Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Ammianus Marcellinus
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Amm. 27,3,1-4 – Original
[1] Hoc tempore vel paulo ante, nova portenti species per Annonariam apparuit Tusciam, idque quorsum evaderet, prodigialium rerum periti penitus ignorarunt. In oppido enim Pistoriensi, prope horam diei tertiam, spectantibus multis, asinus tribunali escenso audiebatur destinatius rugiens, et stupefactis omnibus, qui aderant quique didicerant referentibus aliis, nulloque coniectante ventura postea quod portendebatur evenit.
[2] Terentius enim, humili genere in urbe natus et pistor, ad vicem praemii, quia peculatus reum detulerat Orfitum ex praefecto, hanc eandem provinciam correctoris administraverat potestate. Eaque confidentia deinceps inquietius agitans multa, in naviculariorum negotio falsum admisisse convictus, ut ferebatur, perit carnificis manu, regente Claudio Romam
[3] Multo tamen antequam hoc contingeret, Symmachus Aproniano successit, inter praecipua nominandus exempla doctrinarum atque modestiae. Quo instante urbs sacratissima otio copiisque abundantius solito fruebatur, et ambitioso ponte exsultat quem ipse, 1 iudicio principum maximorum, et magna civium laetitia dedicavit, ingratorum, ut res docuit apertissima.
[4] Qui consumptis aliquot annis, domum eius in Transtiberino tractu pulcherrimam incenderunt, ea re perciti, quod vilis quidam plebeius finxerat, 1 illum dixisse sine indice ullo vel teste, libenter se vino proprio calcarias exstincturum, quam id venditurum pretiis quibus sperabant.
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: John C. Rolfe
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Übersetzung
[1] At this time or a little earlier a new form of portent appeared in Annonarian Tuscany, and how it would turn out even those who were skilled in interpreting prodigies were wholly at a loss to know. For in the town of Pistoria, at about the third hour of the day, in the sight of many persons, an ass mounted the tribunal and was heard to bray persistently, to the amazement both of all who were present and of those who heard of it from the reports of others; and no one could guess what was to come, until later the portended event came to pass.
[2] For one Terentius, born in that city, a fellow of low origin and a baker by trade, by way of reward because he had brought Orfitus, an ex-prefect, into court on the charge of embezzlement, held the position of governor in that province. Emboldened by this, he proceeded to stir up many disturbances, and being convicted of cheating in a matter of business with some ship-captains, as was reported, he met death at the hands of the executioner when Claudius was city-prefect.
[3] However, long before this happened, Apronianus was succeeded by Symmachus, a man worthy to be classed among the conspicuous examples of learning and moderation, through whose efforts the sacred city enjoyed an unusual period of quiet and prosperity, and prides itself on a handsome bridge, which Symmachus himself, by the decision of our mighty emperors, dedicated, and to the great joy of the citizens, who proved ungrateful, as the result most clearly showed.
[4] For after some years had passed, they set fire to Symmachus‘ beautiful house in the Transtiberine district, spurred on by the fact that a common fellow among the plebeians had alleged, without any informant or witness, that the prefect had said that he would rather use his own wine for quenching lime-kilns than sell it at the price which the people hoped for.
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Heidi Heil
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Amm. 27,3,1-4
Leitfragen:
1) Welches Phänomen beschreibt Ammian in der ersten Hälfte der Quelle?
2) Was lässt sich daraus im Hinblick auf die Durchlässigkeit der spätantiken Gesellschaft schließen?
3) Wie steht Ammian zu dieser Entwicklung?
Kommentar:
Fast alle Informationen über das Leben von Ammianus Marcellinus (*ca. 330-335, † um 400 n. Chr.) sind direkt oder indirekt seinem Werk entnommen. Möglicherweise um den Curialenpflichten in seiner Heimatstadt Antiochia zu entkommen, wählte er die Militärlaufbahn. Er diente als protector domesticus unter dem Heerführer Ursicinus in Gallien und Mesopotamien. In Gallien lernte er wahrscheinlich den späteren Kaiser Julian (361-363 n. Chr.) persönlich kennen, begleitete ihn vielleicht sogar auf seinem Perserfeldzug 363 n. Chr. Im Alter ließ er sich zur Abfassung seines Geschichtswerkes in Rom nieder.
Sein Res gestae genanntes Geschichtswerk umfasste ursprünglich 31 Bücher. An Tacitus anschließend setzte es zeitlich im Jahr 96 n. Chr. an. Geschrieben ist es in Latein, obwohl Griechisch Ammians Muttersprache war. Überliefert sind nur die Bücher 14-31, die die Ereignisse von 353-378 n. Chr. behandeln. Ein großer Teil davon, zehn von achtzehn Büchern, widmet sich Julian und seinem Perserfeldzug. Ammian, ebenfalls ein Heide, bewunderte den Kaiser, dessen Taten und Persönlichkeit. In seinem Geschichtswerk sah er den Grundstock zu einer breit angelegten Bildung, die sich alle Führungspersönlichkeiten des Reiches, vom niedrigen Beamten über den Feldherrn bis zum Kaiser, zur sachgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben aneignen sollten.
In der ersten Hälfte der Quellenstelle (27,3,1-2) berichtet Ammian von einem Vorzeichen, das sich niemand erklären kann. In Pistoria in Etrurien (heute Pistoia in der Toskana) besteigt ein Esel die Rednerbühne und schreit eine Zeit lang. Im Nachhinein wird das Ereignis als Vorzeichen für die Statthalterschaft des ehemaligen Bäckers Terentius über Etrurien (364/365 n. Chr.) gedeutet. Laut Ammian erhielt dieser seinen Posten nur, weil er den Stadtpräfekten von Rom wegen Unterschlagung angezeigt hatte. Terentius erfüllt seine Aufgaben dann auch schlecht und wird selbst wegen Fälschung hingerichtet. In der antiken Kultur war der Esel oft negativ konnotiert. Er war dumm und träge, stand für Unglück und Leiden und ist in diesem Fall als ein schlechtes Omen für die Statthalterschaft des Terentius zu sehen. Da Esel auch in den Mühlen zum Mahlen des Korns eingesetzt wurden, kann er außerdem als Anspielung auf den Beruf des Bäckers (pistor) verstanden werden.
Ein gesellschaftlicher Aufstieg, wie der des Terentius, war in der Spätantike kein Einzelfall. Hatte es im Prinzipat noch Generationen gedauert, sich von ganz unten bis zum Konsulat hochzuarbeiten, gelang dies inzwischen auch Einzelpersonen. Das Militär, die Verwaltung und die Kirche boten Aufstiegsmöglichkeiten, auch wenn die Kaiser versuchten, die für den Staat wichtigen Bevölkerungsgruppen durch Gesetzeserlasse an ihre Berufe und/oder ihre Ländereien zu binden. Hunderte solcher Erlasse sind im Codex Theodosianus, einer Gesetzessammlung aus dem 5. Jahrhundert n. Chr., zu finden. Diese Bestrebungen, eine Art „Kastensystem“ einzuführen, schlugen jedoch fehl. Die Gesetze mussten andauernd bekräftigt und erweitert werden, weil die Bevölkerung sich nicht an sie hielt. Selbst Ammian, eigentlich ein Angehöriger des erblichen Curialenstandes, schlug wider geltendes Recht die Militärlaufbahn ein, die ihn den Verpflichtungen seines Geburtsstandes entzog. Die erhöhte soziale Mobilität bot aber nicht nur Aufstiegschancen, sondern barg auch die Gefahr des Rangverlusts. Durch Kriege, religiöse Auseinandersetzungen, Steuerdruck und vieles mehr konnten angesehene Familien ihren Stand verlieren oder freie Bauern in den halbfreien Status eines Kolonen absinken.
Ammian beurteilt den Fall des Terentius nicht positiv. Die Verbindung der Geschichte des Statthalters mit dem Vorzeichen des Esels und die Beschreibung seiner schlechten Amtsführung bergen ein negatives Urteil über den Aufstieg eines niedrig geborenen Bäckers in den gehobenen Stand der honestiores. Im zweiten Teil der Quelle (27,3,3-4) stellt er ihm dann Symmachus (*ca. 345, † 402 n. Chr.) gegenüber. In eine alteingesessene römische Senatorenfamilie geboren, bekleidete dieser 384/385 n. Chr. das Amt des Stadtpräfekten von Rom und war einer der Führer des größtenteils noch heidnischen Senats. Auf ihn geht der literarische Symmachus-Kreis zurück, der sich der Sammlung und Verbreitung der Klassiker verschrieben hatte. Ammian kam in seiner Zeit in Rom wahrscheinlich mit diesem Umfeld in Berührung. Aus seiner Beschreibung von Symmachus‘ Wesen und Amtsführung sprechen Bewunderung und Respekt. Ein späterer Aufstand des undankbaren „Pöbels“ gegen Symmachus, der Rom so viel Gutes getan hatte, ist dann, laut Ammian, auch nur auf die unbewiesene und bösartige Verleumdung eines niedrigen Plebejers zurückzuführen, eines Menschen, der von ebenso niedriger Geburt war wie Terentius.
Obwohl Ammian selbst von der erhöhten sozialen Mobilität seiner Zeit profitiert hatte, kritisiert er an dieser Stelle einen gesellschaftlichen Aufsteiger und lobt einen geborenen Senatoren. Er kritisiert dabei jedoch nicht explizit die Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs, wie man auf den ersten Blick denken könnte, sondern er nutzt die niedrige Geburt und Unfähigkeit des Terentius, um seiner Darstellung des Symmachus mehr Wirkung zu verleihen. Dabei soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass der Autor sich ebenso über die alteingesessenen Senatoren beschweren konnte, wenn es in seine Darstellung passte (z.B. 14,6;28,4). Es müssen hier also eher die persönlichen Sympathien Ammians gegenüber Symmachus, einem Träger der traditionellen, heidnischen Kultur und Werte, berücksichtigt werden, als eine allgemeine Abneigung gegen soziale Aufsteiger per se anzunehmen.
Siehe zum Vergleich auch den Beitrag zur Berufsbindung mit zwei Erlassen aus dem Codex Theodosianus . Siehe zu den Senatoren und gesellschaftlichem Aufstieg auch die Beiträge „Die Senatoren I“ und „Die Senatoren II„.