Grundstücksverzeichnis von Pylos

 

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Übersetzung der Linear B Tafel PY Er312 (Nr. 152), in: Documents in Mycenaean Greek: Three Hundred Selected Tablets from Knossos, Pylos and Mycenae, with Commentary and Vocabulary by Michael Ventris, John Chadwick. Cambridge University Press 1959, S. 266.

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Agnes von der Decken
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Grundstücksverzeichnis von Pylos

Leitfragen:

1) Worum handelt es sich bei diesem Quellentext?
2) Welche Bedeutung haben die einzelnen Wörter auf der Linear- B – Tafel?
3) Was kann uns die Linear-B Tafel über Personengruppen und Landanteile in Pylos sagen?

Kommentar:

Die hier vorliegenden Linear-B Tafel ist die Tafel Er 312 aus Pylos, die – wie viele Linear-B Tafeln – einen Verwaltungstext abbildet. Sie stammt aus der sogenannten E-Serie aus Pylos, die Landbesitz und Nießbrauch an Grundstücken des pylischen Reiches verzeichnet. Linear-B Tafeln sind dabei die wichtigsten Quellen für das Studium der Wirtschaftsgeschichte der mykenischen Gesellschaft. Da die Linear-B Tontafeln in der Ägäis aber nie absichtlich gebrannt wurden, sind die heute existierenden Tafeln allein durch Brände erhalten geblieben und datieren daher in die Zeit ihrer Zerstörung. Die meisten Linear-B Texte stammen aus dem späten 13. Jh. v. Chr., so wie auch die hier vorliegende Linear-B-Tafel aus Pylos. Seitdem Michael Ventris und John Chadwick die Schrift 1952 entschlüsselten, können Linear-B Texte übersetzt werden. Insofern ist es uns möglich, auch die vorliegende Linear-B Tafel ER 312 aus Pylos zu verstehen.

Einige Worte des Pylos-Täfelchens finden ihre Entsprechungen im Altgriechischen. So ist in der ersten Zeile des Textes die Rede vom wa-na-ka-te-ro/ wanaks, was dem homerischen und später auch griechischen Terminus ἄναξ – „Herr“ entspricht. In der Ilias (Hom. Il. 9, 98) wird der Anführer der griechischen Streitkräfte, Agamemnon, als ἄναξ bezeichnet. Insofern ist anzunehmen, dass es sich bei dem Wanax um einen Herrscher im mykenischen Staat handelte. Als nächstes ist das Wort te-me-no/temenos zu lesen, das seine Entsprechung im Altgriechischen τέμενος hat. Es bedeutet in etwa „das Grundstück, das vom übrigen Land abgesondert ist“. In der dritten Zeile steht ra-wa-ke-ta/lāwāgetās, was Altgriechisch λαγέτας, also etwa „Führer des Volkes“ bedeutet. In der Ilias bedeutet das Wort oft soviel wie „das zum Kampf geordnete Volk oder Kriegsheer“. Vielleicht war der mykenische Lāwāgetās insofern der Befehlshaber des Heeres. Bewiesen werden konnte dies bisher aber nicht. Jedenfalls war der Lāwāgetās aber wohl ein ranghoher Beamter. Zudem finden wir in Zeile 5 das Wort te-re-ta/telestai, auf welches die τελεστά, „die Amtsträger“, zurückgehen. Die genaue Stellung und Funktion der Telestai ist jedoch unklar. Wahrscheinlich handelte es sich um die Besitzer von großen Grundstücken, die auf lokaler Ebene eine gewisse Bedeutung hatten. Zwei Zeilen weiter lesen wir e-re-mo/erēmon, also ἔρημος, was in etwa mit „unbebautes Land“ übersetzt werden kann. Zusammengenommen geht es in diesem Linear-B Text also um die Grundstücke des Königs und des Lāwāgetās sowie um Grundstücke von drei Amtsträgern und um unbebautes Land. Die Größe der genannten Grundstücke wird dabei durch die Angabe der zum Anbau notwendigen Saatgutmenge (to-so pe-mo/ tos(s)on spermo, vgl. σπέρμα – „Samen“) in Getreide (GRA) aufgezeichnet.

Die vorliegende Pylos-Tafel kann uns sowohl über die jeweiligen Besitzungen, als auch im Umkehrschluss über das soziale Gefüge Auskunft geben. So zeigt der Text, dass es einen Wanax, König, gegeben hat. Der Titel wird hier – wie in anderen Linear-B Texten auch – nie genauer beschrieben oder spezifiziert. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass es in jedem Reich nur einen einzigen König gegeben hat. Der Besitz des Königs beträgt dabei das dreifache der Liegenschaften des Lāwāgetās. Hieran zeigt sich, dass der König allein aufgrund seiner Besitzungen eine privilegierte Person gewesen sein muss. Sicherlich hat er noch mehr Land besessen, denn das Täfelchen listet wahrscheinlich nur die Besitzungen an einem Ort auf. Der Lāwāgetās besaß hingegen nicht mehr an Grundbesitz als im Durchschnitt einer der drei Telestai. Dennoch kam der Lāwāgetās wahrscheinlich an zweiter Stelle hinter dem Wanax und war wohl der einzige in seiner Funktion. Das Land der Telestai entspricht an Umfang zusammengenommen dem des Königs. Dass dieses Täfelchen existiert, zeigt zudem, dass die Paläste wahrscheinlich die Kontrolle über weite Teile des Landes ausübten. Offenbar wurde über die entsprechenden Grundstücke des Reiches penibel Buch geführt. Die genaue Auflistung der Landbesitzverhältnisse diente dabei wohlmöglich dazu, die Höhe der Abgaben und Dienstleistungen festzusetzen. Und so liefert uns diese Linear-B Tafel aus Pylos – obwohl über die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden im mykenischen Griechenland weitgehend Unklarheit herrscht – einen kleinen Einblick in Personengruppen und Landanteile in Pylos.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Die Mykener“. Um einen breiteren Einblick in die Archaik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte I – Archaik“.
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Sehen Sie hierzu auch den Beitrag zum Megaron in Pylos.