Lyrik und die Kunst der Liebe

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Ovid
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Ovid: Ov.ars. 3,611-640

Qua vafer eludi possit ratione maritus,
Quaque vigil custos, praeteriturus eram.
Nupta virum timeat: rata sit custodia nuptae;
Hoc decet, hoc leges iusque pudorque iubent.
Te quoque servari, modo quam vindicta redemit,

Te quoque servari, modo quam vindicta redemit,                615
Quis ferat? Ut fallas, ad mea sacra veni!
Tot licet observent (adsit modo certa voluntas),
Quot fuerant Argo lumina, verba dabis.
Scilicet obstabit custos, ne scribere possis,
Sumendae detur cum tibi tempus aquae?                          620
Conscia cum possit scriptas portare tabellas,
Quas tegat in tepido fascia lata sinu?
Cum possit sura chartas celare ligatas,
Et vincto blandas sub pede ferre notas?
Caverit haec custos, pro charta conscia tergum                625
Praebeat, inque suo corpore verba ferat.
Tuta quoque est fallitque oculos e lacte recenti
Littera: carbonis pulvere tange, leges.
Fallet et umiduli quae fiet acumine lini,
Ut ferat occultas pura tabella notas.                          630
Adfuit Acrisio servandae cura puellae:
Hunc tamen illa suo crimine fecit avum.
Quid faciat custos, cum sint tot in urbe theatra,
Cum spectet iunctos illa libenter equos,
Cum sedeat Phariae sistris operata iuvencae,                   635
Quoque sui comites ire vetantur, eat,
Cum fuget a templis oculos Bona Diva virorum,
Praeterquam siquos illa venire iubet?
Cum, custode foris tunicas servante puellae,
Celent furtivos balnea multa iocos                            640

 

Text zum downloaden

 

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: Heinrich Lindemann
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung:

Wie den verschlagenen Mann, nicht minder den wachsamen Hüter
Haben zum Besten man kann, wollte berühren ich nicht.
Fürcht‘, o Gattin, den Mann und laß dir die Wache gefallen.
Dieses geziemt, dies will Ehre und Recht und Gesetz.
Daß man auch dich bewacht, die eben der Stab erst erlöst hat,

Wer ertrüg‘ es? So laß weihen zum Trug dich von mir.
Mögen auch Augen so viel dich bewachen, als Argus besessen,
Wirst du sie hintergehn, wenn du den Willen nur hast.
Wird im Wege etwa der Hüter dir stehen zu schreiben,
Da man die nöthige Zeit Wasser zu nehmen dir gönnt?
Da Botschaften im Brief kann eine Vertraute doch tragen,
Die an der warmen Brust unter der Binde ihn birgt?
Da sie doch kann das Papier, an der Wade befestigt, verbergen,
Unter gebundenem Fuß tragen die Worte der Gunst?
Sähe der Hüter das vor, so reich‘ als Papier die Vertraute

Dar den Rücken; die Schrift trage ihr eigener Leib.
Sicher auch sind und entgehen dem Blick Buchstaben mit frischer
Milch; thu Kohlenstaub drüber, so liest du sie leicht.
Auch ein Briefchen, gemacht mit der Spitze des saftigen Leines,
Täuschet und bringt, ganz rein, eine verborgene Schrift.
Wohl dem Acrisius lag’s am Herzen, zu hüten die Tochter;
Zum Großvater ihn doch machte des Mädchens Vergehn.
Was soll machen der Hüter, da sind so viele Theater?
Da die Gebieterin schaut Rossegespanne so gern?
Da den Klappern der Pharischen Kuh ergeben sie dasitzt,
Gehet, wohin zu gehn ihren Begleitern verwehrt?
Da von den Tempeln verbannt die Gütige Göttin der Männer
Augen, nur derer nicht, die sie zu kommen bestellt?
Da die Menge der Bäder verbirgt verstohlene Männer,
Während des Mädchens Gewand draußen der Hüter bewacht?

Text zum downloaden

 

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Nathalie Klinck
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Ov.ars. 3,611-640

Leitfragen:

1.) Was wird in dem Text beschrieben?
2.) In welchem größeren Kontext ist dieser Ausschnitt einzuordnen?
3.) Welche Zielgruppe spricht Ovid damit an?

Kommentar:

Der hier vorliegende Ausschnitt stammt aus einem Lehrgedicht, der Ars Amatoria, von Publius Ovidius Naso – kurz Ovid (43 v. Chr-17 n. Chr.).

Ovid war ein berühmter Schriftsteller und Dichter während des Principats unter Augustus, der vor allem aufgrund seiner „Liebesdichtung“ besondere Bekanntheit genoss und zusammen mit Vergil und Horaz zu den einflussreichsten Dichtern dieser Zeit gehörte. Seine Metamorphosen bilden eines der herausragendsten Werke der frühen Kaiserzeit. In ihnen fasst er verschiedene Erzählungen und Mythen zu einem in sich geschlossenen Sagenkreis zusammen, welcher die Geschichte der bekannten Welt bis zur Herrschaft des Augustus beschreibt.

Im Gegensatz zu dieser „Verherrlichung“ des Principats dürfte die Ars Amatoria auf weniger Wohlwollen beim Kaiser gestoßen sein. In diesem Lehrgedicht schildert Ovid teilweise sarkastisch, teilweise belustigend den Alltag des augusteischen Roms unter besonderer Betrachtung der Liebeswelt ihrer Bewohner – in einer teilweise äußerst unverhüllten Beschreibung von Sexualität. Die Ars Amatoria und ihre spätere Ergänzung, die Remedia amoris (Heilmittel gegen die Liebe) umfassen insgesamt 4 Bücher, die sich in die Lehren für die Männer (Buch 1 und 2), die Lehren für die Frauen (Buch 3) sowie die Heilmittel gegen die Liebe (Buch 4) unterteilen lassen.

In dem Text gibt ein Sprecher in Form eines „erzählenden-Ichs“ dem Leser Ratschläge in unterschiedlichen Liebesangelegenheiten; z.B. wo in Rom eine Bekanntschaft gemacht werden kann und wie ihre Liebe gewonnen und diese erhalten werden kann. Der vorliegende Auszug stammt aus dem dritten Buch und gibt Anweisungen dazu, wie Frauen ihre Liebesangelegenheiten unter den wachsamen Augen ihrer Männer oder Aufsichtspersonen handhaben können; z.B. wie sich ein Paar unbemerkt geheime Botschaften zukommen lassen kann.

Dadurch, dass Ovid dieses Werk in Distichen an Stelle von reinen Hexametern verfasst hat, wird noch einmal der Bezug zur klassischen römischen Liebeselegie, der unerfüllten Liebe, deutlich – damit nimmt Ovid seinem Werk ein Stück weit seine Anrüchigkeit und Sittenlosigkeit.

Die Veröffentlichung dieses Werkes war wahrscheinlich einer der beiden Gründe für seine Verbannung, in der er schließlich auch starb. Ausschlaggebend dürfte allerdings der zweite Grund gewesen sein, auf den Ovid in seiner Einleitung anspielt (carmen et error). Dabei muss es sich um ein höchst brisantes Ereignis gehandelt haben, welches den Kaiser dazu veranlasste, ihn auf Lebenszeit zu verbannen – die  (unterschwellige) Kritik an der Sitten- und Frömmigkeitspolitik des Kaisers, insbesondere an den neuen Ehegesetzen unter Augustus. Diese war sicherlich wenig hilfreich, aber keinesfalls ausschlaggebend für die Verurteilung, da die offenherzigen „Ratschläge“ in Ovids Werk zu keinem Punkt in Obszönitäten ausarten.

 

Text zum downloaden