Aristoteles: Über die Ursachen der Tyrannis

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Autor_in: Aristoteles
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Original:

Aristot. Pol. 5. 1310b

φανερὸν δ᾽ ἐκ τῶν συμβεβηκότων. σχεδὸν γὰρ οἱ πλεῖστοι τῶν τυράννων γεγόνασιν ἐκ δημαγωγῶν ὡς εἰπεῖν, πιστευθέντες ἐκ τοῦ διαβάλλειν τοὺς γνωρίμους. αἱ μὲν γὰρ τοῦτον τὸν τρόπον κατέστησαν τῶν τυραννίδων, ἤδη τῶν πόλεων ηὐξημένων, αἱ δὲ πρὸ τούτων ἐκ τε τῶν βασιλέων παρεκβαινόντων τὰ πάτρια καὶ δεσποτικωτέρας ἀρχῆς ὀρεγομένων, αἱ δὲ ἐκ τῶν αἱρετῶν ἐπὶ τὰς κυρίας ἀρχάς (τὸ γὰρ ἀρχαῖον οἱ δῆμοι καθίστασαν πολυχρονίους τὰς δημιουργίας καὶ τὰς θεωρίας), αἱ δ᾽ ἐκ τῶν ὀλιγαρχιῶν, αἱρουμένων ἕνα τινὰ κύριον ἐπὶ τὰς μεγίστας ἀρχάς. πᾶσι γὰρ ὑπῆρχε τοῖς τρόποις τούτοις τὸ κατεργάζεσθαι ῥᾳδίως, εἰ μόνον βουληθεῖεν, διὰ τὸ δύναμιν προϋπάρχειν τοῖς μὲν βασιλικῆς ἀρχῆς τοῖς δὲ τὴν τῆς τιμῆς:

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: H. Rackham
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Übersetzung:

Aristot. Pol. 5. 1310b

And this is manifest from the facts of history. For almost the greatest number of tyrants have risen, it may be said, from being demagogues, having won the people’s confidence by slandering the notables. For some tyrannies were set up in this manner when the states had already grown great, but others that came before them arose from kings departing from the ancestral customs and aiming at a more despotic rule, and others from the men elected to fill the supreme magistracies (for in old times the peoples used to appoint the popular officials and the sacred embassies for long terms of office), and others from oligarchies electing some one supreme official for the greatest magistracies. For in all these methods they had it in their power to effect their purpose easily, if only they wished, because they already possessed the power of royal rule in the one set of cases and of their honorable office in the other, […]

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Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Wovon handelt die Quellenstelle?

2) Welche Ursachen nennt Aristoteles für die Entstehung einer Tyrannis?

3) Welche Aussagen lassen sich über eine Tyrannis im Allgemeinen treffen?

Kommentar:

Nach dem Zusammenbruch der mykenischen Welt war das Königtum in Griechenland keine weit verbreitete Institution mehr. Seit der Mitte des 7. Jh. v. Chr. gelang es Usurpatoren in verschiedenen Poleis (Stadtstaaten) die Macht zu ergreifen und für eine kurze Dauer Dynastien einzurichten. Später, als sich die Demokratie in einigen Poleis als Staatsform entwickelte, bestand bei den Griechen, insbesondere den Menschen des demokratischen Athens, ein großes Interesse an dieser frühen Form der Herrschaft, was sich in der Literatur des 5. und 4. Jh. v. Chr. niederschlug. Immer wieder wurde hier nach den Gründen für die Entstehung der Tyrannenherrschaft in der archaischen Zeit gesucht. So auch bei Aristoteles, zu dessen Lebzeiten es in Griechenland schon seit Generationen keine Tyrannenherrschaft mehr gegeben hat. In seinem Werk Politik, in welchem er über den Staat, seine Verfassung und seine ökonomischen Grundlagen schreibt, thematisiert der Philosoph im fünften Buch den Wandel und den Erhalt von Verfassungen. In der oben angeführten Quellenstelle beschreibt Aristoteles dabei, auf welch unterschiedliche Weise sich eine Tyrannenherrschaft durchsetzen konnte.

Die Quellenpassage wird mit den Worten eingeleitet, dass sich die Zustände in der Geschichte zeigten. Grundsätzlich, so Aristoteles, seien alle Tyrannen dabei ursprünglich Führer des Volkes gewesen. Im Folgenden differenziert Aristoteles jedoch. So unterscheidet er systematisch zwischen unterschiedlichen Ursachen der Entstehung einer Tyrannenherrschaft. Dabei lassen sich vier verschiedene von Aristoteles genannte Ursachen aus der angeführten Quellenstelle herauslesen: So seien Männer zu Tyrannen aufgestiegen, die ursprüngliche Volksführer gewesen sind, indem sie durch die Bekämpfung von Angesehenen das Vertrauen des Volkes gewannen. Eine andere Ursache für die Entstehung einer Tyrannis sieht Aristoteles darin, dass Könige die alten Traditionen verletzt und eine Despotenherrschaft angestrebt hätten. Eine weitere Variante, sich zum Tyrannen aufzuschwingen, sei der Missbrauch eines Amtes innerhalb der Polis gewesen, dass jemand für eine lange Dauer innehatte. Eine letzte Ursache sieht Aristoteles darin, wenn einem Einzelnen innerhalb eines oligarchischen Systems die höchste Gewalt übertragen werde.

In dieser Quellenpassage erklärt Aristoteles also, auf welche Weise ein Tyrann die Macht erlangen konnte. So ist der Tyrann nach Aristoteles zumeist ein gewöhnlicher Volksführer, der das Volk vor der zuvor herrschenden Klasse schützt. Oft ist er sogar selbst Teil dieser alten Regierungsschicht. Dabei ergreift der Tyrann die Macht meist wider die Verfassung. Daraus lässt sich ein gewisses Muster in der Entwicklung einer Tyrannenherrschaft ablesen: Die Tyrannis war demnach ursprünglich eine volksverbundene Regierungsform, die sich gegen die alte Aristokratie stellte. Insofern deckten sich die Interessen des Tyrannen anfänglich mit denen des Volkes. Im Laufe der Zeit und mit steigendem Selbstvertrauen verlor der Tyrann jedoch oftmals seine Basis, zumal er außerhalb der verfassungsgemäßen Institutionen wie Volksversammlung oder Rat regierte, die es in vielen großen Poleis in Griechenland gab. Aufgrund des mangelnden Rückhaltes und etwaiger neu geschlossener Allianzen gegen ihn kam es mit der Zeit häufig zu stärker werdender Willkür und brutalerer Machtausübung durch den Tyrannen oder seinen Sohn. Dies führte wiederrum schlussendlich nicht selten zum Sturz des Tyrannen.

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Tyrtaios über das Kämpfen

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Autor_in: Tyrtaios
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Original

οὔτ᾽ ἂν μνησαίμην οὔτ᾽ ἐν λόγῳ ἄνδρα τιθείμην
οὐδὲ ποδῶν ἀρετῆς οὔτε παλαιμοσύνης,
οὐδ᾽ εἰ Κυκλώπων μὲν ἔχοι μέγεθός τε βίην τε,
νικῴη δὲ θέων Θρηΐκιον Βορέην,
οὐδ᾽ εἰ Τιθωνοῖο φυὴν χαριέστερος εἴη,
πλουτοίη δὲ Μίδεω καὶ Κινύρεω μάλιον,
οὐδ᾽ εἰ Τανταλίδεω Πέλοπος βασιλεύτερος εἴη,
γλῶσσαν δ᾽ Ἀδρήστου μειλιχόγηρυν ἔχοι,
οὐδ᾽ εἰ πᾶσαν ἔχοι δόξαν πλὴν θούριδος ἀλκῆς:
οὐ γὰρ ἀνὴρ ἀγαθὸς γίγνεται ἐν πολέμῳ,
εἰ μὴ τετλαίη μὲν ὁρῶν φόνον αἱματόεντα
καὶ δηίων ὀρέγοιτ᾽ ἐγγύθεν ἱστάμενος.
ἥδ᾽ ἀρετή, τόδ᾽ ἄεθλον ἐν ἀνθρώποισιν ἄριστον
κάλλιστόν τε φέρειν γίγνεται ἀνδρὶ νέῳ.
ξυνὸν δ᾽ ἐσθλὸν τοῦτο πόληϊ τε παντί τε δήμῳ,
ὅστις ἂν εὖ διαβὰς ἐν προμάχοισι μένῃ
νωλεμέως, αἰσχρῆς δὲ φυγῆς ἐπὶ πάγχυ λάθηται,
ψυχὴν καὶ θυμὸν τλήμονα παρθέμενος,
θαρσύνῃ δ᾽ ἔπεσιν τὸν πλησίον ἄνδρα παρεστώς.
οὗτος ἀνὴρ ἀγαθὸς γίγνεται ἐν πολέμῳ:
αἶψα δὲ δυσμενέων ἀνδρῶν ἔτρεψε φάλαγγας
τρηχείας, σπουδῇ δ᾽ ἔσχεθε κῦμα μάχης:
[…]

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Übersetzung: J. M. Edmonds
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Übersetzung

I would neither call a man to mind nor put him in my tale for prowess in the race or the wrestling, not even had he the stature and strength of a Cyclops and surpassed in swiftness the Thracian Northwind, nor were he a comelier man than Tithonus and a richer than Midas or Cinyras, nor though he were a greater king than Pelops son of Tantalus, and had Adrastus‘ suasiveness of tongue, nor yet though all fame were his save of warlike strength; for a man is not good in war if he have not endured the sight of bloody slaughter and stood nigh and reached forth to strike the foe. This is prowess, this is the noblest prize and the fairest for a lad to win in the world; a common good this both for the city and all her people, when a man standeth firm in the forefront without ceasing, and making heart and soul to abide, forgetteth foul flight altogether and hearteneth by his words him that he standeth by. Such a man is good in war; he quickly turneth the savage hosts of the enemy, and stemmeth the wave of battle with a will;

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Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Worum geht es in dem Ausschnitt dieses tyrtäischen Fragments?

2) Welche Absicht verfolgt Tyrtaios mit seinem Gedicht?

3) Was kann das Gedicht über den Zusammenhang von Hoplitenphalanx und gesellschafts-politischen Entwicklungsprozessen in Sparta sagen?

Kommentar:

Der archaische Dichter Tyrtaios, der Mitte des 7. Jh. v. Chr. in Sparta lebte und wirkte, verfasste dieses Gedicht in einer Zeit, in der sich Sparta in einem Krieg mit seinem westlichen Nachbarn Messenien befand. In diesem sogenannten Zweiten Messenischen Krieg mussten die Spartaner sich gegen die im Ersten Messenischen Krieg unterworfenen Messenier wehren, die nun einen Aufstand gegen ihre Unterdrücker initiierten. In dem obigen Fragment spricht Tyrtaios, der möglicherweise als eine Art Feldherr fungierte, zu den spartanischen Soldaten und vermittelt ihnen die für ihn wichtigen Werte im Kampf. Dabei betont der Dichter, dass ein Kämpfer nicht wegen seiner Geschicklichkeit im Ringkampf, seiner Kraft, Größe und Schnelligkeit, nicht wegen seines Reichtums oder seiner Wortgewandtheit achtenswert und erinnerungswürdig sei, sondern allein aufgrund seiner Bewährung im Gefecht. Diese zeige sich, wie Tyrtaios fortfährt zu erklären, in der Standhaftigkeit im Kampf, in dem Mut, dem Feinde ins Angesicht zu blicken und in der Bereitschaft, dem Gefährten im Kampf zur Seite zu stehen. Dadurch erlange der Soldat nicht nur den Stolz der Stadt und des Volkes, was der schönste Preis eines Jünglings sei, sondern erreiche auch die Flucht der feindlichen Truppen.

Dieses Gedicht des Tyrtaios, welches er den Soldaten möglicherweise unmittelbar vor dem Kampf vortrug, ist eines von vielen sogenannten kampfparänetischen Gedichten des Tyrtaios. Bei der Kampfparänese geht es darum, mangelnde Kampfbereitschaft aufzuheben oder bestehende Kampfbereitschaft zu verstärken. Eben dies will Tyrtaios hier mit seinen Worten erreichen: Er möchte die Soldaten auf den bevorstehenden Kampf gegen die Messenier einschwören. Dabei will er die Soldaten jedoch nicht davon überzeugen, überhaupt in den Krieg zu ziehen, sondern sie vielmehr zu einer bestimmten Verhaltensweise im Kampf motivieren. Wie oben beschrieben, geht es Tyrtaios dabei hauptsächlich darum, standhaft im Verbund der Schlachtenreihe zu bleiben. Das höchste Lob erhalten diejenigen, die als Hopliten in der Schlachtenreihe Zuverlässigkeit und Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Mitstreitern zeigen. Bei Tyrtaios finden sich damit erstmals in Form literarischer Überlieferung wesentliche Aussagen zur Phalanxtaktik.

Auffällig ist, dass Tyrtaios in diesem Fragment klar zwischen individuellen Ambitionen im Kampf und der Nützlichkeit für die gesamte Mannschaft unterscheidet. Nicht derjenige, der adlige Vorzüglichkeitsmerkmale im Kampf aufweist, sondern derjenige, der aufopferungsvoll für die Gemeinschaft und die heimatliche Polis zu sterben bereit ist, zählt zu den wahren agathoi, den Guten. Tyrtaios bewertet hier also die Eigenschaften und das Verhalten eines Mannes nach „bürgerlichem“ Maßstab und seinem Nutzen für die Polis. Dieses Gedankengut muss aus dem gesellschaftlichen Umfeld, in welchem sich Tyrtaios Mitte des 7. Jh. v. Chr. in Sparta befand, erwachsen sein. Dabei steht offenbar nicht mehr die Ehre des einzelnen Helden im Zentrum, wie vielfach noch bei Homer, sondern das Individuum als fester Bestandteil der Polisgemeinschaft. In dem tyrtäischen Fragment wird damit der gesellschafts- und geistesgeschichtliche Umbruch widergespiegelt, der sich im archaischen Griechenland im 7. Jh. v. Chr. vollzog: Durch die Entwicklung eines aus Polisbürgern zusammengesetzten Hoplitenheeres in Phalanxformation erfuhr der einzelne Hoplit eine neue Bedeutung. Jeder einzelne Soldat der Phalanx war nun tragendes Element des Bürgerheeres, weil innerhalb dieser neuen Kampfformation alle aufeinander angewiesen waren. Dadurch stieg die Bedeutung des einzelnen Hopliten auch in gesellschaftlicher Hinsicht, während die der adligen Heerführer sank. Aus der militärischen Gleichheit erwuchs damit eine politische Gleichheit. Gleichzeitig entwickelte sich ein neues ethisches Prinzip, das in der Pflicht des Einzelnen gegenüber dem Staat bestand. Die neue Kampfesweise führte also zu einer Neuerung in der sozialen Ethik sowie im politischen System, weswegen die Polisentwicklung häufig mit der gleichzeitigen Entwicklung der Hoplitenphalanx in Verbindung gebracht wird. In der Forschung wird dieser Zusammenhang jedoch nach wie vor kontrovers diskutiert und sicherlich muss insgesamt von einer heterogenen Entwicklung ausgegangen werden, bei welcher zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Erneuerungsprozesse in Gang gesetzt wurden. Nichtsdestoweniger greifen wir in den Versen des Tyrtaios durch die Betonung der Wichtigkeit des einzelnen Hopliten im Gesamtverbund erstmals eine neue Vorstellung von Polisgemeinschaft.

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Thukydides über die Phalanx

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Autor_in: Thukydides
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Thuk. 5, 71, 1 – Original

τὰ στρατόπεδα ποιεῖ μὲν καὶ ἅπαντα τοῦτο: ἐπὶ τὰ δεξιὰ κέρατα αὐτῶν ἐν ταῖς ξυνόδοις μᾶλλον ἐξωθεῖται, καὶ περιίσχουσι κατὰ τὸ τῶν ἐναντίων εὐώνυμον ἀμφότεροι τῷ δεξιῷ, διὰ τὸ φοβουμένους προσστέλλειν τὰ γυμνὰ ἕκαστον ὡς μάλιστα τῇ τοῦ ἐν δεξιᾷ παρατεταγμένου ἀσπίδι καὶ νομίζειν τὴν πυκνότητα τῆς ξυγκλῄσεως εὐσκεπαστότατον εἶναι: καὶ ἡγεῖται μὲν τῆς αἰτίας ταύτης ὁ πρωτοστάτης τοῦ δεξιοῦ κέρως, προθυμούμενος ἐξαλλάσσειν αἰεὶ τῶν ἐναντίων τὴν ἑαυτοῦ γύμνωσιν, ἕπονται δὲ διὰ τὸν αὐτὸν φόβον καὶ οἱ ἄλλοι.

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Übersetzung: J. M. Dent
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Übersetzung

All armies are alike in this: on going into action they get forced out rather on their right wing, and one and the other overlap with this their adversary’s left; because fear makes each man do his best to shelter his unarmed side with the shield of the man next him on the right, thinking that the closer the shields are locked together the better will he be protected. The man primarily responsible for this is the first upon the right wing, who is always striving to withdraw from the enemy his unarmed side; and the same apprehension makes the rest follow him.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Worum geht es in dieser Quellenstelle?

2) Welche Besonderheiten fallen bei der Beschreibung der Phalanxformation auf?

3) Welche Rückschlüsse können im Allgemeinen über die Phalanx gezogen werden?

Kommentar:

Der attische Historiker Thukydides beschreibt in dieser Quellenstelle eine Szene aus der Schlacht bei Mantinea, die 418 v. Chr. stattfand. Diese Schlacht war eine der Schlachten im Peloponnesischen Krieg, bei welcher die Großmacht Sparta auf verbündete Truppen aus Argos, Mantinea und Athen traf. Thukydides berichtet darüber, wie beide Heere bei Mantinea aufeinanderstießen und es zur größten offenen Feldschlacht des Peloponnesischen Krieges kam. In der hier angeführten Quellenstelle beschreibt der Historiker die spartanische Heeresaufstellung, wobei er lediglich die Vorgänge in der ersten Schlachtenreihe darstellt. Durch seine objektive Erzählweise suggeriert Thukydides dabei eine gewisse Authentizität, was ihm, wie er in dem dem Werk vorangestellten Methodenkapitel erklärt, besonders wichtig gewesen ist. So stellt er dar, wie allen Heeren in der Phalanxtaktik das Gleiche widerfahre: Der rechte Flügel des Heeres schwenke beim Aufeinandertreffen weit aus, sodass die Linke des Gegners mit der eigenen Rechten überflügelt werde. Dies passiere, da jeder einzelne Hoplit Schutz hinter dem Schild des rechten Nebenmannes suche, in der Annahme, in diesem dichten Zusammenschluss am besten geschützt zu sein. Dadurch bleibe die rechte Seite des vordersten rechten Flügelmannes ungeschützt, sodass dieser bestrebt sei, mit der eigenen ungeschützten rechten Seite über den Gegner hinauszukommen. Ihm würden aus der gleichen Angst heraus die Anderen folgen.

Durch Thukydidesʼ Bericht erhalten wir an dieser Stelle eine der ausführlichsten Beschreibungen einer Phalanxformation. So erfahren wir etwa, dass der Schild des Hopliten ein entscheidenden Teil der Hoplitenausrüstung, die daneben aus Beinschienen, einem Brustharnisch (-panzer), einem Helm sowie einer Lanze und einem kurzen Schwert für den Nahkampf bestand, war. Der Schild war normalerweise aus Holz gefertigt und wurde mit dem Unterarm in einer Schlaufe in der Schildmitte (dem sogenannten Schildband) getragen. Der Schild spielte vor allem deswegen eine wichtige Rolle, da der Hoplit mit ihm, wie Thukydides anschaulich beschreibt, seinen linken Nebenmann abschirmte. Jeder einzelne Schild eines Hopliten ragte dabei offenbar so weit nach links, dass die ungeschützte rechte Seite des Nachbarmannes gedeckt wurde. In dieser dichten Formation waren die einzelnen Hopliten gut geschützt. Die so entstandene Kampfaufstellung glich dabei den Nachteil der durch die Ausrüstung gegebenen geringen Beweglichkeit aus. Andrerseits entstand aufgrund des Abschirmens des linken Nebenmannes auch der (so erstmals von Thukydides beschriebene) Rechtsdrall der Phalanx, denn der äußerste rechte Phalangit versuchte, seine ungeschützte rechte Seite über den Gegner hinauszubringen, was den Rest der Reihe nach sich zog, da jeder Hoplit so eng wie möglich hinter den Schild des rechten Nebenmannes drängte.

An der Beschreibung der Phalanxtaktik durch Thukydides wird ersichtlich, auf welche Weise ein Angriff in Phalanxformation vonstattenging: Attackiert wurde vom rechten Flügel, der die linke Seite des Gegners zu überflügeln und den Rest der Armee aufzurollen versuchte. Auf diese Weise besiegten die Spartaner in der Schlacht von Mantinea ihre Gegner. Die bei Thukydides beschriebene Phalanxformation zeigt zudem, dass eine solche Formation für unebenes Gelände kaum geeignet war. Die meisten Schlachten in Hoplitenformation wurden daher in Ebenen geschlagen. Zudem zeigt sich an Thukydidesʼ Bericht, wie sehr die Soldaten innerhalb der Phalanx aufeinander angewiesen waren. Ein Ausbruch aus der Phalanx nach vorne oder hinten hätte den Zusammenhalt und die Geschlossenheit des Heeres bedroht. Dies zeigt, dass Ordnung, Disziplin und kontrollierter Mut die wesentlichen Tugenden eines Hopliten sein mussten. Diese Ideale werden schon in der Kriegslyrik des Spartaners Tyrtaios (7. Jh. v. Chr.) besungen oder zeigen sich an der Darstellung der sogenannten Chigi-Kanne (um 650 v. Chr.).

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Sehen Sie zu diesem Beitrag auch die Kommentare zur Chigi-Kanne und zum aristokratischen Machtkampf.

Die Chigi-Kanne


Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Agnes von der Decken
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Die Chigi-Kanne

Leitfragen

1) Was ist die „Chigi-Kanne“?

2) Was kann uns die Phalanx-Darstellung auf der Chigi-Kanne sagen?

3) Welche Botschaft transportiert die Phalanx-Darstellung auf der Chigi-Kanne?

Kommentar:

Die sogenannte Chigi-Kanne stammt von einem korinthischen Maler und kann nach stilistischen Gesichtspunkten auf etwa 650 v. Chr. datiert werden. Die Kanne wurde in der etruskischen Stadt Veji gefunden, ein genauerer Fundkontext ist aber nicht bekannt. Die 26,2 cm hohe Weinkanne (Olpe) im protokorinthischen Stil, die heute in der Villa Giulia in Rom ausgestellt ist, ist in drei bebilderte Zonen unterteilt. Der Maler der Chigi-Kanne wollte offenbar eine Geschichte illustrieren. Für eine Gesamtinterpretation der Kanne, die hier nicht geleistet werden kann, müssen alle Darstellungen auf der Kanne, wenn möglich, in Zusammenhang gebracht werden. Die oberste Zone besteht aus einem einzigen, lediglich durch den Henkel unterbrochenen Fries und zeigt zwei gegeneinander anrückende Schlachtreihen. Die mittlere Zone, das Bauchfries, zeigt das Parisurteil, einen Reiterzug mit Wagen, eine Doppelsphinx und eine Löwenjagd. Auf der schmalen untersten Zone ist eine Hasen- und Fuchsjagd abgebildet. Die Kanne könnte im griechischen Symposion Verwendung gefunden haben. Die Bilder sprachen vornehmlich Aristokraten an, da sie die aristokratische Lebensweise und Gedankenwelt widerspiegeln. Dafür spricht auch die sorgfältige Arbeit der Kanne. Die Chigi-Kanne ist eine der am reichsten und feinsten bemalten Exemplare ihrer Art. Besonders ist dabei auch ihr polychromer Charakter: Der Tongrund ist elfenbeinfarben, darüber finden sich die Farben Purpur, Weiß, Gelb, Braun und Glanzton. Besonderes Augenmerk soll hier auf das oben abgebildete Schulterfries der obersten Zone der Kanne geworfen werden, auf welchem zwei Armeen dargestellt sind, die in engen Reihen gegeneinander marschieren. Vom Henkel aus gegen den Uhrzeigersinn betrachtet, sind zwei sich rüstende Kämpfer zu erkennen. Links daneben marschieren sieben Kämpfer mit geschulterten Speeren in dichter Formation. Dahinter ist ein schwarzgekleideter Flötenspieler, ein Aulet, zu erkennen, der die marschierenden Soldaten im Gleichschritt hält. Er wirft seinen Kopf in den Nacken und bläst einen Doppelaulos, eine Oboenart. In der Mitte des Frieses begegnen sich zwei Formationen (etwa vier bis fünf Kämpfer). Die Soldaten in den vordersten Reihen treffen bereits aufeinander und kreuzen ihre Speere. Die Schilde der von links anrückenden Soldaten sind von innen zu sehen, die der Gegner von außen. Diese Schilde sind reich verziert. Hinter der rechten Formation rücken weitere Krieger nach. Die Rüstung der Kämpfer besteht aus Helmen, Panzern und Beinschienen sowie Speeren und Rundschilden. Der Künstler hat also zeitlich verschiedene Vorgänge in einem Bild vereinigt. Wichtig war es ihm dabei wohl, die dichte Formation der Kämpfer darzustellen, da es keine Kampfszene gibt, in welcher diese Formation aufgelöst gewesen wäre.

Die Rüstung der Soldaten und ihre Formation zeigen eindeutig, dass es sich bei den Dargestellten um Hopliten (Schwerbewaffnete) handelt, die in der Phalanx (Schlachtreihe) aneinanderrücken. Neben ihrem besonderen ästhetischen Wert ist die Chigi- Kanne vor allem wegen dieser Phalanx-Darstellung von großer Bedeutung, denn hier ist die älteste bekannte Darstellung einer Hoplitenphalanx zu sehen. Die Chigi-Kanne ist damit eines der wichtigsten nichtschriftlichen Quellenzeugnisse im Zusammenhang mit der Erforschung der Hoplitenphalanx. Die Hoplitenphalanx war zwar schon in Ansätzen bei Homer bekannt, wurde jedoch erst später (besonders in Sparta) taktisch verbessert. Der Erfolg der Phalanx lag dabei im Zusammenhalt der Schlachtenreihen während des Aufmarsches und im Kampf, wobei die Feinde durch die Wucht des Zusammenpralles zurückgedrängt und in die Flucht geschlagen werden sollten. Wahrscheinlich greifen wir bei der Darstellung auf der Vase noch eine Frühform der Phalanx, bei welcher die Kriegsreihen noch nicht so eng geschlossen sind, wie es später der Fall war. Dies könnte jedoch auch auf den Versuch des Künstlers zurückgehen, die Reihen der Phalanx und die Verzierung der Schilde bildlich darzustellen. Interessant sind darüber hinaus eben jene verzierten Schilde der Kämpfer. Hierbei kann es sich um Embleme zur Identifizierung und Hervorhebung der durch die Rüstung anonymisierten Träger handeln. Dies könnte aufzeigen, dass in dem hier repräsentierten Frühstadium der Phalanx vorrangig Aristokraten kämpften. Auch wenn die Vasendarstellung der Hoplitenphalanx also vermutlich nicht identisch ist mit späteren antiken literarischen Beschreibungen einer Phalanx, werden die wesentlichen Elemente der Phalanx von dem Vasenmaler aufgegriffen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Phalanx zum Zeitpunkt der Herstellung der Vase, also spätestens 650 v. Chr., in Griechenland schon eingeführt war und die Betrachter der Vase insofern die Darstellung verstehen konnten.

Die Chigi-Kanne gibt dem modernen Betrachter damit einen Einblick in die antike griechische Militärorganisation zur Zeit der Herstellung der Vase. Vielleicht hatte der Vasenmaler einen bestimmten, eben geführten Krieg vor Augen, schließlich lassen sich zwei gegnerischen Parteien der Schlachtenreihen erkennen. Jedoch ist völlig unklar, wer hier abgebildet ist. Auch zusätzliche Informationen, wie sie durch die Darstellung von Landschaften gegeben werden könnten, fehlen auf der Kanne. Wir können heute also (und wahrscheinlich konnte man es ebenso wenig in der Antike) auf Grundlage der Darstellung auf der Vase nicht mehr sagen, als dass hier Hopliten gegen Hopliten kämpfen. Dies ist typisch für die Darstellung von Schlachtenreihen auf Vasen. Selten sind diese individuell oder geben Auskunft über eine bestimmte historische Szene. Insofern ist die Chigi-Kanne ein Beispiel für die Darstellung eines im Wesentlichen sich wiederholenden Geschehens. Die Botschaft der Darstellung auf der Chigi-Kanne liegt daher vermutlich vielmehr im Aufzeigen der Prinzipien einer guten Phalanx: Eine dichte Formation, Gleichschritt und Gleichklang (wie der Flötenbläser zeigt), Zusammenhalt im Kampf und Disziplin.

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Fresko eines Barden


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Fresko eines Barden

Leitfragen

1) Was stellt das Fresko dar?

2) Welche Funktion hatte der Barde am pylischen Hof?

3) Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Fresko und der Überlieferungsgeschichte der homerischen Epen?

Kommentar:

Dieses Fresko stammt aus dem mykenischen Palast in Pylos, der auf Grundlage des legendären Königs Nestor des „sandigen Pylos“ bei Homer unter dem Namen „Palast des Nestor“ bekannt geworden ist. Der Palast hatte nur kurz Bestand: Er wurde wohl um 1300 v. Chr. erbaut, brannte jedoch um 1200 v. Chr. nieder. Das hier abgebildete Fresko entstammt der östlichen Ecke des Thronsaales (Megarons) des Palastes. Es zeigt eine männliche Figur ohne Kopfbedeckung vor rotem Hintergrund, deren gelocktes Haar auf seine Schultern fällt. Der Mann trägt ein weißes, bodenlanges Gewand und spielt auf einer fünfsaitigen Lyra, einer antiken Leier. Der Lyra-Spieler sitzt auf einem mit blauen und roten Mustern verzierten Felsen.

In den Thronräumen mykenischer Paläste wurden vermutlich religiöse Rituale oder auch festliche Bankette veranstaltet. Dass das Fresko an die Wand des Megaron des Palastes gemalt wurde, führt zu der Vermutung, dass hier ein Barde abgebildet ist, der bei einem zeremoniellen Bankett für die anwesende Festgesellschaft sang, wie es bei solchen Festbanketten im Megaron vielleicht üblich war. Schon Jahrhunderte vor der Entwicklung des griechischen Alphabets, das wohl zu Beginn des 8. Jh. v. Chr. entstand, besaßen die mykenischen Griechen eine Wortkunst. Diese wurde im Medium der Mündlichkeit realisiert. Das Fresko des Barden zeugt von dieser Mündlichkeit. Vielleicht handelte es sich bei dem abgebildeten Barden um einen Vorgänger der sogenannten Aoiden, Dichtern aus vorhomerischer und auch homerischer Zeit, welche mythische Stoffe von Göttern oder Helden vortrugen. Heldenepik wurde von Aoiden aus einem großen Repertoire traditioneller Geschichten und Sagen memoriert und rezitiert. Im Mittelpunkt standen aristokratische Ideale und Lebensweisen. Es ist deswegen denkbar, dass die Sänger ihre Gedichte vorrangig an Königshöfen, wie etwa im Palast von Pylos, vortrugen. Es sind aber auch religiöse Feste oder Dichteragone als Anlass für die Sagenkunst denkbar.

In den Epen Ilias und Odyssee stehen aristokratische Ideale und Lebensweisen im Mittelpunkt. Es ist insofern ist nach Ansicht der älteren Forschung, etwa Latacz, denkbar, dass die beiden homerischen Epen auf die oben beschriebene Art mündlich improvisierter Heldendichtung zurückgehen. Die Bewahrung sprachhistorisch älterer Merkmale sowie bestimmte Erzählschemata, die sehr alt sind und bis auf die mykenische Zeit zurückgehen, zeugen von einer Tradition der mündlichen Überlieferung. Insbesondere die formelhafte Sprache der Epen, die sprachliche Einheit und Zusammenhalt schaffen, seien Indizien dafür, dass man in der Lage gewesen sei, die Texte über Jahrhunderte hinweg mündlich zu tradieren. Vielleicht nahmen die homerischen Texte also ihren Ursprung tatsächlich in der mykenischen Heldenepik, die von Aoiden in mykenischen Palästen vorgesungen wurde, und sind dann im Laufe der Jahrhunderte durch eine Anpassung an die je aktuelle Zeit verändert worden. Probleme wirft dieser These jedoch auf, wenn man berücksichtigt, dass es sich bei den homerischen Epen um die einzigen tradierten Texte von so großem Umfang und so großer Qualität handelt. Zudem hat sich gezeigt, dass mündliche tradierte Erinnerungen meist nicht weiter als drei Generationen zurückreichen. Insofern ist nach Ansicht der neueren Forschung viel eher denkbar, dass die Ilias und die Odyssee das Werk eines Dichters sind, der zwar auf eine kulturspezifische Sagentradition zurückgreift, jedoch nur der unmittelbar vorausgehenden drei bis vier Generationen.

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Sehen Sie zu diesem Beitrag auch den Kommentar zum Megaron in Pylos.

Eine homerische Büste


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Eine homerische Büste

Leitfragen

1) Um wen handelt es sich bei dieser Büste?

2) Was kann uns die Büste (nicht) über Homer sagen?

3) Wer war Homer?

Kommentar:

Die hier abgebildete Büste, die heute in der Münchener Glyptothek ausgestellt ist, zeigt vermutlich das Bildnis des griechischen Dichters Homer. Bei der Büste handelt es sich um die römische Kopie eines griechischen Originals, das etwa um 460 v. Chr. entstanden ist und ursprünglich aus Bronze war. Wegen der aufrechten Kopfhaltung wird heute mehrheitlich davon ausgegangen, dass es sich um ein Standbild und nicht um eine Sitzstatue handelte. Der ursprüngliche Aufstellungsort, der Anlass der Aufstellung oder der Hersteller des wohl überlebensgroßen Originals können jedoch nicht mehr ermittelt werden. Möglich wäre ein großes Heiligtum.

Die Büste ist ein Beispiel für die in der Mitte des 5. Jahrhunderts in Griechenland entstandenen, rundplastischen Darstellungen, die Porträts von bedeutenden Persönlichkeiten mit individuellen Gesichtszüge darstellten. Auch diese Büste zeigt einen individuell gestalteten Kopf: Das längliche Gesicht ist von hohen Wangenknochen gezeichnet und wird von dichtem Haupt- und Barthaar umkränzt. Sowohl das lockige Haar als auch der Bart sind dabei detailgetreu gestaltet. Ein feines Band hält die Haare zusammen. Das ausdrucksvoll gestaltete Gesicht mit dem geschlossenen Mund lässt einen Mann höheren Alters vermuten: Falten an Stirn und Augenwinkeln sowie Einkerbungen neben der Nase zeugen davon. Am eindrucksvollsten sind jedoch die geschlossenen Augen, die das schmale Gesicht prägen und dem Dargestellten insgesamt einen Ausdruck würdevoller Ruhe verleihen.

Aufgrund der geschlossenen Augenlieder, die auf eine Blindheit der dargestellten Person verweisen können, wurde diese Büste schon im 19. Jahrhundert mit dem griechischen Dichter Homer in Verbindung gebracht. Denn dieser, so überliefern es einige antike Quellen (etwa Thukydides) soll blind gewesen sein. Die Büste zeigt, welche Bedeutung Homer noch rund 250 Jahre nach seinem Tod, zum Zeitpunkt der Herstellung der Büste hatte. Offenbar wollten die Griechen in einer Zeit, in der Bildnisse bedeutender griechischer Männer entstanden sind, auch den Vater der griechischen Dichtkunst abbilden. Die Verehrung, die Homer entgegengebracht wurde, zeigt sich dabei nicht nur an dem oben erwähnten würdevollen Ausdruck des Gesichtes, sondern auch an einem Detail der Darstellung: Die Binde, die der Dargestellte im Haar trägt, ist vermutlich eine Tänie, eine (Kopf-) Binde, die bei den Griechen als kultischer Fest- oder Ehrenschmuck getragen wurde und mit der auch die griechischen Götter vielfach abgebildet worden sind. Dabei muss es sich bei dieser Darstellung Homers jedoch um ein Idealbild handeln, denn der Dichter lebte lange vor der Zeit, in der dieses Porträt mit seinen individuellen Zügen geschaffen wurde. Außer der Blindheit sind auch keine besonderen Merkmale des Aussehen Homers überliefert. Die Büste zeugt daher von einer bestimmten Vorstellung, die man sich im 5. Jh. v. Chr. von Homer machte.

Die Büste zeigt, dass man sich in der Antike, anders als heute, sicher war, dass Homer existiert hat. Der Name Ὅμηρος (Homeros) wird erstmals im 7. Jh. v. Chr. bei Kallinos, im 6. Jh. v. Chr. dann bei Xenophanes und Heraklit erwähnt. Herodot (5. Jh. v. Chr.) ist der erste, der in Homer den Verfasser der Epen Ilias und Odyssee sieht. Das Interesse an den homerischen Epen war dabei groß, und sie wurden im Laufe der Zeit zum kulturellen Fixpunkt für das frühe Griechenland. In der Antike stritten sich über 20 Städte darum, die Geburtsstätte Homers zu sein (darunter Smyrna, Chios, Kolophon, Pylos, Argos und Athen). Obwohl keine autobiographischen Informationen in die Epen eingeflochten wurden, sind insgesamt sieben Homer-Biographien aus der Antike überliefert. Dabei bestand die antike Tradition, wie heute angenommen wird, jedoch fast vollständig aus Spekulationen und Konstruktionen über Homer, und der Dichter erhielt allein durch Legenden über seine Person ein Gesicht. Heute ist es deswegen fast unmöglich, über die historische Gestalt Homers Gewissheit zu erlangen. Weil Homer als historische Figur nur schwer bzw. gar nicht fassbar ist, wird deswegen neben der Frage nach der Historizität des Dichters etwa auch danach gefragt, wo der wirkliche Ursprung der Epen zu suchen ist. Bis heute gibt es unterschiedliche Forschungstraditionen in Bezug auf diese sogenannte „Homerische Frage“, wobei nach wie vor darüber diskutiert wird, ob Ilias und Odyssee von einer oder von mehreren Personen verfasst wurden, ob die beiden Epen in einem Zuge entstanden sind oder ob sie sich über einen längeren Zeitraum hinweg entwickelt haben. Eindeutige Antworten darauf können jedoch nicht gegeben werden.

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Homer bei Kallinos

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Kallinos; Homer
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Fr. 1 West – Original

μέχρις τεῦ κατάκεισθε; κότ᾽ ἄλκιμον ἕξετε θυμόν,
ὦ νέοι; οὐδ᾽ αἰδεῖσθ᾽ ἀμφιπερικτίονας
ὧδε λίην μεθιέντες; ἐν εἰρήνῃ δὲ δοκεῖτε
ἧσθαι, ἀτὰρ πόλεμος γαῖαν ἅπασαν ἔχει;
… καί τις ἀποθνῄσκων ὕστατ᾽ ἀκοντισάτω.
τιμῆέν τε γάρ ἐστι καὶ ἀγλαὸν ἀνδρὶ μάχεσθαι
γῆς πέρι καὶ παίδων κουριδίης τ᾽ ἀλόχου
δυσμενέσιν: θάνατος δὲ τότ᾽ ἔσσεται, ὁππότε κεν δὴ
Μοῖραι ἐπικλώσωσ᾽: ἀλλά τις ἰθὺς ἴτω
ἔγχος ἀνασχόμενος καὶ ὑπ᾽ ἀσπίδος ἄλκιμον ἦτορ
ἔλσας τὸ πρῶτον μειγνυμένου πολέμου:
οὐ γάρ κως θάνατόν γε φυγεῖν εἱμαρμένον ἐστὶν
ἄνδρ᾽, οὐδ᾽ εἰ προγόνων ᾖ γένος ἀθανάτων.
πολλάκι δηϊοτῆτα φυγὼν καὶ δοῦπον ἀκόντων
ἔρχεται, ἐν δ᾽ οἴκῳ μοῖρα κίχεν θανάτου:
ἀλλ᾽ ὁ μὲν οὐκ ἔμπης δήμῳ φίλος οὐδὲ ποθεινός,
τὸν δ᾽ ὀλίγος στενάχει καὶ μέγας, ἤν τι πάθῃ:
λαῷ γὰρ σύμπαντι πόθος κρατερόφρονος ἀνδρὸς
θνῄσκοντος, ζώων δ᾽ ἄξιος ἡμιθέων:
ὥσπερ γὰρ πύργον μιν ἐν ὀφθαλμοῖσιν ὁρῶσιν:
ἕρδει γὰρ πολλῶν ἄξια μοῦνος ἐών

Hom. Il., 15. Gesang, V. 494-499

ἀλλὰ μάχεσθ᾽ ἐπὶ νηυσὶν ἀολλέες: ὃς δέ κεν ὑμέων
βλήμενος ἠὲ τυπεὶς θάνατον καὶ πότμον ἐπίσπῃ
τεθνάτω: οὔ οἱ ἀεικὲς ἀμυνομένῳ περὶ πάτρης
τεθνάμεν: ἀλλ᾽ ἄλοχός τε σόη καὶ παῖδες ὀπίσσω,
καὶ οἶκος καὶ κλῆρος ἀκήρατος, εἴ κεν Ἀχαιοὶ

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: J.M. Edmonds; A.T. Murray
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Übersetzung

How long will ye lie idle? When, young men, will ye show a stout heart? Have ye no shame of your sloth before them that dwell round about you? Purpose ye to sit in peace though the land is full of war?
… and let every man cast his javelin once more as he dies. For ‚tis an honourable thing and a glorious to a man to fight the foe for land and children and wedded wife; and death shall befall only when the Fates ordain it. Nay, so soon as war is mingled let each go forward spear in poise and shield before stout heart; for by no means may a man escape death, nay not if he come of immortal lineage. Oftentime, it may be, he returneth safe from the conflict of battle and the thud of spears, and the doom of death cometh upon him at home; yet such is not dear to the people nor regretted, whereas if aught happen to the other sort he is bewailed of small and great. When a brave man dieth the whole people regretteth him, and while he lives he is as good as a demigod; for in their eyes he is a tower, seeing that he doeth single-handed as good work as many together.

Hom. Il., 15. Gesang, V. 494-499

Nay, fight ye at the ships in close throngs, and if so be any of you, smitten by dart or thrust, shall meet death and fate, let him lie in death. No unseemly thing is it for him to die while fighting for his country. Nay, but his wife is safe and his children after him, and his house and his portion of land are unharmed, if but the Achaeans be gone with their ships to their dear native land.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Agnes von der Decken
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Leitfragen:

1) Wer war Kallinos und wovon handelt der Quellentext?

2) Welche homerischen Motive lassen sich bei Kallinos finden?

3) Welche Schlussfolgerungen lässt die Verwendung homerischer Motive bei Kallinos zu?

Kommentar:

Der archaische Dichter Kallinos gilt als der erste Dichter von Elegien, einer Gedichtform in elegischem Versmaß. Seine Lebenszeit wird von den antiken Quellen in die Mitte des 7. Jh. v. Chr. datiert. Aus den Quellen geht zudem hervor, dass seine Herkunft die Stadt Ephesos an der kleinasiatischen Küste der Ägäis war. Kallinos bewegte sich wohl im Kreise der Oberschicht, wo er bei sogenannten Symposien, Gastmählern unter Standesgenossen, seine Gedichte vortrug. Von seiner Dichtung ist wenig erhalten. Neben drei kürzeren Fragmenten von ein bis drei Versen, existiert aber ein längeres Fragment von 21 Versen, das hier kommentiert werden soll. In diesem Fragment ruft Kallinos seine Zuhörer dazu auf, in den Krieg gegen die Kimmerier, einem kriegerischen Reitervolk aus Südrussland, zu ziehen. Ein Angriff der Kimmerier stand vermutlich kurz bevor.

Das kallinische Fr. 1 kann als klassische Paränese, d.h. als Mahnrede, bezeichnet werden. Hier bezieht sich die Paränese auf das Kämpfen. Kampfparänesen hatten zum Ziel, die mangelnde Kampfbereitschaft der Zuhörer aufzuheben oder bestehende Kampfbereitschaft zu verstärken. Dies beabsichtigt Kallinos mit seinem Gedicht, denn seine Zuhörer scheinen noch nicht davon überzeugt zu sein, tatsächlich in den Krieg gegen die Kimmerier zu ziehen. So mahnt er seine jungen Zuhörer davor, nicht träge dazusitzen, als wäre Frieden, sondern fordert sie dazu auf, in den Kampf zu ziehen und bereit zu sein, für die Vaterstadt zu sterben. Dieses Opfer zu bringen und damit Frau und Kinder zu schützen, so prophezeit Kallinos, bringe Ruhm und Ehre. Interessant ist, dass Kallinos‘ Rhetorik dabei stark an Homer erinnert. Bei einem Vergleich mit dem Auszug aus der sogenannten Feldherrenrede des Hektor im 15. Gesang der Ilias wird dies besonders deutlich (vgl. obigen Quellenausschnitt): Auch Hektor prophezeit seinen trojanischen Kämpfern Ehre, wenn sie Heimat, Gattin und Kinder bis zum Tode verteidigen. Es wird erkennbar, dass Kallinos homerische Motive aufgreift und sie in charakteristischer Weise abwandelt. Für das eigene Land einzutreten und damit gleichzeitig die Familie vor dem Feind zu schützen, ist homerisch. Kallinos geht hier sogar noch über Homer hinaus, wenn er das Verteidigen der Heimat durch das Kämpfen für die Heimat ersetzt. Gleiches gilt für das Sterben im Kampf: Sowohl Kallinos als auch Hektor verdeutlichen ihren Zuhörern, dass das Sterben für die Heimat ehrenhaft sei. Kallinos nennt es sogar eine „herrliche Tat“ (V. 6). Insgesamt sind die Verse des Kallinos in ihrem Inhalt und Ablauf härter und kantiger als die homerischen. Dennoch ist die Übernahme homerischer Motive hier eindeutig erkennbar.

Wie deutlich geworden ist, greift Kallinos die homerischen Motive in seinem Gedicht auf und bettet sie an geeigneten Stellen in sein Gedicht ein. Er gebraucht also die homerische Sprache, um auf Ereignisse, die gegenwärtig in seiner Heimatstadt passierten, einzugehen. Mit der Anspielung an die Tugenden der homerischen Helden, wie der Schutz der Familie und das Sterben für die Heimat, möchte Kallinos seine Zuhörer dazu bewegen, in den Krieg zu ziehen. Er benutzt also homerisches Vokabular, um sein Ziel zu erreichen. Dazu passte er die homerischen Motive ganz konkret an den Erwartungshorizont seines Publikums, Symposiasten des 7. Jh. v. Chr., an. Auch die Epheser blicken der drohenden Gefahr des Feindes entgegen und müssen sich nun wappnen. Die Ankunft der Kimmerier steht kurz bevor, und die Heimatstadt Ephesos ist in Gefahr. Die Situation, die Homer in der Ilias zeichnet, ähnelt der derzeitigen Lage in Ephesos. Kallinos verwendet hier homerische Motive, weil seine Zuhörer das Gesagte nun mit ihrer Welt in Verbindung bringen und auf die aktuelle Situation, also den bevorstehenden Angriff der Kimmerer, beziehen können. Dies lässt wiederum grundsätzlich darauf schließen, dass sowohl Kallinos selbst als auch seinem Publikum die homerischen Epen vertraut waren und die homerischen Helden als Vorbilder galten. Nur so konnte Kallinos sicher sein, eine gewisse Wirkung mit seiner Wortwahl erzielen zu können. Vielleicht zirkulierten sogar schon erste Skripte der homerischen Epen. Auch wenn der Bekanntheitsgrad der homerischen Texte nicht abschließend eruiert werden kann, zeigt Kallinos‘ Verwendung der homerischen Motive doch, dass die Epen im Ephesos des 7. Jahrhunderts v. Chr. bekannt gewesen sind.

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Die Phalanx in der Ilias

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Homer
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Hom. Il. 16, 211 – 217 – Original

μᾶλλον δὲ στίχες ἄρθεν, ἐπεὶ βασιλῆος ἄκουσαν.
ὡς δ᾽ ὅτε τοῖχον ἀνὴρ ἀράρῃ πυκινοῖσι λίθοισι
δώματος ὑψηλοῖο βίας ἀνέμων ἀλεείνων,
ὣς ἄραρον κόρυθές τε καὶ ἀσπίδες ὀμφαλόεσσαι.
ἀσπὶς ἄρ᾽ ἀσπίδ᾽ ἔρειδε, κόρυς κόρυν, ἀνέρα δ᾽ ἀνήρ:
ψαῦον δ᾽ ἱππόκομοι κόρυθες λαμπροῖσι φάλοισι
νευόντων, ὡς πυκνοὶ ἐφέστασαν ἀλλήλοισι.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung

And yet closer were their ranks serried when they heard their king. And as when a man buildeth the wall of a high house with close-set stones, to avoid the might of the winds, even so close were arrayed their helms and bossed shields; [215] buckler pressed on buckler, helm upon helm, and man on man. The horse-hair crests on the bright helmet-ridges touched each other, as the men moved their heads, in such close array stood they one by another.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Wovon handelt diese Quellenstelle?

2) Was ist das Besondere an dieser Quellenstelle in der Ilias?

3) Was kann uns die Quellenstelle über die Entstehungszeit der Ilias sagen?

Kommentar:

In der Ilias wird eine Lebenswelt gezeichnet, die von Kampf, Krieg und agonaler Auseinandersetzung durchdrungen ist. Die Kriegsführung in der Ilias hat deswegen seit jeher zu großem Interesse und kontroversen Diskussionen in der Forschung geführt. Die vorliegende Quellenstelle (Il. 16, 211-217) beschreibt eine Situation unmittelbar vor dem Kampfgeschehen: Die Griechen wollen in den Kampf gegen die Troer ziehen und formieren sich in eng geschlossenen Reihen. Dabei wird sehr genau beschrieben, wie die Griechen sich formieren. Sie stehen dicht nebeneinander in eng geschlossenen Reihen. Die so gebildete Mauer wird durch die Erwähnung, dass selbst starke Winde ihr nichts anhaben können, als besonders standfest dargestellt. Weiter wird beschrieben, dass die einzelnen Kämpfer Schilde vor sich tragen und ihre Helme sich sogar berühren.

Es ist denkbar, dass die hier in der Ilias beschriebene Aufstellung der Kämpfenden die Kampftechnik zur Zeit des Dichters beschreibt. Dabei erinnert die beschriebene Schlachtenreihe an eine Vorläuferin der Phalanx. Die Phalanx ist eine Kampfformationen des griechischen Heeres, bei der sogenannte Hopliten (schwerbewaffnete Fußsoldaten) in engen Reihen aufgestellt wurden, damit sie sich gegenseitig Schutz gewähren konnten. In der Regel bestand eine Phalanx aus acht Reihen und wurde aus Bürgern des Gemeinwesens rekrutiert, die sich die Ausrüstung leisten konnten. Die Phalanx als Kampfformation entstand im 7. Jh. v. Chr. und ist in den Kontext der sich herausbildenden Polis (Stadtstaat) einzuordnen.

Die beschriebene Kampfformation der Quellenstelle kann ein Spiegelbild der zeitgenössischen Militärtechnik griechischer Städte um 700 v. Chr. sein, denn sie entspricht der gängigen Kampftechnik zur Zeit des Dichters. Die Erwähnung einer solch modernen Kampfformation steht damit im Gegensatz zu der Auffassung, die homerischen Epen würden im Kern eine mykenische Welt darstellen. Diese Auffassung wird mit dem Verweis auf die in den Epen erwähnten Realien, also Gegenständen oder Details, welche die mykenische Lebenswelt repräsentieren, wie etwa der Eberzahnhelm (Il.10, 260-271), der Einsatz von Streitwagen (etwa Il. 4,297 – 309), der Taubenpokal des Nestor (Il.11,632 – 637) oder die Verwendung von Bronzewaffen, begründet. Die oben dargestellte Kampfformation der Phalanx zeigt aber, dass möglicherweise zwei unterschiedliche Zeitstufen in der Ilias existieren: Die auktoriale Gegenwart des ausgehenden 8. Jahrhunderts sowie die konstruierte mykenische Vorzeit. Diese heroische Vorzeit wurde in der Tat durch die Beschreibung eben erwähnter Realien evoziert. Jedoch diente dies wohl, wie die Forschung mittlerweile fast einstimmig erkennt, der Schaffung einer epischen Distanz, um die Erzählung über die Helden der heroischen Vorzeit überzeugend darzustellen. Diesbezüglich muss in Bezug auf das Kämpfen der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen werden, dass es in der Ilias auch Schilderungen von Einzelkämpfen gibt, in denen die Krieger durch ihre Tapferkeit Ruhm und Ehre erlangen konnten und somit ihren gesellschaftlichen Status definierten. Weil jedoch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Dichter der Ilias besondere historische Kenntnisse besaß, kann die Darstellung solcher Einzelkämpfe als dichterische Konzeption verstanden werden. Dabei werden die Heroen der Vorzeit, die untrennbar mit Kampf und Krieg verbunden sind, durch ihre kriegerischen Leistungen überhöht. Damit sollte vielleicht der Wettkampfethik der agonalen Gesellschaft des 8. Jh. v. Chr. Genüge getan werden. Die Phalanxformation der obigen Quellenstelle verweist hingegen grundsätzlich darauf, dass die Ilias als historische Quelle für die Zeit um 700 v. Chr. angesehen werden kann.

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Sehen Sie zu diesem Beitrag auch den Kommentar zum Eberzahnhelm.

Der Schiffskatalog der Ilias

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Homer
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Hom. Il. 2, 493-545 – Original

ἀρχοὺς αὖ νηῶν ἐρέω νῆάς τε προπάσας.
Βοιωτῶν μὲν Πηνέλεως καὶ Λήϊτος ἦρχον
Ἀρκεσίλαός τε Προθοήνωρ τε Κλονίος τε,
οἵ θ᾽ Ὑρίην ἐνέμοντο καὶ Αὐλίδα πετρήεσσαν
Σχοῖνόν τε Σκῶλόν τε πολύκνημόν τ᾽ Ἐτεωνόν,
Θέσπειαν Γραῖάν τε καὶ εὐρύχορον Μυκαλησσόν,
οἵ τ᾽ ἀμφ᾽ Ἅρμ᾽ ἐνέμοντο καὶ Εἰλέσιον καὶ Ἐρυθράς,
οἵ τ᾽ Ἐλεῶν᾽ εἶχον ἠδ᾽ Ὕλην καὶ Πετεῶνα,
Ὠκαλέην Μεδεῶνά τ᾽ ἐϋκτίμενον πτολίεθρον,
Κώπας Εὔτρησίν τε πολυτρήρωνά τε Θίσβην,
οἵ τε Κορώνειαν καὶ ποιήενθ᾽ Ἁλίαρτον,
οἵ τε Πλάταιαν ἔχον ἠδ᾽ οἳ Γλισᾶντ᾽ ἐνέμοντο,
οἵ θ᾽ Ὑποθήβας εἶχον ἐϋκτίμενον πτολίεθρον,
Ὀγχηστόν θ᾽ ἱερὸν Ποσιδήϊον ἀγλαὸν ἄλσος,
οἵ τε πολυστάφυλον Ἄρνην ἔχον, οἵ τε Μίδειαν
Νῖσάν τε ζαθέην Ἀνθηδόνα τ᾽ ἐσχατόωσαν:
τῶν μὲν πεντήκοντα νέες κίον, ἐν δὲ ἑκάστῃ
κοῦροι Βοιωτῶν ἑκατὸν καὶ εἴκοσι βαῖνον.
οἳ δ᾽ Ἀσπληδόνα ναῖον ἰδ᾽ Ὀρχομενὸν Μινύειον,
τῶν ἦρχ᾽ Ἀσκάλαφος καὶ Ἰάλμενος υἷες Ἄρηος
οὓς τέκεν Ἀστυόχη δόμῳ Ἄκτορος Ἀζεΐδαο,
παρθένος αἰδοίη ὑπερώϊον εἰσαναβᾶσα
Ἄρηϊ κρατερῷ: ὃ δέ οἱ παρελέξατο λάθρῃ:
τοῖς δὲ τριήκοντα γλαφυραὶ νέες ἐστιχόωντο.
αὐτὰρ Φωκήων Σχεδίος καὶ Ἐπίστροφος ἦρχον
υἷες Ἰφίτου μεγαθύμου Ναυβολίδαο,
οἳ Κυπάρισσον ἔχον Πυθῶνά τε πετρήεσσαν
Κρῖσάν τε ζαθέην καὶ Δαυλίδα καὶ Πανοπῆα,
οἵ τ᾽ Ἀνεμώρειαν καὶ Ὑάμπολιν ἀμφενέμοντο,
οἵ τ᾽ ἄρα πὰρ ποταμὸν Κηφισὸν δῖον ἔναιον,
οἵ τε Λίλαιαν ἔχον πηγῇς ἔπι Κηφισοῖο:
τοῖς δ᾽ ἅμα τεσσαράκοντα μέλαιναι νῆες ἕποντο.
οἳ μὲν Φωκήων στίχας ἵστασαν ἀμφιέποντες,
Βοιωτῶν δ᾽ ἔμπλην ἐπ᾽ ἀριστερὰ θωρήσσοντο.
Λοκρῶν δ᾽ ἡγεμόνευεν Ὀϊλῆος ταχὺς Αἴας
μείων, οὔ τι τόσος γε ὅσος Τελαμώνιος Αἴας
ἀλλὰ πολὺ μείων: ὀλίγος μὲν ἔην λινοθώρηξ,
ἐγχείῃ δ᾽ ἐκέκαστο Πανέλληνας καὶ Ἀχαιούς:
οἳ Κῦνόν τ᾽ ἐνέμοντ᾽ Ὀπόεντά τε Καλλίαρόν τε
Βῆσσάν τε Σκάρφην τε καὶ Αὐγειὰς ἐρατεινὰς
Τάρφην τε Θρόνιον τε Βοαγρίου ἀμφὶ ῥέεθρα:
τῷ δ᾽ ἅμα τεσσαράκοντα μέλαιναι νῆες ἕποντο
Λοκρῶν, οἳ ναίουσι πέρην ἱερῆς Εὐβοίης.
οἳ δ᾽ Εὔβοιαν ἔχον μένεα πνείοντες Ἄβαντες
Χαλκίδα τ᾽ Εἰρέτριάν τε πολυστάφυλόν θ᾽ Ἱστίαιαν
Κήρινθόν τ᾽ ἔφαλον Δίου τ᾽ αἰπὺ πτολίεθρον,
οἵ τε Κάρυστον ἔχον ἠδ᾽ οἳ Στύρα ναιετάασκον,
τῶν αὖθ᾽ ἡγεμόνευ᾽ Ἐλεφήνωρ ὄζος Ἄρηος
Χαλκωδοντιάδης μεγαθύμων ἀρχὸς Ἀβάντων.
τῷ δ᾽ ἅμ᾽ Ἄβαντες ἕποντο θοοὶ ὄπιθεν κομόωντες
αἰχμηταὶ μεμαῶτες ὀρεκτῇσιν μελίῃσι
θώρηκας ῥήξειν δηΐων ἀμφὶ στήθεσσι:
τῷ δ᾽ ἅμα τεσσαράκοντα μέλαιναι νῆες ἕποντο.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: A.T. Murray
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

Now will I tell the captains of the ships and the ships in their order. Of the Boeotians Peneleos and Leïtus were captains, and Arcesilaus and Prothoënor and Clonius; these were they that dwelt in Hyria and rocky Aulis and Schoenus and Scolus and Eteonus with its many ridges, Thespeia, Graea, and spacious Mycalessus; and that dwelt about Harma and Eilesium and Erythrae; and that held Eleon and Hyle and Peteon, Ocalea and Medeon, the well-built citadel, Copae, Eutresis, and Thisbe, the haunt of doves; that dwelt in Coroneia and grassy Haliartus, and that held Plataea and dwelt in Glisas;that held lower Thebe, the well-built citadel, and holy Onchestus, the bright grove of Poseidon; and that held Arne, rich in vines, and Mideia and sacred Nisa and Anthedon on the seaboard. Of these there came fifty ships, and on board of each went young men of the Boeotians an hundred and twenty. And they that dwelt in Aspledon and Orchomenus of the Minyae were led by Ascalaphus and Ialmenus, sons of Ares, whom, in the palace of Actor, son of Azeus, Astyoche, the honoured maiden, conceived of mighty Ares, when she had entered into her upper chamber; for he lay with her in secret. And with these were ranged thirty hollow ships. And of the Phocians Schedius and Epistrophus were captains, sons of great-souled Iphitus, son of Naubolus; these were they that held Cyparissus and rocky Pytho, and sacred Crisa and Daulis and Panopeus; and that dwelt about Anemoreia and Hyampolis, and that lived beside the goodly river Cephisus, and that held Lilaea by the springs of Cephisus. With these followed forty black ships. And their leaders busily marshalled the ranks of the Phocians, and made ready for battle hard by the Boeotians on the left. And the Loerians had as leader the swift son of Oïleus, Aias the less, in no wise as great as Telamonian Aias, but far less. Small of stature was he, with corselet of linen, but with the spear he far excelled the whole host of Hellenes and Achaeans. These were they that dwelt in Cynus and Opus and Calliarus and Bessa and Scarphe and lovely Augeiae and Tarphe and Thronium about the streams of Boagrius. With Aias followed forty black ships of the Locrians that dwell over against sacred Euboea. And the Abantes, breathing fury, that held Euboea and Chalcis and Eretria and Histiaea, rich in vines, and Cerinthus, hard by the sea, and the steep citadel of Dios; and that held Carystus and dwelt in Styra,— all these again had as leader Elephenor, scion of Ares, him that was son of Chalcodon and captain of the great-souled Abantes. And with him followed the swift Abantes, with hair long at the back, spearmen eager with outstretched ashen spears to rend the corselets about the breasts of the foemen. And with him there followed forty black ships.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Was ist der Schiffskatalog?

2) Welche Funktion hat der Schiffskatalog in der Ilias?

3) Welche Kontroverse geht mit dem Schiffskatalog einher?

Kommentar:

Die hier vorliegende Quelle ist ein Auszug aus dem sogenannten Schiffskatalog (νεῶν κατάλογος) des zweiten Gesangs der Ilias (hier V. 493 – 545). Im gesamten Schiffskatalog werden alle griechischen Heeres- bzw. Flottenkontingente und ihre Anführer aufgelistet, die sich zur Eroberung Trojas zusammenfanden. Genauer gesagt geht es hier um einen Aufmarsch der Griechen gegen die Streitmacht der Troianer bei einer Feldschlacht im 10. Jahr des Trojanischen Krieges. Die jeweiligen Herrschaftsbereiche der Achaierkönige sind dabei im Schiffskatalog nach geographischen Gesichtspunkten geordnet (beginnend mit den Mannschaften Mittelgriechenlands) und die Zahl ihrer Schiffe sowie die Größe ihrer Mannschaften ausführlich aufgeführt. Auf diese Weise werden 29 Truppenkontingente, 45 Anführer und 187 Orte aufgezählt, womit die griechische Streitmacht insgesamt 1186 Schiffe aufweist. Der Schiffskatalog bildet dabei die griechische Welt in geographischer Hinsicht ab: Vom nördlichen Thessalien, über Mittel- und Westgriechenland, die Peloponnes, die Ionischen Inseln bis zu den Inseln der Dodekanes im Südosten der Ägäis werden Truppenkontingente aufgezählt. Das kleinasiatische Festland und die Kykladen-Inseln werden allerdings nicht angeführt.

Interessant ist, dass sich der Schiffskatalog nicht homogen in das Handlungsgefüge der Ilias einfügt. So geht es bei der Aufzählung der Heereskontingente im Schiffskatalog um eine Schlacht im 10. Jahr des Krieges. Vom erzählerischen Standpunkt aus würde die Auflistung im Schiffskatalog jedoch am Beginn der Expedition, etwa beim Aufbruch der griechischen Flotte nach Troja, sinnvoller erscheinen. Zudem gibt es auch inhaltlich einige Unstimmigkeiten. Dies könnte darauf hinweisen, dass der Schiffskatalog in seinem Konzept aus einem anderen mythischen Kontext (vielfach angenommen wird die Ausfahrt von Aulis aus dem Kyklischen Epos Kyprien) mit entsprechenden Modifikationen in die Ilias übertragen wurde. Welche Funktion hatte der Schiffskatalog aber dann für die Ilias? Grundsätzlich diente er dazu, zu Beginn der Handlung die wichtigsten Protagonisten des Krieges einzuführen. Dabei kommt der Aufzählung im Schiffskatlog auch eine integrative Bedeutung zu: Das griechische Publikum konnte sich mit den Helden identifizieren, denn das Publikum der homerischen Epen war größtenteils in Griechenland beheimatet, so wie die Helden des Epos‘ auch aus Regionen in Griechenland stammten. Die Auflistung der Mannschaften im Schiffskatalog bot den Zuhörern dadurch also eine konkrete Identifikationsebene. Zudem verweist der Schiffskatalog etwa durch die Nennung der Helden Philoktetes und Protesilaos auf größere mythische Erzählkomplexe, an die das Publikum durch sein Vorwissen anknüpfen konnte. Damit gewinnt die Erzählung der Ilias, die sich insgesamt lediglich auf einen Handlungszeitraum von 51 Tagen beschränkt, an inhaltlicher Tiefe und wird Teil eines mythischen Gesamtzusammenhangs. Diese Wirkung wollte der Dichter vielleicht auch durch die Darstellung der immensen Größe des Heeres erzielen: Nach den Angaben der Truppen und Schiffe kann das Heer auf etwa 100.000 Mann geschätzt werden. Es handelt sich hierbei wahrscheinlich um eine epische Hyperbel zur Darstellung der Kraft des griechischen Heeres.

Zu kontroversen Diskussionen hat die Frage nach dem Alter des Schiffskataloges geführt. Stammt der Schiffskatalog im Kern noch aus mykenischer Zeit oder ist er ein Reflex der politischen und geographischen Lebenswert der Zeit der Niederschrift des Epos, also ca. 800 – 700 v. Chr.? Ein Argument der Vertreter der Auffassung, der Schiffskataloges gehe auf mykenische Zeit zurück, ist die der Hinweis darauf, dass keine Kontingenten aus griechischen Kolonien aufgezählt werden. Weil in mykenischer Zeit noch keine Kolonien existierten, konnten diese auch nicht in den Katalog aufgenommen werden, was auf das hohe Alter des Schiffskatalogs verweise. Andererseits würden Orte, die in mykenischer Zeit politische Zentren waren, wie etwa Pylos oder Mykene, im Schiffskatalog eine herausgehobene Rolle spielen. Im 8. Jh. v. Chr. hätten sie jedoch keine Bedeutung mehr gehabt und wären somit wahrscheinlich nicht in der Art herausgestellt worden. Ein weiteres Argument für diese These ist, dass viele Orte, die im Schiffskatalog aufgezählt werden, im 8. Jh. v. Chr. gar nicht mehr identifizierbar waren. Diese Orte stammten deswegen aus älterer Zeit und seien mündlich tradiert worden.

Auf diese Argumente Bezug nehmend, argumentiert die Gegenseite, dass sich die besondere Betonung der genannten mykenischen Orte den Überresten dieser Orte und der dichterischen Imagination verdanke. Grundsätzlich sei es dem Dichter ohnehin ein Anliegen gewesen, sein Epos zu archaisieren weswegen etwa auch bestimmte sozio-politische Gegebenheiten der eigenen Zeit, wie die griechischen Kolonien, ausgeblendet worden seien. Ferner gäbe es grundsätzlich auffällige geographische und politische Unstimmigkeiten zwischen Ilias und der mykenischen Vorzeit. Zudem sei bemerkenswert, dass wichtige mykenische Orte nicht genannt werden, wie Orchomenos oder Midea.

Auch wenn das Für und Wider der jeweiligen Argumente hier im Einzelnen nicht abgewogen werden kann, erscheint eine Verortung des Schiffskatalogs in mykenischer Zeit schwieriger zu sein als eine Datierung ins 8. Jh. v. Chr. Es erscheint schlüssiger, dass der Schiffskatalog im 8. Jh. v. Chr. neu und mit konkreter Abstimmung auf die Ilias konzipiert wurde. Die Forschungsdiskussion zeigt jedoch grundsätzlich, welche entscheidende Rolle dem Schiffskatalog in Bezug auf die Frage nach einer Faktentradierung von mykenischer Zeit bis ins 8. Jh. v. Chr. zukommt.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Homer“. Um einen breiteren Einblick in die Archaik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte I – Archaik“.
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Sehen Sie zu diesem Beitrag auch den Kommentar zum Eberzahnhelm.

Vergils Aeneis als römischer Gründungsmythos

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Vergil
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Verg.A.2.268-297 – Original

268 Tempus erat, quo prima quies mortalibus aegris
incipit, et dono divom gratissima serpit.
270 In somnis, ecce, ante oculos maestissimus Hector
visus adesse mihi, largosque effundere fletus,
raptatus bigis, ut quondam, aterque cruento
pulvere, perque pedes traiectus lora tumentis.
Ei mihi, qualis erat, quantum mutatus ab illo
275 Hectore, qui redit exuvias indutus Achilli,
vel Danaum Phrygios iaculatus puppibus ignis,
squalentem barbam et concretos sanguine crinis
volneraque illa gerens, quae circum plurima muros
accepit patrios. Ultro flens ipse videbar
280 Compellare virum et maestas expromere voces:
“O lux Dardaniae, spes O fidissima Teucrum,
quae tantae tenuere morae? Quibus Hector ab oris
exspectate venis? Ut te post multa tuorum
funera, post varios hominumque urbisque labores
285 defessi aspicimus! Quae causa indigna serenos
foedavit voltus? Aut cur haec volnera cerno?”
Ille nihil, nec me quaerentem vana moratur,
sed graviter gemitus imo de pectore ducens,
“Heu fuge, nate dea, teque his, ait, eripe flammis.
290 Hostis habet muros; ruit alto a culmine Troia.
Sat patriae Priamoque datum: si Pergama dextra
defendi possent, etiam hac defensa fuissent.
Sacra suosque tibi commendat Troia penatis:
hos cape fatorum comites, his moenia quaere
295 magna, pererrato statues quae denique ponto.”
Sic ait, et manibus vittas Vestamque potentem
aeternumque adytis effert penetralibus ignem.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: Theodore C. Williams
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

That hour it was when heaven’s first gift of sleep
on weary hearts of men most sweetly steals.
O, then my slumbering senses seemed to see
Hector, with woeful face and streaming eyes;
I seemed to see him from the chariot trailing,
foul with dark dust and gore, his swollen feet
pierced with a cruel thong. Ah me! what change
from glorious Hector when he homeward bore
the spoils of fierce Achilles; or hurled far
that shower of torches on the ships of Greece!
Unkempt his beard, his tresses thick with blood,
and all those wounds in sight which he did take
defending Troy. Then, weeping as I spoke,
I seemed on that heroic shape to call
with mournful utterance: “O star of Troy!
O surest hope and stay of all her sons!
Why tarriest thou so Iong? What region sends
the long-expected Hector home once more?
These weary eyes that look on thee have seen
hosts of thy kindred die, and fateful change
upon thy people and thy city fall.
O, say what dire occasion has defiled
thy tranquil brows? What mean those bleeding wounds?”
Silent he stood, nor anywise would stay
my vain lament; but groaned, and answered thus:
“Haste, goddess-born, and out of yonder flames
achieve thy flight. Our foes have scaled the wall;
exalted Troy is falling. Fatherland
and Priam ask no more. If human arm
could profit Troy, my own had kept her free.
Her Lares and her people to thy hands
Troy here commends. Companions let them be
of all thy fortunes. Let them share thy quest
of that wide realm, which, after wandering far,
thou shalt achieve, at last, beyond the sea.”
He spoke: and from our holy hearth brought forth
the solemn fillet, the ancestral shrines,
and Vesta’s ever-bright, inviolate fire.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Agnes von der Decken
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Leitfragen:

1) Wovon handelt der Quellentext?

2) Welche Bedeutung hat das Erscheinen Hektors im Traum des Aeneas?

3) Welche Absicht verbirgt sich hinter der trojanischen Herkunft des Aeneas?

Kommentar:

Noch heute führt die Frage nach der Historizität der von Homer in seinem Epos Ilias geschilderten Ereignisse um den Untergang der Stadt Troja in der Forschung zu Diskussionen. In den deutschen Altertumswissenschaften entbrannte zu Beginn des 21. Jahrhunderts (unter anderem) darüber eine besonders hitzige Auseinandersetzung zwischen den Tübinger Altertumswissenschaftlern Heinrich Korfmann und Frank Kolb, welche als die „Troja-Debatte“ bekannt geworden ist. Daran zeigt sich die Bedeutung, die das Epos als europäisches Bildungsgut nach wie vor trägt. Bis heute gehört der Trojanische Krieg zum Grundbestand der europäischen Mythenerzählungen und ist Teil des kulturellen Gedächtnisses. Schon in der Antike wurden die homerischen Texte vielfach rezitiert und aufgegriffen und der Trojanische Krieg wurde zu einem zentralen Ereignis sowohl der griechischen, als auch der römischen Mythologie. Für die römische Literatur, die bewusst nach griechischen Vorbildern geschaffen wurde, sind die homerischen Epen dabei literarische und kulturelle Denkmäler. Besonders deutlich zeigt sich dies an dem von Vergil (70 – 19 v. Chr.) verfassten Epos Aeneis, welches er zwischen 29 v. Chr. und seinem Tod im Jahre 19 v. Chr. schuf. Das Epos erzählt von der Flucht des Trojaners Aeneas aus der brennenden Stadt Troja, seinen Irrfahrten über das Mittelmeer sowie der Gründung einer neuen Heimstätte auf italischem Boden. Dabei lehnt sich Vergils Erzählung an die homerischen Epen Ilias und Odyssee an, kehrt aber die Reihenfolge um. So beginnt die Aeneis mit der Flucht des Helden Aeneas aus Troja und seiner Reise in die neue Heimat Italien (in Anlehnung an die Odyssee), wo der Trojaner dann in einen Krieg gerät, aus dem er als Sieger hervorgeht (in Anlehnung an die Ilias, wobei der Krieg diesmal gewonnen wird). Im Folgenden soll anhand einer ausgewählten Textstelle aus der Aeneis gezeigt werden, welche Bedeutung das trojanische Epos für die Römer hatte.

Die hier vorliegende Textstelle aus dem zweiten Buch der Aeneis ist Teil der Schilderung des Helden Aeneas am Hofe der karthagischen Königin Dido. Aeneas berichtet seinen Zuhörern vom Untergang Trojas. Er erzählt, wie die Griechen in der Nacht aus ihrem Versteck, dem hölzernen Pferd, welches die Trojaner bei Tag in die Stadt gezogen haben, schlüpften, die Stadttore für das griechische Heer öffneten und begannen, die schlafenden Trojaner zu töten. In dem vorliegenden Textausschnitt berichtet Aeneas, dass ihm in dieser Nacht der bereits von Achilles getötete trojanische Prinz Hektor im Traum begegnete. Hektor, gezeichnet von den im Kampf erlittenen Wunden, richtet seine Worte an den überraschten Aeneas und gibt ihm den Auftrag, die untergehende Stadt, deren Rettung er für aussichtslos hält, im Beisein der Stadtgötter zu verlassen.

Hektor erscheint in Aeneas‘ Traum in einem beklagenswerten Zustand. Er ist schwer verwundet und in tiefer Trauer. Aeneas ist von seinem Anblick bestürzt und schmerzhaft berührt, was mehrmals erwähnt wird. Die ihm von Aeneas gestellten Fragen zu seinem Erscheinen ignoriert Hektor und richtet seine Anweisungen, Aeneas solle die Stadt verlassen, da diese dem Untergang geweiht ist, unumwunden an Aeneas. Eine solche Flucht und Abkehr von der Verpflichtung des Kampfes ist für einen antiken Helden wie Aeneas eigentlich undenkbar. Dass Hektor dennoch von Aeneas fordert, das Kampfgeschehen tatenlos zu verlassen, bedeutet, dass hier ein Auftrag von berufenster Stelle erfolgt. Der Auftritt einer solch autoritären Figur wie Hektor und seine Anweisungen zeigen, dass Aeneas nicht nur das Recht, sondern vielmehr auch die Pflicht hat, dem Kampfe zu entfliehen. Berechtigung erhält er zudem durch Hektors Aufforderung, die Götter mitzunehmen. Die Kultgegenstände der Götter holte Hektor denn auch selbst aus dem Tempel. Dies zeigt Hektors großes Bemühen um den Auftrag. Gleichzeitig wird die Mitnahme der Götter dadurch rechtens gemacht und der Auftrag an Aeneas besiegelt. Der Inhalt des Auftrages wird hier also in der Person des Auftraggebers gerechtfertigt. Hektors Auftritt zeugt zudem von der Wichtigkeit des wesentlichen Ziels: Aeneas soll eine neue Stadt für die Götter erbauen. Das ist der entscheidende Grund dafür, dass Hektor Aeneas die Erlaubnis erteilt, das Kampfgeschehen zu verlassen. Hektors Auftreten zeigt also, dass die Gründung einer neuen Stadt schlussendlich Aeneas‘ göttliche Pflicht ist.

Aeneas gelingt diese von Hektor geforderte Aufgabe am Ende der Aeneis: Nach jahrelanger Irrfahrt und vielen Abenteuern wird er Herrscher der Latiner, eines Volks am Tiber, von dem später Romulus und Remus, die eigentlichen Gründer Roms, abstammen. Vergil erzählt mit der Aeneis damit die Geschichte der sagenhaften Abstammung der Römer von dem Trojaner Aeneas. Schon zu Beginn der Geschichte, wie die obige Textstelle durch den Auftritt Hektors erkennen lässt, wird deutlich, dass das Fernziel des Aeneas die Gründung Roms ist. Dies ist der Grund, warum Aeneas überhaupt aus Troja fliehen muss. Es ist seine göttliche Pflicht, Rom zu gründen. Damit schuf Vergil ein römisches Nationalepos, das den Machtanspruch der Römer durch göttliches Wirken rechtfertigte. Vergil eignete sich dabei die homerischen Texte an und definiert die römische Kultur als erneuerte griechische Kultur. Die Römer ziehen ihre nationale Identität also aus der Sage um die Gründung des römischen Volkes durch einen trojanischen Helden. Damit sind die homerischen Epen grundlegende Dokumente der römischen Nationalidentität. Anders als heute, galt ihr Wahrheitsgehalt als unzweifelhaft und damit als historische Realität.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Der Untergang Mykenes, Troja“. Um einen breiteren Einblick in die Archaik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte I – Archaik“.
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