06 – Religiöse Strukturen, Die Entwicklung des Christentums

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in:
Werner Rieß
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CC-BY-NC-SA

Römische Geschichte III: Die Spätantike

06 – Religiöse Strukturen, die Entwicklung des Christentum

Wenn man sich im Rahmen eines Podcasts mit dem Phänomen der Religion in der Spätantike beschäftigen möchte, muss man sich eng beschränken. Es sollen hier nur die wichtigsten Informationen zur Entstehung einer Reichskirche gegeben werden mit einem Seitenblick auf die vielen dogmatischen Streitigkeiten, die innerhalb des Christentums ausgetragen wurden. Daneben müssen selbstverständlich auch die wichtigsten Strömungen im Heidentum zur Sprache kommen, das noch lange nicht tot war und das geistig-religiöse Klima der spätantiken Welt immer noch entscheidend mitprägte.
Die Christenverfolgungen, die im 3. Jh. stattgefunden hatten, waren aus politischen Gründen erfolgt, um Loyalität zu erzwingen, nicht aus religiösen. Erst Diocletian ging es auch um religiöse Gründe, doch es war zu spät, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Constantin hatte wohl schon vor der umstrittenen „Bekehrung“ an der Milvischen Brücke mit dem Monotheismus geliebäugelt. Sol invictus, der Sonnengott, der schon unter Aurelian weiter an Prominenz gewonnen hatte, stelle eine gute Brücke zum christlichen Monotheismus dar. Zur Bekehrung Constantins im unmittelbaren Vorfeld der Schlacht an der Milvischen Brücke gegen Maxentius im Jahr 312 n. Chr. gibt es widersprüchliche Quellen von Eusebius und Laktanz. Auch die Fragen, inwieweit nun Constantin tatsächlich Christ war und aus welchen Motiven heraus, gehören seit Jacob Burkhardt zu den umstrittensten Themen der Althistorie überhaupt und können hier nicht weiter vertieft werden.
Tatsache ist, dass Constantin ab 312 das Christentum immer weiter begünstigte, Bischöfe bald auch eine gewisse Zivilgerichtsbarkeit bekamen (318) und z. B. vor ihnen auch Freilassungen durchgeführt werden konnten (321). Ganz in antiker Tradition fühlte sich Constantin als Patron der Kirche und damit für sie verantwortlich. Als ein großer dogmatischer Streit über das Wesen Jesu ausbrach, ob er nur gottähnlich oder aber gottgleich sei, versuchte Constantin, diesen sogenannten arianischen Streit, der erbittert zwischen Arius und Athanasius ausgetragen wurde, zu lösen, indem er 325 n. Chr. zu einem reichsweiten Konzil nach Nicaea einlud. Das Glaubensbekenntnis, das anlässlich dieses Konzils formuliert wurde, das sogenannte Nicaenum, das die Wesenseinheit von Gott Vater und Gott Sohn festschrieb, wird noch heute an hohen Feiertagen gebetet. Zugleich geschah bei diesem Konzil aber etwas Neues, etwas, das Folgen für die Geschichte haben sollte: Der Kaiser übernahm hier zum ersten Mal Verantwortung für die Religion, was im Prinzipat undenkbar gewesen wäre. Eine religiöse Frage wurde zur Staatsangelegenheit, und Constantin empfand sich als oberste Instanz auch in Glaubensfragen. Diese Form des Regierens nennen wir „Caesaropapismus“, und im oströmischen Reich blieb der Kaiser auch Kirchenoberhaupt, wohingegen im Westen allmählich eine Trennung zwischen dem geistlichen Oberhaupt, dem Bischof von Rom, und dem Kaiser stattfand. Auch auf diesem Gebiet drifteten also Ost- und Westreich auseinander. Trotz des Glaubensbekenntnisses schwelte der Konflikt zwischen Arius und Athanasius weiter; Constantin und seine Nachfolger waren nicht in der Lage, die dogmatischen Streitigkeiten, die v.a. im Osten auftraten und immer zahlreicher wurden, einzudämmen.
Einer Taufe ging meist eine dreijährige Zeit der Vorbereitung voraus, das sogenannte Katechumenat. Im Klerus gab es noch keine festgeschriebene Ämterlaufbahn, aber sehr wohl schon hierarchische Strukturen. Ganz unten standen Helfer, die Diakone, die in verschiedenen Bereichen, v.a. in der Finanzverwaltung tätig waren. Die Priester (nur freie und getaufte Männer konnten Priester werden) hießen zunächst presbyter oder sacerdotes, später auch pontifices. Meist aus den sozialen Oberschichten stammten die Bischöfe (episcopus oder antistes), sie mussten jedoch nicht studiert sein. Der wichtigste Bischof einer Provinz war der Bischof der Provinzhauptstadt, der Metropolit. Ihm oblag die Aufsicht über das religiöse Leben seiner Provinz. Und über den Metropolitanbischöfen ragten die Bischöfe von Rom, Konstantinopel, Antiochia, Alexandria, Jerusalem und auch Karthago besonders heraus. Der Bischof von Konstantinopel war einflussreich, weil er eben in der Hauptstadt des oströmischen Reiches residierte, doch der Primat Roms wurde durch tatkräftige Bischöfe, wie Damasus, Leo den Großen, Gelasius und Gregor den Großen zunehmend gefestigt. Allmählich entwickelte sich so das Papsttum, das auch Repräsentationsformen der Kaiser übernahm.
Dauerfragen wie die nach dem Militärdienst von Christen oder die Ehelosigkeit von Priestern wurden stets unterschiedlich gehandhabt, verschiedene Theologen formulierten hier ganz unterschiedliche Ansichten.
Die Sprache des frühen Christentums war Griechisch, zunächst auch im Westen. Die afrikanische Kirche wechselte als erste selbstbewusst ins Lateinische. Aber erst die wortgewaltigen Bischöfe Ambrosius, Augustinus und Papst Damasus etablierten das Lateinische auch als Sprache der Kirche, insbesondere Ambrosius und Augustinus prägten viele lateinische Ausdrücke, um schwierige theologische Konzepte aus dem Griechischen ins Lateinische zu übersetzen und das Lateinische als Kirchensprache anschlussfähig zu machen. Eine erste Bibelübersetzung, die vetus Latina, wurde von Hieronymus‘ Übersetzung der Bibel ins Lateinische, beendet im Jahre 405, obsolet gemacht; Hieronymus‘ Übersetzung wurde dann im Wesentlichen im lateinischen Mittelalter gelesen. Hier erhebt sich natürlich die Frage nach der Kanonbildung der neutestamentarischen Schriften. Origines hatte sich schon mit dieser Frage beschäftigt. Athanasius war dann der Erste, der 367 in einem Osterbrief die 27 heute als kanonisch geltenden Bücher des Neuen Testaments als kanonisch titulierte. Kurze Zeit später, 382, legte sich Papst Damasus auf diesen Kanon fest. Es ist kein Zufall, dass sich in den 370ern die Dinge verhärteten, machte doch Theodosius 380 in seinem Orthodoxiedekret das Christentum zur Staatsreligion.
In einer Zeit, in der viele Menschen verarmten und z. B. am Ausgang der Spätantike auch die Honoratioren verarmten bzw. der Euergetismus auch aus anderen Gründen zum Erliegen kam, wurde die Kirche durch Tempelenteignungen, v.a. aber durch testamentarische Schenkungen immer reicher, trotz der Ausgaben für karitative Zwecke, Kirchenbauten und die Besoldung der unteren Kirchenämter. Immer mehr wuchsen den kirchlichen Institutionen, deren Verwaltung im Gegensatz zur römischen funktionierte, staatliche Aufgaben zu. Die Bischöfe wurden für die Getreideversorgung der Bevölkerung zuständig, sie verhandelten mit Feinden, ja wurden zum Teil sogar militärisch tätig. Als sich die römischen Strukturen auflösten, blieben die kirchlichen übrig, damit sind wir in der Welt des Mittelalters angekommen. Und noch aus einem Grund ist die Kirche wichtig: Sie bewahrte die antike Bildungstradition und vermittelte sie in den Klöstern gemeinsam mit der Sprache und der Literatur der Antike an die nächsten Generationen weiter.
Diese Erfolgsgeschichte der Kirche darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kirche stets in ihrer Einheit gefährdet war. Schismatische Bewegungen (denen es „nur“ um disziplinarische Fragen ging) sowie Häresien bzw. Sekten (die andere Glaubenslehren verbreiteten) drohten die Kirche zu zerreißen, v.a. im spirituell stets aufgeheizten Osten. Auf die Vielzahl der abweichlerischen Gruppen kann hier nicht eingegangen werden.
Im Westen waren die dogmatischen Streitigkeiten weniger ausgeprägt, aber hier gab es Donatisten sowie Priscillianisten, die mit der Orthodoxie in Konflikt gerieten. Im donatistischen Streit, der v.a. in Africa zu verorten ist, ging es darum, ob Christen, die ihren Glauben angesichts der Verfolgungen verleugnet hatten (lapsi), wieder in die Gemeinde aufgenommen werden dürften oder nicht. Insbesondere ging es darum, ob Bischofsweihungen, bei denen traditores, also Verräter, zugegen gewesen waren, gültig waren oder nicht. Während die „Amtskirche“ hier milde war, vertraten die Donatisten eine harte und kompromisslose Haltung. Sie wurden immer mehr, und auch mit militärischen Aktionen war ihnen nicht beizukommen. Besonders radikal war die Splittergruppe der Circumcellionen, die Güter von Katholiken verheerten. Der Streit zog sich über Jahrhunderte hin, selbst Augustinus scheiterte mit Vermittlungsversuchen.
Die Priscillianisten waren Asketen, die sich um Priscillian v.a. in Spanien scharten und bald in Konflikt mit dem Episkopat gerieten. Der Usurpator Magnus Maximus köpfte Priscillian schließlich in Trier, damit war aber die Bewegung noch lange nicht überwunden.
Insgesamt zeichnen sich auch hier große Unterschiede zwischen Ost und West ab. Die Ostkirche konnte die Abfallbewegungen nie verhindern, das Christentum blieb zersplittert, die Orthodoxie blieb daher schwach. Der Islam bereitete den meisten christlichen Strömungen dann ein Ende, doch einige Gruppen, wie die koptische, syrische oder armenische Kirche konnten sich behaupten. Im Westen setzte sich der Katholizismus schließlich gegen den Arianismus durch, weil immer wieder arianische Germanen durch Ostrom besiegt wurden bzw. arianische Germanenfürsten unter dem Druck der romanischen Mehrheitsbevölkerung zum Katholizismus übertraten.
Es darf nun nicht der Eindruck erweckt werden, dass die spätantike Welt bereits weitgehend christianisiert war, und die Kirche um ihre eigenen Probleme kreisen konnte. Auch das Heidentum spielte immer noch eine bedeutende Rolle; gerade in den konservativen senatorischen Oberschichten hielt sich der alte Glaube noch lange. Dem alten Glauben hingen auch Bauern und Philosophen noch lange Zeit an, also sowohl Ungebildete wie Gebildete. Obwohl man sich das Nebeneinander von Christentum und Heidentum keinesfalls als konstanten Kampf um den rechten Glauben vorstellen darf, gibt es immer wieder Kristallisationspunkte, an denen sich die Auseinandersetzungen und die gegenseitigen Argumente gut zeigen lassen. So ein Beispiel ist der Streit um den Victoria-Altar bzw. die Victoria-Statue, die seit Augustus in der Curie stand, also am Versammlungsort des Senats. 382 ließ Kaiser Gratian die Statue beseitigen. Der hochrangige heidnische Senator Symmachus erhob dagegen Einspruch und schrieb in seiner berühmten Dritten Relatio von 384 ein flammendes Plädoyer, ein rhetorisches Meisterstück, für die Beibehaltung des Altars und der Statue. In diesem Text werden alle Argumente des Heidentums noch einmal zusammengefasst, auch die grundsätzliche Toleranz des Heidentums gegenüber allen Religionen kommt deutlich zum Ausdruck. Symmachus sagt: uno itinere non potest perveniri ad tam grande secretum, auf einem einzigen Weg gelangt man nicht zu so einem großen Geheimnis. Der fanatische Ambrosius von Mailand reagierte sofort und setzte den jugendlichen Kaiser Valentinian II. so unter Druck, dass dieser die Maßnahme nicht rückgängig machte. Auch Theodosius folgte einer weiteren Bitte der Heiden 389 nicht. Die Verhältnisse hatten sich umgekehrt: War das Christentum im 3. Jh. noch sporadisch verfolgt worden, so setzte nun das Christentum die Anhänger des alten Glaubens zahlreichen Repressalien aus. Das passierte nicht alles auf einmal, aber die Tendenz war klar. Julian Apostata, der letzte Heide auf dem Kaiserthron, der noch einmal dem alten Glauben zu Glanz verhelfen wollte, blieb aufgrund seiner kurzen Regierungszeit der Erfolg versagt. Das Christentum war nicht mehr zu stoppen. 380 erklärte Theodosius das Christentum zur Staatsreligion, Theodosius II. verbot das Heidentum 435 ganz.
Das Heidentum wird in der Spätantike insgesamt intellektueller und nimmt auch Christliches in sich auf. Eine bedeutende Strömung wird der Neuplatonismus. Die wichtigsten Vertreter sind Plotin, Porphyrius und schließlich Jamblichos. Sie leisten auf der Basis der platonischen Schriften noch einmal eine große Synthese der antiken Philosophie. In ihrer Lebensweise unterscheiden sich diese Philosophen kaum von christlichen Gelehrten. Sie vertreten eine strenge Ethik und suchen durch Kontemplation ihre Seele mit dem Göttlichen zu verschmelzen.
Noch wichtiger als die offiziellen Erlasse der Kaiser ist die gelebte soziale Praxis, und hier sehen wir, dass heidnische Institutionen am Ende des vierten und zu Beginn des fünften Jahrhunderts langsam aufhören zu existieren und das heißt, dass die alten Rituale nicht mehr vollzogen werden. Im heiligen Bezirk von Delphi bauen die Christen eine Kirche, die Olympischen Spiele versiegen unter Theodosius, Alarich zerstört 395 Eleusis, die letzte Vestalin ist 394 belegt, Justinian schließt bewusst die platonische Akademie in Athen im Jahre 529 n. Chr. Damit ist der letzte genuin heidnisch-philosophische Lehrbetrieb zu Ende.
Diese Einschnitte bedeuten jedoch nicht, dass das Heidentum nicht in anderer Form weitergelebt hätte. Von den Christen als magische Praktiken diffamierte Praktiken hielten sich weitere Jahrhunderte. Das gesamte mittelalterliche Bildungswesen blieb antik und d.h. in großen Teilen heidnisch geprägt. Mit Vergils Aeneis wurde im Mittelalter Latein gelernt. Und die Christen verstanden es geschickt, heidnische heilige Orte und Feste in christliche umzuwandeln. Kapellen und Kirchen wurden oft an Stelle der alten Heiligtümer errichtet, so dass die Menschen ihre gewohnten Wege nicht aufgeben mussten. Und viele heidnische Feste wurden unter christlichen Vorzeichen beibehalten, das berühmteste Beispiel ist wohl der Geburtstag des Sonnengottes am 24. Dezember, der zum christlichen Weihnachten umgedeutet wurde. Auch durch diese interpretatio Christiana ist vieles vom alten Heidentum bis heute unter der Oberfläche erhalten geblieben.

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