Vergils Aeneis als römischer Gründungsmythos

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Verg.A.2.268-297 – Original

268 Tempus erat, quo prima quies mortalibus aegris
incipit, et dono divom gratissima serpit.
270 In somnis, ecce, ante oculos maestissimus Hector
visus adesse mihi, largosque effundere fletus,
raptatus bigis, ut quondam, aterque cruento
pulvere, perque pedes traiectus lora tumentis.
Ei mihi, qualis erat, quantum mutatus ab illo
275 Hectore, qui redit exuvias indutus Achilli,
vel Danaum Phrygios iaculatus puppibus ignis,
squalentem barbam et concretos sanguine crinis
volneraque illa gerens, quae circum plurima muros
accepit patrios. Ultro flens ipse videbar
280 Compellare virum et maestas expromere voces:
“O lux Dardaniae, spes O fidissima Teucrum,
quae tantae tenuere morae? Quibus Hector ab oris
exspectate venis? Ut te post multa tuorum
funera, post varios hominumque urbisque labores
285 defessi aspicimus! Quae causa indigna serenos
foedavit voltus? Aut cur haec volnera cerno?”
Ille nihil, nec me quaerentem vana moratur,
sed graviter gemitus imo de pectore ducens,
“Heu fuge, nate dea, teque his, ait, eripe flammis.
290 Hostis habet muros; ruit alto a culmine Troia.
Sat patriae Priamoque datum: si Pergama dextra
defendi possent, etiam hac defensa fuissent.
Sacra suosque tibi commendat Troia penatis:
hos cape fatorum comites, his moenia quaere
295 magna, pererrato statues quae denique ponto.”
Sic ait, et manibus vittas Vestamque potentem
aeternumque adytis effert penetralibus ignem.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: Theodore C. Williams
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Übersetzung

That hour it was when heaven’s first gift of sleep
on weary hearts of men most sweetly steals.
O, then my slumbering senses seemed to see
Hector, with woeful face and streaming eyes;
I seemed to see him from the chariot trailing,
foul with dark dust and gore, his swollen feet
pierced with a cruel thong. Ah me! what change
from glorious Hector when he homeward bore
the spoils of fierce Achilles; or hurled far
that shower of torches on the ships of Greece!
Unkempt his beard, his tresses thick with blood,
and all those wounds in sight which he did take
defending Troy. Then, weeping as I spoke,
I seemed on that heroic shape to call
with mournful utterance: “O star of Troy!
O surest hope and stay of all her sons!
Why tarriest thou so Iong? What region sends
the long-expected Hector home once more?
These weary eyes that look on thee have seen
hosts of thy kindred die, and fateful change
upon thy people and thy city fall.
O, say what dire occasion has defiled
thy tranquil brows? What mean those bleeding wounds?”
Silent he stood, nor anywise would stay
my vain lament; but groaned, and answered thus:
“Haste, goddess-born, and out of yonder flames
achieve thy flight. Our foes have scaled the wall;
exalted Troy is falling. Fatherland
and Priam ask no more. If human arm
could profit Troy, my own had kept her free.
Her Lares and her people to thy hands
Troy here commends. Companions let them be
of all thy fortunes. Let them share thy quest
of that wide realm, which, after wandering far,
thou shalt achieve, at last, beyond the sea.”
He spoke: and from our holy hearth brought forth
the solemn fillet, the ancestral shrines,
and Vesta’s ever-bright, inviolate fire.

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Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Wovon handelt der Quellentext?

2) Welche Bedeutung hat das Erscheinen Hektors im Traum des Aeneas?

3) Welche Absicht verbirgt sich hinter der trojanischen Herkunft des Aeneas?

Kommentar:

Noch heute führt die Frage nach der Historizität der von Homer in seinem Epos Ilias geschilderten Ereignisse um den Untergang der Stadt Troja in der Forschung zu Diskussionen. In den deutschen Altertumswissenschaften entbrannte zu Beginn des 21. Jahrhunderts (unter anderem) darüber eine besonders hitzige Auseinandersetzung zwischen den Tübinger Altertumswissenschaftlern Heinrich Korfmann und Frank Kolb, welche als die „Troja-Debatte“ bekannt geworden ist. Daran zeigt sich die Bedeutung, die das Epos als europäisches Bildungsgut nach wie vor trägt. Bis heute gehört der Trojanische Krieg zum Grundbestand der europäischen Mythenerzählungen und ist Teil des kulturellen Gedächtnisses. Schon in der Antike wurden die homerischen Texte vielfach rezitiert und aufgegriffen und der Trojanische Krieg wurde zu einem zentralen Ereignis sowohl der griechischen, als auch der römischen Mythologie. Für die römische Literatur, die bewusst nach griechischen Vorbildern geschaffen wurde, sind die homerischen Epen dabei literarische und kulturelle Denkmäler. Besonders deutlich zeigt sich dies an dem von Vergil (70 – 19 v. Chr.) verfassten Epos Aeneis, welches er zwischen 29 v. Chr. und seinem Tod im Jahre 19 v. Chr. schuf. Das Epos erzählt von der Flucht des Trojaners Aeneas aus der brennenden Stadt Troja, seinen Irrfahrten über das Mittelmeer sowie der Gründung einer neuen Heimstätte auf italischem Boden. Dabei lehnt sich Vergils Erzählung an die homerischen Epen Ilias und Odyssee an, kehrt aber die Reihenfolge um. So beginnt die Aeneis mit der Flucht des Helden Aeneas aus Troja und seiner Reise in die neue Heimat Italien (in Anlehnung an die Odyssee), wo der Trojaner dann in einen Krieg gerät, aus dem er als Sieger hervorgeht (in Anlehnung an die Ilias, wobei der Krieg diesmal gewonnen wird). Im Folgenden soll anhand einer ausgewählten Textstelle aus der Aeneis gezeigt werden, welche Bedeutung das trojanische Epos für die Römer hatte.

Die hier vorliegende Textstelle aus dem zweiten Buch der Aeneis ist Teil der Schilderung des Helden Aeneas am Hofe der karthagischen Königin Dido. Aeneas berichtet seinen Zuhörern vom Untergang Trojas. Er erzählt, wie die Griechen in der Nacht aus ihrem Versteck, dem hölzernen Pferd, welches die Trojaner bei Tag in die Stadt gezogen haben, schlüpften, die Stadttore für das griechische Heer öffneten und begannen, die schlafenden Trojaner zu töten. In dem vorliegenden Textausschnitt berichtet Aeneas, dass ihm in dieser Nacht der bereits von Achilles getötete trojanische Prinz Hektor im Traum begegnete. Hektor, gezeichnet von den im Kampf erlittenen Wunden, richtet seine Worte an den überraschten Aeneas und gibt ihm den Auftrag, die untergehende Stadt, deren Rettung er für aussichtslos hält, im Beisein der Stadtgötter zu verlassen.

Hektor erscheint in Aeneas‘ Traum in einem beklagenswerten Zustand. Er ist schwer verwundet und in tiefer Trauer. Aeneas ist von seinem Anblick bestürzt und schmerzhaft berührt, was mehrmals erwähnt wird. Die ihm von Aeneas gestellten Fragen zu seinem Erscheinen ignoriert Hektor und richtet seine Anweisungen, Aeneas solle die Stadt verlassen, da diese dem Untergang geweiht ist, unumwunden an Aeneas. Eine solche Flucht und Abkehr von der Verpflichtung des Kampfes ist für einen antiken Helden wie Aeneas eigentlich undenkbar. Dass Hektor dennoch von Aeneas fordert, das Kampfgeschehen tatenlos zu verlassen, bedeutet, dass hier ein Auftrag von berufenster Stelle erfolgt. Der Auftritt einer solch autoritären Figur wie Hektor und seine Anweisungen zeigen, dass Aeneas nicht nur das Recht, sondern vielmehr auch die Pflicht hat, dem Kampfe zu entfliehen. Berechtigung erhält er zudem durch Hektors Aufforderung, die Götter mitzunehmen. Die Kultgegenstände der Götter holte Hektor denn auch selbst aus dem Tempel. Dies zeigt Hektors großes Bemühen um den Auftrag. Gleichzeitig wird die Mitnahme der Götter dadurch rechtens gemacht und der Auftrag an Aeneas besiegelt. Der Inhalt des Auftrages wird hier also in der Person des Auftraggebers gerechtfertigt. Hektors Auftritt zeugt zudem von der Wichtigkeit des wesentlichen Ziels: Aeneas soll eine neue Stadt für die Götter erbauen. Das ist der entscheidende Grund dafür, dass Hektor Aeneas die Erlaubnis erteilt, das Kampfgeschehen zu verlassen. Hektors Auftreten zeigt also, dass die Gründung einer neuen Stadt schlussendlich Aeneas‘ göttliche Pflicht ist.

Aeneas gelingt diese von Hektor geforderte Aufgabe am Ende der Aeneis: Nach jahrelanger Irrfahrt und vielen Abenteuern wird er Herrscher der Latiner, eines Volks am Tiber, von dem später Romulus und Remus, die eigentlichen Gründer Roms, abstammen. Vergil erzählt mit der Aeneis damit die Geschichte der sagenhaften Abstammung der Römer von dem Trojaner Aeneas. Schon zu Beginn der Geschichte, wie die obige Textstelle durch den Auftritt Hektors erkennen lässt, wird deutlich, dass das Fernziel des Aeneas die Gründung Roms ist. Dies ist der Grund, warum Aeneas überhaupt aus Troja fliehen muss. Es ist seine göttliche Pflicht, Rom zu gründen. Damit schuf Vergil ein römisches Nationalepos, das den Machtanspruch der Römer durch göttliches Wirken rechtfertigte. Vergil eignete sich dabei die homerischen Texte an und definiert die römische Kultur als erneuerte griechische Kultur. Die Römer ziehen ihre nationale Identität also aus der Sage um die Gründung des römischen Volkes durch einen trojanischen Helden. Damit sind die homerischen Epen grundlegende Dokumente der römischen Nationalidentität. Anders als heute, galt ihr Wahrheitsgehalt als unzweifelhaft und damit als historische Realität.

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Thukydides über den Trojanischen Krieg

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Autor_in: Thukydides
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Thuk. 1,10 – Original

καὶ ὅτι μὲν Μυκῆναι μικρὸν ἦν, ἢ εἴ τι τῶν τότε πόλισμα νῦν μὴ ἀξιόχρεων δοκεῖ εἶναι, οὐκ ἀκριβεῖ ἄν τις σημείῳ χρώμενος ἀπιστοίη μὴ γενέσθαι τὸν στόλον τοσοῦτον ὅσον οἵ τε ποιηταὶ εἰρήκασι καὶ ὁ λόγος κατέχει. [2] Λακεδαιμονίων γὰρ εἰ ἡ πόλις ἐρημωθείη, λειφθείη δὲ τά τε ἱερὰ καὶ τῆς κατασκευῆς τὰ ἐδάφη, πολλὴν ἂν οἶμαι ἀπιστίαν τῆς δυνάμεως προελθόντος πολλοῦ χρόνου τοῖς ἔπειτα πρὸς τὸ κλέος αὐτῶν εἶναι (καίτοι Πελοποννήσου τῶν πέντε τὰς δύο μοίρας νέμονται, τῆς τε ξυμπάσης ἡγοῦνται καὶ τῶν ἔξω ξυμμάχων πολλῶν: ὅμως δὲ οὔτε ξυνοικισθείσης πόλεως οὔτε ἱεροῖς καὶ κατασκευαῖς πολυτελέσι χρησαμένης, κατὰ κώμας δὲ τῷ παλαιῷ τῆς Ἑλλάδος τρόπῳ οἰκισθείσης, φαίνοιτ᾽ ἂν ὑποδεεστέρα), Ἀθηναίων δὲ τὸ αὐτὸ τοῦτο παθόντων διπλασίαν ἂν τὴν δύναμιν εἰκάζεσθαι ἀπὸ τῆς φανερᾶς ὄψεως τῆς πόλεως ἢ ἔστιν. [3] οὔκουν ἀπιστεῖν εἰκός, οὐδὲ τὰς ὄψεις τῶν πόλεων μᾶλλον σκοπεῖν ἢ τὰς δυνάμεις, νομίζειν δὲ τὴν στρατείαν ἐκείνην μεγίστην μὲν γενέσθαι τῶν πρὸ αὑτῆς, λειπομένην δὲ τῶν νῦν, τῇ Ὁμήρου αὖ ποιήσει εἴ τι χρὴ κἀνταῦθα πιστεύειν, ἣν εἰκὸς ἐπὶ τὸ μεῖζον μὲν ποιητὴν ὄντα κοσμῆσαι, ὅμως δὲ φαίνεται καὶ οὕτως ἐνδεεστέρα. [4] πεποίηκε γὰρ χιλίων καὶ διακοσίων νεῶν τὰς μὲν Βοιωτῶν εἴκοσι καὶ ἑκατὸν ἀνδρῶν, τὰς δὲ Φιλοκτήτου πεντήκοντα, δηλῶν, ὡς ἐμοὶ δοκεῖ, τὰς μεγίστας καὶ ἐλαχίστας: ἄλλων γοῦν μεγέθους πέρι ἐν νεῶν καταλόγῳ οὐκ ἐμνήσθη. αὐτερέται δὲ ὅτι ἦσαν καὶ μάχιμοι πάντες, ἐν ταῖς Φιλοκτήτου ναυσὶ δεδήλωκεν: τοξότας γὰρ πάντας πεποίηκε τοὺς προσκώπους. περίνεως δὲ οὐκ εἰκὸς πολλοὺς ξυμπλεῖν ἔξω τῶν βασιλέων καὶ τῶν μάλιστα ἐν τέλει, ἄλλως τε καὶ μέλλοντας πέλαγος περαιώσεσθαι μετὰ σκευῶν πολεμικῶν, οὐδ᾽ αὖ τὰ πλοῖα κατάφαρκτα ἔχοντας, ἀλλὰ τῷ παλαιῷ τρόπῳ λῃστικώτερον παρεσκευασμένα. [5] πρὸς τὰς μεγίστας δ᾽ οὖν καὶ ἐλαχίστας ναῦς τὸ μέσον σκοποῦντι οὐ πολλοὶ φαίνονται ἐλθόντες, ὡς ἀπὸ πάσης τῆς Ἑλλάδος κοινῇ πεμπόμενοι.

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Übersetzung: J. M. Dent
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Übersetzung

When it is said that Mycenae was but a small place, or that any other city which existed in those days is inconsiderable in our own, this argument will hardly prove that the expedition was not as great as the poets relate and as is commonly imagined. [2] Suppose the city of Sparta to be deserted, and nothing left but the temples and the ground-plan, distant ages would be very unwilling to believe that the power of the Lacedaemonians was at all equal to their fame. And yet they own two-fifths of the Peloponnesus, and are acknowledged leaders of the whole, as well as of numerous allies in the rest of Hellas. But their city is not built continuously, and has no splendid temples or other edifices; it rather resembles a group of villages like the ancient towns of Hellas, and would therefore make a poor show. Whereas, if the same fate befell the Athenians, the ruins of Athens would strike the eye, and we should infer their power to have been twice as great as it really is. [3] We ought not then to be unduly sceptical. The greatness of cities should be estimated by their real power and not by appearances. And we may fairly suppose the Trojan expedition2 to have been greater than any which preceded it, although according to Homer, if we may once more appeal to his testimony, not equal to those of our own day. He was a poet, and may therefore be expected to exaggerate; yet, even upon his showing, the expedition was comparatively small. [4] For it numbered, as he tells us, twelve hundred ships, those of the Boeotians3 carrying one hundred and twenty men each, those of Philoctetes4 fifty; and by these numbers he may be presumed to indicate the largest and the smallest ships; else why in the catalogue is nothing said about the size of any others? That the crews were all fighting men as well as rowers he clearly implies when speaking of the ships of Philoctetes; for he tells us that all the oarsmen were likewise archers. And it is not to be supposed that many who were not sailors would accompany the expedition, except the kings and principal officers; for the troops had to cross the sea, bringing with them the materials of war, in vessels without decks, built after the old piratical fashion. [5] Now if we take a mean between the crews, the invading forces will appear not to have been very numerous when we remember that they were drawn from the whole of Hellas.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Wovon handelt der Quellentext?

2) Welche methodische Vorgehensweise des Thukydides lässt die Textstelle erkennen?

3) Glaubte Thukydides an die Historizität des Trojanischen Krieg?

Kommentar:

Die Frage nach der Historizität des Trojanischen Krieges wird bis heute kontrovers diskutiert. Wann wurde Troja zerstört? War Troja wirklich eine bedeutende Stadt und damit ein lohnendes Ziel für einen Angriff? Haben die Griechen tatsächlich versucht, Troja in einem hellenischen Zusammenschluss zu erobern?

In der antiken Literatur wurde der Trojanische Krieg immer wieder aufgegriffen, wie etwa bei dem attischen Historiker Thukydides. Thukydides, der um 460 v. Chr. geboren ist und wohl einer wohlhabenden athenischen Familie entstammte, verfolgte in seiner Geschichtsschreibung eine wissenschaftlich-kritische Methode und gilt daher als Begründer der pragmatischen Geschichtsschreibung. In seinem, im Nachhinein in acht Bücher eingeteilten, Werk über den Peloponnesischen Krieg (431 – 404 v. Chr.) zwischen den Großmächten Athen und Sparta bezieht sich der Historiker in seiner Einleitung im Zuge eines knappen Abrisses über die älteste Geschichte Griechenlands (die sogenannte „Archäologie“) auch auf den Trojanischen Krieg und bezeichnet ihn als erste Gemeinschaftsunternehmung der Hellenen gegen einen externen Feind. Dabei geht es Thukydides, wie die obige Quellenstelle (Thuk. 1,10) zeigt, auch um die Größe des trojanischen Krieges. Zu Beginn erklärt er grundsätzlich, dass nicht aufgrund der Größe einer Stadt auf die Größe ihrer Macht geschlossen werden darf. Auch wenn Mykene aus damaliger Sicht klein gewirkt haben mag, bedeute dies nicht, dass der Trojanische Krieg nicht trotzdem der bedeutendste aller früheren Kriege gewesen ist. Dennoch bleibe der Trojanische Krieg, trotz der anzunehmenden Überhöhung durch seinen Dichter Homer, bescheidener als der Peloponnesische Krieg. Dies macht Thukydides im darauffolgenden Abschnitt durch die Aufzählung der bei Homer im 2. Gesang der Ilias genannten Schiffe fest. Er schlussfolgert daraus, dass offenbar nicht Viele für einen gemeinsamen Auszug aus Hellas zusammengekommen seien und der Krieg insofern kleiner gewesen sein muss als der Peloponnesische Krieg.

Thukydides will hiermit also zeigen, dass der Peloponnesische Krieg das größte militärische Unternehmen aller Zeiten ist. Den Trojanischen Krieg, der bis dato größte bekannte Krieg, zieht er dafür als Referenz heran. Den Krieg um Troja bewertet Thukydides dabei logisch an den Möglichkeiten seiner Zeit, nämlich an der Anzahl der Kriegsschiffe. Diese entnimmt er dem homerischen Schiffskatalog der Ilias. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass Homer seinen Krieg vermutlich dichterisch überhöhte und daher keine verlässliche Quelle sein könne. Hieran lassen sich zwei methodische Vorgehensweisen der thukydideischen Geschichtsschreibung erkennen: Zum einen wird die Ilias von Thukydides als historische Quelle genutzt. So zitiert er Zahlenangaben aus dem homerischen Text. Zum anderen zeigt Thukydidesʼ Skepsis in Bezug auf den Wahrheitsgehalt der Angaben Homers, dass er einen kritischen Umgang mit der Quelle wahrte.

Dass Thukydides die homerische Ilias als Quelle heranzieht, bedeutet, dass er an der Historizität des Trojanischen Krieges nicht zweifelte. Dies ist umso bemerkenswerter, als Thukydidesʼ Name mit dem Beginn der kritischen Geschichtsschreibung in Verbindung gebracht wird. In seinem einzigartigen Methodenkapitel warnt er davor, Nachrichten von Früherem ungeprüft anzunehmen. Er muss also davon überzeugt gewesen sein, dass der Trojanische Krieg tatsächlich ein historisches Ereignis gewesen ist. Gleiches galt für die Menschen der griechisch-römischen Antike. Für sie war es historische Realität, dass der Palast des Priamos einst auf dem heute Hisarlık benannten Hügel stand und die Trojaner hier dem Angriff der Griechen entgegenstehen mussten. Zwar war man sich bewusst, dass es keine zeitgenössische Quelle für jenen Krieg gegeben hat und auch wurden Einzelheiten des Kriegsberichtes in Zweifel gezogen, doch war man sich zugleich sicher, dass der Krieg stattgefunden hat. Es darf dabei jedoch nicht vergessen werden, dass die Grenzen zwischen Mythos und Geschichte in der Antike fließend waren. Bis in die Gegenwart wird der Wert der homerischen Epen Ilias und Odyssee dennoch als historische Quelle verteidigt, wie etwa von einem so renommierten Forscher wie dem Basler Gräzisten Joachim Latacz. Aus Sicht der Alten Geschichte gilt der Trojanischer Krieg – zumindest so, wie Homer ihn beschreibt – jedoch heute als unwahrscheinlich.

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Der Eberzahnhelm

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Homer
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Original:

Hom.Il.10.260-271

260 Μηριόνης δ᾽ Ὀδυσῆϊ δίδου βιὸν ἠδὲ φαρέτρην
καὶ ξίφος, ἀμφὶ δέ οἱ κυνέην κεφαλῆφιν ἔθηκε
ῥινοῦ ποιητήν: πολέσιν δ᾽ ἔντοσθεν ἱμᾶσιν
ἐντέτατο στερεῶς: ἔκτοσθε δὲ λευκοὶ ὀδόντες
ἀργιόδοντος ὑὸς θαμέες ἔχον ἔνθα καὶ ἔνθα
265 εὖ καὶ ἐπισταμένως: μέσσῃ δ᾽ ἐνὶ πῖλος ἀρήρει.
τήν ῥά ποτ᾽ ἐξ Ἐλεῶνος Ἀμύντορος Ὀρμενίδαο
ἐξέλετ᾽ Αὐτόλυκος πυκινὸν δόμον ἀντιτορήσας,
Σκάνδειαν δ᾽ ἄρα δῶκε Κυθηρίῳ Ἀμφιδάμαντι:
Ἀμφιδάμας δὲ Μόλῳ δῶκε ξεινήϊον εἶναι,
270 αὐτὰρ ὃ Μηριόνῃ δῶκεν ᾧ παιδὶ φορῆναι:
δὴ τότ᾽ Ὀδυσσῆος πύκασεν κάρη ἀμφιτεθεῖσα.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: A.T. Murray
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Übersetzung:

Hom.Il.10.260-271

[260] And Meriones gave to Odysseus a bow and a quiver and a sword, and about his head he set a helm wrought of hide, and with many a tight-stretched thong was it made stiff within, while without the white teeth of a boar of gleaming tusks were set thick on this side and that, [265] well and cunningly, and within was fixed a lining of felt. This cap Autolycus on a time stole out of Eleon when he had broken into the stout-built house of Amyntor, son of Ormenus; and he gave it to Amphidamas of Cythem to take to Scandeia, and Amphidamas gave it to Molus as a guest-gift, [270] but he gave it to his own son Meriones to wear; and now, being set thereon, it covered the head of Odysseus.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Agnes von der Decken
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Leitfragen:

1) Was ist ein Eberzahnhelm?

2) Welche Funktion hatte der Eberzahnhelm?

3) Was sagt uns der Eberzahnhelm über die Entstehung der Ilias?

Kommentar:

Der in diesen Versen der Ilias beschriebene Helm, den König Odysseus von Meriones zur Verfügung gestellt bekommt, war der am häufigsten verwendete Helm in der ägäischen Bronzezeit und ein mykenisches Unikat. Bisher wurden in mehr als fünfzig Gräbern die aus Eberzähnen bestehenden Platten gefunden, die in einen Zeitraum zwischen 1650 und 1150 v. Chr. datieren. Der sogenannte Eberzahnhelm begegnet dabei aber über die ganze mykenische Periode hinweg nicht nur in Gräbern, sondern erscheint auch auf zahlreichen Darstellungen von Kriegern in der mykenischen Kunst.

Der Eberzahnhelm bestand aus einer mit Filz gefütterten Lederkappe auf die in eng aneinander liegenden Reihen kleine, halbmondförmige Eberzahnplatten, die in den Ecken mit Löchern durchbohrt waren, aufgenäht waren. Dass die Zähne auf eine Lederkappe genäht wurden, erfahren wir lediglich aus der Beschreibung in der Ilias, da das Material, auf das die Zähne genäht wurden, nicht erhalten geblieben ist. Um einen solchen Helm vollständig mit Eberzähnen zu bedecken, wurden die Zähne von etwa 50 bis 60 Ebern benötigt. Die jüngeren Exemplare der Eberzahnhelme besaßen Wangen- und/oder Nackenschutz.

Der Eberzahnhelm war Teil der klassischen Rüstung eines mykenischen Kriegers. Man verwendete Eberzähne, weil Metallarbeiten in dieser Zeit erst entwickelt wurden, und die Herstellung eines bronzenen Helmes, der einerseits leicht sein, andererseits aber auch schützen musste, noch eine Herausforderung darstellte. Später, als bronzene Rüstungen entstanden, hatte sich der Eberzahnhelm etabliert und erwies sich offenbar als so nützlich, dass vorerst keine Bronzehelme produziert wurden.

Der Eberzahnhelm besaß dabei gleichzeitig auch kulturelle Bedeutung, weil die Wildschweinjagd ein wichtiger Teil der mykenischen Kriegskultur war. Nur die mutigsten und begabtesten Krieger waren in der Lage, einen Eber zu erlegen. Vielleicht diente der Helm insofern auch als Zeichen von Mut und Können. Wahrscheinlich war der Eberzahnhelm auch ein Hinweis auf den hohen sozialen Status des Kriegers. Die Funde in den mykenischen Kriegsgräbern weisen darauf hin, dass er bei ehrenvollen Begräbnissen als kostbare Beigabe verwendet wurde. Seine Funktion als Statussymbol zeigt sich auch daran, dass man 50-60 Eber benötigte, um einen einzigen Helm herzustellen. Wahrscheinlich besaß also nicht jeder Krieger einen solchen Helm. Und auch die Verse in der Ilias lassen vermuten, dass der Eberzahnhelm kostbar war, da er nicht nur erbeutet und der Held Odysseus damit ausgerüstet, sondern sodann auch als kostbares Gastgeschenk und später als bedeutendes Erbstück weitergegeben wurde.

Der Eberzahnhelm, der in den Versen der Ilias so detailliert beschrieben ist, gehört in die Lebenswelt der Mykener. Die genaue Beschreibung deckt sich mit den erhaltenen Exemplaren und den vielen Darstellungen von Eberzahnhelmen auf Fresken, Siegeln oder Gefäßen aus mykenischer Zeit. Das homerische Epos wurde jedoch etwa 400 Jahre später, um 800 v. Chr., niedergeschrieben und bezieht sich auch größtenteils auf diese Zeit. Dass der Dichter der Ilias an dieser Stelle den Eberzahnhelm, also einen mykenischen Gegenstand, erwähnt, zeigt, dass die Dichtung im Zuge ihrer mündlichen Überlieferung und der damit einhergehenden Anpassung an die Lebenswelt der Zuhörer über Jahrhundert zu einer Verflechtung von Vergangenheit und Gegenwart geworden ist. Nur auszugsweise wird noch auf die mykenische Realität verwiesen. Wenn der Schreiber der Ilias dieses durch die Erwähnung des mykenischen Eberzahnhelmes tut und damit eine mykenische Kulisse aufleben lässt, diente dies vielleicht dazu, die Handlung absichtlich zu „archaisieren“ und ihr durch eine „epische Distanz“ den Glanz der heroischen Vorzeit zu verschaffen.

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Die Maske des Agamemnon


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Die Maske des Agamemnon

Leitfragen

1) Was ist die „Maske des Agamemnon“?

2) Was kann uns die Maske über den Begrabenen sagen?

3) Ist dies die Totenmaske des mythischen Königs Agamemnon?

Kommentar:

Bei den Ausgrabungen der mykenischen Schachtgräber des Gräberrundes, entdeckte Heinrich Schliemann 1876 diese goldene Totenmaske, die als „Maske des Agamemnon“ berühmt geworden ist. Die „Maske des Agamemnon“ gehört zu den bekanntesten und spektakulärsten Funden, die in den mykenischen Schachgräbern gefunden wurde (vgl. Quellenkommentar „Gräberrund A“). Die Totenmaske ist dabei eine von insgesamt fünf Masken, die in den Schachtgräbern VI (drei Masken) und V (zwei Masken) gefunden wurde. Die aus Goldblech gefertigte Maske ist 31,5 cm hoch und mittlerweile im Archäologischen Nationalmuseum in Athen ausgestellt.

Die Maske ist bis auf ein paar Risse und kleinere Brüche sehr gut erhalten, so dass die Details des Gesichts gut erkennbar sind: Das Gesicht ist oval und trägt hohe Wangenknochen. Von der hohen Stirn läuft eine lange, dünne Nase mit kleinen Nasenflügeln gradlinig hinab. Die dicht beieinanderstehenden großen Augen sind geschlossen und durch die Augenbrauen eingerahmt. Charakteristisch ist der große Mund mit den filigran dargestellten Lippen, die streng aufeinander liegen. Der Bart, insbesondere der Schnurbart, dessen Enden noch oben verlaufen, und die Augenbrauen sind detailgetreu entworfen. Schliemann glaubte deswegen, dass die Mykener Öl oder eine Art Pomade für ihre Haare gebrauchten. Zwei große Ohren rahmen das Gesicht ein. Neben ihnen befindet sich je ein Loch für einen Nagel. Möglich ist, dass den zu ehrenden Toten dabei die Masken am Kopf mit einem Faden befestigt wurden. Die Löcher am Maskenrand könnten ein Indiz dafür sein. Insgesamt trägt das Gesicht gebieterische Züge und lässt auf einen Mann höheren Alters schließen.

Die „Maske des Agamemnon“ ist dabei mit ihren ausgeprägten Gesichtszügen im Vergleich zu den anderen gefundenen Masken aus den beiden Schachtgräbern besonders detailgetreu. Es entsteht der Eindruck, dass hier das tatsächliche Gesicht des Trägers abgebildet ist. Der Ausdruck des Gesichtes scheint dabei den Charakter des Mannes wiederzugeben: würdevoll und herrschaftlich. Interessant ist, dass nicht alle Toten im Gräberrund Totenmasken trugen und dass die wenigen Träger der Masken Männer waren. Dies lässt vermuten, dass es sich bei den Trägern um Herrscher handelte, die auf diese Weise geehrt wurden. Da sich die fünf gefundenen Goldmasken in bestimmter Hinsicht ähneln – alle haben einen ähnlich geformten Mund, starke Augenbrauen und eine gerade Nase – wurde teilweise angenommen, dass hier eine Familienähnlichkeit erkennbar sei und insofern an dieser Stelle ein Herrschergeschlecht begraben läge. Eine andere Theorie ist diesbezüglich, dass die Masken von dem selben Handwerker oder der selben Werkstatt stammen. Gesichert ist dies aber nicht.

Dafür kann ausgeschlossen werden, dass die Maske eine Verbindung zum sagenumwobenen König Agamemnon hatte. Entgegen der weit verbreiteten Ansicht hielt auch Schliemann die Maske nicht für die Totenmaske Agamemnons. Zeitlich kann dies auch insofern ausgeschlossen werden, da die Forschung die Königsherrschaft des Agamemnon und den Trojanischen Krieg, wenn es ihn gegeben haben sollte, ins 13. Jh. v. Chr. setzt, die Grabfunde im Gräberrund A jedoch aus dem 16. Jh. v. Chr. stammen.

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Das Gräberrund A


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Das Gräberrund A

Leitfragen

1) Was ist das Gräberrund und was ist zu erkennen?

2) Wie entwickelte sich das Gräberrund A?

3) Was kann uns das Gräberrund über die Mykener sagen?

Kommentar:

Im Jahre 1876 stieß Heinrich Schliemann bei Grabungen in Mykene auf eine imposante Grabstätte: Das sogenannte Gräberrund A. Das Gräberrund A (in Abgrenzung zu einer zweiten, älteren, Grabstelle, dem Gräberrund B) befindet sich nach Eintritt durch das Löwentor nach etwa 20 Metern zur rechten Seite. Heute ist davon noch eine kreisförmige Umfassungsmauer sichtbar, die doppelreihig ist (in einem Abstand von 1,30 Meter) und aus senkrechten Kalksteinplatten besteht. Ursprünglich war diese kompakte Plattenmauer durch weitere Platten horizontal abgedeckt. Der Durchmesser des Gräberrundes beträgt etwa 27,50 Meter. Innerhalb des Gräberrundes stieß man auf insgesamt sechs Gräber, die aufgrund ihrer tiefen, rechteckigen Form als Schachtgräber bezeichnet werden und in ihrer Größe zwischen 3 x 3,50 Metern und 4,50 x 6,40 Metern und in ihrer Tiefe zwischen einem und vier Metern variieren. Zudem gab es kleine, flache Gräber, von denen aber nur eines erhalten ist.

Schliemann glaubte, die Grabstätte des legendären Königs Agamemnon und seiner Männer aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. ausgegraben zu haben. Dank moderner Datierungsmethoden sowie durch die in den Gräbern entdeckten Funde, weiß man jedoch heute, dass die Gräber ca. 300 Jahre älter waren, als Schliemann vermutete und aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. stammen. Zu dieser Zeit befand sich hier eine Gruppe großer Schachtgräber, in welchen sehr wahrscheinlich tatsächlich ein Herrschergeschlecht begraben lag. Die heute sichtbare Gestaltung der Grabstätte entstand jedoch 300 Jahre nach der letzten Beerdigung, die im 16.Jahrhundert v. Chr. stattgefunden haben muss. Ursprünglich lagen die alten Gräber, die von einer niedrigen, kreisförmigen Mauer eingefriedet waren, außerhalb der Siedlungsbegrenzung auf der Akropolis. Im 13. Jahrhundert v. Chr. wurde die Burgmauer jedoch erweitert, um die alten Gräber der herrschenden Vorfahren einzubeziehen. Weil diese aufgrund ihrer Lage am Steilhang der Akropolis tiefer lagen als das neu entstandene Löwentor, musste die Grabstelle mit Erde aufgefüllt werden, um das Niveau des Löwentors zu erreichen. Die künstliche Erdauffüllung wurde mit einer starken Mauer umfasst und dadurch zusammengehalten. Hierdurch entstand ein ebenes Gelände, auf welches die oben beschriebene Plattenmauer zur Sichtbarmachung der Gräber gebaut wurde. Kalksteinstelen markierten die Gräber der Vorfahren (s. Rekonstruktion des Gräberrundes A).

In den Schachtgräbern wurden die Skelette von insgesamt 19 Menschen gefunden, darunter neun Frauen, acht Männer und zwei Kinder. In den Gräbern stieß man auf außergewöhnlich viele und reiche Beigaben. Bei den Männern entdeckte man handgefertigte Schwerter, Dolche, Speere und Messer. Alle Toten waren zudem mit Schmuck bedeckt. Es gab Artefakte aus Bergkristallen und Halbedelsteinen, Goldringe mit Darstellungen aus dem Leben der Menschen und goldene Diademe. Einige Männer trugen goldene Totenmasken und auch die Kleider oder Leichentücher waren mit Gold verziert. Daneben wurden Gold- und Silbertassen in den Gräbern gefunden. Der Goldfund wird auf annähernd 15 kg geschätzt (ausgestellt im Nationalmuseum in Athen) und ist damit der bis heute reichste Grabfund der mykenischen Kultur.

Der reiche Fund in Gräberrund A lässt die Vorstellung an das „goldreiche Mykene“ Homers aufleben. Die zahlreichen Goldfunde spiegeln dabei einerseits die machtvolle und kämpferische Welt der Mykener wider, andererseits zeigen sie auch ihr hohes künstlerisches Können und ihren feinen Geist. Ägyptische und minoische Einflüsse sind erkennbar. Insbesondere die goldenen Siegelringe mit ihren kultischen Darstellungen zeigen dabei den Einfluss der kretischen Minoer. Die Reichtümer geben auch Hinweise auf den Wohlstand der frühmykenischen Gesellschaft und ihre Verbindungen zur Außenwelt.

Die Grabfunde verweisen dabei auch darauf, dass hier die Elite begraben lag, der diese glänzenden Gaben beigegeben wurden. Dass es sich um das Grab elitärer Vorfahren handelte, zeigt auch die völlige Bedeckung einer der Kinderleichen mit goldenem Blech. Offenbar muss dieses Kind eine herausgehobene Stellung gehabt haben, denn der Tod eines Säuglings oder Kindes war aufgrund der hohen Kindersterblichkeit eigentlich alltäglich und die Ehrung der mit Gold bedeckten Kinderleiche war daher etwas Besonderes. Vielleicht war das Gräberrund die letzte Ruhestätte einer mykenischen Herrscherdynastie, als sich die Stadt zum regionalen Machtzentrum entwickelte. Diese These kann durch die Baumaßnahmen im 13. Jahrhundert v. Chr. gestärkt werden: Bei der Neugestaltung der Burgmauer war es offenbar besonders wichtig, die Gräber der Vorfahren in die Akropolis einzubeziehen. Dies zeigt, welche Ehrfurcht und Achtung den Toten entgegengebracht wurden und lässt vermuten, dass sie als Begründer einer royalen Dynastie verehrt wurden. Das Gräberrund könnte demnach auch die Funktion eines Heroons der Vorfahren, also eines Grabdenkmals der Heroen, für spätere Generationen gehabt haben.

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Stiersprungfresko aus Knossos


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Autor_in: Agnes von der Decken
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Stiersprungfresko aus Knossos

Leitfragen

1) Was ist auf dem Fresko zu sehen?

2) Was genau passierte beim Stiersprung und wer nahm teil?

3) Welche Funktion kann der Stiersprung gehabt haben?

Kommentar:

Dieses Stiersprung-Fresko stammt aus dem Ostflügel des Palastes von Knossos und ist, wie nahezu alle Fresken, in der Spätphase der jüngeren Paläste, also etwa 1600-1400 v. Chr., entstanden. Auch in diesem Fresko sind lediglich kleinere und größere Verputzbrocken erhalten, die zu einem Gesamtbild rekonstruiert werden mussten. Dank der Rekonstruktion ist die Szene, die das Fresko darstellt, aber deutlich erkennbar: Ein sich im Sprung befindender Stier wird von einer vor dem Stier stehenden männlichen Figur an den gesenkten Hörern gepackt. Über den Rücken des Stieres vollzieht eine weitere männliche Figur gleichzeitig einen Handstandüberschlag. Hinter dem Stier steht eine dritte männliche Figur, die die Arme in Richtung Stier ausstreckt. Das Motiv eines solchen Stiersprungs hat dabei in der Forschung großes Interesse geweckt, weil es in der minoischen Kultur allgegenwärtig ist.

Arthur Evans, der den Palast von Knossos Ende des 19. Jahrhunderts ausgrub, war der erste, der versuchte, den Akt des Stiersprunges zu rekonstruieren. Er vermutete, dass es sich bei der Darstellung um einen Sprung handelt, bei dem ein Springer den Stier bei den Hörnern greift, sich an diesen hochschwingt, einen Salto über den Stier macht, auf dessen Rücken landet und am Ende abspringt. Laut Evans handelt es sich bei den drei männlichen Figuren also um ein und den selben Mann in unterschiedlichen Stadien des Sprunges. Diese Rekonstruktion des Sprunges wird heute jedoch als undurchführbar abgetan. Viel eher sehen wir hier einen Springer, der im Begriff ist, einen Handstandüberschlag über den Rücken des Tieres zu vollziehen und der dabei von zwei anderen Männern assistiert wird (ein Mann verlangsamt den Stier durch den Griff an die Hörner, der andere sorgt beim Absprung für Hilfestellung). Dafür spricht auch die unterschiedliche Farbgebung der Figuren: Die springende Figur ist rot, die anderen beiden sind weiß.

Der auf diesem Fresko dargestellte Stiersprung ist eine rein männliche Angelegenheit. Das Geschlecht der Figuren lässt sich hier anhand ihrer Kleidung und anatomischer Merkmale wie der Penistasche, der fehlenden weiblichen Brust oder der Bein- und Bauchmuskulatur eindeutig bestimmen. Ob auch Frauen an Stiersprüngen teilnahmen, ist umstritten aber nicht sehr wahrscheinlich. Unbestritten ist hingegen, dass die Akteure, die dieses Fresko zeigt, jungen Alters und edler Abstammung waren. Dies zeigen ihre Physis, ihr gepflegtes und elegantes Aussehen sowie der edle Schmuck, den sie tragen. Die Größe des Stieres ist dabei wohl keine künstlerische Übertreibung – Knochenfunde beweisen, dass auf Kreta der bos primigenius lebte, der riesige Vorfahre der heutigen Stiere. Dieser wurde vermutlich gefangen und eine Zeit lang am Hof oder in Gutshöfen gehalten, bis er dann für das Spektakel geholt wurde. Hierbei wurde er so lange gereizt und provoziert, bis der Sprung über das heranrasende Tier möglich war.

Wo die Stiersprünge aufgeführt wurden, ist nicht eindeutig bestimmbar. In Erwägung gezogen wurden freie Plätze in der Stadt oder in Palastnähe oder sogar die Zentralhöfe der minoischen Paläste. Dies erscheint jedoch unwahrscheinlich, weil die Gefahr der Verletzung für Stier und Springer durch die Pflastersteine in den Höfen zu groß gewesen sein muss. Zudem hätte ein Zentralhof aufgrund seiner Größe die Anzahl an Zuschauern deutlich beschränkt, was in Anbetracht der Tatsache, dass der Stiersprung vermutlich der ganzen Gemeinde zugänglich gemacht werden sollte, kaum sinnvoll erscheint. Weil aber anzunehmen ist, dass in den Zentralhöfen Rituale abgehalten wurden, soll nicht ausgeschlossen werden, dass hier Stieropfer vollzogen wurden. Das Spektakel der Stiersprünge ist hingegen eher an einem Ort mit weichem, erdigen Boden zu verorten.

Die Bedeutung des Stiersprunges zeigt sich durch die enorme Signifikanz des Motives und seinen palatialen Charakter. Nicht nur in unzähligen Reliefs und Fresken in Knossos, sondern auch auf Goldringen, Siegeln, Steingefäßen oder Reliefverzierungen begegnet das Motiv des Stiersprungs. Dabei ähneln sich die Darstellungen und zeigen eine stereotype Sequenz. Alles spricht daher dafür, dass die Stiersprünge kultischen Charakter hatten. Dies ist auch deswegen anzunehmen, weil der Stier eine zentrale Rolle im Kult der Minoer spielte. Nicht nur hatte Zeus sich in einen Stier verwandelt, um die Europa nach Kreta zu entführen, sondern auch Minos, König von Knossos, ließ sich von Poseidon einen Stier schenken, der zusammen mit Minos‘ Frau Pasiphae den berühmten Minotauros zeugte. Ob der Stier im Anschluss an die Stiersprünge geopfert wurde, ist fraglich.

Es ist möglich, dass es sich bei dem Stiersprung um Teil eines Ernte- oder Vegetationsfestes handelte: Der Stier galt auch in der ägyptischen Religion als Symbol der Fruchtbarkeit. Denkbar ist auch, dass die gefährliche Begegnung zwischen Mensch und Tier – der Stier stand symbolisch für Stärke und Potenz – ein Initiationsritual minoischer Eliten war. Junge Adlige stellten ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten unter Beweis. Einige Fresken zeigen dabei einen städtischen Kontext sowie Zuschauer, die dem Spektakel beiwohnen und verweisen damit auf das städtische Kollektiv, das am Ritualgeschehen teilnahm.
Schlussendlich kann keine klare Unterscheidung zwischen Sport, Spiel und Ritual vorgenommen werden. Dass der Stiersprung dabei jedoch eine hohe kulturelle Bedeutung hatte, ist nicht von der Hand zu weisen.

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Stierkopf Rhyton

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Stierkopf Rhyton

Leitfragen

1) Was ist ein Rhyton?

2) Wozu wurde das Rython verwendet?

3) Welche Bedeutung hat die Stierkopf-Form?

Kommentar:

Hier zu sehen ist ein sogenanntes Rhyton in Form eines Stierkopfes. Ein Rhyton ist ein Trinkgefäß, das meist oben offen ist und an seinem unteren Ende in einem Kopf oder Protom eines Tieres endet. Am Boden des Gefäßes, also im Maulbereich, befindet sich ein kleines Loch, aus der Flüssigkeit, die in eine Öffnung im Nacken des Tieres eingegossen wird, austreten kann. Dies erklärt auch den Namen des Gefäßes, da sich der Begriff Rhyton von ῥυσις/rhýsis = „Strom“ ableitet.
Dieses Stierkopf-Rython, das in die jüngere Palastzeit datiert, ist das beste und vollständigste Beispiel dieser Art Gefäß aus minoischer Zeit. In der ersten Hälfte des 15. Jh. v. Chr. waren Rhyta überaus gängig: Zahllose Rhyta wurden in den Ruinen von Palästen und Häusern gefunden, die wohl im Zuge der Zerstörung der jüngeren Paläste zwischen 1500 und 1450 v. Chr. vernichtet wurden. Arthur Evans entdeckte das Stierkopf-Rhyton Anfang des 20. Jh. bei Ausgrabungen des sogenannten „Kleinen Palastes von Knossos“, der nordwestlich des großen Palastes liegt. Das aus schwarzem Speckstein gefertigte Rhyton zeichnet sich durch seinen detailgetreuen Stil aus und zeugt von großer handwerklicher Leistung bei seiner Herstellung. Die Hörner des Stiers, die rekonstruiert wurden, sind aus vergoldetem Holz, die Augen aus Bergkristall und die Schnauze aus Muschel. Detaillgetreu wurden Locken und zotteliges Fell eingraviert.

Die minoischen Rhyta sind von den späteren griechischen Rhyta zu unterscheiden. Letztere begegnen auf bildlichen Darstellungen vorrangig als Trinkgefäße. Dabei wurde vermutlich Wein oder ein anders Getränk in das Rhyton gegossen, was dann in einem Strom aus dem Loch im Boden des Gefäßes in den Mund floss. Die minoischen Rhyta sind hingegen wahrscheinlich primär im Kult verwendet worden. Allerdings ist ihre sakrale Verwendung nicht abschließend bewiesen, und es darf nicht ausgeschlossen werden, dass Rhyta in minoischer Zeit auch in alltäglichem Gebrauch waren. So könnten sie etwa als Behältnisse für Wein oder andere Getränke bei Festen oder Banketts gedient haben. Für eine sakrale Verwendung spricht jedoch das Fehlen einer für Trinkzwecke ausgebildeten Mündung oder Gefäßlippe. Auch waren die Rhyta – zumal, wenn sie wie hier aus Stein waren – oft sehr schwer, was einen alltäglichen Gebrauch eher ausschließt.

Dass das Rython die Form eines Stierkopfes hat, so wie viele andere Rhyta auch, verweist auf die besondere Rolle des Stieres in der minoischen Kultur und insofern auf den sakralen Charakter des Gefäßes. So könnte dieses Rhyton vor einem kultischen Hintergrund verwendet worden sein, um etwa das Blut von geopferten Stieren zu sammeln, das im Anschluss an die Opferung als Libation, also als Trankopfer, vergossen werden konnte. Eine interessante Theorie in Bezug auf die Verwendung des Stierkopf-Rython ist auch, dass das Rython Teil eines „re-enactment“ gewesen sein könnte, bei welcher es symbolisch für den geopferten Stier stand, der dabei noch einmal metaphorisch stirbt, während die Flüssigkeit aus dem Stierkopf tropft.

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Die Schlangengöttin

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Die Schlangengöttin

Leitfragen

1) Wie sieht die Statuette aus?

2) Welcher Kult verbindet sich mit der Schlangengöttin?

3) Warum trägt das Idol eine Schlange?

Kommentar:

Das Idol der hier abgebildeten und von Evans so genannten „Schlangengöttin“ entstammt einem Fund aus Knossos: Unter dem Fußboden eines Zimmers im südwestlichen, also dem kultischen, Teil des Palastes, wurden zwei Steinkisten gefunden, in denen eine große Anzahl verschiedener Gegenstände entdeckt wurden. In einer der beiden Kisten wurden zwei relativ gut erhaltene weibliche Figuren mit Schlangen gefunden, von denen eine die hier abgebildete Schlangengöttin ist. Neben den beiden Schlangengöttinnen befanden sich in den Steinkisten weitere Fayencefunde, wie Votivgürtel und -kleidungsstücke für die Figuren oder Modelle von Fischen und Muscheln. Der Fund datiert in das Ende der mittel-minoischen Periode, wie an Vasen, die ebenfalls in den Steinkisten gefunden wurden, nachgewiesen werden konnte.
Die Statuette der Schlangengöttin ist aus Fayence, einer Metallmischung aus gestoßenem Quarzkristall. Sie ist etwa 35 cm groß. Die Schlangengöttin hält eine kleine Schlange in der Hand des ausgestreckten rechten Armes. Ihr linker Arm sowie ihr Kopf sind abgebrochen. Die Figur trägt einen bodenlangen Volantrock. Um ihre Taille hängt eine Schürze und ihre Brüste sind freigelegt.
Wie so oft in der minoischen Kultur, stellt sich bei menschlichen Gestalten wie der Fayencestatuette der Schlangengöttin die Frage, ob sie Götter oder menschliche Verehrer darstellen oder gar Priesterinnen oder Königinnen sind, die Götter imitieren. Möglich ist auch, dass hier eine Epiphanie gezeigt wird, wobei die Gottheit im Körper der Schlange erscheint. Meist wurde jedoch aufgrund der erhobenen Arme der Figur angenommen, dass es sich bei dem Idol um die Göttin selbst handelt. Die in der Hand gehaltene Schlange könnte dabei auf einen übermenschlichen Status hinweisen.

Fraglich ist, in welchem genauen Zusammenhang die Schlangengöttin zur minoischen Religion stand. Zwar existieren keine architektonischen Überreste eines Heiligtums, jedoch gehört das Schlangenidol dem Fundort nach zu urteilen einem Kult an, der in Häusern vonstattenging. Die minoische Religion pflegte Kulträume in den Palästen und Häusern und kannte keine Tempel. Ausgrabungen und Funde haben gezeigt, dass der Kultraum dabei eine gewisse Grundausstattung hatte: So war es etwa üblich, dass neben anderen Kulteinrichtungen (unterschiedliche Kultgefäße und ein in die Mitte gestellter Dreifußtisch) eine Bank aus Stein oder Lehm an der Hauswand stand, auf welcher wichtige oder heilige Gegenstände aufgestellt waren. So könnte auch unsere Schlangengöttin für eine ähnliche Aufstellung gedacht gewesen sein. Dieser Art Idole wurden lediglich in Hausheiligtümern gefunden. Die neben der Schlangengöttin entdeckten Fayencefunde in den Steinkisten könnten demnach ihre Kultausstattung gewesen sein. Die detailreiche Ausgestaltung der Funde zeigt uns darüber hinaus übrigens auch, dass das kretische Handwerk von besonders hohem technischen Niveau gewesen ist.

Interessant ist zudem die Frage, warum die Figur eine Schlange in der Hand hält (bzw. zwei Schlangen, da sie vermutlich in der anderen Hand ebenfalls eine Schlange hält) und insofern auch, in welchem Zusammenhang Hauskult und Schlange standen. Eine Vermutung ist, dass die Schlange symbolisch als Wächterin des Hauses fungierte. Die Schlange, seit je her ein angsteinflößendes Tier, könnte dieser Erklärung nach als Abschreckung und Schutz vor Bösem und Fremdem dienen. Kleine Futternäpfchen, die man in Knossos gefunden hat, wurden deshalb dahingehend interpretiert. Eine andere Deutung erkennt in dem weiblichen Idol eine Herrin der Tiere. Wenn man die Schlange mit der Erde und der Unterwelt in Verbindung bringt, wie es einige Forscher für die minoische Religion angenommen haben, so könnte die weibliche Figur als Göttin der Erde angesprochen werden. Weilbliche Idole in Verbindung mit Fischen (besonders Delphinen) oder Vögeln, können den Herrschaftsbereich Meer und Himmel abdecken. Die Fayencefunde, die neben der Schlangengöttin in Knossos entdeckt wurden, können dieser Interpretation zur Folge auch den Herrschaftsbereich der Göttin repräsentieren. Eine weitere These ist es, dass in der Schlange, die sich immer wieder häutet, ein Symbol von Heilung und Wiedergeburt zu erkennen ist.
Die Vielfalt der unterschiedlichen Erklärungsmodelle zeigt, dass eine abschließende Klärung der Frage nach der Bedeutung der Schlange jedoch nicht möglich ist.

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Die Doppelaxt

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Die Doppelaxt

Leitfragen

1) Wie sehen die Doppeläxte aus?

2) Welche Rückschlüsse lassen sich anhand des Aussehens über die Doppelaxt ziehen?

3) Welche Rolle spielte die Doppelaxt in der minoischen Kultur?

Kommentar:

Doppeläxte gehören zu den zentralen Elementen der minoischen Kultur, weil sie sowohl zahlreich in Gräbern, Palästen oder andern Kultstätten gefunden wurden als auch fortwährend auf Pfeilern, Wänden, Goldringen, Siegeln oder Sarkophagen abgebildet ist. Hier zu sehen sind eine Reihe kleiner, metallener Doppeläxte, die Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Höhle bei Arkalochori entdeckt wurden. Charakteristisch für Doppeläxte ist, dass zu beiden Seiten des runden Schaftes zwei gegenüberliegende Klingen abgehen, die stark geschwungen sind. Die Schneiden der Doppeläxte sind hier mit feinen Querornamenten verziert und auf beiden Klingen identisch, jedoch spiegelverkehrt. Der Schaft ist dicker und am unteren Ende befindet sich manchmal eine Öse, sodass die Axt aufgehängt werden kann.

Doppeläxte konnten als Handwerkszeug etwa zum Baumfällen oder zur Bearbeitung des Holzes fungieren. Auch in ihrer Funktion als Waffe ist die Doppelaxt geläufig. Jedoch war sie in diesen Fällen schwer und ihre Schneide kaum gekrümmt. Die hier vorliegenden Doppeläxte können aufgrund ihrer Größe (maximal 70 cm) und ihres Materials (Gold, Silber oder Bronze) nicht als Handwerkszeug in Gebrauch gewesen sein. Bei diesen Doppeläxten muss es sich daher um Nachbildungen handeln. Solche Nachbildungen waren überaus häufig und wurden aus Gold, Blei, Bronze, Silber oder Stein hergestellt. Welche genaue Funktion die Nachbildung einer Doppelaxt besaß, ist nicht mehr nachvollziehbar. Aufgrund ihres Fund- und Darstellungskontextes kann jedoch vermutet werden, dass eine besondere Verbindung zur minoischen Religion bestand.

Schon in frühminoischer Zeit wurden Doppeläxte in ihrer Funktion als kultische Symbole in Gräbern oder an andern kultischen Orten wie Höhlen und Palästen (etwa in großer Zahl im Palast von Knossos) aber auch Häusern, entdeckt. Doch welche genaue Funktion erfüllte die Doppelaxt im Kult? Eine Möglichkeit ist eine rein praktische Funktion: Die Doppelaxt war das Instrument, mit dem Opfertiere getötet wurden. Damit erhielt die Doppelaxt in ihrer Rolle als Gebrauchsgerät eine säkulare Konnotation und wäre selbst Kultgegenstand gewesen. Bestätigt werden könnte diese These durch die vielen Abbildungen von Doppeläxten zwischen den Hörnern von Rinderschädeln. Gleichzeitig konnte die Doppelaxt damit auch zum Symbol des Standes der OpferpristerInnen werden, was für Kultgegenstände nicht unüblich war. Gegen die These der Doppelaxt als Schlachtinstrument spricht allerdings die Beschaffenheit vieler Doppeläxte, die zum Töten von Tieren nicht geeignet schien (Material, Größe, Stärke). Auch die vielen Darstellungen von Doppeläxten, die in keinem Zusammenhang zu einem Opfer stehen, sprechen dagegen. Dass die hier abgebildeten Doppeläxte zum Opfern von Tieren gedacht waren, kann aufgrund ihrer Größe ebenfalls ausgeschlossen werden. Jedoch soll nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass eine Doppelaxt auch diese praktische Funktion gehabt haben kann.
Eine andere Erklärung ist, dass viele Doppeläxte als Votivbeigaben gedient haben. Diese These ergibt sich aus ihrem Fundort in Gräbern und Heiligtümern. So könnte die Doppelaxt als Werkzeug-Votiv von Schmieden oder Zimmermännern dargebracht worden sein, von Priestern als Opferinstrument-Votiv und von Kriegern als Waffen-Votiv. Teilweise wird auch angenommen, dass kleine, goldene Doppeläxte aufgrund ihrer Wertigkeit der Vermehrung des Tempelschatzes gedient haben und insofern als Weihgabe fungierten. Andererseits könnte die Existenz von Doppeläxten in Gräbern und Heiligtümern auch bedeuten, dass ein heiliger Ort markiert werden sollte. So wird die Doppelaxt vielfach als Symbol göttlicher Macht interpretiert, das sogar eine göttliche Gegenwart anzeigen konnte.
Großer Beliebtheit erfreute sich schließlich auch die These, dass die Doppelaxt Zeichen eines minoischen Matriarchates gewesen sei, weil sie auf Darstellungen häufig von vermeintlichen Göttinnen, Frauen oder Kultdienerinnen getragen wurde. Die Doppelaxt avancierte deswegen zu einem Symbol feministischer oder lesbischer Frauenbewegungen. Die Vorstellung eines minoischen Matriarchates, die wesentlich auf Evans Annahme der Existenz einer großen Muttergöttin zurückgeht, sieht die Forschung heute allerdings als pazifistische Utopie an. Und so müssen die tatsächliche Bedeutung und Funktion der Doppelaxt daher, wie Vieles in der minoischen Kultur, im Reich der Spekulationen bleiben.

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Der Tag von Eleusis

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Autor_in: Livius / Polybios
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Original:

Liv. 45.11.5-1

[5] apparebat claustra Aegypti teneri, ut, cum vellet, rursus exercitum induceret; bello intestino cum fratre eum exitum fore, ut victor fessus certamine nequaquam par Antiocho futurus esset. [6] haec prudenter animadversa a maiore cum adsensu minor frater quique cum eo erant acceperunt; soror plurimum adiuvit non consilio modo, sed etiam precibus. [7] itaque consentientibus cunctis pace facta Alexandream recipitur, […] [8] his cum laetari Antiochum conveniens esset, si reducendi eius causa exercitum Aegyptum induxisset, quo specioso titulo ad omnis Asiae et Graeciae civitates legationibus recipiendis litterisque dimittendis usus erat, adeo est offensus ut multo acrius infestiusque adversus duos quam ante adversus unum pararet bellum. [9] cyprum extemplo classem misit; ipse primo vere cum exercitu Aegyptum petens in Coelen Syriam processit. [10] circa Rhinocolura Ptolemaei legatis agentibus gratias, quod per eum regnum patrium recepisset, petentibusque ut suum munus tueretur et diceret potius quid fieri vellet quam hostis ex socio factus vi atque armis ageret, [11] respondit non aliter neque classem revocaturum neque exercitum reducturum, nisi sibi et tota Cypro et Pelusio agroque, qui circa Pelusiacum ostium Nili esset, cederetur, diemque praestituit intra quam de condicionibus peractis responsum acciperet.

Pol. 29.27.1-11

[1] ὅτι τοῦ Ἀντιόχου πρὸς Πτολεμαῖον ἕνεκεν τοῦ Πηλούσιον κατασχεῖν ἀφικομένου, [2] ὁ Ποπίλιος ὁ τῶν Ῥωμαίων στρατηγός, τοῦ βασιλέως πόρρωθεν ἀσπαζομένου διὰ τῆς φωνῆς καὶ τὴν δεξιὰν προτείνοντος, πρόχειρον ἔχων τὸ δελτάριον, ἐν ᾧ τὸ τῆς συγκλήτου δόγμα κατετέτακτο, προύτεινεν αὐτῷ καὶ τοῦτ᾽ ἐκέλευσε πρῶτον ἀναγνῶναι τὸν Ἀντίοχον, [3] ὡς μὲν ἐμοὶ δοκεῖ, μὴ πρότερον ἀξιώσας τὸ τῆς φιλίας σύνθημα ποιεῖν πρὶν ἢ τὴν προαίρεσιν ἐπιγνῶναι τοῦ δεξιουμένου, πότερα φίλιος ἢ πολέμιός ἐστιν. [4] ἐπεὶ δ᾽ ὁ βασιλεὺς ἀναγνοὺς ἔφη βούλεσθαι μεταδοῦναι τοῖς φίλοις ὑπὲρ τῶν προσπεπτωκότων, ἀκούσας ὁ Ποπίλιος ἐποίησε πρᾶγμα βαρὺ μὲν δοκοῦν εἶναι καὶ τελέως ὑπερήφανον: [5] ἔχων γὰρ πρόχειρον ἀμπελίνην βακτηρίαν περιέγραφε τῷ κλήματι τὸν Ἀντίοχον ἐν τούτῳ τε τῷ γύρῳ τὴν ἀπόφασιν ἐκέλευσε δοῦναι περὶ τῶν γεγραμμένων: [6] ὁ δὲ βασιλεὺς ξενισθεὶς τὸ γινόμενον καὶ τὴν ὑπεροχήν, βραχὺν χρόνον ἐναπορήσας ἔφη ποιήσειν πᾶν τὸ παρακαλούμενον ὑπὸ Ῥωμαίων. οἱ δὲ περὶ τὸν Ποπίλιον τότε τὴν δεξιὰν αὐτοῦ λαμβάνοντες ἅμα πάντες ἠσπάζοντο φιλοφρόνως. [7] ἦν δὲ τὰ γεγραμμένα λύειν ἐξ αὐτῆς τὸν πρὸς Πτολεμαῖον πόλεμον. [8] διὸ καὶ δοθεισῶν αὐτῷ τακτῶν ἡμερῶν, οὗτος μὲν ἀπῆγε τὰς δυνάμεις εἰς τὴν Συρίαν, βαρυνόμενος καὶ στένων, εἴκων δὲ τοῖς καιροῖς κατὰ τὸ παρόν: [9] οἱ δὲ περὶ τὸν Ποπίλιον καταστησάμενοι τὰ κατὰ τὴν Ἀλεξάνδρειαν καὶ παρακαλέσαντες τοὺς βασιλεῖς ὁμονοεῖν, ἅμα δὲ προστάξαντες αὐτοῖς Πολυάρατον ἀναπέμπειν εἰς Ῥώμην, ἀνέπλευσαν ἐπὶ τῆς Κύπρου, βουλόμενοι καὶ τὰς ἐκεῖ καθυπαρχούσας δυνάμεις ἐκβαλεῖν ἐκ τῆς νήσου κατὰ σπουδήν. [10] ἀφικόμενοι δὲ καὶ καταλαβόντες ἡττημένους μάχῃ τοὺς τοῦ Πτολεμαίου στρατηγοὺς καὶ καθόλου φερόμενα τὰ κατὰ τὴν Κύπρον ἄνω καὶ κάτω ταχέως ἀνέστησαν τὸ στρατόπεδον ἐκ τῆς χώρας καὶ παρήδρευσαν, ἕως ἀπέπλευσαν αἱ δυνάμεις ἐπὶ Συρίας. [11] καὶ Ῥωμαῖοι μὲν ὅσον οὔπω καταπεπονημένην τὴν Πτολεμαίου βασιλείαν τούτῳ τῷ τρόπῳ διέσωσαν […].

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Übersetzung: Alfred C. Schlesinger / Evelyn S. Shuckburgh
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Übersetzung:

Liv. 45.11.5-1

[5] It was evident that the key to Egypt was in Antiochus‘ hands, so that he could reinvade it when he wished. The upshot of a civil war between the brothers would be that the winner, worn out by the struggle, would be no match for Antiochus. [6] This wise reasoning by the elder brother was gratefully accepted by the younger brother and his associates; the sister gave much assistance not only by her advice, but by her entreaties. [7] Accordingly, peace was made by general agreement […] [8] It would have been in order for Antiochus to rejoice at this conclusion had he led his army into Egypt for the purpose of restoring Ptolemy —the specious plea that he had employed in statements to all the states of Asia and Greece either when he received embassies or sent out messages. But he was so incensed that he prepared for war against the two brothers with much more urgency and bitterness than against the one. [9] He immediately sent a fleet to Cyprus; and in early spring he himself advanced with his army into Hollow Syria on his way to Egypt. [10] Near Rhinocolura envoys from Ptolemy met him, offering thanks for his assistance in recovering Ptolemy’s ancestral throne and requesting that he should not undo his act of kindness and rather say what he wanted done than shift from ally to enemy and act by force of arms. Antiochus replied that he would recall his fleet and lead back his army on no other terms than the cession to him of all Cyprus, Pelusium, and the region which lies around the Pelusian mouth of the Nile. [11] He also named a day before which he must receive the report of the execution of his terms.

 

Pol. 29.27.1-11

When Antiochus had advanced to attack Ptolemy in order to possess himself of Pelusium, he was met by the Roman commander Gaius Popilius Laenas. Upon the king greeting him from some distance, and holding out his right hand to him, Popilius answered by holding out the tablets which contained the decree of the Senate, and bade Antiochus read that first: not thinking it right, I suppose, to give the usual sign of friendship until he knew the mind of the recipient, whether he were to be regarded as a friend or foe. On the king, after reading the despatch, saying that he desired to consult with his friends on the situation, Popilius did a thing which was looked upon as exceedingly overbearing and insolent. Happening to have a vine stick in his hand, he drew a circle round Antiochus with it, and ordered him to give his answer to the letter before he stepped out of that circumference. The king was taken aback by this haughty proceeding. After a brief interval of embarrassed silence, he replied that he would do whatever the Romans demanded. Then Popilius and his colleagues shook him by the hand, and one and all greeted him with warmth. The contents of the despatch was an order to put an end to the war with Ptolemy at once. Accordingly a stated number of days was allowed him, within which he withdrew his army into Syria, in high dudgeon indeed, and groaning in spirit, but yielding to the necessities of the time. Popilius and his colleagues then restored order in Alexandria; and after exhorting the two kings to maintain peaceful relations with each other, and charging them at the same time to send Polyaratus to Rome, they took ship and sailed towards Cyprus, with the intention of promptly ejecting from the island the forces that were also gathered there. When they arrived, they found that Ptolemy’s generals had already sustained a defeat, and that the whole island was in a state of excitement. They promptly caused the invading army to evacuate the country, and remained there to keep watch until the forces had sailed away for Syria. Thus did the Romans save the kingdom of Ptolemy, when it was all but sinking under its disasters.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Niklas Rempe
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Leitfragen:

1) Beschreiben Sie die Begegnung zwischen Gaius Popilius Laenas und Antiochos.

2) Wie ist das Auftreten des Gaius Popilius Laenas gegenüber Antiochos zu bewerten?

3) Beurteilen Sie die Politik Antiochos‘ und die der Römer, wie man sie aus den beiden Quellenpassagen nachvollziehen kann.

Kommentar:

Polybios beschreibt in der Quellenpassage das Treffen des Königs des Seleukidenreichs Antiochos IV. mit dem römischen Gesandten Gaius Popilius Laenas bei Eleusis in Ägypten. Antiochos war zu der Zeit mit seinem Heer auf dem Weg nach Alexandria in Ägypten – der Hauptstadt des Ptolemäerreichs. Antiochos soll dem römischen Gesandten anfangs die Hand zum Gruß ausgestreckt haben. Diese Geste soll allerdings nicht erwidert worden sein und anstatt der Hand soll Antiochos ein Senatsbeschluss überreicht worden sein, der den vollständigen Abzug der seleukidischen Truppen aus Ägypten gefordert haben soll. Davon überrumpelt erbat sich der Seleukidenherrscher nach Polybios eine Besprechung mit seinen Beratern und Freunden (philoi) aus. Nicht nur hätte Popilius diesem Gesuch nicht stattgegeben, sondern er hätte Antiochos darüber hinaus gezwungen, an Ort und Stelle auf den Senatsbeschluss zu reagieren. Im Zuge dessen soll er um Antiochos eine Linie im Sand gezogen haben und ihn nicht eher heraustreten lassen, bevor dieser Popilius eine Antwort auf das Schreiben aus Rom gegeben habe. Antiochos soll keine andere Wahl gehabt haben als nachzugeben und damit dem Abzug seiner Truppen aus dem Ptolemäerreich zuzustimmen.

Gaius Popilius Laenas tritt ungemein schroff und überheblich gegenüber dem König des Seleukidenreichs auf. Allerdings – so wird es jedenfalls bei Polybios deutlich – kann sich der römische Abgesandte dieses Auftreten sehr wohl erlauben. Nicht nur versagt er Antiochos die Beratung mit seinem Stab, sondern zwingt ihn darüber hinaus zu einer sofortigen Entscheidung. Dass Antiochos klein bei gibt, obwohl er im Gegensatz zu dem Römer ein Heer vor Ort hat, ist erstaunlich und zeigt die Machtposition, welche die Römer zu dieser Zeit einzunehmen begannen. Dass Popilius den gedemütigten Herrscher der Seleukiden nach dessen Zusage seine Truppen abzuziehen, dann doch noch die Hand gereicht habe und ihn warmherzig begrüßt haben soll, unterstreicht nur einmal mehr die neuen Kräfteverhältnisse im Mittelmeeraum.

Nicht nur die neue Vormachtstellung Roms zu dieser Zeit kann aus der Quellenpassage herausgelesen werden, sondern in Verbindung mit Livius‘ Darstellung der Politik des Antiochos vor dem Aufeinandertreffen bei Eleusis in Ägypten, auch die politischen Grundsätze und Ziele beider Reiche. Antiochos war wie seine Vorgänger und die anderen Herrscher der hellenistischen Reiche, wie zu Beginn des Zeitalters der Diadochen, weiterhin daran interessiert seinen Einfluss- und Machtbereich zu erweitern. Dafür soll er unter dem Vorwand, Ptolemaios VI. bei seinem Anspruch auf die Herrschaft über das Ptolemäerreich gegen dessen Bruder Ptolemaios V. zu unterstützen, den Sechsten Syrischen Krieg begonnen haben. Als die beiden Brüder sich allerdings einigten, soll Antiochos keineswegs von dem Krieg abgelassen haben und dadurch seine nun offensichtliche Absicht, selber ägyptische Gebiete zu kontrollieren, verraten haben. Die Geschehnisse bei Eleusis in Ägypten zeigen nunmehr, dass Rom derartige Machtveränderungen bzw. Machtzunahmen einzelner Reiche nicht duldete. Kurz zuvor hatten die Römer schon das Ende des makedonischen Reiches in der Schlacht von Pydna besiegelt, um ihre Interessen in Griechenland durchzusetzen. Auch Antiochos‘ Machtstreben konnte so nicht geduldet werden, wollte sich Rom nicht in einigen Jahren mit einem deutlich stärkeren Feind im Osten konfrontiert sehen. Dass die Römer nach Polybios sicherstellten, dass die relativ schwache Regierung der beiden Ptolemaios-Brüder weiterhin Bestand hatte, verstärkt diesen Eindruck. Außerdem zeigt die Demütigung des Antiochos nur allzu deutlich, dass diese römische Politik von Erfolg gekrönt war. Ebenfalls zeigt sie, dass das Ende der Vormachtstellung der einst so mächtigen hellenistischen Reiche gekommen war.

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