Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Ammianus Marcellinus
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Amm. 31,12,1-7 – Original:
1 Isdemque diebus exagitatus ratione gemina Valens, quod Lentienses conpererat superatos, quodque Sebastianus subinde scribens facta dictis exaggerabat, e Melanthiade signa commovit, aequiperare facinore quodam egregio adulescentem properans filium fratris, cuius virtutibus urebatur: ducebatque multiplices copias nec contemnendas nec segnes, quippe etiam veteranos isdem iunxerat plurimos, inter quos et honoratiores alii et Traianus recinctus est, paulo ante magister armorum. 2 Et quoniam exploratione sollicita cognitum est cogitare hostes fortibus praesidiis itinera claudere, per quae commeatus necessarii portabantur, occursum est huic conatui conpetenter, ad retinendas oportunitates angustiarum, quae prope erant, peditibus sagittariis et equitum turma citius missa. 3 Triduoque proximo cum barbari gradu incederent leni et metuentes eruptionem per devia, quindecim milibus passuum a civitate discreti stationem peterent Nicen incertum quo errore procursatoribus omnem illam multitudinis partem, quam viderant, in numero decem milium esse firmantibus, imperator procaci quodam calore perculsus isdem occurrere festinabat. 4 Proinde agmine quadrato incedens prope suburbanum Hadrianopoleos venit, ubi vallo sudibus fossaque firmato, Gratianum inpatienter operiens, Richomerem comitem domesticorum suscepit ab eodem imperatore praemissum cum litteris, ipsum quoque venturum mox indicantibus. 5 Quarum textu oratus ut praestolaretur paulisper periculorum participem, neve abruptis discriminibus temere semet committeret solum, adhibitis in consilium potestatibus variis, quid facto opus esset deliberabat. 6 Et cum Sebastiano auctore quidam protinus eundum ad certamen urgerent, Victor nomine magister equitum, Sarmata sed cunctator et cautus, eadem sentientibus multis imperii socium exspeetari eensebat, ut incrementis exercitus Gallicani adscitis opprimeretur levius tumor barbaricus flammans. 7 Vicit tamen funesta principis destinatio et adulabilis quorundam sententia regiorum, qui, ne paene iam partae victoriae ut opinabantur consors fieret Gratianus, properari cursu celeri suadebant.
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: J.C. Rolfe
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Übersetzung:
1 In those same days Valens was troubled for two reasons: first, by the news that the Lentienses had been defeated; secondly, because Sebastianus wrote from time to time exaggerating his exploits. He therefore marched forth from Melanthias, being eager to do some glorious deed to equal his young nephew, whose valiant exploits consumed him with envy. He had under his command a force made up of varying elements, but one neither contemptible, nor unwarlike; for he had joined with them also a large number of veterans, among whom were other officers of high rank and Trajanus, shortly before a commander-in chief, whom he had recalled to active service. 2 And since it was learned from careful reconnoitring that the enemy were planning with strong guards to block the roads over which the necessary supplies were being brought, he tried competently to frustrate this attempt by quickly sending an infantry troop of bowmen and a squadron of cavalry, in order to secure the advantages of the narrow passes, which were near by. 3 During the next three days, when the barbarians, advancing at a slow pace and through unfrequented places, since they feared a sally, were •fifteen miles distant from the city, and were making for the station of Nice, through some mistake or other the emperor was assured by his skirmishers that all that part of the enemy’s horde which they had seen consisted of only ten p465 thousand men, and carried away by a kind of rash ardour, he determined to attack them at once. 4 Accordingly, advancing in square formation, he came to the vicinity of a suburb of Hadrianopolis, where he made a strong rampart of stakes, surrounded by a moat, and impatiently waited for Gratian; there he received Richomeres, general of the household troops, sent in advance by Gratian with a letter, in which he said that he himself also would soon be there. 5 Since the contents besought him to wait a while for the partner in his dangers, and not rashly to expose himself alone to serious perils, Valens called a council of various of his higher officers and considered what ought to be done. 6 And while some, influenced by Sebastianus, urged him to give battle at once, the man called Victor, a commander of cavalry, a Sarmatian by birth, but foresighted and careful, with the support of many others recommended that his imperial colleague be awaited, so that, strengthened by the addition of the Gallic army, he might the more easily crush the fiery over-confidence of the barbarians. 7 However, the fatal insistence of the emperor prevailed, supported by the flattering opinion of some of his courtiers, who urged him to make all haste in order that Gratian might not have a share in the victory which (as they represented) was already all but won.
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Nathalie Klinck
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Amm. 31,12,1-7
Leitfragen:
1) Was war die Ausgangslage der Auseinandersetzung?
2) Welche Gründe führt Ammian für die Niederlage an?
3) Was waren die Folgen der Niederlage?
Kommentar:
Der vorliegende Quellenausschnitt zeigt einen Auszug aus den Res Gestae des Ammianus Marcellinus (ca. 330-395 n. Chr.). Das Werk des römischen Historikers umfasst 31 Bücher, die wahrscheinlich einen Zeitraum vom Regierungsantritt Nervas (96 n. Chr.) bis zur Schlacht von Adrianopel (378 n. Chr.) behandelten. Überliefert sind allerdings nur die Beschreibungen der Jahre 353-378 n. Chr. – einige der beschriebenen Ereignisse hatte Ammian durch seine Zeit als Soldat unter Constantius II. somit selbst miterlebt. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei diesem Werk um die umfangreichste historiographische Schrift der Spätantike, die sich durchaus mit dem Werk des Tacitus vergleichen lassen kann. Inhaltlich handelt es sich um eine Mischung aus Kaiserbiographien und Reichsgeschichte. Um das stadtrömische Publikum anzusprechen, verfasste Ammian sein Werk auf Latein und nicht in seiner griechischen Muttersprache – er selbst kam aus Antiochia.
Der vorliegende Abschnitt behandelt den Zeitraum kurz vor der fatalen Entscheidung von Kaiser Valens, bei Adrianopel gegen die Goten zu ziehen. Die Ursache dieser militärischen Auseinandersetzung lässt sich grob auf die Migrationsbewegungen verschiedener germanischer Truppen in das Römische Reich zurückführen (oftmals auch als „Völkerwanderung“ bezeichnet). In diesem Kontext ersuchten auch die tervingischen Goten um Aufnahme in das Imperium, im Gegenzug waren sie bereit, Kriegsdienst für die Römer zu leisten. Dieses Anliegen wurde ihnen von römischer Seite aus gestattet, wohl auch in der Hoffnung, dadurch die eigene Armee zu stärken. Die Goten wurden aber ihrerseits stark von den Hunnen bedrängt. Dies führte dazu, dass neben den tervingischen Goten weitere Germanen die Donau überschritten und weite Teile Thrakiens – auch aufgrund einer allgemeinen Hungersnot – verwüsteten.
Nachdem die lokalen römischen Beamten die Situation nicht mehr unter Kontrolle bringen konnten, schickten sie nach Hilfe von kaiserlicher Seiter. Kaiser Valens hielt sich zu diesem Zeitpunkt noch in Antiochia auf, schickte von dort aus zuerst einige Truppen und entschied sich daraufhin mit seinem eigenen Heer nach Thrakien zu kommen. Auch Gratian sicherte seine Hilfe zu und setzte sich mit seinem Heer von Westen aus ebenfalls in Richtung Thrakien in Bewegung.
Ammian beschreibt, dass Gratian in einem Brief Valens darum bittet, mit seinem Vorstoß noch zu warten, bis er einträfe. Allerdings entschied sich Valens am 9. August 378 in Erwartung eines leichten Sieges zu einem – in der Forschung oftmals als kopflos oder überstürzt charakterisierten – Vorstoß noch bevor die Hilfstruppen unter Gratian eingetroffen waren. Ammian nennt als möglichen Grund für dieses Handeln den Drang von Valens, einen ruhmriechen Sieg zu erringen, welchen er Gratian nicht gönnte. Dieser Drang nach einem militärischen Erfolg und eine falsche Einschätzung der ausgesendeten Späher werden von Ammian als Gründe für das Handeln von Valens angeführt. Zudem ließ sich der Kaiser, seiner Meinung nach, zu leicht von den „Schmeicheleien“ der ihn beratenden Höflinge beeinflussen, die sich für ein rasches Eingreifen aussprachen.
Im weiterführenden Abschnitt widmet Ammian den detaillierten Beschreibungen der militärischen Aktionen bei Adrianopel besondere Aufmerksamkeit, die sich wohl insbesondere auf seine eigene Erfahrung als Soldat zurückführen lässt. Nach einem äußerst blutigen Kampf erlitten die Römer eine verheerende Niederlage. Insgesamt fielen ca. zwei Drittel des römischen Heeres, darunter kamen auch Kaiser Valens nebst einer Vielzahl seiner Offiziere ums Leben.
Die Goten konnten erst vor den Toren Konstantinopels aufgehalten werden. Rom hatte durch diese Niederlage nicht nur einen Kaiser, sondern auch sein bewegliches kaiserliches Heer verloren, welches bis dahin als mobile Reserve an unterschiedlichen Fronten eingesetzt worden war. Dies führte dazu, dass immer mehr Kriegsverbände in das Imperium einfielen.
Nach dem Tod des Valens wurde im Jahr 379 Theodosius zum „Seniorkaiser“, zum Augustus erklärt. Er bemühte sich darum, die Situation durch einen Vertragsabschluss mit den terwingischen Goten zu lösen. Die Goten erhielten Land im römischen Thrakien und waren als foederati zur Waffenhilfe verpflichtet, allerdings waren sie ansonsten autark und handelten als halbautonome Einheiten innerhalb der römischen Armee – Theodosius schuf damit eine Art Präzedenzfall. Den Römern blieb nichts anderes übrig, als den einfallenden Germanenstämmen mehr Freiheiten zuzugestehen. Immer mehr germanische Truppen wurden in die römische Armee integriert, was zu einer Art „Barbarisierung“ des Militärs führte und prägend für diese Epoche werden sollte. Mit der in diesem Auszug beschriebenen katastrophalen Niederlage der römischen Armee gegen die Germanen bei Adrianopel beschließt Ammian sein Werk – vielleicht sogar in der Überzeugung, dass der Untergang des Römischen Reiches ebenfalls feststehe.