07 – Religiöse Strukturen, Judentum und Christentum

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Werner Rieß
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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

07 – Religiöse Strukturen, Judentum und Christentum

In der römischen Kaiserzeit herrscht nach wie vor Polytheismus. Regional gibt es in der Götterverehrung und in den religiösen Auffassungen große Unterschiede. Neu hinzukommen der Kaiserkult, der sogenannte Synkretismus und die verstärkte Verbreitung von Mysterienkulten, insbesondere des Isis- und Mithraskultes. Das entstehende Christentum sollte das Reich dann allmählich grundlegend verändern.
Der römische Kaiserkult geht vereinfachend gesprochen aus dem hellenistischen Herrscherkult hervor. Die Menschen waren mehrheitlich der Meinung, dass ein Mensch, der mit der Allgewalt eines römischen Kaisers ausgestattet ist, unter dem besonderen Schutz der Götter stand, besonders von ihnen begünstigt wurde und dass er eben auch Verehrung verdiene. In zahlreichen Inschriften wird der Kaiserkult greifbar, der auf lokaler und regionaler Ebene von den jeweiligen Eliten gepflegt wurde.
Synkretismus heißt Mischung; Göttervorstellungen werden miteinander verbunden oder verschmelzen. Isis wurde untrennbar mit Osiris verbunden, später wurde Osiris mit Sarapis gleichgesetzt. In Italien wurden Isis und Venus immer mehr ineinander geblendet.
Warum aber gewannen die Mysterienkulte immer mehr an Boden? Was boten Sie den Menschen, das die althergebrachten Staatskulte nicht bieten konnten? Die Ausübung der Staatskulte war formelhaft geworden und oftmals zu mechanisch zu vollziehenden Ritualen erstarrt, die wenig Möglichkeit zur persönlichen Identifikation mit dem Glauben schafften. Da die Eliten die Kulthandlungen vollzogen, waren die meisten Menschen auf eine Zuschauerrolle beschränkt; die Distanz zum Kultgeschehen und zu den Kultausübenden verstärkte sogar noch die sozialen Schranken.
Die Mysterienreligionen gingen dagegen auf die Sehnsüchte und die Bedürfnisse der Menschen ein: Sie boten in kleinen Kreisen Geborgenheit. Durch das Absolvieren von umfangreichen Aufnahmeritualen hatte man das Gefühl, zu einem privilegierten Kreis von Eingeweihten zu gehören, denen Glück, ja Heil in Aussicht gestellt wurde. Die Erwartung eines Lebens nach dem Tod war intrinsischer Bestandteil aller Mysterienreligionen. Genau festgelegte Rituale, an denen aber alle Eingeweihten teilnahmen, vermittelten offenbar intensive religiöse Gemeinschafts- und Glücksgefühle. Geprägt waren die Mysterienkulte von der Überzeugung, dass es eine Vergebung der Sünden und nach dem Tod eine Auferstehung geben würde, die man sich mehr oder weniger als eine Vereinigung der eigenen Seele mit der Gottheit vorstellte. Die rituelle Sequenz Tod, Liminalität, Auferstehung wurde offenbar im Kult nachvollzogen und entsprechend zelebriert. Der Einzelne wurde also persönlich ganz anders von diesen Kulten angesprochen und individuell in Gemeinden eingebunden als dies bei den traditionellen Staatskulten der Fall war. Neben dem Kybele-, Isis- und Jupiter Dolichenus-Kult gewann vor allem die Mithras-Verehrung eine weite Verbreitung, v.a. im Westen. Zwischen dem alten iranischen Gott Mithra und dem kaiserzeitlichen Gott gibt es sicher Bindeglieder, die uns aber heute verloren sind. Der Mithraskult wurde v.a. eine Soldatenreligion, wurde aber auch von Händlern und Kaufleuten praktiziert. Frauen waren ausgeschlossen. Man traf sich in Grotten oder Höhlen, die meist künstlich gebaut wurden. Dort fand dann eine Stiertötung statt und ein gemeinsames Opfermahl, bestehend aus Brot und Wein und natürlich aus dem Verzehr des Stierfleisches und dem Trinken seines Blutes. Die Anhänger waren streng in sieben Stufen, Grade der Einweihung eingeteilt, jede Stufe wurde durch einen Himmelskörper symbolisiert. Das Denken war dualistisch, Gut siegte über Böse, Licht über Dunkel. Da der Mithraskult keinen Ausschließlichkeitsanspruch kannte, konnten seine Anhänger auch andere Götter verehren, insbesondere wurde auch der Kaiser verehrt – noch einmal: Soldaten waren die Hauptträger dieses Kultes, so dass Merkelbach den Mithraskult auch als Loyalitätsreligion bezeichnete.
Bei den Intellektuellen und den philosophisch Gebildeten gab es ebenfalls eine große Bandbreite an religiösen Überzeugungen. Sie reichte von der Befürwortung der traditionellen Götterkulte aus Gründen des Respekts und der Pietät gegenüber überkommenen Glaubensformen über Agnostizismus bzw. Skeptizismus bis hin zu mittelplatonisch und neuplatonischen Gottesvorstellungen, die zum großem Teil auch einen monotheistischen Gottesbegriff kannten, auf dem das Christentum aufbauen konnte.
Eine aktive Religionspolitik der römischen Kaiser gab es bis Mitte des dritten Jahrhunderts nicht. Sie schritten nur dann ein, wenn es aus religiösen Gründen zu Tumulten kam. Vorgegangen wurde dann nicht per se gegen die jeweilige Religion, sondern gegen die Unruhestifter, welche die römische Ordnung zu gefährden schienen. Sowohl das Judentum als auch das Christentum waren von diesem Eingreifen des römischen Staates betroffen und auf diese Religionen gilt es nun etwas näher einzugehen.
Die Römer standen den Juden ambivalent gegenüber: Caesar und Augustus bestätigten alte Privilegien bzw. schufen neue, man respektierte das hohe Alter des Judentums und war zum Teil auch beeindruckt vom strengen Monotheismus und der tiefen Gläubigkeit vieler Juden. Den Juden wurde die Ausübung ihres Glaubens garantiert, insbesondere die Einhaltung der Sabbatgebote. Sie waren vom Militärdienst befreit und besaßen eine begrenzte zivile Gerichtsbarkeit, v.a. in Glaubensfragen. Andererseits kamen viele jüdische Sitten den Römern und Griechen fremd vor, v.a. die Beschneidung und die Speisevorschriften. Es gab Missverständnisse und Vorurteile auf beiden Seiten, immer wieder kam es zu Anfeindungen, Pogromen und blutigen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Andersgläubigen. In Rom lebten die Juden von alters her in einem eigenen Viertel, wir würden von Ghetto sprechen, jenseits des Tiber, also in Trastevere. 186 v. Chr. waren beim sogenannten Bacchanalienprozess auch Juden betroffen. 139 v. Chr. schreitet ein Prätor gegen die Juden in Rom ein. Als Claudius 49 n. Chr. gegen Isis-Anhänger vorging, waren auch die Juden mitbetroffen. Cicero und Tacitus, letzterer in seinem berühmten Judenexkurs in den Historien, zeichnen ein denkbar negatives Bild von den Juden. 38-41 n. Chr. kam es zu beinahe kriegerischen Zuständen in Alexandria, Juden und Griechen metzelten sich gegenseitig nieder. Claudius versuchte, auf die Streitparteien mäßigend einzuwirken.
In Judäa gelang es Rom nicht, wie andernorts, die lokalen Eliten für die Sache Roms zu gewinnen und somit auch die Bevölkerung in den römischen Herrschaftsverband einzugliedern. Andernorts waren die lokalen und regionalen Eliten bereit, sich zu integrieren, städtische Ehrenämter einzunehmen, im Reichsdienst tätig und damit von Rom belohnt zu werden. Diese Menschen dachten diesseitig. Ehrungen von Seiten der Römer bedeuteten aber der religiös orientierten Elite der Juden nichts, im Gegenteil, eine zu enge Kooperation mit der Besatzungsmacht wäre als ein Verrat am Monotheismus und am Tempel ausgelegt worden. Rom fand letztlich in Judaea keinen Ansprechpartner, mit dem römische Politik durchzusetzen gewesen wäre. Hierin gründen die Katastrophen des jüdischen Volkes im 1. und 2. Jh. n. Chr.. Die Römer nahmen die vielen jüdischen Gruppierungen, ja Sekten, die unterschiedlich stark gegen Rom opponierten und noch untereinander zerstritten waren, als eine amorphe Masse von Fanatikern wahr: Pharisäer, Sadduzäer, Zeloten und Essener waren für sie letztlich nicht wirklich unterscheidbar. Und während die Römer durch die Ausschaltung des Druidentums bei den Kelten die religiöse und kulturelle Überlieferung dieses Volkes vernichteten, war das Judentum als Schriftreligion auf einer viel breiteren gesellschaftlichen Basis aufgestellt. Die Eliminierung des jüdischen Priestertums hätte schlichtweg nichts gebracht. Soziale Probleme, wie hohe Verschuldung, kulturspezifische Fehler der römischen Statthalter, die nicht sensibel genug auf jüdische Befindlichkeiten einzugehen wussten, führten schließlich in die Katastrophe des Jüdischen Krieges 66-73/74 n. Chr., der in der Zerstörung des Tempels in Jerusalem gipfelte (70 n. Chr.). Damit verloren die Juden ihr religiöses und kulturelles Zentrum. Die Verluste Roms waren hoch, doch ging Rom mit unglaublicher Brutalität gegen die Juden vor. Der Sieg der Römer war komplett und wurde in einem großen Triumphzug in Rom gefeiert. Ikonographisch wurde der Sieg auf dem Titusbogen festgehalten, wo zu sehen ist, wie der Siebenarmige Leuchter durch die Straßen Roms gezogen wird. Aus der unermesslichen Beute wurde das Amphitheatrum Flavium, das Kolosseum, finanziert, wie Geza Alföldy aus der Rekonstruktion der Kolosseumsinschrift herausgefunden hat. Noch nach dem Fall Jerusalems hielt sich die Bergfestung Masada. In einem gewaltigen Kraftaufwand bauten die Römer eine große Rampe, deren Reste noch heute zu sehen sind, und stürmten die Burg (73/74 n. Chr.). Die Verteidiger waren nicht bereit, sich Rom zu unterwerfen und zuzulassen, dass ihre Frauen und Kinder in römische Sklaverei kämen. Eine Gruppe von Männern wurde dazu bestimmt, alle anderen zu töten und dann Selbstmord zu begehen. An die 1000 Menschen gaben sich so den Tod kurz bevor die römischen Truppen ins Innere stürmten. Bis heute ist Masada das Symbol der jüdischen Widerstandskraft.
Vor allem in Alexandria blieb die jüdische Gemeinde aber stark verwurzelt. 115-117 kam es wieder zu einem großen Massaker an Juden in Alexandria, dem sog. Diasporaaufstand. Vorausgegangen waren jüdische Angriffe auf Griechen in der Kyrenaika. Greueltaten wurden auf beiden Seiten begangen, und die Truppen Trajans hatten alle Mühe, den Aufstand niederzuschlagen. Tausende von Juden wurden in Alexandria von Griechen und Römern niedergemetzelt.
132-135 n. Chr. kam es unter Hadrian zur letzten Auseinandersetzung zwischen Rom und den Juden im sogenannten Bar Kochba-Aufstand. Auch der weltoffene, kulturell hoch gebildete Hadrian, durch seine viele Reisen mit allen Reichsteilen vertraut, fand mit den Juden keinen modus vivendi, d.h. keine Möglichkeit, sie irgendwie über die Eliten in das Reich zu integrieren. Es ist unklar, ob die Umbenennung Jerusalems in Colonia Aelia Capitolina den Aufstand auslöste oder eine Strafmaßnahme nach der Niederschlagung des Aufstands war. Auf alle Fälle wurde dieser letzte verzweifelte Aufstand der Juden wieder mit äußerster Entschlossenheit von Seiten der Juden geführt und mit ebensolcher Grausamkeit von Seiten der Römer unterdrückt. Die Niederlage der Juden war diesmal noch einschneidender in ihren Konsequenzen als nach dem Jüdischen Krieg. Jerusalem wurde als römische Stadt neu angelegt. Ein Jupiter Capitolinus-Tempel ersetzte den alten Tempel der Juden. Juden durften Jerusalem nicht mehr betreten, die Provinz wurde nun als Palaestina bezeichnet. Spätestens hier liegt nun der Beginn der jüdischen Diaspora, die Juden verstreuten sich als Flüchtlinge in alle Welt, behielten jedoch ihren Glauben bei und gründeten vielerorts Synagogen. Septimius Severus förderte das Judentum wieder, im 4. Jh. werden Synagogen auch in Ägypten wieder neu gegründet.
Das Christentum entwickelte sich aus dem Judentum heraus. Am Anfang waren Juden und Christen für Römer kaum zu unterscheiden; die Christen wurden als eine neue jüdische Sekte betrachtet, die aufgrund ihres geringen Alters nicht einmal die Altehrwürdigkeit des Judentums besaß und zunächst als reines Unterschichtenphänomen wahrgenommen wurde. Vom historischen Jesus wissen wir recht wenig, die Evangelien entstehen erst um 70 n. Chr. und gehen auf ältere, kürzere Quellen zurück, die wohl v.a. Spruchsammlungen Jesu waren.
Der erste christliche Autor war das theologische Genie Paulus, der in mehreren Missionsreisen in Kleinasien und in Griechenland den neuen Glauben verbreitete. Auf dem sogenannten Apostelkonzil 48 n. Chr. trennt sich das Christentum sozusagen vom Judentum, indem Paulus den Christen die Beschneidung und die strenge Befolgung des mosaischen Gesetzes erlässt. Der philosophisch geschulte Paulus und später v.a. Johannes vermitteln den neuen Glauben über die platonische Philosophie und Gedankenwelt an die griechischsprechenden Oberschichten des Ostens. Erste Hochburgen des Christentums werden Antiochia, Alexandria, wo die philosophische Deutung des Christentums mit Hochdruck betrieben wird, und auch Ephesos. Im Westen gibt es schon früh eine judenchristliche Gemeinde in Rom, die offenbar unter Claudius für Unruhe sorgte, und Christen fassen in den Hafenstädten Karthago und Massilia Fuß, von wo aus das Christentum die Rhône nordwärts wandert. Die großen theologischen Auseinandersetzungen finden aber ausschließlich im Osten und in griechischer Sprache statt. Noch ist ausschließlich Griechisch die Sprache des Christentums.
In diesem Rahmen kann nur ganz kurz auf die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Christentum und römischem Staat eingegangen werden. Viele andere Aspekte müssen ausgeklammert werden. In der lateinischen Literatur tauchen die Christen zum ersten Mal prominent in den Annalen des Tacitus auf. Nero missbrauchte nach dem Brand Roms 64 n. Chr. die Christen als Sündenböcke und dachte sich grausamste Hinrichtungsarten für sie aus. Es handelte sich allem Anschein nach nicht um eine reichsweite Verfolgung, sondern um eine auf Rom begrenzte Polizeiaktion. Dann hören wir erst wieder unter Trajan von römischer Seite von den Christen. Plinius der Jüngere, der 111 n. Chr. kaiserlicher Gesandter in der Provinz Bithynien und Pontos war, richtet einen berühmten Brief an Trajan (10,96), indem er ihn fragt, wie denn mit Christen zu verfahren sei. Er wendet sich an den Kaiser, weil die Christen immer mehr wurden, auf dem Lande wie in der Stadt, Männer und Frauen, alte Menschen wie Kinder, ein interessanter Einblick in die Missionserfolge des kleinasiatischen Christentums zu Beginn des 2. Jhs. n. Chr.. Plinius schildert genau, wie er Menschen befragt, ob sie Christen seien, obwohl er vorgibt, nichts über Christenprozesse zu wissen. Es ist unklar, woher er seine Informationen hat. Es ist möglich, dass das Prozedere des Verhörs unter Nero festgesetzt wurde und die neronische Weisung Eingang fand in die mandata, welche die Statthalter mit sich führten, also eine Art Handbuch für Statthalter. Trajan bestätigt Plinius, dass er die Verhöre richtig durchführe, indem er die Angeklagten dreimal frage, ob sie Christen seien und sie bei Leugnung vor dem Standbild des Kaisers opfern lasse. Man blieb inkonsequent: Obwohl Trajan bejaht, dass das Christsein allein schon ein todeswürdiges Verbrechen sei, gelte es nicht, nach ihnen zu fahnden. Anzeigen dürften nicht anonym entgegengenommen werden.
Für das 2. Jh. hören wir nur von wenigen Zusammenstößen zwischen den Christen und der römischen Staatsmacht. 177 n. Chr. kam es zu einer Verfolgungswelle mit vielen Märtyrern in Lyon, 203 in Karthago, in deren Verlauf Perpetua stirbt, von der ihre Passionsgeschichte zum Teil aus eigener Feder erhalten ist, ein einmaliges Zeugnis einer Frau aus der römischen Kaiserzeit. Wir dürfen noch mehr lokal begrenzte Zwischenfälle vermuten, immer dann, wenn Menschen sich aus welchen Gründen auch immer dazu entschlossen, Christen bei den Behörden anzuzeigen. Im Großen und Ganzen jedoch konnte sich das Christentum im 2. Jh. ungehindert ausbreiten, eben weil die Christen keine Probleme machten und dem Kaiser treu im Militär und durch Bezahlung von Steuern dienten. Erst als das Reich im 3. Jh. vielerorts in arge Bedrängnis geriet und die Kaiser wieder verstärkt auch auf religiöse Loyalität zum Kaiser und zum Reich pochten, kamen die Christen in Schwierigkeiten. Kaiser Decius wollte um die Mitte des dritten Jahrhunderts alle Bewohner des Reiches auf seine Person verpflichten und erließ ein reichsweites Opfergebot. Auch dies war strenggenommen keine Christenverfolgung, da sich die Maßnahme nicht explizit auf Christen bezog, doch waren sie die einzige religiöse Gruppe, die sich dem Opfer für den Kaiser verweigerte. Und somit gerieten sie zwangsläufig in den Fokus der römischen Behörden. Und die Altgläubigen fragten sich schon, wer diese Menschen waren, die in höchster Not (das Reich führte ständig Zweifrontenkriege gegen die Germanen im Norden und die Sassaniden im Osten) ihre Loyalität zu Rom nicht bekunden wollten. Natürlich opferten unter dem Druck die meisten Christen, nur die wenigsten wurden zu Märtyrern, aber die Maßnahme des Decius wurde sehr wohl als massive Bedrohung und eben Christenverfolgung wahrgenommen. Valerian ging dann gezielt gegen das Christentum vor, indem er auf die Priester und damit den Kultvollzug zugriff. Der Letzte, der das Rad der Geschichte zurückdrehen wollte, war schließlich Diokletian, der noch einmal mit aller Kraft versuchte, das Christentum zu beseitigen, was gründlich misslang. Kurze Zeit später, unter Konstantin, wurde das Christentum schließlich zur religio licita, zu einer Religion, die gleichberechtigt neben den anderen Glaubensvorstellungen stand. Schon bald förderte Konstantin das Christentum, und es sollte nicht lange dauern, bis das Christentum seinerseits gegen Heiden vorging.
Schwierig zu interpretieren ist der Erfolg des Christentums. Im 2. Jh. war nicht klar, ob nicht der Isis- oder der Mithraskult die Oberhand behalten würde. Sicher ist die rasche geographische Ausbreitung des Christentums in allen Gesellschaftsschichten nur mulitkausal zu erklären. Es bot Dinge an, welche die anderen Mysterienreligionen nicht im Repertoire hatten. Anfangs sprach der neue Glaube mit seiner antihegemonialen Weltsicht (die letzten werden die ersten sein, alle Menschen sind Brüder und Schwestern) vor allem die Unterschichten an, Sklaven und die stark benachteiligten Frauen. Da die Unterschichten aber die Mehrheit der Reichsbevölkerung ausmachten, fand der Glaube rasch Anklang in weiten Kreisen der Bevölkerung. Auch dass die Frauen anfangs eine tragende Rolle spielten (ihre Zurückdrängung begann erst mit dem Aufbau von kirchlichen Strukturen im 2. Jh.), trug sicher zur schnellen Ausbreitung bei. Entscheidend war sicher auch, dass das Christentum anders als andere Religionen schon bald eine Buchreligion war, die heilige Schriften kannte, ja dass über das Verlesen und Versenden von Schriften missioniert wurde, ein Aspekt, der beim Mithras- und Isiskult vollkommen fehlte. Zwar hatten auch die Juden eine Buchreligion, doch taten sich die Juden aufgrund der vielen Vorschriften, die im täglichen Leben zu beachten waren, bei der Verbreitung ihres Glaubens in der hellenistischen Welt schwerer. Ja oftmals verzichteten die Juden ganz auf Missionierung.
Dann waren dem Christentum auf einer persönlichen Ebene zwei Umstände besonders günstig: Zum einen gab es wenige, aber geniale Denker (v.a. Paulus und die Evangelisten), die eine hochstehende Theologie entwickelten, mit der die griechischen Intellektuellen gewonnen werden konnten. Zum anderen gab es in jeder Generation Männer und Frauen, die für den neuen Glauben glühten und bereitwillig als Märtyrer in den Tod gingen, um diesen neuen Glauben zu bezeugen. Diese Glaubensinbrunst muss auf die Zeitgenossen einen enormen Eindruck gemacht haben. Die Märtyrer waren es dann auch, die als die ersten Heiligen verehrt wurden. Und schließlich bauten die Gemeinden schon früh organisatorische Strukturen auf, aus denen heraus sich die Kirche entwickelte. Lokale, regionale und überregionale Verwaltungsstrukturen entstanden, weswegen Diokletian das Christentum auch nicht mehr stoppen konnte. Anders herum: Als sich die römischen Verwaltungsstrukturen am Ende der Antike auflösten, waren es die kirchlichen Strukturen, die fortbestanden und die größte Not der Bevölkerung linderten. Der Frankenkönig Chlodwig wurde wohl auch deshalb katholisch, weil er sich die guten Strukturen der Kirche in Gallien zunutze machen wollten. Wichtig ist, dass diese christlichen Verwaltungsstrukturen immer und überall schon von ihrem Selbstverständnis her mit karitativen Aufgaben betraut waren. Die Gemeinden nahmen Armenspeisungen vor, bauten Hospize für Waisen, Arme und Alte. Dieser Aspekt der Nächstenliebe war den antiken Religionen vollkommen fremd. Der heidnische Kaiser Julian erkannte dieses Manko des Heidentums um die Mitte des vierten Jahrhunderts, doch es war viel zu spät gegenzusteuern und die heidnischen Kulte mit Nächstenliebe aufzuladen. Also: Die Unterschichten wurden zu Christen, weil sie sich von der antihegemonialen Weltsicht und der praktisch geübten Nächstenliebe angesprochen fühlten, die Oberschichten, weil sie im neuen Glauben die philosophischen Systeme der Antike aufgehoben, erneuert und stark erweitert fanden. Für manche mögen diese Gründe zur Erklärung des Erfolgs des Christentums nicht ausreichen. Eine Erklärungslücke mag bleiben. Inwieweit hier der Gott des Christentums eine Rolle gespielt haben mag, mag jeder für sich selbst entscheiden.

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06 – Religiöse Strukturen, Die Entwicklung des Christentums

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Römische Geschichte III: Die Spätantike

06 – Religiöse Strukturen, die Entwicklung des Christentum

Wenn man sich im Rahmen eines Podcasts mit dem Phänomen der Religion in der Spätantike beschäftigen möchte, muss man sich eng beschränken. Es sollen hier nur die wichtigsten Informationen zur Entstehung einer Reichskirche gegeben werden mit einem Seitenblick auf die vielen dogmatischen Streitigkeiten, die innerhalb des Christentums ausgetragen wurden. Daneben müssen selbstverständlich auch die wichtigsten Strömungen im Heidentum zur Sprache kommen, das noch lange nicht tot war und das geistig-religiöse Klima der spätantiken Welt immer noch entscheidend mitprägte.
Die Christenverfolgungen, die im 3. Jh. stattgefunden hatten, waren aus politischen Gründen erfolgt, um Loyalität zu erzwingen, nicht aus religiösen. Erst Diocletian ging es auch um religiöse Gründe, doch es war zu spät, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Constantin hatte wohl schon vor der umstrittenen „Bekehrung“ an der Milvischen Brücke mit dem Monotheismus geliebäugelt. Sol invictus, der Sonnengott, der schon unter Aurelian weiter an Prominenz gewonnen hatte, stelle eine gute Brücke zum christlichen Monotheismus dar. Zur Bekehrung Constantins im unmittelbaren Vorfeld der Schlacht an der Milvischen Brücke gegen Maxentius im Jahr 312 n. Chr. gibt es widersprüchliche Quellen von Eusebius und Laktanz. Auch die Fragen, inwieweit nun Constantin tatsächlich Christ war und aus welchen Motiven heraus, gehören seit Jacob Burkhardt zu den umstrittensten Themen der Althistorie überhaupt und können hier nicht weiter vertieft werden.
Tatsache ist, dass Constantin ab 312 das Christentum immer weiter begünstigte, Bischöfe bald auch eine gewisse Zivilgerichtsbarkeit bekamen (318) und z. B. vor ihnen auch Freilassungen durchgeführt werden konnten (321). Ganz in antiker Tradition fühlte sich Constantin als Patron der Kirche und damit für sie verantwortlich. Als ein großer dogmatischer Streit über das Wesen Jesu ausbrach, ob er nur gottähnlich oder aber gottgleich sei, versuchte Constantin, diesen sogenannten arianischen Streit, der erbittert zwischen Arius und Athanasius ausgetragen wurde, zu lösen, indem er 325 n. Chr. zu einem reichsweiten Konzil nach Nicaea einlud. Das Glaubensbekenntnis, das anlässlich dieses Konzils formuliert wurde, das sogenannte Nicaenum, das die Wesenseinheit von Gott Vater und Gott Sohn festschrieb, wird noch heute an hohen Feiertagen gebetet. Zugleich geschah bei diesem Konzil aber etwas Neues, etwas, das Folgen für die Geschichte haben sollte: Der Kaiser übernahm hier zum ersten Mal Verantwortung für die Religion, was im Prinzipat undenkbar gewesen wäre. Eine religiöse Frage wurde zur Staatsangelegenheit, und Constantin empfand sich als oberste Instanz auch in Glaubensfragen. Diese Form des Regierens nennen wir „Caesaropapismus“, und im oströmischen Reich blieb der Kaiser auch Kirchenoberhaupt, wohingegen im Westen allmählich eine Trennung zwischen dem geistlichen Oberhaupt, dem Bischof von Rom, und dem Kaiser stattfand. Auch auf diesem Gebiet drifteten also Ost- und Westreich auseinander. Trotz des Glaubensbekenntnisses schwelte der Konflikt zwischen Arius und Athanasius weiter; Constantin und seine Nachfolger waren nicht in der Lage, die dogmatischen Streitigkeiten, die v.a. im Osten auftraten und immer zahlreicher wurden, einzudämmen.
Einer Taufe ging meist eine dreijährige Zeit der Vorbereitung voraus, das sogenannte Katechumenat. Im Klerus gab es noch keine festgeschriebene Ämterlaufbahn, aber sehr wohl schon hierarchische Strukturen. Ganz unten standen Helfer, die Diakone, die in verschiedenen Bereichen, v.a. in der Finanzverwaltung tätig waren. Die Priester (nur freie und getaufte Männer konnten Priester werden) hießen zunächst presbyter oder sacerdotes, später auch pontifices. Meist aus den sozialen Oberschichten stammten die Bischöfe (episcopus oder antistes), sie mussten jedoch nicht studiert sein. Der wichtigste Bischof einer Provinz war der Bischof der Provinzhauptstadt, der Metropolit. Ihm oblag die Aufsicht über das religiöse Leben seiner Provinz. Und über den Metropolitanbischöfen ragten die Bischöfe von Rom, Konstantinopel, Antiochia, Alexandria, Jerusalem und auch Karthago besonders heraus. Der Bischof von Konstantinopel war einflussreich, weil er eben in der Hauptstadt des oströmischen Reiches residierte, doch der Primat Roms wurde durch tatkräftige Bischöfe, wie Damasus, Leo den Großen, Gelasius und Gregor den Großen zunehmend gefestigt. Allmählich entwickelte sich so das Papsttum, das auch Repräsentationsformen der Kaiser übernahm.
Dauerfragen wie die nach dem Militärdienst von Christen oder die Ehelosigkeit von Priestern wurden stets unterschiedlich gehandhabt, verschiedene Theologen formulierten hier ganz unterschiedliche Ansichten.
Die Sprache des frühen Christentums war Griechisch, zunächst auch im Westen. Die afrikanische Kirche wechselte als erste selbstbewusst ins Lateinische. Aber erst die wortgewaltigen Bischöfe Ambrosius, Augustinus und Papst Damasus etablierten das Lateinische auch als Sprache der Kirche, insbesondere Ambrosius und Augustinus prägten viele lateinische Ausdrücke, um schwierige theologische Konzepte aus dem Griechischen ins Lateinische zu übersetzen und das Lateinische als Kirchensprache anschlussfähig zu machen. Eine erste Bibelübersetzung, die vetus Latina, wurde von Hieronymus‘ Übersetzung der Bibel ins Lateinische, beendet im Jahre 405, obsolet gemacht; Hieronymus‘ Übersetzung wurde dann im Wesentlichen im lateinischen Mittelalter gelesen. Hier erhebt sich natürlich die Frage nach der Kanonbildung der neutestamentarischen Schriften. Origines hatte sich schon mit dieser Frage beschäftigt. Athanasius war dann der Erste, der 367 in einem Osterbrief die 27 heute als kanonisch geltenden Bücher des Neuen Testaments als kanonisch titulierte. Kurze Zeit später, 382, legte sich Papst Damasus auf diesen Kanon fest. Es ist kein Zufall, dass sich in den 370ern die Dinge verhärteten, machte doch Theodosius 380 in seinem Orthodoxiedekret das Christentum zur Staatsreligion.
In einer Zeit, in der viele Menschen verarmten und z. B. am Ausgang der Spätantike auch die Honoratioren verarmten bzw. der Euergetismus auch aus anderen Gründen zum Erliegen kam, wurde die Kirche durch Tempelenteignungen, v.a. aber durch testamentarische Schenkungen immer reicher, trotz der Ausgaben für karitative Zwecke, Kirchenbauten und die Besoldung der unteren Kirchenämter. Immer mehr wuchsen den kirchlichen Institutionen, deren Verwaltung im Gegensatz zur römischen funktionierte, staatliche Aufgaben zu. Die Bischöfe wurden für die Getreideversorgung der Bevölkerung zuständig, sie verhandelten mit Feinden, ja wurden zum Teil sogar militärisch tätig. Als sich die römischen Strukturen auflösten, blieben die kirchlichen übrig, damit sind wir in der Welt des Mittelalters angekommen. Und noch aus einem Grund ist die Kirche wichtig: Sie bewahrte die antike Bildungstradition und vermittelte sie in den Klöstern gemeinsam mit der Sprache und der Literatur der Antike an die nächsten Generationen weiter.
Diese Erfolgsgeschichte der Kirche darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kirche stets in ihrer Einheit gefährdet war. Schismatische Bewegungen (denen es „nur“ um disziplinarische Fragen ging) sowie Häresien bzw. Sekten (die andere Glaubenslehren verbreiteten) drohten die Kirche zu zerreißen, v.a. im spirituell stets aufgeheizten Osten. Auf die Vielzahl der abweichlerischen Gruppen kann hier nicht eingegangen werden.
Im Westen waren die dogmatischen Streitigkeiten weniger ausgeprägt, aber hier gab es Donatisten sowie Priscillianisten, die mit der Orthodoxie in Konflikt gerieten. Im donatistischen Streit, der v.a. in Africa zu verorten ist, ging es darum, ob Christen, die ihren Glauben angesichts der Verfolgungen verleugnet hatten (lapsi), wieder in die Gemeinde aufgenommen werden dürften oder nicht. Insbesondere ging es darum, ob Bischofsweihungen, bei denen traditores, also Verräter, zugegen gewesen waren, gültig waren oder nicht. Während die „Amtskirche“ hier milde war, vertraten die Donatisten eine harte und kompromisslose Haltung. Sie wurden immer mehr, und auch mit militärischen Aktionen war ihnen nicht beizukommen. Besonders radikal war die Splittergruppe der Circumcellionen, die Güter von Katholiken verheerten. Der Streit zog sich über Jahrhunderte hin, selbst Augustinus scheiterte mit Vermittlungsversuchen.
Die Priscillianisten waren Asketen, die sich um Priscillian v.a. in Spanien scharten und bald in Konflikt mit dem Episkopat gerieten. Der Usurpator Magnus Maximus köpfte Priscillian schließlich in Trier, damit war aber die Bewegung noch lange nicht überwunden.
Insgesamt zeichnen sich auch hier große Unterschiede zwischen Ost und West ab. Die Ostkirche konnte die Abfallbewegungen nie verhindern, das Christentum blieb zersplittert, die Orthodoxie blieb daher schwach. Der Islam bereitete den meisten christlichen Strömungen dann ein Ende, doch einige Gruppen, wie die koptische, syrische oder armenische Kirche konnten sich behaupten. Im Westen setzte sich der Katholizismus schließlich gegen den Arianismus durch, weil immer wieder arianische Germanen durch Ostrom besiegt wurden bzw. arianische Germanenfürsten unter dem Druck der romanischen Mehrheitsbevölkerung zum Katholizismus übertraten.
Es darf nun nicht der Eindruck erweckt werden, dass die spätantike Welt bereits weitgehend christianisiert war, und die Kirche um ihre eigenen Probleme kreisen konnte. Auch das Heidentum spielte immer noch eine bedeutende Rolle; gerade in den konservativen senatorischen Oberschichten hielt sich der alte Glaube noch lange. Dem alten Glauben hingen auch Bauern und Philosophen noch lange Zeit an, also sowohl Ungebildete wie Gebildete. Obwohl man sich das Nebeneinander von Christentum und Heidentum keinesfalls als konstanten Kampf um den rechten Glauben vorstellen darf, gibt es immer wieder Kristallisationspunkte, an denen sich die Auseinandersetzungen und die gegenseitigen Argumente gut zeigen lassen. So ein Beispiel ist der Streit um den Victoria-Altar bzw. die Victoria-Statue, die seit Augustus in der Curie stand, also am Versammlungsort des Senats. 382 ließ Kaiser Gratian die Statue beseitigen. Der hochrangige heidnische Senator Symmachus erhob dagegen Einspruch und schrieb in seiner berühmten Dritten Relatio von 384 ein flammendes Plädoyer, ein rhetorisches Meisterstück, für die Beibehaltung des Altars und der Statue. In diesem Text werden alle Argumente des Heidentums noch einmal zusammengefasst, auch die grundsätzliche Toleranz des Heidentums gegenüber allen Religionen kommt deutlich zum Ausdruck. Symmachus sagt: uno itinere non potest perveniri ad tam grande secretum, auf einem einzigen Weg gelangt man nicht zu so einem großen Geheimnis. Der fanatische Ambrosius von Mailand reagierte sofort und setzte den jugendlichen Kaiser Valentinian II. so unter Druck, dass dieser die Maßnahme nicht rückgängig machte. Auch Theodosius folgte einer weiteren Bitte der Heiden 389 nicht. Die Verhältnisse hatten sich umgekehrt: War das Christentum im 3. Jh. noch sporadisch verfolgt worden, so setzte nun das Christentum die Anhänger des alten Glaubens zahlreichen Repressalien aus. Das passierte nicht alles auf einmal, aber die Tendenz war klar. Julian Apostata, der letzte Heide auf dem Kaiserthron, der noch einmal dem alten Glauben zu Glanz verhelfen wollte, blieb aufgrund seiner kurzen Regierungszeit der Erfolg versagt. Das Christentum war nicht mehr zu stoppen. 380 erklärte Theodosius das Christentum zur Staatsreligion, Theodosius II. verbot das Heidentum 435 ganz.
Das Heidentum wird in der Spätantike insgesamt intellektueller und nimmt auch Christliches in sich auf. Eine bedeutende Strömung wird der Neuplatonismus. Die wichtigsten Vertreter sind Plotin, Porphyrius und schließlich Jamblichos. Sie leisten auf der Basis der platonischen Schriften noch einmal eine große Synthese der antiken Philosophie. In ihrer Lebensweise unterscheiden sich diese Philosophen kaum von christlichen Gelehrten. Sie vertreten eine strenge Ethik und suchen durch Kontemplation ihre Seele mit dem Göttlichen zu verschmelzen.
Noch wichtiger als die offiziellen Erlasse der Kaiser ist die gelebte soziale Praxis, und hier sehen wir, dass heidnische Institutionen am Ende des vierten und zu Beginn des fünften Jahrhunderts langsam aufhören zu existieren und das heißt, dass die alten Rituale nicht mehr vollzogen werden. Im heiligen Bezirk von Delphi bauen die Christen eine Kirche, die Olympischen Spiele versiegen unter Theodosius, Alarich zerstört 395 Eleusis, die letzte Vestalin ist 394 belegt, Justinian schließt bewusst die platonische Akademie in Athen im Jahre 529 n. Chr. Damit ist der letzte genuin heidnisch-philosophische Lehrbetrieb zu Ende.
Diese Einschnitte bedeuten jedoch nicht, dass das Heidentum nicht in anderer Form weitergelebt hätte. Von den Christen als magische Praktiken diffamierte Praktiken hielten sich weitere Jahrhunderte. Das gesamte mittelalterliche Bildungswesen blieb antik und d.h. in großen Teilen heidnisch geprägt. Mit Vergils Aeneis wurde im Mittelalter Latein gelernt. Und die Christen verstanden es geschickt, heidnische heilige Orte und Feste in christliche umzuwandeln. Kapellen und Kirchen wurden oft an Stelle der alten Heiligtümer errichtet, so dass die Menschen ihre gewohnten Wege nicht aufgeben mussten. Und viele heidnische Feste wurden unter christlichen Vorzeichen beibehalten, das berühmteste Beispiel ist wohl der Geburtstag des Sonnengottes am 24. Dezember, der zum christlichen Weihnachten umgedeutet wurde. Auch durch diese interpretatio Christiana ist vieles vom alten Heidentum bis heute unter der Oberfläche erhalten geblieben.

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05 – Die Gesellschaft in der Spätantike

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Römische Geschichte III: Die Spätantike

05 – Die Gesellschaft der Spätantike

Im Vergleich zur kaiserzeitlichen Gesellschaft ist die Gesellschaft der Spätantike ausdifferenzierter. Nach wie vor gibt es Sklaven und Bauern, aber schon im Bereich der städtischen Eliten und vor allem innerhalb der Oberschichten kam es zu zahlreichen Rangabstufungen. Am unteren Ende der Gesellschaft bildeten die Kolonen, Bauern, die schollengebunden waren, eine wichtige Schicht, aber im Endeffekt misslang dem spätantiken Staat die Berufsbindung gründlich; es entwickelte sich kein Kastensystem, im Gegenteil, die soziale Mobilität war höher als je zuvor in der Antike. Es gab viele vertikale Gruppen, die zum Teil unverbunden nebeneinander standen: Nach wie vor hatten reiche Senatoren eine große Klientel. Aber auch die Germanenkönige bzw. die Heermeister bauten sich große Hausmachten auf. Heilige scharten Gemeinden um sich. Der Hof mit seinen hunderten Bediensteten und kaiserlichen Sklaven im ganzen Reich bildete ein eigenes System.
Grundsätzlich unterscheiden die Rechtsquellen zwischen honestiores und humiliores. Zu den honestiores, vielleicht übersetzbar als die Ehrbaren, diejenigen, denen mehr Ehre zukommt, zählten die städtischen Oberschichten sowie der Reichsadel, aber auch Priester, Amtsträger, Soldaten, Ärzte, Professoren und Architekten. Sie genossen steuerliche Privilegien, wurden aber bei Geldstrafen auch höher veranlagt. Am bedeutendsten erscheint jedoch, dass sie von Folter und Todesstrafe ausgenommen waren und keine niederen Dienste, also munera sordida, verrichten mussten. Der Rest der Bevölkerung gehörte den humiliores an, die eben gefoltert und hingerichtet werden konnten. Da es seit der Constitutio Antoniniana 212 n. Chr. keinen Unterschied mehr zwischen römischen Bürgern und Nichtbürgern gab (alle Bewohner des Reiches waren zu römischen Bürgern geworden), gehörten nun also auch die meisten Bewohner des Reiches zu den humiliores.
Kommen wir zunächst zu den Senatoren: Sie verschwägerten sich kaum mit den militärischen Familien, da diese ja germanisch waren, sondern blieben als Angehörige eines exklusiven Kreises lieber unter sich. Da Gallienus sie vom Militärdienst ausgeschlossen hatte, was einen Aufstieg des Ritterstands bedingte, mussten sie sich ganz auf den zivilen Bereich konzentrieren. Mit der Verlagerung der Hauptstadt unter Diocletian zunächst nach Nicomedia, dann unter Constantin nach Konstantinopel, büßten die Senatoren deutlich an Prestige ein, zumal Constantin in Konstantinopel einen zweiten Senat aufbaute! Das Verhältnis zwischen Senatoren und Kaisern schwankte und war sehr von den Kaiserpersönlichkeiten abhängig. Die meisten Stadtpräfekten Roms waren Senatoren und bis weit ins 4. Jh. hinein Heiden.
Der Besuch des Senats, der etwa fünfundzwanzig Mal im Jahr tagte, wurde im Laufe der Zeit immer schlechter. Am Ende war er nur noch eine Art kultureller Club von gebildeten, konservativen alten Männern, den niemand mehr brauchte und der jede politische Bedeutung eingebüßt hatte. Irgendwann schlief der Senatsbesuch einfach ein, es ging niemand mehr hin. Erst Gregor der Große merkte dann, dass der Senat fehlte! Die Ämter, welche die Senatoren noch zu bekleiden hatten, waren bedeutungslos, aber verknüpft mit der Pflicht, prächtige Spiele zu veranstalten. Im rudimentären cursus honorum, der noch übrig war, bekamen die Senatoren nach Bekleidung der ersten Ämter eine der Statthalterschaften in Italien, anschließend das Prokonsulat von Asia, Africa oder Achaia. Höhepunkt der Karriere war die schon erwähnte Stadtpräfektur.
Ab Valentinian gab es durch eine Abstufung von Ehrentiteln eine Rangfolge unter den Senatoren. Im Prinzipat waren Senatoren viri clarissimi. Die meisten Provinzstatthalter hießen jetzt so. Niedere Hofbeamte, vicarii, comites rei militaris und duces sowie Senatoren nach einer prokonsularischen Statthalterschaft hießen nun viri spectabiles. Reichs- und Stadtpräfekten, Heermeister und Hofminister waren viri illustres. In der Spätantike ist die Tendenz zu einer Titelinflation erkennbar, ab 450 waren alle Senatsmitglieder illustrissimi! Das Adjektiv nobilissimus war für das Kaiserhaus reserviert. Es gab auch noch das ordentliche Konsulat, immer noch das höchste Amt, das der Kaiser selbst bekleidete; gleichzeitig war es auch die höchste Würde, die er verleihen konnte.
Constantin hat den Patriziat ins Leben gerufen, der besonderen Männern aufgrund ihrer Leistungen verliehen wurden. Patricius wurde ab Flavius Constantius der Titel des ersten Heermeisters im Westen, also des Reichsfeldherrn.
Vergehen von Senatoren werden vor Standesgerichten verhandelt, sie waren als honestiores, wie gesagt, von Folter und Hinrichtungen ausgenommen. Sie bleiben auch von Einquartierungen verschont und unterstehen keiner städtischen Verwaltung. Nach wie vor waren die Senatoren die größten Grundbesitzer des Reiches. Da Verkehrswege nun öfter unterbrochen sind, kommt es zu regionalen Besitzkonzentrationen und der Ausbildung einer Hausmacht in einem Gebiet, in dem senatorische Familien über Jahrzehnte präsent und angesehen sind. Nach wie vor verfügen sie auch über eine gewaltige Klientel. Als sich die politischen Strukturen des Imperiums auflösten, waren sie immer noch die Bildungsträger, die nun als Geistliche, oft als Bischöfe, die sich weiter um die Belange vor Ort kümmerten, antike Bildungsinhalte an das Mittelalter vermittelten. Symmachus sammelte geradezu einen Kreis von gelehrten Gleichgesinnten um sich, man spricht vom Symmachus-Kreis. Er kämpfte 384 um die Wiederaufstellung der Victoria-Statue in der Curie, verlor aber gegen den streitbaren Bischof von Mailand, Ambrosius. Im Laufe dieses Streites verfasste er eine sehr lesenswerte Rede, die sogenannte Dritte Relatio, die eines der letzten großen Zeugnisse des Heidentums darstellt und ein Plädoyer für Toleranz abgibt. Symmachus und sein Kreis sammelten lateinische Klassiker und gaben sie heraus. Allmählich wurden die Rollen in Buchform umgeschrieben, also in Codices, womit sie die Zeiten überdauerten. Und es waren Senatoren, welche die Aufträge hierfür erteilten.
Im Westen des Reiches stand der alte Senatsadel für die Romanitas. Bedeutende Gestalten sind, auch aufgrund der Literatur, die sie hinterließen, Ausonius, der sich mit seinem Gedicht auf die Mosel, Mosella, verewigt hat, dann die Lyriker Rutilius Namatianus, Sidonius Apollinaris, Venantius Fortunatus und schließlich Gregor von Tours, der im Frankenreich seine berühmte Geschichte der Franken schrieb. Während der Senat in Byzanz weiterexistierte, endete seine Existenz im Westen im sechsten Jahrhundert. Aus dem Jahr 533 stammen die letzten Senatsbeschlüsse, 579 ersuchen römische Senatoren mit einer Gesandtschaft um Hilfe in Byzanz wegen des Langobardeneinfalls. Formell wurde der Senat nie abgeschafft, Gregor der Große stellte 593 lapidar fest, senatus deest, es fehlt der Senat; irgendwann also zwischen 579 und 593 hat er aufgehört zu tagen. Die Curie wurde in eine Kirche umgewandelt.

Neben den Senatoren besaßen die Kaiser, die Kirche und die städtischen Eliten, die Mitglieder des Stadtrates waren, die sogenannten Curialen, die meisten Ländereien. Auf diese Curialenschicht und ihre Probleme werden wir nun etwas näher eingehen. Den Curialen kam bei der Steuereintreibung eine bedeutende Rolle zu, denn sie hafteten für den abzuliefernden Betrag. Dadurch, dass viele Steuervergünstigungen genossen, wie etwa Veteranen, Höflinge und v.a. Geistliche, mussten die steigenden Lasten von immer weniger Steuerzahlern geschultert werden. Das Resultat war, dass immer weniger in der Curie dienen wollten. Was einst eine Würde war, dem Dekurionenstand anzugehören, wurde nun zur Belastung, der man entfliehen wollte, zum einen nach oben, indem man selbst in die Schicht der Privilegierten aufrücken wollte, zum anderen nach unten, indem man Kolone wurde oder sich in einer Zunft anschloss. Sehr beliebt war auch der Gang ins Kloster bzw. der Wunsch, Geistlicher zu werden. Die Kaiser versuchten, diese Flucht aus dem Curialenstand zu stoppen, aber alle Maßnahmen, wie die Erblichkeit des Standes, waren vergeblich. Während also die Kirche an Bedeutung gewann, ging die Zahl der Curialen immer weiter zurück. Die städtische Infrastruktur war aber mit den schrumpfenden städtischen Eliten nicht mehr aufrecht zu erhalten, Gebäude und Wasserleitungen verfielen, somit konnten auch irgendwann die Thermen nicht mehr betrieben werden, Tempel wurden nicht mehr restauriert. Die Bischöfe wuchsen in die Rolle von Nothelfern hinein, ganz deutlich kündigen sich hier mittelalterliche Strukturen an. Doch waren dies langsame Prozesse.
Im 4. Jh. blühte das Städtewesen noch. Sie waren in Rang und Ansehen deutlich voneinander unterschieden, während der alte Unterschied zwischen colonia und municpium obsolet geworden war. Gleich nach Rom und Konstantinopel rangierten die Kaiserresidenzen Trier, Paris, Mailand, Aquileia, Ravenna, Serdica, Sirmium, Thessaloniki, Nicomedia, Nicaea und Antiochia. Danach kamen die Provinzhauptstädte (Metropolen). Wir gehen heute von einer Gesamtzahl von ca. 5600 Städten in der Spätantike aus. Größte Städte nach Rom und Konstantinopel sind Alexandria mit 250.000, Antiochia mit 200.000 und Lugdunum mit 50.000 Einwohnern.
In den Städten wohnten auch die Senatoren, ihre Landvillen hatten sie außerhalb. Die Angehörigen des Reichsadels hießen honorati. Darunter rangierte der Ratsherrenstand, die Curialen, dann kamen die Händler und Handwerker, die in Zünften organisiert waren. Ganz unten rangierten die Besitzlosen, die sogenannte plebs urbana und die Sklaven. Die Eliten veränderten im Laufe der Zeit auch ihre Selbstdarstellung. Während im Prinzipat die epigraphische Kultur noch sehr wichtig war (Inschriften hielten die Ämter und Würden der Geehrten fest), stifteten die Reichen nun statt Bäder und Bibliotheken Kirchen und statteten sie mit reichen Mosaiken christlicher Motivik aus. Die Bereitschaft zu stiften nahm also im 4. Jh. nicht unbedingt ab, sie verlagerte sich nur in andere Foren der Selbstrepräsentation.
Auf anderen Ebenen gibt es durchaus Veränderungen:
Das Theaterwesen und v.a. die Gladiatur verlieren aufgrund des Christentums an Bedeutung. Aber obwohl Anastasius 498/99 venationes verbot, wurden Tierhetzen bis ins 6. Jh. hinein abgehalten. Noch unter Theoderich, also in ostgotischer Zeit, sind Ehrensitze für Senatoren im Colosseum nachgewiesen.
Während im Prinzipat die Selbstverwaltung der Städte ein grundlegendes Prinzip war (das Reich hatte gar nicht die Mittel, die Städte von der Zentrale aus zu verwalten), wurde die kommunale Selbstverwaltung ab Trajan immer mehr eingeschränkt, weil man eben auch sah, dass die Städte ihre Freiheiten oft auch missbrauchten. Schon Trajan hatte Finanzkommissare (logistai) in einzelne Städte gesandt, die das Finanzgebaren der Städte überprüfen sollten. Plinius den Jüngeren hat er als Sonderbeauftragten in die Provinz Bithynien und Pontos geschickt, um das Verschuldungsproblem dort in den Griff zu bekommen. In der Spätantike hatten die Städte nur noch eine niedere Gerichtsbarkeit.
Ab Constantin haben alle Städte einen curator, der, über den duoviri stehend, die Finanzen im Auge behält.
Interessant ist auch das Amt des defensor civitatis/plebis/gentis und seine Entwicklung. Ursprünglich ein Richter, sollte er die einfachen Stadtbewohner vor den Curialen schützen. Als die Curie 387 das Vorschlagsrecht erhält, geht diese Schutzfunktion vor der Curie natürlich verloren. Schließlich hat er sogar die Aufgabe, die Curialen vor den Magistraten zu schützen. Im 5. Jh. wird der defensor schließlich vom Bischof und Klerus, von den honorati, Grundbesitzern und Curialen, vorgeschlagen, also von der ganzen kommunalen Oberschicht, womit die ursprüngliche Schutzfunktion für den kleinen Mann endgültig obsolet war.
Allmählich änderten sich auch die Lage und Topgraphie der Städte. In der hohen Kaiserzeit waren die Städte unbefestigt, da im Innern des Reiches Frieden herrschte. Viele Städte verlagerten sich auch von Anhöhen in Ebenen hinunter, um sich besser ausbreiten zu können; es gab kein Gefühl der Bedrohung. In der Spätantike werden, bedingt durch ständige Barbareneinfälle insbesondere an den Grenzen, immer mehr Städte befestigt. Berühmt ist die Aurelianische Stadtmauer in Rom, Probus befestigt Athen, Constantin lässt Konstantinopel gleich mit Mauer errichten. Julian und Valentinian errichten große Befestigungsanlagen in Gallien. Gleichzeitig ziehen sich viele Städte wieder auf Anhöhen und Bergrücken zurück. Diese Politik des incastellamento ist heute noch deutlich in Italien zu sehen. Germanen siedelten oft großflächig auf dem Land unter eigenen Anführern. Im letzten Viertel des vierten Jahrhunderts übernehmen die Germanen an der Donau die meisten Städte. Gallien wird jährlich verwüstet, Köln wird mehrfach geplündert, ab 407 war die Rheingrenze offen. Der Wohlstand in den Städten ging drastisch zurück und damit auch die materielle Kultur. Häuser werden nicht mehr renoviert. Thermen können nicht mehr unterhalten werden und werden oft in Kirchen verwandelt, welche die sozialen Zentren der Städte werden. Trampelpfade zu den Kirchen zerschneiden das ehemalige Gitternetz planmäßig angelegter römischer Städte. Stadtvillen werden in kleine Wohnungen unterteilt, Inschriftenblöcke werden für den Bau von Stadtmauern als Spolien wiederverwendet, ganze Circus- und Theateranlagen werden für den Bau von Kirchen und Mauern abgetragen. In Aquileia, einer Residenzstadt, ist vom Circus heute nichts mehr zu sehen. Den Langobarden sagt die antike Mythologie nichts mehr, sie legen Lagerfeuer auf den Mosaikfußböden an. Die Städte werden wesentlich kleiner, ihre Zahl geht zurück.
Auch die Sozialstruktur ändert sich am Ausgang der Spätantike dramatisch. Die Curialenschicht war unter den steigenden Belastungen weitgehend verschwunden. Bischöfe und Geistliche wurden immer reicher und mächtiger, weil sie von Steuern befreit waren, nicht der weltlichen Gerichtsbarkeit unterstanden und immer mehr jurisdiktionelle Rechte bekamen. Als schließlich die römischen Suprastrukturen wegbrachen, waren die Bischöfe die Lokalelite, die vor Ort alles meistern und die drängendsten Probleme pragmatisch lösen musste. Auch die Germanenkönige stützten sich auf diese funktionierenden kirchlichen Strukturen. Der Erfolg der Franken ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass sie den administrativen Wert der katholischen Kirchenstruktur verstanden und sich zu Nutze machten. Das Bischofsamt wurde von den Gebildeten bekleidet, sprich von der romanischen, ehemaligen Senatsaristokratie. Gregor von Tours, der berühmte Autor der Frankengeschichte, stammte, wie gesagt, aus dieser Oberschicht. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie diese reichen und gebildeten Römer in ihren immer noch relativ gut ausgestatteten Villen mit Bibliothek lebten, während ihre Umwelt sich tiefschneidend veränderte. Sie hatten nach wie vor großen sozialen Einfluss in ihren Gemeinschaften, doch die politischen Geschicke wurden nun von anderen bestimmt.

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04 – Kaiser, Hof, Verwaltung, Heer

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Werner Rieß
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Römische Geschichte III: Die Spätantike

04 – Kaiser, Hof, Verwaltung, Heer

Kaiser: Das Hauptcharakteristikum des spätantiken Kaisers ist wohl seine zunehmende Entfernung vom Volk und seine immer prunkvollere Herrschaftsrepräsentation. Dabei stand die zunehmende Orientalisierung des Hofzeremoniells und der steigende Herrschaftsanspruch als Autokrator in einer wachsenden Spannung zur tatsächlichen, schwindenden Macht des Kaisers, denn Hof, Heer, Bürokratie und v.a. die Kirche wurden immer mächtiger.
Schon ab dem 3. Jh. stammten die meisten Kaiser aus dem Heer, aus der Schicht der Offiziere, die meisten von ihnen aus Illyricum. Obwohl die Germanen bis in die Heermeisterstellungen vordrangen, waren sie als Kaiser offenbar noch nicht akzeptabel, aber sie verschwägerten sich gerne mit dem Kaiserhaus. Der dynastische Gedanke spielte nach wie vor eine große Rolle. Zweimal scheiterte das Leistungsprinzip, im Adoptivkaisertum, als Marc Aurel wieder einen Sohn hatte, Commodus, und am Ende der Tetrarchie, als Constantius Chlorus einen Sohn hatte, Constantin, dem es gelang, eine eigene Dynastie, die konstantinische, aufzubauen. Der soziale Rang der Mütter spielte keine Rolle, sie konnten auch Konkubinen sein. Sie konnten zwar nicht selbst regieren, übten aber de facto großen Einfluss aus, gerade dann, wenn ihre Söhne noch minderjährig waren. Im Falle dieser Kinderkaiser regierten die germanischen Heermeister oder die Reichspräfekten, oftmals in enger Abstimmung mit den Müttern der Nachfolger.
Obwohl meistens zwei Kaiser regierten, blieb die Reichseinheit gewahrt, es handelte sich nur um eine Aufgabenteilung zwischen Ost und West. Alle Gesetze hatten im ganzen Reich Gültigkeit, Truppen und Beamte wurden hin- und hergeschickt. Ein Kaiser alleine war meistens zu schwach, Ausnahmen wie Constantin bestätigen die Regel.
Ein weiteres wichtiges Charakteristikum ist, dass Rom nur noch eine symbolische Rolle zukommt. Die Hauptstädte hatten sich längst in die Grenzregionen verlagert, Residenzstädte sind Mailand, Aquileia, Verona, Ravenna ab 402, Trier, Paris, Reims, im Osten Nicomedia, Antiochia, Thessaloniki, Sirmium, Serdica, ab Constantin natürlich auch Konstantinopel. Im 4. Jh. sind die Kaiser beweglich, sie wollen und müssen Präsenz zeigen, anders als die meisten Kaiser während der Prinzipatszeit. Der Hof heißt daher comitatus, Begleitung. Im 5. Jh. sind dann die Kaiser wieder dauerhafter an einem Ort, weil sie ohnehin machtlos sind, und die Heermeister agieren. Im Osten müssen sie wegen der hohen Usurpationsgefahr in der Hauptstadt Präsenz zeigen.
Auch in den Kaisertiteln wird der Herrscher immer weiter erhöht und in göttliche Sphären gerückt, er bekommt nun Epitheta wie sacer, sacratissimus, divinus. Das Zeremoniell wird immer aufwändiger und stammt ursprünglich aus dem Orient. Wichtig sind der Purpurmantel und das Diadem. Ganz neu sind diese Elemente natürlich nicht, auch Caesar hatte schon Purpur getragen, auch die hellenistischen Herrscher das Diadem, nur werden diese Herrschaftsabzeichen nun zur Regel. Bei der Begrüßung muss der Untertan dem Herrscher die Proskynese leisten, nun ein Fußfall, bei dem der Purpurmantel geküsst wird. Ab ca. 300 n. Chr. ist das Szepter in Gebrauch, ein Globus war schon üblich, Kronen werden aber noch nicht verwendet. Das Gottesgnadentum, von dem Heiden wie Christen ausgehen, blickt auf eine lange Tradition zurück. Schon die hellenistischen Herrscher wurden als Gottmenschen verehrt, eine Tradition, die aus dem Heroenkult stammt. Im römischen Kaiserkult des Prinzipats wird auf den Inschriften oft das numen Augusti gennant, die göttliche Wirkkraft, die dem Kaiser innewohnen muss, denn sonst wäre er ja von den Göttern nicht in diese ganz und gar außergewöhnliche Sphäre gehoben worden. Durch die Annahme der Schirmherrschaft über die Kirche durch Constantin, spätestens auf dem Konzil von Nizäa 325, wird der Caesaropapismus begründet, die Einheit von weltlicher und geistlicher Herrschaft. Über dem Kaiser steht dann nur noch Gott selbst. Somit kommt dem Kaiser eine Mittlerrolle zwischen den Untertanen und dem Göttlichen zu, auch dies eine uralte Vorstellung.
Wirklich neu ist jedoch das Eingreifen der Kaiser in kirchliche und d.h. in Glaubensbelange. Dies ist eine radikale Abkehr vom heidnischen Kaisertum. Es wäre im Prinzipat undenkbar gewesen, dass ein Kaiser Konzilien einberuft und zu dogmatischen Fragen Stellung nimmt und sich auf diese oder jene Seite stellt, wie das dann beim arianischen Streit der Fall war. Der Kaiserkult bestand in veränderter Form fort: Kaiserstatuen wurden verehrt, was erst Theodosius 425 verbot. Vielen Gemeinden waren Theater- und Gladiatorenspiele wichtig, weswegen man auch den Kaiserkult brauchte. Constantin erlaubt beispielsweise Hispellum in Umbrien einen Tempel für die gens Flavia, jedoch durften keine Opfer dargebracht werden. Es finden also Kompromisse zwischen Formen des herkömmlichen Kaiserkultes und christlichen Vorstellungen statt. Nach wie vor waren die Kaiser auf Loyalitätsbekundungen angewiesen, sie mussten aber mit dem christlichen Glauben in Einklang stehen. Und obwohl die Kaiser ab Constantin alle Christen waren, bis auf Julian, war ein hoher Prozentsatz der Reichsbevölkerung noch immer heidnisch. Diesen Menschen durften ihre Kultpraktiken auch nicht von einem Tag auf den anderen genommen werden. Selbst im vandalischen Afrika gab es noch einen Kaiserkult!
Aufgrund des Christentums veränderten sich auch die Herrschertugenden. Die alten Kardinaltugenden blieben natürlich in Geltung, hinzu kamen jedoch Milde und Fürsorge. Vor allem christliche Statthalter rühmten sich, während ihrer Amtszeit keine Hinrichtungen vollzogen zu haben. Die ständige Verschärfung der Strafen wurde also in der Praxis immer weniger umgesetzt, was auch zur Entfremdung zwischen den Provinzen und der kaiserlichen Zentrale führte. Herrschaftsanspruch und Herrschaftspraxis fielen also immer weiter auseinander, was auch mit zur schwindenden Akzeptanz der Zentrale und schließlich zur Auflösung der römisch-staatlichen Strukturen im Westen beitrug.
Das römische Kaisertum blieb natürlich auch nach seinem Untergang in den Köpfen präsent. Der Begriff Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation zeugt davon. Doch diese sogenannte translatio imperii ist Gegenstand der mittelalterlichen Geschichte.

Hof: Der Hof der Spätantike heißt comitatus, weil er sich oft außerhalb der Hauptstädte aufhielt und unterwegs war. Drei Gruppen befanden sich am Hof: Die Mitglieder des Staatsrats, Garden und Leibwachen und schließlich viele Höflinge. Das consilium principis der Prinziaptszeit wird nun auch in eine heilige Sphäre erhoben und heißt jetzt sacrum consistorium. Die Mitglieder dieses Staatsrats gehören drei Rängen an, den viri illustres, den viri spectabiles und den viri clarissimi. In der Kaiserzeit hatte es nur viri clarissimi gegeben, das waren die Senatoren. Nun nehmen die Rangerhöhungen ständig zu. Bald gab es auch viri illustrissimi, Justinian fügte noch viri gloriosi und viri magnifici hinzu.
Dem consistorium gehören an, in absteigender Reihenfolge:
Die Reichspräfekten als Stellvertreter des Kaisers und Spitzen der Zivilverwaltung, denn die Zivilverwaltung war nun strikt vom militärischen Bereich abgetrennt.
Die Heermeister magister equitum praesentalis und magister peditum praesentalis, der erste zuständig für die Reiterei, der zweite für die Fußtruppen.
Dann die vier Hofminister, allesamt viri illustres:

1. Magister officiorum („Oberhofmarschall“), eine Art Kanzler, der den Hof verwaltet. Ihm unterstehen der
magister memoriae (verantwortlich für Bescheide und Kabinettsorder)
magister epistolarum (bearbeitet Anfragen von Beamten)
magister libellorum (kümmert sich um Untertanen, bearbeitet Petitionen, initiiert Untersuchungen)
Der magister officiorum ist auch für die Auslandskontakte zuständig und eine Art Außenminister, dem auch ein Dolmetscherbüro zur Verfügung steht. Seine Aufgaben in diesem Bereich sind vielfältig. Ihm unterstehen auch die agentes in rebus, eine Art Staatspolizei oder auch Spitzelpolizei, die berüchtigt war. Sie überwachten Staatsbetriebe und auch die Staatspost und hielten Ausschau nach Landes- und Hochverrat, den sie dann an den magister officiorum zu melden hatten.
Die Leibwache des Kaisers, die scholae palatinae, begleiteten den Kaiser auf seinen Reisen und Feldzügen, während der magister officiorum zu Hause blieb und sich um die Verwaltungsvorgänge kümmerte. Ganz unten in der Rangordnung stehen Quartiermeister, Türwächter, Pferdeknechte, Lampenputzer und Boten.
Wie aus der Aufgabenfülle des magister officiorum hervorgeht, stand er bald in Konkurrenz mit den Reichspräfekten und den Heermeistern. Selbstbewusste magistri officiorum scheuten auch nicht davor zurück, in Kirchendinge einzugreifen.
2. Danben gab es den quaestor sacri palatii, eine Art Justizminister, der die kaiserlichen Erlasse entwarf und auch die Ernennungsurkunden für die Befehlshaber der Grenztruppen ausstellte. Sie waren es, die den Codex Theodosianus bzw. später den Codex Iustinianus zusammenstellten.
3. Wichtig war auch der comes sacrarum largitionum, eine Art Finanzminister des Kaisers. Er ist verantwortlich für alle Steuern, Einnahmen und Ausgaben in Edelmetall. Ihm unterstehen 18 Steuerbüros und die entsprechenden untergeordneten Behörden in den Provinzen. Ab Diocletian gab es nur noch Reichsprägungen, jede Diözese hatte ihre eigene Münzprägestätte. Goldprägungen durfte es nur in den Hauptstädten unter der Aufsicht des comes sacrarum largitionum geben. Ihm unterstehen auch die Zolleinnahmen.
4. Der comes rei privatae oder auch comes rerum privatarum verwaltet das kaiserliche Krongut, zu dem auch viele Landgüter gehören, auf denen Kolonen arbeiten. Die Verwaltung des Kronguts erfolgte selbstverständlich auch auf mehreren Ebenen, die hierarchisch organisiert waren.

Unter den vier Hofministern standen der comes domesticorum equitum und der comes domesticorum peditum. Sie gehörten als Kommandeure der Gardetruppen (scholae) auch dem Kronrat an.
Wichtig ist auch noch der primicerius notariorum, der die Ernennungsurkunden für die höchsten Beamten ausstellt und deren Listen führt, die sogenannte notitia dignitatum. Das berühmte Exemplar, das wir haben und das dringend neu ediert werden muss, stammt wohl aus den Jahren 425 bis 430.
Neben den Staatsämtern gibt es noch viele Höflinge, die im persönlichen Dienst des Kaisers stehen, allen voran der praepositus sacri cubiculi. Diese Kämmerer waren meist Eunuchen und genossen durch ihr Nahverhältnis zum Kaiser sein besonderes Vertrauen, was ihnen einen enormen Einfluss verlieh. Ab 422 sind sie sogar den Reichspräfekten und den Heermeistern gleichgestellt, vorher standen sie zwar über den Hofministern, aber noch unter den Heermeistern. Aufgrund ihrer Vertrauensstellung wurden sie von den Kaisern vielfältig eingesetzt, Narses und Eutrop sogar als Feldherren.
Hofärzte standen ebenfalls im comes-Rang. Die palatini, also die Staatsbediensteten, genossen besondere Privilegien, so mussten sie z. B. keine Steuern zahlen oder Rekruten stellen.
Bzgl. des Funktionierens des Hofes und der konkreten Machtverteilung gab es Unterschiede zwischen Ost und West: Im Westen gelangten die germanischen Militärs zu immer mehr Macht und Einfluss, im Osten blieben die Verwaltungsbeamten dominant, aber auch Höflinge und Frauen gelangten zu großem Einfluss.
Generell lässt sich die Tendenz erkennen, dass sich die höfische Verwaltung immer weiter aufblähte. Kompetenzstreitigkeiten, Rivalitäten und Intrigen am Hof nahmen zu, es herrschten sprichwörtlich byzantinische Verhältnisse. Ammian und Prokop wagten es, die Zustände am Hof scharf zu kritisieren. Auch nach dem Zusammenbruch des Kaisertums im Westen 476 gab es unter Odoaker und Theoderich weiterhin Höfe, wenn auch in verkleinerter Form. Im byzantinischen Reich änderte sich nichts an der weitläufigen Hofhaltung, sie blieb Charakteristikum des Ostkaisertums.

Sehen wir uns nun die Verwaltung des Reiches an: Ab den Tagen des Gallienus trennten sich militärische und zivile Kompetenzen, die Senatoren wurden für das Militär nicht mehr herangezogen, was eine Abkehr von der Politik des Prinzipats bedeutete. Eine gewisse Spezialisierung setzte ein, was zur Folge hatte, dass die Senatoren im Laufe der Spätantike nur noch die Verwalter des kulturellen Erbes Roms waren. Erst im 5. Jh. sollten wieder Senatoren die Armee befehligen.
Die Zivilverwaltung gliedert sich in drei grundsätzliche Ebenen. Vier Reichspräfekten (praefecti praetorio) verwalteten im Auftrag der Kaiser das Reich. Der praefectus praetorio per Orientem residierte in Konstantinopel, der per Illyricum in Sirmium oder Thessaloniki, der per Italiam in Mailand, Ravenna oder Rom, der praefectus praetorio per Gallias bis 400 in Tier, dann in Arles. Die Prätorianerpräfekten waren ab Augustus Ritter und die Chefs der kaiserlichen Garde. Allmählich wurden sie auch mit Zivilaufgaben vertraut, die großen Juristen des zweiten Jahrhunderts Papinian und Ulpian waren beispielsweise Prätorianerpräfekten. Als Constantin die Prätorianerkohorten 312 auflöste, behielt er das Amt bei, definierte es jedoch völlig um. Der Prätorianerpräfekt war nun die Spitze der Verwaltung und fungierte als Stellvertreter des Kaisers. Ihre Urteile waren ranggleich mit denen des Kaisers und letztinstantlich. Sie erhoben Steuern und waren damit auch für die Versorgung der Armee und für die Rekrutierung zuständig. Selbstverständlich hatten auch diese Reichspräfekten eine verzweigte Bürokratie unter sich, grob gesprochen gab es jedoch eine Zweiteilung in zwei officia, ein Büro zuständig für Verwaltungs- und Rechtsfragen, das andere für Geld- und Steuerangelegenheiten.
Unter der Ebene der Reichspräfekten standen die zwölf vicarii, die jeweils eine Diözese verwalteten. Eine Diözese war im Hellenismus ein Gerichts- oder Verwaltungssprengel, später dann in der Ostkirche der Bezirk eines Erzbischofs. Die vicarii sind viri spectabiles und haben v.a. die Aufgabe, die Reichspräfekten, die übrigens viri illustres sind, in der Rechtsprechung zu entlasten.
Die unterste Ebene bildeten die 114 Provinzen, verwaltet von Provinzstatthaltern. Diokletian hatte die Zahl der Provinzen durch Verkleinerung erhöht, damit hatte die Zentrale nun einen besseren Zugriff auf die Untertanen; offenbar wurde die Steuererhebung nun effektiver, worunter die Einwohner des Reiches litten. Die beiden Hauptstädte waren nicht Teil der Provinzialverwaltung, sie wurden von Stadtpräfekten verwaltet, v.a. die römische Stadtpräfektur wurde von ranghohen und auch einflussreichen Senatoren bekleidet. Die Statthalter waren nun nicht alle ranggleich, von oben nach unten:
Prokonsuln verwalteten Africa, Asia und Achaia, sie waren den viri spectabiles dem Rang nach sogar übergeordnet. Diese Prokonsuln kommen aus den Senaten von Rom und Konstantinopel. Die Statthalter unter ihnen sind consulares, die den Clarissimat bekleideten und auch Senatoren waren. Dann kommen die praesides, das sind Ritter und viri perfectissimi. Ganz unten rangieren die correctores, sie sind teils perfectissimi, teils clarissimi. Umgangssprachlich konnte jeder Statthalter rector, moderator oder iudex genannt werden. Wie früher, müssen diese Statthalter die Städte ihrer Provinz besuchen und Recht sprechen. Daneben oblagen ihnen alle Aufgaben außer den militärischen, d.h. sie zogen Steuern ein, kümmerten sich darum, dass die städtische Selbstverwaltung funktionierte und beaufsichtigen die Staatspost. Unter Diocletian hatten sie noch eine begrenzte militärische Funktion, den Befehl über die Grenztruppen, später wurde ihnen diese Kompetenz aber genommen. Der Statthaltersitz hieß Praetorium oder regia. Auch die Statthalter haben ihr consilium, dem die Honoratioren der Städte, v.a. Curiale angehörten, also städtische Funktionsträger. Die Büros auf Provinzebene (officia) sind wiederum in Unterabteilungen nach verschiedenen Aufgaben gegliedert.
In der Spätantike gab es mehr soziale Mobilität als im Prinzipat, wo der Aufstieg vom Freien zum Konsul Generationen dauern konnte. Die unteren Beamten konnten sich nun durchaus aufgrund von Leistungen hochdienen, nur die höchsten Stellen wurden meist an die Honoratioren vergeben, an der Spitze der Pyramide an die Senatoren. Aufstiegsfaktoren waren die eigene Leistung, Beziehungen, Geld, auch die Religion und ganz wichtig, eine gute Schulbildung, die v.a. die traditionellen rhetorischen Fähigkeiten vermittelte. Automatisch waren damit die Germanen vom zivilen Dienst ausgeschlossen, weswegen sie sich auf die militärischen Posten konzentrierten. Hierdurch ergab sich die Zweiteilung in eine römische Ziviladministration und eine germanische Militärverwaltung mit all den Problemen, die damit dann am Ende unseres Betrachtungszeitraums klar zu Tage traten. Die Ernennung zu den hohen Ämtern nahm der Kaiser selbst vor, oft auf Empfehlung, weshalb Ämterpatronage eine ganz große Rolle spielte, was von den Zeitgenossen aber durchaus positiv gesehen wurde. Fähige Verwalter empfahlen ihre Familienmitglieder, die wieder über das kulturelle und technische Know-how verfügten, die Verwaltung kompetent anzuleiten. Selbstverständlich war damit auch dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet, und die Korruption blühte. Statthalter wurden nun in der Praxis, obwohl die alte Regelung Marc Aurels immer noch in Kraft war, dass man nicht in der Heimatprovinz eingesetzt werden durfte, sehr wohl in ihrer Heimat eingesetzt, wo sich machtbewusste Männer regelrechte Hausmachten aufbauen konnten, gegen welche die Kaiser nur schwer ankamen. Ein großer Teil der spätantiken Gesetzgebung beschäftigt sich mit den Problemen in der Verwaltung, v.a. mit der grassierenden Korruption, die das Leistungsprinzip völlig aushebelte. Dadurch, dass die Gesetze immer wieder wiederholt und eingeschärft werden, sehen wir, dass die Exekutive es eben nicht vermochte, den Gesetzen Geltung zu verschaffen. Viele Mächtige fühlten sich eben nicht mehr an die Gesetze und Vorschriften der Zentrale gebunden, sondern agierten zunehmend selbständig.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Kaiser durch Provinzverkleinerungen und Erhöhung des Verwaltungspersonals sehr wohl versuchten, effiziente Strukturen zu schaffen. Am Anfang war dies wohl auch der Fall, doch die Bürokratie blähte sich auf und gewann ein Eigenleben. Kompetenzen überschnitten sich notwendigerweise, Rivalitäten zwischen den Ebenen und den vielen Büros waren die Folge. Die Korruption war nicht in den Griff zu bekommen, so dass die ganze Verwaltung am Ende immer teurer und ineffektiver wurde, so dass den Gesetzen nicht mehr Geltung verschafft werden konnte. Mehr Gesetze waren die Folge, die von mehr Personal umgesetzt werden sollten, die Spirale nach unten war nicht mehr zu stoppen.

Kommen wir nun zum militärischen Sektor und damit zum Heer der Spätantike: Ab Marc Aurel war das römische Reich im Prinzip in einen Zweifrontenkrieg verwickelt, gegen die Germanen im Norden und Westen und gegen die Sassaniden im Osten. Im 3. Jh. geriet das Reich an den Rand des Kollaps. Es wurde klar, dass Truppen nur an den Grenzen zu wenig war, das augusteische System hatte sich unter den veränderten außenpolitischen Bedingungen überlebt. Gallienus leitete die ersten Schritte zu einer Reform ein, Diocletian und Constantin vollendeten sie dann. Das Heer bestand nun aus zwei Säulen, aus den Grenztruppen, den sogenannten limitanei, an Grenzflüssen hießen sie ripenses, und im Landesinnern mobile Einsatztruppen, die sogenannten comitatenses, welche die Feinde, die ins Reich eingedrungen waren, verfolgen und ausschalten sollten. Diese comitatenses waren also eine ganz neue Erscheinung und den Umständen geschuldet. Diese mobilen Einsatztruppen standen im Rang über den Grenztruppen, die in jeder Grenzprovinz einem dux unterstanden.
Wie vorhin erwähnt, löste Constantin die alten Prätorianereinheiten auf und gründete eine neue Leibgarde, die sog. scholae palatinae, von denen jeweils 500 Mann einem comes domesticorum equitum und einem comes domesticorum peditum unterstanden. Diese Elitetruppen galten als Schule für die späteren Kommandeure. Andere scholae palatinae unterstanden dem magister officiorum.
Am Anfang stand der magister equitum unter dem magister peditum, was sich aber später änderte. Gallienus führt 258 schwergepanzerte Reiter ein, die sogenannten cataphractarii nach persischem Vorbild. Obwohl Waffen in staatlichen Produktionsstätten hergestellt wurden, konstatiert man bei der Ausrüstung eine zunehmende Barbarisierung des Heeres, was auf den Einfluss der Germanen zurückzuführen ist, die in immer größeren Zahlen im Heer dienen.
Auch die Rangordnung des Heeres verändert sich tiefgreifend. Die Notitia Dignitatum nennt aufsteigend folgende Offiziersränge: tribuni, duces, comites rei militaris, comites domesticorum und schließlich die magistri militum, die Heermeister. Besonders in der Armee war der soziale Aufstieg durch Tüchtigkeit möglich.
Die beiden Heermeisterstellen wurden wohl von Constantin geschaffen, sie waren ranggleich mit den Reichs- und Stadtpräfekten. Seit Valentinian waren sie illustrissimi. Allmählich wuchsen die germanischen Heermeister in die Rolle von Regenten hinein und wurden am Ende auch selbst zu Kaisermachern, ohne selbst nach der Kaiserwürde zu greifen. Sie hatten eine eigene Leibgarde, aber obwohl sie auf den Kaiser vereidigt wurden, bildeten sie sehr wohl eigene Machtpositionen aus. Aber die größte Änderung war sicher, dass die Armee nun nicht mehr eine Berufsarmee war, die aus Freiwilligen bestand, sondern Männer eingezogen wurden, wobei aber viele Gruppen befreit waren, wie Senatoren, Ärzte, Curialen und andere. Wer aber diente, war von der Kopfsteuer befreit und erhielt nach Dienstende Geld, Land und eine Steuervergünstigung. Diese Privilegien wurden erblich, so dass auch der Soldatenberuf erblich wurde und sich gewissermaßen ein Soldatenstand herausbildete. Dennoch war der Soldatenberuf äußerst unbeliebt, es gab Selbstverstümmelungen, Desertionen waren an der Tagesordnung. Die Römer wollten eigentlich überhaupt nicht mehr dienen, weswegen die Kaiser immer mehr auf Germanen zugreifen mussten, um die Armee aufzufüllen. Lange Zeit funktionierte das gut, allen war gedient: Die Germanen kamen in Lohn und Brot, die Provinzialen wurden, sofern möglich, vom Militärdienst verschont. Langfristig kippten jedoch die Mehrheitsverhältnisse, schließlich waren die Römer militärisch vollkommen von den Germanen abhängig und was, wenn diese sich selbständig machten? Noch problematischer wurde die Situation, als Germanen in ganzen Gruppen unter ihren eigenen Anführern angeworben wurden. Berühmt ist das Gotenfoedus von 382, das Theodosius mit den Westgoten abschloss, ich verweise auf den zweiten Podcast zur Spätantike. Diese Germanen wurden dann gleichzeitig mit ihrer Anwerbung auch als Wehrbauern, als sogenannte laeti angesiedelt, sie waren jetzt wichtiger als die römischen Grenztruppen bzw. ersetzten diese. Und da sie unter ihren eigenen Anführern dienten, war die Anerkennung Roms nur noch eine Formalie, die alten römischen Strukturen waren also dabei sich aufzulösen.
Am gefährlichsten war, dass der germanisch-militärische Bereich gegenüber dem römisch-zivilen ein Eigenleben annahm. Im Prinzipat wäre dies undenkbar gewesen. Die senatorischen Statthalter hatten in den Provinzen als militärische Oberkommandierende, Verwaltungsspitze und höchste Instanz der Rechtsprechung fungiert. Seit Gallienus waren durch die Trennung von zivilem und militärischem Bereich die Weichen für eine grundlegend andere Entwicklung gestellt worden. Die Senatoren wurden vom Militärdienst ausgeschlossen, weil man an eine Spezialisierung der Sektoren glaubte. Der militärische Sektor geriet, zumindest im Westen, ganz in die Hand der Germanen. Dies bedeutete aber schließlich, dass der römisch-zivile Sektor sich eigenständig nicht mehr verteidigen konnte. Als die Germanen nicht mehr bereit waren, ihn zu verteidigen, sondern lieber eigene Strukturen aufbauten, war das Schicksal des römischen Reiches besiegelt.

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03 – Der Untergang des Westreiches

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Römische Geschichte III: Die Spätantike

03 – Der Untergang des Westreichs

In diesem Podcast werden wir in geraffter Form die Geschichte von Honorius bis zum Ende des Westreichs behandeln. Als Honorius nach dem Tod des Theodosius 395 n. Chr. Kaiser des Westreichs wird, ist er gerade einmal zehn Jahre alt. Ab jetzt gibt es viele Kinderkaiser, die unter der Obhut ihrer Mütter stehen; die Politik wird im Westen meist von germanischen Heermeistern gestaltet. Bis 408 leitet der Vandale Stilicho die Geschäfte, dem Theodosius seine Söhne und auch das Reich anvertraut hatte.
Alarich und seine Westgoten sind neben Hunnen und Marcomannen die größte Bedrohung in jenen Jahren. Hinzu kommen Differenzen zwischen Stilicho und dem Ostkaiser Arcadius, der Alarich sogar zum magister militum per Illyricum macht! Nachdem Alarich in Griechenland geplündert hatte, fällt er 401 in Italien ein, belagert Honorius in Mailand und verheert Norditalien. Rom zieht nun Truppen aus Britannien und vom Rhein ab, was praktisch einer Aufgabe dieser Gebiete gleichkommt. Die gallische Reichspräfektur zieht von Trier nach Arles um, 394 gibt es keinen Kaiserhof in Gallien mehr! Stilicho gelingt es in mehreren Schlachten, die Goten nach Illyricum abzudrängen, der Hof zieht von Mailand nach Ravenna. Die Germanen drängen weiter über den Rhein: Mainz, Worms, Reims und Trier werden von ihnen eingenommen, Gallien wird großflächig geplündert, Burgunder siedeln sich bei Worms an.
407 n. Chr. erhebt sich ein gewöhnlicher Soldat als Constantin III zum Kaiser. Stilicho versucht, Alarich in Illyrien einzubinden, ernennt ihn zum General und gibt ihm den Auftrag, Illyricum für den Westen zu halten. Allerdings fordert Alarich dafür Geld, das Stilicho tatsächlich beim Senat locker machen kann. Allerdings setzt sich am Hof eine germanenfeindliche Richtung durch, Stilicho verliert bei Honorius an Rückhalt. 408 stirbt Arcadius im Osten. Stilicho und Honorius wollen nun nach Osten, um den siebenjährigen Theodosius II in ihre Obhut zu nehmen. Stilicho will, dass Honorius gemeinsam mit dem eingebunden Alarich gegen den Usurpator Constantin III. vorgeht. Es kommt aber zur Meuterei. Freunde von Stilicho werden umgebracht, Honorius wechselt die Seiten und lässt Stilicho fallen, seine Leibwache wird getötet, er selbst sucht Zuflucht in einer Kirche in Ravenna und wird dort ermordet. Das Bindeglied zu Alarich ist nun weg. Honorius lehnt ein Friedensangebot Alarichs ab, worauf dieser 408 Rom belagert. Nach Zahlung einer großen Summe zieht er erst einmal ab, steht aber 409 wieder vor Rom, weil Honorius ihm die geforderte Heermeisterstelle nicht gegeben hatte. Neuerliche Verhandlungen scheitern, so dass Alarich 410 n. Chr. drei Tage lang Rom plündert! Die psychologische Erschütterung im Reich war gewaltig. Rom war zum letzten Mal 387 v. Chr. von den Kelten geplündert worden. Viele Aristokraten fielen in die Hände der Goten, unter ihnen auch Galla Placidia. Zu diesem Zeitpunkt waren die Donauprovinzen und Britannien schon nicht mehr beim Reich, nur in Südgallien und in Spanien fühlten sich einzelne Städte noch als zum Römischen Reich gehörig. Constantin III., der Usurpator, etablierte sich fester in Gallien, Honorius hat keine Handhabe gegen ihn. Allerdings ernennt Honorius einen gewissen Flavius Constantius zum Nachfolger Stilichos. Er hat die Aufgabe, Gallien zurückzugewinnen. Spanien wird bereits unter Germanen aufgeteilt. Constantius wird zum patricius ernannt, ab jetzt bekommt jeder Reichsfeldherr diesen Ehrentitel. 413 lassen sich Burgunder dauerhaft in der Gegend um Worms, Mainz und Speyer nieder.
Der Nachfolger Alarichs, Athavulf, heiratet Galla Placidida und besetzt Südgallien. Die Westgoten ziehen 415 nach Spanien weiter. Als Athavulf 415 stirbt, erlaubt Honorius Constantius, Galla Placidia zu heiraten, und bindet ihn damit fester ans Kaiserhaus. 419 bringt sie Valentinian III. zur Welt.
Kurz zur schillernden Persönlichkeit Galla Placididas: Ihr Vater war Theodosius I., sie war eine Enkelin Valentinians I. und ist ab 419 Mutter von Valentinian III. Constantius weist den Westgoten 418 Siedlungsland in Aquitanien zu, so dass jetzt das Tolosanische Westgotenreich entsteht, das von 418-507 Bestand hat. Auf ehemals römischem Boden leben jetzt Römer unter der Herrschaft gotischer Krieger. Das Beispiel sollte Schule machen. Constantius steigt bis zum zweiten Augustus im Westen auf, seine Frau wird nun Placidia Augusta genannt, doch Constantius stirbt 421. Placidia streitet sich jetzt mit ihrem Halbbruder Honorius und geht mit ihren Kindern nach Konstantinopel. 423 stirbt auch Honorius. Der Westen ist nun kaiserlos bzw. Theodosius II. ist nominell Alleinherrscher, kann aber das Reich nicht alleine verwalten. Galla Placidida will nun in den Westen, doch Theodosius II. blockt das noch ab. Im Westen erhebt sich ein gewisser Johannes als Usurpator. Erst jetzt reagiert Theodosius: Er schickt seine Tante Placidia, deren Sohn Valentinian III. und seine eigene Tochter Licinia Eudoxia, die er mit Valentinian verlobt, nach Ravenna. Die Mitglieder der Kaiserfamilie können sich sogleich durchsetzen, Johannes wird hingerichtet. Bis 455 ist nun Valentinian III. Kaiser im Westen, bis 437 steht er jedoch ganz unter dem Einfluss seiner Mutter. Sie kann nicht verhindern, dass 429 Tausende von Vandalen unter Geiserich in Africa einfallen. Sie belagern 430 Hippo Regius, währenddessen Augustinus stirbt. 439 erobern die Vandalen Karthago, 440 plündern sie Sizilien. Sie finden weder in Africa noch in Sizilien eine römische Gegenwehr vor.
Ab den 420ern steigt Flavius Aëtius auf, ein Römer, dessen Vater schon magister militum war. Es gelingt ihm 429, Reichsfeldherr zu werden, doch er wird mehrmals gegen Bonifatius, den comes Africae, ausgespielt. Er flieht schließlich zu den Hunnen, zu denen er aufgrund seiner Geiselhaft bei ihnen als Kind ein gutes Verhältnis hatte und erzwingt mit einem Heer seine Anerkennung, 433 ist er endlich Heermeister, 435 patricius. Als patricius et magister utriusque militiae ist er bis 454 der starke Mann des Westens.
436/7 werden die Burgunder von den Hunnen überrannt (im Auftrag des Aëtius) und 443 in Savoyen angesiedelt. Diese Niederlage gegen die Hunnen ist übrigens der Kern der Nibelungensage. Aëtius gelingt es, in Italien und Südgallien das Zentrum des Reiches zu bewahren. Mit Geiserich schließt er 435 ein foedus ab. 442 muss Valentinian III. Geiserich als unabhängigen König anerkennen, der auch selbständig Münzen prägt. Der Katholizismus wird im Vandalenreich verboten. Die Vandalen siedeln also nicht mehr nur auf römischem Boden, sondern haben damit ihren eigenen Staat gegründet.
In Spanien herrscht Rom nur noch über wenige Städte im Osten. Im Nordwesten sitzen die Sweben, bald beherrschen sie auch die Baetica und die Carthageniensis, im Osten herrschen die Westgoten. Britannien geht dem Reich bis 450 endgültig verloren. Mehrfach waren in den vergangenen Jahrzehnten Truppen abgezogen worden. Honorius schrieb den Provinzialen sogar, dass er keine Truppen mehr schicken könne. 446 erging ein letztes Hilfegesuch an Aëtius wegen der einfallenden Sachsen, aber Aëtius antwortete gar nicht mehr. In Gallien gelingt es ihm nur, Arles zu halten. Die Franken plündern zum vierten Mal Trier und expandieren nach Südwesten. Obwohl Aëtius einen sehr guten Draht zu den Hunnen hatte, verfing seine Diplomatie bei ihnen nicht mehr wegen Attila. Dieser zog viele Verbündete aus Germanengruppen zusammen und plünderte in den Donauprovinzen. 451 ließen sich er und Aëtius in einen Erbstreit bei den Franken hineinziehen. Ein Bruder bat Attila um Hilfe, der andere Aëtius. 451 kam es zu einer Vielvölkerschlacht auf den Katalaunischen Feldern. Anders als in der älteren Sekundärliteratur dargestellt, war das keine Entscheidungsschlacht zwischen Römern und Hunnen, sondern gemischte Verbände kämpften aus politischen Gründen auf beiden Seiten, so z. B. Frankenverbände. Die Schlacht ging unentschieden aus, die Hunnen zogen aber ab, und Attila war in seiner Stellung stark geschwächt. Die Hunnen zerstörten dann noch 452 Aquileia, doch Papst Leo konnte einen Vorstoß nach Rom abwenden. Attila zog in die Theiß-Ebene, wo er 453 starb. Seine Söhne konnten das Reich nicht mehr zusammenhalten.
Aëtius steht nun am Gipfel seiner Macht. Er stellt sich gut mit den Senatoren und auch mit der Kirche. Er möchte nun auch verwandtschaftliche Bande zum Kaiserhaus knüpfen. Doch Valentinian III. glaubt nun, nach dem Tod Attilas, auf Aëtius verzichten zu können und bringt ihn eigenhändig auf dem Palatin um, 454 n. Chr.. Der Konflikt zwischen Kaiser und Heermeister hat sich also zum dritten Mal wiederholt (nach Valentinian II. – Arbogast 392, Honorius – Stilicho 408). Die Truppen des Aëtius sind entsetzt, in Dalmatien brechen Meutereien gegen den Kaiser aus. Er hatte offenbar seine Position weit überschätzt. Der Schwiegersohn des Aëtius nimmt Rache und ermordet Valentinian III. 455. Ab jetzt trudelt das Westreich dem Untergang entgegen, denn es gibt keinen volljährigen fähigen Herrscher mehr, der die zentrifugalen Kräfte noch einmal zusammenbinden hätte können.
Ab 400 n. Chr. gründen Germanen eigene Reiche auf römischem Boden, die Westgoten und die Vandalen, Britannien geht, wie gesagt, verloren. Die Stellung der germanischen Heermeister wird im Verhältnis zum Kaisertum immer wichtiger, ständige Spannungen waren die Folge. Die oftmals jugendlichen Kaiser waren auf die germanischen Militärs angewiesen, doch ein tieferes Vertrauensverhältnis bestand offenbar nicht. Die Kommunikationswege zwischen Ost und West wurden immer wieder unterbrochen, die Reichshälften lebten sich auseinander.
Nach der Ermordung Valentinians III. 455 wird der Senator Petronius Maximus Kaiser, der Licinia Eudoxia, die Witwe Valentinians, zwingt, ihn zu heiraten, um irgendwie eine dynastische Legitimation zu bekommen. Die Witwe ruft Geiserich zu Hilfe, der sich das nicht zweimal sagen lässt. Maximus wird auf der Flucht erschlagen, Geiserich plündert mit seinen Vandalen Rom 14 Tage lang! Von diesem Ereignis rührt das Wort „Vandalismus“ her. Nach der Plünderung durch die Westgoten im Jahr 410 war dies nun die zweite Plünderung Roms innerhalb von nur 45 Jahren!
Maximus hatte Flavius Eparchius Avitus zum Heermeister ernannt, ungewöhnlicherweise keinen Germanen, sondern einen Gallorömer aus der senatorischen Oberschicht. Er wird schließlich in Gallien zum Kaiser ausgerufen und wartet lange und erfolglos auf die Anerkennung durch den Osten. Geiserich plündert unterdessen mit seiner Flotte die italischen Küsten und erhebt selbst Anspruch auf den Kaiserthron. In den Kriegen gegen die Vandalen kommt der Germane Rikimer nach oben, der Avitus schließlich besiegen kann. Rikimer ist nun der starke Mann im Westen, ein interessanter Versuch startet: Vielleicht kann der Westen ja ohne Kaiser, d.h. nur mit einem Reichsfeldherrn, regiert werden. Leo, der oströmische Kaiser, macht Rikimer jedenfalls zum patricius (457). Rikimer ist es schließlich selbst, der einen Kaiser bestimmt, einen Offizier aus Illyricum namens Flavius Julianus Maiorianus. Der Osten versagt ihm die Anerkennung. Maiorianus ist tatkräftig und regiert 457-461. Er verhandelt mit Burgundern und Westgoten und kann Arles wieder römisch machen (459). Er macht Aegidius zum Heermeister für Gallien und besucht als letzter römischer Kaiser Spanien. Mit Geiserich schließt er einen wenig glücklichen Frieden, so dass Rikimer den Kaiser 461 hinrichten lässt! Aegidius ist nun offen gegen Rikimer eingestellt, der wieder als Kaisermacher fungiert: Er ernennt noch 461 Libius Severus zum Kaiser, der jedoch keinerlei Einfluss mehr hat. Dieser Severus stirbt 465, Aegidius war schon 464 gestorben. Rikimer handelt nun umsichtiger und bittet um einen Kaiser aus dem Osten, damit er auch anerkannt wäre. Leo macht einen gewissen Anthemius zum Kaiser, der seine Tochter mit Rikimer verheiratet. Anders als früher, als die Heermeister ins Kaiserhaus einheiraten wollten, möchte sich nun der Kaiser mit dem Heermeister verbinden, auf den er angewiesen war! Im Westen ist Eurich von 466 bis 484 König der Westgoten. Für ihn spielt das Föderatenverhältnis zu Rom keinerlei Rolle mehr.
Beide Kaiser versuchen, Geiserich zu besiegen, der ständig die Kornzufuhr nach Rom blockierte, doch das Unternehmen misslingt völlig. Auch in Gallien büßt Rom immer mehr die Kontrolle ein, Childerich dehnt das Frankenreich aus, Gundowech das Burgunderreich. Die gallo-römische Senatorenschicht kann sich nur noch in der Provence halten. Wie mit Maiorianus, überwirft sich Rikimer auch mit Anthemius. Ein Neffe Rikimers tötet den Kaiser, Rom wird zum dritten Mal geplündert, doch auch Rikimer stirbt 472.
Nun gibt es für kurze Zeit erst einmal keinen Westkaiser mehr. 473 kommt ein gewisser Glycerius ans Ruder, der vom Osten nicht anerkannt wird; Leo macht sich für Julius Nepos stark, der in Rom auch Kaiser wird. Glycerius wird Bischof. Leo ist schließlich gezwungen, mit Geiserich Frieden zu schließe und das Vandalenreich anzuerkennen. Nepos ernennt in dichter Reihenfolge zwei Reichsfeldherrn, der zweite heißt Orestes und stammt aus Pannonien. Er erhebt sich gegen den legitimen Kaiser Nepos, der flieht und 480 ermordet wird. Der Reichsfeldherr Orestes macht nun seinen eigenen Sohn zum Kaiser, das war ein Schritt, der bislang gefehlt hatte. Doch Orestes bekommt es mit einem starken Germanenführer zu tun, Odoaker, der 476 mit seinen Herulern, Skiren und Thüringern eine gewaltige Landforderung vorträgt: Die Germanen wollen ein Drittel Italiens zugewiesen bekommen, was Orestes ablehnt. Es kommt zum Kampf. Odoaker siegt, erschlägt Orestes und setzt dessen Sohn Romulus Augustulus als Kaiser ab und schickt ihn auf ein Landgut bei Neapel. Odoaker war von seinen Mannen zum König ausgerufen worden, er fühlt sich nicht mehr bemüßigt, einen Kaiser auszurufen, damit endet 476 n. Chr. die politische Geschichte des Weströmischen Reiches, aber natürlich nicht die kulturelle. Für die Zeitgenossen war die Absetzung des letzten römischen Kaisers kein großer Einschnitt, denn auch schon vorher hatten die Kaiser nichts mehr zu sagen, da die Reichsfeldherrn regierten. Odoaker zog hier nur die letzte Konsequenz, indem er den letzten römischen Schattenkaiser absetzte.
482 stirbt der Heilige Severin von Noricum, dem Ododaker begegnet war. Die Donaugrenze ist nicht mehr zu halten, Ufernoricum wird aufgegeben. In der Vita Sancti Severini stellt der Autor Eugippius die Geschehnisse so dar, als ob Odoaker den Rückzug aller Romanen nach Italien angeordnet habe. Der Sarg Severins wird tatsächlich nach Neapel gebracht; viele Menschen mögen ihm gefolgt sein, doch selbstverständlich blieben viele Romanen nördlich der Alpen wohnen. In Gallien expandierten die Franken weiter tatkräftig, 474 wurde Theoderich König der Ostgoten; es ist unklar, warum sie von Pannonien aufbrachen und bald Odoaker gefährlich wurden. In Gallien bildeten die alten senatorischen Eliten nach wie vor eine kulturell bedeutsame Oberschicht. Oftmals bekleideten Männer aus diesen senatorischen Familien das Bischofsamt. Und weil sich die Reichsstrukturen aufgelöst hatten, und sich die Franken auf gewachsene lokale Strukturen verließen, gewannen die Bischöfe als Fürsprecher der Bevölkerung großen Einfluss, wir sind nun also im frühen Mittelalter angelangt.

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02 – Valentinian bis Theodosius

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Römische Geschichte III: Die Spätantike

02 – Valentinian bis Theodosius (364-378, 379-395)

Nach dem Tod Julians wird ein gewisser Jovianus zum Kaiser ausgerufen, der einen sogenannten Schmachfrieden mit den Persern schließt. Er war Christ und erneuerte sofort die Privilegien der Kirche. Er stirbt 364. Der Offiziersrat bestimmt Flavius Valentinianus zum Nachfolger, der noch im Jahre 364 seinen Bruder Flavius Valens zum Augustus erhebt. Die Brüder teilen sich die Verwaltung des Reiches an der Sprachgrenze auf (Große Syrte – Save), Valentinian regiert von Mailand, Paris und Trier aus, Valens von Konstantinopel. Die Reichseinheit bleibt aber gewahrt, alle offiziellen Beschlüsse ergehen im Namen beider Kaiser. Valentinian führt im Westen schwere Kämpfe gegen Franken und Alemannen, auch in Britannien gilt es, das Reich gegen Picten und Scoten zu verteidigen. Der Hadrianswall wird zum letzten Mal befestigt. In Africa greifen Berbernomaden ständig Tripolitanien an, v.a. Leptis Magna hat zu leiden. Valentinian betritt Rom nie und versteht den Senatorenstand nicht, es kommt 368-371 zu Prozessen gegen Senatoren. Die Militärs werden dagegen aufgewertet, die magistri militum werden zu viri ilustrissimi erhoben und mit den Präfekten gleichgestellt. Valentinian ist katholisch, aber religiös ist es im Westen viel ruhiger als im Osten. 375 verhandelt er mit Quaden in Pannonien; er bekommt in diesen Verhandlungen einen solchen Tobsuchtsanfall, dass er an den Folgen eines Blutsturzes stirbt.
367 hatte er aber schon seinen ältesten Sohn Gratian als Achtjährigen zum Mitkaiser im Westen ausrufen lassen. Allerdings hatte Valentinian noch einen zweiten Sohn, Valentinian II., den die Heermeister Merobaudes und Equitius in Aquincum zum Kaiser ausriefen. Valentinian II. war damals erst vier Jahre alt. Gratian, jetzt 16, ist damit einverstanden, das Westreich wird zwischen den beiden Halbbrüdern aufgeteilt: Illyricum, Italien und Africa sollen Valentinian II gehören, Gallien Gratian. Er ist Vormund für seinen Halbbruder. In den Jahren 375-383 regiert Gratian von Trier aus, das jetzt als Hauptstadt eine Blütephase erlebt. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass Gratian von dem Rhetoriklehrer Ausonius erzogen wurde, der seinen Zögling wieder zu einer senatsfreundlichen Politik bewegen konnte. Ausonius gewinnt als Vertrauter des Kaisers besonderen Einfluss am Hof. Er wird quaestor sacri palatii, dann praefectus praetorio und schließlich, 379, Konsul. In die Literaturgeschichte ist Ausonius aufgrund seines berühmten Gedichtes auf die Mosel, Mosella, eingegangen. Während Valentinian und Gratian im Westen die Germanen in Schach halten konnten, hat Valens im Osten große Probleme:
Nach erfolgreichen Gotenkriegen an der unteren Donau in den späten 360ern befestigt Valens die Donaugrenze. Valens ist, wie Constantius II. vor ihm, Arianer, während die drei großen kappadokischen Kirchenväter, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa und Basilius für die Orthodoxie streiten, v.a. Basilius wendet sich persönlich gegen Valens. Er schickt Athanasius zum fünften Mal ins Exil, er darf aber 366 nach Alexandria zurück, wo er 373 stirbt. Unter seinen vielen Schriften ragt besonders die Vita Antonii heraus, die das östliche Mönchtum auch an den Westen vermittelt. Wie Valentianian I. ist auch Valens gegenüber den Heiden tolerant, viel toleranter als es später Theodosius sein würde. Unter dieser offiziellen Ebene konnte Valens jedoch die Fanatiker im Osten, v.a. in Ägypten, nicht daran hindern, in quasi bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen aufeinander loszugehen.
Schwerwiegend für die Folgezeit werden die Probleme mit den Goten. Sie kamen ursprünglich aus Schweden und siedelten ab 200 n. Chr. am Schwarzen Meer. Als die Hunnen, abgelenkt von der Chinesischen Mauer, nach Westen drängten, setzten sie die Goten in Bewegung. Die Ostgoten werden von den Hunnen unterworfen, auch die Westgoten werden vernichtend geschlagen. Sie kommen an die Donau und bitten um Siedlungsplätze innerhalb des römischen Reiches, sie schicken sogar eine Bittgesandtschaft an Valens, der zu dem Zeitpunkt in Antiochia weilt. Valens kamen die Goten nicht ungelegen, sie konnten einen Puffer gegenüber den Hunnen bilden und waren sogar arianischen Glaubens. Valens hat wohl Kontingente erteilt; die Römer wollten beim Grenzübergang zählen, wie viele Goten ins Reich übersiedelten, aber die Grenzposten verloren die Kontrolle: Tag und Nacht setzten die Goten in Schiffen über die Donau über, auch Ostgoten schlossen sich an, das Zählen war unmöglich geworden. Bald kam es auf römischer Seite zu Versorgungsengpässen, die römischen Offiziere waren korrupt, den Goten wurde der Zugang zum Markt von Marcianopel verwehrt, es kam zu ersten Rangeleien. Die Römer machten die Anführer der Goten verantwortlich. Ein comes Thraciae wird jetzt von den Goten geschlagen, sie erbeuten römische Waffen. Die Situation gerät nun allmählich außer Kontrolle. Gotische Hilfstruppen, die seit Jahren in römischen Diensten gestanden hatten, sowie germanische Sklaven schlossen sich den Goten bei Plünderungszügen durch Thrakien an. Valens eilt nach Konstantinopel. Hunnen und Alanen schließen sich nun den Goten an. Gratian möchte zu Hilfe eilen und marschiert nach Osten. Er steht bei Sirmium. Die Heermeister, die er voraussendet, sind noch nicht bei Valens eingetroffen, als dieser, auch aufgrund einer Fehlinformation über die Stärke des feindlichen Heeres und trotz der Warnungen Gratians, auf ihn zu warten, am 9. August 378 die Schlacht bei Adrianopel wagt. Das Westgotenheer war mittlerweile durch den Zustrom von Taifalen, Hunnen, Alanen und Ostgoten zu einer gewaltigen Streitmacht angewachsen, der sich die Römer nicht gewachsen zeigten: Zwei Drittel des römischen Heeres werden aufgerieben, zwei magistri militum fallen, auch Valens findet den Tod. Obwohl die Goten Adrianopel und Konstantinopel nicht erobern können, bedeutet diese vernichtende Niederlage der Römer eine tiefe Zäsur in der römischen Geschichte, vielleicht ist diese Niederlage sogar der Anfang vom Ende des römischen Reiches. Der Osten des Reiches lag nun vollkommen offen, er hat kein intaktes römisches Heer mehr. Manche Althistoriker gehen heute davon aus, dass das römische Reich nicht aufgrund innenpolitischer Strukturdefekte unterging, sondern von außen zerstört wurde, wozu die Goten ganz wesentlich beigetragen hätten. Den Zeitgenossen war die Bedeutung der Schlacht auch bewusst: Ammian vergleicht die Schlacht von Adrianopel mit der von Cannae und beschließt hier sein großes Geschichtswerk, Hieronymus beendet hier seine Chronik.
Die Westgoten beherrschen nun den Balkan. Gratian macht 379 Flavius Theodosius zum neuen Kaiser über den Osten. Sein Vater hatte als Heermeister für Valentinian gekämpft. Er hatte eine immens schwierige Aufgabe zu bewältigen, d.h. die römische Herrschaft auf dem Balkan wiederherzustellen. Die Römer fahren zweigleisig: Immer wieder werden Goten angesiedelt, gegen die Hunnen wird gekämpft. Gratian überstellt Theodosius gallische Truppen; der versucht, wieder ein römisches Heer aufzubauen, für das er auch Goten anwirbt. Auch Veteranen werden wieder einberufen. Theodosius kommt 380 nach Konstantinopel und schließt 382 einen bedeutenden Frieden mit den Westgoten. Goten werden hier zum ersten Mal als freie Krieger auf Reichsgebiet, in Niedermösien, angesiedelt. Sie erhalten Grundbesitz steuerfrei und dienen unter eigenen Anführern. Dafür erkennen sie die Oberhoheit der Römer an, insbesondere respektieren sie den Kaiser als höchste Autorität, dienen aber faktisch ihren Königen. Im Notfall stellen sie Truppen gegen Bezahlung. Faktisch verschwimmen hier Innen und Außen des Reiches, das Beispiel sollte Schule machen.
Theodosius ist erzkatholisch und verzichtet, wie auch Gratian, auf den Titel pontifex maximus. Unter dem Einfluss des Ambrosius hebt Theodosius 379 die von Gratian verkündete Toleranz auf und richtet einen Erlass an alle Völker, zum katholischen Glauben überzutreten. Der Streit um den Arianismus war um diese Zeit schon abgeklungen, Konstantinopel war aber noch in der Hand eines arianischen Bischofs, den Theodosius nun aber ausweist. 381 wird das Nizänische Glaubensbekenntnis von 325 noch einmal für verbindlich erklärt. Im Zweiten Ökumenischen Konzil wird der Patriarch von Konstantinopel denen von Antiochia und Alexandria übergeordnet und nur dem römischen untergeordnet. Ab 381/382 ist das Christentum Staatsreligion, ab jetzt herrscht Glaubenszwang. Es hat also rund 70 Jahre gedauert von der Erlaubnis, Christ zu sein bis hin zur Etablierung des Christentums als verbindliche Religion, die nun daranging, andere Kulte zu unterdrücken.
383 erhob sich ein gewisser Magnus Maximus in Britannien zum Kaiser. Gratian eilt ihm entgegen, wird aber bei Paris von einem Heermeister des Maximus ermordet. Maximus residiert in Trier und kämpft energisch gegen die Germanen. Theodosius anerkennt Maximus in gewisser Weise. Bis 388 regiert Maximus den Westen.
In Italien liefern sich Christen und heidnische Senatoren noch große rhetorische Auseinandersetzungen. Gratian hatte den Victoria-Altar aus der Curie entfernen lassen. Der heidnische Senator Symmachus erbittet nun in seiner Funktion als Stadtpräfekt 384 von Valentinian die Rückkehr des Altares. In seiner berühmten Dritten Relatio begründet der hochgebildete Symmachus mit allen Registern der antiken Rhetorik die Sinnhaftigkeit des alten Glaubens. Er scheitert jedoch am streitbaren Bischof von Mailand, Ambrosius, der dem jungen Kaiser die Exkommunikation androht, sollte er den Heiden in irgendeiner Weise entgegenkommen.
Die Streitigkeiten eskalieren weiter um die Basilica Portiana, denn der Kaiser, der Arianer geworden ist, verlangt ein arianisches Gotteshaus in Mailand. Ambrosius wehrt sich mit allen Mitteln und lässt alle Kirchen Mailands Tag und Nacht besetzen; die Truppen Valentinians II. weigern sich, gegen die Gläubigen vorzugehen, wieder muss der Kaiser nachgeben! Seine Stellung ist in Mailand stark geschwächt, er weicht nach Aquileia aus.
Als Valentinian Probleme mit Barbaren in Pannonien hat, ruft er Maximus zu Hilfe. Weil dieser katholisch ist, schlägt ihm in Italien viel Sympathie entgegen. Valentinian II. sucht bei Theodosius in Thessaloniki Zuflucht. Theodosius rüstet nun zum Krieg gegen den Usurpator Maximus. Theodosius siegt, Maximus wird geköpft. Zum letzten Mal ist die Reichsgewalt in einer Hand, nämlich in der des Theodosius. Jedoch gerät er, wie vor ihm Valentinian II., in Mailand in einen heftigen Konflikt mit dem streitbaren Ambrosius. Ein Bischof am Euphrat hatte eine Synagoge zerstört, worauf Theodosius Schadenersatz für die jüdische Gemeinde verlangte. Nach heftigem Protest des Ambrosius nahm Theodosius diese Schadensersatzforderung zurück. Doch noch Gravierenderes geschah: In Thessaloniki war ein Wagenlenker verhaftet worden, die Fans stürmten das Gefängnis und töteten auch einen Heermeister. Zur Strafe ließ Theodosius tausende Menschen niedermachen. Ambrosius forderte ihn daraufhin auf, öffentlich Buße zu tun. Bis dahin wäre er von der Kommunion ausgeschlossen. Theodosius wollte diese öffentliche Demütigung unbedingt vermeiden, doch es blieb ihm nichts anderes übrig: 390 wurde er wieder zu Weihnachten in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen und kehrte 391 nach Konstantinopel zurück. Die Parallele zu Canossa ist deutlich zu greifen. Die Welt hatte sich grundlegend verändert. Kein römischer Kaiser unter dem Prinzipat war aufgrund religiöser Überzeugungen so in Schwierigkeiten geraten und wurde so von einem Priester gemaßregelt und gedemütigt.
Noch gab es viele Heiden unter den Senatoren und auch unter den Offizieren, die Universitäten waren neuplatonisch geprägt. Christliche Bildungseinrichtungen gab es noch nicht. Theodosius verschärfte nun aber den Kampf gegen die Heiden: Die Ehe zwischen Juden und Christen wird 388 verboten. Opfer und Magie werden unter strenge Strafe gestellt. 391 wird jede Form der alten Religionsausübung verboten. Fanatische Mönche fühlen sich nun den Heiden überlegen und ermuntert, Götterbilder und Tempel zu zerstören. In Alexandria kam es zu schweren Auseinandersetzungen, in deren Folge Theophilos mit seinen Mönchshorden das Serapeion, das Herz der Alexandriner Universität und eines der schönsten Gebäude im ganzen Osten, vollkommen zerstörte. Um diese Zeit kommen altehrwürdige Einrichtungen der alten Religion zum Erliegen, z. B. das Orakel von Delphi, die Olympischen Spiele und auch die eleusinischen Mysterien sowie der Vesta-Kult in Rom.
Doch das Heidentum war immer noch nicht gebrochen. Es kam eher aus politischen Gründen zu einer kurzen Nachblüte. Wahrscheinlich ließ der Heermeister Arbogast Valentinian II. ermorden. Als Theodosius keinen Kaiser nach Westen schickte, machte Arbogast kurzerhand den Rhetor Flavius Eugenius zum Kaiser des Westens. Es war das erste Mal, dass ein germanischer Heermeister einen Kaiser einsetzte. Theodosius ignorierte diese Entscheidung und machte jetzt seinen Sohn Honorius zum Mitkaiser. Arbogast und Eugenius konnten sich der Unterstützung der heidnischen Senatoren versichern. Führend bei dieser kurzen heidnischen Renaissance war der Prätorianerpräfekt Nicomachus Flavianus. Sogar die Victoria wurde wieder in die Curie zurückgebracht. Theodosius rüstet zum Krieg gegen die beiden Herrscher des Westens und überträgt seinem Sohn Arcadius den Osten. Am Frigidus kam es 394 zur Entscheidungsschlacht. Theodosius siegt, Arbogast nimmt sich das Leben, Eugenius wird erschlagen. Das Heidentum war in Gestalt einer politischen Opposition gegen Theodosius zum letzten Mal gescheitert. Honorius kam mittlerweile mit seiner Stiefschwester Galla Placidia in Mailand an, um die Herrschaft im Westen anzutreten. Theodosius starb 395 in Mailand, wo Ambrosius die Leichenrede auf ihn hielt.
Das Konzil von Chalkedon nannte Theodosius 451 n. Chr. zum ersten Mal den Großen. Seine Verdienste sind nicht gering: Es gelang ihm, nach der Schlacht von Adrianopel den Osten zu stabilisieren. Er sah sich als Kaiser des Ostens und stand der valentinianischen Dynastie absolut loyal gegenüber, indem er keine Usurpatoren im Westen akzeptierte. Er handelte immer im Sinne eines dynastisch legitimierten Mehrkaisertums. Bzgl. der Germanen zeichnete ihn Einsicht in das Machbare aus. Die Germanen wurden soweit wie möglich integriert, indem sie Siedlungsplätze zugewiesen bekamen und in die römische Armee aufgenommen wurden. Um den Preis der Unterdrückung Andersgläubiger machte die Festigung des Katholizismus Fortschritte. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb kam es in konservativen römischen Kreisen zu einer Spätblüte des Heidentums in den Kreisen um Symmachus und Nicomachus Flavianus. Bedenklich mutet an, dass Theodosius im Osten den Caesaropapismus mit großer Rigorosität vertreten konnte (allerdings war dieser schon von Constantin vorgeprägt worden), während er sich im Westen mehrmals in demütigender Weise der Kirche beugen musste, was sicher auch mit der überragenden Autorität und Streitbarkeit des Ambrosius zu tun hat.
Nach dem Tod des Theodosius 395 n. Chr. regierte im Westen Honorius, im Osten Arcadius. Wieder handelte es sich um keine Reichsteilung, sondern um eine Kontinuität der Verwaltungsteilung.

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01 – Diokletian, Konstantin und die konstantinische Dynastie

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Werner Rieß
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Römische Geschichte III: Die Spätantike

01 – Diokletian, Konstantin und die konstantinische Wende

Der letzte Soldatenkaiser war der dynamische Diokletian aus Dalmatien, der sich in der Armee hochgedient hatte. Er wird von einem Rat von Offizieren zum Kaiser ernannt und sticht vor dem versammelten Heer einen Konkurrenten nieder, um sich die Herrschaft zu sichern. Er nimmt nun eine folgenschwere Maßnahme vor, indem er seinen Landsmann Maximian zum Mitkaiser macht (285/6 n. Chr.). Er nennt sich selbst so wie seinen Kollegen Augustus. Der Herrschaftsausbau geht weiter. 293 macht Diokletian Constantius Chlorus und Galerius zu Mitkaisern und nennt sie Caesares. Das System der sogenannten Tetrarchie war geboren. Maximian adoptiert Constantius Chlorus als Unterkaiser, Diokletian Galerius. Durch Heiraten werden die Bande zwischen den Tetrarchen gestärkt. Es wird also, unabhängig von leiblichen Geburten, eine fiktive Dynastie aufgebaut. Vorgesehen ist, dass, wenn die Augusti einmal abdanken, die Caesares aufrücken und ihrerseits neue Caesares ernennen.
Obwohl es zu einer Aufteilung nach regionalen Zuständigkeiten kommt, regiert jeder Augustus grundsätzlich über eine Reichshälfte, der jeweilige Caesar hilft ihm dabei. Als das Modell steht, beherrscht Diokletian Thrakien, Kleinasien, Syrien, Ägypten und Libyen, von der Hauptstadt Nicomedia aus. Galerius regiert Illyricum, Griechenland, Dalmatien, Pannonien. Seine Residenzstädte sind Sirmium und Thessaloniki. Maximian ist der Kaiser des Westens, er ist verantwortlich für Italien, Raetia, Spanien und Africa und regiert von Mailand bzw. Aquileia aus. An Constantius Chlorus gehen Gallien und Britannien. Dieses System der Tetrarchie, das aufgrund der Aufgabenteilung tatsächlich zu mehr Effizienz und Stabilität führt (trotz zahlreicher Kriege in Ost und West gegen Sassaniden und Germanen wird die große Krise des dritten Jahrhunderts überwunden), hat jedoch nur kurz Bestand. Die leiblichen Söhne der Tetrarchen sind nicht bereit, auf einen dynastischen Erbanspruch zu verzichten. Der berühmteste Fall ist Constantin, der Sohn des Constantius Chlorus, der sich nicht damit abfindet, im tetrarchischen System übergangen zu werden. Ihm wird es in Bürgerkriegen gelingen, alle Konkurrenten auszuschalten und eine neue Dynastie, die konstantinische Dynastie, zu begründen. Nach dem Adoptivkaisertum des zweiten Jahrhunderts n. Chr. ist also wieder ein Versuch gescheitert, ein leistungsbasiertes Herrschaftssystem zu errichten. Sobald leibliche Erben da sind, setzt sich der mental tief verankerte dynastische Gedanke durch. Auf die einzelnen Usurpationen und die vielen Kaiser und Gegenkaiser der folgenden Jahre kann hier nicht eingegangen werden, nur ein kurzes Schlaglicht: Im Jahre 310 gab es insgesamt sieben Augusti im Reich!
Doch zurück in die 90er Jahre des dritten Jahrhunderts. Am Niederrhein dehnen sich die Franken aus, fränkischen Wehrbauern (laeti) wird Siedlungsland an der Mosel und im späteren Burgund zugewiesen. Das Dekumatenland wird dauerhaft von Alemannen besetzt, die ja schon 213 und 233 eingedrungen waren. An der mittleren Donau wird wie unter Marc Aurel gegen Sarmaten, Jazygen, Goten, Marcomannen und andere gekämpft. Im Osten wird Armenien als römischer Klientelstaat von den Persern anerkannt. Um ca. 300 ist überall im Reich der Frieden, wenn auch ein brüchiger, leidlich wiederhergestellt.
Diokletian unternimmt nun auf vielen Ebenen tatkräftige Reformen, er gilt als einer der größten Gestalter der Antike. Problematisch ist, dass wir oft nicht wissen, ob er oder aber Constantin bestimmte Maßnahmen ergriffen, daher sprechen wir lieber vorsichtiger von den diokletianisch-konstantinischen Reformen. Das Hofzeremoniell wird ausgebaut und entrückt den Kaiser immer mehr von seinen Untertanen: Sein Seidengewand wird mit Gold und Edelsteinen bestückt, Menschen, die sich ihm nähern, müssen ihn als dominus et deus (Herr und Gott) ansprechen und vor ihm die Proskynese, also einen Kniefall vollziehen. In der Zentralverwaltung werden sogenannte scrinia, Spezialabteilungen, eingerichtet, die Provinzialverwaltung wird ganz neu geordnet: Italien verliert seinen Sonderstatus und wird in das Provinzialsystem eingegliedert, der Unterschied zwischen kaiserlichen und senatorischen Provinzen, so von Augustus installiert, fällt nun ganz weg. Die alte Prätorianergarde wird aufgelöst, der praefectus praetorio wird nun höchster ziviler Beamte und ist Stellvertreter des Kaisers. Es gibt demnach vier Reichspräfekturen, verwaltet von je einem praefectus praetorio. Darunter stehen zwölf Diözesen, die von je einem vicarius verwaltet werden. 95-120 Provinzen (das ist übrigens eine Verdoppelung der Provinzzahl im Vergleich zum Prinzipat) werden auf die zwölf Diözesen verteilt. Asia und Achaia unterstehen nach wie vor senatorischen Prokonsuln, alle anderen Provinzen werden von ritterlichen praesides verwaltet. Die Senatoren spielen im Militär überhaupt keine Rolle mehr, die alte Zweiteilung von senatorischer und ritterlicher Laufbahn verschwindet. Dafür wird streng zwischen zivilen und militärischen Funktionen unterschieden. Einhergehend mit der Provinzverkleinerung kommt es zu einer massiven Aufstockung des Heeres von einstmals 300.000 Mann zu nun ca. 500.000 Mann. Es ist nun also ein ganz anderer Zugriff auf die Reichsbevölkerung möglich als vorher. Diese administrative Effizienzsteigerung machte sich v.a. bei der Steuereintreibung bemerkbar, die Klagen der Reichsbevölkerung nehmen in den Quellen merklich zu. Die duces sind Militärkommandeure größerer Grenzabschnitte, sie ersetzen die vorherigen legati Augusti pro praetore.
Auf wirtschaftlichem Gebiet ist die Finanz-, Münz- und Preisreform in ihrer Bedeutung gar nicht zu überschätzen. Wegen der anhaltenden Inflation nimmt Diokletian eine Finanzreform vor, Provinzialprägungen werden verboten, eine einheitliche Reichsprägung wird eingeführt mit 14 Prägestätten. Als Antwort auf die Inflation erlässt Diokletian sein berühmtes Preisedikt von 301 n. Chr., auch Maximaltarif genannt. Die Antike erkennt volkswirtschaftliche Zusammenhänge noch nicht. Der Kaiser ist der Meinung, dass er die Höchstpreise für Waren, Dienstleistungen und Löhne ein für alle Mal festsetzen und damit die Preissteigerungen stoppen kann. Minutiös werden 1400 Preise verzeichnet, für uns eine einmalige Quelle, weil wir die Rangordnungen der Berufe ablesen können. Auch das Steuersystem wird grundlegend reformiert. Die Staatsbetriebe, also Münzen, Legionsziegeleien, Steinbrüche, Waffen- und Textilfabriken nehmen an Zahl zu.
In religiösen Dingen ist Diokletian ein konservativer Hardliner. Als im Kaiserpalast von Nicomedien ein Staatsopfer misslingt, sieht er die Schuld bei Christen, die beim Opfer anwesend waren. In mehreren Wellen kommt es nun zu den massivsten Christenverfolgungen, die es je im Reich gegeben hatte. Kirchen werden zerstört, heilige Schriften verbrannt. Christen verlieren ihre Ämter, Würden und sogar ihre Rechtsfähigkeit. Freigelassene im kaiserlichen Dienst verlieren ihre Freiheit. Kleriker werden ins Gefängnis geworfen und müssen opfern. Wenn sie dies nicht tun, werden sie gefoltert. Schließlich wird ein allgemeines Opfergebot an die gesamte Reichsbevölkerung erlassen mit dem Ziel, die Christen zum Abfall zu zwingen.
Drei Dinge erscheinen mir in diesem Zusammenhang wichtig:
1. Das Rad der Geschichte konnte nicht mehr zurückgedreht werden. Die Christen waren zu weit verbreitet, in allen Regionen des Reichs, in allen Gesellschaftsschichten, Berufen und Altersgruppen. Die Verfolgung war von vornherein zum Scheitern verurteilt.
2. Die Maßnahmen wurden von den Tetrarchen in ihren Reichsteilen höchst unterschiedlich umgesetzt. Während es unter Maximian Prozesse in Italien und Africa gab, ließ Constantius Chlorus nur die Kirchen schließen. Die Verfolgungen endeten erst 311 mit dem Toleranzedikt des Galerius, die meisten Opfer waren übrigens in Ägypten zu beklagen.
3. In der Christenverfolgung des Diokletian greifen wir eine neue Qualität der Begründung. Nero suchte einen Sündenbock für den Brand Roms, Decius handelte aus rein politischen Gründen, er wollte mit dem reichsweiten Opfergebot einen Loyalitätsakt für das Reich erzwingen, die private Religionsausübung war ihm egal. Diokletian will jedoch die Christen zum Abfall zwingen, er handelt wirklich aus religiöser Überzeugung heraus, er entfernt sich daher von der Toleranz des Polytheismus, wie er in der Prinzipatszeit noch vorgeherrscht hat.
Als Diokletian 305 abdankt, geht die Herrschaft nicht reibungslos an die beiden Caesares über. 20 Jahre Bürgerkrieg sind die Folge, an deren Ende es Constantin gelingt, eine neue Dynastie zu errichten. Constantins Mutter war eine Konkubine des Chlorus. Als junger Mann hatte Constantin in der Reiterei des Galerius gedient, der ihn jetzt auch (gegen das Reglement) als Caesar gelten lässt. Auch Maxentius, der Sohn Maximians, macht sich zum Kaiser, d.h. in Italien, wo er große Anerkennung genießt. 308 beruft der alte Diokletian, der um sein Erbe fürchtet, eine Kaiserkonferenz in Carnuntum ein, an der Galerius und Maximian teilnehmen. Maximian wird zur Abdankung bewegt, Maxentius wird nicht anerkannt. Licinius, der vorher nicht auf der Bildfläche war, wird im Westen Augustus. Constantin soll sich mit dem Caesarentitel bescheiden. Galerius und Daia regieren im Osten, Licinius und Constantin im Westen, schwere Konflikte sind vorprogrammiert. Constantin kämpft zunächst gegen die Franken am Rhein, sichert sich dann Britannien und Gallien bevor er nach Italien zieht, um Maxentius in Rom zu bekämpfen. Galerius stirbt 311 und erlässt vorher noch das Toleranzedikt in Serdica. Constantin nähert sich Licinius an, Maxentius verbündet sich mit Daia.
Constantin erringt Siege in Norditalien und marschiert nun in Eilmärschen nach Rom, wo es 312 zur berühmten Schlacht an der Milvischen Brücke kommt. Constantin erringt einen fulminanten Sieg, den er in der Rückschau wohl durch seine Hinwendung zum Christentum als einen Sieg des Christengottes verklärt. Zwei Quellen, von Lactanz und Euseb, schildern die Ereignisse vor der Schlacht unterschiedlich, es ist von einem Traum bzw. von einer Vision die Rede, die Constantin veranlasst haben soll, das Kreuz auf den Schilden der Soldaten anzubringen. Ob es sich hier (und in den Folgejahren) um eine persönliche Bekehrung des Kaisers zum Christentum handelte, oder ob er aus opportunistischen Gründen handelte, so wirkmächtig von Jacob Burkhardt gedeutet, wird sich nie mehr klären lassen. Fest zu stehen scheint jedoch, dass Sol Invictus, der Kult für den Sonnengott, eine Brücke zwischen dem Heidentum und dem christlichen Monotheismus darstellte.
In Rom entstehen die ersten bedeutenden Kirchen, noch vor 315 die Lateranbasilika auf dem Gelände der Kaserne der equites singulares, 324-326 die Petersbasilika auf dem ager Vaticanus. Auf vielfältige Art und Weise unterstützt und fördert Constantin nun in seiner legislativen Tätigkeit das Christentum und die Kirche. 313 trifft er sich in Mailand mit Licinius, Ergebnis ist das sogenannte Mailänder Edikt, das kein wirkliches Gesetz darstellt, sondern eher eine Abmachung. Die Christen werden geduldet, die Verfolgten sollen entschädigt werden. Licinius besiegt den immer noch die Christen verfolgenden Daia und verkündet noch einmal ein Toleranzedikt in Nicomedia, Daia macht es ihm auf der Flucht nach, begeht dann aber bei Tarsos Selbstmord. Constantin ist nun unumstrittener Herrscher im Westen (313-324), Licinius im Osten. 324 kommt es zur Entscheidungsschlacht bei Adrianopel, nachdem vorher auch Phasen des Einvernehmens zwischen Constantin und Licinius geherrscht hatten. Constantin siegt und ist nun Alleinherrscher des Reiches.
Er hatte sich in den Jahren seit 312 immer mehr der Kirche angenähert, konnte aber die innerkirchlichen Zwistigkeiten lange Zeit nicht beilegen, d.h. im Westen den Donatistenstreit und im Osten den Streit um den Arianismus, der mehrmals eskaliert. Arius aus Alexandria war der Meinung, dass Gott Vater und Gott Sohn nicht wesensgleich, sondern nur wesensähnlich seien. Dem widersprach sein streitbarer Widersacher Athanasius heftig. Auch das Reichskonzil von Nicaea 325, das Constantin einberief und persönlich leitete und das die Wesensgleichheit im Glaubensbekenntnis von Nicaea festschrieb, konnte den Konflikt nicht dauerhaft lösen. Mehrmals wurden beide Kontrahenten ins Exil geschickt und auch wieder rehabilitiert. Das Konzil von Nicaea ist jedoch nicht nur bedeutsam für die vielen Beschlüsse, die dort gefasst wurden, sondern auch weil die Rolle des Kaisers als Oberhaupt und Schutzherr der Kirche hier sinnfällig vor Augen trat. Constantin initiiert hier, was man später Caesaropapismus nennen sollte. Die Monarchie wird zum Spiegel des Monotheismus, im Prinzip sind wir hier in einem theokratischen System, in welchem dem Kaiser eine heilsgeschichtliche Bedeutung zukommt. Dennoch dauert die Kontinuität von heidnischen Symbolen weiter an, so ist Constantin immer noch pontifex maximus, vielleicht ein Zugeständnis an die vielen Heiden, die es ja immer noch im Reich gab, insbesondere in der konservativen senatorischen Oberschicht. Auch die alten Staatskulte wurden weiter gepflegt.
326 kommt es zu einer folgenschweren Gewaltorgie in der Familie Constantins. Er lässt seinen Sohn Crispus, seine Stiefmutter Fausta, seinen Neffen und viele „Freunde“ ermorden. Vielleicht fühlte sich der Kaiser in seiner Entourage bedroht durch einen zu ungeduldigen Nachfolger. Als Rom sich geschockt von Constantin abwendet, plant er, eine neue Hauptstadt zu errichten, die seinen Namen tragen sollte. Die Wahl fiel auf Byzanz, das 330 als Konstantinopel eingeweiht wurde. Es unterstand nicht der Provinzialverwaltung, zahlte keine Tribute, hatte einen eigenen Senat, die Bevölkerung wird auch hier mit Getreide versorgt, es handelte sich also um eine Kopie Roms im Osten. Zielstrebig baut Constantin nun seine Dynastie auf zu einem dynastischen Mehrkaisertum: Crispus war vor seinem Tod seit 318 Caesar in Gallien, ab 328 nimmt Constantin II. diese Rolle wahr. Der Neffe Dalmatius regiert über Thrakien und Griechenland. Constantius II. ist seit 335 im Orient, Constans ebenfalls ab 335 in Italien.
Constantin ist es wohl, der die Neudefinition der praefectura praetorii vornimmt und eine neue Garde der scholae aufbaut. Die Trennung von Zivil- und Militärgewalt geht weiter. Grenz- und Feldarmee werden ebenfalls getrennt, hierzu dann mehr in einem späteren Podcast. Constantin führt außerdem neue Steuern ein und ordnet das Steuer- und Geldwesen neu. Viele Gesetze sind christlich beeinflusst, dennoch gilt weiterhin ein brutales Strafrecht. 337 lässt sich Constantin taufen und stirbt kurz darauf.
Constantin ist mit Sicherheit der umstrittenste Kaiser der Spätantike. Unter seiner langen Regierungszeit werden Tendenzen sichtbar, welche die ganze Spätantike prägen sollten, v.a. ein Hang zur Bürokratisierung und Zentralisierung, welche die Reichsspitze immer mehr von der Bevölkerung entfernte. Constantin vermochte es, auch in Folge der diokletianischen Reformen, mehr Ressourcen als je zuvor zu mobilisieren und damit die Grundlagen für ein relativ stabiles 4. Jh. zu schaffen.
Beim Tode Constantins steht die Reichseinheit auf dem Spiel, denn 337 lassen sich alle drei Constantin-Söhne zum Augustus ausrufen. 338 treffen sich die Brüder in Viminacium an der Donau, um den Osten aufzuteilen. Constantin II. geht leer aus, was zu Konflikten führt. Bei Aquileia fällt er. Constans ist fortan Herrscher des Westens, Constantius regiert im Osten. Constans muss ständig mit den Germanen kämpfen und geht 343 nach Britannien, um den Hadrianswall wiederherzustellen. Er ist übrigens der letzte römische Kaiser, der sich in Britannien blicken lässt. Constans ist extrem katholisch, begünstigt die Kirche in vielerlei Hinsicht und verfolgt Juden, Heiden und Donatisten. Insgesamt agiert er wenig glücklich, der Ämterkauf nimmt zu, das Militär behandelt er dilettantisch, die Steuern treibt er hart ein. Als sich ein gewisser Magnentius 350 gegen ihn erhebt, kommt er auf der Flucht ums Leben. Magnentius kann sich im Westen rasch etablieren, auch Italien und Numidien gehören bald zu seinem Herrschaftsbereich. Constantius, der noch im Osten weilt, fühlt sich vom Usurpator herausgefordert und kann ihn in zwei Schlachten schlagen, Magnentius begeht 353 Selbstmord, damit ist die Reichseinheit unter Constantius II. wiederhergestellt.
355 erobern die Franken Köln. Es wird wieder klar, dass sich ein Kaiser nicht um alle Schauplätze gleichzeitig kümmern kann. Constantius erhebt seinen Vetter Julian zum Caesar für Gallien. Als Constantius verlustreiche Kämpfe im Osten führt, fordert er von Julian Truppen an, diese wollen jedoch nicht nach Osten marschieren und erheben Julian zum Gegenkaiser. Doch wir greifen der Entwicklung schon ein wenig voraus.
Wodurch zeichnet sich die Politik des Constantius im Wesentlichen aus? Der Hang zur Bürokratie nimmt zu, wobei er den Einfluss des Militärs zu beschneiden versucht. Die Germanen werden extrem begünstigt und kommen verstärkt über den Rhein, Konstantinopel wird massiv gefördert. Im Osten kommt es durch christliche Fanatiker zu Tempelzerstörungen. Da Constantius selbst Arianer ist, darf Athanasius wieder aus dem Exil zurückkehren, dann wird er wieder abgesetzt, 346 darf er wieder zurückehren, 350 wird er wieder abgesetzt, das Problem der Glaubenseinheit bleibt also virulent. Constantius verhilft den Arianern in Alexandria mit militärischer Gewalt zum Sieg. 359 wird auf einer Doppelsynode unter größten Mühen die Glaubenseinheit wiederhergestellt, doch auf beiden Seiten bleiben viele Bischöfe renitent. Erst Theodosius sollte es 380 gelingen, die Orthodoxie durchzusetzen, Constantius II. wird dann sogar als arianischer Ketzer eingestuft. Die Randvölker werden zunehmend christianisiert, Wulfila missioniert die Goten und tauft sie arianisch. Er übersetzt übrigens die Bibel ins Gotische, Teile dieser Übersetzung sind im Codex argenteus bewahrt, der in Uppsala aufbewahrt wird. 361 befindet sich Constantius noch einmal in Persien, als er sich gegen seinen aufrührerischen Vetter wenden muss, er stirbt 361 im Alter von nur 43 Jahren.
Julian ist nun Kaiser. Er wird auch Apostatata genannt, weil er sich wieder bewusst zu einem neuplatonisch geprägten Heidentum bekennt. Er ist der Enkel des Constantius Chlorus und der letzte Kaiser der konstantinischen Dynastie. In jungen Jahren studiert er griechische Literatur und Rhetorik, liest aber auch die Bibel. Als er von Constantius als Caesar in Gallien eingesetzt wird, ist die Lage desolat. Die Franken hatten Köln erobert, im linksrheinischen Gallien siedelten schon Alemannen. Es gelingt Julian, sie 357 bei Straßburg zu schlagen, den Salfranken überlässt er jedoch Toxandrien. Er stellt die Grenze auf der ganzen Rheinlänge bis Ende der 50er Jahr wieder her und errichtet mit Fleiß und einem asketischen Lebensstil eine funktionierende Verwaltung.
Als Constantius 360 Truppen von ihm anfordert, weigern sich die Foederaten, nach Persien zu ziehen und erheben stattdessen Julian zum Gegenkaiser. Er ist auf dem Marsch nach Osten, als ihn die Nachricht erreicht, dass Constantius in Kilikien gestorben war. Julian wird sofort als Kaiser anerkannt. Er gibt sich als bürgernaher Kaiser in stoischer Tradition des Marc Aurel, damit einher geht eine Vereinfachung des Hofzeremoniells; in seiner Umgebung wird diese Geste der Bescheidenheit nicht mehr verstanden. Er senkt Steuern und erlässt vielen Städten die Schulden.
Am bezeichnendsten für seine kurze Regierungszeit ist die Wiederbelebung des alten Glaubens, wobei er den Christen tolerant gegenübersteht. Tempel werden überall restauriert. Viele Begünstigungen des Klerus werden zurückgefahren. Teilweise kommt es zu Konfiszierungen des Kirchengutes. Er unterstützt auch Sonderkirchen, wie etwa die Donatisten, um Keile zwischen verschiedene kirchliche Strömungen zu treiben. 362 erlässt er sein berühmtes und umstrittenes Rhetorenedikt. Zum ersten Mal mischt sich ein Kaiser in die Lebensführung und die Religionsausübung von Lehrern ein. Sie müssen tugendhaft leben, ihre Lehren müssen mit ihrer Lebenspraxis in Einklang stehen. Eine Gesinnungsethik ist anvisiert, die nun auch Gesinnungsprüfungen nach sich zieht. Julian erkennt, dass die Christen, die Galiläer, wie er sie nennt, v.a. auf sozialer Ebene dem Polytheismus den Rang abgelaufen haben, so initiiert er z. B. den Bau von heidnischen Hospizen. Zum ersten Mal wird im antiken Polytheismus eine soziale Note erkennbar. 363 stirbt er an einer Verwundung an der Perserfront mit nur 32 Jahren. Für die Heiden war das ein schwerer Schlag, hatten sie doch viele Hoffnungen in ihn gesetzt. Der Senat konsekriert ihn sofort, auch seine breite literarische Hinterlassenschaft wird gesammelt. Nach Cicero, Marc Aurel und Augustinus ist er daher die am besten bekannte Persönlichkeit aus der Antike. Julian regierte viel zu kurz als dass man die Früchte seiner Bemühungen hätte erkennen können. Klar ist aber, dass auch er in Bezug auf das Christentum das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen hätte können.

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Quellen-Hinweise
Sehen Sie zu diesem Podcast auch die Quellen zu Konstantin und Diokletian. Alle Quellen enthalten einen Leitfragen- und Kommentarbereich zum besseren Verständnis des Textes.
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06 – Die Literatur der Kaiserzeit

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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

06 – Die Literatur der Kaiserzeit

In der Kaiserzeit gelangen alle literarischen Gattungen außer dem Drama zu einer Blüte, und dies sowohl im lateinischen als auch im griechischen Bereich. Es ist hier ganz unmöglich, alle Autoren und Werke auch nur zu nennen, aber es soll zumindest ein erster Einblick in das reiche Schaffen der Literaten in den ersten beiden Jahrhunderten gegeben werden. Ich möchte zuerst auf einige lateinische, dann auf griechische Autoren eingehen. Grundsätzlich gilt, dass sich die anspruchsvolle Literatur der Kaiserzeit auf welche Weise auch immer mit dem neuen Regierungssystem des Prinzipats auseinandersetzt, und die Intellektuellen ganz verschiedene Antworten auf die veränderte Rolle der politischen Eliten finden, denen sie selbst oft angehörten.
Im Bereich des Epos schafft Vergil mit seiner Aeneis zu Beginn des Prinzipats ein Nationalepos, das in seiner Wirkmächtigkeit gar nicht überschätzt werden kann. Er gibt den Römern eine bedeutende mythologische Herkunft (von den Trojanern) und stellt sie damit auf eine Stufe mit den Griechen. Vergil avancierte im Mittelalter zum Dichterfürsten schlechthin. An seinen Texten lernten Generationen von Schülern im Mittelalter Latein.
Im Bereich der Lyrik lotet Horaz mit seinen Oden und Epoden die Grenzen dessen aus, was in der lateinischen Sprache ausgedrückt werden kann. Die Elegien des Properz und Tibull gehören zur Weltliteratur. Ovid hat mit seinen Metamorphosen einen bleibenden Beitrag zur Kanonisierung antiker Mythologie geliefert. Mit seiner schlüpfrigen Ars amatoria zog er jedoch den Groll des Augustus auf sich und musste ins Exil nach Tomi am Schwarzen Meer. Persius, der sich Horaz zum Vorbild nimmt, schreibt sechs glänzende Satiren und verstirbt jung unter Nero. Lucans Pharsalia, eigentlich de bello civili, ist ein grausiges, groß angelegtes Epos über den Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius. Nicht etwa Actium wird gefeiert, sondern Pharsalos kommemoriert, nicht Caesar gehuldigt, sondern der unterlegene Cato. Kühn für ein Epos baut er keinen Götterapparat ein. Möglicherweise da er den Neid Neros auf sich zog bzw. in die Pisonische Verschwörung verwickelt war, wurde er zum Selbstmord gezwungen. Martial aus Hispanien ist der Meister des knappen Epigramms, der bissigen Pointe, der in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts bei allen Kaisern antichambrierte, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Juvenal schließlich ist der Meister der lateinischen Satire. Berühmt ist seine sogenannte Weibersatire, die sich wohl nicht auf alle Frauen, sondern lediglich auf die Angehörigen der Oberschichten bezieht.
Im Bereich der Historiographie schafft Livius, der in augusteischer Zeit schreibt, das, was Vergil in der Epik leistet. Er nimmt die älteren annalistischen Traditionen auf und schreibt die bis heute allgemeingültige Geschichte der römischen Republik als eine Art Nationalgeschichtsschreibung zur Erbauung seiner Leser. Livius‘ Werk überhöht und schönt die römische Frühgeschichte und die Republik, sie stellt die Tugenden der Vorfahren deutlich heraus und will somit für die Gegenwart Exempla liefern. Quintus Curtius Rufus schreibt mit seiner Geschichte Alexanders des Großen in lateinischer Sprache eher Unterhaltungsliteratur. Die Epitome des Florus, der aus Africa stammte, ist ein wichtiges Geschichtswerk hadrianischer Zeit und liefert eine Ereignis- und Kriegsgeschichte der Römer bis Augustus. Der ebenfalls aus Nordafrika stammende Sueton legte eine Biographiensammlung der iulisch-claudischen Kaiser und der Flavier vor, die immer nach dem gleichen Schema aufgebaut sind. Obwohl hier auch viel Klatsch enthalten ist (Sueton schrieb bewusst zur Unterhaltung), sind die Informationen doch eine wichtige Quelle für das erste Jahrhundert und unerlässlich für den Abgleich mit Tacitus und Cassius Dio.
Mit Tacitus greifen wir den Höhepunkt der lateinischen Historiographie überhaupt. Er ist an eine Seite mit Thukydides im griechischen Bereich zu stellen, was stilistische Brillanz, gedankliche Durchdringung des Stoffes, methodische Ansprüche und Wahrheitsanspruch angeht. Quasi als Fingerübung beginnt er mit kleineren Werken, dem Agricola, eine Schrift, die seinem Schwiegervater und dessen militärischen Aktionen in Britannien huldigt, der Germania, einer kurzen ethnographischen Schrift, die ein idealisiertes Germanenbild entwirft, um den dekadenten Römern einen Spiegel vorzuhalten, und schließlich dem Dialogus de oratoribus, im ciceronischen Stil verfasst, der das Wesen der Redekunst unter dem Prinziapt analysiert. Tacitus‘ große Geschichtswerke sind die Historien, in denen der Bürgerkrieg des Vierkaiserjahres geschildert wird sowie die Annalen, welche die iulisch-claudisch Zeit zum Gegenstand haben. Die Annalen stellen unsere Hauptquelle für die römische Geschichte des ersten Jahrhunderts n. Chr. dar. In beiden Werken offenbart sich Tacitus‘ zutiefst pessimistisches Geschichts- und Menschenbild. Er sieht die Strukturschwächen des Prinzipats und bedauert den Verlust der Republik, weiß aber auch, dass das Rad der Geschichte nicht mehr zurückgedreht werden kann. Der nostalgische Blick in die Vergangenheit bringt nichts, denn eine Rückkehr zur Republik würde sofort wieder Bürgerkriege auslösen, nichts wäre gewonnen. Aus dem Dilemma, einer bedrückenden Gegenwart keine Alternative gegenüberstellen zu können, gibt es keinen Ausweg, die Annalen enden in der Aporie.
Kennzeichen der Zeit sind auch Sammelleidenschaft und enzyklopädische Interessen. Immer wieder versuchen Intellektuelle, das Wissen der Zeit zu bestimmten Themen aufzubereiten und somit einen Beitrag zum kulturellen Leben ihrer Zeit zu leisten. Quintilian sortiert und bietet das gesamte rhetorische Wissen der Antike in seiner groß angelegten Ars oratoria dar. Plinius der Ältere legt in seiner Naturkunde, naturalis historia, eine immense Stofffülle zur Natur vor. Aulus Gellius schließlich kleidet als Enzyklopäde das Wissen der Zeit nicht in eine Abhandlung ein, sondern in Gelehrtengespräche, die anlässlich eines fiktiven Gastmahls stattfinden, den sogenannten Noctes Atticae.
Die Epistolographie erreicht in der Kaiserzeit mit Plinius dem Jüngeren ihren Höhepunkt, der uns zehn Bücher Briefe in rhetorisch brillantem Latein hinterlassen hat. Neun Bücher davon sind Privatkorrespondenz, die aber sehr wohl auch zur Publikation gedacht waren und einige Schätze enthalten, so etwa Briefe an Sueton, Tacitus, die Schilderungen seiner Landvillen und, Weltliteratur, die Beschreibung des Vesuvausbruchs und des Todes seines Onkels Plinius des Älteren. Bedeutsam für die Verwaltungs- und Provinzialgeschichte des römischen Reiches ist das zehnte Buch, der Briefwechsel, den Plinius als Statthalter und Sondergesandter des Kaisers in Bithynien und Pontos mit Kaiser Trajan geführt hat. Wir erleben hautnah die Sorgen eines Statthalters, die Themen, mit denen er sich beschäftigen muss und seine Unsicherheiten, deretwegen er sich an den Kaiser wendet. Und spektakulärerweise sind uns hier auch viele Antworten Trajans erhalten, die einzigen direkten Stellungnahmen eines römischen Kaisers zur Provinzialverwaltung, die wir haben. Höhepunkt des zehnten Buches ist der Briefwechsel, den Plinius mit Trajan über die Christenfrage in Bithyinien und Pontos führt.
Mit dem aus Spanien stammenden Seneca greifen wir den bedeutendsten lateinisch schreibenden stoischen Philosophen der Kaiserzeit. Er wirkte als Prinzenerzieher Neros, bis dieser sich von ihm emanzipierte. In seinen Dialogen und Epistulae morales ad Lucilium vertritt er ein humanes und kosmopolitisches Menschenbild. Er sieht z. B. die Sklaven als Menschen an. Aufgrund seiner angeblichen Teilnahme an der Pisonischen Verschwörung wurde er von Nero gezwungen, sich das Leben zu nehmen.
Zeitgenosse Senecas war auch Petron, der als arbiter elegantiae, also als Kenner in Stilfragen, als Party-Organisator am neronischen Hof tätig war. Seine literarhistorische Leistung liegt in der Schaffung des, soweit wir wissen, ersten lateinischen Romans, eines pikaresken Romans, der uns leider nur in Fragmenten erhalten ist. In diesem Satyricon ist der steinreiche Freigelassene Trimalchio innerhalb der Cena Trimalchionis, des Gastmahls des Trimalchio, eine Satire auf ungebildete Neureiche und arrogante Parvenüs, die offenbar typisch für die Zeit waren. In einigen Zügen Trimalchios lassen sich Charaktereigenschaften Neros erkennen, auch die Architektur seiner Villa mit einer drehbaren Rotunde spielt wohl auf Neros Goldenes Haus an. Es ist unklar, ob Nero Teile des umfangreichen Textes kannte und wenn ja, ob er die Anspielungen verstand. Fakt ist, dass auch Petron, wie sein stoischer Gegenpart Seneca, Selbstmord begehen musste. Der zweite lateinische Romancier, dem wir den einzigen vollständig erhaltenen lateinischen Roman, die Metamorphosen oder den Goldenen Esel, zu verdanken haben, ist Apuleius. Aus dem nordafrikanischen Madauros stammend wirkte er später als Anwalt in Rom. Sein Schelmenroman handelt vom jungen und neugierigen Lucius, der aufgrund eines Fehlers bei der Magieausübung in einen Esel verwandelt wird. Als solcher erlebt er mannigfache Abenteuer und schildert uns ein Kaleidoskop von provinzialem Leben in der römischen Kaiserzeit. Im berühmten 11. Buch wird Lucius aufgrund seiner Hinwendung zur Göttin Isis in menschliche Gestalt zurückverwandelt. Der Roman kann auf unterschiedlichste Art und Weise interpretiert werden, v.a. das 11. Buch, das sich mit dem Isis-Kult beschäftigt, gibt nach wie vor große interpretatorische Rätsel auf.
Apuleius gilt als Exponent der sogenannten Zweiten Sophistik im lateinischen Westen. Im griechischen Osten gab es jedoch viel mehr Sophisten, also Intellektuelle, die bewusst die Sprache des klassischen Attisch des 5. und 4. Jhs. v. Chr. nicht nur literarisch, sondern auch mündlich nachahmten. Starredner zogen von Stadt zu Stadt und deklamierten in attischem Griechisch zu klassischen Themen, etwa zu den Perserkriegen, was die Zeitgenossen aber kaum mehr verstanden. Es geht hier beileibe nicht nur um Bildungsdünkel, um die Zurschaustellung der eigenen kulturellen Überlegenheit über die Zuhörer, sondern auch um die Performanz und damit die Affirmation des hohen sozialen Status, den diese Redner genossen. Indem die Zuhörer diese Redner bewunderten, festigten sie deren gesellschaftlich und kulturell überlegene Position. Bedeutende Redner aus Kleinasien, die uns viel hinterlassen haben, sind Dio Chrysostomos und Aelius Aristeides, der einen Lobpreis auf Rom verfasst hat. Philostrat verfasste unter den Severern sogar eine Sammlung von Biographien über die Sophisten und ihre Errungenschaften.
In der Philosophie galt Epiktet als wichtiger Lehrer der Stoa. Sein Handbüchlein der Moral war wichtige Erbauungsliteratur in Spätantike und Früher Neuzeit. Fragmente wurden von Arrian überliefert. Ebenso zur Stoa zählen die Selbstbetrachtungen Marc Aurels, des einzigen Kaisers, von dem wir philosophische Gedankengänge überliefert haben. Marc Aurel rang sich diese unzusammenhängenden und zum Teil auch widersprüchlichen Aphorismen im Feldlager ab, denn die meiste Zeit musste er als Kaiser an der Nordgrenze gegen die Markomannen kämpfen. Eben weil diese Sentenzen private Aufzeichnungen und nicht zur Publikation bestimmt waren, ermöglichen sie uns einen unverstellten Einblick in das Denken Marc Aurels. Führungskräfte von Friedrich dem Großen bis Helmut Schmidt haben die Selbstbetrachtungen immer mit Gewinn gelesen.
Im Osten blühte aber auch die historische Prosa. Arrian beschrieb in seiner groß angelegten Anabasis den Zug Alexanders des Großen. Schon im Titel spielt Arrian auf Xenophons Anabasis an und suchte diese zu übertreffen. Appian schreibt im 2. Jh. 24 Bücher Rhomaika, eine Geschichte der Mittelmeerregionen bis zur römischen Eroberung. Hauptsächlich ist das eine Geschichte Italiens von den Gracchen bis 36 v. Chr. und damit eine wichtige Quelle für die Bürgerkriegszeit. Große Historiker sind weiter Flavius Josephus, der im Jüdischen Krieg die äußerst brutale und folgenreiche Auseinandersetzung Roms mit dem Judentum 66-70 n. Chr. beschreibt inklusive der Zerstörung Jerusalems und des Tempels sowie der Senator Cassius Dio, der unter den Severern eine groß angelegte römische Geschichte schrieb, die neben Tacitus und Sueton unsere Hauptquelle für das römische Kaisertum darstellt.
Besondere Erwähnung verdienen noch Plutarch, Pausanias und Lukian von Samosata. Plutarch war ein Polyhistor, einer der ganz großen Gelehrten des Altertums, der ein beinahe unüberschaubares Werk hinterlassen hat. Historisch wichtig sind v.a. seine Parallelbiographien, in denen er einem großen Griechen jeweils einen großen Römer gegenüberstellt. Auch ihm kommt es auf moralische Geschichtsschreibung an, auf die Zurschaustellung von exempla, anhand derer sich die Leser schulen können. Gerade das Aufeinanderbeziehen von griechischen und römischen Politikern zeigt, wie weit das Reich im zweiten Jahrhundert zusammengewachsen war und zumindest auf kultureller Ebene doch eine gewisse Koine, eine Einheit darstellte.
Pausanias schließlich hinterließ uns in seiner Periegesis kunsthistorische Schilderungen der wichtigsten Denkmäler Griechenlands, die er auf seinen Reisen besichtigte. Er gilt als Baedeker der Antike. Viele Denkmäler, die nicht mehr existent sind, wie etwa die Zeusstatue von Olympia, kennen wir oft nur durch ihn.
Lukian von Samosata am Euphrat ist einer der größten Spötter griechischer Zunge. Im zweiten Jahrhundert reiste er bis Gallien. Er verfasste Satiren, v.a. satirische Dialoge der Götter- und Hetärengespräche sowie Parodien. Weil seine Texte voller Ironie sind, die wir gar nicht immer erkennen, ist die Interpretation seiner Werke bis heute schwierig und oft umstritten.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Literatur der Kaiserzeit in Ost wie West von folgenden vier Zügen gekennzeichnet ist:
1. Einer Auseinandersetzung, oftmals indirekt, mit dem neuen Regierungssystem.
2. Einer akribischen Sammlertätigkeit, die oftmals in Werken von enzyklopädischer Breite dargeboten wird, offenbar um sich des Wissensstandes der Zeit zu vergewissern.
3. Einer eindringlichen Reflexion über die Vergangenheit.
4. Einer oftmaligen Hinwendung zu archaisierenden Themen und Motiven. Das Archaisieren geht oft bis in die Sprache hinein, so dass wir im zweiten Jahrhundert immer noch im Wesentlichen Attisch lesen, obwohl die Menschen bereits ganz anders sprachen. Auch diese thematische und sprachliche Rückschau, bzw. der Konservativismus, der sich hierin ausdrückt, dient wohl der Orientierungsfindung in einer immer unübersichtlicher werdenden „globalisierten“ Welt.

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05 – Die Gesellschaft der Kaiserzeit

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Werner Rieß
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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

05 – Die Gesellschaft der Kaiserzeit

Die römische Gesellschaft war seit den Tagen der Republik eine äußerst konservative Gesellschaft, in der sich sozialer Wandel nur sehr langsam vollzog. Da die Krise der römischen Republik primär eine politische war, änderte sich nur der politische Rahmen dieser Gesellschaft (aus einer Republik wurde eine Monarchie), die gesellschaftlichen Strukturen wurden aber im wesentlich beibehalten und überdauerten die Zeiten bis zu den großen Wandlungen in der Spätantike. Wir wollen uns in diesem Podcast mit den wesentlichen sozialen Gruppen befassen, das wären, von unten nach oben, die Sklaven, die Freigelassenen, die Provinzialen, die freien römischen Bürger, die Munizipalaristokratie, die Ritter, die Senatoren und schließlich das Kaiserhaus, die domus Augusta oder domus principis.
Ganz unten in der gesellschaftlichen Hierarchie standen die Sklaven. Ein Sklave war als Eigentum eines anderen rechtlos, ein bloßes Ding, lat. res. Die Zahl der Sklaven ging zwar im Prinzipat leicht zurück, da es keine Eroberungskriege mehr gab, dafür nahm aber die Zahl der hausgeborenen Sklaven zu, ebenso wohl die Zahl der Selbstversklavungen. Die Kindesaussetzungen taten ein Übriges, die Sklavenzahl relativ stabil zu halten. Wichtig ist, dass, sozial gesehen, die Sklaven keine homogene Schicht bildeten. Grundsätzlich ist zwischen Sklaven auf dem Land und solchen in der Stadt zu unterscheiden. Letzteren ging es in der Regel besser, weil sie einen direkten Kontakt zu ihrem Herrn hatten. Am schlimmsten erging es den Bergwerkssklaven, die, oftmals zur Bergwerksarbeit verurteilt, einen langsamen und qualvollen Tod starben. Auf dem Land waren ihre Einsatzgebiete vielfältig. Die Qualifizierten konnten sich bis zum Verwalter eines Landgutes hocharbeiten. Daneben gab es Experten für Obst-, Wein- und Olivenanbau und die Hirten, die besonders arm waren. Eigene Gruppen bildeten die Gladiatoren, unter denen sich allerdings nicht nur Sklaven, sondern auch Verbrecher und Kriegsgefangene befanden, und die Sklaven am Kaiserhof, die sogenannte familia Caesaris. Von ihnen gab es tausende.
Bei manchen kaiserzeitlichen Autoren findet sich ein Trend hin zur Humanisierung. Vor allem bei Seneca und Plinius dem Jüngeren finden sich verständnisvolle Töne und die feste Überzeugung, dass Sklaven Menschen wie Freie seien. Doch sind diese Stimmen der philosophischen Richtung der Stoa zuzuschreiben und vertreten wohl eine Minderheitenmeinung. Andererseits war das Leben von Sklaven aber nicht nur von exzessiver Brutalität und Ausbeutung geprägt, denn Sklaven waren immer auch teuer und wurden daher durchaus auch als kostbares Gut betrachtet. Eine zusätzliche Dimension der römischen Sklavenhaltergesellschaft stellt das Faktum dar, dass viele Sklavenbesitzer in ständiger Angst vor ihren eigenen Sklaven lebten.
Kommen wir zu den Freigelassenen, den liberti. In der Kaiserzeit nahm ihre Zahl zu, ihre Kinder galten dann bereits als Freigeborene. Viele Sklaven konnten sich durch die Ansparung einer gewissen Summe (peculium) von ihrem Herrn loskaufen, indem sie ihm den Kaufpreis zurückerstatteten. Es gibt fünf Freilassungsformen: Die sehr häufige manumissio testamento, also die Freilassung per Testament, die manumissio censu, vor dem Zensor, die manumissio vindicta, ein fiktiver Freilassungsprozess vor einem Magistrat und dann die häufigen manumissio inter amicos (also mündlich vor Zeugen) sowie die manumissio per epistulam. In den meisten Fällen behielten die Freigelassenen die beruflichen Tätigkeiten bei, die sie auch schon als Sklaven ausgeübt hatten. Das strikte Abhängigkeitsverhältnis zum dominus. zum Herrn, veränderte sich zu einem Klientelverhältnis zwischen Patron und Klient. Der Freigelassene schuldete seinem ehemaligen Herrn lebenslange Treue. Ikonographisch berühmt sind die vielen Freigelassenenreliefs von Ostia aus claudischer Zeit. Stolz zeigen sie den Freigelassenen, der mit seiner rechten Hand die rechte Hand seiner Frau ergreift. Hier wird betont, dass mit der Freilassung aus einem illegitimen Verhältnis zwischen zwei Sklaven eine anerkannte Ehe wurde. Die uxor legitima wird somit auch mit ins Bild gesetzt.
Für die römische Sozialgeschichte wichtig ist die Rolle der Freigelassenen im Kaiserkult. Sie gehören oft den seviri Augustales an. Bedeutenden Einfluss übten begabte Freigelassene zudem manchmal am Kaiserhof aus, nämlich immer dann, wenn der Kaiser den Senatoren misstraute und andere Loyalitäten brauchte, suchte und fand. Dies war unter Nero und Caligula der Fall, aber v.a. unter Claudius, unter dem Pallas und Narzissus teilweise die Regierungsgeschäfte de facto führten. Wieder sieht man, wie bei den Sklaven, dass Rechts- und Sozialstatus nicht unbedingt miteinander einhergingen.
Bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung des Römischen Reiches von ca. 60 Millionen Menschen beim Tod des Augustus waren nur ca. fünf Millionen römische Bürger. D.h. die überwiegende Mehrzahl der Reichsbevölkerung bestand aus freien Provinzialen, auch Peregrine genannt. Je nach Region unterschieden sie sich kulturell stark. Die römische Verwaltung musste sich aufgrund ihrer Ressourcenknappheit nur auf Hauptaufgaben beschränken; dies war die Schaffung von Ruhe und Ordnung, der Schutz von Leben und Eigentum und die Garantie der lokalen und regionalen Selbstverwaltung, auf die Rom unbedingt angewiesen war. In der Praxis bedeutete dies, dass Rom die lokalen Eliten in ihrem Herrschaftsanspruch stützte, Rom also als Garantiemacht der einheimischen Eliten fungierte. Rom legte also nur eine dünne Suprastruktur über die indigenen sozialen und rechtlichen Strukturen, die fortbestanden. Dank der papyrologischen Zeugnisse aus Ägypten erkennen wir, wie sich dort verschiedene Rechtskreise überlagerten, der altägyptische, der ptolemäische und der römische. In Trier wurde bis in die Spätantike hinein Keltisch gesprochen. Besonders in religiösen Dingen übten die Römer völlige Toleranz.
Auf der anderen Seite war progressiv denkenden Einheimischen klar, dass für sie und ihre Söhne ein sozialer Aufstieg nur innerhalb des römischen Systems möglich war. Langsam etablierten sich also römische Strukturen, lernten immer mehr Menschen Latein und bildeten sich regionale Mischkulturen aus, also einheimische Kulturen, die sich mehr oder weniger vom römischen way of life beeinflussen ließen, was wir auch in den archäologischen Quellen sehen. Und da immer mehr Menschen das römische Bürgerrecht erlangten, wurde die Großgruppe der römischen Bürger immer heterogener. Der Endpunkt war schließlich im Jahr 212/13 n. Chr. mit der Constitutio Antoniniana Caracallas erreicht, die allen Reichsbewohnern das römische Bürgerrecht verlieh. Fortan gab es also keine Provinzialen mehr.
Damit sind wir jetzt bei den römischen Bürgern angelangt: Seit den Expansionskriegen der hohen Republik fühlten sich die Römer als etwas Besonderes, sie waren gegenüber den unterworfenen Provinzialen sozial, wirtschaftlich, privat- und auch strafrechtlich privilegiert. Sie genossen aktives und passives Wahlrecht, die Volkstribunen schützten sie vor dem spontanen Zugriff von Magistraten auf Leib und Leben, sie durften an der Kolonisation teilnehmen, nur sie durften in den Legionen dienen, den Eliteeinheiten im römischen Heer, sie bekamen den Großteil der Kriegsbeute und nur sie hatten einen Anspruch auf Getreideversorgung in Rom. Es ist klar, dass diese Privilegien Neid bei den Italikern im 1. Jh. v. Chr. weckten, der sich im Bundesgenossenkrieg entlud. Als wichtigstes Ergebnis dieses Krieges ist festzuhalten, dass alle Italiker auf einen Schlag zu römischen Bürgern wurden. Caesar weitete das Bürgergebiet dann auf Norditalien aus, v.a. um auch dort Legionäre ausheben zu können. Schon vorher konnten Gruppen, die loyal zu Rom standen bzw. Einzelne, die sich um die Sache Roms verdient gemacht hatten, mit dem Bürgerrecht belohnt werden. Hier vermittelten entweder die Statthalter, oder die Militärpotentaten der späten Republik nahmen diese Verleihungen vor. In der Kaiserzeit waren also die Angehörigen der plebs urbana und der plebs rustica Italiens römische Bürger, ferner die Bewohner römischer Kolonien in den Provinzen, alle Legionäre, die Munizipalaristokratie sowie die örtlichen Honoratioren, sofern sie sich für die Sache Roms engagierten. Sobald jemand sich z. B. in einer latinischen Kolonie oder in einem Munizipium, das sich eine „römische“ Verfassung gegeben hatte, in ein Amt wählen ließ, bekam er meist automatisch das römische Bürgerrecht.
Die Munizipalaristokratie organisierte sich in Stadträten und bildete den sogenannten ordo decurionum, dem in den ca. 1000 Städten des Reiches wohl max. 150.000 Mitglieder angehörten. Die Zusammensetzung der Stadträte war äußerst heterogen. Während im römischen Augsburg ein Schweinehändler aufgenommen wurde, wäre das im vornehmen Alexandria undenkbar gewesen. Vor Ort gab es normalerweise eine Volksversammlung, zumindest noch im 1. Jh. n. Chr., welche die Magistrate wählte, die sich im Rat zusammenfanden, dem die Beamten rechenschaftspflichtig waren. Der Weg in den Rat erfolgte über die Bekleidung der städtischen Wahlämter, der sogenannten honores. Um sich zur Wahl aufstellen zu können, musste man freier Bürger der betreffenden Stadt sein, ein Mindestvermögen vorweisen können, in Karthago waren das z. B. 100.000 Sesterzen, andernorts sehr viel weniger, einer ehrbaren Tätigkeit nachgehen und in der Lage sein, vor dem Amtsantritt eine summa honoraria zu zahlen, also eine Art Eintrittsgebühr in die städtische Laufbahn. Die curia vor Ort bildete den Senat im Kleinen ab: Es gab einen Quaestor, einen Ädil und über diesen als eine Art Bürgermeister die duoviri oder auch quattuorviri. Alle fünf Jahre wurden die Oberbeamten duoviri quinquennales gennant, weil sie zensorische Aufgaben zu erfüllen hatten, d.h. z. B. die Bürgerverzeichnisse zu prüfen und die Mitgliedschaften im Rat festzuhalten sowie das album decurionum auf den neuesten Stand zu bringen. Für Canusium in Apulien ist uns aus dem Jahr 223 so ein album decurionum inschriftlich erhalten, das uns einen sensationellen Einblick in die soziale Zusammensetzung eines solchen Stadtrates bietet. Die Dekurionen, also die Mitglieder des städtischen Rates, aus dem sich auch die Magistrate speisten, waren für die städtische Selbstverwaltung zuständig und bildeten somit das Rückgrat der urbanen Kultur des römischen Reiches. Sie garantierten das Funktionieren der Verwaltung vor Ort und wurden von der Zentrale in ihren Privilegien geschützt. Allerdings wurde von den Dekurionen eine enorme Leistungs- und Spendenbereitschaft erwartet. Der sogenannte Euergetismus, die Wohltätigkeit, finanzierte die meisten Annehmlichkeiten vor Ort: Die städtischen Bauten, wie Fora, Bäder und Theater, Getreidespenden, Spiele, die städtische Gerichtsbarkeit, die Entlohnung von Ärzten und Lehrern sowie die Finanzierung ständiger Gesandtschaften an den Statthalter und den Kaiser, um sich den goodwill der Oberen gegenüber der Stadt zu erhalten. Ohne diesen Euergetismus, der über Jahrhunderte funktionierte, wäre die Blüte des Reiches im 2. Jh. nicht denkbar gewesen. Die Mentalität dieser städtischen Eliten unterschied sich von unserer fundamental. Man war stolz, diese Leistungen für die Heimatstadt erbringen zu können, ja man konkurrierte geradezu um diese Ämter, um seine eigene Freigebigkeit (munificentia) unter Beweis stellen zu können. Natürlich erwarteten die Spender und Stifter eine Gegenleistung der Bürger in Form von Dank und Anerkennung, die sich in tausenden von Ehreninschriften mit Ehrenstatuen niederschlugen. Das Studium der Inschriften, also die Epigraphik, hat uns das Funktionieren des Euergetismus gelehrt. Im 2. Jh. wurden jedoch keine Rücklagen gebildet. Die Städte, v.a. im Osten, wetteiferten um die schönsten städtischen Bauten und verschuldeten sich hoch. Immer mehr Belastungen wurden vom Statthalter auf die munizipalen Eliten abgewälzt, sie gelangten an den Rand ihrer finanziellen Belastbarkeit. Gleichzeitig wurden durch die Verleihung von Privilegien immer mehr Gruppen von den Leistungsverpflichtungen (munera) befreit, wie etwa hohe Beamte, Senatoren, langgediente Soldaten und Offiziere, Veteranen, Ärzte, städtisch angestellte Lehrer, Priester u.a.m.. Das heißt, immer weniger Honoratioren hatten immer größere Aufwendungen zu bestreiten. In der ausgehenden Spätantike kollabierte das System schließlich, immer mehr Dekurionen zogen sich in Klöster zurück bzw. konnten die Zahlungen einfach nicht mehr leisten. Als Folge zerfiel langsam auch die städtische Infrastruktur, die antiken Strukturen lösten sich auf.
Als Dekurion konnte man auch in den Ritterstand aufsteigen. Der ordo equester spielte in der Reichsverwaltung eine ganz entscheidende Rolle, denn viele Ritter, wenn auch keineswegs alle, waren im militärischen oder im zivilen Bereich im Reichsdienst tätig. Der Ritterstand war im Gegensatz zum Senatorenstand ein Personenstand, d.h. der Sohn eines Ritters war nicht automatisch Ritter. Er musste sich erst selbst verdient machen, um vom Kaiser in den ordo equester erhoben zu werden. Voraussetzungen waren die freie Geburt seit mindestens zwei Generationen, was oft missachtet wurde, sowie ein Mindestvermögen von 400.000 Sesterzen. Dem Stand gehörten aber nicht nur Menschen an, die sich für den Staat engagierten, sondern auch Großgrundbesitzer, reiche Dekurionen, Literaten, Intellektuelle und Juristen. Martial und Sueton waren genauso Ritter wie Pontius Pilatus und der Jurist Ulpian. Die Zahl der Ritter im Reichsdienst nahm ständig zu, weil die Aufgaben immer mehr wurden. Unter Augustus gab es ca. 300 Stellen für ritterliche Offiziere, im 2. Jh. waren es wohl ca. 500. Die meisten Provinzen wurden jedoch von senatorischen Statthaltern verwaltet. Beim Tod des Augustus 14 n. Chr. standen acht von 31 Provinzen unter ritterlichen Statthaltern, um 150 n. Chr. waren es 13 von 46. Der Reichsdienst begann typischerweise mit den sogenannten tres militiae equestres, also drei aufeinander aufbauenden militärischen Rangstufen. Ab dem 2. Jh. kam noch eine vierte hinzu. Nach dieser langen Zeit beim Militär an den Grenzen folgte der zivile Dienst in einer Vielzahl von Stellen in den Provinzen, wiederum in unterschiedlichen Rangstufen. Die höchsten ritterlichen Ämter waren der praefectus classis, der Flottenkommandant, der praefectus vigilum in Rom (Chef der Nachtwachen und Feuerwehr), der praefectus Aegypti (der Statthalter von Ägypten war seit Augustus grundsätzlich ein Ritter, um den Aufbau senatorischer Macht in dieser reichen Provinz zu vermeiden), der praefectus annonae, der für die Getreideversorgung zuständig war sowie der praefectus praetorio, der Chef der Prätorianergarde in Rom. Statussymbole der Ritter waren der schmale Purpurstreifen an der Toga (angustus clavus), eine Paradadeuniform und Ehrensitze im Theater.
Eine Konkurrenz zu den Senatoren gab es zu keinem Zeitpunkt, im Gegenteil, zahlreiche Ritter- und Senatorenfamilien waren durch Heiraten verwandtschaftlich verbunden. Und somit sind wir auch schon beim höchsten Stand angelangt, beim ordo senatorius. Schon unter Augustus hatten die Senatoren ihre politischen Kompetenzen weitgehend verloren, doch ihr Sozialprestige blieb unangefochten. Eine Million Sesterzen war der Mindestzensus, um in die vornehme Körperschaft aufgenommen zu werden. Wichtig ist, dass sich der Senat seit der Späten Republik immer mehr zu einem Stand entwickelte, ein Prozess der erst in claudischer Zeit abgeschlossen sein sollte, d.h. der Sohn eines Senators gehörte zwar als Minderjähriger noch nicht dem Gremium „Senat“ an, aber er war bereits im Senatorenstand geboren. Auch Frauen gehörten dem Senatorenstand an, ohne der Körperschaft anzugehören.
Nach den wiederholten Säuberungen des Senats durch Augustus und seiner Aufstockung mit Weggefährten und loyalen Freunden gehörten ihm etwa 600 Mitglieder an. Schon unter Tiberius hatten die meisten Senatoren die Republik nicht mehr selbst erlebt. Die Erinnerung an das republikanische Erbe schwand zunehmend. Durch die Bürgerkriege und die Beseitigung von monarchiekritischen Stimmen hatte sich die Zusammensetzung des Senats stark verändert, nur noch ganz wenige Familien konnten sich auf republikanische Vorfahren zurückführen. Doch obwohl der Senat politisch entmachtet war, konnte der Kaiser auf ihn nicht verzichten. Die Senatoren waren es, die für ihn das Reich verwalteten, die, wie oben erwähnt, die meisten Statthalter in den Provinzen stellten und auch die hohen militärischen Kommandos innehatten. Nur bei den Senatoren waren die Bildung und das Know-how vorhanden, den Reichsdienst im Wesentlichen zu tragen. Somit ergab sich eine sensible Balance, welche die Kaiser mit dem Senat erhalten mussten. Auf den eigenen Herrschaftsanspruch wollten und konnten die Kaiser nicht verzichten, aber sie mussten ihn so verbrämen, dass die stolzen Senatoren keinen Anstoß daran nahmen; die Kommunikation musste so subtil sein, dass sich die Senatoren wertgeschätzt fühlten, auch wenn sie de facto die Leitlinien der Politik nicht bestimmen konnten. Bei weitem nicht alle Kaiser beherrschten diesen Drahtseilakt so gut wie Augustus. Die sogenannten schlechten Kaiser, wie Caligula oder Nero, hatten permanent Probleme mit dem Senat und bekamen von diesem schlechte Presse, die bis heute nachwirkt. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass die Senatoren die Geschichtsschreiber waren. Für gut befanden sie die Kaiser, die mit dem Senat gut auskamen, als schlecht, bösartig und geradezu wahnsinnig wurden diejenigen charakterisiert, welche die Rechte des Senats nicht zu achten wussten.
Nach wie vor gab es eine Ämterhierarchie innerhalb des Senats, den cursus honorum, der nun von den Kaisern reguliert und normiert wurde. Die alte republikanische Konkurrenz der führenden Familien um die Ehrenstellungen im Staat fand jetzt unter veränderten Vorzeichen statt. Der Kaiser überwachte diesen Wettbewerb, er legte die Spielregeln des Wettkampfes fest und er traf letztendlich alle Personalentscheidungen, wenn auch zu Anfang des Prinzipats noch Wahlen durch die Volksversammlungen stattfanden (wobei der Prinzeps bestimmte, wer zur Wahl aufgestellt wurde!).
Die Ämter, die die Senatoren bekleideten waren sowohl im militärischen als auch im zivilen Sektor angesiedelt. Sie wurden also in beiden Bereichen ausgebildet. Als Statthalter einer Provinz vertraten sie den Kaiser vor Ort und bildeten somit die militärische, administrative und jurisdiktionelle Spitze einer Provinz. Ronald Syme nannte diese Männer daher treffend all-round gentlemen.
Der Senat war grundsätzlich ethnisch offen. Im Laufe des zweiten Jahrhunderts wurden immer mehr reiche Bürger aus den Provinzen zu Senatoren, v.a. aus dem griechischen Osten. Keine Senatoren sind aus Britannien, den beiden germanischen Provinzen, Rätien und Noricum belegt, offenbar griff die Romanisierung hier nicht so tiefgreifend wie in der Gallia Narbonensis, Hispanien und Kleinasien und Africa.
An der Spitze der Gesellschaftspyramide stand der princeps mit seiner Familie, der domus principis. Beim Kaiser liefen alle Fäden der Politik und der Administration zusammen. Verfassungsrechtlich lässt sich seine Position nur schwer bestimmen. Seine Machtfülle übersteigt die Kumulation von Amtsgewalten, die Augustus vorgenommen hatte. Römisch ausgedrückt besteht die Machtbasis des Prinzeps aus einer Vielzahl von Klientelbeziehungen. Der Kaiser war der oberste Patron der Soldaten, der plebs urbana sowie der römischen Bürger generell und auch der Provinzialen. Eine größere Klientel war nicht vorstellbar. Egon Flaig bezeichnet dieses Reich als ein Akzeptanzsystem. Und um diese Akzeptanz der verschiedenen sozialen Gruppen musste der Kaiser stets bemüht sein. Der Kaiser besaß zudem das größte Vermögen des Reiches und er hatte auch allen militärischen Ruhm auf seine Person monopolisiert. Siege seiner Generäle wurden ihm zugeschrieben. Die Loyalität der Armee wie der Prätorianergarde war die ganz konkrete Grundlage und Absicherung dieser Militärmonarchie.
Und eben weil der Kaiser die soziale wie politische Spitzenposition einnahm, hatte er eine enorme Aufgabenfülle zu bewältigen. Er musste hunderte von Personalentscheidungen im Jahr fällen, eine ausführliche Korrespondenz mit seinen Statthaltern pflegen, mit Hilfe seiner Kanzlei Bittgesuche und Anfragen beantworten, Dutzende von Gesandtschaften empfangen, Entscheidungen über Schenkungen, Stiftungen, Steuererleichterungen und v.a. über Krieg und Frieden treffen. Hinzu kam eine aufwändige Gerichtsbarkeit, denn der Kaiser war oberste Appellationsinstanz. Ein zum Tode verurteilter römischer Bürger konnte immer den Kaiser anrufen. Wir wissen, dass die fähigen und verantwortungsvollen Kaiser rund um die Uhr arbeiteten. Das Funktionieren des Reiches war nur möglich, wenn sich der Kaiser auf fähige und loyale Menschen in seiner Umgebung verlassen konnte, d.h. sowohl in seiner eigenen Famile, der domus principis, als auch im weiteren Umfeld der familia Caesaris, die ein sehr weitgespannter Personenkreis war, der durch die Einbeziehung von kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen tausende von Mitgliedern umfasste. Unter schwachen Kaisern entstand an der Spitze ein Machtvakuum, das sofort von anderen Gruppen ausgefüllt wurde, das waren in erster Linie andere Mitglieder der Kaiserfamilie, v.a. auch ehrgeizige Frauen, und fähige Freigelassene, die die Geschicke des Reiches leiteten, ohne dass es zu größeren Verwerfungen kam. Gefährlich wurde es für den Prinzeps immer dann, wenn er seine Nachfolge nicht selbst regelte, sondern einen Kampf um sein Erbe zuließ. Potentielle Kandidaten und ihre Entourage kämpften dann mit allen Mitteln, die bis hin zum Mord in der kaiserlichen Familie und zum Attentat auf den Kaiser selbst reichten. Dass die existentielle Bedrohung des Lebens des Prinzeps meist nicht von den Senatoren, sondern gerade von seinen eigenen Familienmitgliedern ausging, verdeutlicht vielleicht mehr als alles andere die extrem personale Regierungsform des Prinzipats und die wahren Machtverhältnisse. Die Struktur des Prinzipats wurde nicht in Frage gestellt, der Senat erwog weder die Rückkehr zur Republik noch etwaige Reformen. Schlechte Verhältnisse wurden ausschließlich auf die Person des Kaisers selbst zurückgeführt. Besserung versprach nach dieser Auffassung eben nur seine Beseitigung und Ersetzung durch einen geeigneteren Kandidaten. Angesichts dieser stets labilen Verhältnisse erstaunen die Stabilität und Langlebigkeit des Reiches. Erst mit den Reformen Diokletians wurde das Wesen des Prinzipats grundlegend umgestaltet.

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04 – Das 3. Jh. n. Chr: Severer, Soldatenkaiser, Sassaniden und Germanen

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Werner Rieß
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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

04 – Das 3. Jh. n. Chr.:
Die Severer, Soldatenkaiser, Sassaniden und Germanen

Als Commodus am letzten Tag des Jahres 192 ermordet wurde, wurde noch in der gleichen Nacht der Stadtpräfekt Publius Helvius Pertinax zum Kaiser gemacht. Anfänglich gewann er die Prätorianer wie den Senat durch Bestechung, doch fortan setzte er zum Wohlgefallen der Senatoren auf Korrektheit und Integrität; er wollte sich offenbar von den Prätorianern unabhängiger machen. Diese waren mit dieser Politik nicht einverstanden und töteten ihn nach nur drei Monaten im Amt. Es kam jetzt zu einer der unwürdigsten Szenen der römischen Geschichte überhaupt: Der Prinzipat wurde an den Meistbietenden versteigert! Den Zuschlag bekam der reiche Senator Didius Iulianus, der das Kaisertum für 25.000 Sesterzen pro Prätorianer kaufte. Die Grenzheere lehnten sich dagegen auf: Die syrische Armee erhob Pescennius Niger, das Donauheer setzte auf Septimius Severus, der der Begründer einer neuen Dynastie werden sollte, und Britannien schickte Clodius Albinus in das blutige Rennen um den Kaiserthron. Wieder zeigt sich nach Abbruch einer legitimen Erbfolge, wie beim Ende der iulisch-claudischen Dynastie, dass der Kaiser auf dem Schlachtfeld des Bürgerkrieges gemacht wurde. Auch die Räume der Truppenerhebungen waren ähnlich wie im ersten Jahrhundert, nur dass sich nun die Schlagkraft aufgrund der Markomannenkriege sehr zugunsten des Donauheers verschoben hatte.

Unter den drei Thronprätendenten war Severus wahrscheinlich der fähigste, derjenige, der eine gewisse Vision für das Reich zu haben schien, wie sich an seiner Herrschaft zeigen würde. Severus war kein Unbekannter, er stammte aus einer konsularen Familie aus Nordafrika und war vor seinem Kaisertum Quaestor in der Baetica und auf Sardinien, Legat des Proconsuls in Africa, dann Legionslegat, schließlich Statthalter der Gallia Lugdunensis und ab 191 Legat von Oberpannonien, als ihn die Nachricht von der Ermordung des Pertinax erreichte. Er setzt sich sofort in Marsch, kommt ohne Widerstand bis Ravenna und erreicht im Juni 193 Rom. Iulianus war schon vorher ermordet worden. Nach der Sicherung Roms macht er geschickt den Mitkonkurrenten Clodius Albinus zum Mitkaiser und wendet sich nach Osten, um gegen Pescennius Niger zu kämpfen. Niger fällt in der Entscheidungsschlacht von Issos 194 n. Chr.. Severus drängt nun weiter nach Osten: Er geht über den Euphrat und stößt bis zum Tigris vor. Er nimmt die Siegerbeinamen Arabicus und Adiabenicus an. Doch er kann den Osten nicht weiter sichern, weil sich Albinus im Westen wieder offen gegen ihn wendet. Severus reiht sich fiktiv in die Abstammungslinie Marc Aurels ein, indem er seinen Sohn Bassianus (später bekannt als Caracalla) M. Aurelius Antoninus nennt. Severus zieht in Gewaltmärschen nach Westen, sichert die Alpenpässe und hält sich kurz in Rom auf, bevor es 197 zur Entscheidungsschlacht bei Lugdunum kommt. Albinus verliert die Schlacht und nimmt sich selbst das Leben. Die Bürgerkriege hatten also von 193 bis 197 gedauert.

Auf die weiteren Expansionsbestrebungen im Osten können wir in diesem Rahmen nicht eingehen. Wichtiger ist vielmehr, welche Leistungen Severus für das Reich erbrachte und wie es sich unter seiner Herrschaft veränderte. Viele Entwicklungen weisen auch schon Tendenzen der Spätantike auf. Die alte Prätorianergarde wird aufgelöst und mit Männern aus der Donauarmee besetzt. Das Militär gewinnt generell unter Severus an Bedeutung, der Senat verliert an Einfluss. Der Prinzipat verhärtet sich und wird autoritärer. „Polizeikräfte“ werden aufgestockt und durch gelegentliche Provinzverkleinerungen auch effektiver. Rache an politischen Gegnern wird systematisiert. Am meisten profitieren die Truppen, ihre Lebensbedingungen verbessern sich. Bei der Besetzung von Verwaltungsstellen werden Ritter und Offiziere bevorzugt. In den Grenzräumen reussieren neue Gruppen, die alten Eliten Italiens verlieren an Bedeutung. In einer Abkehr von der augusteischen Politik wird Italien remilitarisiert, die Macht des Kaisers konsolidiert sich weiter. Die Rechtsprechung funktioniert gut, oftmals gibt es Urteile zugunsten der Unterschichten. Gefördert wird v.a. der Urbanismus in Nordafrika, v.a. die Heimatstadt des Severus, Leptis Magna, wo ein Severerbogen, eine neues Forum, eine Basilika und andere Gebäude entstehen. Aber auch in anderen Teilen des Reiches, wie etwa Rätien, scheint der Urbanismus erst jetzt, unter den Severern, den Höhepunkt erreicht zu haben.

Bei Severus‘ Tod in Britannien kommt es sofort zum Konflikt zwischen seinen Söhnen, Caracalla und Geta. Caracalla lässt seinen Bruder 212 ermorden und erlässt noch im selben Jahr, vielleicht um von dieser Untat abzulenken, seine berühmte Constitutio Antoniniana, die alle Reichsbewohner zu römischen Bürgern machte.

Die senatorisch geprägten Quellen überliefern uns wieder einmal das Bild eines verrückten, oder zumindest megolamonen Kaisers. Riesige Bauprojekte, wie etwa die Caracalla-Thermen in Rom, mögen darauf hindeuten. Wenn es richtig ist, dass Caracalla ein Bewunderer Alexanders des Großen war und aus diesem Grund eine Phalanx für den Partherkrieg in historischer Tracht aufstellen ließ, so mutet dies in der Tat bedenklich an. Andererseits ergreift er durchaus sinnvolle Maßnahmen. Außenpolitisch ist auch er aktiv. Er schlägt 213 die Alemannen und lässt den rätischen Limes mit einer Steinmauer sichern. Für mehrere Jahrzehnte herrscht nun Ruhe im Norden. Auf seinem Weg nach Osten lässt er in Alexandria Tausende töten. Sein Partherfeldzug wird zum Fiasko. Seine Werbung um die Königstochter scheitert, 216 öffnet und plündert er die Gräber der Könige von Adiabene. Ein Jahr später wird er völlig überraschend von einem seiner Soldaten getötet.

Der Prätorianerpräfekt Marcus Opellius Macrinus wird für kurze Zeit Kaiser, er erleidet gleich eine Niederlage gegen die Parther bei Nisibis. Die syrische Verwandtschaft des Severus, v.a. die Frauen greifen nun ein in das Spiel um die Macht. Die Schwester Iulia Domnas war Iulia Maesa. Ihre beiden Töchter, Iulia Soaemias und Iulia Mamaea, waren mit Syrern verheiratet. Beide hatten Söhne, Iulia Soaemias den Elagabal, Iulia Mamaea den Severus Alexander. Mit den Frauen kam auch der Kult des syrischen Sonnengottes Elagabal nach Rom und zwar in Form eines großen Meteoriten, dem nun Verehrung gebührte. Doch noch einmal zurück in den Osten: Iulia Maesa verbreitete unter den Truppen das Gerücht, dass Elagabal ein Sohn von Caracalla sei und Bestechungen der Legionäre taten das ihrige, um Elagabal von den Truppen 218 zum Kaiser küren zu lassen. Es kommt zu einem kurzen Bürgerkrieg, in dem Macrinus und sein Sohn den Tod finden. Die Frauen ziehen mit ihren Söhnen in Rom ein. Die Senatoren und Ritter müssen Elagabals Verehrungen des Steins zusehen, er tanzt halbnackt hinter ihm her. Elagabal ist des Weiteren sexsüchtig, macht einen Tänzer zum Prätorianerpräfekten und einen Friseur zum Präfekt der Getreideversorgung. Es kam, wie es kommen musste: Soaemias und Elagabal werden ermordet, der minderjährige Severus Alexander, schwächlich, aber hochgebildet, wird unter der Regentschaft seiner Mutter und eines Staatsrates aus Senatoren und Rittern zum Kaiser. Mamaea hatte aus den Fehlern der Schwester gelernt und erzog ihren Sohn nach griechisch-römischer Manier. Im Juristen Ulpian und im Senator und Geschichtsschreiber Cassius Dio standen Severus Alexander fähige Männer zur Seite.

Rom befindet sich wieder im Zweifrontenkrieg gegen die Alemannen und die Perser. Der erste Sassanide Ardaschir ist ein äußerst dynamischer Herrscher, der bis nach Thrakien vordringen wollte. In Kappadokien plünderten bereits persische Reiter. Nur unter größten Mühen gelingt es Severus Alexander, der das Oberkommando übernimmt, Ardaschir zu schlagen. Doch er muss die römischen Truppen zurückziehen, da es im Norden schwere Germaneneinfälle gab, auf dem Rückmarsch erleiden die Römer enorme Verluste. Severus eilt nach Mogontiacum, dem heutigen Mainz. Er will mit den Germanen verhandeln und bietet auch Tributzahlungen an, doch er hatte ausgespielt, die Truppen wandten sich von ihm ab, Mamaea und ihr Sohn Alexander werden bei Mainz ermordet. Der Anführer der Meuterer, Maximinus Thrax, ein Thraker, wird von den Truppen zum Kaiser ausgerufen. Damit ist die severische Dynastie zu Ende.

In den folgenden Jahrzehnten wird das römische Reich von innen- und außenpolitischen Problemen gebeutelt. Die Forschung hat zwar gezeigt, dass man nicht mehr pauschal von „der“ Krise des römischen Reiches sprechen sollte, denn manche Reichsteile blieben von Verwüstungen verschont, wie etwa Africa, doch sind krisenhafte Phänomene beispielsweise in den Grenzregionen nicht zu leugnen. Das Römische Reich verändert sich in dieser Umbruchsphase. Die Kaiser lösen sich nun in rascher Reihenfolge ab, es sind Truppenführer, die aus der Armee kommen und oftmals Rom nicht einmal gesehen haben. Keinem von ihnen gelingt es aufgrund ihrer kurzen Regierungszeiten (sie sterben alle eines unnatürlichen Todes) eine Dynastie zu errichten. Wir sprechen daher von der Zeit der Soldatenkaiser. Erst am Ende des dritten Jahrhunderts sollte es dann Aurelian und v.a. Diokletian gelingen, die Dinge wieder zu konsolidieren. Und erst mit Konstantin sollte eine neue Dynastie entstehen, doch dann sind wir bereits in der Geschichte der Spätantike.

Betrachten wir nun in aller Kürze die Hauptereignisse zwischen 235 und 284 n. Chr. Wir können nicht auf jeden Kaiser eingehen, Kaiserlisten geben jederzeit Auskunft. Maximinus Thrax, der von den Truppen bei Mainz zum Kaiser ausgerufen wurde, war ein typischer Soldatenkaiser, der Rom nie betreten hat. Er geht brutal gegen die Germanen vor und schafft damit für etwa 20 Jahre Ruhe an der Rheingrenze. Innenpolitisch erhebt Thrax so drastisch die Steuern, dass sich eine Gegenbewegung in Nordafrika formiert, Gordian I. und Gordian II. werden zu Kaisern ausgerufen, können sich aber nicht halten. Der Senat ruft zwei eigene Kaiser aus, Pupienus und Balbinus, die sogenannten Senatskaiser. Maximinus Thrax marschiert nach Süden und belagert Aquileia, die italische Munizipalaristokratie steht geschlossen gegen ihn, er und sein Sohn werden getötet. D.h. alleine auf die Armee gestützt konnte ein Usurpator auch nicht regieren, der Basiskonsens musste breiter sein. Balbinus, Pupienus und Gordian III., der Enkel von Gordian I., ziehen im Triumph ein, doch die beiden Senatskaiser werden im Prätorianerlager ermordet. Gordian III. ist nun kurz Alleinherrscher.

Als der Sassanide Schapur I. 241 eine Großoffensive gegen Rom einleitet, führt ein enger Vetrauter Gordians, Timesitheus, die Gegenoffensive ab 243 recht erfolgreich durch. Doch er stirbt, und Kommandant wird nun der Araberscheich Philippus Arabs, der nun nicht mehr hinter dem Kaiser zurückstehen will. Als die Armee meutert, wird Gordian 244 bei Zaitha erschlagen, damit ist Philippus Arabs Kaiser, ein Orientale, der ganz in seinen Clan-Strukturen denkt und aus Misstrauen vor Fremden Familienangehörigen wichtige Positionen zuschanzt. Diese Vetternwirtschaft wird natürlich genau beobachtet und auch beargwöhnt. Mit Spannung wird er in Rom erwartet. Mit den Sassaniden hat er einen Kompromissfrieden geschlossen, nun bemüht er sich um die Anerkennung durch den Senat. Als Karpen und Goten in das Reich einfallen, kommt es in Folge auch zu Usurpationen. Gegen einen Usurpator in Pannonien schickt Arabs seinen Stadtpräfekten Decius, der Erfolge gegen die Goten erringt. Mit ihm fühlen sich die Soldaten viel mehr verbunden als mit dem Orientalen. 249 küren die Truppen Decius zum Kaiser, es kommt zu einer Schlacht gegen Arabs bei Verona, in der Arabs fällt, sein Sohn wird in Rom ermordet.

Decius war um 200 in Unterpannonien geboren worden, der Senat erkennt ihn sofort an und ehrt ihn. Decius ging in die Geschichte ein aufgrund seiner restaurativen Religionspolitik, die sicher auch den Problemen des Reiches geschuldet war. 250 erlässt er ein Opferedikt für die gesamte Reichsbevölkerung, d.h. jeder Reichsbewohner musste vor einem Standbild des Kaisers ein kleines Opfer darbringen, um religiöse und damit auch politische Loyalität dem Kaiser gegenüber zu bezeugen. Obwohl die Maßnahme nicht per se gegen die Christen gerichtet war, waren sie die Gruppe, die dieses Opfergebot nicht befolgen konnte. Da Nicht-Opfernde mit Schikanen aller Art bis hin zu Folter und Todesstrafe rechnen konnten, kam es de facto zur ersten großen Christenverfolgung.

250 errangen die Goten große Erfolge, sie beherrschten den Balkan. 251 kam es zu einer großen Schlacht bei Abrittus in der Dobrudscha, in der Decius und sein Sohn fielen. Die untere Donau war nun entblößt, die Goten plünderten wie sie wollten und zogen sich dann mit vielen Gefangenen wieder über die Donau zurück. Rom muss zusätzlich Tribute zahlen. In den nächsten Jahren überschlagen sich die Ereignisse, Kaiser lösen sich in schneller Reihenfolge ab, Hostilianus, Trebonianus Gallus, Aemilianus, Valerian, der 253 in Rom einzieht und sehr fähig und hoch respektiert ist. Es brennt an allen Grenzen, er erhebt seinen Sohn Gallienus zum Augustus, Valerian geht in den Osten. Dura Europos geht in erbitterten Kämpfen an die Sassaniden verloren. 260 gerät Valerian in persische Gefangenschaft und wird wohl zu Tode gefoltert. Ein Felsrelief aus Naqsch-i-Rustam nördlich von Persepolis hält die Niederlage Valerians fest.

Die Sassaniden überrennen nun den ganzen Osten, doch einige römische Widerstandsnester können sich halten, z. B. Palmyra. Unter Zenobia dehnt sich der Einflussbereich der Stadt bis zum Bosporus aus, doch das geht nur so lange gut, wie sie Roms Schwäche im Westen ausnutzen kann. Aurelian macht dem Palmyrenischen Sonderreich 271/72 ein Ende.

260 war ein gewisser Höhepunkt der Krise erreicht. Die Gefangennahme Valerians hatte auch die Stellung seines Sohnes Gallienus im Westen stark geschwächt. Es gibt wieder eine große Zahl von Gegenkaisern. Gallienus schickt seinen Sohn Saloninus nach Köln und stellt ihm den loyalen Silvanus an die Seite. Zwischen den beiden und dem Statthalter von Obergermanien, Postumus, entsteht ein Konflikt um Beute. Er belagert Köln, Saloninus und Silvanus werden ermordet, Postumus kreiert sofort ein Gallisches Sonderreich, das ca. 15 Jahre existierte. Postumus war ein ungemein fähiger Herrscher, der die Germanen auf Distanz halten konnte und damit die Gallier aller sozialen Schichten integrieren konnte. Seine Residenzen waren Trier und Köln. Zunächst geht er nicht nach Italien, um Gallienus herauszufordern, sondern bringt zeitweise auch Spanien und Britannien unter seine Kontrolle. Gallienus ist zunächst noch auf dem Balkan und in Ägypten gebunden, ab 263 bricht dann der Kampf zwischen den beiden aus. Gallienus wird von seinen eigenen Leuten getötet, Postumus dann aber auch, weil er seinen Soldaten nicht erlaubt hatte, Mainz nach der Zurückeroberung zu plündern.

Gallienus‘ Kaisertum fällt zwiespältig aus. Er regierte 253-260 neben seinem Vater, von 260-268 dann als Alleinherrscher. Bedeutsam ist, dass seine Militärreform Bestand haben sollte. Die Senatoren verlieren die militärischen Posten, die Rittern anvertraut werden, damit geht ein Machtverlust der Senatoren einher, das Berufssoldatentum gewinnt an Bedeutung. Wie Decius war auch Gallien überzeugter Heide. Die Sonderreiche lösen sich bald danach auf und werden dem Reichsverband wieder eingegliedert.

Unter Claudius Gothicus, der von 268 bis 270 regiert, gelingen einige Erfolge, die Alemannen werden am Gardasee besiegt, ein großer Sieg wird über die Goten im Moravatal errungen, doch Gothicus stirbt in Sirmium an der Pest. Der Senat ruft gleich einen Kaiser aus, Quintillus, der aber bei den Truppe nicht beliebt ist, die Aurelian zum Kaiser küren. Er ist, wie Claudius Gothicus, ein fähiger Kommandeur, der binnen drei Jahren Ordnung ins Chaos bringt, eine enorme Leistung, wenn man bedenkt, dass Germanen bis Umbrien plündernd durchs Land zogen. Sie begingen den Fehler, dass sie sich in kleine Gruppen aufteilten, so dass sie Aurelian leichter ausschalten konnte. Rom wird nun neu befestigt, mit der berühmten Aurelianischen Mauer, die noch heute über lange Strecken gut erhalten ist. Große Probleme gab es aber weiterhin an der Donau, so dass sich Aurelian gezwungen sah, Dakien zu räumen. Südlich der Donau entstehen zwei neue, kleinere Provinzen, Dacia Ripensis und Dacia Mediterrania. 271/72 wird das Palmyrenische Sonderreich wieder eingegliedert, 273/74 das Gallische Sonderreich beseitigt. 274 feiert Aurelian einen großen Triumph mit Gefangenen aus allen Weltteilen, Zenobia und Tetricus sind mit dabei, Aurelian bekommt den Beinamen restitutor orbis, Wiederhersteller des Erdkreises. Doch er wird, eigentlich grundlos, 275 von eigenen Leuten getötet.

Der Senat setzt einen alten Mann ein, einen gewissen Tacitus, der kurz später stirbt. Probus, wie Aurelian ein Illyrer aus Sirmium, kann sich behaupten. Er regiert 276-282 und muss ständig gegen Usurpatoren und Germanen Krieg führen. Schließlich wird er selbst ermordet.

In Rätien wird anschließend Carus ausgerufen, wieder ein Illyrer. Seine beiden Söhne sind Carinus und Numerianus. Carus stirbt unter ungeklärten Umständen im Osten, Numerianus folgt ihm im Osten nach, doch der Prätorianerpräfekt Aper ist der starke Mann vor Ort. Auch Numerian wird ermordert, Aper greift nach der Macht. Doch die Armee unterstützt den Troupier Diokles, den Kommandanten der Leibwache. Er tötet Aper vor der Heeresversammlung, in aller Öffentlichkeit. 285 findet bei Belgrad eine Entscheidungsschlacht zwischen Diokles und Carinus statt. Doch obwohl Carinus siegt, wird er von einem Offizier aus privaten Gründen ermordet, damit ist Diokles Kaiser. Und hier mit dem Kaiser, der sich kurz später Diokletian nennen sollte, beginnt die Spätantike.

Es war nun bei der Ereignisgeschichte des dritten Jahrhunderts viel die Rede von den Hauptgegnern der Römer im Norden und Westen, den Germanen, und den Sassaniden im Osten. Um die Bedrängnis der Römer das ganze dritte Jahrhundert hindurch zu verstehen, müssen wir uns nun ein wenig mit diesen beiden Hauptfeinden befassen.

Kurz zur Geschichte des Ostens: Die persische Dynastie der Achämeniden war im Alexanderzug untergegangen. Um 250 v. Chr. drangen die Parther, ein Reitervolk, aus dem Nordosten ein, das Geschlecht der Arsakiden übernahm die Herrschaft. Religiös waren die Parther tolerant, sie hellenisierten sich zusehends, oftmals tolerierten sie die Präsenz der Römer im Osten, obwohl es immer wieder zu Kriegen und Auseinandersetzungen kam. Die Situation änderte sich grundlegend, als ein gewisser Sasan westlich von Persepolis als Oberpriester den Kult Ahuramazdas in der Tradition Zarathustras zu Beginn des dritten Jahrhunderts pflegte. Das alte religiöse und kulturelle Selbstbewusstsein der Perser erwachte wieder. Sein Enkel Ardaschir betreibt nun eine Dynastiebildung und schlägt den Partherkönig Artabanos V., einen Arsakiden, vernichtend. Zwei Jahre später ist Ardaschir König, die alten persischen Traditionen werden wiederbelebt. Ardaschir I (224-241) und Schapur I (241-272) sind äußerst dynamische Herrscher, die ein Großreich errichten, das bis an den Aralsee und weit ins heutige Pakistan hineinreichte. Schapur I. dehnte den Einflussbereich der Sassaniden sogar bis an den Indus aus. Dieses neupersische Reich hatte bis zum Vordringen des Islam im 7. Jh. Bestand.

Religiös sind die Sassaniden intolerant, sie verfolgten Andersgläubige; Feueraltäre spielen eine große Rolle, die auch auf Münzen abgebildet werden. Vom Aufbau ihrer Gesellschaft wissen wir wenig. Offenbar behielten einige parthische Adelsfamilien, die sich mit dem neuen Regime arrangierten, ihre gehobenen Stellungen bei. Alles war zentralistisch auf den König hin ausgerichtet, straffer als bei den Parthern. Sieben besonders herausgehobene Familien bildeten die Hocharistokratie. Den Römern lehrten sie durch die Panzerreiterei das Fürchten. Sie hatten die Kataphrakten, die Panzerreiter, von den Parthern übernommen, aber weiterentwickelt. Militärisch waren diese den Römern meist überlegen.

Im Westen ist die bedeutendste Entwicklung, dass sich Germanengruppen zu neuen Großverbänden zusammenschließen, den Alemannen, Franken und den Goten. Der erste Einfall der Alemannen ins Dekumatenland erfolgt 213. 233 erfolgt der nächste Einbruch in die römische Provinz Rätien bis zum Bodensee und nach Oberschwaben, und dieser Einfall der Alemannen stellte eine Zäsur dar. Zwar werden die Alemannen zurückgedrängt, aber das Dekumatenland ist nun nicht mehr rein römisches Siedlungsgebiet, die Herrschaft der Römer geht im Südwesten Deutschlands allmählich verloren, 259/60 gibt es keine römische Defensive mehr. Die Alemannen stehen 260 sogar vor Mailand, wo sie aber von Gallienus zurückgedrängt werden. Die Siedlungsstruktur ändert sich. Die Menschen siedeln nun oft in befestigten Höhensiedlungen, die großen Lager haben ausgedient, die Römer setzen nun auf kleinere Verbände, die auch im Hinterland als mobile Eingreiftruppen dienen können. Die militärischen Strukturen der Spätantike deuten sich hier schon an.

Am Niederrhein schließen sich Brukterer, Chamaven und Salier zum Großverband der Franken zusammen. Um 230 und 250 stehen sie am Mittelrhein, werden aber von Postumus zurückgedrängt. Sie zerstören Utrecht, und es gelingt ihnen die Ansiedlung auf linksrheinischem Gebiet. Zahlreiche Einfälle in Gallien zerstören teilweise die römische Kultur. An der unteren Donau sind die Karpen gefährliche Gegner, doch weit gefährlicher und für die Zukunft bedeutsam sind die Goten. Die Gotenzüge stellen die vierte Migrationswelle skandinavischer Völker dar, die schon am Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. begonnen hatte. Im dritten Jahrhundert n. Chr. trennt der Dnjestr die Ostgoten von den Westgoten. Um 250 siedeln sich Goten auf der Krim an, die sog. Krimgoten. Im Kontakt mit den Jazygen und den Alanen entwickeln die Goten eine schlagkräftige Reiterei. Von nun an fallen die Goten ständig ins Römische Reich ein, all das, noch einmal, parallel zu den Einfällen von Franken und Alemannen im Westen und der ständigen Bedrohung durch die Sassaniden im Osten. Die Goten plünderten schließlich auch in Griechenland, die römische Ordnungsmacht drohte sich im dritten Jahrhundert im Osten bereits aufzulösen. Die Römer müssen weitreichende Zugeständnisse machen: Sie zahlen Tribute an die Goten, ziehen sich aus Dakien zurück und siedeln teilweise Germanen im Grenzgebiet an. Die römischen Städte verändern ihr Bild, viele Städte werden nun aufgrund der unruhigen Zeiten befestigt, so Straßburg unter Konstantin oder auch Rom durch Aurelian mit der Aurelianischen Mauer. Vor allem in Italien (Pisaurum, Verona) und Griechenland verschanzen sich viele Menschen hinter Mauern. Das bedeutet vielerorts einen Bruch mit der offenen Siedlungsweise der römischen Kaiserzeit. Auch hier deuten sich im Leben der Menschen bereits Tendenzen der Spätantike an.

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