Märtyrerverehrung

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Anonym (Teile wohl von Perpetua und Saturus)
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Pass. Perp. 20-21. – Original:

Puellis autem ferocissimam uaccam ideoque praeter consuetudinem conparatam diabolus prae-parauit, sexui earum etiam de bestia aemulatus. 2. itaque dispoliatae et reticulis indutae pro-ducebantur. horruit populus alteram respiciens puellam delicatam, alteram a partu recentem stillantibus mammis. 3. ita reuocatae et discinctis indutae. prior Perpetua iactata est et concidit in lumbos. 4. et ubi sedit, tunicam a latere discissam ad uelamentum femoris reduxit pudoris potius memor quam doloris. 5. dehinc acu requisita et dispersos capillos infibulauit; non enim decebat martyram sparsis capillis pati, ne in sua gloria plangere uideretur. 6. ita surrexit et elisam Felicitatem cum uidisset, accessit et manum ei tradidit et suscitauit illam. et ambae pari-ter steterunt. 7. et populi duritia deuicta, reuocatae sunt in portam Sanauiuariam. 8. illic Per-petua a quodam tunc catechumeno Rustico nomine qui ei adhaerebat, suscepta et quasi a som-no expergita (adeo in spiritu et in extasi fuerat) circumspicere coepit et stupentibus omnibus ait: Quando, inquit, producimur ad uaccam illam nescioquam? 9. et cum audisset quod iam euenerat, non prius credidit nisi quasdam notas uexationis in corpore et habitu suo recognouis-set. 10. exinde accersitum fratrem suum et illum catechumenum, adlocuta est dicens: In fide state et inuicem omnes diligite, et passionibus nostris ne scandalizemini.
[21] Item Saturus in alia porta Pudentem militem exhortabatur dicens: Ad summam, inquit, certe, sicut praesumpsi et praedixi, nullam usque adhuc bestiam sensi. et nunc de toto corde credas: ecce prodeo illo, et ab uno morsu leopardi consummor. 2. et statim in fine spectaculi leopardo obiectus de uno morsu tanto perfusus est sanguine, ut populus revertenti illi secundi baptismatis testimonium reclamauerit: Saluum lotum! saluum lotum! 3. plane utique saluus erat qui hoc modo lauerat. 4. tunc Pudenti militi, [inquit] Vale, inquit, et memento fidei et mei; et haec te non conturbent, sed confirment. 5. simulque ansulam de digito eius petiit, et uulneri suo mersam reddidit ei hereditatem, pignus relinquens illi et memoriam sanguinis. 6. exinde iam exanimis prosternitur cum ceteris ad iugulationem solito loco. 7. et cum populus illos in medio postularet, ut gladio penetranti in eorum corpore oculos suos comites homicidii adiun-gerent, ultro surrexerunt et se quo uolebat populus transtulerunt, ante iam osculati inuicem, ut martyrium per sollemnia pacis consummarent. 8. ceteri quidem inmobiles et cum silentio fer-rum receperunt: multo magis Saturus, qui et prior ascenderat, prior reddidit spiritum; nam et Perpetuam sustinebat. 9. Perpetua autem, ut aliquid doloris gustaret, inter ossa conpuncta exululauit, et errantem dexteram tirunculi gladiatoris ipsa in iugulum suum transtulit. 10. for-tasse tanta femina aliter non potuisset occidi, quae ab inmundo spiritu timebatur, nisi ipsa uoluisset.
11. O fortissimi ac beatissimi martyres! o uere uocati et electi in gloriam domini nostri Iesu Christi! quam qui magnificat et honorificat et adorat, utique et haec non minora ueteribus exempla in aedificationem Ecclesiae legere debet, ut nouae quoque uirtutes unum et eundem semper Spiritum Sanctum usque adhuc operari testificentur, et omnipotentem Deum Patrem et Filium eius Iesum Christum dominum nostrum, cui est claritas et inmensa potestas in saecula saeculorum. Amen.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: Alfons Müller
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung:

Für die Frauen aber hat der Teufel eine sehr wilde Kuh bestimmt, die gegen die Gewohnheit hierfür herbeigeschafft worden war, damit auch die Bestie desselben Geschlechtes wäre. Sie wurden also entkleidet und mit Netzen umhüllt vorgeführt. Das Volk aber schauderte, da es in der einen ein zartes Mädchen, in der anderen eine junge Mutter mit noch milchtropfenden Brüsten sah. Darum wurden sie zurückgerufen und mit losen Gewändern bekleidet. Zuerst wurde Perpetua hingeworfen und fiel auf die Lenden; sie setzte sich aufrecht und zog ihr Kleid, das an der Seite zerrissen war, zurück zur Verhüllung ihres Oberschenkels, mehr um ihre Scham als um ihren Schmerz besorgt. Darauf flocht sie mit einer Nadel ihre Haare in einen Bund zusammen; denn es war ungeziemend, daß eine Märtyrin mit fliegenden Haaren litt, damit es nicht schien, als ob sie bei ihrer Verherrlichung trauere. So stand sie auf, und als sie die Felizitas am Boden liegend sah, trat sie zu ihr hinzu, reichte ihr die Hand und hob sie auf. Nun standen beide da und wurden, da die Grausamkeit des Volkes besiegt war, zum sanavi-varischen Tore zurückgebracht. Dort wurde Perpetua von einem gewissen Rustikus, der da-mals noch Katechumene war und ihr anhing, aufgenommen; wie vom Schlafe erwacht – so sehr war sie im Geiste und in Verzückung gewesen – fing sie an, sich umzusehen und sagte zum Staunen aller: Wann werden wir denn jener, ich weiß nicht welcher, Kuh vorgeworfen werden? Als sie dann hörte, daß es schon geschehen war, glaubte sie es nicht eher, als bis sie einzelne Merkmale des überstandenen Leidens an ihrem Leibe und an ihrer Kleidung erkannte. Darauf ließ sie ihren Bruder kommen und redete ihn und den Katechumenen also an: Stehet fest im Glauben, liebet einander und nehmt an unseren Leiden keinen Anstoß! […] Die übri-gen empfingen regungslos und lautlos den Todesstoß, am meisten Satyrus; er, der zuerst die Leiter hinaufgestiegen war, gab auch zuerst den Geist auf und erwartete die Perpetua. Perpe-tua aber, um doch auch etwas von Schmerzen zu kosten, schrie auf, als sie zwischen die Rip-pen getroffen wurde, und führte die schwankende Hand des noch unerfahrenen Gladiators zu ihrer Kehle. Vielleicht hätte eine solche Frau anders nicht getötet werden können, da sie von dem unreinen Geiste gefürchtet wurde, wenn sie nicht selbst gewollt hätte.
O heldenmütige und hochheilige Märtyrer! O wahrhaft Berufene und Auserwählte zur Herr-lichkeit unseres Herrn Jesu Christi! Wer diese verherrlicht, ehrt und anbetet, der muß ohne Zweifel auch solche Beispiele, die den alten nicht nachstehen, zur Erbauung der Kirche lesen, damit auch die neuen Wunderkräfte dafür Zeugnis ablegen, daß ein und derselbe Geist bis jetzt noch fortwirkt und Gott der allmächtige Vater und sein Sohn Jesus Christus unser Herr, dem Ehre sei und unermeßliche Macht in alle Ewigkeit. Amen.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Nathalie Klinck
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Pass. Perp. 20-21.

Leitfragen:

1) Welches Bild wird in der Passio von Perpetua als Märtyrerin gezeichnet?

2) Welche Rolle nimmt das tugendhafte Handeln von Perpetua ein?

3) Mit welcher Intention wurde die Passio verfasst?

Kommentar:

Bei der Passio Perpetuae et Felicitatis handelt es sich um einen der ersten lateinischen Märty-rerberichte aus Nordafrika. Inhaltlich steht die junge Frau Perpetua, die aus einer angesehenen Familie stammte, verheiratet war und ein Kind im Säuglingsalter hatte, im Mittelpunkt der Erzählung. Sie wurde verhaftet, weil sie sich zusammen mit ihrer Sklavin auf die Taufe vor-breitete. Bei ihrer Verhaftung wurde sie zudem von weiteren Katechumenen (Taufanwärtern) begleitet, die sich ebenfalls offen zum Christentum bekannten und sich weigerten, öffentlich für den Kaiser zu opfern. Neben ihrer schwangeren Sklavin Felicitas waren das die Christen Revocatus, Saturninus, Secundulus und der Presbyter Saturus. Die Gesamte Gruppe wurde zum Tode verurteilt und sollte bei Spielen anlässlich des kaiserlichen Geburtstages am 7. März 203 n. Chr. in der Arena von Karthago den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen werden. Die Erzählung setzt in medias res mit der eigenhändigen Beschreibung der Ereignisse von Perpe-tua ein; im Mittelpunkt ihrer Ausführungen stehen vor allem die Ängste um ihr Kind und die Auseinandersetzungen mit ihrem Vater, der sie wiederholt bittet, sich vom Christentum abzu-wenden, was sie jedes Mal konsequent verweigert. Daran schließen sich die Beschreibungen ihrer Visionen oder Traumbilder an und die einer weiteren Vision, des Presbyters Saturus – die er ebenfalls eigenhändig verfasst hatte. Diese Texte wurden kurz nach dem Martyrium von einem anonymen Autor – wahrscheinlich ein Zeitgenosse Tertullians – eingeleitet, redigiert und um die Beschreibung der Ereignisse in der Arena ergänzt. Damit werden in dieser Quelle au-tobiographische Passagen mit einer Einleitung und einem Kommentar des Herausgebers kom-biniert.
In dem vorliegenden Textausschnitt wird ein Bild von Perpetua als furchtlose und selbstbe-wusste Christin gezeichnet, die aufgrund ihrer Ergriffenheit durch den Heiligen Geist erst in der Lage war das Martyrium – das freiwillige Erleiden oder Ertragen des Todes um des Glau-bens an Christus oder einer anderen tugendhaften Handlung willen, die auf Gott zurückzufüh-ren ist – zu erleiden. Sie erfüllt eine Vorbildfunktion, indem sie durch ihr Verhalten in der Arena Tugenden, wie Keuschheit, Tugendhaftigkeit, Selbstlosigkeit und christliche Nächsten-liebe vermittelt. Damit stand sie bei ihrem Martyrium am Ende einer Entwicklung von der Tochter zur Ehefrau und Mutter hin zur Märtyrerin und Heiligen, die sich von allem Säkula-rem abgesagt hatte. Alle weiteren in der Passio beschrieben Charaktere – auch Felicitas – ste-hen im Schatten der jungen Frau. Perpetua gibt den Anwesenden nicht nur durch ihr tugend-haftes und selbstbewusstes Verhalten in der Arena ein Vorbild, sondern vielmehr gibt sie ganz konkrete Handlungsanweisungen an ihren Bruder und damit an die übrigen Christen der kar-thagischen Gemeinde. Dieses „gottgegebene“ Charisma wurde von den anderen Gruppenmit-gliedern anerkannt und deutlich gemacht durch die Beschreibung ihres – geradezu selbstbe-stimmten – Todes, der im starken Kontrast zu ihrer weltlichen Verurteilung steht.
Mit dem Beginn des 4. Jh. n.Chr. und nach der Beendigung der Christenverfolgungen wurden Märtyrer, wie Perpetua, von den Gläubigen als christliche Heilige verehrt. Zu diesem Zeit-punkt wurde in Karthago eine große Bestattungsbasilika über den Gräbern von Perpetua und Felicitas errichtet. Hier wurde die Passio während der Eucharistiefeiern anlässlich ihres Ge-denktages vor der Gemeinde verlesen und die Anwesenden dadurch zum Mit- und Nacherle-ben der vorgetragenen Berichte aufgefordert. Das Grab und der damit einhergehende Toten-kult waren der Ausgangspunkt der Heiligenverehrung. Diese Kultstätten wurden als Orte der fortdauernden Präsenz der Heiligen auf Erden und im Himmel verstanden und von den Gläu-bigen auch als „Pilgerstätten“ aufgesucht. Die Hochschätzung, die den Märtyrern für ihre Ta-ten und ihrer Glaubensstärke zu Lebzeiten angerechnet wurde, übertrug sich auf ihre Gebeine und vielfach auch auf Gegenstände, die in engem Kontakt mit den Personen gestanden hat-ten. Diese sog. Reliquien wurden von den christlichen Gemeindemitgliedern verehrt – und nicht zuletzt im großen Umfang im gesamten Römischen Reich gehandelt. Dabei wirkte das Wissen um die geographische und physische Nähe zu den zentralen Figuren ebenfalls in be-deutendem Maße identitätsstiftend für die Gemeinde und die Stadt. Diese Nähe wurde auf textlicher Ebene durch Märtyrerberichte, Predigten etc. und auf architektonischer Ebene durch die Ausgestaltung der Kultbauten zusätzlich künstlich hergestellt und inszeniert. Dies und die Tatsache, dass hagiographische Schriften immer auch als literarische Texte verstanden werden müssen, die bestimmte Topoi, wie Visionen oder die Anerkennung des christlichen Handelns durch die pagane Umwelt aufgreifen, machen diese Quellengattung so außergewöhnlich. Die Passio wurde in erster Linie mit der Intention verfasst, die Beschreibungen über die Gescheh-nisse um und während des Martyriums von Perpetua und ihrer Gruppe zu kanonisieren und damit in die kirchliche Liturgie zu integrieren – mit Erfolg, denn auch Augustinus erwähnt die bewegte Stimmung, die bei der Verlesung der Passio Perpetuae et Felicitatis unter den Gemeindemitgliedern herrschte.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Religiöse Strukturen, Judentum und Christentum“. Um einen breiteren Einblick in die Kaiserzeit zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Römische Geschichte II – Kaiserzeit“.
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