Etruskische Grabanlagen


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Autor_in: Falk Wackerow
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Etruskische Grabanlagen

Leitfragen

1) Was verraten Grabanlagen über die Kultur der Etrusker?

2) Wodurch zeichnen sich etruskische Gräber aus?

3) Welche Einflüsse auf die etruskische Kultur sind anhand der Kunst festzustellen?

Kommentar:

Leider ist das Wissen über die Etrusker trotz intensiver Forschung der vergangenen Jahrzehnte immer noch überschaubar. Grund dafür ist der Quellenmangel, denn ähnlich wie viele andere antike Mittelmeeranrainer verfügten die Etrusker zwar über Schriftlichkeit, hinterließen aber kaum literarische Zeugnisse, die sich bis heute erhalten haben. Darum sind archäologische Überreste wie das oben abgebildete Tumulusgrabmal beim heutigen Cerveteri in Latium von großer Bedeutung für die Etruskologie. Aus Grabbeigaben und Fresken kann nicht nur auf Begräbnisriten, sondern bisweilen auch auf Kunst und Kultur sowie das alltägliche Leben geschlossen werden. Bekannt sind die Etrusker besonders für ihre prächtigen und fröhlichen Wandmalereien und die kunstvoll verzierten Ehepaarsarkophage. Dabei lässt sich, je nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung, ein orientalischer oder griechischer Einfluss feststellen. Grabbeigaben lassen sich seit Beginn der Villanova-Kultur, also seit ca. 1000 v. Chr., in Etrurien belegen. Häufig sind sie geschlechtsspezifisch (Waffen bei Männern, Spinn- und Webutensilien bei Frauen) und verweisen auf den sozialen Rang der Toten. Ähnlich wie bei den Ägyptern kamen später immer mehr Alltagsgegenstände hinzu, die das Grab „wohnlicher“ machten, d. h. ein häusliches Umfeld für das Jenseits schufen. So finden sich in vielen Gräbern Sessel und Throne, Geschirr und Schmuck. Ähnlich wie bei den Römern, die diese Tradition später übernahmen, gab es Leichenspiele zu Ehren ranghoher und reicher Verstorbener. Nicht wenige Abbildungen dieser Szenerien sind in den Gräbern als Wandmalereien erhalten. Die meisten Verstorbenen wurden verbrannt, selten gab es auch Körperbestattungen, vor allem in früherer Zeit. Die Urnen besaßen häufig die Form von stilisierten Hütten mit angedeuteten Dächern, denn der Verstorbene sollte auch im Jenseits in einem Haus leben. Die Forschung hat in diesem Zusammenhang außerdem auf die Bedeutung des pater familias als Familienoberhaupt und Herr des Hauses verwiesen. Der Großteil der Grabmäler befand sich in größeren Nekropolen, die in der Nähe der dazugehörigen Städte lagen. Viele Grabanlagen waren als Familiengrab angelegt, in dem die Angehörigen einer gens zur letzten Ruhe gebettet wurden. Während der Villanovazeit herrschten einfache Schachtgräber vor, die später durch Tumuli (aus Erde aufgeschüttete Grabhügel über steinernen Grabmalen) abgelöst wurden. In hellenistischer Zeit finden sich mehr und mehr Sarkophage, von denen die aufwendigeren von Büsten auf dem Deckel geziert werden. Die Identifizierung erfolgt jedoch nicht durch das eher anonym gehaltene Antlitz, sondern durch den in etruskischen Lettern festgehaltenen Namen des Verstorbenen.

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Die Seeschlacht von Kyme

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Autor_in: Diodor
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Diod. XI, 51 – Original

ἐπ᾽ ἄρχοντος δ᾽ Ἀθήνησιν Ἀκεστορίδου ἐν Ῥώμῃ τὴν ὕπατον ἀρχὴν διεδέξαντο Καίσων Φάβιος καὶ Τίτος Οὐεργίνιος. ἐπὶ δὲ τούτων Ἱέρων μὲν ὁ βασιλεὺς τῶν Συρακοσίων, παραγενομένων πρὸς αὐτὸν πρέσβεων ἐκ Κύμης τῆς Ἰταλίας καὶ δεομένων βοηθῆσαι πολεμουμένοις ὑπὸ Τυρρηνῶν θαλαττοκρατούντων, ἐξέπεμψεν αὐτοῖς συμμαχίαν τριήρεις ἱκανάς. [2] οἱ δὲ τῶν νεῶν τούτων ἡγεμόνες ἐπειδὴ κατέπλευσαν εἰς τὴν Κύμην, μετὰ τῶν ἐγχωρίων μὲν ἐναυμάχησαν πρὸς τοὺς Τυρρηνούς, πολλὰς δὲ ναῦς αὐτῶν διαφθείραντες καὶ μεγάλῃ ναυμαχίᾳ νικήσαντες, τοὺς μὲν Τυρρηνοὺς ἐταπείνωσαν, τοὺς δὲ Κυμαίους ἠλευθέρωσαν τῶν φόβων, καὶ ἀπέπλευσαν ἐπὶ Συρακούσας.

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Übersetzung: C. H. Oldfather
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Übersetzung

When Acestorides was archon in Athens, in Rome Caeso Fabius and Titus Verginius succeeded to the consulship. And in this year Hieron, the king of the Syracusans, when ambassadors came to him from Cumae in Italy and asked his aid in the war which the Tyrrhenians, who were at that time masters of the sea, were waging against them, he dispatched to their aid a considerable number of triremes. [2] And after the commanders of this fleet had put in at Cumae, joining with the men of that region they fought a naval battle with the Tyrrhenians, and destroying many of their ships and conquering them in a great sea-fight, they humbled the Tyrrhenians and delivered the Cumaeans from their fears, after which they sailed back to Syracuse.

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Autor_in: Falk Wackerow
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Leitfragen:

1) Wie ist die Stelle in den historischen Kontext einzuordnen?

2) Welche Auswirkungen hatte die Schlacht für Bewohner Italiens?

3) Was waren die Folgen für die Etrusker?

Kommentar:

Unsere Kenntnisse über die genauen Vorgänge der Schlacht von Kyme (Cumae) sind leider rar. Weder die ungefähre Anzahl der Kombattanten noch die Namen der Befehlshaber sind überliefert; auch eine Beschreibung des Ablaufs der Kämpfe hat sich nicht erhalten. Fest steht, dass die Etrusker seit jeher in Auseinandersetzungen mit den süditalischen Griechen verwickelt waren. Bereits 524 waren sie mit den Bewohnern der Stadt Kyme aneinander geraten und waren in der Schlacht besiegt worden. Kurz nach dem wahrscheinlich erfolgreichen Feldzug des Porsenna gegen Rom mussten sie 503 zudem eine weitere Niederlage bei Kyme verkraften, bei der Porsennas Sohn Arruns fiel. 474 unternahmen sie einen weiteren Vorstoß nach Süden, diesmal mit der Flotte. Der örtliche Machthaber Aristodemos, der sich im Zuge der Auseinandersetzungen mit den Etruskern zum Tyrannen aufgeschwungen hatte, ging ein Bündnis mit seinem syrakusanischen Amtskollegen Hieron I. ein. Anders als etwa fünfzig Jahre zuvor in der siegreichen Seeschlacht bei Alalia verbündeten sich die Etrusker diesmal nicht mit den Karthagern. Die Gründe dafür sind unbekannt. Wiederum ging die Schlacht für sie verloren; von dieser neuerlichen Niederlage sollten sie sich nicht mehr erholen. Weite Teile des etruskischen Herrschaftsgebietes in Süditalien mussten aufgrund des Drucks der italischen Stämme aufgegeben werden. Auch der Aufschwung der Römer begann wohl in dieser Zeit. Syrakus und Kyme sollten noch lange mächtige unabhängige Städte bleiben. Für die Etrusker hingegen markiert die Seeschlacht von Kyme den Anfang vom Ende ihrer eigenständigen Geschichte. Von den Italikern und Römern immer weiter zurückgedrängt, schließlich in ihrem Kerngebiet von den Kelten überrannt, gingen die etruskischen Städte früher oder später im entstehenden römischen Reich auf. Noch zu Zeiten des Kaisers Augustus und danach sind jedoch einige Überbleibsel (Epitheta, Wahrsagerei, künstlerische Einflüsse) etruskischer Kultur nachweisbar.

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Der Feldzug der Porsenna

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Autor_in: Livius
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Liv. II, 9,4-12,16 – Original

[4] Porsenna cum regem esse Romae , tum Etruscae gentis regem, amplum Tuscis ratus, Romam infesto exercitu uenit. [5] non unquam alias ante tantus terror senatum inuasit; adeo ualida res tum Clusina erat magnumque Porsennae nomen. nec hostes modo timebant sed suosmet ipsi ciues, ne Romana plebs, metu perculsa, receptis in urbem regibus uel cum seruitute pacem acciperet. [6] multa igitur blandimenta plebi per id tempus ab senatu data. annonae in primis habita cura, et ad frumentum comparandum missi alii in Uolscos, alii Cumas. salis quoque uendendi arbitrium, quia impenso pretio uenibat, in publicum omne sumptum, ademptum priuatis; portoriisque et tributo plebes liberata, ut diuites conferrent qui oneri ferendo essent: pauperes satis stipendii pendere, si liberos educent. [7] itaque haec indulgentia patrum asperis postmodum rebus in obsidione ac fame adeo concordem ciuitatem tenuit, ut regium nomen non summi magis quam infimi horrerent, [8] nec quisquam unus malis artibus postea tam popularis esset quam tum bene imperando uniuersus senatus fuit.
[…]https://emanualaltegeschichte.blogs.uni-hamburg.de/wp-admin/post-new.php
obsidio erat nihilo minus et frumenti cum summa caritate inopia, sedendoque expugnaturum se urbem spem Porsinna habebat, [2] cum C. Mucius, adulescens nobilis, cui indignum uidebatur populum Romanum seruientem cum sub regibus esset nullo bello nec ab hostibus ullis obsessum esse, liberum eundem populum ab iisdem Etruscis obsideri quorum [3] saepe exercitus fuderit,—itaque magno audacique aliquo facinore eam indignitatem uindicandam ratus […].
[…] abdito intra uestem ferro proficiscitur. [6] ubi eo uenit, in confertissima turba prope regium tribunal constitit. [7] ibi cum stipendium militibus forte daretur et scriba cum rege sedens pari fere ornatu multa ageret eum milites uolgo adirent, timens sciscitari uter Porsinna esset, ne ignorando regem semet ipse aperiret quis esset, quo temere traxit fortuna facinus, scribam pro rege obtruncat. [8] uadentem inde qua per trepidam turbam cruento mucrone sibi ipse fecerat uiam, cum concursu ad clamorem facto comprehensum regii satellites retraxissent, ante tribunal regis destitutus, tum quoque inter tantas fortunae minas metuendus magis quam metuens, [9] [p. 2018]’Romanus sum‘ inquit, ‚ciuis; C. Mucium uocant. hostis hostem occidere uolui, nec ad mortem minus animi est, quam fuit ad caedem; et facere et pati fortia Romanum est. [10] nec unus in te ego hos animos gessi; longus post me ordo est idem petentium decus. proinde in hoc discrimen, si iuuat, accingere, ut in singulas horas capite dimices tuo, ferrum hostemque in uestibulo habeas regiae. hoc tibi iuuentus Romana indicimus bellum. [11] nullam aciem, nullum proelium timueris; uni tibi et cum singulis res erit.‘ [12] cum rex simul ira infensus periculoque conterritus circumdari ignes minitabundus iuberet nisi expromeret propere quas insidiarum sibi minas per ambages iaceret, [13] ‚en tibi‘ inquit, ‚ut sentias quam uile corpus sit iis qui magnam gloriam uident‘; dextramque accenso ad sacrificium foculo inicit. quam cum uelut alienato ab sensu torreret animo, prope attonitus miraculo rex cum ab sede sua prosiluisset amouerique ab altaribus iuuenem iussisset, [14] ‚tu uero abi‘ inquit, ‚in te magis quam in me hostilia ausus. iuberem macte uirtute esse, si pro mea patria ista uirtus staret; nunc iure belli liberum te, intactum inuiolatumque hinc dimitto.‘ [15] tunc Mucius, quasi remunerans meritum, ‚quando quidem‘ inquit, ‚est apud te uirtuti honos, ut beneficio tuleris a me quod minis nequisti, trecenti coniurauimus principes iuuentutis Romanae ut in te hac uia grassaremur. [16] mea prima sors fuit; ceteri ut cuiusque ceciderit primi quoad te opportunum fortuna dederit, suo quisque tempore aderunt.‘
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Übersetzung: Benjamin Oliver Foster
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Übersetzung

[4] Porsinna, believing that it was not only a safe thing for the Etruscans that there should be a king at Rome, but an honour to have that king of Etruscan stock, invaded Roman territory with a hostile army. [5] Never before had such fear seized the senate, so powerful was Clusium in those days, and so great Porsinna’s fame. And they feared not only the enemy but their own citizens, lest the plebs should be terror-stricken and, admitting the princes into the City, should even submit to enslavement, for the sake of peace. [6] Hence the senate at this time granted many favours to the plebs. The question of subsistence received special attention, and some were sent to the Volsci and others to Cumae to buy up corn. Again, the monopoly of salt, the price of which was very high, was taken out of the hands of individuals and wholly assumed by the government. Imposts and taxes were removed from the plebs that they might be borne by the well-to-do, who were equal to the burden: the poor paid dues enough if they reared children. [7] Thanks to this liberality on the part of the Fathers, the distress which attended the subsequent blockade and famine was powerless to destroy the harmony of the state, which was such that the name of king was not more abhorrent to the highest than to the lowest; [8] nor was there ever a man in after years whose demagogic arts made him so popular as its wise governing at that time made the whole senate.
[…] 12. The blockade went on notwithstanding. The corn was giving out, and what there was cost a very high price, and Porsinna was beginning [2] to have hopes that he would take the City by sitting still, when Gaius Mucius, a young Roman noble, thinking it a shame that although the Roman People had not, in the days of their servitude when they lived under kings, been blockaded in a war by any enemies, they should now, [3] when free, be besieged by those same Etruscans whose armies they had so often routed, made up his mind that this indignity must be avenged by some great and daring deed.
[…] Hiding a sword under his dress, he set out. [7] Arrived at the camp, he took up his stand in the thick of the crowd near the royal tribunal. It happened that at that moment the soldiers were being paid; a secretary who sat beside the king, and wore nearly the same costume, was very busy, and to him the soldiers for the most part addressed themselves. Mucius was afraid to ask which was Porsinna, lest his ignorance of the king’s identity should betray his own, and following the blind guidance of Fortune, slew the secretary instead of the king. [8] As he strode off through the frightened crowd, making a way for himself with his bloody blade, there was an outcry, and thereat the royal guards came running in from every side, seized him and dragged him back before the tribunal of the king. [9] But friendless as he was, even then, when Fortune wore so menacing an aspect, yet as one more to be feared than fearing, “I am a Roman citizen,” he cried; “men call me Gaius Mucius. [10] I am your enemy, and as an enemy I would have slain you; I can die as resolutely as I could kill: both to do and to endure valiantly is the Roman way. Nor am I the only one to carry this resolution against you: behind me is a long line of men who are seeking the same honour. Gird yourself therefore, if you think it worth your while, for a struggle in which you must fight for your life from hour to hour with an armed foe always at your door. [11] Such is the war we, the Roman youths, declare on you. [12] Fear no serried ranks, no battle; it will be between yourself alone and a single enemy at a time.” [13] The king, at once hot with resentment and aghast at his danger, angrily ordered the prisoner to be flung into the flames unless he should at once divulge the plot with which he so obscurely threatened him. Whereupon Mucius, exclaiming, “Look, that you may see how cheap they hold their bodies whose eyes are fixed upon renown!” thrust his hand into the fire that was kindled for the sacrifice. When he allowed his hand to burn as if his spirit were unconscious of sensation, the king was almost beside himself with wonder. [14] He bounded from his seat and bade them remove the young man from the altar. “Do you go free,” he said, “who have dared to harm yourself more than me. I would invoke success upon your valour, were that valour exerted for my country; since that may not be, I release you from the penalties of war and dismiss you scathless and uninjured.” [15] Then Mucius, as if to requite his generosity, answered, “Since you hold bravery in honour, my gratitude shall afford you the information your threats could not extort: we are three hundred, the foremost youths of Rome, who have conspired to assail you in this fashion. [16] I drew the first lot; the others, in whatever order it falls to them, will attack you, each at his own time, until Fortune shall have delivered you into our hands.”
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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Falk Wackerow
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Leitfragen:

1) Was bezweckt der Autor mit dieser Darstellungsweise der Ereignisse?

2) Wie passt die Stelle in den historischen Kontext?

3) Welcher wahre Kern steckt in der Schilderung?

Kommentar:

Die gesamte Geschichte um Porsennas legendären Feldzug gegen Rom diente Livius wohl vor allem dem Zweck, herausragende Tugenden der römischen Protagonisten zu betonen, auf dass sich der Leser ein Beispiel an ihnen nehme. Schon die den oben stehenden Geschehnissen um Gaius Mucius vorangehende Brückenverteidigung durch Horatius Cocles liest sich mehr wie ein Heldenepos als seriöse Geschichtsschreibung. Die Glorifizierung römischer Helden ist typisch sowohl für die livianische Darstellung als auch für die römische Geschichtsschreibung insgesamt.
Die Herrschaft des Lars Porsenna fällt in die letzte Phase etruskischer Dominanz in Ober- und Mittelitalien. Nachdem sie jahrhundertelang auch über Rom und Latium geherrscht hatten, symbolisiert die (mythische) Vertreibung des letzten Königs Tarquinius Superbus den Anfang vom Ende der etruskischen Hochkultur. Dieses ist jedoch weniger auf Rom, als auf den hartnäckigen Widerstand der Griechenstädte des Südens, namentlich Cumae und Syrakus zurückzuführen, die den Etruskern in der Seeschlacht von Kyme 474 eine vernichtende Niederlage zufügten, von der sie sich nie mehr erholen sollten. In diesem Kontext ist der Angriff Porsennas auf Rom zu verstehen: als der letzte erfolgreiche Versuch, ihre Machtposition zu behaupten. Aus welchen Gründen der Feldzug geführt wurde, ist nicht sicher. Die Quellen Livius und Dionysios von Halikarnassos behaupten, Porsenna habe Superbus nach dessen Vertreibung wieder als König einsetzen wollen, während die Forschung eher davon ausgeht, dass er seine eigene Macht ausbauen wollte. Unbestritten, wenn auch auffällig ist die Hilflosigkeit der Römer angesichts der Invasion. Sie stellten sich nicht zur Feldschlacht, sondern zogen sich ohne allzu großen Widerstand hinter die Mauern Roms zurück. Die Überlegenheit des etruskischen Heers scheint übermächtig gewesen zu sein, so übermächtig, dass die Römer sie ebenso wie die Kelten unter Brennus knapp 100 Jahre später für den Abzug bezahlen mussten. Die Stellung von Geiseln wird ebenso erwähnt, was eindeutig für einen positiven Ausgang der Kampagne des Porsenna spricht. Unklar ist, ob es seinen Truppen gelang, die Stadt einzunehmen. Als erobert genannt wird lediglich der Ianiculus, der damals noch nicht zum bebauten Stadtgebiet zählte. Trotz der angeblichen großen Kampfbereitschaft der Jugend und eines zurückgeschlagenen Angriffs scheinen die Römer nicht die Kraft für einen Gegenangriff gehabt zu haben. Dagegen steht die Episode des Gaius Mucius in den Quellen, der sich nach seiner Enttarnung als Attentäter und Römer zu erkennen gibt und seine Entschlossenheit mit der Verbrennung seiner rechten Hand demonstrierte, woraus sein späterer Beiname „Scaevola“, der Linkshänder, resultierte. Livius schreibt, Porsenna sei so beeindruckt gewesen und habe nach Mucius‘ Auftreten derart um sein Leben gefürchtet, dass er die Belagerung abbrach und zurück in seine Heimatstadt Clusium zog. Diese Darstellung widerspricht allerdings der Erwähnung der Geiseln und der „Güter des Porsenna“ später im Text. Die wahrscheinlichste Version ist wohl, dass Livius die Hilfslosigkeit der Römer mit heroischen Taten Einzelner kaschieren wollte.

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Der Sturz der Könige

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Liv. I, 58,1-59,1 – Original:

58. paucis interiectis diebus Sex. Tarquinius inscio Collatino cum comite uno Collatiam venit. [2] ubi exceptus benigne ab ignaris consilii cum post cenam in hospitale cubiculum deductus esset, amore ardens, postquam satis tuta circa sopitique omnes videbantur, stricto gladio ad dormientem Lucretiam venit sinistraque manu mulieris pectore oppresso ‚tace, Lucretia‘ inquit; ‚Sex. Tarquinius sum; ferrum in manu est; moriere, si emiseris vocem.‘ [3] cum pavida ex somno mulier nullam opem, prope mortem inminentem videret, tum Tarquinius fateri amorem, orare, miscere precibus minas, versare in omnes partes muliebrem animum. [4] ubi obstinatam videbat et ne mortis quidem metu inclinari, addit ad metum dedecus: cum mortua iugulatum servum nudum positurum ait, ut in sordido adulterio necata dicatur. [5] quo terrore cum vicisset obstinatam pudicitiam velut vi trux libido profectusque inde Tarquinius ferox expugnato decore muliebri esset, Lucretia maesta tanto malo nuntium Romam eundem ad patrem Ardeamque ad virum mittit.
[…] [7] adventu suorum lacrimae obortae quaerentique viro ’satin salve?‘ ‚minime‘ inquit; ‚quid enim salvi est mulieri amissa pudicitia? vestigia viri alieni, Conlatine, in lecto sunt tuo; ceterum corpus est tantum violatum, animus insons; mors testis erit. sed date dexteras fidemque haud inpune adultero fore. Sex. [8] est Tarquinius, qui hostis pro hospite priore nocte vi armatus mihi sibique, si vos viri estis, pestiferum hinc abstulit gaudium.‘
[…] [11] cultrum, quem sub veste abditum habebat, eum in corde defigit prolapsaque in vulnus moribunda cecidit.
[…] 59. Brutus illis luctu occupatis cultrum ex vulnere Lucretiae extractum manantem cruore prae se tenens, ‚per hunc‘ inquit ‚castissimum ante regiam iniuriam sanguinem iuro vosque, dii, testes facio me L. Tarquinium Superbum cum scelerata coniuge et omni liberorum stirpe ferro, igni, quacumque dehinc vi possim, exacturum nec illos nec alium quemquam regnare Romae passurum.‘

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Übersetzung

58. When a few days had gone by, Sextus Tarquinius, without letting Collatinus know, took a single attendant and went to Collatia. [2] Being kindly welcomed, for no one suspected his purpose, he was brought after dinner to a guest-chamber. Burning with passion, he waited till it seemed to him that all about him was secure and everybody fast asleep; then, drawing his sword, he came to the sleeping Lucretia. Holding the woman down with his left hand on her breast, he said, “Be still, Lucretia! I am Sextus Tarquinius. My sword is in my hand. Utter a sound, and you die!” In affright the woman started out of her sleep. [3] No help was in sight, but only imminent death. Then Tarquinius began to declare his love, to plead, to mingle threats with prayers, to bring every resource to bear upon her woman’s heart. [4] When he found her obdurate and not to be moved even by fear of death, he went farther and threatened her with disgrace, saying that when she was dead he would kill his slave and lay him naked by her side, that she might be said to have been put to death in adultery with a man of base condition. [5] At this dreadful prospect her resolute modesty was overcome, as if with force, by his victorious lust; and Tarquinius departed, exulting in his conquest of a woman’s honour. Lucretia, grieving at her great disaster, dispatched the same message to her father in Rome and to her husband at Ardea.
[…] The entrance of her friends brought the tears to her eyes, and to her husband’s question, “Is all well?” [7] she replied, “Far from it; for what can be well with a woman when she has lost her honour? The print of a strange man, Collatinus, is in your bed. Yet my body only has been violated; my heart is guiltless, as death shall be my witness. But pledge your right hands and your words that the adulterer shall not go unpunished. Sextus Tarquinius is he that last night returned hostility for hospitality, and armed with force brought ruin on me, and on himself no less —if you are men —when he worked his pleasure with me.”
[…] [11] Taking a knife which she had concealed beneath her dress, she plunged it into her heart, and sinking forward upon the wound, died as she fell.
[…] 59. Brutus, while the others were absorbed in grief, drew out the knife from Lucretia’s wound, and holding it up, dripping with gore, exclaimed, “By this blood, most chaste until a prince wronged it, I swear, and I take you, gods, to witness, that I will pursue Lucius Tarquinius Superbus and his wicked wife and all his children, with sword, with fire, aye with whatsoever violence I may; and that I will suffer neither them nor any other to be king in Rome!”

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Leitfragen:

1) Wie werden die dramatis personae von Livius charakterisiert?

2) Welchen historischen Hintergrund hat die Geschichte?

3) Wie glaubwürdig ist Livius‘ Darstellung?

Kommentar:

Für die Königszeit und die frühe Republik gibt es außer Livius nur sehr wenige Quellen. Die Vergewaltigung der Lucretia ist eine der bekannteren Erzählungen aus der Zeit des letzten Etruskerkönigs Lucius Tarquinius, später mit dem Beinamen Superbus, der Hochmütige, versehen. Dessen Sohn Sextus bedrängt und vergewaltigt in der obigen Stelle die Ehefrau des Lucius Tarquinius Collatinus, seines Mitfeldherrn. Livius stellt ähnlich wie in anderen Erzählungen (siehe „Virginiaprozess“) die Charakteristika der Hauptpersonen einander gegenüber, um ein moralisches Bild und beim Leser Sympathie für die Sache der Römer zu erzeugen. So schildert er Lucretia als Inbegriff weiblicher Tugenden, die bis spät in die Nacht hinein an ihren Webarbeiten sitzt und die fremden Gäste willkommen heißt und bewirtet. Diese Gastfreundschaft wird von ihrem Widerpart Sextus Tarquinius missbraucht, als er sie mit einem Schwert bedroht und sie zwingen will, ihn zu lieben. Lucretia hingegen bleibt standhaft und verteidigt selbst im Angesicht des Todes im Sinne der römischen Tugenden ihre Keuschheit. Schließlich droht Sextus damit, sie und anschließend seinen Sklaven zu töten, neben sie zu legen und ihren Tod somit wie die gerechte Strafe für Ehebruch aussehen zu lassen. Diese durchtriebene Idee bricht Lucretias Widerstand. Lieber wird sie geschändet, als dass man sie für eine Ehebrecherin hält. Beim Erscheinen des von ihr benachrichtigten Ehemannes und des späteren Helden der Republik, Lucius Iunius Brutus, berichtet sie von ihrem Schicksal, lässt die Männer Rache schwören und gibt sich anschließend dem ehrenhaften Freitod hin, um nicht in Schande weiterleben zu müssen. Die aus der Empörung ihres Mannes und Vaters entstehende Revolte führt schlussendlich zur Absetzung und Exilierung des Etruskerkönigs Tarquinius Superbus und seiner Familie.

Livius‘ Darstellung der Vergewaltigung der Lucretia fügt sich passend in die restliche Schilderung der Regentschaft der Tarquinier ein, die nach seinem Zeugnis eine Schreckensherrschaft war. Dabei gilt es zu beachten, wie die Römer zu Livius Zeiten die Könige sahen. Noch Jahrhunderte nach dem Sturz der Könige war das Wort „rex“ negativ konnotiert, sodass beispielsweise Caesar sich genötigt sah, sich von dem Titel und der Stellung zu distanzieren. Aus historischer Sicht lässt sich kein Detail der livianischen Erzählung verifizieren, es handelt sich wohl um eine spätere Erfindung zur Klärung der mythischen Frühzeit, die nicht auf schriftlichen, sondern mündlichen Überlieferungen fußt. So liest sich die obige Stelle wie eine Szene aus einem shakespearischen Drama. Die Figuren und deren Handlungen wirken überzeichnet, die Dialoge stammen wohl aus Livius‘ eigener Feder. Zudem wirkt das Ende konstruiert, da ausgerechnet Brutus, der an sich gar nicht direkt in die Sache involviert war, zuerst dem König Rache schwört, dann dessen Familie, jedoch ohne den eigentlichen Übeltäter Sextus beim Namen zu nennen. Dass dieser nach gelungenem Staatsstreich lediglich wie der Rest seiner Verwandtschaft exiliert und nicht hingerichtet wird, trägt nicht zur Plausibilität der livianischen Schilderung bei.

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Etruskische Mantik


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Etruskische Mantik

Leitfragen

1) Wie ist die Bronzeleber aufgebaut?

2) Welchen Einfluss hatte die etruskische auf die römische Mantik?

3) Wie wichtig war die Vorzeichendeutung für die römische Gesellschaft?

Kommentar:

Die oben abgebildete sog. Bronzeleber von Piacenza, gefunden 1877 auf einem Acker bei Settima (Emilia Romagna), ist eine detailgetreue Nachbildung einer Schafsleber aus etruskischer Zeit. Die Abmessungen betragen 12,4×6,6 cm. Die unregelmäßige Oberfläche ist in etwa vierzig Flächen eingeteilt, wobei der Rand in sechzehn Abschnitte unterteilt ist, entsprechend der Sechzehnteilung des Himmels in der etruskischen Religion. Jeder Abschnitt enthält dabei eingeritzte Namen von Gottheiten. Besonders bemerkenswert ist das sechsspeichige Rad, wohl als Zeichen für den Lauf des Mondes. Die Verhältnisse der verschiedenen astronomischen Gebilde zueinander entsprechen recht genau den tatsächlichen Bahnen des Mondes bzw. der Sonne am Himmel. Dies belegt eine große astronomische Kenntnis der Etrusker. Drei Erhöhungen, eine tropfenförmig, eine pyramidal und eine schalenförmig, stechen heraus. Erstere ist mithilfe der nebenstehenden Inschrift hercl(es) als Keule des Herkules gedeutet worden, während die Pyramide wohl den Götterberg darstellt. Das Ellipsoid ist mit dem Nabel der Welt identifiziert worden.

Der Einfluss der Etrusker auf die römische Mantik war enorm. Schon der Begriff haruspex (Seher, Vorzeichendeuter) beruht wahrscheinlich auf der Zusammensetzung eines etruskischen Wortes -haru mit der lateinischen Form spex (spicere = sehen). Ebenso bezeichnet Cicero verschiedene Formen der Mantik, die von römischen Priestern angewandt wurden, als disciplina etrusca. Die aus spätantiker Zeit überlieferten Himmelsdeutungen bei Marcianus Capella (Mart. Cap. I, 45-61) stimmen nicht nur mit der Sechzehnteilung des etruskischen Himmels, sondern auch in den Nennungen der Götter mit der Bronzeleber überein. Daraus folgt, dass selbst in spätantiker Zeit die etruskische Mantik noch ein wichtiger Teil römischer Lebenswelt war.

Die Lebenswelt der Römer war stark durch Mantik geprägt. Keine wichtige politische Entscheidung konnte getroffen, kein Feldzug begonnen werden, ohne zuvor den Willen der Götter festgestellt zu haben. Caesar und andere Feldherren ließen sich im Felde von ihren eigenen Priestern begleiten, die ihnen vor jeder Schlacht die himmlischen Vorzeichen deuteten. In der Stadt selbst etablierten sich mit der Zeit verschiedene Formen der Mantik, zum Beispiel die Eingeweideschau, die Interpretation von Blitzen, das Fressverhalten der heiligen Hühner oder die sog. Auspizien (Deutung des Vogelflugs). Diese Vorgänge waren stets öffentlich, damit ein jeder sehen konnte, dass die Götter ihren guten Willen (oder Unwillen) zu einem Vorhaben bekundeten.

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Zur Herkunft der Etrusker aus Lydien

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Herodot
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Hdt. I, 94,1-7 – Original

Λυδοὶ δὲ νόμοισι μὲν παραπλησίοισι χρέωνται καὶ Ἕλληνές, χωρὶς ἢ ὅτι τὰ θήλεα τέκνα καταπορνεύουσι, πρῶτοι δὲ ἀνθρώπων τῶν ἡμεῖς ἴδμεν νόμισμα χρυσοῦ καὶ ἀργύρου κοψάμενοι ἐχρήσαντο, πρῶτοι δὲ καὶ κάπηλοι ἐγένοντο. [2] φασὶ δὲ αὐτοὶ Λυδοὶ καὶ τὰς παιγνίας τὰς νῦν σφίσι τε καὶ Ἕλλησι κατεστεώσας ἑωυτῶν ἐξεύρημα γενέσθαι: ἅμα δὲ ταύτας τε ἐξευρεθῆναι παρὰ σφίσι λέγουσι καὶ Τυρσηνίην ἀποικίσαι, ὧδε περὶ αὐτῶν λέγοντες. [3] ἐπὶ Ἄτυος τοῦ Μάνεω βασιλέος σιτοδείην ἰσχυρὴν ἀνὰ τὴν Λυδίην πᾶσαν γενέσθαι, καὶ τοὺς Λυδοὺς τέως μὲν διάγειν λιπαρέοντας, μετὰ δὲ ὡς οὐ παύεσθαι, ἄκεα δίζησθαι, ἄλλον δὲ ἄλλο ἐπιμηχανᾶσθαι αὐτῶν. ἐξευρεθῆναι δὴ ὦν τότε καὶ τῶν κύβων καὶ τῶν ἀστραγάλων καὶ τῆς σφαίρης καὶ τῶν ἀλλέων πασέων παιγνιέων τὰ εἴδεα, πλὴν πεσσῶν τούτων γὰρ ὦν τὴν ἐξεύρεσιν οὐκ οἰκηιοῦνται Λυδοί. [4] ποιέειν δὲ ὧδε πρὸς τὸν λιμὸν ἐξευρόντας, τὴν μὲν ἑτέρην τῶν ἡμερέων παίζειν πᾶσαν, ἵνα δὴ μὴ ζητέοιεν σιτία, τὴν δὲ ἑτέρην σιτέεσθαι παυομένους τῶν παιγνιέων. τοιούτῳ τρόπῳ διάγειν ἐπ᾽ ἔτεα δυῶν δέοντα εἴκοσι. [5] ἐπείτε δὲ οὐκ ἀνιέναι τὸ κακὸν ἀλλ᾽ ἔτι ἐπὶ μᾶλλον βιάζεσθαι οὕτω δὴ τὸν βασιλέα αὐτῶν δύο μοίρας διελόντα Λυδῶν πάντων κληρῶσαι τὴν μὲν ἐπὶ μόνῃ τὴν δὲ ἐπὶ ἐξόδῳ ἐκ τῆς χώρης, καὶ ἐπὶ μὲν τῇ μένειν αὐτοῦ λαγχανούσῃ τῶν μοιρέων ἑωυτὸν τὸν βασιλέα προστάσσειν, ἐπὶ δὲ τῇ ἀπαλλασσομένῃ τὸν ἑωυτοῦ παῖδα, τῷ οὔνομα εἶναι Τυρσηνόν. [6] λαχόντας δὲ αὐτῶν τοὺς ἑτέρους ἐξιέναι ἐκ τῆς χώρης καταβῆναι ἐς Σμύρνην καὶ μηχανήσασθαι πλοῖα, ἐς τὰ ἐσθεμένους τὰ πάντα ὅσα σφι ἦν χρηστὰ ἐπίπλοα, ἀποπλέειν κατὰ βίου τε καὶ γῆς ζήτησιν, ἐς ὃ ἔθνεα πολλὰ παραμειψαμένους ἀπικέσθαι ἐς Ὀμβρικούς, ἔνθα σφέας ἐνιδρύσασθαι πόλιας καὶ οἰκέειν τὸ μέχρι τοῦδε. [7] ἀντὶ δὲ Λυδῶν μετονομασθῆναι αὐτοὺς ἐπὶ τοῦ βασιλέος τοῦ παιδός, ὅς σφεας ἀνήγαγε, ἐπὶ τούτου τὴν ἐπωνυμίην ποιευμένους ὀνομασθῆναι Τυρσηνούς.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: A. D. Godley
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung

Hdt. I, 94,1-7

The customs of the Lydians are like those of the Greeks, except that they make prostitutes of their female children. They were the first men whom we know who coined and used gold and silver currency; and they were the first to sell by retail. [2] And, according to what they themselves say, the games now in use among them and the Greeks were invented by the Lydians: these, they say, were invented among them at the time when they colonized Tyrrhenia. This is their story: [3] In the reign of Atys son of Manes there was great scarcity of food in all Lydia. For a while the Lydians bore this with what patience they could; presently, when the famine did not abate, they looked for remedies, and different plans were devised by different men. Then it was that they invented the games of dice and knuckle-bones and ball and all other forms of game except dice, which the Lydians do not claim to have discovered. [4] Then, using their discovery to lighten the famine, every other day they would play for the whole day, so that they would not have to look for food, and the next day they quit their play and ate. This was their way of life for eighteen years. [5] But the famine did not cease to trouble them, and instead afflicted them even more. At last their king divided the people into two groups, and made them draw lots, so that the one group should remain and the other leave the country; he himself was to be the head of those who drew the lot to remain there, and his son, whose name was Tyrrhenus, of those who departed. [6] Then the one group, having drawn the lot, left the country and came down to Smyrna and built ships, in which they loaded all their goods that could be transported aboard ship, and sailed away to seek a livelihood and a country; until at last, after sojourning with one people after another, they came to the Ombrici, where they founded cities and have lived ever since. [7] They no longer called themselves Lydians, but Tyrrhenians, after the name of the king’s son who had led them there.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Falk Wackerow
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Leitfragen:

1) Wie schildert Herodot die Umstände der Auswanderung?

2) Gibt es Parallelen zu dieser Schilderung?

3) Wie steht die moderne Forschung zu Herodots Erzählung?

Kommentar:

Die teils drastische Schilderung des „Vaters der Geschichte“ Herodot erinnert an andere Erzählungen aus Gründungsmythen diverser griechischer Kolonien. Auch dort wird als Grund für den Auszug eines Teils der Bewohner häufig Mangel an Nahrung angegeben – eine plausible Erklärung. Auch ein Großteil der großen griechischen Kolonisationsphase (ca. 8. – 6. Jhdt.) ist wohl als Reaktion auf Überbevölkerung und daraus resultierende Hungersnöte zu verstehen. Ebenso wie in einigen Fällen aus Griechenland lässt hier Herodot das Los entscheiden, wer bleibt und wer in die Ferne zieht. Zugleich gibt er eine Erklärung für den Namen des neu entstehenden Volkes und des von ihm besiedelten Landstriches. Die Benennung erfolgte demnach aufgrund des Namens des ausziehenden Königssohnes Tyrrhenus (Tyrsenos). Schließlich gelangten sie in die Gestade der Ombrici, wohl der Vorfahren der späteren Umbrer, und siedelten sich in dieser Region an.

Soweit der Mythos. In der Forschung existierten lange Zeit zwei Theorien über den Ursprung der Etrusker: Die Einwanderungstheorie suchte den herodoteischen Ansatz zu untermauern, indem zum Einen die etruskische Sprache mit verschiedenen anatolischen, besonders der hethitischen, verglichen wurde. Eine Abstammung konnte allerdings nicht überzeugend nachgewiesen werden. Zum Anderen gelang es in jüngerer Vergangenheit mittels Genanalysen einen signifikanten Teil des Erbguts der heutigen Bewohner Etruriens und ihres Viehs als ursprünglich anatolisch zu verifizieren. Dagegen ging die autochthone Theorie davon aus, dass die Etrusker ein proto-indogermanisches, sprich ureuropäisches Volk seien, welches sich aus der sog. Villanova-Kultur (benannt nach dem wichtigsten Fundort) entwickelt habe. Dies wurde mittels eines Vergleichs der Kunst und Kultur zu belegen versucht. Ein neuerer Forschungsansatz vereint jedoch seit den Sechzigerjahren beide Theorien miteinander. Demnach stimme Herodots Theorie von der Herkunft der Etrusker/Tyrrhener aus Lydien, allerdings hätten sie sich nach ihrer Ankunft in Norditalien mit der einheimischen Bevölkerung gemischt und deren Bräuche teilweise übernommen. So konnten schriftliche Überlieferung und archäologischer Befund in Einklang gebracht werden.

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De Libero, L., Die archaische Tyrannis […]

De Libero, L., Die archaische Tyrannis, Stuttgart: Steiner 1996, 44-78.

 

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Der vorliegende Ausschnitt stammt aus der überarbeiteten Habilitation von de Libero aus dem Jahr 1996. Das Werk setzt sich über Athen hinaus mit dem Phänomen der archaischen Tyrannis in griechischen Stadtstaaten auseinander. Der Fokus liegt auf den individuellen Phänomenen der Tyrannis in den einzelnen Poleis. De Libero setzt sich auf mikrogeschichtlicher Ebene mit dem Thema auseinander. Die Monographie wurde einerseits teilweise wegen mangelnden Erkenntnisgewinns und andererseits wegen partiell fehlender Tiefe hinsichtlich der Quelleninterpretation kritisch betrachtet. Gleichzeitig wird jedoch hervorgehoben, dass das Werk den ersten modernen Versuch darstellt, das veraltete, aber immer noch grundlegende Standardwerk von Helmut Berve „Die Tyrannis bei den Griechen“ aus dem Jahr 1967, zu ergänzen. Trotz der Kritik an der Habilitation, bietet das Werk einen guten Überblick und vor allem eine verständliche und nachvollziehbare Einführung in die Thematik der „archaischen Tyrannis“.
Leitfragen

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Josephine Jung
Lizenz: CC-BY-NC-SA

1) Athen kennt mehrere Aristokraten, die versuchten eine Vormachtstellung als Tyrannen zu erlangen. Nennen Sie die zwei Tyrannenaspiranten Athens vor Peisistratos und kennzeichnen Sie deren Versuche, die Vormachtstellung im Stadtstaat Athen zu erlangen (Textseiten 45-50).

2) Peisistratos bemühte sich mehrmals darum, die Tyrannis zu erlangen. De Libero beschreibt insbesondere zwei Aspekte im Leben des Peisistratos, die wegweisend waren, um die Tyrannis erlangen zu können (Textseiten 52-55). Fassen Sie diese beiden Aspekte in wenigen Sätzen zusammen.

3) Wie erreichte es Peisistratos 561/560 und 546/45 v. Chr., Tyrann von Athen zu werden (Textseiten 56-62)? Beschreiben Sie in Stichpunkten den Verlauf der Ereignisse.

4) Warum ist Peisistratos beim ersten Versuch laut de Libero gescheitert und was machte den zweiten Versuch effektiver?

5) Analysieren Sie die Mittel der Machterhaltung von Peisistratos (Textseiten 67-78). Welches politische Handeln stärkte seine persönliche Macht und welches die Strukturen der Polis, die in Richtung einer größeren Bürgerbeteiligung zielten? Welches Handeln wirkte stärker auf die Machterhaltung? Begründen Sie Ihre Entscheidung!

Kommentar

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Josephine Jung
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Forschungstradition des Autors

Prof. Dr. Loretana de Libero ist seit 2006 außerplanmäßige Professorin an der Universität Potsdam. Weiterhin lehrt sie in Hamburg an der Führungsakademie der Bundeswehr. Libero ist außerdem Mitglied der SPD und war von 2012 bis 2015 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Verfassungs- und Militärgeschichte.

Erläuterung missverständlicher, schwieriger und wichtiger Stellen für das Textverständnis

Den archaischen Begriff „Tyrannis“ erläutert de Libero bereits zu Beginn ihrer Habilitation (Textseiten 23-38). Der Begriff „Tyrannos“ war kein offizieller Titel mit dem der Herrscher angesprochen wurde. Ebenso war die „Tyrannis“ kein offizielles Amt zu dem jemand gewählt wurde. Vielmehr beschrieb der Begriff „Tyrannis“ eine uneingeschränkte Herrschaft eines einzelnen bzw. eine herausragende Stellung einer Person innerhalb des bestehenden Herrschaftssystems. In der archaischen Zeit hat der Begriff sowohl eine positive als auch eine negative Konnotation. Positiv meint der Begriff eine beneidenswerte Stellung, sagenhaften Reichtum und enorme militärische Potenz. Negativ umfasst er aber auch Machtbesessenheit, Extravaganz und Besitzgier.

Die „Tyrannis“ war eine Herrschaftsform, die aus einem verworrenen politischen Klima entstanden war. In Athen herrschte eine Rivalität der Aristokraten. Insbesondere junge Aristokraten sammelten sich zu beständig fluktuierenden Stasis-Gruppen. Als „Stasis“ werden Auseinandersetzungen mehrerer sozialer Gruppen in einer Gemeinde bezeichnet. Die Gruppierungen verbinden sich durch ein gemeinsames Ziel, z.B. die Erlangung oder den Sturz einer Tyrannis. Innerhalb dieser Rivalitäten schaffte es Peisistratos, in mehreren Anläufen seine Vormachtstellung zu erhalten, ohne dabei das bestehende System weitreichend zu beschränken (Textseiten 72-78). Insbesondere wegen dieser Art der Machtausübung konnten sich unter Peisistratos teilweise politische Strukturen verfestigen.
Peisistratos ermöglichte es, dass Ämter wie die der Archonten turnusmäßig besetzt werden konnten und nicht aufgrund aristokratischer Machtstreitigkeiten vakant blieben. Ebenso blieb auch der Rat, später der Areopag, wieder beschlussfähig. Jedoch muss selbstverständlich darauf hingewiesen werden, dass Peisistratos ihm nahe stehende Aristokraten förderte und ihnen zu diesen Ämtern verhalf. Dabei handelte es sich vor allem um Angehörige des niederen Adels. Seinen Gegnern hingegen soll er die Kinder entführt haben, um sie so zum Schweigen zu bringen.

Das Versagen seiner Söhne Hippias und Hipparchos führte zum Sturz der Tyrannen in Athen Ende des 6. Jhs. v. Chr. Durch politische und möglicherweise private Streitigkeiten kam es zur Ermordung des Hipparchos. Sein Bruder Hippias versuchte anschließend ohne Rücksicht auf das bestehende System, die Macht offen durch ein Söldnerheer zu erhalten. Die Athener holten sich jedoch militärische Unterstützung aus Sparta und vertrieben den Tyrannen.

In der Forschung wird die tragende Säule der archaischen Tyrannis unterschiedlich definiert. Zusammenfassend ist zu sagen, dass sowohl die soziale Vormachtstellung und das beständige Ringen um eine hohe Zahl an Befürwortern, als auch die permanente Präsenz von Söldnern und einer Leibgarde wichtige Elemente der Herrschaft waren. Zusätzlich war es von Bedeutung, dass neben dem bestehenden politischen System auch eine breite bzw. geregelte politische Teilhabe anderer Aristokraten gewährleistet wurde. Dies galt natürlich nur für die dem Tyrannen wohlgesinnten Aristokraten. Das wichtige Amt des Archon eponymos war für die Fälle, die uns überliefert sind, in drei von vier Fällen von Aristokraten besetzt, die mit Peisistratos sympathisierten.

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Stein-Hölkeskamp, E., Das Archaische Griechenland […]

Leitfragen

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Josephine Jung
Lizenz: CC-BY-NC-SA

1) Stein-Hölkeskamp erörtert die unterschiedlichen Gründe für die Kolonisation von Mittelmeergebieten durch griechische Poleis. Nennen Sie die Gründe, die auf den Textseiten 100-103 erläutert werden.

2) Nennen Sie drei grundlegende archäologische Quellen, auf die sich Stein-Hölkeskamp bei ihrer Untersuchung stützt. Beschreiben Sie in wenigen Sätzen, welche Schlüsse sich aus den Quellen für die Charakterisierung der Kolonisation ziehen lassen.

3) Die Kolonisation verlief in zwei Phasen. Wie unterscheiden sich diese zwei Phasen für die Orte Metapont, Siris und Incoronata voneinander (Textseiten 110-119)?

4) Was unterscheidet nach Stein-Hölkeskamp die Kolonisation in der Archaik maßgeblich von den Kolonisationsbewegungen der frühen Neuzeit (Textseite 116)? Erläutern Sie den Unterschied in wenigen Sätzen.

5) Stein-Hölkeskamp erörtert zu Beginn und zu Anfang des Kapitels den Zusammenhang zwischen der archaischen Kolonisation und dem Epos „Odyssee“ von Homer. Fassen Sie in eigenen Worten zusammen, welche Aspekte der literarischen Darstellung für die Charakterisierung der archaischen Kolonisation übernommen werden können und warum.

Kommentar

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Josephine Jung
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Forschungstradition des Autors

Apl. Prof. Dr. Elke Stein-Hölkeskamp lehrt seit 2016 als außerplanmäßige Professorin an der Universität Duisburg-Essen das Fach Alte Geschichte. Ihre Forschungsschwerpunkte sind insbesondere die Sozialgeschichte der griechischen Archaik und Klassik, wobei Sie sich vor allem der Adelskultur widmet. Weiterhin forscht sie zur Kultur- und Erinnerungsgeschichte Griechenlands und Roms. Sie ist zusammen mit ihrem Mann Karl-Joachim Hölkeskamp Trägerin des Karl-Christ-Preises, welcher herausragende wissenschaftliche Verdienste für die Alte Geschichte prämiert und auszeichnet.

Erläuterung missverständlicher, schwieriger und wichtiger Stellen für das Textverständnis

Stein-Hölkeskamp erörtert zu Beginn des Kapitels, dass die Beschreibungen in der Odyssee von Homer in der heutigen Forschung in das 8. Jh. v. Chr. datiert werden (Textseite 97). Diese Datierung basiert auf folgenden Überlegungen: Überliefert ist uns, dass die Epen unter dem Tyrannen Peisistratos Mitte des 6. Jhs. v. Chr. in Athen von Sängern vorgetragen wurden. Gesungen wurde von Odysseus und seinen Abendteuern aber nicht so, als seien es Zeitgenossen, sondern gesungen wurde von grauen Vorzeiten. Antike Autoren wie Diodor haben uns überliefert, dass es sich dabei vermeintlich um das 12. Jh. v. Chr. handle. Diese These gilt aber weithin als revidiert. Die Lebensbeschreibungen der Akteure in den Epen stimmen mit denen im 8. Jh. v. Chr. überein. Allgemein wird daher das 8., teilweise auch das 7., Jh. v. Chr. als zu datierender Zeitraum für die Handlung angenommen. Aufgrund dieser Datierung werden die Epen von Stein-Hölkeskamp als literarische Quellen für die Untersuchung der archaischen Kolonisation genutzt. Die Epen sind damit die wichtigsten schriftlichen Quellen. Selbstverständlich werden Sie durch die archäologischen Quellen ergänzt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der im vorliegenden Auszug nicht weitreichend erörtert wird, betrifft die grundsätzliche Begrifflichkeit von „Kolonisation’“. Als „Kolonisation“ wird eine Besiedlung bezeichnet, die über den angestammten Lebensraum hinaus erfolgt. Der Begriff ist nicht inhärent mit einer Form von gewaltsamer Landnahme verbunden, jedoch kann eine Kolonisation auch gewaltsam vorgenommen werden. Einen Sonderfall der Kolonisation umschreibt der Begriff „Kolonialisierung“. Er umfasst die durch eine moderne Staatsmacht vollzogene gewaltsame Landnahme in der Frühen Neuzeit, welche mit Columbus Ende des 15. Jhs. n. Chr. begann. Hinter dem Begriff „Kolonisierung“ steht vor allem eine gewaltsame Unterdrückung, Umerziehung oder Ausrottung der indigenen Bevölkerung. Die Legitimation zur Unterdrückung findet sich vor allem in der Vorstellung einer kulturellen Überlegenheit seitens der Unterdrücker. Der Begriff „Kolonialisierung“ ist folglich nicht zutreffend für die archaischen Kolonisationsbewegungen. Sie können nicht als protostaatliche, geplante, gewaltsame und ideologisch begründete Landnahme bezeichnet werden (Textseite 116).

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Pfeilschifter, R., Die Spätantike […]

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Der vorliegende Textausschnitt stammt aus Pfeilschifters Einführungswerk „Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher“. Als Überblicksdarstellung ist das Werk informativ, leicht verständlich und unterhaltsam geschrieben. Es bietet für Interessierte und Studenten einen hervorragenden Einblick in die Thematik. Für tiefer gehende Analysen oder zu Forschungszwecken ist das Werk aus der Natur der Sache als Einführungswerk verständlicher Weise weniger geeignet
Leitfragen

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Josephine Jung
Lizenz: CC-BY-NC-SA

1) Pfeilschifter erörtert mehrere Einfälle von barbarischen Stämmen in das Römische Reich. Versu-chen Sie, die Einfälle chronologisch zu ordnen (Textseiten 121-133). Erstellen Sie eine knappe Über-sicht in Stichpunkten. Nutzen Sie zur Übersicht auch die Karte auf Textseite 122.

2) Auf der Textseite 123 stellt Pfeilschifter die leitende Fragestellung des Kapitels. Warum konnte Rom den feindlichen Heeren nicht Stand halten? Mögliche Antworten liefert er auf den Textseiten 123-141. Fassen Sie die Antworten zusammen. Unterteilen Sie dabei in die drei folgenden Katego-rien: 1. militärische Leistungsfähigkeit der Barbaren; 2. militärische Leistungsfähigkeit des römi-schen Heeres; 3. Herrschaftsstrukturen im Römischen Reich.

3) Erläutern Sie in wenigen Sätzen,warum der Begriff „Völkerwanderung“ nach Pfeilschifter nicht zutreffend ist (Textseite 133).

4) Die Westgoten hatten es als erster germanischer Stamm erreicht, dass ihnen Land im Römischen Reich zugesprochen wurde, welches sie besiedeln durften (Textseiten 139-144). Was waren Ihrer Meinung nach die größten Konfliktfelder bei der Integration eines riesigen wandernden Heeres mit Tross in die bestehende römische Ordnung? Nennen Sie die Konfliktfelder nach Pfeilschifter und wählen Sie zwei besonders problematische Felder aus. Begründen Sie Ihre Entscheidung.

5) Fassen Sie in Stichpunkten die Kernelemente der beiden uns überlieferten Gesetzescodices Roms, Codex Iustinianus und Codex Theodosianus, in wenigen Sätzen zusammen (Textseiten 146-149). Heben Sie dabei auch die Unterschiede hervor.

Kommentar

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Josephine Jung
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Forschungstradition des Autors

Prof. Dr. Rene Pfeilschifter wurde 1971 geboren und lehrt seit 2012 als ordentlicher Professor das Fach Alte Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen zeitlich betrachtet insbesondere in der Römischen Republik und der Spätantike. Inhaltlich befasst er sich u.a. mit den sich verändernden Herrschaftsstrukturen sowie auch mit dem Einfluss des Christentums auf eben diese Strukturen. Wie auch in dem vorliegenden Kapitel zieht er die Grenze der Spätantike nicht abrupt im Jahre 500, sondern greift weiter bis ins Frühmittelalter des 6. und 7. Jahrhunderts.

Erläuterung missverständlicher, schwieriger und wichtiger Stellen für das Textverständnis

Pfeilschifter beschreibt in dem vorliegenden Kapitel unterschiedliche Einfälle von Stämmen in das Römische Reich. Er bezeichnet die Stämme grundsätzlich als „Barbaren“. Mit diesem Begriff greift Pfeilschifter auf den von den Römern selbst genutzten Begriff, der bereits von den Griechen für Völker verwendet wurde, die nicht mit dem eigenen identisch waren. Den Unterschied machte vor allem die fehlende griechisch-römische Bildung, durch welche sich Griechen und später die Römer definierten. Wenn Pfeilschifter folglich von Barbaren in der Spätantike spricht, so meint er Völker und Stämme, welche außerhalb der Römischen Reichsgrenzen lagen.

Besonders bedrohlich für das Römische Reich waren die Germanen (Goten, Sueben, Vandalen) und die Hunnen, wobei Hunnen aus Zentralasien nach Rom drangen. Die Germanen kamen aus heutigen osteuropäischen Gebieten (Polen, Ungarn, Kroatien, Rumänien), aus südwestlichen Teilen Russlands sowie aus der Ukraine (Schwarzes Meer). Beide Einfälle sind jedoch voneinander zu trennen. Die Hunneneinfälle in die Gebiete der Germanen bis an die Grenze des Römischen Reiches waren selbst eine Mitursache für den Einfall der Germanen in das Römische Reich (Textseite 121).

Auf den Textseiten 123-125 erläutert Pfeilschifter die Bedingungen für germanische Soldaten innerhalb der Römischen Armee. Er weist er darauf hin, dass bereits in der Römischen Republik Germanen als Hilfstruppen, u.a. unter Caesar, Teil der Römischen Armee waren. Pfeilschifter erörtert hier Strukturen, die seit der Republik bis in die Spätantike gewachsen waren. Einem Nichtrömer war es möglich, durch einen Armeedienst von 25 Jahren römischer Bürger zu werden. Wenn nicht von Geburt an das Bürgerrecht vererbt wurde, so konnte es zumindest durch den Armeedienst erlangt werden. Die Germanen waren damit wie viele andere Nichtrömer über mehrere Jahrhunderte ein gewachsener Teil des römischen Heeres.

Ein weiter wichtiger Punkt hinsichtlich der rechtlichen Strukturen im Römischen Reich, ist die Rechtsprechung und Gesetzgebung, die Pfeilschifter auf den Textseiten 144 bis 149 erörtert. Pfeil-schifter erklärt, dass lediglich der Kaiser die Institution darstellt, die bestehendes Recht interpretieren und neues Recht schaffen durfte. Der Kaiser erließ Gesetze, sogenannte Kaiserkonstitutionen in Form von allgemeinen Erlassen, Dienstanweisungen, Gerichtsentscheidungen und Rechtsgutachten für den Einzelfall. Entgegen der Darstellung bei Pfeilschifter, dass all diese Gesetze nicht allgemein kund getan wurden, sondern nur einzelnen Amtsträgern zugingen, ist zu betonen, dass Kopien angefertigt und verteilt wurden. Die sogenannten Prätorianerpräfekten, die obersten Verwaltungsbeamten des Römischen Reiches, waren häufig Adressaten der verschiedenen Codices, sodass ein Kommunikationsweg für Gesetz und Recht allgemein gegeben war. Den Präfekten oblag nach dem Kaiser die höchste richterliche Instanz für die Ihnen zugeteilten Reichsteile.

Zuletzt sollte erörtert werden, dass der religiöse Unterschied zwischen Homöern und Nizänern (Textseite 142-143) historisch gewachsen war. Die Goten waren bereits im 4. Jh. n. Chr. durch den Bischof Wulfia im Sinne der homöischen Theologie christianisiert worden. Diese Glaubensrichtung war während der Missionierung der Goten auch im römischen Kaiserhaus populär. Sie hielt sich jedoch nicht im gesamten Römischen Reich. Bereits Ende des 4. Jh. n. Chr. wurde auf dem zweiten ökumenischen Konzil das nicänische Dogma festgelegt, wonach Gottvater und Gottes Sohn wesensgleich seien. Die Homöer hingegen nahmen an, dass sie nur wesensähnlich seien. Entsprechend unterschied sich die Glaubensrichtung der germanischen Christen von der Glaubensrichtung der römischen Bürger in den gallischen und hispanischen Provinzen erheblich.

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Nolte, P., Was ist Demokratie? […]

Leitfragen

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Josephine Jung
Lizenz: CC-BY-NC-SA

1) Nolte erläutert in der Einleitung die Zielsetzung seiner Monographie (Textseiten 24-25). Be-schreiben Sie sein Ziel in eigenen Worten.

2) Nolte begrenzt seine Analyse auf bestimmte historische Ereignisse und Zeiträume (Textseiten 9-23). Nennen Sie die Zeiträume und geographischen Beschränkungen. Fassen Sie in wenigen Stich-punkten zusammen, inwieweit diese Begrenzung für das Thema „Demokratie“ von Bedeutung ist.

3) Nolte gibt auf den Textseiten 26-38 eine kurze Übersicht über die erste uns bekannte Form der Demokratie, die Polis Athen. Nennen Sie die wichtigsten politischen Organe Athens und beschrei-ben Sie in je einem Satz deren Funktion.

4) Auf den Textseiten 38-43 erörtert Nolte weiterhin demokratische Strukturen in der Römischen Republik. Nennen Sie drei politische Organe bzw. Ämter, die zumindest im Ansatz demokratische Strukturen aufweisen und beschreiben Sie in je einem Satz deren Funktion.

5) Nolte erklärt, dass die ersten Formen antiker Demokratien, in Athen und Rom, in ihrer Ausprä-gung stark voneinander abwichen (Textseiten 38-43) und überdies sogar teilweise gar nicht als De-mokratien im modernen Sinne bezeichnet werden können (Textseiten 44-49). Nennen Sie je drei große Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die Sie selbst im Vergleich von modernen und antiken Demokratien finden können. Begründen Sie, was Sie persönlich für wichtiger erachten! Was sticht mehr hervor, die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten?

Kommentar

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Josephine Jung
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Forschungstradition des Autors

Prof. Dr. Paul Nolte, geb.1963, lehrt seit 2005 an der Freien Universität Berlin Neuere Geschichte und Zeitgschichte. Zuvor war er seit 2001 als Professor für Geschichte an der International Univer-sity Bremen tätig. Obwohl Nolte selbst kein Althistoriker ist und sich auch nicht in der Frühen Neu-zeit als Wissenschaftler beheimatet sieht, beschäftigt er sich treffend in seiner Monographie mit dem Phänomen Demokratie über die Epochengrenzen hinweg. Seine grundlegenden Forschungsschwer-punkte sind die Geschichte und Theorie der Demokratie vom 18. bis 21 Jh. Weiterhin forscht er zur Geschichte der BRD, USA sowie auch zur transatlantischen Geschichte. Nolte ist weiterhin auch in der tagesaktuellen Presse ein gefragter Experte zum Thema „Demokratie“ im weitesten Sinne.

Erläuterung missverständlicher, schwieriger und wichtiger Stellen für das Textverständnis

Nolte erläutert auf nur wenigen Textseiten sowohl die antike griechische als auch die antike römi-sche Form von Demokratie anhand der jeweiligen politischen Organe (Textseiten S.26-49). Er stellt dabei immer wieder Vergleiche an, die es dem modernen Leser ermöglichen, das Prinzip innerhalb kürzester Zeit und ohne breite Vorbildung zu erfassen. Einige kurze Passagen seien im Folgenden für ein umfassendes Verständnis erläutert.

Auf Textseite 28 führt Nolte aus, dass die Bürgerschaft, d.h. die Menge an Männern ab 18 Jahren mit athenischem Bürgerrecht, als Pool an Kandidaten für politische Ämter unter Kleisthenes 508/507 v. Chr. neu geordnet wurde. Die Erfassung der Bürger erfolgte auf unterschiedlichen Ebe-nen. Eine Ebene war die sogenannte Unterteilung in „Phylen“. Vor Kleisthenes waren die Phylen Verbände athenischer Bürger, die durch Adelsgeschlechter definiert waren. Diese, wie Nolte sagt, „vertikale“ Ordnung war durch die Adelsgeschlechter bestimmt. Die oberen Klassen dominierten diese Verbände. Die Partizipation der nichtadligen Athener war durch das Abhängigkeitsverhältnis zum Adel geprägt. An diese Stelle tritt nun durch die kleisthenischen Reformen eine sogenannte „horizontale“ Ordnung. Dadurch, dass die Phyle nicht länger über eine Adelsgruppe definiert wurde, sondern durch geographische Kriterien und ein Losverfahren, wurde die athenische Gesellschaft künstlich neu unterteilt. Aus neuen geographischen Strukturen, genannt „Trittyen“, wurden wiede-rum die neuen Phylen ausgelost. Eine lang gewachsene Abhängigkeit wurde so vollständig durch-brochen sowie neue, flache und folglich „horizontale“ Strukturen waren geboren.

Nolte erwähnt kurz, dass die archaische Tyrannis Grundsteine für die späteren demokratischen Strukturen gelegt hatte (Textseite 30). Zunächst ist zu betonen, dass der Begriff „Tyrannis“ eine uneingeschränkte Herrschaft eines einzelnen bzw. eine herausragende Stellung einer Person inner-halb des bestehenden Herrschaftssystems umschreibt. Der athenische Tyrann Peisistratos, den Nolte erwähnt, hatte über das bestehende politische System hinaus eine Vormachtstellung inne. Die Struk-turen selbst hatte er jedoch nicht geändert. Peisistratos behielt die Ämter der Archonten, der oberen Beamten bei, und auch der Rat konnte tagen und beschlussfähig bleiben. Besetzt wurden die oberen Ämter jedoch fast ausschließlich mit dem Tyrannen wohlgesinnten Aristokraten.

Die besondere Form der athenischen Demokratie zeigt sich u.a. in der direkten Bürgerbeteiligung im Rahmen der Volksversammlung (Textseiten 36-37). Die Volksversammlung hatte z.B. ein probates Instrument zur Abwehr von Machtmissbrauch. Es war immer möglich, dass gewählte Bürger ihr Amt missbrauchten und im Verdacht standen, zu viel Macht angehäuft zu haben oder der Spionage ver-dächtigt wurden. Aus diesem Anlass konnte die Volksversammlung durch den „Ostrakismos“, ein besonderes Prozedere, eben diese Bürger verbannen. Jeder Teilnehmer der Volksversammlung erhielt eine Tonscherbe, Ostrakon, auf der er den Namen eines verdächtigen Mitglieds schreiben konnte. Im Rahmen einer geheimen Abstimmung wurde derjenige, dessen Name am häufigsten auf den Tonscherben stand, für 10 Jahre verbannt. Archäologisch sind uns knapp über 10.000 dieser Scher-ben bekannt.
Dieser Mechanismus zur Kontrolle von Missbrauch ist selbstverständlich ebenfalls anfällig für Miss-brauch gewesen. Der Ostrakismos wird heute auch als politisches Instrument zur Entfernung unlieb-samer Politiker gesehen. Im 4. Jh. v. Chr. wurde eine neue Form der Klagemöglichkeit, die „graphe paranomon“, geschaffen (Textseite 36). Diese Klage konnte von jedermann, nicht nur von Betroffe-nen oder gesetzlich dazu legitimierten Verwandten, schriftlich eingereicht werden. Die Klage „gra-phe paranomon“ gehörte, wie der Name es bereits andeutet, zu Klagen der Gruppe der „graphe“. Die „graphe“ war im Gegensatz zu den Klagen mit Namen „dike“ eine schriftlich einzureichende Klage. Die Möglichkeit der Schriftklage wurde erstmals durch Solon im 7. Jh. v. Chr. geschaffen; sie stellte eine weitreichende Errungenschaft dar.

Ermöglicht wurde durch die „graphe paranomon“ ein ordentlicher Gerichtsprozess mit gelosten Richtern, um zu überprüfen, ob ein Beschluss durch einen Politiker gesetzmäßig war. Die Klage rich-tete sich jedoch nicht nur gegen den Beschluss oder das Gesetz, sondern auch gegen die Person, die diese in die Wege geleitet hatte. Nun konnte nicht länger auf einen vagen Verdacht hin jemand ver-bannt werden.

Wichtig ist zuletzt hervorzuheben, dass es sich bei der Polis Athen nicht um einen Staat im moder-nen Sinne handelte (Textseite 38). Der große Unterschied zwischen dem Stadtstaat Athen und ei-nem modernen Staat besteht grundsätzlich darin, dass die neuzeitliche Definition von Staat nach Georg Jellinek (ein Staat besteht aus Staatsmacht, Staatsgebiet und Staatsvolk) nicht auf Athen an-wendbar ist. Es fehlt der Polis zwar nicht an einem Gebiet und auch nicht an einem Volk, aber den-noch an einer vollständigen Staatsmacht. Die Polis verfügte nie über weitreichende exekutive Orga-ne, wie in heutigen westlichen Staaten eine Regierung, eine Polizei oder eine Staatsanwaltschaft. Zwar gab es jährlich wechselnde führende Ämter und Richterposten zu besetzen, doch die Durch-führung von Beschlüssen, Gesetzen oder Urteilen war letztlich dem privaten Bürger als Mitglied der Polis überlassen (Textseite 37).

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Vergleichen Sie hierzu auch die Beiträge zu den Sekundärtexten „Das Gerichtswesen in Athen“ und „Die archaische Tyrannis„.