Bischöfe als Fürsprecher der Bevölkerung

 

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Constantius von Lyon
Lizenz: CC-BY-NC-SA

                               Constantius Vita. Germ. 28

(28) Vixdum domum de transmarina expeditione remeaverat, et iam legatio Armoricani tractus fatigationem beati antistitis ambiebat. Offensus enim superbae insolentia regionis vir magnificus Aetius qui tum rem publicam gubernabat, Gochari ferocissimo Alanorum regi loca illa inclinanda pro rebellionis praesumptione permiserat, quae ille aviditate barbaricae cupiditatis inhiaverat. Itaque genti bellicosissimae regique idolorum monistro obictur senex unus, sed tamen omnibus Christi praesidio maior et fortior. Nec mora, festinus egreditur, quia imminebat bellicus apparatus. Iam progressa gens fuerat totumque iter eques ferratus impleverat, et tamen sacerdos noster obvius ferebatur, donec ad regem ipsum qui subsequebatur accederet. Occurrit in itinere iam progresso et armato duci inter suorum catervas opponitur medique interprete primum precem supplicem fundit, deinde increpat differentem, ad extremum, manu iniecta, freni habenas invadit atque in eo universum sistit exercitum. Ad haec rex ferocissimus admirationem pro iracundia, Deo imperante, concepit; stupet constantiam, veneratur reverentiam, auctoritatis pertinacia permovetur. Apparatus bellicus armorumque commotio ad consilii civilitatem deposito tumore, descendit, tractaturque, qualiter non qoud rex voluerat, sed quod sacerdos petierat conpleretur. Ad stationis quietem rex exercitusque se recipit; pacis securitatem fidelissimam pollicetur, ea conditione, ut venia, quam ipse praestiterat, ab imperatore vel ab Aetio peteretur. Interea per intercessionem et meritum sacerdotis rex conpressus est, exercitus revocatus, provinciae vastationibus absolutae.

Text zum downloaden

 

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: Jan Seehusen
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

(28) Gerade war Germanus von seiner jenseits des Meeres befindlichen Mission zurückgekehrt, da wandte sich bereits eine Gesandtschaft der Armorikanergegend an den müden seligen Bischof. Denn der hochedle Mann Aetius, der damals den Staat leitete, wurde durch die Unverschämtheit der stolzen Region beleidigt und hatte dem äußerst wilden König der Alanen, Goar, jene Gegenden überlassen, die diese in seiner Gier barbarischer Sucht begehrt hatte und die zum Verdacht einer Rebellion Anlass gaben. So stellte sich der Greis allein dem äußerst kriegerischen Volk und götzendienenden König entgegen, war aber durch den Schutz Christi größer und stärker als alle. Ohne Aufschub brach er eilig auf, denn die Kriegsrüstungen drohten zu beginnen. Bereits das ganze Volk war aufgebrochen und mit Eisen beschlagene Reiter füllten den ganzen Weg. Und dennoch wurde unser Bischof ihnen entgegen gebracht, bis er zum König selbst gelangte, der folgte. Er trat ihm auf dem Weg entgegen, nachdem er bereits herangeschritten war, und er wurde dem bewaffneten König zwischen seinen Scharen entgegengestellt, und durch einen vermittelnden Dolmetscher brachte er ihm als erstes seine Fürbitte vor. Danach schalt er den Abweichler und ergriff, mit ausgestreckter Hand, die Riemen der Zügel und brachte das ganze Heer vor ihm zum Stillstand. Infolge dessen empfand der äußerst wilde König auf Gottes Befehl Bewunderung anstelle von Zorn; er bestaunte seine Beharrlichkeit, verehrte seine Erhabenheit und war bewegt ob des Nachdrucks seines Willens. Die Kriegsrüstungen und das Erheben der Waffen sank, nachdem sich die Wut gelegt hatte, zu einer Bürgerversammlung herab und es wurde so verhandelt, dass nicht das, was der König beabsichtigt hatte, sondern das, worum der Bischof gebeten hatte, erfüllt wurde. Der König und das Heer zogen sich in die Ruhe des Lagers zurück; er versprach die äußerst verlässliche Sicherheit des Friedens unter der Bedingung, dass die Nachsicht, die er selbst gewährleistet hatte, vom Kaiser oder von Aetius erbeten werde. Unterdessen wurde durch das Einschreiten und den Verdienst des Bischofs der König zurückgehalten, das Heer zurückgerufen und Provinzen von Verwüstungen befreit.

Text zum downloaden

 

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Nathalie Klinck
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Constantius Vita. Germ. 28

Leitfragen:

1.) Was ist eine (Heiligen)vita?
2.) Wie wird der Bischof Germanus beschrieben?
3.) Was lässt sich daraus über die gesellschaftliche Rolle der Bischöfe im späten 5. Jahrhundert entnehmen?

Kommentar:

Der Quellenauszug ist Teil der umfangreichen Bischofsvita des Germanus von Auxerre (auch: Saint Germain), die von Constantius von Lyon im 5. Jahrhundert n. Chr. verfasst worden ist.

Bei dem Autor der Vita sancti Germani handelt es sich um den gallischen Kleriker Constantius von Lyon. Sein Schreibstil verrät rhetorische Bildung und literarisches Können und zeichnet Constantius dadurch als spätantiken gelehrten Aristokraten aus. Es ist wenig über sein Leben und Wirken bekannt. Die Vita verfasste er wahrscheinlich eher an seinem Lebensende, um das Jahr 494 n. Chr.

Der Text beschreibt das Leben und die Taten des gallorömischen Bischofes Germanus von Auxerre und liefert damit, neben zwei Widmungsbriefen und vier Briefen des Sidonius Apollinaris (432-488 n. Chr.), die Hauptquelle über das Leben des Heiligen. Auffallend ist, dass der Text der Vita Sancti Germani – im Gegensatz zu vielen anderen Heiligenviten, wie z.B. der von Martin von Tours (Siehe Kommentar: Nächstenliebe im Christentum) – nicht verfasst wurde, um einem Zeitgenossen zum Ruhm zu verhelfen, sondern Constantius vielmehr einen Bericht über eine bereits „berühmte“ Persönlichkeit verfasste. In erster Linie wollte Constantius – nach eigener Aussage – versuchen, einen Bericht über die Frömmigkeit des Bischofes und dessen zahllose Wundertaten zu verfassen. Dabei handele es sich um eine Aufgabe, der er eigentlich nicht würdig und fähig sei. Der Autor bedient sich damit bereits in der Einleitung eines gängigen Topos der hagiographischen Literatur.

Heiligenviten zählen, wie die Prozessakten der Märtyrer (actae) und ihre Leidensdarstellungen (passiones) zur Gattung der Hagiographie. In den Viten wird der Heilige und Gottes Wirken an und durch ihn dargestellt. Sie geben i.d.R. Aufschluss über das Leben der Heiligen, ihren Kult und besonders über die bewirkten Wunder. Diese fungieren als ein beliebtes Mittel, um den Glauben der Menschen durch Staunen und Loben über Gottes Wundertaten zu festigen; Ziel dieser Textgattung ist oftmals die Erbauung der Gemeinde. Dennoch ist es wichtig festzuhalten, dass es sich bei den Texten um äußerst individuelle Darstellungen handelt, welche sich durch Ähnlichkeiten im Aufbau und in Formulierung von anderen abgrenzen lassen, im selben Moment allerdings immer mit einer ganz eigenen Intention verfasst worden sind.

Der vorliegende Textausschnitt stellt die besonderen Aufgaben des Bischofes Germanus im 5. Jahrhundert dar. Nachdem dieser gerade von einer Reise zurückgekehrt war, erwartete ihn schon die nächste Gesandtschaft. Sie baten den Bischof darum, mit dem „wilden“ Alanenkönig Goar zu verhandeln. Umgehend machte sich Germanus auf den Weg und stellte sich dem König ohne Furcht entgegen, um ihm sein Anliegen vorzubringen. Dieser zeigte sich dem Bischof gegenüber nicht feindselig, sondern bewunderte „die Standhaftigkeit, verehrte die Erhabenheit und war verwirrt ob der Kühnheit solcher Autorität.“ Er verhandelte mit dem Bischof und gab schließlich seiner Bitte nach. Besonders deutlich wird hierbei, dass Germanus diese politische Konfliktsituation allein durch seine (gottgegebene) Autorität zu lösen vermöchte und so in der Lage war, der Provinz den Frieden zu sichern.

Er wurde sogar gebeten, das Anliegen der Amorikaner noch weiter an den Kaiserhof zu tragen, wobei er auf dem Weg nach Ravenna vielzählige Wunder vollzog. Dort angekommen erreichte er beim Kaiser für die Gesandtschaft Vergebung und beständige Sicherheit. Am Ende war allerdings die Fürsprache des Bischofes, aufgrund eines betrügerischen Zwischenfalles, vergebens. Die Vita endet mit dem „natürlichen Tod“ des Bischofes. Im starken Gegensatz zu den Märtyrerberichten erleidet Germanus also keinen gewaltvoll herbeigeführten Tod, dennoch wurden seine Überreste unter allerlei Ehrungen in seine Heimatstadt überführt und dort – wo sie auch noch lange weitere Wunder wirkten – verehrt.

Die teilweise unkritische und idealisierte Darstellung des Bischofes präsentiert dem Rezipienten die Lebensbeschreibung eines vorbildhaften Menschen, der ihm als sittliches Vorbild sowie der kultischen Verehrung würdig präsentiert wird.

Zudem wird in der Vita Sancti Germani auch die politische Rolle des Bischofes deutlich; er empfängt Gesandtschaften und reist sogar persönlich an den Kaiserhof, um als Fürsprecher zu fungieren – und wird dort angehört. Insbesondere im Gallien des 5. Jahrhunderts n. Chr. nahmen Bischöfe als sog. defensores civitates die Rolle als Fürsprecher für das Volk ein. Diese Tätigkeit wird auch dem Heiligenbild und dem hagiographischen Diskurs hinzugefügt.

Germanus wird als Heiliger vor allem als Schutzpatron gegen diverse Krankheiten verehrt, sein Gedenktag in der katholischen Kirche ist der 31.7.

Text zum downloaden

Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Der Untergang des Westreiches“. Um einen breiteren Einblick in die Spätantike zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Römische Geschichte III – Spätantike“.
Hier geht’s zum Podcast

 

Sehen Sie hierzu auch den Beitrag zur christlichen Nächstenliebe.