Thukydides über den Trojanischen Krieg

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Autor_in: Thukydides
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Thuk. 1,10 – Original

καὶ ὅτι μὲν Μυκῆναι μικρὸν ἦν, ἢ εἴ τι τῶν τότε πόλισμα νῦν μὴ ἀξιόχρεων δοκεῖ εἶναι, οὐκ ἀκριβεῖ ἄν τις σημείῳ χρώμενος ἀπιστοίη μὴ γενέσθαι τὸν στόλον τοσοῦτον ὅσον οἵ τε ποιηταὶ εἰρήκασι καὶ ὁ λόγος κατέχει. [2] Λακεδαιμονίων γὰρ εἰ ἡ πόλις ἐρημωθείη, λειφθείη δὲ τά τε ἱερὰ καὶ τῆς κατασκευῆς τὰ ἐδάφη, πολλὴν ἂν οἶμαι ἀπιστίαν τῆς δυνάμεως προελθόντος πολλοῦ χρόνου τοῖς ἔπειτα πρὸς τὸ κλέος αὐτῶν εἶναι (καίτοι Πελοποννήσου τῶν πέντε τὰς δύο μοίρας νέμονται, τῆς τε ξυμπάσης ἡγοῦνται καὶ τῶν ἔξω ξυμμάχων πολλῶν: ὅμως δὲ οὔτε ξυνοικισθείσης πόλεως οὔτε ἱεροῖς καὶ κατασκευαῖς πολυτελέσι χρησαμένης, κατὰ κώμας δὲ τῷ παλαιῷ τῆς Ἑλλάδος τρόπῳ οἰκισθείσης, φαίνοιτ᾽ ἂν ὑποδεεστέρα), Ἀθηναίων δὲ τὸ αὐτὸ τοῦτο παθόντων διπλασίαν ἂν τὴν δύναμιν εἰκάζεσθαι ἀπὸ τῆς φανερᾶς ὄψεως τῆς πόλεως ἢ ἔστιν. [3] οὔκουν ἀπιστεῖν εἰκός, οὐδὲ τὰς ὄψεις τῶν πόλεων μᾶλλον σκοπεῖν ἢ τὰς δυνάμεις, νομίζειν δὲ τὴν στρατείαν ἐκείνην μεγίστην μὲν γενέσθαι τῶν πρὸ αὑτῆς, λειπομένην δὲ τῶν νῦν, τῇ Ὁμήρου αὖ ποιήσει εἴ τι χρὴ κἀνταῦθα πιστεύειν, ἣν εἰκὸς ἐπὶ τὸ μεῖζον μὲν ποιητὴν ὄντα κοσμῆσαι, ὅμως δὲ φαίνεται καὶ οὕτως ἐνδεεστέρα. [4] πεποίηκε γὰρ χιλίων καὶ διακοσίων νεῶν τὰς μὲν Βοιωτῶν εἴκοσι καὶ ἑκατὸν ἀνδρῶν, τὰς δὲ Φιλοκτήτου πεντήκοντα, δηλῶν, ὡς ἐμοὶ δοκεῖ, τὰς μεγίστας καὶ ἐλαχίστας: ἄλλων γοῦν μεγέθους πέρι ἐν νεῶν καταλόγῳ οὐκ ἐμνήσθη. αὐτερέται δὲ ὅτι ἦσαν καὶ μάχιμοι πάντες, ἐν ταῖς Φιλοκτήτου ναυσὶ δεδήλωκεν: τοξότας γὰρ πάντας πεποίηκε τοὺς προσκώπους. περίνεως δὲ οὐκ εἰκὸς πολλοὺς ξυμπλεῖν ἔξω τῶν βασιλέων καὶ τῶν μάλιστα ἐν τέλει, ἄλλως τε καὶ μέλλοντας πέλαγος περαιώσεσθαι μετὰ σκευῶν πολεμικῶν, οὐδ᾽ αὖ τὰ πλοῖα κατάφαρκτα ἔχοντας, ἀλλὰ τῷ παλαιῷ τρόπῳ λῃστικώτερον παρεσκευασμένα. [5] πρὸς τὰς μεγίστας δ᾽ οὖν καὶ ἐλαχίστας ναῦς τὸ μέσον σκοποῦντι οὐ πολλοὶ φαίνονται ἐλθόντες, ὡς ἀπὸ πάσης τῆς Ἑλλάδος κοινῇ πεμπόμενοι.

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Übersetzung: J. M. Dent
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Übersetzung

When it is said that Mycenae was but a small place, or that any other city which existed in those days is inconsiderable in our own, this argument will hardly prove that the expedition was not as great as the poets relate and as is commonly imagined. [2] Suppose the city of Sparta to be deserted, and nothing left but the temples and the ground-plan, distant ages would be very unwilling to believe that the power of the Lacedaemonians was at all equal to their fame. And yet they own two-fifths of the Peloponnesus, and are acknowledged leaders of the whole, as well as of numerous allies in the rest of Hellas. But their city is not built continuously, and has no splendid temples or other edifices; it rather resembles a group of villages like the ancient towns of Hellas, and would therefore make a poor show. Whereas, if the same fate befell the Athenians, the ruins of Athens would strike the eye, and we should infer their power to have been twice as great as it really is. [3] We ought not then to be unduly sceptical. The greatness of cities should be estimated by their real power and not by appearances. And we may fairly suppose the Trojan expedition2 to have been greater than any which preceded it, although according to Homer, if we may once more appeal to his testimony, not equal to those of our own day. He was a poet, and may therefore be expected to exaggerate; yet, even upon his showing, the expedition was comparatively small. [4] For it numbered, as he tells us, twelve hundred ships, those of the Boeotians3 carrying one hundred and twenty men each, those of Philoctetes4 fifty; and by these numbers he may be presumed to indicate the largest and the smallest ships; else why in the catalogue is nothing said about the size of any others? That the crews were all fighting men as well as rowers he clearly implies when speaking of the ships of Philoctetes; for he tells us that all the oarsmen were likewise archers. And it is not to be supposed that many who were not sailors would accompany the expedition, except the kings and principal officers; for the troops had to cross the sea, bringing with them the materials of war, in vessels without decks, built after the old piratical fashion. [5] Now if we take a mean between the crews, the invading forces will appear not to have been very numerous when we remember that they were drawn from the whole of Hellas.

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Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Wovon handelt der Quellentext?

2) Welche methodische Vorgehensweise des Thukydides lässt die Textstelle erkennen?

3) Glaubte Thukydides an die Historizität des Trojanischen Krieg?

Kommentar:

Die Frage nach der Historizität des Trojanischen Krieges wird bis heute kontrovers diskutiert. Wann wurde Troja zerstört? War Troja wirklich eine bedeutende Stadt und damit ein lohnendes Ziel für einen Angriff? Haben die Griechen tatsächlich versucht, Troja in einem hellenischen Zusammenschluss zu erobern?

In der antiken Literatur wurde der Trojanische Krieg immer wieder aufgegriffen, wie etwa bei dem attischen Historiker Thukydides. Thukydides, der um 460 v. Chr. geboren ist und wohl einer wohlhabenden athenischen Familie entstammte, verfolgte in seiner Geschichtsschreibung eine wissenschaftlich-kritische Methode und gilt daher als Begründer der pragmatischen Geschichtsschreibung. In seinem, im Nachhinein in acht Bücher eingeteilten, Werk über den Peloponnesischen Krieg (431 – 404 v. Chr.) zwischen den Großmächten Athen und Sparta bezieht sich der Historiker in seiner Einleitung im Zuge eines knappen Abrisses über die älteste Geschichte Griechenlands (die sogenannte „Archäologie“) auch auf den Trojanischen Krieg und bezeichnet ihn als erste Gemeinschaftsunternehmung der Hellenen gegen einen externen Feind. Dabei geht es Thukydides, wie die obige Quellenstelle (Thuk. 1,10) zeigt, auch um die Größe des trojanischen Krieges. Zu Beginn erklärt er grundsätzlich, dass nicht aufgrund der Größe einer Stadt auf die Größe ihrer Macht geschlossen werden darf. Auch wenn Mykene aus damaliger Sicht klein gewirkt haben mag, bedeute dies nicht, dass der Trojanische Krieg nicht trotzdem der bedeutendste aller früheren Kriege gewesen ist. Dennoch bleibe der Trojanische Krieg, trotz der anzunehmenden Überhöhung durch seinen Dichter Homer, bescheidener als der Peloponnesische Krieg. Dies macht Thukydides im darauffolgenden Abschnitt durch die Aufzählung der bei Homer im 2. Gesang der Ilias genannten Schiffe fest. Er schlussfolgert daraus, dass offenbar nicht Viele für einen gemeinsamen Auszug aus Hellas zusammengekommen seien und der Krieg insofern kleiner gewesen sein muss als der Peloponnesische Krieg.

Thukydides will hiermit also zeigen, dass der Peloponnesische Krieg das größte militärische Unternehmen aller Zeiten ist. Den Trojanischen Krieg, der bis dato größte bekannte Krieg, zieht er dafür als Referenz heran. Den Krieg um Troja bewertet Thukydides dabei logisch an den Möglichkeiten seiner Zeit, nämlich an der Anzahl der Kriegsschiffe. Diese entnimmt er dem homerischen Schiffskatalog der Ilias. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass Homer seinen Krieg vermutlich dichterisch überhöhte und daher keine verlässliche Quelle sein könne. Hieran lassen sich zwei methodische Vorgehensweisen der thukydideischen Geschichtsschreibung erkennen: Zum einen wird die Ilias von Thukydides als historische Quelle genutzt. So zitiert er Zahlenangaben aus dem homerischen Text. Zum anderen zeigt Thukydidesʼ Skepsis in Bezug auf den Wahrheitsgehalt der Angaben Homers, dass er einen kritischen Umgang mit der Quelle wahrte.

Dass Thukydides die homerische Ilias als Quelle heranzieht, bedeutet, dass er an der Historizität des Trojanischen Krieges nicht zweifelte. Dies ist umso bemerkenswerter, als Thukydidesʼ Name mit dem Beginn der kritischen Geschichtsschreibung in Verbindung gebracht wird. In seinem einzigartigen Methodenkapitel warnt er davor, Nachrichten von Früherem ungeprüft anzunehmen. Er muss also davon überzeugt gewesen sein, dass der Trojanische Krieg tatsächlich ein historisches Ereignis gewesen ist. Gleiches galt für die Menschen der griechisch-römischen Antike. Für sie war es historische Realität, dass der Palast des Priamos einst auf dem heute Hisarlık benannten Hügel stand und die Trojaner hier dem Angriff der Griechen entgegenstehen mussten. Zwar war man sich bewusst, dass es keine zeitgenössische Quelle für jenen Krieg gegeben hat und auch wurden Einzelheiten des Kriegsberichtes in Zweifel gezogen, doch war man sich zugleich sicher, dass der Krieg stattgefunden hat. Es darf dabei jedoch nicht vergessen werden, dass die Grenzen zwischen Mythos und Geschichte in der Antike fließend waren. Bis in die Gegenwart wird der Wert der homerischen Epen Ilias und Odyssee dennoch als historische Quelle verteidigt, wie etwa von einem so renommierten Forscher wie dem Basler Gräzisten Joachim Latacz. Aus Sicht der Alten Geschichte gilt der Trojanischer Krieg – zumindest so, wie Homer ihn beschreibt – jedoch heute als unwahrscheinlich.

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Der Eberzahnhelm

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Autor_in: Homer
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Original:

Hom.Il.10.260-271

260 Μηριόνης δ᾽ Ὀδυσῆϊ δίδου βιὸν ἠδὲ φαρέτρην
καὶ ξίφος, ἀμφὶ δέ οἱ κυνέην κεφαλῆφιν ἔθηκε
ῥινοῦ ποιητήν: πολέσιν δ᾽ ἔντοσθεν ἱμᾶσιν
ἐντέτατο στερεῶς: ἔκτοσθε δὲ λευκοὶ ὀδόντες
ἀργιόδοντος ὑὸς θαμέες ἔχον ἔνθα καὶ ἔνθα
265 εὖ καὶ ἐπισταμένως: μέσσῃ δ᾽ ἐνὶ πῖλος ἀρήρει.
τήν ῥά ποτ᾽ ἐξ Ἐλεῶνος Ἀμύντορος Ὀρμενίδαο
ἐξέλετ᾽ Αὐτόλυκος πυκινὸν δόμον ἀντιτορήσας,
Σκάνδειαν δ᾽ ἄρα δῶκε Κυθηρίῳ Ἀμφιδάμαντι:
Ἀμφιδάμας δὲ Μόλῳ δῶκε ξεινήϊον εἶναι,
270 αὐτὰρ ὃ Μηριόνῃ δῶκεν ᾧ παιδὶ φορῆναι:
δὴ τότ᾽ Ὀδυσσῆος πύκασεν κάρη ἀμφιτεθεῖσα.

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Übersetzung: A.T. Murray
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Übersetzung:

Hom.Il.10.260-271

[260] And Meriones gave to Odysseus a bow and a quiver and a sword, and about his head he set a helm wrought of hide, and with many a tight-stretched thong was it made stiff within, while without the white teeth of a boar of gleaming tusks were set thick on this side and that, [265] well and cunningly, and within was fixed a lining of felt. This cap Autolycus on a time stole out of Eleon when he had broken into the stout-built house of Amyntor, son of Ormenus; and he gave it to Amphidamas of Cythem to take to Scandeia, and Amphidamas gave it to Molus as a guest-gift, [270] but he gave it to his own son Meriones to wear; and now, being set thereon, it covered the head of Odysseus.

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Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Was ist ein Eberzahnhelm?

2) Welche Funktion hatte der Eberzahnhelm?

3) Was sagt uns der Eberzahnhelm über die Entstehung der Ilias?

Kommentar:

Der in diesen Versen der Ilias beschriebene Helm, den König Odysseus von Meriones zur Verfügung gestellt bekommt, war der am häufigsten verwendete Helm in der ägäischen Bronzezeit und ein mykenisches Unikat. Bisher wurden in mehr als fünfzig Gräbern die aus Eberzähnen bestehenden Platten gefunden, die in einen Zeitraum zwischen 1650 und 1150 v. Chr. datieren. Der sogenannte Eberzahnhelm begegnet dabei aber über die ganze mykenische Periode hinweg nicht nur in Gräbern, sondern erscheint auch auf zahlreichen Darstellungen von Kriegern in der mykenischen Kunst.

Der Eberzahnhelm bestand aus einer mit Filz gefütterten Lederkappe auf die in eng aneinander liegenden Reihen kleine, halbmondförmige Eberzahnplatten, die in den Ecken mit Löchern durchbohrt waren, aufgenäht waren. Dass die Zähne auf eine Lederkappe genäht wurden, erfahren wir lediglich aus der Beschreibung in der Ilias, da das Material, auf das die Zähne genäht wurden, nicht erhalten geblieben ist. Um einen solchen Helm vollständig mit Eberzähnen zu bedecken, wurden die Zähne von etwa 50 bis 60 Ebern benötigt. Die jüngeren Exemplare der Eberzahnhelme besaßen Wangen- und/oder Nackenschutz.

Der Eberzahnhelm war Teil der klassischen Rüstung eines mykenischen Kriegers. Man verwendete Eberzähne, weil Metallarbeiten in dieser Zeit erst entwickelt wurden, und die Herstellung eines bronzenen Helmes, der einerseits leicht sein, andererseits aber auch schützen musste, noch eine Herausforderung darstellte. Später, als bronzene Rüstungen entstanden, hatte sich der Eberzahnhelm etabliert und erwies sich offenbar als so nützlich, dass vorerst keine Bronzehelme produziert wurden.

Der Eberzahnhelm besaß dabei gleichzeitig auch kulturelle Bedeutung, weil die Wildschweinjagd ein wichtiger Teil der mykenischen Kriegskultur war. Nur die mutigsten und begabtesten Krieger waren in der Lage, einen Eber zu erlegen. Vielleicht diente der Helm insofern auch als Zeichen von Mut und Können. Wahrscheinlich war der Eberzahnhelm auch ein Hinweis auf den hohen sozialen Status des Kriegers. Die Funde in den mykenischen Kriegsgräbern weisen darauf hin, dass er bei ehrenvollen Begräbnissen als kostbare Beigabe verwendet wurde. Seine Funktion als Statussymbol zeigt sich auch daran, dass man 50-60 Eber benötigte, um einen einzigen Helm herzustellen. Wahrscheinlich besaß also nicht jeder Krieger einen solchen Helm. Und auch die Verse in der Ilias lassen vermuten, dass der Eberzahnhelm kostbar war, da er nicht nur erbeutet und der Held Odysseus damit ausgerüstet, sondern sodann auch als kostbares Gastgeschenk und später als bedeutendes Erbstück weitergegeben wurde.

Der Eberzahnhelm, der in den Versen der Ilias so detailliert beschrieben ist, gehört in die Lebenswelt der Mykener. Die genaue Beschreibung deckt sich mit den erhaltenen Exemplaren und den vielen Darstellungen von Eberzahnhelmen auf Fresken, Siegeln oder Gefäßen aus mykenischer Zeit. Das homerische Epos wurde jedoch etwa 400 Jahre später, um 800 v. Chr., niedergeschrieben und bezieht sich auch größtenteils auf diese Zeit. Dass der Dichter der Ilias an dieser Stelle den Eberzahnhelm, also einen mykenischen Gegenstand, erwähnt, zeigt, dass die Dichtung im Zuge ihrer mündlichen Überlieferung und der damit einhergehenden Anpassung an die Lebenswelt der Zuhörer über Jahrhundert zu einer Verflechtung von Vergangenheit und Gegenwart geworden ist. Nur auszugsweise wird noch auf die mykenische Realität verwiesen. Wenn der Schreiber der Ilias dieses durch die Erwähnung des mykenischen Eberzahnhelmes tut und damit eine mykenische Kulisse aufleben lässt, diente dies vielleicht dazu, die Handlung absichtlich zu „archaisieren“ und ihr durch eine „epische Distanz“ den Glanz der heroischen Vorzeit zu verschaffen.

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Die Maske des Agamemnon


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Die Maske des Agamemnon

Leitfragen

1) Was ist die „Maske des Agamemnon“?

2) Was kann uns die Maske über den Begrabenen sagen?

3) Ist dies die Totenmaske des mythischen Königs Agamemnon?

Kommentar:

Bei den Ausgrabungen der mykenischen Schachtgräber des Gräberrundes, entdeckte Heinrich Schliemann 1876 diese goldene Totenmaske, die als „Maske des Agamemnon“ berühmt geworden ist. Die „Maske des Agamemnon“ gehört zu den bekanntesten und spektakulärsten Funden, die in den mykenischen Schachgräbern gefunden wurde (vgl. Quellenkommentar „Gräberrund A“). Die Totenmaske ist dabei eine von insgesamt fünf Masken, die in den Schachtgräbern VI (drei Masken) und V (zwei Masken) gefunden wurde. Die aus Goldblech gefertigte Maske ist 31,5 cm hoch und mittlerweile im Archäologischen Nationalmuseum in Athen ausgestellt.

Die Maske ist bis auf ein paar Risse und kleinere Brüche sehr gut erhalten, so dass die Details des Gesichts gut erkennbar sind: Das Gesicht ist oval und trägt hohe Wangenknochen. Von der hohen Stirn läuft eine lange, dünne Nase mit kleinen Nasenflügeln gradlinig hinab. Die dicht beieinanderstehenden großen Augen sind geschlossen und durch die Augenbrauen eingerahmt. Charakteristisch ist der große Mund mit den filigran dargestellten Lippen, die streng aufeinander liegen. Der Bart, insbesondere der Schnurbart, dessen Enden noch oben verlaufen, und die Augenbrauen sind detailgetreu entworfen. Schliemann glaubte deswegen, dass die Mykener Öl oder eine Art Pomade für ihre Haare gebrauchten. Zwei große Ohren rahmen das Gesicht ein. Neben ihnen befindet sich je ein Loch für einen Nagel. Möglich ist, dass den zu ehrenden Toten dabei die Masken am Kopf mit einem Faden befestigt wurden. Die Löcher am Maskenrand könnten ein Indiz dafür sein. Insgesamt trägt das Gesicht gebieterische Züge und lässt auf einen Mann höheren Alters schließen.

Die „Maske des Agamemnon“ ist dabei mit ihren ausgeprägten Gesichtszügen im Vergleich zu den anderen gefundenen Masken aus den beiden Schachtgräbern besonders detailgetreu. Es entsteht der Eindruck, dass hier das tatsächliche Gesicht des Trägers abgebildet ist. Der Ausdruck des Gesichtes scheint dabei den Charakter des Mannes wiederzugeben: würdevoll und herrschaftlich. Interessant ist, dass nicht alle Toten im Gräberrund Totenmasken trugen und dass die wenigen Träger der Masken Männer waren. Dies lässt vermuten, dass es sich bei den Trägern um Herrscher handelte, die auf diese Weise geehrt wurden. Da sich die fünf gefundenen Goldmasken in bestimmter Hinsicht ähneln – alle haben einen ähnlich geformten Mund, starke Augenbrauen und eine gerade Nase – wurde teilweise angenommen, dass hier eine Familienähnlichkeit erkennbar sei und insofern an dieser Stelle ein Herrschergeschlecht begraben läge. Eine andere Theorie ist diesbezüglich, dass die Masken von dem selben Handwerker oder der selben Werkstatt stammen. Gesichert ist dies aber nicht.

Dafür kann ausgeschlossen werden, dass die Maske eine Verbindung zum sagenumwobenen König Agamemnon hatte. Entgegen der weit verbreiteten Ansicht hielt auch Schliemann die Maske nicht für die Totenmaske Agamemnons. Zeitlich kann dies auch insofern ausgeschlossen werden, da die Forschung die Königsherrschaft des Agamemnon und den Trojanischen Krieg, wenn es ihn gegeben haben sollte, ins 13. Jh. v. Chr. setzt, die Grabfunde im Gräberrund A jedoch aus dem 16. Jh. v. Chr. stammen.

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Das Gräberrund A


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Das Gräberrund A

Leitfragen

1) Was ist das Gräberrund und was ist zu erkennen?

2) Wie entwickelte sich das Gräberrund A?

3) Was kann uns das Gräberrund über die Mykener sagen?

Kommentar:

Im Jahre 1876 stieß Heinrich Schliemann bei Grabungen in Mykene auf eine imposante Grabstätte: Das sogenannte Gräberrund A. Das Gräberrund A (in Abgrenzung zu einer zweiten, älteren, Grabstelle, dem Gräberrund B) befindet sich nach Eintritt durch das Löwentor nach etwa 20 Metern zur rechten Seite. Heute ist davon noch eine kreisförmige Umfassungsmauer sichtbar, die doppelreihig ist (in einem Abstand von 1,30 Meter) und aus senkrechten Kalksteinplatten besteht. Ursprünglich war diese kompakte Plattenmauer durch weitere Platten horizontal abgedeckt. Der Durchmesser des Gräberrundes beträgt etwa 27,50 Meter. Innerhalb des Gräberrundes stieß man auf insgesamt sechs Gräber, die aufgrund ihrer tiefen, rechteckigen Form als Schachtgräber bezeichnet werden und in ihrer Größe zwischen 3 x 3,50 Metern und 4,50 x 6,40 Metern und in ihrer Tiefe zwischen einem und vier Metern variieren. Zudem gab es kleine, flache Gräber, von denen aber nur eines erhalten ist.

Schliemann glaubte, die Grabstätte des legendären Königs Agamemnon und seiner Männer aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. ausgegraben zu haben. Dank moderner Datierungsmethoden sowie durch die in den Gräbern entdeckten Funde, weiß man jedoch heute, dass die Gräber ca. 300 Jahre älter waren, als Schliemann vermutete und aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. stammen. Zu dieser Zeit befand sich hier eine Gruppe großer Schachtgräber, in welchen sehr wahrscheinlich tatsächlich ein Herrschergeschlecht begraben lag. Die heute sichtbare Gestaltung der Grabstätte entstand jedoch 300 Jahre nach der letzten Beerdigung, die im 16.Jahrhundert v. Chr. stattgefunden haben muss. Ursprünglich lagen die alten Gräber, die von einer niedrigen, kreisförmigen Mauer eingefriedet waren, außerhalb der Siedlungsbegrenzung auf der Akropolis. Im 13. Jahrhundert v. Chr. wurde die Burgmauer jedoch erweitert, um die alten Gräber der herrschenden Vorfahren einzubeziehen. Weil diese aufgrund ihrer Lage am Steilhang der Akropolis tiefer lagen als das neu entstandene Löwentor, musste die Grabstelle mit Erde aufgefüllt werden, um das Niveau des Löwentors zu erreichen. Die künstliche Erdauffüllung wurde mit einer starken Mauer umfasst und dadurch zusammengehalten. Hierdurch entstand ein ebenes Gelände, auf welches die oben beschriebene Plattenmauer zur Sichtbarmachung der Gräber gebaut wurde. Kalksteinstelen markierten die Gräber der Vorfahren (s. Rekonstruktion des Gräberrundes A).

In den Schachtgräbern wurden die Skelette von insgesamt 19 Menschen gefunden, darunter neun Frauen, acht Männer und zwei Kinder. In den Gräbern stieß man auf außergewöhnlich viele und reiche Beigaben. Bei den Männern entdeckte man handgefertigte Schwerter, Dolche, Speere und Messer. Alle Toten waren zudem mit Schmuck bedeckt. Es gab Artefakte aus Bergkristallen und Halbedelsteinen, Goldringe mit Darstellungen aus dem Leben der Menschen und goldene Diademe. Einige Männer trugen goldene Totenmasken und auch die Kleider oder Leichentücher waren mit Gold verziert. Daneben wurden Gold- und Silbertassen in den Gräbern gefunden. Der Goldfund wird auf annähernd 15 kg geschätzt (ausgestellt im Nationalmuseum in Athen) und ist damit der bis heute reichste Grabfund der mykenischen Kultur.

Der reiche Fund in Gräberrund A lässt die Vorstellung an das „goldreiche Mykene“ Homers aufleben. Die zahlreichen Goldfunde spiegeln dabei einerseits die machtvolle und kämpferische Welt der Mykener wider, andererseits zeigen sie auch ihr hohes künstlerisches Können und ihren feinen Geist. Ägyptische und minoische Einflüsse sind erkennbar. Insbesondere die goldenen Siegelringe mit ihren kultischen Darstellungen zeigen dabei den Einfluss der kretischen Minoer. Die Reichtümer geben auch Hinweise auf den Wohlstand der frühmykenischen Gesellschaft und ihre Verbindungen zur Außenwelt.

Die Grabfunde verweisen dabei auch darauf, dass hier die Elite begraben lag, der diese glänzenden Gaben beigegeben wurden. Dass es sich um das Grab elitärer Vorfahren handelte, zeigt auch die völlige Bedeckung einer der Kinderleichen mit goldenem Blech. Offenbar muss dieses Kind eine herausgehobene Stellung gehabt haben, denn der Tod eines Säuglings oder Kindes war aufgrund der hohen Kindersterblichkeit eigentlich alltäglich und die Ehrung der mit Gold bedeckten Kinderleiche war daher etwas Besonderes. Vielleicht war das Gräberrund die letzte Ruhestätte einer mykenischen Herrscherdynastie, als sich die Stadt zum regionalen Machtzentrum entwickelte. Diese These kann durch die Baumaßnahmen im 13. Jahrhundert v. Chr. gestärkt werden: Bei der Neugestaltung der Burgmauer war es offenbar besonders wichtig, die Gräber der Vorfahren in die Akropolis einzubeziehen. Dies zeigt, welche Ehrfurcht und Achtung den Toten entgegengebracht wurden und lässt vermuten, dass sie als Begründer einer royalen Dynastie verehrt wurden. Das Gräberrund könnte demnach auch die Funktion eines Heroons der Vorfahren, also eines Grabdenkmals der Heroen, für spätere Generationen gehabt haben.

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Stiersprungfresko aus Knossos


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Stiersprungfresko aus Knossos

Leitfragen

1) Was ist auf dem Fresko zu sehen?

2) Was genau passierte beim Stiersprung und wer nahm teil?

3) Welche Funktion kann der Stiersprung gehabt haben?

Kommentar:

Dieses Stiersprung-Fresko stammt aus dem Ostflügel des Palastes von Knossos und ist, wie nahezu alle Fresken, in der Spätphase der jüngeren Paläste, also etwa 1600-1400 v. Chr., entstanden. Auch in diesem Fresko sind lediglich kleinere und größere Verputzbrocken erhalten, die zu einem Gesamtbild rekonstruiert werden mussten. Dank der Rekonstruktion ist die Szene, die das Fresko darstellt, aber deutlich erkennbar: Ein sich im Sprung befindender Stier wird von einer vor dem Stier stehenden männlichen Figur an den gesenkten Hörern gepackt. Über den Rücken des Stieres vollzieht eine weitere männliche Figur gleichzeitig einen Handstandüberschlag. Hinter dem Stier steht eine dritte männliche Figur, die die Arme in Richtung Stier ausstreckt. Das Motiv eines solchen Stiersprungs hat dabei in der Forschung großes Interesse geweckt, weil es in der minoischen Kultur allgegenwärtig ist.

Arthur Evans, der den Palast von Knossos Ende des 19. Jahrhunderts ausgrub, war der erste, der versuchte, den Akt des Stiersprunges zu rekonstruieren. Er vermutete, dass es sich bei der Darstellung um einen Sprung handelt, bei dem ein Springer den Stier bei den Hörnern greift, sich an diesen hochschwingt, einen Salto über den Stier macht, auf dessen Rücken landet und am Ende abspringt. Laut Evans handelt es sich bei den drei männlichen Figuren also um ein und den selben Mann in unterschiedlichen Stadien des Sprunges. Diese Rekonstruktion des Sprunges wird heute jedoch als undurchführbar abgetan. Viel eher sehen wir hier einen Springer, der im Begriff ist, einen Handstandüberschlag über den Rücken des Tieres zu vollziehen und der dabei von zwei anderen Männern assistiert wird (ein Mann verlangsamt den Stier durch den Griff an die Hörner, der andere sorgt beim Absprung für Hilfestellung). Dafür spricht auch die unterschiedliche Farbgebung der Figuren: Die springende Figur ist rot, die anderen beiden sind weiß.

Der auf diesem Fresko dargestellte Stiersprung ist eine rein männliche Angelegenheit. Das Geschlecht der Figuren lässt sich hier anhand ihrer Kleidung und anatomischer Merkmale wie der Penistasche, der fehlenden weiblichen Brust oder der Bein- und Bauchmuskulatur eindeutig bestimmen. Ob auch Frauen an Stiersprüngen teilnahmen, ist umstritten aber nicht sehr wahrscheinlich. Unbestritten ist hingegen, dass die Akteure, die dieses Fresko zeigt, jungen Alters und edler Abstammung waren. Dies zeigen ihre Physis, ihr gepflegtes und elegantes Aussehen sowie der edle Schmuck, den sie tragen. Die Größe des Stieres ist dabei wohl keine künstlerische Übertreibung – Knochenfunde beweisen, dass auf Kreta der bos primigenius lebte, der riesige Vorfahre der heutigen Stiere. Dieser wurde vermutlich gefangen und eine Zeit lang am Hof oder in Gutshöfen gehalten, bis er dann für das Spektakel geholt wurde. Hierbei wurde er so lange gereizt und provoziert, bis der Sprung über das heranrasende Tier möglich war.

Wo die Stiersprünge aufgeführt wurden, ist nicht eindeutig bestimmbar. In Erwägung gezogen wurden freie Plätze in der Stadt oder in Palastnähe oder sogar die Zentralhöfe der minoischen Paläste. Dies erscheint jedoch unwahrscheinlich, weil die Gefahr der Verletzung für Stier und Springer durch die Pflastersteine in den Höfen zu groß gewesen sein muss. Zudem hätte ein Zentralhof aufgrund seiner Größe die Anzahl an Zuschauern deutlich beschränkt, was in Anbetracht der Tatsache, dass der Stiersprung vermutlich der ganzen Gemeinde zugänglich gemacht werden sollte, kaum sinnvoll erscheint. Weil aber anzunehmen ist, dass in den Zentralhöfen Rituale abgehalten wurden, soll nicht ausgeschlossen werden, dass hier Stieropfer vollzogen wurden. Das Spektakel der Stiersprünge ist hingegen eher an einem Ort mit weichem, erdigen Boden zu verorten.

Die Bedeutung des Stiersprunges zeigt sich durch die enorme Signifikanz des Motives und seinen palatialen Charakter. Nicht nur in unzähligen Reliefs und Fresken in Knossos, sondern auch auf Goldringen, Siegeln, Steingefäßen oder Reliefverzierungen begegnet das Motiv des Stiersprungs. Dabei ähneln sich die Darstellungen und zeigen eine stereotype Sequenz. Alles spricht daher dafür, dass die Stiersprünge kultischen Charakter hatten. Dies ist auch deswegen anzunehmen, weil der Stier eine zentrale Rolle im Kult der Minoer spielte. Nicht nur hatte Zeus sich in einen Stier verwandelt, um die Europa nach Kreta zu entführen, sondern auch Minos, König von Knossos, ließ sich von Poseidon einen Stier schenken, der zusammen mit Minos‘ Frau Pasiphae den berühmten Minotauros zeugte. Ob der Stier im Anschluss an die Stiersprünge geopfert wurde, ist fraglich.

Es ist möglich, dass es sich bei dem Stiersprung um Teil eines Ernte- oder Vegetationsfestes handelte: Der Stier galt auch in der ägyptischen Religion als Symbol der Fruchtbarkeit. Denkbar ist auch, dass die gefährliche Begegnung zwischen Mensch und Tier – der Stier stand symbolisch für Stärke und Potenz – ein Initiationsritual minoischer Eliten war. Junge Adlige stellten ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten unter Beweis. Einige Fresken zeigen dabei einen städtischen Kontext sowie Zuschauer, die dem Spektakel beiwohnen und verweisen damit auf das städtische Kollektiv, das am Ritualgeschehen teilnahm.
Schlussendlich kann keine klare Unterscheidung zwischen Sport, Spiel und Ritual vorgenommen werden. Dass der Stiersprung dabei jedoch eine hohe kulturelle Bedeutung hatte, ist nicht von der Hand zu weisen.

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Stierkopf Rhyton

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Stierkopf Rhyton

Leitfragen

1) Was ist ein Rhyton?

2) Wozu wurde das Rython verwendet?

3) Welche Bedeutung hat die Stierkopf-Form?

Kommentar:

Hier zu sehen ist ein sogenanntes Rhyton in Form eines Stierkopfes. Ein Rhyton ist ein Trinkgefäß, das meist oben offen ist und an seinem unteren Ende in einem Kopf oder Protom eines Tieres endet. Am Boden des Gefäßes, also im Maulbereich, befindet sich ein kleines Loch, aus der Flüssigkeit, die in eine Öffnung im Nacken des Tieres eingegossen wird, austreten kann. Dies erklärt auch den Namen des Gefäßes, da sich der Begriff Rhyton von ῥυσις/rhýsis = „Strom“ ableitet.
Dieses Stierkopf-Rython, das in die jüngere Palastzeit datiert, ist das beste und vollständigste Beispiel dieser Art Gefäß aus minoischer Zeit. In der ersten Hälfte des 15. Jh. v. Chr. waren Rhyta überaus gängig: Zahllose Rhyta wurden in den Ruinen von Palästen und Häusern gefunden, die wohl im Zuge der Zerstörung der jüngeren Paläste zwischen 1500 und 1450 v. Chr. vernichtet wurden. Arthur Evans entdeckte das Stierkopf-Rhyton Anfang des 20. Jh. bei Ausgrabungen des sogenannten „Kleinen Palastes von Knossos“, der nordwestlich des großen Palastes liegt. Das aus schwarzem Speckstein gefertigte Rhyton zeichnet sich durch seinen detailgetreuen Stil aus und zeugt von großer handwerklicher Leistung bei seiner Herstellung. Die Hörner des Stiers, die rekonstruiert wurden, sind aus vergoldetem Holz, die Augen aus Bergkristall und die Schnauze aus Muschel. Detaillgetreu wurden Locken und zotteliges Fell eingraviert.

Die minoischen Rhyta sind von den späteren griechischen Rhyta zu unterscheiden. Letztere begegnen auf bildlichen Darstellungen vorrangig als Trinkgefäße. Dabei wurde vermutlich Wein oder ein anders Getränk in das Rhyton gegossen, was dann in einem Strom aus dem Loch im Boden des Gefäßes in den Mund floss. Die minoischen Rhyta sind hingegen wahrscheinlich primär im Kult verwendet worden. Allerdings ist ihre sakrale Verwendung nicht abschließend bewiesen, und es darf nicht ausgeschlossen werden, dass Rhyta in minoischer Zeit auch in alltäglichem Gebrauch waren. So könnten sie etwa als Behältnisse für Wein oder andere Getränke bei Festen oder Banketts gedient haben. Für eine sakrale Verwendung spricht jedoch das Fehlen einer für Trinkzwecke ausgebildeten Mündung oder Gefäßlippe. Auch waren die Rhyta – zumal, wenn sie wie hier aus Stein waren – oft sehr schwer, was einen alltäglichen Gebrauch eher ausschließt.

Dass das Rython die Form eines Stierkopfes hat, so wie viele andere Rhyta auch, verweist auf die besondere Rolle des Stieres in der minoischen Kultur und insofern auf den sakralen Charakter des Gefäßes. So könnte dieses Rhyton vor einem kultischen Hintergrund verwendet worden sein, um etwa das Blut von geopferten Stieren zu sammeln, das im Anschluss an die Opferung als Libation, also als Trankopfer, vergossen werden konnte. Eine interessante Theorie in Bezug auf die Verwendung des Stierkopf-Rython ist auch, dass das Rython Teil eines „re-enactment“ gewesen sein könnte, bei welcher es symbolisch für den geopferten Stier stand, der dabei noch einmal metaphorisch stirbt, während die Flüssigkeit aus dem Stierkopf tropft.

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Die Schlangengöttin

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Die Schlangengöttin

Leitfragen

1) Wie sieht die Statuette aus?

2) Welcher Kult verbindet sich mit der Schlangengöttin?

3) Warum trägt das Idol eine Schlange?

Kommentar:

Das Idol der hier abgebildeten und von Evans so genannten „Schlangengöttin“ entstammt einem Fund aus Knossos: Unter dem Fußboden eines Zimmers im südwestlichen, also dem kultischen, Teil des Palastes, wurden zwei Steinkisten gefunden, in denen eine große Anzahl verschiedener Gegenstände entdeckt wurden. In einer der beiden Kisten wurden zwei relativ gut erhaltene weibliche Figuren mit Schlangen gefunden, von denen eine die hier abgebildete Schlangengöttin ist. Neben den beiden Schlangengöttinnen befanden sich in den Steinkisten weitere Fayencefunde, wie Votivgürtel und -kleidungsstücke für die Figuren oder Modelle von Fischen und Muscheln. Der Fund datiert in das Ende der mittel-minoischen Periode, wie an Vasen, die ebenfalls in den Steinkisten gefunden wurden, nachgewiesen werden konnte.
Die Statuette der Schlangengöttin ist aus Fayence, einer Metallmischung aus gestoßenem Quarzkristall. Sie ist etwa 35 cm groß. Die Schlangengöttin hält eine kleine Schlange in der Hand des ausgestreckten rechten Armes. Ihr linker Arm sowie ihr Kopf sind abgebrochen. Die Figur trägt einen bodenlangen Volantrock. Um ihre Taille hängt eine Schürze und ihre Brüste sind freigelegt.
Wie so oft in der minoischen Kultur, stellt sich bei menschlichen Gestalten wie der Fayencestatuette der Schlangengöttin die Frage, ob sie Götter oder menschliche Verehrer darstellen oder gar Priesterinnen oder Königinnen sind, die Götter imitieren. Möglich ist auch, dass hier eine Epiphanie gezeigt wird, wobei die Gottheit im Körper der Schlange erscheint. Meist wurde jedoch aufgrund der erhobenen Arme der Figur angenommen, dass es sich bei dem Idol um die Göttin selbst handelt. Die in der Hand gehaltene Schlange könnte dabei auf einen übermenschlichen Status hinweisen.

Fraglich ist, in welchem genauen Zusammenhang die Schlangengöttin zur minoischen Religion stand. Zwar existieren keine architektonischen Überreste eines Heiligtums, jedoch gehört das Schlangenidol dem Fundort nach zu urteilen einem Kult an, der in Häusern vonstattenging. Die minoische Religion pflegte Kulträume in den Palästen und Häusern und kannte keine Tempel. Ausgrabungen und Funde haben gezeigt, dass der Kultraum dabei eine gewisse Grundausstattung hatte: So war es etwa üblich, dass neben anderen Kulteinrichtungen (unterschiedliche Kultgefäße und ein in die Mitte gestellter Dreifußtisch) eine Bank aus Stein oder Lehm an der Hauswand stand, auf welcher wichtige oder heilige Gegenstände aufgestellt waren. So könnte auch unsere Schlangengöttin für eine ähnliche Aufstellung gedacht gewesen sein. Dieser Art Idole wurden lediglich in Hausheiligtümern gefunden. Die neben der Schlangengöttin entdeckten Fayencefunde in den Steinkisten könnten demnach ihre Kultausstattung gewesen sein. Die detailreiche Ausgestaltung der Funde zeigt uns darüber hinaus übrigens auch, dass das kretische Handwerk von besonders hohem technischen Niveau gewesen ist.

Interessant ist zudem die Frage, warum die Figur eine Schlange in der Hand hält (bzw. zwei Schlangen, da sie vermutlich in der anderen Hand ebenfalls eine Schlange hält) und insofern auch, in welchem Zusammenhang Hauskult und Schlange standen. Eine Vermutung ist, dass die Schlange symbolisch als Wächterin des Hauses fungierte. Die Schlange, seit je her ein angsteinflößendes Tier, könnte dieser Erklärung nach als Abschreckung und Schutz vor Bösem und Fremdem dienen. Kleine Futternäpfchen, die man in Knossos gefunden hat, wurden deshalb dahingehend interpretiert. Eine andere Deutung erkennt in dem weiblichen Idol eine Herrin der Tiere. Wenn man die Schlange mit der Erde und der Unterwelt in Verbindung bringt, wie es einige Forscher für die minoische Religion angenommen haben, so könnte die weibliche Figur als Göttin der Erde angesprochen werden. Weilbliche Idole in Verbindung mit Fischen (besonders Delphinen) oder Vögeln, können den Herrschaftsbereich Meer und Himmel abdecken. Die Fayencefunde, die neben der Schlangengöttin in Knossos entdeckt wurden, können dieser Interpretation zur Folge auch den Herrschaftsbereich der Göttin repräsentieren. Eine weitere These ist es, dass in der Schlange, die sich immer wieder häutet, ein Symbol von Heilung und Wiedergeburt zu erkennen ist.
Die Vielfalt der unterschiedlichen Erklärungsmodelle zeigt, dass eine abschließende Klärung der Frage nach der Bedeutung der Schlange jedoch nicht möglich ist.

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Die Doppelaxt

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Agnes von der Decken
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Die Doppelaxt

Leitfragen

1) Wie sehen die Doppeläxte aus?

2) Welche Rückschlüsse lassen sich anhand des Aussehens über die Doppelaxt ziehen?

3) Welche Rolle spielte die Doppelaxt in der minoischen Kultur?

Kommentar:

Doppeläxte gehören zu den zentralen Elementen der minoischen Kultur, weil sie sowohl zahlreich in Gräbern, Palästen oder andern Kultstätten gefunden wurden als auch fortwährend auf Pfeilern, Wänden, Goldringen, Siegeln oder Sarkophagen abgebildet ist. Hier zu sehen sind eine Reihe kleiner, metallener Doppeläxte, die Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Höhle bei Arkalochori entdeckt wurden. Charakteristisch für Doppeläxte ist, dass zu beiden Seiten des runden Schaftes zwei gegenüberliegende Klingen abgehen, die stark geschwungen sind. Die Schneiden der Doppeläxte sind hier mit feinen Querornamenten verziert und auf beiden Klingen identisch, jedoch spiegelverkehrt. Der Schaft ist dicker und am unteren Ende befindet sich manchmal eine Öse, sodass die Axt aufgehängt werden kann.

Doppeläxte konnten als Handwerkszeug etwa zum Baumfällen oder zur Bearbeitung des Holzes fungieren. Auch in ihrer Funktion als Waffe ist die Doppelaxt geläufig. Jedoch war sie in diesen Fällen schwer und ihre Schneide kaum gekrümmt. Die hier vorliegenden Doppeläxte können aufgrund ihrer Größe (maximal 70 cm) und ihres Materials (Gold, Silber oder Bronze) nicht als Handwerkszeug in Gebrauch gewesen sein. Bei diesen Doppeläxten muss es sich daher um Nachbildungen handeln. Solche Nachbildungen waren überaus häufig und wurden aus Gold, Blei, Bronze, Silber oder Stein hergestellt. Welche genaue Funktion die Nachbildung einer Doppelaxt besaß, ist nicht mehr nachvollziehbar. Aufgrund ihres Fund- und Darstellungskontextes kann jedoch vermutet werden, dass eine besondere Verbindung zur minoischen Religion bestand.

Schon in frühminoischer Zeit wurden Doppeläxte in ihrer Funktion als kultische Symbole in Gräbern oder an andern kultischen Orten wie Höhlen und Palästen (etwa in großer Zahl im Palast von Knossos) aber auch Häusern, entdeckt. Doch welche genaue Funktion erfüllte die Doppelaxt im Kult? Eine Möglichkeit ist eine rein praktische Funktion: Die Doppelaxt war das Instrument, mit dem Opfertiere getötet wurden. Damit erhielt die Doppelaxt in ihrer Rolle als Gebrauchsgerät eine säkulare Konnotation und wäre selbst Kultgegenstand gewesen. Bestätigt werden könnte diese These durch die vielen Abbildungen von Doppeläxten zwischen den Hörnern von Rinderschädeln. Gleichzeitig konnte die Doppelaxt damit auch zum Symbol des Standes der OpferpristerInnen werden, was für Kultgegenstände nicht unüblich war. Gegen die These der Doppelaxt als Schlachtinstrument spricht allerdings die Beschaffenheit vieler Doppeläxte, die zum Töten von Tieren nicht geeignet schien (Material, Größe, Stärke). Auch die vielen Darstellungen von Doppeläxten, die in keinem Zusammenhang zu einem Opfer stehen, sprechen dagegen. Dass die hier abgebildeten Doppeläxte zum Opfern von Tieren gedacht waren, kann aufgrund ihrer Größe ebenfalls ausgeschlossen werden. Jedoch soll nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass eine Doppelaxt auch diese praktische Funktion gehabt haben kann.
Eine andere Erklärung ist, dass viele Doppeläxte als Votivbeigaben gedient haben. Diese These ergibt sich aus ihrem Fundort in Gräbern und Heiligtümern. So könnte die Doppelaxt als Werkzeug-Votiv von Schmieden oder Zimmermännern dargebracht worden sein, von Priestern als Opferinstrument-Votiv und von Kriegern als Waffen-Votiv. Teilweise wird auch angenommen, dass kleine, goldene Doppeläxte aufgrund ihrer Wertigkeit der Vermehrung des Tempelschatzes gedient haben und insofern als Weihgabe fungierten. Andererseits könnte die Existenz von Doppeläxten in Gräbern und Heiligtümern auch bedeuten, dass ein heiliger Ort markiert werden sollte. So wird die Doppelaxt vielfach als Symbol göttlicher Macht interpretiert, das sogar eine göttliche Gegenwart anzeigen konnte.
Großer Beliebtheit erfreute sich schließlich auch die These, dass die Doppelaxt Zeichen eines minoischen Matriarchates gewesen sei, weil sie auf Darstellungen häufig von vermeintlichen Göttinnen, Frauen oder Kultdienerinnen getragen wurde. Die Doppelaxt avancierte deswegen zu einem Symbol feministischer oder lesbischer Frauenbewegungen. Die Vorstellung eines minoischen Matriarchates, die wesentlich auf Evans Annahme der Existenz einer großen Muttergöttin zurückgeht, sieht die Forschung heute allerdings als pazifistische Utopie an. Und so müssen die tatsächliche Bedeutung und Funktion der Doppelaxt daher, wie Vieles in der minoischen Kultur, im Reich der Spekulationen bleiben.

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Übernahme der phönizischen Schrift

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Herodot
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Hdt. 5.58-59 – Original:

οἱ δὲ Φοίνικες οὗτοι οἱ σὺν Κάδμῳ ἀπικόμενοι, τῶν ἦσαν οἱ Γεφυραῖοι, ἄλλα τε πολλὰ οἰκήσαντες ταύτην τὴν χώρην ἐσήγαγον διδασκάλια ἐς τοὺς Ἕλληνας καὶ δὴ καὶ γράμματα, οὐκ ἐόντα πρὶν Ἕλλησι ὡς ἐμοὶ δοκέειν, πρῶτα μὲν τοῖσι καὶ ἅπαντες χρέωνται Φοίνικες: μετὰ δὲ χρόνου προβαίνοντος ἅμα τῇ φωνῇ μετέβαλλον καὶ τὸν ῥυθμὸν τῶν γραμμάτων. [2] περιοίκεον δὲ σφέας τὰ πολλὰ τῶν χώρων τοῦτον τὸν χρόνον Ἑλλήνων Ἴωνες, οἳ παραλαβόντες διδαχῇ παρὰ τῶν Φοινίκων τὰ γράμματα, μεταρρυθμίσαντες σφέων ὀλίγα ἐχρέωντο, χρεώμενοι δὲ ἐφάτισαν, ὥσπερ καὶ τὸ δίκαιον ἔφερε, ἐσαγαγόντων Φοινίκων ἐς τὴν Ἑλλάδα, Φοινικήια κεκλῆσθαι. [3] καὶ τὰς βύβλους διφθέρας καλέουσι ἀπὸ τοῦ παλαιοῦ οἱ Ἴωνες, ὅτι κοτὲ ἐν σπάνι βύβλων ἐχρέωντο διφθέρῃσι αἰγέῃσί τε καὶ οἰέῃσι: ἔτι δὲ καὶ τὸ κατ᾽ ἐμὲ πολλοὶ τῶν βαρβάρων ἐς τοιαύτας διφθέρας γράφουσι. [1] εἶδον δὲ καὶ αὐτὸς Καδμήια γράμματα ἐν τῷ ἱρῷ τοῦ Ἀπόλλωνος τοῦ Ἰσμηνίου ἐν Θήβῃσι τῇσι Βοιωτῶν, ἐπὶ τρίποσι τισὶ ἐγκεκολαμμένα, τὰ πολλὰ ὅμοια ἐόντα τοῖσι Ἰωνικοῖσι. ὁ μὲν δὴ εἷς τῶν τριπόδων ἐπίγραμμα ἔχει “ἀμφιτρύων μ᾽ ἀνέθηκ᾽ ἐνάρων ἀπὸ Τηλεβοάων.” ταῦτα ἡλικίην εἴη ἂν κατὰ Λάιον τὸν Λαβδάκου τοῦ Πολυδώρου τοῦ Κάδμου.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung:: A.D.Godley
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

These Phoenicians who came with Cadmus and of whom the Gephyraeans were a part brought with them to Hellas, among many other kinds of learning, the alphabet, which had been unknown before this, I think, to the Greeks. As time went on the sound and the form of the letters were changed. [2] At this time the Greeks who were settled around them were for the most part Ionians, and after being taught the letters by the Phoenicians, they used them with a few changes of form. In so doing, they gave to these characters the name of Phoenician, as was quite fair seeing that the Phoenicians had brought them into Greece. [3] The Ionians have also from ancient times called sheets of papyrus skins, since they formerly used the skins of sheep and goats due to the lack of papyrus. Even to this day there are many foreigners who write on such skins. [1] I have myself seen Cadmean writing in the temple of Ismenian Apollo at Thebes of Boeotia engraved on certain tripods and for the most part looking like Ionian letters. On one of the tripods there is this inscription: “Amphitryon dedicated me from the spoils of Teleboae.” This would date from about the time of Laius the son of Labdacus, grandson of Polydorus and great-grandson of Cadmus.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Niklas Rempe
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Hdt. 5.58-59

Leitfragen:

1) Beschreiben Sie den Ablauf der Übernahme der Schrift der Phönizier.

2) Was kann man aus der Quellenpassage über die frühe Verwendung der Schriftzeichen erfahren?

3) Was für Rückschlüsse lassen sich aus der Quelle über Herodots Ansichten hinsichtlich der Entwicklung der griechischen Schriftzeichen ziehen?

Kommentar:

Herodot beginnt seinen kurzen Exkurs über den Ursprung der griechischen Schrift mit Kadmos – dem mythischen Gründer Kadmeias (dem späteren Theben). Aus Phönizien stammend haben er und seine Gefährten, die sich schlussendlich in Boiotien ansiedelten, ihre Schriftzeichen mitgebracht. Die Verbindung dieser phönizischen Schrift und dem lokalen griechischen Dialekt führte zu einer Veränderung der Schriftzeichen. Herodot verweist zudem generell auf die Nachbarschaft bzw. enge Verbindung zwischen den Phöniziern und Griechen. Neben der mythischen Verbreitung der Schrift durch Kadmos hebt er parallel die Nähe zu den Griechen, die sich durch den ionischen Dialekt auszeichnen, hervor. Zu denken ist hier insbesondere an die griechischen Poleis an der kleinasiatischen Küste und an Zypern, wo sich sowohl griechische als auch phönizische Siedlungen befanden. Auch den praktischen Umgang mit der Schrift – Herodot erwähnt die Verwendung von Leder als beschriebenem Material – übernahmen die Griechen von ihren östlichen Nachbarn, bevor sie ihre Eigenarten diesbezüglich entwickelten. Die frühen Schriftzeugnisse, die zur Zeit Herodots noch überliefert waren, spiegeln diese Entwicklung wieder, da die Buchstaben nunmehr in Keramik geritzt und in einem frühen Stadium der späteren ionisch-griechischen Schrift verfasst wurden.

Herodot gibt nach seiner Darstellung der Herkunft der griechischen Schrift drei Beispiele für die frühe Verwendung jener Zeichen an. Es handelt sich um Inschriften auf verschiedenen Dreifüßen, die als Weihgabe in Tempeln abgelegt wurden. Zum einen ist der religiöse und kultische Kontext für diese Weihgaben hervorzuheben. Die Griechen applizierten das für sie relativ neue Konzept von Schrift anscheinend schnell innerhalb diesem für sie so wichtigen Bereich ihrer Lebenswelt. Auch der Inhalt der Inschriften zeugt davon, wenn in zwei der Beispiele dem Gott Apollon – in dessen Tempel die Dreifüße ja auch stehen – für sein Tun gedankt wird. Bzgl. dieser zwei Inschriften ist zudem hervorzuheben, dass sie in Hexametern – einem Versmaß, welches sich auch in der frühen Dichtung Homers und Hesiods finden lässt – verfasst sind. Das weist auf den hohen Stellenwert der Dichtung in der griechischen Welt hin. Obwohl erst einige Jahre in Verwendung scheinen die Griechen das Mittel der Schrift früh poetisch und künstlerisch genutzt zu haben.

Abschließend lässt sich aus Herodots Darstellung der Entwicklung der griechischen Schrift noch Verschiedenes über die Zeit des Autors (5. Jh. v. Chr) sagen. Herodot gibt dem Ursprung der griechischen Schriftzeichen durch die Verbindung zu Kadmos einen mythischen Anstrich. Derartiges ist in vielen Lebensbereichen und zu verschiedenen Zeiten im griechischen Raum nachzuvollziehen. Die Autorität, die eine derartige Person aus der mythischen Vergangenheit mit sich brachte, ging auf den Gegenstand, der auf sie zurückgeführt wurde, über (weitere Beispiele sind z.B. Städtegründer und/oder Gesetzgeber). Herodot und die Griechen seiner Zeit hielten diese Persönlichkeiten und die mit ihnen in Verbindung gebrachten Taten durchaus für historisch, was seine Kommentare zu den Inschriften zeigen. Erstere Inschrift sei zur Zeit von Kadmos‘ Enkel entstanden und die zweite in der Zeit des Ödipus. Herodot überschätzt damit allerdings das Alter der Inschriften deutlich, was zeigt, dass er sich der relativen Neuartigkeit der griechischen Schrift (sie wurde im 8. Jh. v. Chr. eingeführt) nicht gänzlich bewusst gewesen zu sein scheint. Die knapp 300 Jahre bis zur Lebenszeit Herodots haben zwar den plausiblen Ursprung der Schriftzeichen aus den phönizischen noch nicht vollends in Vergessenheit gerückt, doch wird von ihm die Veränderung der Buchstaben als deutlich langsamer, als sie konkret vonstatten ging, veranschlagt.

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Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Die große Kolonisation / Der Orient“. Um einen breiteren Einblick in die griechische Archaik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte I – Archaik“.
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Phönizier in Griechenland

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Homer
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Hom. Od. 15.415-483 – Original:

‘ἔνθα δὲ Φοίνικες ναυσίκλυτοι ἤλυθον ἄνδρες, 415
τρῶκται, μυρί᾽ ἄγοντες ἀθύρματα νηῒ μελαίνῃ.
ἔσκε δὲ πατρὸς ἐμοῖο γυνὴ Φοίνισσ᾽ ἐνὶ οἴκῳ,
καλή τε μεγάλη τε καὶ ἀγλαὰ ἔργα ἰδυῖα:
τὴν δ᾽ ἄρα Φοίνικες πολυπαίπαλοι ἠπερόπευον.
πλυνούσῃ τις πρῶτα μίγη κοίλῃ παρὰ νηῒ 420
εὐνῇ καὶ φιλότητι, τά τε φρένας ἠπεροπεύει
θηλυτέρῃσι γυναιξί, καὶ ἥ κ᾽ εὐεργὸς ἔῃσιν.
εἰρώτα δὴ ἔπειτα τίς εἴη καὶ πόθεν ἔλθοι:
ἡ δὲ μάλ᾽ αὐτίκα πατρὸς ἐπέφραδεν ὑψερεφὲς δῶ:
‘ἐκ μὲν Σιδῶνος πολυχάλκου εὔχομαι εἶναι, 425
κούρη δ᾽ εἴμ᾽ Ἀρύβαντος ἐγὼ ῥυδὸν ἀφνειοῖο:
ἀλλά μ᾽ ἀνήρπαξαν Τάφιοι ληΐστορες ἄνδρες
ἀγρόθεν ἐρχομένην, πέρασαν δέ τε δεῦρ᾽ ἀγαγόντες
τοῦδ᾽ ἀνδρὸς πρὸς δώμαθ᾽: ὁ δ᾽ ἄξιον ὦνον ἔδωκε.’
τὴν δ᾽ αὖτε προσέειπεν ἀνήρ, ὃς ἐμίσγετο λάθρη: 430
‘ἦ ῥά κε νῦν πάλιν αὖτις ἅμ᾽ ἡμῖν οἴκαδ᾽ ἕποιο,
ὄφρα ἴδῃ πατρὸς καὶ μητέρος ὑψερεφὲς δῶ
αὐτούς τ᾽; ἦ γὰρ ἔτ᾽ εἰσὶ καὶ ἀφνειοὶ καλέονται.’
τὸν δ᾽ αὖτε προσέειπε γυνὴ καὶ ἀμείβετο μύθῳ:
‘εἴη κεν καὶ τοῦτ᾽, εἴ μοι ἐθέλοιτέ γε, ναῦται, 435
ὅρκῳ πιστωθῆναι ἀπήμονά μ᾽ οἴκαδ᾽ ἀπάξειν.’
ὣς ἔφαθ᾽, οἱ δ᾽ ἄρα πάντες ἐπώμνυον ὡς ἐκέλευεν.
αὐτὰρ ἐπεί ῥ᾽ ὄμοσάν τε τελεύτησάν τε τὸν ὅρκον,
τοῖς δ᾽ αὖτις μετέειπε γυνὴ καὶ ἀμείβετο μύθῳ:
‘σιγῇ νῦν, μή τίς με προσαυδάτω ἐπέεσσιν 440
ὑμετέρων ἑτάρων, ξυμβλήμενος ἢ ἐν ἀγυιῇ,
ἤ που ἐπὶ κρήνῃ: μή τις ποτὶ δῶμα γέροντι
ἐλθὼν ἐξείπῃ, ὁ δ᾽ ὀϊσάμενος καταδήσῃ
δεσμῷ ἐν ἀργαλέῳ, ὑμῖν δ᾽ ἐπιφράσσετ᾽ ὄλεθρον.
ἀλλ᾽ ἔχετ᾽ ἐν φρεσὶ μῦθον, ἐπείγετε δ᾽ ὦνον ὁδαίων. 445
ἀλλ᾽ ὅτε κεν δὴ νηῦς πλείη βιότοιο γένηται,
ἀγγελίη μοι ἔπειτα θοῶς ἐς δώμαθ᾽ ἱκέσθω:
οἴσω γὰρ καὶ χρυσόν, ὅτις χ᾽ ὑποχείριος ἔλθῃ:
καὶ δέ κεν ἄλλ᾽ ἐπίβαθρον ἐγὼν ἐθέλουσά γε δοίην.
παῖδα γὰρ ἀνδρὸς ἑῆος ἐνὶ μεγάροις ἀτιτάλλω, 450
κερδαλέον δὴ τοῖον, ἅμα τροχόωντα θύραζε:
τόν κεν ἄγοιμ᾽ ἐπὶ νηός, ὁ δ᾽ ὑμῖν μυρίον ὦνον
ἄλφοι, ὅπῃ περάσητε κατ᾽ ἀλλοθρόους ἀνθρώπους.’
‘ἡ μὲν ἄρ᾽ ὣς εἰποῦσ᾽ ἀπέβη πρὸς δώματα καλά,
οἱ δ᾽ ἐνιαυτὸν ἅπαντα παρ᾽ ἡμῖν αὖθι μένοντες 455
ἐν νηῒ γλαφυρῇ βίοτον πολὺν ἐμπολόωντο.
ἀλλ᾽ ὅτε δὴ κοίλη νηῦς ἤχθετο τοῖσι νέεσθαι,
καὶ τότ᾽ ἄρ᾽ ἄγγελον ἧκαν, ὃς ἀγγείλειε γυναικί.
ἤλυθ᾽ ἀνὴρ πολύϊδρις ἐμοῦ πρὸς δώματα πατρὸς
χρύσεον ὅρμον ἔχων, μετὰ δ᾽ ἠλέκτροισιν ἔερτο. 460
τὸν μὲν ἄρ᾽ ἐν μεγάρῳ δμῳαὶ καὶ πότνια μήτηρ
χερσίν τ᾽ ἀμφαφόωντο καὶ ὀφθαλμοῖσιν ὁρῶντο,
ὦνον ὑπισχόμεναι: ὁ δὲ τῇ κατένευσε σιωπῇ.
ἦ τοι ὁ καννεύσας κοίλην ἐπὶ νῆα βεβήκει,
ἡ δ᾽ ἐμὲ χειρὸς ἑλοῦσα δόμων ἐξῆγε θύραζε. 465
εὗρε δ᾽ ἐνὶ προδόμῳ ἠμὲν δέπα ἠδὲ τραπέζας
ἀνδρῶν δαιτυμόνων, οἵ μευ πατέρ᾽ ἀμφεπένοντο.
οἱ μὲν ἄρ᾽ ἐς θῶκον πρόμολον, δήμοιό τε φῆμιν,
ἡ δ᾽ αἶψα τρί᾽ ἄλεισα κατακρύψασ᾽ ὑπὸ κόλπῳ
ἔκφερεν: αὐτὰρ ἐγὼν ἑπόμην ἀεσιφροσύνῃσι. 470
δύσετό τ᾽ ἠέλιος, σκιόωντό τε πᾶσαι ἀγυιαί:
ἡμεῖς δ᾽ ἐς λιμένα κλυτὸν ἤλθομεν ὦκα κιόντες,
ἔνθ᾽ ἄρα Φοινίκων ἀνδρῶν ἦν ὠκύαλος νηῦς.
οἱ μὲν ἔπειτ᾽ ἀναβάντες ἐπέπλεον ὑγρὰ κέλευθα,
νὼ ἀναβησάμενοι: ἐπὶ δὲ Ζεὺς οὖρον ἴαλλεν. 475
ἑξῆμαρ μὲν ὁμῶς πλέομεν νύκτας τε καὶ ἦμαρ:
ἀλλ᾽ ὅτε δὴ ἕβδομον ἦμαρ ἐπὶ Ζεὺς θῆκε Κρονίων,
τὴν μὲν ἔπειτα γυναῖκα βάλ᾽ Ἄρτεμις ἰοχέαιρα,
ἄντλῳ δ᾽ ἐνδούπησε πεσοῦσ᾽ ὡς εἰναλίη κήξ.
καὶ τὴν μὲν φώκῃσι καὶ ἰχθύσι κύρμα γενέσθαι 480
ἔκβαλον: αὐτὰρ ἐγὼ λιπόμην ἀκαχήμενος ἦτορ:
τοὺς δ᾽ Ἰθάκῃ ἐπέλασσε φέρων ἄνεμός τε καὶ ὕδωρ,
ἔνθα με Λαέρτης πρίατο κτεάτεσσιν ἑοῖσιν.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung:: A.T.Murray
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Übersetzung

[415] “Thither came Phoenicians, men famed for their ships, greedy knaves, bringing countless trinkets in their black ship. Now there was in my father’s house a Phoenician woman, comely and tall, and skilled in glorious handiwork. Her the wily Phoenicians beguiled. [420] First, as she was washing clothes, one of them lay with her in love by the hollow ship; for this beguiles the minds of women, even though one be upright. Then he asked her who she was, and whence she came, and she straightway shewed him the high-roofed home of my father, and said: [425] “‘Out of Sidon, rich in bronze, I declare that I come, and I am the daughter of Arybas, to whom wealth flowed in streams. But Taphian pirates seized me, as I was coming from the fields, and brought me hither, and sold me to the house of yonder man, and he paid for me a goodly price.’ [430] “Then the man who had lain with her in secret answered her: ‘Wouldest thou then return again with us to thy home, that thou mayest see the high-roofed house of thy father and mother, and see them too? For of a truth they yet live, and are accounted rich.’ “Then the woman answered him, and said: [435] ‘This may well be, if you sailors will pledge yourselves by an oath, that you will bring me safely home.’ “So she spoke, and they all gave an oath thereto, as she bade them. But when they had sworn and made an end of the oath, the woman again spoke among them, and made answer: [440] “‘Be silent now, and let no one of your company speak to me, if he meets me in the street or haply at the well, lest some one go to the palace and tell the old king, and he wax suspicious and bind me with grievous bonds, and devise death for you. [445] Nay, keep my words in mind, and speed the barter of your wares. But, when your ship is laden with goods, let a message come quickly to me at the palace; for I will also bring whatever gold comes under my hand. Aye, and I would gladly give another thing for my
passage. [450] There is a child of my noble master, whose nurse I am in the palace, such a cunning child, who ever runs abroad with me. Him would I bring on board, and he would fetch you a vast price, wherever you might take him for sale among men of strange speech.’ “So saying, she departed to the fair palace. [455] And they remained there in our land a full year, and got by trade much substance in their hollow ship. But when their hollow ship was laden for their return, then they sent a messenger to bear tidings to the woman. There came a man, well versed in guile, to my father’s house [460] with a necklace of gold, and with amber beads was it strung between. This the maidens in the hall and my honored mother were handling, and were gazing on it, and were offering him their price; but he nodded to the woman in silence. Then verily when he had nodded to her, he went his way to the hollow ship, [465] but she took me by the hand, and led me forth from the house. Now in the fore-hall of the palace she found the cups and tables of the banqueters, who waited upon my father. They had gone forth to the council and the people’s place of debate, but she quickly hid three goblets in her bosom, [470] and bore them away; and I followed in my heedlessness. Then the sun set, and all the ways grew dark. And we made haste and came to the goodly harbor, where was the swift ship of the Phoenicians. Then they embarked, [475] putting both of us on board as well, and sailed over the watery ways, and Zeus sent them a favorable wind. For six days we sailed, night and day alike; but when Zeus, son of Cronos, brought upon us the seventh day, then Artemis, the archer, smote the woman, and she fell with a thud into the hold, as a sea bird plunges. [480] Her they cast forth to be a prey to seals and fishes, but I was left, my heart sore stricken. Now the wind, as it bore them, and the wave, brought them to Ithaca, where Laertes bought me with his wealth.
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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Niklas Rempe
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Hom. Od. 15.415-383

Leitfragen:

1) Beschreiben Sie die Taten und Handlungen der Phönizier in Griechenland.

2) Was kann man aus der Quelle über die Phönizier erfahren?

3) Was für Schlüsse kann man aus der Beziehung zwischen den Phöniziern und Griechen ziehen?

Kommentar:

Die Quellenpassage ist ein Teil einer Unterhaltung zwischen dem nach Ithaka zurückgekehrten Odysseus und Eumaios. Letzterer erzählt warum er, als Sohn adliger Eltern, nunmehr sein Leben als Schweinehirte fristet. Im Mittelpunkt seiner Erzählung steht die Mannschaft eines Schiffs aus Phönizien. Man erfährt, dass sie des Handels wegen in seine Heimatstadt kamen und mit einer ebenfalls aus Phönizien stammenden Sklavin einen Pakt schlossen: Sobald die Schiffsmannschaft ihre Geschäfte abschließen würde und bereit zur Abfahrt sei, solle die Frau möglichst viel aus dem Haus ihres Herren stehlen und auch den ihr als Amme anvertrauten Sohn des Hausherren – es handelte sich um eben jenen Schweinehirten Eumaios – entführen. Ihr Ziel sei gewesen, sich so von der Mannschaft die Heimreise zu erkaufen. Man erfährt, dass auch sie von adligem Geschlecht sei und einst von griechischen Seefahrern von den taphischen Inseln aus ihrer Heimatstadt Sidon entführt wurde. Ein ganzes Jahr brauchten die Phönizier, um ihre Handelsgeschäfte abzuschließen und das Schiff mit den vielen Gütern zu befüllen, bevor der Plan umgesetzt werden konnte. Sowohl der Diebstahl als auch die Entführung gelang, und die Phönizier, die geflohene Sklavin und der unglückliche Eumaios machten sich auf den Weg. Lange konnte die Frau ihre Freiheit jedoch nicht genießen: am siebten Tag ihrer Flucht starb sie. Die Phönizier setzten ihre Reise fort und kamen nach Ithaka, wo ihnen Odysseus‘ Vater Laertes den jungen Eumaios abkaufte.

Aus der Beschreibung der unglücklichen Entführung und Versklavung des Schweinehirten Eumaios kann vieles über die Phönizier – bzw. über das Bild, welches die archaischen Griechen von ihnen hatten – erfahren werden. Die Phönizier werden als Händler charakterisiert. Mit ihren Schiffen befahren sie schon zu dieser Zeit das gesamte Mittelmeer und verteilen so ihre Waren im ganzen mediterranen Raum. Entsprechend langwierig und schwierig waren ihre Handelsreisen – allein in der Heimatstadt des Eumaios trieben sie ja ein ganzes Jahr Handel, und auch danach führte sie ihre Reise nicht etwa zurück in die Heimat, sondern weiter bis nach Ithaka. Nichtsdestoweniger erscheinen die Phönizier in der Quelle in keinem guten Licht. Zum einen werden die Männer des Schiffes als Vergewaltiger und Räuber dargestellt, zum anderen sticht die phönizischen Sklavin durch ihre List und Skrupellosigkeit hervor.

Die dargestellte Verbindung zwischen den Griechen und Phöniziern in dieser sehr frühen literarischen Darstellung unterstreicht verschiedene Aspekte der antiken Lebenswelt. Zum einen dürfen die Griechen nicht – auch nicht in dieser frühen Zeit – als Gruppe ohne externe Beziehungen betrachtet werden. Am Beispiel der Phönizier wird deutlich, dass sie schon früh in Form von Handelsbeziehungen bestanden. Dass diese zudem als durchaus weiträumig und nicht zuletzt auch ertragreich vorgestellt werden müssen, unterstreicht die Quelle. Die phönizische Sklavin in griechischen Landen zeugt zudem von einem weiteren – wenn auch weniger friedlichen – Berührungspunkt unterschiedlicher Völker: der Sklaverei. Auch die Griechen fuhren weite Strecken auf dem Mittelmeer und auch sie waren nicht zimperlich, im Umgang mit erbeuteter Ware, ob Mensch oder Gegenstand. Schlussendlich ist zu betonen, dass früh ein Kultur- und Warenaustausch zwischen den Griechen und anderen Völkern im Mittelmeerraum nachzuvollziehen ist. Die negative Charakterisierung der Phönizier (obwohl sie sich im Grunde ja genau so verhalten, wie es die Griechen auf ihren Handelsreisen tun) weist aber trotz der vielen Berührungspunkte der Völker darauf hin, dass diese sich jeweils ihrer Identitäten und Eigenarten bewusst waren.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Die große Kolonisation / Der Orient“. Um einen breiteren Einblick in die griechische Archaik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte I – Archaik“.
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