03 – Die Antigoniden und die Bünde

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in:
Werner Rieß
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Griechische Geschichte III: Der Hellenismus

03 – Die Antigoniden und die Bünde

Im Gegensatz zum Reich der Ptolemäer und v.a. zum Seleukidenreich, ist das Reich der Antigoniden ethnisch einheitlich. Von 276, also von Antigonos II. Gonatas, bis 168 v. Chr. wird Makedonien von der Antigonidendynastie regiert. Die Feudalstruktur, die die Argeaden geschaffen hatten, lebte fort. Nach wie vor waren die vielen kleinen Landbesitzer wichtig, die als Pezhetairen in der Landwirtschaft eingesetzt wurden und die in der makedonischen Heeresversammlung gewisse Mitspracherechte hatten. Diese makedonische Heeresversammlung ist eine Art Volksversammlung. Wie oft sie einberufen wurde, wissen wir nicht, es sind auch keine Dekrete epigraphisch erhalten, was wohl kein Zufall ist.
Das Heer bestimmt theoretisch den neuen König. Und jeder König war seinerseits auf den goodwill des Heeres angewiesen, das auch über Fälle von Hochverrat richtet. Die philoi, die Freunde des Königs, rekrutierten sich anders als bei den Seleukiden und Ptolemäern nicht aus den fähigen Leuten der ganzen griechischen Welt, sondern ausschließlich aus dem einheimischen Adel. Manchmal erwähnen Inschriften ein koinon der Makedonen, also einen Bund, aber der war nur schwach ausgeprägt. Der makedonische König regierte autoritär. Der König schloss Verträge allein. Erwähnenswert ist auch, dass die Makedonen niemals einen Herrscherkult für einen ihrer Könige einrichteten.
316 gründete Kassander Kassandreia auf der Halbinsel Pallene am Ort des alten Poteidaia, das von Philipp II. zerstört worden war, sowie Thessaloniki. Kassandreia hat einen Rat, Thessaloniki einen Rat und eine Volksversammlung, hier werden also die Polisstrukturen des Südens nachgeahmt. Dennoch kontrollieren königliche Vorsteher, epistatai, alles im Namen des Königs, wobei Finanzbeamte ihnen dabei halfen. Die Städte übten aber eine lokale Selbstverwaltung aus, hatten eigene Geldmittel und konnten das Bürgerrecht ihrer Stadt an andere Makedonen verleihen. Die Zentralverwaltung spielte bei den Antigoniden eine weniger wichtige Rolle als bei den Ptolemäern und Seleukiden. Die obersten Magistrate rekrutierten sich nicht aus dem Verwaltungsapparat. D.h. es gab keinen Aufstieg in die Spitzenämter. Diese blieben den philoi, den Freunden des Königs vorbehalten, der seine Getreuen damit auszeichnete. Er konnte sie aber natürlich auch jederzeit wieder absetzen.
Den Antigoniden gelang es nicht, die Außenbesitzungen mit dem Mutterland zu verschmelzen. Die Griechen empfanden die makedonische Suprematie immer als Zwangsherrschaft. 196 war sie mit der Freiheitsdeklamation des Titus Quinctius Flamininus zu Ende, dennoch blieb das makedonische Volksheer ein wichtiger Machtfaktor bis zum Untergang Makedoniens in der Schlacht von Pydna 168 v. Chr.
Eine Betrachtung der Wirtschaft Makedoniens muss bei Philipp II. ansetzen. Er unternahm gewaltige Anstrengungen, um die Infrastruktur zu verbessern. Er machte aus den Makedonen erst Bauern und auch Städter. Er integrierte Thraker, Skythen und Illyrer, er ließ Dämme bauen und viele Gebiete entwässern und roden. Allerdings stellten die Abwanderung großer Bevölkerungsteile in den Orient und die ständigen Kriege einen gewaltigen Aderlass für Makedonien dar. Unter Antigonos Gonatas kam es zu einem gewissen, bescheidenem Wohlstand. Als Philipp V. jedoch im Zweiten Makedonischen Krieg gegen die Römer verlor, musste er 1000 Talente Reparationszahlungen leisten, was ihn zwang, neue Geldquellen zu erschließen: Er führte die Bodensteuer ein, Hafenzölle, legte mehr Bergwerke an und siedelte Thraker an, also eine ganz ähnliche Politik, wie sie Philipp II. betrieben hatte. Perseus setzte dann die Politik seines Vaters fort. Die Urbanisierung schritt rasch voran, was die Archäologie belegt. Zwischen 200 und 150 wird Demetrias in Thessalien eine blühende Hafenstadt. Sie war 293 von Demetrios I. gegründet worden und genoss daher immer das besondere Wohlwollen der Antigoniden. Der Königsplast dort ist auch archäologisch gut belegt. Abgesehen von Haussklaven scheint die Sklaverei in Makedonien nicht sehr verbreitet gewesen zu sein. Makedonien war niemals so reich wie Ägypten oder das Seleukidenreich.
Makedoniens Verhältnis zum südlichen Griechenland war immer komplex. Einerseits war es Bollwerk gegen die Balkanvölker im Norden, ein Schutzschild für die im Süden lebenden Griechen. Andererseits war das südliche Griechenland für die Makedonen das Tor zur Welt. Man wollte es von den Ätolern, Ptolemäern und auch vom Einfluss Pergamons freihalten. Nach wie vor war im südlichen Griechenland umstritten, wie man sich zu Makedonien stellen sollte, mit Makedonien gegen die eigenen Nachbarn oder mit den Nachbarn gegen die Makedonen. Die Geschichte des 3. und 2. Jahrunderts zeigt, dass diese Grundsatzfrage nicht gelöst war, Demosthenes und seine Gegner fanden Nachfolger in der hellenistischen Zeit!
Die makedonische Oberhoheit wurde immer wieder von verschiedenen Völkern als etwas Fremdartiges und als von außen aufoktroyiert empfunden. Nach dem Chremonideischen Krieg, den ein Bündnis der südlichen Griechen gegen die Makedonen verloren hatte, formierte sich die Opposition in Gestalt des Achäischen Bundes, der einen Tyrann nach dem anderen vertrieb; ab dem 3. Jh. wurde dieser Bund so stark wie der Ätolerbund in Mittelgriechenland. Antigonos hatte nicht die Mittel, die Tyrannen von seinen Gnaden zu schützen. Ab 239 war der Ätolische Bund mit dem Achäischen Bund gegen Makedonien verbündet, eine sehr mächtige Koalition. Als Demetrios II. (239-229) starb, war sein Sohn Philipp erst acht Jahre alt, Makedonien damit in großen Schwierigkeiten. Die Granden Makedoniens wählen in dieser prekären Situation Antigonos III. Doson zum König, der machtvoll wieder viel wettmachen kann. Er hatte das große Glück, dass ein neuer König in Sparta, Kleomenes III., eine soziale Revolution anzetteln und massiv auf der Peloponnes auf Kosten des Achäischen Bündes expandieren wollte. Dies konnte Aratos nicht zulassen. Er fühlte sich von Kleomenes stärker bedroht als von Makedonien und vollzog nun eine in den Augen vieler Zeitgenossen schändliche Kehrtwendung seiner bisherigen Politik: Er rief nun die Makedonen, die er zeit seines Lebens bekämpft hatte, auf die Peloponnes, um gegen die spartanischen Expansionsgelüste vorzugehen.
224 v. Chr. war Antigonos Doson wieder Herr über Korinth. Er starb 221, Nachfolger wurde nun Philipp V., den er sozusagen vertreten hatte. Philipp V. kehrt nun zur alten Bündnispolitik seiner Vorfahren zurück; nun aber schließt er Bündnisse mit Konföderationen, nicht mehr nur Stadtstaaten. Eine neue Symmachie geht er ein mit Achaiern, Thessalern, Epiroten, Akarnaniern, Boiotern und Phokern. Die Entscheidungen mussten von allen Mitgliedsstaaten gebilligt werden, das ist bereits ein Gründungsfehler, denn damit war diese Symmachie immer kraftlos. Zwar war das ein Verzicht auf das Tyrannensystem des Antigonos Gonatas, aber eben nur ein schwacher Kompromiss zwischen dem Freiheitsdenken der Griechen und dem Kontrollwunsch der Makedonen.
Die Symmachie schaffte es, den Ätolischen Bund zu umzingeln, führte dann jedoch einen ergebnislosen Krieg gegen ihn 220-217. Philipps Niederlage gegen die Römer in der Schlacht von Kynoskephalai 197 warf ihn dann ganz auf Makedonien zurück. Philipp begreift die Zeitläufte und kämpft dann auf Seiten Roms gegen Antiochos III., so dass er einige Gebiete in Thessalien inklusive Demetrias wieder zurückgewinnen kann, allerdings nehmen ihm die Römer diese Gebiete nach und nach wieder ab. Im Dritten Makedonischen Krieg zwischen Perseus und den Römern endet in der Schlacht von Pydna 168 v. Chr. das Reich der Antigoniden als erstes der drei hellenistischen Großreiche.
Die Bünde waren schon mehrmals angesprochen worden, auf sie gilt es jetzt näher einzugehen. Die Bünde sind eine Form des Föderalismus, mehrere Städte schließen sich zu einem größeren Bund zusammen und übertragen einige ihrer Rechte an diesen Bund. Die wichtigsten Bünde der hellenistischen Zeit sind der Ätolische und der Achäische Bund. Ziel war es, ein Gegengewicht zu den Monarchien zu bilden. Den Teilnehmern war klar, dass sie als einzelne Poleis nur noch schwach waren. Der Ätolische Bund ist seit 367, der Achäische seit 280 v. Chr. bezeugt. Es gibt ein Bundesbürgerrecht und daneben natürlich immer noch das Bürgerrecht der Heimatpolis, d.h. Grunderwerb ist auch woanders möglich, auch Eheschließungen sind möglich.
Es gibt aktives und passives Wahlrecht im ganzen Bund, dennoch bildet sich keine Zentralgewalt aus, keine richtige Hauptstadt. Auf die Bedeutung der Zentralorte werden wir gleich noch eingehen. Es gibt immer eine Bundesversammlung als Primärversammlung, wo die Teilnehmer direkt mitreden konnten, abgestimmt wird aber korporativ, also nach Mitgliedsstaaten. Durch die Abtretung der Außenpolitik an den Bund kann man durchaus von Bundesstaaten sprechen. Der Ort der Primärversammlung wechselte. Es gab dann immer auch einen Bundesrat (Synhedrion, Boule, Mitglieder unterlagen keinem Kontinuations- oder Iterationsverbot, hier sind oligarchische Strukturen deutlich) und Bundesmagistraten, proportional aus den Mitgliedsstaaten zusammengesetzt. Die Magistraturen werden jedes Jahr neu besetzt. Der Bundesrat als Repräsentativorgan (proportional aus den Mitgliedspoleis zusammengesetzt) wurde im Verhältnis zur Bundesversammlung immer wichtiger.
Im Achäischen Bund gab es eine Verlagerung der Kompetenzen nach oben: Alle Bundesbeschlüsse inklusive Gesetzgebung, außer der Entscheidung über Krieg und Frieden, wurden von der Bundesversammlung an den Bundesrat delegiert. In allen Bünden werden die Räte (und Magistrate) gestärkt auf Kosten der Primärversammlungen, das ist ein Trend hin zur Oligarchisierung und Aristokratisierung der Politik.
Aus Zeitgründen können wir hier nur etwas näher auf den Achäischen Bund eingehen. Die Städte an der Nordküste der Peloponnes bildeten schon früh einen Verbund, der aber unter Alexander zerfiel. Um 280 kam es zur Neugründung. Eine prägende Gestalt wurde Arat von Sikyon, der 251 den Tyrann aus seiner Heimatstadt vertrieb und sie an den Bund anschloss. 243 luchste man Antigonos Gonatas Korinth ab. Und weil Arat eine sehr dynamische Politik betrieb, wurden auch andere Staaten am Isthmos und Arkadien und Argos zu Mitgliedern. Dann aber wurde der Bund vom Spartanerkönig Kleomnes III. bedroht, weswegen Arat den höchst umstrittenen Seitenwechsel hin zu Makedonien vollzog.
Damit war der Achäische Bund von 224 bis 199 eigentlich unter der Kontrolle Makedoniens und nahm auch am Ersten Römisch-Makedonischen Krieg gegen Rom teil. Beim Ausbruch des Zweiten Römisch-Makedonischen Krieges stand der Bund klugerweise dann auf Seiten Roms und erhielt von Rom die Erlaubnis, alle Staaten der Peloponnesischen in den Achäischen Bund aufzunehmen. Dann gab es aber Streit mit den Römern um Sparta. Einem Ultimatum von Seiten Roms folgte 147 ein kurzer Vernichtungskrieg. Korinth wurde von den Römern zerstört, der Bund aufgelöst. Polybios, der in Megalopolis in Arkadien aufgewachsen war und treu in den Diensten des Bundes gestanden hatte, stand ihm natürlich sehr wohlwollend gegenüber und schildert uns in seinem großen Geschichtswerk die Ideale des Bundes in geradezu enkomiastischer Weise.
Noch einige Charakteristika des Bundes: Ab 255 gab es einen gemeinsamen Feldherrn sowie gemeinsame Beamte, ab 190 gab es gemeinsame Bundesmünzen. Die Kompetenzen der Bundesversammlung, die viermal im Jahr zusammenkam, sind umstritten. Auch eine Boule für Männer ab dreißig Jahren gab es. Zu den Vollversammlungen hatten alle erwachsenen Männer Zutritt. Die Magistrate kamen allerdings aus wenigen Familien und auch aus wenigen Städten, hier ist also ein gewisser oligarchischer Zug erkennbar. Wichtige Fragen der Außenpolitik, v.a. zum Verhältnis mit Rom, wurden auf Sondervollversammlungen diskutiert. Mehr als hundert Jahre lang war der Achäische Bund also bedeutsam für die Geschichte Griechenlands.
Neben dem Achäischen und dem Ätolischen Bund gab es aber noch andere Bünde, die z.T. wesentlich älter waren:
447 Böotischer Bund; seine Verfassung ist beschrieben in der Hellenika von Oxyrhynchos,
spätes 5./frühes 4. Jh: Chalikidischer Städtebund und
nach 371 Arkadischer Bund (koinon).
Wichtig sind auch noch der Nesiotenbund (meist unter ptolemäischem Protektorat), der Euböische Bund sowie der Lykische Bund in Kleinasien, aus 23 Poleis bestehend.
Die Tendenz, sich zu Bundesstaaten zusammenzuschließen, deutet gerade nicht auf einen Niedergang der Pols hin, die Polis blieb ja unterste Organisationseinheit, sondern auf den Realitätssinn, sich zu größeren Entitäten zusammenschließen zu müssen, um den Monarchien ein Gegengewicht entgegensetzen zu können. Gerade die steigende Urbanisierung förderte den bundesstaatlichen Prozess. Die Stammesstrukturen wandelten sich um in Polisstrukturen. Nun entstehen auch in Stammesgebieten städtische Zentren mit urbanem Stadtbild (Gymnasien, Agorai, Säulenhallen, Verwaltungsgebäuden, Tempeln, Theatern usw. das, was wir als griechische Polis bezeichnen).
Die Balance zwischen Bundesebene, also der Zentralgewalt, und den Mitgliedspoleis, musste immer wieder neu austariert werden; die Lösung sah in den verschiedenen Bünden immer ein wenig anders aus, aber es gibt feste Grundprinzipien, die überall in Geltung waren: Alle Mitgliedspoleis waren grundsätzlich gleichgestellt. Die Zentralgewalt durfte nicht zu stark werden und die Polisebene dominieren. Oft wurde die Bundeshauptstadt gerade nicht der Hauptort einer Gegend. Die Arkader lösten das Problem ganz radikal, indem sie Megalopolis als Hauptstadt des Arkadischen Bundes ganz neu gründeten, das Konzept scheiterte aber. Aigion wird Hauptort des Achäischen Bundes, Thermon mit seinem Apollon Heiligtum zum Hauptort des Ätolischen Bundes. Onchestos wird Hauptort des Böotischen Bundes und eben nicht Theben (nach 338). Bundesversammlungen finden manchmal auch in wechselnden Städten statt.
Diese Form des Föderalismus durch die Bünde war eine interessante Entwicklung, die die Vereinzelung der individuellen Polis aufhob und sich wesentlich durch ihre viel demokratischeren Strukturen von den hellenistischen Monarchien unterschied. Leider scheiterten diese Bünde letztlich an Rom, so dass sie keine eigentliche Wirkmächtigkeit entfalten konnten.

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