Thukydides über den Trojanischen Krieg

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Thukydides
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Thuk. 1,10 – Original

καὶ ὅτι μὲν Μυκῆναι μικρὸν ἦν, ἢ εἴ τι τῶν τότε πόλισμα νῦν μὴ ἀξιόχρεων δοκεῖ εἶναι, οὐκ ἀκριβεῖ ἄν τις σημείῳ χρώμενος ἀπιστοίη μὴ γενέσθαι τὸν στόλον τοσοῦτον ὅσον οἵ τε ποιηταὶ εἰρήκασι καὶ ὁ λόγος κατέχει. [2] Λακεδαιμονίων γὰρ εἰ ἡ πόλις ἐρημωθείη, λειφθείη δὲ τά τε ἱερὰ καὶ τῆς κατασκευῆς τὰ ἐδάφη, πολλὴν ἂν οἶμαι ἀπιστίαν τῆς δυνάμεως προελθόντος πολλοῦ χρόνου τοῖς ἔπειτα πρὸς τὸ κλέος αὐτῶν εἶναι (καίτοι Πελοποννήσου τῶν πέντε τὰς δύο μοίρας νέμονται, τῆς τε ξυμπάσης ἡγοῦνται καὶ τῶν ἔξω ξυμμάχων πολλῶν: ὅμως δὲ οὔτε ξυνοικισθείσης πόλεως οὔτε ἱεροῖς καὶ κατασκευαῖς πολυτελέσι χρησαμένης, κατὰ κώμας δὲ τῷ παλαιῷ τῆς Ἑλλάδος τρόπῳ οἰκισθείσης, φαίνοιτ᾽ ἂν ὑποδεεστέρα), Ἀθηναίων δὲ τὸ αὐτὸ τοῦτο παθόντων διπλασίαν ἂν τὴν δύναμιν εἰκάζεσθαι ἀπὸ τῆς φανερᾶς ὄψεως τῆς πόλεως ἢ ἔστιν. [3] οὔκουν ἀπιστεῖν εἰκός, οὐδὲ τὰς ὄψεις τῶν πόλεων μᾶλλον σκοπεῖν ἢ τὰς δυνάμεις, νομίζειν δὲ τὴν στρατείαν ἐκείνην μεγίστην μὲν γενέσθαι τῶν πρὸ αὑτῆς, λειπομένην δὲ τῶν νῦν, τῇ Ὁμήρου αὖ ποιήσει εἴ τι χρὴ κἀνταῦθα πιστεύειν, ἣν εἰκὸς ἐπὶ τὸ μεῖζον μὲν ποιητὴν ὄντα κοσμῆσαι, ὅμως δὲ φαίνεται καὶ οὕτως ἐνδεεστέρα. [4] πεποίηκε γὰρ χιλίων καὶ διακοσίων νεῶν τὰς μὲν Βοιωτῶν εἴκοσι καὶ ἑκατὸν ἀνδρῶν, τὰς δὲ Φιλοκτήτου πεντήκοντα, δηλῶν, ὡς ἐμοὶ δοκεῖ, τὰς μεγίστας καὶ ἐλαχίστας: ἄλλων γοῦν μεγέθους πέρι ἐν νεῶν καταλόγῳ οὐκ ἐμνήσθη. αὐτερέται δὲ ὅτι ἦσαν καὶ μάχιμοι πάντες, ἐν ταῖς Φιλοκτήτου ναυσὶ δεδήλωκεν: τοξότας γὰρ πάντας πεποίηκε τοὺς προσκώπους. περίνεως δὲ οὐκ εἰκὸς πολλοὺς ξυμπλεῖν ἔξω τῶν βασιλέων καὶ τῶν μάλιστα ἐν τέλει, ἄλλως τε καὶ μέλλοντας πέλαγος περαιώσεσθαι μετὰ σκευῶν πολεμικῶν, οὐδ᾽ αὖ τὰ πλοῖα κατάφαρκτα ἔχοντας, ἀλλὰ τῷ παλαιῷ τρόπῳ λῃστικώτερον παρεσκευασμένα. [5] πρὸς τὰς μεγίστας δ᾽ οὖν καὶ ἐλαχίστας ναῦς τὸ μέσον σκοποῦντι οὐ πολλοὶ φαίνονται ἐλθόντες, ὡς ἀπὸ πάσης τῆς Ἑλλάδος κοινῇ πεμπόμενοι.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: J. M. Dent
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Übersetzung

When it is said that Mycenae was but a small place, or that any other city which existed in those days is inconsiderable in our own, this argument will hardly prove that the expedition was not as great as the poets relate and as is commonly imagined. [2] Suppose the city of Sparta to be deserted, and nothing left but the temples and the ground-plan, distant ages would be very unwilling to believe that the power of the Lacedaemonians was at all equal to their fame. And yet they own two-fifths of the Peloponnesus, and are acknowledged leaders of the whole, as well as of numerous allies in the rest of Hellas. But their city is not built continuously, and has no splendid temples or other edifices; it rather resembles a group of villages like the ancient towns of Hellas, and would therefore make a poor show. Whereas, if the same fate befell the Athenians, the ruins of Athens would strike the eye, and we should infer their power to have been twice as great as it really is. [3] We ought not then to be unduly sceptical. The greatness of cities should be estimated by their real power and not by appearances. And we may fairly suppose the Trojan expedition2 to have been greater than any which preceded it, although according to Homer, if we may once more appeal to his testimony, not equal to those of our own day. He was a poet, and may therefore be expected to exaggerate; yet, even upon his showing, the expedition was comparatively small. [4] For it numbered, as he tells us, twelve hundred ships, those of the Boeotians3 carrying one hundred and twenty men each, those of Philoctetes4 fifty; and by these numbers he may be presumed to indicate the largest and the smallest ships; else why in the catalogue is nothing said about the size of any others? That the crews were all fighting men as well as rowers he clearly implies when speaking of the ships of Philoctetes; for he tells us that all the oarsmen were likewise archers. And it is not to be supposed that many who were not sailors would accompany the expedition, except the kings and principal officers; for the troops had to cross the sea, bringing with them the materials of war, in vessels without decks, built after the old piratical fashion. [5] Now if we take a mean between the crews, the invading forces will appear not to have been very numerous when we remember that they were drawn from the whole of Hellas.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Wovon handelt der Quellentext?

2) Welche methodische Vorgehensweise des Thukydides lässt die Textstelle erkennen?

3) Glaubte Thukydides an die Historizität des Trojanischen Krieg?

Kommentar:

Die Frage nach der Historizität des Trojanischen Krieges wird bis heute kontrovers diskutiert. Wann wurde Troja zerstört? War Troja wirklich eine bedeutende Stadt und damit ein lohnendes Ziel für einen Angriff? Haben die Griechen tatsächlich versucht, Troja in einem hellenischen Zusammenschluss zu erobern?

In der antiken Literatur wurde der Trojanische Krieg immer wieder aufgegriffen, wie etwa bei dem attischen Historiker Thukydides. Thukydides, der um 460 v. Chr. geboren ist und wohl einer wohlhabenden athenischen Familie entstammte, verfolgte in seiner Geschichtsschreibung eine wissenschaftlich-kritische Methode und gilt daher als Begründer der pragmatischen Geschichtsschreibung. In seinem, im Nachhinein in acht Bücher eingeteilten, Werk über den Peloponnesischen Krieg (431 – 404 v. Chr.) zwischen den Großmächten Athen und Sparta bezieht sich der Historiker in seiner Einleitung im Zuge eines knappen Abrisses über die älteste Geschichte Griechenlands (die sogenannte „Archäologie“) auch auf den Trojanischen Krieg und bezeichnet ihn als erste Gemeinschaftsunternehmung der Hellenen gegen einen externen Feind. Dabei geht es Thukydides, wie die obige Quellenstelle (Thuk. 1,10) zeigt, auch um die Größe des trojanischen Krieges. Zu Beginn erklärt er grundsätzlich, dass nicht aufgrund der Größe einer Stadt auf die Größe ihrer Macht geschlossen werden darf. Auch wenn Mykene aus damaliger Sicht klein gewirkt haben mag, bedeute dies nicht, dass der Trojanische Krieg nicht trotzdem der bedeutendste aller früheren Kriege gewesen ist. Dennoch bleibe der Trojanische Krieg, trotz der anzunehmenden Überhöhung durch seinen Dichter Homer, bescheidener als der Peloponnesische Krieg. Dies macht Thukydides im darauffolgenden Abschnitt durch die Aufzählung der bei Homer im 2. Gesang der Ilias genannten Schiffe fest. Er schlussfolgert daraus, dass offenbar nicht Viele für einen gemeinsamen Auszug aus Hellas zusammengekommen seien und der Krieg insofern kleiner gewesen sein muss als der Peloponnesische Krieg.

Thukydides will hiermit also zeigen, dass der Peloponnesische Krieg das größte militärische Unternehmen aller Zeiten ist. Den Trojanischen Krieg, der bis dato größte bekannte Krieg, zieht er dafür als Referenz heran. Den Krieg um Troja bewertet Thukydides dabei logisch an den Möglichkeiten seiner Zeit, nämlich an der Anzahl der Kriegsschiffe. Diese entnimmt er dem homerischen Schiffskatalog der Ilias. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass Homer seinen Krieg vermutlich dichterisch überhöhte und daher keine verlässliche Quelle sein könne. Hieran lassen sich zwei methodische Vorgehensweisen der thukydideischen Geschichtsschreibung erkennen: Zum einen wird die Ilias von Thukydides als historische Quelle genutzt. So zitiert er Zahlenangaben aus dem homerischen Text. Zum anderen zeigt Thukydidesʼ Skepsis in Bezug auf den Wahrheitsgehalt der Angaben Homers, dass er einen kritischen Umgang mit der Quelle wahrte.

Dass Thukydides die homerische Ilias als Quelle heranzieht, bedeutet, dass er an der Historizität des Trojanischen Krieges nicht zweifelte. Dies ist umso bemerkenswerter, als Thukydidesʼ Name mit dem Beginn der kritischen Geschichtsschreibung in Verbindung gebracht wird. In seinem einzigartigen Methodenkapitel warnt er davor, Nachrichten von Früherem ungeprüft anzunehmen. Er muss also davon überzeugt gewesen sein, dass der Trojanische Krieg tatsächlich ein historisches Ereignis gewesen ist. Gleiches galt für die Menschen der griechisch-römischen Antike. Für sie war es historische Realität, dass der Palast des Priamos einst auf dem heute Hisarlık benannten Hügel stand und die Trojaner hier dem Angriff der Griechen entgegenstehen mussten. Zwar war man sich bewusst, dass es keine zeitgenössische Quelle für jenen Krieg gegeben hat und auch wurden Einzelheiten des Kriegsberichtes in Zweifel gezogen, doch war man sich zugleich sicher, dass der Krieg stattgefunden hat. Es darf dabei jedoch nicht vergessen werden, dass die Grenzen zwischen Mythos und Geschichte in der Antike fließend waren. Bis in die Gegenwart wird der Wert der homerischen Epen Ilias und Odyssee dennoch als historische Quelle verteidigt, wie etwa von einem so renommierten Forscher wie dem Basler Gräzisten Joachim Latacz. Aus Sicht der Alten Geschichte gilt der Trojanischer Krieg – zumindest so, wie Homer ihn beschreibt – jedoch heute als unwahrscheinlich.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Der Untergang Mykenes, Troja“. Um einen breiteren Einblick in die Archaik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte I – Archaik“.
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