Die Phalanx in der Ilias

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Homer
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Hom. Il. 16, 211 – 217 – Original

μᾶλλον δὲ στίχες ἄρθεν, ἐπεὶ βασιλῆος ἄκουσαν.
ὡς δ᾽ ὅτε τοῖχον ἀνὴρ ἀράρῃ πυκινοῖσι λίθοισι
δώματος ὑψηλοῖο βίας ἀνέμων ἀλεείνων,
ὣς ἄραρον κόρυθές τε καὶ ἀσπίδες ὀμφαλόεσσαι.
ἀσπὶς ἄρ᾽ ἀσπίδ᾽ ἔρειδε, κόρυς κόρυν, ἀνέρα δ᾽ ἀνήρ:
ψαῦον δ᾽ ἱππόκομοι κόρυθες λαμπροῖσι φάλοισι
νευόντων, ὡς πυκνοὶ ἐφέστασαν ἀλλήλοισι.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: A.T. Murray
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Übersetzung

And yet closer were their ranks serried when they heard their king. And as when a man buildeth the wall of a high house with close-set stones, to avoid the might of the winds, even so close were arrayed their helms and bossed shields; [215] buckler pressed on buckler, helm upon helm, and man on man. The horse-hair crests on the bright helmet-ridges touched each other, as the men moved their heads, in such close array stood they one by another.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Wovon handelt diese Quellenstelle?

2) Was ist das Besondere an dieser Quellenstelle in der Ilias?

3) Was kann uns die Quellenstelle über die Entstehungszeit der Ilias sagen?

Kommentar:

In der Ilias wird eine Lebenswelt gezeichnet, die von Kampf, Krieg und agonaler Auseinandersetzung durchdrungen ist. Die Kriegsführung in der Ilias hat deswegen seit jeher zu großem Interesse und kontroversen Diskussionen in der Forschung geführt. Die vorliegende Quellenstelle (Il. 16, 211-217) beschreibt eine Situation unmittelbar vor dem Kampfgeschehen: Die Griechen wollen in den Kampf gegen die Troer ziehen und formieren sich in eng geschlossenen Reihen. Dabei wird sehr genau beschrieben, wie die Griechen sich formieren. Sie stehen dicht nebeneinander in eng geschlossenen Reihen. Die so gebildete Mauer wird durch die Erwähnung, dass selbst starke Winde ihr nichts anhaben können, als besonders standfest dargestellt. Weiter wird beschrieben, dass die einzelnen Kämpfer Schilde vor sich tragen und ihre Helme sich sogar berühren.

Es ist denkbar, dass die hier in der Ilias beschriebene Aufstellung der Kämpfenden die Kampftechnik zur Zeit des Dichters beschreibt. Dabei erinnert die beschriebene Schlachtenreihe an eine Vorläuferin der Phalanx. Die Phalanx ist eine Kampfformationen des griechischen Heeres, bei der sogenannte Hopliten (schwerbewaffnete Fußsoldaten) in engen Reihen aufgestellt wurden, damit sie sich gegenseitig Schutz gewähren konnten. In der Regel bestand eine Phalanx aus acht Reihen und wurde aus Bürgern des Gemeinwesens rekrutiert, die sich die Ausrüstung leisten konnten. Die Phalanx als Kampfformation entstand im 7. Jh. v. Chr. und ist in den Kontext der sich herausbildenden Polis (Stadtstaat) einzuordnen.

Die beschriebene Kampfformation der Quellenstelle kann ein Spiegelbild der zeitgenössischen Militärtechnik griechischer Städte um 700 v. Chr. sein, denn sie entspricht der gängigen Kampftechnik zur Zeit des Dichters. Die Erwähnung einer solch modernen Kampfformation steht damit im Gegensatz zu der Auffassung, die homerischen Epen würden im Kern eine mykenische Welt darstellen. Diese Auffassung wird mit dem Verweis auf die in den Epen erwähnten Realien, also Gegenständen oder Details, welche die mykenische Lebenswelt repräsentieren, wie etwa der Eberzahnhelm (Il.10, 260-271), der Einsatz von Streitwagen (etwa Il. 4,297 – 309), der Taubenpokal des Nestor (Il.11,632 – 637) oder die Verwendung von Bronzewaffen, begründet. Die oben dargestellte Kampfformation der Phalanx zeigt aber, dass möglicherweise zwei unterschiedliche Zeitstufen in der Ilias existieren: Die auktoriale Gegenwart des ausgehenden 8. Jahrhunderts sowie die konstruierte mykenische Vorzeit. Diese heroische Vorzeit wurde in der Tat durch die Beschreibung eben erwähnter Realien evoziert. Jedoch diente dies wohl, wie die Forschung mittlerweile fast einstimmig erkennt, der Schaffung einer epischen Distanz, um die Erzählung über die Helden der heroischen Vorzeit überzeugend darzustellen. Diesbezüglich muss in Bezug auf das Kämpfen der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen werden, dass es in der Ilias auch Schilderungen von Einzelkämpfen gibt, in denen die Krieger durch ihre Tapferkeit Ruhm und Ehre erlangen konnten und somit ihren gesellschaftlichen Status definierten. Weil jedoch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Dichter der Ilias besondere historische Kenntnisse besaß, kann die Darstellung solcher Einzelkämpfe als dichterische Konzeption verstanden werden. Dabei werden die Heroen der Vorzeit, die untrennbar mit Kampf und Krieg verbunden sind, durch ihre kriegerischen Leistungen überhöht. Damit sollte vielleicht der Wettkampfethik der agonalen Gesellschaft des 8. Jh. v. Chr. Genüge getan werden. Die Phalanxformation der obigen Quellenstelle verweist hingegen grundsätzlich darauf, dass die Ilias als historische Quelle für die Zeit um 700 v. Chr. angesehen werden kann.

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Podcast-Hinweise
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Sehen Sie zu diesem Beitrag auch den Kommentar zum Eberzahnhelm.