Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Agnes von der Decken
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Das Megaron in Pylos
Leitfragen:
1) Was finden wir im Megaron von Pylos vor?
2) Welche Funktion hatte das Megaron?
2) Was sagt uns das Megaron über seinen König?
Kommentar:
Einer der großen und bedeutenden Paläste der Mykener war der Palast in Pylos, der um 1200 v. Chr. durch einen großen Brand zerstört wurde. Der Palast lag etwa 12 km nördlich der heutigen Stadt Pylos an der Westküste der Peleponnes und wurde Mitte des 20. Jahrhunderts von Carl Blegen ausgegraben. Dieser gab ihm in Anspielung auf den Herrscher von Pylos in Homers Ilias den Namen „Palast des Nestor“. Wie bei den Minoern, waren es in der mykenischen Welt die Palastbauten, die die wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Zentren bildeten. Viele dieser mykenischen Paläste ähnelten sich häufig in ihrer Bauweise und ihren architektonischen Besonderheiten. Ein Kernelement des mykenischen Palastes war dabei das sogenannte Megaron. Die dargestellte Rekonstruktion zeigt hier das imaginierte Megaron im Palast von Pylos, das im Wesentlichen dem Megaron von Tiryns und Mykene ähnelt. Zu dem Megaron eines Palastes zählten meist mehrere Räume. Diese Raumgruppe bestand oft – und so auch hier – aus einem Thronraum, dem zentralen Raum des Palastes, mit zwei davor gelagerten Vorräumen.
Dieser zentrale Raum im Palast von Pylos (von hier an vereinfacht „Megaron“ genannt) ist knapp 13 Meter lang und etwa elf Meter breit. Im Zentrum des Megarons befindet sich eine große, verputzte und kreisförmige Herdstelle mit einer ringförmigen Einfassung, die im Durchmesser etwa vier Meter misst. Nirgendwo anders ist die Feuerstelle so gut erhalten wie in Pylos. Der Herd ist dabei mit bemaltem Stuck verziert. Der Rand ist mit flammenartigen Mustern bemalt und die Oberseite mit einem Spiralmotiv verziert. Um die Herdstelle herum standen vier kannelierte Säulen. Vielleicht haben diese Säulen eine Art Schornstein getragen, durch welchen der Rauch von der Herdstelle in den Himmel ziehen konnte. Der Boden des Thronraumes ist schachbrettartig gepflastert, wobei jeder viereckige Pflasterstein mit geometrischen Figuren dekoriert ist. Einer der Pflastersteine ist hingegen mit einem Oktopus bemalt und befindet sich vor einer niedrigen, ebenfalls gepflasterten Plattform. Sehr wahrscheinlich stand hier der hölzerne Thron. Zudem befindet sich im Megaron ein in den Boden eingelassenes, flaches und rundes Becken, das mit einem zweiten Becken durch einen schmalen Kanal verbunden ist. An den Wänden befinden sich Fresken. Die Stelle, an der vermutlich der Thron stand, wird von Löwen- oder Greifen-Fresken flankiert. Andere Fresken zeigen einen singenden Lyra-Spieler oder Szenen, in denen Männer bei festlicher Angelegenheit trinken.
Nicht eindeutig bestimmbar ist die Funktion, die das Megaron gehabt hatte. So kann es sich bei dem Megaron um einen einfachen Herd-Raum gehandelt haben, der als allgemeiner Versammlungsbau diente. Blegen vermutete, dass der große Herd dazu gedient haben könnte, den Raum im Winter zu heizen. Zudem glaubt er, dass der Herd auch geeignet war, für eine größere Gruppe an Menschen, etwa für ein Bankett, zu kochen. Mehrere Indizien weisen aber darauf hin, dass das Megaron (auch) für rituelle Zwecke benutzt wurde: Kleine Trinkgefäße (Kylix), die auf einem Opfertisch neben dem Herd gefunden wurden und die kreisförmigen Vertiefungen, die durch einen Kanal im Boden neben dem Thron miteinander verbunden sind, weisen darauf hin, dass Trankopfer im Megaron vollzogen wurden. Ein großes Fresko in der Vorhalle des Megaron in Pylos zeigt zudem eine Prozession, bei der ein Stier zu einem Altar geführt wird. Auch dies weist auf eine kultisch-rituelle Funktion des Megaron innerhalb des Palastes hin. Vielleicht zeigt das Fresko, dass im Megaron auch Stieropfer vollzogen wurden.
Diese Funde erlauben es uns, Rückschlüsse über den im Palast residierenden König, den wanax, zu ziehen. Zum einen zeigt uns das Vorhandensein des Megaron ganz grundsätzlich, dass es in Pylos einen König gegeben hat. Diese scheinbar banale Tatsache ist nicht zu vernachlässigen, da es bei den Mykenern kaum Hinweise auf herrschaftliche Repräsentation gibt. Weder gibt es Statuen von Königen, noch Wandmalereien oder Reliefs.
Die einzelnen Funde im Megaron in Pylos können zudem Hinweise auf die Beschaffenheit eines solchen Königtums geben. So lassen der Zeremonialherd in der Mitte des Thronsaales sowie die Rinne neben dem Thron, die zum Abfluss der Trankspenden gedient haben kann, auf eine kultische Funktion des Regenten schließen. Es wird zuweilen angenommen, dass der wanax einen großen Teil seiner Macht aus seiner Rolle im religiösen Kontext zog. Die vielen Trinkgefäße, die man in den das Megaron benachbarten Räumen gefunden hat, verweisen andererseits auf Festbankette oder Gelage, die ebenfalls eine religiöse oder aber identitätsstiftende Funktion erfüllt haben können. Solche Feste sind vielleicht vom wanax selbst veranstaltet worden. Die Fresken an den Wänden des Megaron und im Vorraum zeigen Szenen solcher rituellen oder festlichen Veranstaltungen: Das oben erwähnte Prozessionsfresko sowie die Fresken, die weltliche Szenen zeigen, wie den Sänger mit seiner Lyra und die Männer, die sich gegenübersitzend mit Kylikes zuprosten. Vielleicht war der König Gastgeber großer Gelage oder Feste. Die Ausstattung des Megaron bestätigt damit neben der sakralen auch eine weltliche Funktion des wanax, der nach allgemeiner Ansicht an der Spitze des jeweiligen Palaststaates stand.