Die Gastfreundschaft

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Homer
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Hom. Il. 6.206-233 – Original:

Ἱππόλοχος δέ μ᾽ ἔτικτε, καὶ ἐκ τοῦ φημι γενέσθαι:
πέμπε δέ μ᾽ ἐς Τροίην, καί μοι μάλα πόλλ᾽ ἐπέτελλεν
αἰὲν ἀριστεύειν καὶ ὑπείροχον ἔμμεναι ἄλλων,
μηδὲ γένος πατέρων αἰσχυνέμεν, οἳ μέγ᾽ ἄριστοι
ἔν τ᾽ Ἐφύρῃ ἐγένοντο καὶ ἐν Λυκίῃ εὐρείῃ. 210
ταύτης τοι γενεῆς τε καὶ αἵματος εὔχομαι εἶναι.’
ὣς φάτο, γήθησεν δὲ βοὴν ἀγαθὸς Διομήδης:
ἔγχος μὲν κατέπηξεν ἐπὶ χθονὶ πουλυβοτείρῃ,
αὐτὰρ ὃ μειλιχίοισι προσηύδα ποιμένα λαῶν:
‘ἦ ῥά νύ μοι ξεῖνος πατρώϊός ἐσσι παλαιός: 215
Οἰνεὺς γάρ ποτε δῖος ἀμύμονα Βελλεροφόντην
ξείνισ᾽ ἐνὶ μεγάροισιν ἐείκοσιν ἤματ᾽ ἐρύξας:
οἳ δὲ καὶ ἀλλήλοισι πόρον ξεινήϊα καλά:
Οἰνεὺς μὲν ζωστῆρα δίδου φοίνικι φαεινόν,
Βελλεροφόντης δὲ χρύσεον δέπας ἀμφικύπελλον 220
καί μιν ἐγὼ κατέλειπον ἰὼν ἐν δώμασ᾽ ἐμοῖσι.
Τυδέα δ᾽ οὐ μέμνημαι, ἐπεί μ᾽ ἔτι τυτθὸν ἐόντα
κάλλιφ᾽, ὅτ᾽ ἐν Θήβῃσιν ἀπώλετο λαὸς Ἀχαιῶν.
τὼ νῦν σοὶ μὲν ἐγὼ ξεῖνος φίλος Ἄργεϊ μέσσῳ
εἰμί, σὺ δ᾽ ἐν Λυκίῃ ὅτε κεν τῶν δῆμον ἵκωμαι. 225
ἔγχεα δ᾽ ἀλλήλων ἀλεώμεθα καὶ δι᾽ ὁμίλου:
πολλοὶ μὲν γὰρ ἐμοὶ Τρῶες κλειτοί τ᾽ ἐπίκουροι
κτείνειν ὅν κε θεός γε πόρῃ καὶ ποσσὶ κιχείω,
πολλοὶ δ᾽ αὖ σοὶ Ἀχαιοὶ ἐναιρέμεν ὅν κε δύνηαι.
τεύχεα δ᾽ ἀλλήλοις ἐπαμείψομεν, ὄφρα καὶ οἵδε 230
γνῶσιν ὅτι ξεῖνοι πατρώϊοι εὐχόμεθ᾽ εἶναι.’
ὣς ἄρα φωνήσαντε καθ᾽ ἵππων ἀΐξαντε
χεῖράς τ᾽ ἀλλήλων λαβέτην καὶ πιστώσαντο:

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: A.T. Murray
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

But Hippolochus begat me and of him do I declare that I am sprung; and he sent me to Troy and straitly charged me ever to be bravest and pre-eminent above all, and not bring shame upon the race of my fathers, [210] that were far the noblest in Ephyre and in wide Lycia. This is the lineage and the blood whereof I avow me sprung.” So spake he, and Diomedes, good at the warcry, waxed glad. He planted his spear in the bounteous earth, and with gentle words spake to the shepherd of the host: [215] “Verily now art thou a friend of my father’s house from of old: for goodly Oeneus on a time entertained peerless Bellerophon in his halls, and kept him twenty days; and moreover they gave one to the other fair gifts of friendship. Oeneus gave a belt bright with scarlet, [220] and Bellerophon a double cup of gold which I left in my palace as I came hither. But Tydeus I remember not, seeing I was but a little child when he left, what time the host of the Achaeans perished at Thebes. Therefore now am I a dear guest-friend to thee in the midst of Argos, [225] and thou to me in Lycia, whenso I journey to the land of that folk. So let us shun one another’s spears even amid the throng; full many there be for me to slay, both Trojans and famed allies, whomsoever a god shall grant me and my feet overtake; [230] and many Achaeans again for thee to slay whomsoever thou canst. And let us make exchange of armour, each with the other, that these men too may know that we declare ourselves to be friends from our fathers‘ days.” When they had thus spoken, the twain leapt down from their chariots and clasped each other’s hands and pledged their faith.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Niklas Rempe
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Hom. Il. 6.206-233

Leitfragen:

1) Was erkennt Diomedes, als er die Abstammung seines Gegenübers erfährt?

2) Was bewirkt die Gastfreundschaft in dieser Quellenpassage?

3) Welche Rückschlüsse lassen sich über das Adelsideal der Zeit aus der Quelle ziehen?

Kommentar:

Die vorliegende Textpassage aus der Illias schildert das Verhalten zweier verfeindeter Adliger, die vor den Mauern Trojas inmitten des Schlachtengetümmels aufeinandertreffen. Diomedes aus Argos trifft auf Glaukon – einem Adligen aus Lykien – und kann durch die vortreffliche Gestalt und das mutige Gebaren seines Gegenübers nicht umhin, selbigen nach der Herkunft zu fragen. Glaukon erwidert, er sei der Sohn des Hippolochos und Enkel des berühmten Bellerophontes, und wurde zusammen mit seinen Männern von seinem Vater aus Lykien den verbündeten Trojanern im Kampf gegen die Griechen zur Hilfe geschickt. Gemäß diesem edlen Geschlecht habe er sich nun zu verhalten und so immer danach zu streben, in seinem Handeln der Beste zu sein. Anstatt nach dieser Vorstellung den Kampf zu beginnen, steckt Diomedes aus Freude seinen Speer in den Boden; er hat in seinem Gegenüber einen Gastfreund erkannt, und an einen Zweikampf ist nicht mehr zu denken. Man erfährt, dass diese Gastfreundschaft (Proxenie) auf die beiden Großväter von Glaukon und Diomedes – Bellerophontes und Oineus – zurückgeht und so schon vor zwei Generationen entstand und mit wertvollen Gastgeschenken besiegelt wurde.

Deutlich ist hier zu erkennen, wie die Gastfreundschaft die beiden Kombattanten mitten auf dem Schlachtfeld dazu veranlasst den, Kampf gegeneinander abzulehnen. Dies wird trotz der Feindschaft ihrer jeweiligen Kriegsparteien und trotz des um sie herum andauernden Kampfgeschehens durch das jahrzehntealte Abkommen zwischen ihren beiden Familien erzwungen. Und auch in der Heimat Diomedes‘ – Argos; nord-östlich auf der Peloponnes gelegen – muss Glaukon sich nicht fürchten, sondern darf Hilfe und Unterstützung erwarten. Ganz im Sinne der Reziprozität, also der Gegenseitigkeit, darf auch Diomedes damit im fernen Lykien (Süd-Osten der heutigen Türkei) rechnen. Doch hiermit nicht genug. Glaukon und Diomedes kommen des Weiteren überein, ihre Rüstungen miteinander zu tauschen. Wie schon bei ihren Großvätern besiegeln diese Geschenke die Gastfreundschaft ein weiteres Mal und erneuern damit die ererbte Proxenie.

Aus dieser Stelle lassen sich einige Schlussfolgerungen für das Adelsideal, welches in den homerischen Epen erkennbar ist, ziehen. Allen voran, wie wichtig die Familie und die Abstammung für die adligen Griechen in der Zeit der homerischen Epen waren; denn schon bevor Diomdes von der Gastfreundschaft erfuhr, war ihm ja daran gelegen, die Herkunft seines Feindes zu erfahren. Die Proxenie selber wird zudem als etwas beschrieben, was wichtiger ist als der um die beiden herumtobende Kampf. Sie muss geachtet werden, was ein kriegerisches Aufeinandertreffen von Diomedes und Glaukon verbietet. Das Kämpfen an sich wird allerdings nicht verboten, und trotz ihrer entdeckten Freundschaft ist an ein Ende der Schlacht vor Troja nicht zu denken; zu wichtig war dem Adel das Hervortun im Kampf und die dadurch gewonnene Ehre. Der Beste von allen zu sein und aus der Masse hervorzutreten war ja überhaupt erst der Grund, warum Glaukon von seinem Vater Hippolochos nach Troja in den Kampf gegen die Griechen geschickt wurde. Gelegenheit bietet sich den beiden dafür zu genüge, und so erklärt sich auch Diomedes Vorschlag, zwar einander nicht zu schaden, doch nichtsdestoweniger so viele Feinde, wie es einem möglich ist – und die Götter es zulassen – zu erschlagen.

Zwei weitere Schlussfolgerungen sind hervorzuheben: Man erkennt, wie weitläufig gastfreundschaftliche Verbindungen reichten. Entsprechend international und keineswegs auf das griechische Kernland um die Peloponnes beschränkt sind sich auch die Beziehungen zwischen verschiedenen Adelsgeschlechtern vorzustellen. Außerdem sind die Funktion und der Wert von Geschenken gut erkennbar. Die Gegenseitigkeit dieser Schenkungen wird sowohl bei Diomedes und Glaukon ersichtlich, als auch schon zwei Generationen früher, als kostbare Gegenstände ausgetauscht wurden, die sich nach Diomedes‘ Aussage immer noch im Familienbesitz befinden und entsprechend geehrt werden.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Die Dunklen Jahre“. Um einen breiteren Einblick in die griechische Archaik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte I – Archaik“.
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