Christenverfolgung in Palästina

Originalquelle

 

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: Andreas Bigelmair
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Übersetzung

[3] Im Verlauf des zweiten Jahres entbrannte der Kampf gegen uns noch furchtbarer. Zu der Zeit, da Urbanus Statthalter der Provinz (Palästina) war, erging nämlich zum ersten Male ein Schreiben der Kaiser, das den allgemein verpflichtenden Befehl enthielt: allenthalben haben alle Einwohner den Götterbildern Opfer und Trankspenden zu entrichten. Damals legte Timotheus in Gaza, einer Stadt in Palästina, durch seine Ausdauer in allen Leiden eine glänzende Probe von der Echtheit seines Glaubens an Gott ab und erlangte die Krone der Sieger in den heiligen Kämpfen für die Religion: nach zahllosen Folterqualen, die er erdulden mußte, wurde er einem kleinen und langsam brennenden Feuer übergeben. Gleichzeitig mit ihm bewährten auch Agapius und unsere Zeitgenossin Thekla edelste Standhaftigkeit: sie wurden verurteilt, den wilden Tieren zum Fraße vorgeworfen zu werden. Doch wen hätte nicht Staunen erfaßt, wenn er mit ansah, was weiter geschah, wen hätte es nicht bis in die Seele hinein ergriffen, wenn er auch nur davon gehört? Als nämlich die Heiden ein Volksfest und die dabei üblichen Schauspiele feierten, sprach man vielfach davon, daß außer denen, die sonst schon vor ihnen zu kämpfen hatten, auch die jüngst zu den wilden Tieren Verurteilten zum Kampf erscheinen würden. Als das Gerücht hiervon sich immer weiter verbreitete und mehr und mehr zu allen drang, banden sich sechs Jünglinge, um ihre völlige Bereitwilligkeit zum Martyrium auszurücken, selbst die Hände, traten in raschem Schritte vor Urbanus, der eben gehen wollte und bekannten sich vor ihm als Christen. Ihr Aufnehmen eines Kampfes mit allen Schrecknisse zeigte es, daß diejenigen, welche sich des Glaubens an den Gott des Alls rühmen dürfen, auch vor den Angriffen von wilden Tieren kein Bangen empfinden. Der eine von ihnen hieß Timolaus und stammte aus dem Pontus, der zweite, aus Tripolis in Phönizien gebürtig, nannte sich Dionysius, der dritte von ihnen, mit Namen Romulus, war Subdiakon der Kirche in Diospolis; dazu kamen zwei Ägypter, Paesis und Alexander, und ein mit dem letzteren gleichnamiger Alexander von Gaza. Nicht gering war das Erstaunen, in das sie den Statthalter und seine Umgebung versetzten. Sofort wurden sie in das Gefängnis gebracht. Nachdem wenige Tage später ihnen zwei andere zugestellt worden waren – der eine, ebenfalls mit dem Namen Agapius, hatte schon vor ihnen ob seines wiederholten früheren Bekenntnisses schreckliche und mannigfache Foltern zu überstehen gehabt, der andere, der auch den Namen Dionysius trug, hatte ihnen das zum Lebensunterhalt nötige gebracht – , wurden alle, jetzt acht an der Zahl, an einem Tage in Cäsarea enthauptet, am vierundzwanzigsten Tage des Monats Dystrus, das ist am neunten Tage vor den Aprilkalenden.
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Autor_in: Tobias Nowitzki
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Euseb. De. Mart. Palaest. 3,1

Leitfragen:

1) Wie ist der Ablauf der Verfolgung in Palästina hier geschildert?

2) Welche Botschaft möchte der Autor mit diesem Bericht übermitteln?

3) Welche Rückschlüsse lässt die Quelle auf die Erfolgsaussichten der Verfolgung zu?

Kommentar:

Eusebius von Cäsarea war ein Schriftsteller um die Wende vom dritten zum vierten Jahrhundert n. Chr., seine Kirchengeschichte ist eine der wichtigsten Quellen für die Geschichte der Spätantike, besonders des Christentums. In diesem Abschnitt berichtet er von den Verfolgungen unter Diokletian, deren Zeitzeuge er selbst war.

Ebenso wie in den anderen Teilen des Reiches wurde das Opfergebot Diokletians auch in Palästina umgesetzt. Hier war das Christentum besonders stark, da es dort schließlich auch entstanden war. Wie vom Kaiser befohlen, ordnete der Statthalter an, dass alle Bürger opfern sollten. Die Christen, die sich aus Glaubensgründen weigerten, wurden verhaftet und zum Tode verurteilt. Dabei wichen viele, so berichtet Eusebius, nicht einmal unter Folter von ihrem Glauben ab, sondern gingen bereitwillig in den Tod. Diese sogenannten „Zeugen“ (martyroi – Märtyrer) wurden für die Kirche später zu Helden. Eusebius berichtet uns hier von Szenen, in denen die Christen so demonstrativ todesverachtend auftraten, dass der Statthalter sie nicht im Circus hinrichten, sondern nach weiteren Tagen im Gefängnis enthaupten ließ. Da es Eusebius auch darum ging, das Andenken an das Vorbild der Märtyrer hochzuhalten, nennt er viele von ihnen hier namentlich.

Die Botschaft des Autors ist deutlich aus dem Text zu sehen. Die Verfolger, in diesem Fall der Statthalter, schrecken vor keiner Brutalität zurück, um die Christen entweder zum Opfer zu zwingen, oder hinzurichten. Die Christen jedoch, so Eusebius‘ Botschaft, wehrten sich standhaft, indem sie für ihren Glauben bereitwillig in den Tod gingen, so qualvoll er auch sein mochte. Diese Opferbereitschaft trug sicherlich einen großen Teil dazu bei, dass die Verfolgungen nur wenige Jahre später von Galerius als offensichtlich aussichtslos eingestellt wurden. Allerdings ist zu erwähnen, dass nicht alle Christen sich so verhielten, wie es Eusebius hier suggeriert. Viele brachen mit ihrem Glauben und opferten, wie es verlangt wurde, um der Folter zu entgehen und ihr Leben zu retten. Der Umgang mit diesen „Gestrauchelten“ (lapsi) war später für die Kirche kein geringes Problem.

Aus der Quelle lässt sich denn auch einiges auf die Erfolgsaussichten der Verfolgungen schließen. Zuerst einmal ist die große Zahl offensichtlich, die die Christen inzwischen darstellten. Eine derartig brutale Behandlung so großer Teile der Bevölkerung hätte womöglich früher oder später auch zu Aufständen geführt, trotz der hier so eindrücklich demonstrierten Gewaltfreiheit der Märtyrer. Gleichzeitig sind diese Märtyrer auch das eigentliche Problem für die Verfolger. Wenn die Christen nicht vor der Hinrichtung zurückschrecken und sich sogar absichtlich aneinander fesseln, um ihre Opferbereitschaft auszudrücken, kann der Statthalter so viele hinrichten wie er will: Er hat den Kampf auf der moralischen und massenpsychologischen Ebene schon verloren. Seine Reaktion zeigt, dass er dies begriffen hatte. Anstatt den Märtyrern im Circus eine Bühne zu bieten, lässt er sie Tage später enthaupten, damit sie sich nicht in derart performativer Art und Weise für ihren Glauben würden opfern können.

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Siehe zur Christenverfolgung auch den anderen Bericht des Eusebius, den des Laktanz und zu den frühen Verfolgungen den des Tacitus. Zum Toleranzedikt siehe die entsprechende Stelle.

Laktanz zur Tetrarchie

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Autor_in: Lactanz
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Lact. De mort. pers. 7,2 – Original:

[7] Diocletianus, qui scelerum inventor et malorum machinator fuit, cum disperderet omnia, ne a deo quidem manus potuit abstinere. Hic orbem terrae simul et avaritia et timiditate subuerit. Tres enim particeps regni sui fecit in quattuor partes orbe diviso et multiplicatis exercitibus, cum singuli eorum longe maiorem numerum militum habere contenderent, quam priores principes habuerant, cum soli rem publicam gererent. Adeo maior esse coeperat numerus accipientium quam dantium, ut enormitate indictionum consumptis viribus colonorum desererentur agri et culturae verterentur in silvam. Et ut omnia terrore conplerentur, provinciae quoque in frustra concisae: multi praesides et plura officia singulis regionibus ac paene iam civitatibus incubare, item rationales multi et magistri et vicarii praefectorum, quibus omnibus civiles actus admodum rari, sed condemnationes tantum et proscriptiones frequentes, exactiones rerum innumerabilium non dicam crebrae, sed perpetuae, et in exactionibus iniuriae non ferendae. Haec quoque tolerari non possunt quae ad exhibendos milites spectant. Idem insatiabili avaritia thesauros numquam minui volebat, sed semper extraordinarias opes ac largitiones congerebat, ut ea quae recondebat, integra atque inviolata servaret. Idem cum variis iniquitatibus inmensam faceret cupiditatem, legem pretiis rerum venalium statuere conatus est. Tunc ob exigua et vilia multus sanguis effusus, nec venale quicquam metu apparebat et caritas multo deterius exarsit, noc lex necessitate ipsa post multorum exitium solveretur. Huc accedebat infinita quaedam cupiditas aedificandi, non minor provinciarum exactio in exhibendis operariis et artificibus et plaustris omnibusque quaecumque sint fabricandis operibus necessaria. Hic basilicae, hic circus, hic moneta, hic armorum fabrica, hic uxori domus, hic filiae.

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Übersetzung: Aloys Hartl
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Übersetzung

[7] Diokletian, groß in Erfindung von Verbrechen und im Anstiften von Unheil, konnte bei dem allgemeinen Verderben, das er verbreitete, auch von Gott die Hand nicht zurückhalten. Zwei Eigenschaften wirkten bei ihm zusammen, um den Erdkreis zu verderben: seine Habsucht und seine Furchtsamkeit. Er teilte das gesamte Reich in vier Teile und nahm drei Mitregenten an. Die Heere wurden vervielfältigt; jeder trachtete danach, eine weit größere Anzahl Soldaten zu besitzen, als die früheren Herrscher zur Zeit der Alleinherrschaft gehabt hatten. So ser stieg allmählich die Zahl der Empfänger über die Zahl der Geber, daß bei der Maßlosigkeit der Auflagen die Kräfte der Landsleute sich erschöpften, die Ländereien verlassen wurden und die Saatfelder sich in Wald verwandelten. Und um alles mit Schrecken zu erfüllen, wurden auch die Provinzen in Stücke geteilt. Statthalter in Menge mit zahlreichen Unterbeamten übten den Druck ihrer Herrschaft aus über jedes Gebiet und fast schon über jede Stadt. Dazu kam noch eine Menge von Schatzmeistern, Verwaltungsbeamten, Unterbefehlshabern, und bei all diesen gab es gar selten Verhandlungen in bürgerlichen Rechtssachenm sondern nur Verurteilungen und Gütereinziehungen. Die Einforderungen unzähliger Dinge kehrten nicht bloß häufig wieder, sondern dauerten immerfort, und bei der Einhebung kam es zu unerträglichen Ungerechtigkeiten. Doch das hätte man noch ertragen können, was zum Unterhalt der Soldaten notwendig ist. Aber Diokletian wollte zugleich in unersättlicher Habsucht seine Schatzammern nie vermindert sehen, sondern unaufhörlich raffte er auf außerordentlichem Wege Schätze und Gaben zusammen, um das, was er hinterlegt hatte, unversehrt und ungeschmälert zu bewahren. Durch mannigfaltige Ungerechtigkeiten hatte er eine ungeheure Teuerung hervorgerufen, und nun unternahm er es, den Preis der Lebensmittel durch Gesetz zu bestimmen. Jetzt kam es wegen geringfügiger und unbedeutender Dinge zu vielem Blutvergießen. Aus Furcht brachte man nichts Verkäufliches mehr auf den Markt, und die Teuerung nahm in weit schlimmerem Grade zu, bis die Notwendigkeit selbst das Gesetz nach dem Untergange wieder außer Gebrauch setzte. Zur Habsucht gesellte sich eine grenzenlose Baulust und eine nicht minder schrankenlose Ausplünderung der Provinzen, von denen Werkleute, Künstler, Lastwagen und alle Erfordernisse zur Herstellung der Bauten zu liefern waren. Hier gab es Gerichtshallen zu errichten, hier eine Rennbahn, hier eine Münzstätte, hier eine Waffenwerkstätte, hier ein Haus für die Gemahlin, hier eines für die Tochter.
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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Tobias Nowitzki
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Lact. De mort. pers. 7,2

Leitfragen:

1) Welche konkreten Anordnungen Diokletians werden von Laktanz beschrieben?

2) Welche Meinung hat der Autor nach dieser Quelle von Diokletian?

3) Wie sind Diokletians Handlungen zu beurteilen?

Kommentar:

Lactantius ist einer der wichtigsten christlichen Schriftsteller des dritten und vierten Jahrhunderts. Er erlebte die Christenverfolgungen am eigenen Leib mit und wurde um 315 Hoflehrer für Crispus, den Sohn des Kaisers Konstantin. In dieser Stelle aus seiner Schrift De mortibus persecutorum („Über die Todesarten der Verfolger“) berichtet er über Maßnahmen Diokletians.

Nach dem Bericht des Laktanz teilte Diokletian die Herrschaft des Reiches auf mehrere Personen auf, insgesamt vier, ein System, das wir Tetrarchie nennen. Das Heer wurde bedeutend vergrößert und die Anzahl der Provinzen durch ihre Verkleinerung vervielfacht. Ferner vermehrte Diokletian das Verwaltungspersonal, begann eine große Bautätigkeit und versuchte sogar, die im Reich herrschende Inflation zu bekämpfen.

Die Stellung des Laktanz zum Kaiser ist dabei eindeutig negativ. Nur aus Herrschsucht habe Diokletian so gehandelt, sein Preisedikt habe zu Unruhen geführt, er plünderte die Provinzen aus und unterjochte jeden einzelnen Untertanen mit seinen zahllosen Beamten, damit er seine Schatzkammern füllen und sich große Prachtbauten errichten konnte. Da Diokletian auch eine Christenverfolgung angeordnet hatte, ist die negative Haltung Laktanz‘ verständlich, die Forschung jedoch kommt in Bezug auf Diokletian zu anderen Urteilen.

Diokletian war der Kaiser, der am Ende der sogenannten Reichskrise des 3. Jhs. die Herrschaft übernahm. Er war mittels Gewalt an die Macht gekommen, wie viele seiner kurzlebigen Vorgänger. Da sich offenbar das Reich nicht mehr von einem Mann beherrschen ließ, bestellte er drei Mitkaiser; zu viert sollte man alle Teile des Reiches verwalten können. Ein starkes Militär wurde benötigt, um die Einfälle von Germanen zu bekämpfen und die Parther in Schach zu halten. Diokletian war jedoch bewusst, dass aus dem Heer zahllose Usurpatoren gegen ihre jeweiligen Kaiser aufgestanden waren. Um ein solches Szenario zu verhindern, wurden die Provinzen und damit die Militärkommandos verkleinert, sodass kein einzelner General oder Statthalter mehr die Macht hätte, sich mit Erfolgsaussichten zum Kaiser auszurufen. Diokletian hatte auch erkannt, dass eine Verdichtung der Staatsverwaltung notwendig war, um die Kontrolle zu behalten, also führte er viele neue Beamte ein. Zwar sind unter seinen Bauten auch Paläste, aber selbst Laktanz kommt nicht umhin zu erwähnen, dass viele dieser Bauten durchaus dem Reich dienten, wie Münzstätten und Gerichte. Und obgleich das Höchstpreisedikt zur Bekämpfung der Inflation am Ende wirkungslos war und auch andere Maßnahmen nicht so griffen, wie Diokletian es beabsichtigt hatte, muss man aus heutiger Perspektive sagen, dass Diokletian es mit seinen Reformen bewerkstelligte, die Dauerkrise des Reiches zumindest für kurze Zeit zu beenden.

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Sehen Sie auch den entsprechenden Beitrag zum Höchstpreisedikt und zu den Christenverfolgungen die jeweiligen Beiträge Christenverfolgung I und Christenverfolgung II.

Plotins Philosophie

Origninalquelle

 

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: Hermann Friedrich Müller
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Übersetzung

[3,4,2] Und von dieser Seele gilt hauptsächlich der Ausspruch: „alles was Seele ist, waltet über das Unbeseelte“; von den Einzelseelen gilt er in verschiedener Weise. „Sie durchwandert den ganzen Himmel bald in dieser, bald in jener Form“ d.h. entweder im empfindenden oder denkenden oder in der bloß vegetativen Form. Denn der herrschende Theil derselben thut das ihm Zukümmliche, die anderen Theile sind unthätig, denn sie sind ausserhalb. Im Menschen aber herrscht nicht das Schlechtere, sondern es ist zugleich mit vorhanden, freilich auch nicht stets das Bessere, sondern auch das Andere nimmt einen gewissen Raum ein. Deshalb [sind auch die Menschen nicht bloss denkende, sondern] auch empfindende Wesen. Sie haben ja auch Organe der Empfindung; auch erinnert vieles in ihnen an die Pflanzen, denn der Körper wächst und erzeugt. Alle Theile wirken also zusammen, nach dem Bessern aber wird die ganze Form als Mensch bezeichnet. Wenn nun die Seele den Körper verlässt, so wird sie das was sie in überwiegendem Maasse war. Deshalb muss man zu dem Höheren seine Zuflucht nehmen, um nicht zur sensitiven Seele zu werden, indem man den Bildern der sinnlichen Wahrnehmung folgt, noch zur vegetativen, indem man dem Zeugungstriebe und der sinnlichen Begier nach Speise folgt, sondern hinan zum Intellektuellen, zum Geist, zu Gott. Diejenigen welche den Menschen bewahrt haben, werden wieder Menschen; die welche bloss in sinnlicher Empfindung gelebt haben, Thiere. War ihre sinnliche Empfindung mit Zorn gepaart, werden sie wilde Thiere, und der hierbei stattfindende Unterschied bedingt den Unterschied dieser Thiere; war sie von Begierde begleitet, von sinnlicher Lust am Begehren, so werden sie die unmässigen und gefrässigen Thiere. Bildete aber nicht einmal die Empfindung im Verein mit diesen Trieben den Grund ihres Lebens, sondern gesellte sich Trägheit der Empfindung hinzu, so werden sie gar Pflanzen; denn dieser vegetative Theil war bei ihnen allein oder doch vorwiegend thätig, ihre Sorge war darauf gerichtet, Bäume zu werden. Diejenigen welche die Musik liebten, im übrigen aber lauter waren, lässt Plato zu Singvögeln werden; die welche als Könige unvernünftig regierten, zu Adlern, wenn nicht andereweitige Schlechtigkeit ihnen anhaftet; die welche sich mit ihren Gedanken in die Lüfte versteigen und sich ohne vernünftige Einsicht stets zum Himmel erheben, zu hochfliegenden Vögeln. Wer die bürgerliche Tugend besitzt, wird Mensch; wer sie aber in ungenügendem Grade besitzt, wird ein geselliges Thier, eine Biene oder dergleichen.
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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Tobias Nowitzki
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Plot. Enn. 3,4,2

Leitfragen:

1) Wie vollzieht sich nach Plotin der Abstieg der Seele?

2) Auf welcher Philosophie beruht Plotins Denkmodell?

3) In welchem Verhältnis steht diese Philosophie zu anderen religiös-philosophischen Phänomenen der Spätantike?

Kommentar:

Plotin, ein griechischer Philosoph des 3. Jahrhunderts n. Chr., kam wahrscheinlich aus Ägypten. Er gilt allgemein als einer der ersten und wichtigsten Vertreter des sogenannten Neuplatonismus, einer in der Spätantike sehr wichtigen philosophischen Strömung, die auf der Auslegung von Platons Werken beruht.

In diesem Abschnitt seiner Enneaden beschreibt Plotin, wie sich der Abstieg der Seele vollzieht. Nach ihm war die Seele Teil eines Kreislaufes von Wiedergeburten, an deren Ende idealerweise die Einheit mit Gott, dem reinen Intellekt, steht oder aber der Abstieg zu einem niederen Lebewesen, wie Tieren oder Pflanzen. Plotin sieht die Ursache der jeweiligen Wiedergeburt im Verhalten der Seele im vorhergehenden Leben. Stets seien alle drei Aspekte der Seele (intellektueller, sinnlicher und vegetativer) vorhanden. Wenn ein Mensch im Wesentlichen nach dem Intellekt gelebt habe, so werde er als Mensch wiedergeboren. Sollte er sich den Sinnen und der sinnlich wahrnehmbaren Welt verschrieben haben, so wird er als Tier wiedergeboren, jeweils passend zu den Emotionen, denen er am meisten verschrieben war. Wenn ein Mensch aber nur auf Fortpflanzung und damit die vegetative Funktion der Seele gezielt habe, so werde er nach Plotin gar als Pflanze wiedergeboren.

Dieses Denkmodell beruht eindeutig auf Platons Theorie der Seelenwanderung und der Ideenlehre. Letztere besagt, dass wir, dies entstammt dem Höhlengleichnis, nur Abbilder der Wirklichkeit mit unseren Sinnen wahrnehmen; lediglich der reine Intellekt könne das Wahre erkennen. Die Seelenwanderungslehre Platons beinhaltet ebenfalls diesen Kreislauf, allerdings ist er in der Politeia noch nicht so ausführlich dargestellt wie bei Plotin.

Der Neuplatonismus fügt sich in eine ganze Reihe religiös-philosophischer Strömungen der Spätantike. Denn die Idee der Seelenwanderung und des Ab- und Aufstiegs von Seelen ist nicht weit entfernt von den Gedanken der Gnostiker oder auch der christlichen Idee der fleischlichen Auferstehung, sowie der Vorstellung von Himmel und Hölle. In der christlichen Vorstellung führt ein sündhaftes Leben in die Hölle, ein tugendhaftes in den Himmel – im Neuplatonismus führen die Triebe zur Wiedergeburt als Tier, der Intellekt zur Erlösung durch Aufstieg. Erlösungsreligionen und -philosophien hatten in der Spätantike geradezu Hochkonjunktur, und der Neuplatonismus fügt sich gut in die anderen Theorien und Glaubensrichtungen ein.

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Vergleiche zur Religion in der Spätantike auch die Sol-Invictus-Münze oder den Bericht zum Konzil von Nicäa.

Christenverfolung unter Nero

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Tacitus
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Tac. Ann. 15,44 – Original

[44] Et haec quidem humanis consiliis providebantur. mox petita dis piacula aditique Sibyllae libri, ex quibus supplicatum Vulcano et Cereri Proserpinaeque ac propitiata Iuno per matronas, primum in Capitolio, deinde apud proximum mare, unde hausta aqua templum et simulacrum deae perspersum est; et sellisternia ac pervigilia celebravere feminae quibus mariti erant. sed non ope humana, non largitionibus principis aut deum placamentis decedebat infamia quin iussum incendium crederetur. ergo abolendo rumori Nero subdidit reos et quaesitissimis poenis adfecit quos per flagitia invisos vulgus Christianos appellabat. auctor nominis eius Christus Tiberio imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat; repressaque in praesens exitiabilis superstitio rursum erumpebat, non modo per Iudaeam, originem eius mali, sed per urbem etiam quo cuncta undique atrocia aut pudenda confluunt celebranturque. igitur primum correpti qui fatebantur, deinde indicio eorum multitudo ingens haud proinde in crimine incendii quam odio humani generis convicti sunt. et pereuntibus addita ludibria, ut ferarum tergis contecti laniatu canum interirent, aut crucibus adfixi aut flammandi, atque ubi defecisset dies in usum nocturni luminis urerentur. hortos suos ei spectaculo Nero obtulerat et circense ludicrum edebat, habitu aurigae permixtus plebi vel curriculo insistens. unde quamquam adversus sontis et novissima exempla meritos miseratio oriebatur, tamquam non utilitate publica sed in saevitiam unius absumerentur.
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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: Alfred John Chruch und Willian Jackson Brodribb
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

[44] Such indeed were the precautions of human wisdom. The next thing was to seek means of propitiating the gods, and recourse was had to the Sibylline books, by the direction of which prayers were offered to Vulcanus, Ceres, and Proserpina. Juno, too, was entreated by the matrons, first, in the Capitol, then on the nearest part of the coast, whence water was procured to sprinkle the fane and image of the goddess. And there were sacred banquets and nightly vigils celebrated by married women. But all human efforts, all the lavish gifts of the emperor, and the propitiations of the gods, did not banish the sinister belief that the conflagration was the result of an order. Consequently, to get rid of the report, Nero fastened the guilt and inflicted the most exquisite tortures on a class hated for their abominations, called Christians by the populace. Christus, from whom the name had its origin, suffered the extreme penalty during the reign of Tiberius at the hands of one of our procurators, Pontius Pilatus, and a most mischievous superstition, thus checked for the moment, again broke out not only in Judæa, the first source of the evil, but even in Rome, where all things hideous and shameful from every part of the world find their centre and become popular. Accordingly, an arrest was first made of all who pleaded guilty; then, upon their information, an immense multitude was convicted, not so much of the crime of firing the city, as of hatred against mankind. Mockery of every sort was added to their deaths. Covered with the skins of beasts, they were torn by dogs and perished, or were nailed to crosses, or were doomed to the flames and burnt, to serve as a nightly illumination, when daylight had expired. Nero offered his gardens for the spectacle, and was exhibiting a show in the circus, while he mingled with the people in the dress of a charioteer or stood aloft on a car. Hence, even for criminals who deserved extreme and exemplary punishment, there arose a feeling of compassion; for it was not, as it seemed, for the public good, but to glut one man’s cruelty, that they were being destroyed.
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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Tobias Nowitzki
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Tac. Ann. 15,44

Leitfragen:

1) Wieso lässt Nero laut Tacitus die Christen auf diese Weise hinrichten?

2) Welche Bilder von Nero und den Christen werden dabei hervorgerufen?

3)Welche Rückschlüsse lässt dies auf die Haltung Tacitus‘ in Bezug auf Nero zu?

Kommentar:

Diese berühmte Stelle aus den Annales des Tacitus, eines senatorischen Schriftstellers um die Wende zum zweiten Jahrhundert n. Chr., beschreibt die früheste bekannte „polizeiliche“ Maßnahme gegen die Christen im römischen Reich durch den Kaiser Nero. Dieser ließ nach dem großen Brand von Rom im Jahre 64 n. Chr. viele Christen Roms auf brutale Weise hinrichten, um von den Gerüchten abzulenken, er selbst habe den Brand angeordnet, so Tacitus. Nero lässt die Christen kreuzigen, den wilden Tieren vorwerfen und lebendig verbrennen. Die ersten beiden Strafen sind wohlbekannt als Strafen für entflohene Sklaven (Kreuzigung) und für Schwerverbrecher (Hinrichtung durch wilde Tiere – ad bestias). Die Wahl der Bestrafung durch Nero soll also den Bürgern zeigen, dass hier Schwerverbrecher hingerichtet werden.

Tacitus zeichnet ganz bestimmte Bilder von Nero und den Christen. Sie werden als Verbrecher, als Frevler dargestellt, die laut Tacitus eigentlich keine andere Strafe verdient hätten als das, was Nero mit ihnen tat. Damit ist er genau im Geiste seiner Zeit, die in den Christen wenig anderes als eine militante jüdische Sekte sah, die die römische Ordnung in Judäa und anderswo in Frage stellte und daher zerstört werden musste. Der Vorwurf, sie hätte Brunnen vergiftet, war damals weit verbreitet. Nero hingegen kommt bei Tacitus ebenfalls schlecht weg. Denn, so schlimm die Christen auch seien, hatten sie dennoch diese Art von Strafen nicht verdient – Tacitus sieht die Gründe vielmehr in Neros sprichwörtlichem Hang zur Grausamkeit, der sich hier ausgedrückt habe. Der wahnsinnige Kaiser, der erst seine eigene Stadt anzündet und dann aus purer Grausamkeit und um von der eigenen Tat abzulenken, viele Menschen brutal hinrichten lässt, entspricht einem Nerobild, das sich gut in die sonstige Darstellung Neros und anderer negativ besetzter Kaiser einfügt. Wie die meisten Historiographen seiner Zeit, gehörte auch Tacitus zu den Senatoren, welche im ersten Jahrhundert des Principates keine gute Meinung von den Kaisern hatten – Tiberius ist grausam und feige, Caligula sogar noch schlimmer, Claudius ist unfähig und Nero zündet Rom an und ermordet seine Mutter. Das von den senatorischen Schriftstellern aufgestellte Bild des Caesarenwahnsinns hat sich bis heute hartnäckig gehalten – alternative Quellen fehlen uns fast vollständig, sodass es heute kaum noch möglich ist, durch die literarisch überformten Bilder die tatsächlichen Principes zu greifen. Die senatorischen Geschichtsschreiber müssen daher stets mit großer Vorsicht gelesen werden, wenn es um die Persönlichkeiten der Principes geht.

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Siehe zu den späteren Christenverfolgungen auch die entsprechenden Beiträge (Opfergebot; Eusebius I; Eusebius II) und das Toleranzedikt.