Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Solon (bei Diogenes Laertios)
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Diog. Laert. 1.52 – Original:
εἰ δὲ πεπόνθατε δεινὰ δι᾽ ὑμετέρην κακότητα, μή τι θεοῖς τούτων μοῖραν ἐπαμφέρετε.
αὐτοὶ γὰρ τούτους ηὐξήσατε, ῥύσια δόντες, καὶ διὰ ταῦτα κακὴν ἴσχετε δουλοσύνην.
ὑμέων δ᾽ εἷς μὲν ἕκαστος ἀλώπεκος ἴχνεσι βαίνει, σύμπασιν δ᾽ ὑμῖν κοῦφος ἔνεστι νόος.
εἰς γὰρ γλῶσσαν ὁρᾶτε καὶ εἰς ἔπη αἱμύλου ἀνδρός, εἰς ἔργον δ᾽ οὐδὲν γιγνόμενον βλέπετε.
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: R.D. Hicks
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Übersetzung:
If ye have suffered sadly through your own wickedness, lay not the blame for this upon the gods. For it is you yourselves who gave pledges to your foes and made them great; this is why you bear the brand of slavery. Every one of you treadeth in the footsteps of the fox, yet in the mass ye have little sense. Ye look to the speech and fair words of a flatterer, paying no regard to any practical result.
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Agnes von der Decken
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Diog. Laert. 1.52
Leitfragen:
1) Worum geht es in dieser Quelle?
2) Auf wen oder was bezieht sich Solons Kritik?
3) Welche Hinweise auf die Tyrannis ergeben sich daraus?
Kommentar:
Bei der vorliegenden Quelle handelt es sich um ein Fragment des berühmten archaischen Reformers und Gesetzgebers Solon, der zu Beginn des 6. Jh. v. Chr. großen Einfluss auf die Politik und Gesellschaft Athens ausübte. Solon ist darüber hinaus bekannt für seine Lyrik, die oftmals sein politisches Handeln begleitete und die er insofern vielfach für seine politischen Zwecke einsetzte. Auch das vorliegende Fragment, bei welchem es sich um ein Gedicht in elegischem Versmaß handelt, kann aufgrund seines Inhalts in die Kategorie der politischen Lyrik eingeordnet werden. In diesen Versen sagt Solon nämlich, dass die Menschen ihr Leid nicht den Göttern zuschreiben dürfen, sondern selbst dafür verantwortlich seien. Denn durch ihr politisches Handeln, indem sie nämlich den falschen Leuten Schutz gewährten, seien sie nun in eine schlimme Knechtschaft geraten. Anstatt eigenständig zu denken, habe die Masse sich durch schmeichelnde Worte eines Mannes verführen lassen und erkenne nun den rechten Weg nicht mehr.
In der Forschung wird kontrovers diskutiert, was und wen Solon mit diesen Worten gemeint haben könnte. Grundsätzlich muss das Gedicht dafür in seinen historischen Kontext eingeordnet werden: Die Polis Athen befand sich zu Solons Zeit in einer schweren politischen, ökonomische und sozialen Krise. Die Athener entschieden sich deswegen dazu, einen Mann als Schlichter zu berufen. Dieser Mann war Solon. Mit Hilfe seiner Reformen und Gesetze gelang es Solon, die Krise vorerst beizulegen. Die Fragmente Solons zeigen jedoch, dass seine Maßnahmen nicht überall wohlwollend aufgenommen wurden. Bei Aristoteles heißt es sogar, dass es, nachdem Solon, um seine Reformen wirken zu lassen, zehn Jahre auf Reisen ging, erneut zu Streitereien gekommen sei, die schlussendlich in die Tyrannis des Peisistratos mündeten. Es ist möglich, dass das oben angeführte Fragment, das bei Diogenes Laertios überliefert ist, in diese Zeit zu verorten ist und sich Solons Worte hier auf eben jene Tyrannis des Peisistratos beziehen. Dieser war bei seinem ersten Versuch, die Herrschaft in Athen zu erlangen, mit Hilfe einer durch Volksbeschluss bestellten Leibwache an die Macht gekommen. Die solonischen Verse können also als Widerstand gegen das Emporkommen des Peisistratos verstanden werden. Interessant ist darüber hinaus die Frage, wen Solon mit seinen Versen adressierte. Vielfach wurde angenommen, dass er den Demos, das Volk, anspricht. Allerdings ist es auch plausibel, dass Solon zu Aristokraten gesprochen hat, da diese eine Tyrannis, anders als der Demos, als Knechtschaft oder Sklaverei empfunden haben muss. Die Vermutung, dass Solon sich an dieser Stelle auf die Tyrannis des Peisistratos bezieht und die Frage, wen Solon anspricht, ergeben sich jedoch nicht aus den Worten selbst, sodass eine abschließende historische Einordnung des Fragmentes offenbleiben muss. Sicher ist nur, dass Solon mit seinen Worten die Verleihung allzu großer Macht an eine bestimmte Person kritisiert.
Mit diesen Versen Solons liegt ein Plädoyer gegen die Übel der Tyrannis vor. Gleichzeitig wird aber ein anderer Aspekt besonders deutlich: Die Verantwortung, die Solon den angesprochenen Menschen für ihr Leid überträgt. Nicht die Götter, sondern die Menschen selbst seien es, die dafür gesorgt haben, dass sie in Knechtschaft geraten sind, denn die Masse sei im Gegensatz zum Einzelnen ignorant. Hier zeigt sich ein wesentlicher Aspekt der Ursachen einer Tyrannis: Durch Zugeständnisse an das Volk und einer damit einhergehenden Unterstützung von Seiten des Volkes konnte es einem einzelnen Aristokraten gelingen, sich an der Spitze des Staates zu etablieren. Begünstigt wurde dies oft dadurch, dass sich die Polis in einer Krise befand. In dieser Situation der Uneinigkeit war es einfach, das Volk auf seine Seite zu ziehen. Unabhängig von der Frage, ob Solon hier von dem Coup des Peisistratos berichtet, spiegeln seine Worte eben jene Situation wider, in welcher der es einem Aristokraten gelingt, durch die Verführung des Volkes, die Macht an sich zu ergreifen.
Sehen Sie zu diesem Beitrag auch den Kommentar zu Aristoteles und den Ursachen einer Tyrannis.