Inschrift der Schilderung des Sieges über die Seevölker im 8. Regierungsjahr des Königs (Pharao) Ramses III. Relief am Totentempel Ramses’ III. in Medinet Habu, Ägypten.
Aus: Medinet Habu: Vol. 1 Earlier Historical Records of Ramses III : plates 1 – 54 / Oriental Institute. Chicago 1936.
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: William F. Edgerton und John A. Wilson
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Übersetzung:
[…] „As for the foreign countries, they made a conspiracy in their isles. Removed and scattered in the fray were the lands at one time. No land could stand before their arms, from Hatt, Kode, Carchemish, Yereth, and Yeres on, (but they were) cut off at [one time].
A camp [was set up] in one place in Amor. They desolated ist people, and ist land was like that which has never come into being. They were coming, while the flame was prepared before them, forward toward Egypt. […]
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Agnes von der Decken
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Leitfragen:
1) Was erfahren wir aus der Quelle über die Seevölker?
2) In welchem Zusammenhang stehen die Seevölker und der Untergang der Mykener?
3) Was spricht gegen eine Zerstörung der mykenischen Welt durch die Seevölker?
Kommentar:
In der Forschung wird davon ausgegangen, dass das mykenische Reich um 1200 Jahrhundert v. Chr. unterging. An sogenannten „Zerstörungshorizonten“, welche die Zerstörung von Gebäuden, z.B. durch Feuer, sichtbar machen können, konnte dabei gezeigt werden, dass an verschiedenen Orten des ägäischen Raumes zur gleichen Zeit Zerstörungen stattfanden. Der letzte dieser Zerstörungshorizonte, der mit dem Zusammenbruch des mykenischen Reiches in Verbindung gebracht wird, fällt etwa in das Jahr 1200 v. Chr. In dieser Zeit wurden die mächtigen Zentren des mykenischen Griechenlands abschließend zerstört. Warum und durch wen die mykenische Welt unterging, ist jedoch nach wie vor nicht geklärt.
Eine mögliche Antwort kann durch einen Blick nach Osten gefunden werden, was gleichzeitig zu der oben angeführten Quelle überleitet. Im 12. Jahrhundert v. Chr. kam es auch im Ostmittelmeerraum zu nachhaltigen Veränderungen: Das Großreich der Hethiter ging in Kleinasien unter, Troja wurde zerstört und das kanaaänische Königreich von Ugarit in der Levante fand sein Ende. Die Gegner der Hethiter und Kanaaniter waren die sogenannten „Seevölker“, die sich, wie zwei Schlachtszenen am Totentempel von Medina Habu zu erkennen geben, zu Wasser und zu Land auch gegen die Ägypter wandten. Über jene Seevölker erfahren wir auch aus obigem Quellentext. Es handelt sich bei der Quelle um eine Inschrift aus dem achten Regierungsjahr des Pharao Ramses III. von der Wand von Medina Habu (etwa 1180 v. Chr). Der Textausschnitt ist das Kernstück einer feierlichen Ansprache des Pharaos an die Ägypter. In diesem Siegesbericht über den ägyptischen Abwehrkampf gegen die Seevölker nennt Ramses III. die Namen fremder Eroberer, die von „Inseln“ stammen und auf ihrem Weg nach Ägypten eine Reihe von Zerstörungen hinterließen. Um die Wende vom 13. zum 12. Jahrhundert v. Chr. brachten diese Seevölker in einem „Seevölker-Sturm“ dem griechischen Festland bis zur Levanteküste wahrscheinlich großes Unheil. Nach wie vor gibt es allerdings unbeantwortete Fragen hinsichtlich der Identifikation der Seevölker. Eine Gleichsetzung der Namen der Seevölker aus der ägyptischen Inschrift mit antiken Völkernamen bereitet der Forschung Schwierigkeiten. Einzig die „Peleset“ können mit Sicherheit als die Philister identifiziert werden, die schon in der Bibel als Bewohner der Südküste Knaans erwähnt werden. Zudem ist unklar, ob die Seevölker eine organisierte Armee waren, oder eine lockere bzw. schlecht organisierte Gruppe von Plünderern. Vielleicht handelte es sich bei ihnen sogar um Flüchtlinge, die vor Naturkatastrophen flohen und auf der Suche nach einer neuen Heimat waren.
Auch wenn die Gruppe der Seevölker in Bezug auf Zusammensetzung und Herkunft nicht eindeutig zu bestimmen ist, kann ein Zusammenhang zwischen den von Ramses III. erwähnten Seevölkern und dem Untergang der mykenischen Welt um 1200 v. Chr. hergestellt werden. Schon im ausgehenden 13. Jahrhundert v. Chr. gibt es Anzeichen dafür, dass es im mykenischen Mittelmeerraum teilweise zu grundlegenden Veränderungen kommt, die den Eindruck einer Bedrohung vermitteln (Versorgungsengpässe, Unterbrechungen der Handelsrouten, der Um- und Erweiterungsbau der Befestigungsmauern, die Einrichtung geschützter Wasserversorgungssysteme). Vieles deutet also auf einen Ausbruch von Gewalt und Zerstörung hin. Dieser könnte von fremdländischen Invasoren ausgegangen sein – z.B. von den Seevölkern. Ein Indiz dafür, dass die Mykener tatsächlich von den durch Ramses III. beschriebenen Seevölkern angegriffen wurden, ist die Tatsache, dass die Mykener von Invasoren heimgesucht worden sein mussten, die keinerlei archäologische Spuren hinterließen. Es muss sich also um Feinde gehandelt haben, die nach der Zerstörung weiterzogen. Dies würde auf die Seevölker zutreffen.
Ein anderes Indiz für die Invasions-These der Seevölker ist eine Linear-B-Tafel aus Pylos: Auf der Tafel mit der Überschrift „Maßnahmen zur Überwachung der Küstenregion“ wird der Auftrag gegeben, dass insgesamt 800 Männer zur Küste geschickt werden sollen. Es ist möglich, dass diese Männer die Küste entweder verteidigen oder aber eine Art Frühwarnsystem bilden sollten, um den küstennah gelegenen Palast rechtzeitig zu warnen, wenn sich ein Feind von See näherte. Dieser Feind waren dabei vielleicht die Seevölker.
Die Theorie, dass zwischen den Zerstörungen im mykenischen Griechenland und den durch Ramses III. historisch dokumentierten Ansturm der Seevölker ein Zusammenhang besteht, ist reizvoll. Dennoch muss eine solche Verbindung stets skeptisch betrachtet werden, da es keine konkreten Hinweise dafür gibt, dass die Seevölker jemals die Ägäis aufsuchten. Dass die Seevölker Orte wie Pylos, die an der Küste gelegen haben, niederbrannten, ist vorstellbar. Dass sie aber auch für die Verheerungen im übrigen Festland verantwortlich waren, ist unwahrscheinlich. Denn viele der sogenannten Zufluchtsorte, die an Bevölkerung zunahmen, weil Mykener, die aus ihren Gebieten vertrieben wurden, in diese Orte flohen, lagen an der Küste oder nicht weit davon entfernt (wie Tiryns oder Lefkandi). Offenbar wurde also keine allgemeine Bedrohung vom Meer aus befürchtet. Dennoch soll nicht ausgeschlossen werden, dass die Seevölker, welche Ramses III. später siegreich vertreiben konnte, die mykenischen Küsten angriffen. Wichtig im Hinblick auf den Untergang der mykenischen Welt ist jedoch, dass nicht die Seevölker allein für den Untergang verantwortlich waren, sondern dass es sich dabei um einen langwierigen und nicht einheitlichen Prozess handelte. Mit großer Wahrscheinlichkeit muss von verschiedenen Ursachen ausgegangen werden, die schlussendlich das Ende der mykenischen Welt besiegelten.