Schliemanns Methode und Schatz des Priamos


Q1: Schliemann, Heinrich: Atlas trojanischer Alterthümer: Photographische Berichte über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874.

Q2: Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer: Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig 1874, S. 295-296:
„Da ich alle vorgenannten Gegenstände, einen viereckigen Haufen bildend, zusammen, oder ineinanderverpackt auf der Ringmauer fand, so scheint es gewiss, dass sie in einer hölzernen Kiste (φωριαμῶός) lagen, wie schon in der Ilias (XXIV, 228) im Palast des Priamos erwähnt wurde;

Q3: Hom. Il., 24. Gesang, V. 228:
ἦ καὶ φωριαμῶν ἐπιθήματα κάλ᾽ ἀνέῳγεν:

Übersetzung: A.T. Murray
He spake, and opened the goodly lids of chests, wherefrom he took twelve beauteous robes

 

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Agnes von der Decken
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Leitfragen:

1) In welchem Zusammenhang stehen die drei Quellen?

2) Welche methodische Prämisse Schliemanns lassen die Quellen erkennen?

3) Welche Folgen hatte Schliemanns Vorgehen?

Kommentar:

Auf der Suche nach dem antiken Troja aus Homers Ilias stieß der deutsche Amateur Archäologe Heinrich Schliemann am 31. Mai 1873 in 8,5 Metern Tiefe auf einen großen kupfernen Gegenstand, hinter dem er Gold erkennen konnte. Schliemann grub den Gegenstand trotz der Einsturzgefahr mit einem Messer frei und entdeckte eine große Anzahl wertvoller Gegenstände, die als der „Schatz des Priamos“ Berühmtheit erlangten. Der Schatz beinhaltet große Kupferschilde, silberne Vasen, einen Silberkelch und einen Kessel, goldene Flaschen und Becher, Dolche und Speerspitzen aus Kupfer, silberne Messerschneiden und diversen Goldschmuck. Die hier zu sehende Abbildung zeigt den „Schatz des Priamos“ in Schliemanns Athener Haus. Die Abbildung stammt aus Heinrich Schliemanns „Atlas trojanischer Alterthümer“ (Leipzig 1874). Die von Schliemann gemachten Funde waren beim Auffinden in der Erde zusammengebogen oder ineinander gezwängt worden. In seinen Berichten über die Ausgrabungen in Troja (vgl. den Auszug aus “Trojanische Alterthümer”) beschreibt Schliemann den Fund als viereckigen Haufen. Für ihn ist dies das Indiz dafür, dass der Schatz in einer Holzkiste gelegen hat, wie es sie laut Homer im Palast des Priamos typischerweise gegeben hat. Schliemann verweist hier auf eine entsprechende Stelle in der Ilias, in welcher Priamos diverse Reichtümer aus einer hölzernen Kiste nimmt (Hom. Il. 24. Gesang, V. 228).

Schliemanns Bericht über die Entdeckung des Schatzes, mit welchem er eine direkte Verbindung zu Homers Ilias knüpfte, offenbart die fragwürdige methodische Prämisse, mit welcher er seine umfangreichen Grabungen vornahm: Er war der Ansicht, dass der Trojanische Krieg keine Legende war, sondern wirklich stattgefunden hatte und suchte mit dem Spaten nach Beweisen für diese These. Schliemann glaubte an die historische Existenz der sagenhaften Gestalten wie Priamos, Hektor, Agamemnon oder Helena. Die methodischen Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft völlig außer Acht lassend, glaubte er dabei – so wie an das „Evangelium“ – an die Genauigkeit der Angaben der Ilias. Er war sich deswegen sicher, dass mit dem Auffinden der Stelle des homerischen Trojas der Nachweis erbracht wäre, dass der in der Ilias beschriebene Trojanische Krieg ein historisches Ereignis gewesen ist.

Mit diesem Ziel vor Augen unternahm Schliemann Grabungen am Hügel Hisarlık. Von Frank Clavert, einem britischen Konsul der Troas, hatte er zuvor den Hinweis erhalten, dass das antike Troja an dieser Stelle, dem Hügel Hisarlık, zu suchen sei. Zwischen 1871 und 1873 unternahm Schliemann auf der Suche nach Homers Troja eine erste große Grabungskampagne. Schliemann und seine Helfer legten einen tiefen, von Norden nach Süden verlaufenen Schnitt quer durch den Hügel an. Der Deutsche vermutete, dass die Ruinen Trojas so alt seien, dass sie unmittelbar auf dem Boden des Hügels zu suchen seien. Dabei grub er immer tiefer und stieß auf eine Stadt, die heute zwischen 2250 und 2250 v. Chr. datiert wird (Troja II). Fälschlicherweise hielt er die Überreste dieser Stadt, in welcher er auch den „Schatz des Priamos“ entdeckte, für das homerische Troja. Er war davon überzeugt, dass Homer in seiner Ilias diese Stadt und ihr tragisches Ende besungen habe. So interpretierte er Überreste von Gebäuden, auf die er stieß, etwa als Palast des Priamos und hielt den gefundenen Schatz, wie oben beschrieben, für den Schatz des homerischen Königs. Heute weiß man jedoch, dass das Troja Homers 1200 Jahre jünger gewesen sein muss und Schliemanns Fund daher keinesfalls der Schatz des Königs Priamos gewesen sein kann. Unglücklicherweise führten Schliemanns Traum, Troja zu entdecken, in Verbindung mit seiner archäologischen Unkenntnis zu Beschädigungen an der Grabungsstätte: Schliemann ignorierte bei seinen Grabungen die Tatsache, dass das homerische Troja Nachfolgestädte gehabt haben muss, die höher liegen mussten als die von ihm ausgemachte Stadt. Bei seinen Grabungen zerstörte er daher verschiedene Schichten jüngerer Perioden, wie etwa aus der kaiserzeitlichen und hellenistischen, sowie der mittelbronzezeitlichen Zeit.

Kurz vor seinem Tod im Jahre 1890 hegte Schliemann jedoch selbst Zweifel daran, ob die von ihm entdeckte Siedlungsschicht Troja II tatsächlich das homerische Troja der Ilias gewesen ist. Dennoch verhalf ihm sein Vertrauen auf die historische Richtigkeit der Gedichte zur Entdeckung von Troja – einem der spektakulärsten archäologischen Entdeckungen aller Zeiten.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Der Untergang Mykenes, Troja“. Um einen breiteren Einblick in die Archaik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte I – Archaik“.
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