Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Homer
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Hom. Il. 18, 490-526 – Original
[490] ἐν δὲ δύω ποίησε πόλεις μερόπων ἀνθρώπωνκαλάς. ἐν τῇ μέν ῥα γάμοι τ᾽ ἔσαν εἰλαπίναι τε,
νύμφας δ᾽ ἐκ θαλάμων δαΐδων ὕπο λαμπομενάων
ἠγίνεον ἀνὰ ἄστυ, πολὺς δ᾽ ὑμέναιος ὀρώρει:
κοῦροι δ᾽ ὀρχηστῆρες ἐδίνεον, ἐν δ᾽ ἄρα τοῖσιν
[495] αὐλοὶ φόρμιγγές τε βοὴν ἔχον: αἳ δὲ γυναῖκες
ἱστάμεναι θαύμαζον ἐπὶ προθύροισιν ἑκάστη.
λαοὶ δ᾽ εἰν ἀγορῇ ἔσαν ἀθρόοι: ἔνθα δὲ νεῖκος
ὠρώρει, δύο δ᾽ ἄνδρες ἐνείκεον εἵνεκα ποινῆς
ἀνδρὸς ἀποφθιμένου: ὃ μὲν εὔχετο πάντ᾽ ἀποδοῦναι
[500] δήμῳ πιφαύσκων, ὃ δ᾽ ἀναίνετο μηδὲν ἑλέσθαι:
ἄμφω δ᾽ ἱέσθην ἐπὶ ἴστορι πεῖραρ ἑλέσθαι.
λαοὶ δ᾽ ἀμφοτέροισιν ἐπήπυον ἀμφὶς ἀρωγοί:
κήρυκες δ᾽ ἄρα λαὸν ἐρήτυον: οἳ δὲ γέροντες
εἵατ᾽ ἐπὶ ξεστοῖσι λίθοις ἱερῷ ἐνὶ κύκλῳ,
[505] σκῆπτρα δὲ κηρύκων ἐν χέρσ᾽ ἔχον ἠεροφώνων:
τοῖσιν ἔπειτ᾽ ἤϊσσον, ἀμοιβηδὶς δὲ δίκαζον.
κεῖτο δ᾽ ἄρ᾽ ἐν μέσσοισι δύω χρυσοῖο τάλαντα,
τῷ δόμεν ὃς μετὰ τοῖσι δίκην ἰθύντατα εἴποι.
τὴν δ᾽ ἑτέρην πόλιν ἀμφὶ δύω στρατοὶ ἥατο λαῶν
[510] τεύχεσι λαμπόμενοι: δίχα δέ σφισιν ἥνδανε βουλή,
ἠὲ διαπραθέειν ἢ ἄνδιχα πάντα δάσασθαι
κτῆσιν ὅσην πτολίεθρον ἐπήρατον ἐντὸς ἔεργεν:
οἳ δ᾽ οὔ πω πείθοντο, λόχῳ δ᾽ ὑπεθωρήσσοντο.
τεῖχος μέν ῥ᾽ ἄλοχοί τε φίλαι καὶ νήπια τέκνα
[515] ῥύατ᾽ ἐφεσταότες, μετὰ δ᾽ ἀνέρες οὓς ἔχε γῆρας:
οἳ δ᾽ ἴσαν: ἦρχε δ᾽ ἄρά σφιν Ἄρης καὶ Παλλὰς Ἀθήνη
ἄμφω χρυσείω, χρύσεια δὲ εἵματα ἕσθην,
καλὼ καὶ μεγάλω σὺν τεύχεσιν, ὥς τε θεώ περ
ἀμφὶς ἀριζήλω: λαοὶ δ᾽ ὑπολίζονες ἦσαν.
[520] οἳ δ᾽ ὅτε δή ῥ᾽ ἵκανον ὅθι σφίσιν εἶκε λοχῆσαι
ἐν ποταμῷ, ὅθι τ᾽ ἀρδμὸς ἔην πάντεσσι βοτοῖσιν,
ἔνθ᾽ ἄρα τοί γ᾽ ἵζοντ᾽ εἰλυμένοι αἴθοπι χαλκῷ.
τοῖσι δ᾽ ἔπειτ᾽ ἀπάνευθε δύω σκοποὶ εἵατο λαῶν
δέγμενοι ὁππότε μῆλα ἰδοίατο καὶ ἕλικας βοῦς.
[525] οἳ δὲ τάχα προγένοντο, δύω δ᾽ ἅμ᾽ ἕποντο νομῆες
τερπόμενοι σύριγξι: δόλον δ᾽ οὔ τι προνόησαν.
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: A. T. Murray
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Übersetzung
[490] Therein fashioned he also two cities of mortal men exceeding fair. In the one there were marriages and feastings, and by the light of the blazing torches they were leading the brides from their bowers through the city, and loud rose the bridal song. And young men were whirling in the dance, and in their midst [495] flutes and lyres sounded continually; and there the women stood each before her door and marvelled. But the folk were gathered in the place of assembly; for there a strife had arisen, and two men were striving about the blood-price of a man slain; the one avowed that he had paid all, [500] declaring his cause to the people, but the other refused to accept aught; and each was fain to win the issue on the word of a daysman. Moreover, the folk were cheering both, shewing favour to this side and to that. And heralds held back the folk, and the elders were sitting upon polished stones in the sacred circle, [505] holding in their hands the staves of the loud-voiced heralds. Therewith then would they spring up and give judgment, each in turn. And in the midst lay two talents of gold, to be given to him who so among them should utter the most righteous judgment. But around the other city lay in leaguer two hosts of warriors [510] gleaming in armour. And twofold plans found favour with them, either to lay waste the town or to divide in portions twain all the substance that the lovely city contained within. Howbeit the besieged would nowise hearken thereto, but were arming to meet the foe in an ambush. The wall were their dear wives and little children guarding, [515] as they stood thereon, and therewithal the men that were holden of old age; but the rest were faring forth, led of Ares and Pallas Athene, both fashioned in gold, and of gold was the raiment wherewith they were clad. Goodly were they and tall in their harness, as beseemeth gods, clear to view amid the rest, and the folk at their feet were smaller. [520] But when they were come to the place where it seemed good unto them to set their ambush, in a river-bed where was a watering-place for all herds alike, there they sate them down, clothed about with flaming bronze. Thereafter were two scouts set by them apart from the host, waiting till they should have sight of the sheep and sleek cattle. [525] And these came presently, and two herdsmen followed with them playing upon pipes; and of the guile wist they not at all.
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Tobias Nowitzki
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Hom. Il. 18, 490-526
1) Wie ist der Ablauf des beschriebenen Gerichtsprozesses?
2) Wieso schildert die Ilias in der Schildbeschreibung unter anderen Dingen gerade einen Prozess?
3) Welche Rückschlüsse lassen sich aus dem Prozess auf die archaische Gesellschaft ziehen?
Kommentar:
Die homerische Ilias ist eine der wenigen Quellen, die wir über die archaische Zeit Griechenlands haben. Zwar beschreibt sie bekannterweise den Trojanischen Krieg, der sich angeblich Jahrhunderte früher abgespielt hatte (die Welt der Heroen wird als eine mykenische imaginiert), aber die meisten Forscher gehen heute davon aus, dass in der Ilias im Wesentlichen die Zeit ihrer eigenen Abfassung beschrieben wird, d.h. die Welt der Archaik zwischen dem 8.-6. Jh. v. Chr. Ein Grund hierfür sind im Text erwähnte Phänomene, von denen wir wissen, dass sie sich erst nach den Dunklen Jahrhunderten, also in nachmykenischer Zeit entwickelt haben, wie beispielsweise die Kampfweise in der Phalanx.
In diesem Teil der Ilias wird der Schild des Achilles beschrieben, während Hephaistos ihn schmiedet. Neben einer Reihe anderer Darstellungen finden wir auf diesem Schild auch die Beschreibung eines Gerichtsprozesses, der wohl in archaischer Zeit anzusiedeln ist. Ein Mann hatte zuvor einen anderen Mann ermordet, und der Mörder wird nun angeklagt, das zur Vermeidung der Blutrache zu zahlende Blutgeld nicht entrichtet bzw. in nicht genügender Höhe entrichtet zu haben. Das Volk steht im Kreis um eine Reihe von Ältesten, die ihr Urteil fällen. Dabei spricht jeder von ihnen einzeln und gibt sein Urteil ab. Für das von den Anwesenden als das fairste und beste angesehene Urteil ist ein hoher Goldpreis ausgesetzt. Das Volk beeinflusst dabei offenbar die Richter, indem es durch Zurufe mal den einen, mal den anderen Prozessbeteiligten favorisiert.
Interessant ist nun die Frage, weshalb die Ilias in der ausführlichen Schildbeschreibung neben vielen anderen Dingen gerade diesen Prozess beschreibt. Zuerst einmal tut sie dies, weil auf dem Schild ein Spiegelbild der archaischen Gesellschaft angebracht ist, das alle wesentlichen Aspekte des Lebens enthält: Wir sehen dort unter anderem eine Hochzeit und, im zweiten hier angegebenen Teil, eine Belagerung. Da ein Mord üblicherweise mit der Blutrache am Mörder gesühnt wurde, die dann wiederum gerächt werden konnte, drohte ein Mord im schlimmsten Fall die Gemeinschaft in einen Bürgerkrieg mit einer endlosen Reihe von Akten der Blutrache zu stürzen. Daher sind Prozesse, die Tötungsdelikte bzw. deren Sühnung zum Gegenstand haben, in geordneten Verfahren ablaufen und deren Ergebnisse von der Gesellschaft und vor Allem von den Betroffenen akzeptiert werden, ein Schritt in Richtung Rechtssicherheit.
Aus dem Gesagten lassen sich auch einige Rückschlüsse auf die archaische Gesellschaft ziehen. Gewalt ist offenbar ein verbreitetes Phänomen. Allerdings ist die archaische Gesellschaft in der Lage, die eben beschriebene Gewaltspirale zu verhindern, oder zumindest einzudämmen. Denn der Prozess dreht sich hier nicht um die Frage der Bestrafung für den Mord. Diese ist schon erfolgt, indem der Mörder der Familie des Ermordeten ein Blutgeld gezahlt hat. Zumindest behauptet er dies, der Ankläger bestreitet die Zahlung jedoch. Es wird also lediglich verhandelt, ob das Blutgeld gezahlt wurde und wie hoch eventuell die Nachzahlung sein muss. Interessant ist hierbei auch, dass die Ältesten zu Gericht sitzen, offenbar soll auf ihre Lebenserfahrung zurückgegriffen werden – es kommt hier anscheinend nicht auf ein geschriebenes Gesetz an, wie wir es in modernen Staaten gewohnt sind. Der Text entstand also wohl vor der Welle von Gesetzeskodifikationen der spätarchaischen Zeit.
Siehe zum archaischen Rechtssystem auch den Beitrag zu Hesiod sowie den Beitrag zur Kodifikation der Gesetze durch Solon.