechischen Zuwanderer, deren Herrschaft von der ägyptischen Bevölkerung nicht akzeptiert wurde. Die Streitigkeit zwischen dem griechischen Soldaten und der Ägypterin illustriert hier also im Kleinen die grundsätzlichen Probleme, die das Miteinander der einheimischen Ägypter und der zugewanderten Griechen und Makedonen im Viel-Völker-Staat Ägypten hervorgerufen hat.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Die Seleukiden und die Ptolemäer“ Um einen breiteren Einblick in den Hellenismus zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte III – Hellenismus“.
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