Die Gründung Smyrnas

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Strabon
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Strab. 14.1.4 – Original:

ἀπελθόντες δὲ παρὰ τῶν Ἐφεσίων οἱ Σμυρναῖοι στρατεύουσιν ἐπὶ τὸν τόπον, ἐν ᾧ νῦν ἔστιν ἡ Σμύρνα, Λελέγων κατεχόντων: ἐκβαλόντες δ᾽ αὐτοὺς ἔκτισαν τὴν παλαιὰν Σμύρναν διέχουσαν τῆς νῦν περὶ εἴκοσι σταδίους. ὕστερον δὲ ὑπὸ Αἰολέων ἐκπεσόντες κατέφυγον εἰς Κολοφῶνα, καὶ μετὰ τῶν ἐνθένδε ἐπιόντες τὴν σφετέραν ἀπέλαβον: καθάπερ καὶ Μίμνερμος ἐν τῇ Ναννοῖ φράζει μνησθεὶς τῆς Σμύρνης ὅτι περιμάχητος ἀεί
“ἡμεῖς δηὖτε Πύλον Νηλήιον ἄστυ λιπόντες
ἱμερτὴν Ἀσίην νηυσὶν ἀφικόμεθα:
ἐς δ᾽ ἐρατὴν Κολοφῶνα βίην ὑπέροπλον ἔχοντες
ἑζόμεθ᾽ ἀργαλέης ὕβριος ἡγεμόνες.
κεῖθεν δ᾽ ἀστήεντος ἀπορνύμενοι ποταμοῖο
θεῶν βουλῇ Σμύρνην εἵλομεν Αἰολίδα.”

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung:: H. L. Jones
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

On departing from the Ephesians, the Smyrnaeans marched to the place where Smyrna now is, which was in the possession of the Leleges, and, having driven them out, they founded the ancient Smyrna, which is about twenty stadia distant from the present Smyrna. But later, being driven out by the Aeolians, they fled for refuge to Colophon, and then with the Colophonians returned to their own land and took it back, as Mimnermus tells us in his Nanno, after recalling that Smyrna was always an object of contention: “After we left Pylus, the steep city of Neleus, we came by ship to lovely Asia, and with our overweening might settled in beloved Colophon, taking the initiative in grievous insolence. And from there, setting out from the Astëeis River, by the will of the gods we took Aeolian Smyrna.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Niklas Rempe
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Strab. 14.1.4

Leitfragen:

1) Beschreiben Sie die Gründung und Entwicklung Smyrnas.

2) Was kann über die Art und Weise der Gründung und Erhaltung der Stadt ausgesagt werden?

3) Interpretieren Sie Strabons Umgang mit archaischer Dichtung.

Kommentar:

Strabon beschreibt in der Quellenpassage die Gründung der Polis Smyrna – dem heutigen Izmir in der Türkei. Er wirkte um die Zeitenwende und stellt damit Ereignisse dar, die mehrere Jahrhunderte vor seiner Geburt stattfanden. Das Gebiet, in dem später Smyrna errichtet werden sollte, gehörte nach Strabon ursprünglich den Lelegern. Dieses in Kleinasien ansässige Volk wurde allerdings von ionischen Griechen gewaltsam vertrieben. Letztere sind es, die daraufhin die Stadt Smyrna gründeten. Die Früchte ihrer Eroberung konnten sie allerdings nicht lange genießen, da sie später selber das Schicksal der Leleger erlitten. Auch sie wurden demnach gewaltsam vertrieben, wobei diesmal aiolische Griechen dafür verantwortlich gewesen sein sollen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ins benachbarte Kolophon zu fliehen. Dort konnten sie ihre Kräfte allerdings sammeln und mit Unterstützung durch die Bewohner Kolophons das von den Aiolern besetzte Smyrna zurückerobern.

Hervorzuheben ist, dass sowohl die Gründung als auch die weitere Entwicklung Smyrnas von Gewalt und Umwälzungen geprägt war. Die ionischen Siedler gründeten die Polis nicht etwa auf unbesiedeltem Gebiet, sondern drangen ins Land der Leleger ein und vertrieben diese gewaltsam. Dies war keineswegs ein Novum in der Geschichte der Kolonisation. Der Mittelmeerraum war auch bzw. schon vor der archaischen Zeit zum Teil eng besiedelt, und günstige Siedlungsplätze entsprechend rar gesät. Unterstrichen wird dieser Umstand dadurch, dass die Ionier selber aus diesem stark umkämpften Gebiet vertrieben wurden. Ihre freundschaftlichen Verbindungen zur Nachbarstadt Kolphon konnten in dieser bedrängten Situation allerdings das Schlimmste verhindern. Es war ihnen möglich, einen Gegenangriff zu starten und Smyrna wieder unter ionische Kontrolle zu bringen. Zu betonen ist diesbezüglich noch, dass die Kämpfe um gutes Siedlungsland nicht etwa nur zwischen Griechen und Nicht-Griechen, wie z.B. den Lelegern, ausgefochten wurden, sondern es auch unter den Griechen zu gewaltsamen Konflikten kam. Lange konnten die Ionier die Früchte ihrer Anstrengung übrigens nicht genießen – die Lyder unter König Alyattes II. zerstörten die Polis um 600 v. Chr. fast vollständig.

Die Dichtung – genauer einige Verse des archaischen Lyrikers Mimnermos – ist ein besonders interessanter Aspekt dieser Quellenpassage. Strabon zitiert mehrere Verse des Dichters und gibt auch den Namen des Werkes an, aus denen sie stammen würden. Der Geograph benutzt sie als Beleg für seine These, dass die aus Smyrna vertriebenen Ionier mit Hilfe aus Kolophon die Polis von den Aiolern zurückeroberten. Dieser Umgang mit frücharchaischer Dichtung bedeutet sowohl, dass Strabon Zugriff auf diese Jahrhunderte alte Poesie hatte, als auch, dass er ihren Inhalt studierte und interpretierte. Interessanter Weise befand sich der Geograph in einer ganz ähnlichen Situation wie es die heutige historische Forschung ist, die sich mit Begebenheiten in der Archaik auseinandersetzt: Einige wenige überlieferte Fragmente und Werke der archaischen Lyriker sind es, aus denen – in Ermangelung anderer literarischer Quellen – Aussagen über diese Periode der Geschichte gemacht werden müssen. Das vom Geographen erwähnte Werk des Dichters (Nanno) ist heute nicht mehr überliefert. Dies bedeutet, dass derartige Zitate, wie man sie bei Strabon häufiger findet, heutzutage oftmals die einzigen Überlieferungskontexte der frühen Dichtung darstellen.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Die große Kolonisation / Der Orient“. Um einen breiteren Einblick in die griechische Archaik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte I – Archaik“.
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