Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Agnes von der Decken
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Die Chigi-Kanne
Leitfragen
1) Was ist die „Chigi-Kanne“?
2) Was kann uns die Phalanx-Darstellung auf der Chigi-Kanne sagen?
3) Welche Botschaft transportiert die Phalanx-Darstellung auf der Chigi-Kanne?
Kommentar:
Die sogenannte Chigi-Kanne stammt von einem korinthischen Maler und kann nach stilistischen Gesichtspunkten auf etwa 650 v. Chr. datiert werden. Die Kanne wurde in der etruskischen Stadt Veji gefunden, ein genauerer Fundkontext ist aber nicht bekannt. Die 26,2 cm hohe Weinkanne (Olpe) im protokorinthischen Stil, die heute in der Villa Giulia in Rom ausgestellt ist, ist in drei bebilderte Zonen unterteilt. Der Maler der Chigi-Kanne wollte offenbar eine Geschichte illustrieren. Für eine Gesamtinterpretation der Kanne, die hier nicht geleistet werden kann, müssen alle Darstellungen auf der Kanne, wenn möglich, in Zusammenhang gebracht werden. Die oberste Zone besteht aus einem einzigen, lediglich durch den Henkel unterbrochenen Fries und zeigt zwei gegeneinander anrückende Schlachtreihen. Die mittlere Zone, das Bauchfries, zeigt das Parisurteil, einen Reiterzug mit Wagen, eine Doppelsphinx und eine Löwenjagd. Auf der schmalen untersten Zone ist eine Hasen- und Fuchsjagd abgebildet. Die Kanne könnte im griechischen Symposion Verwendung gefunden haben. Die Bilder sprachen vornehmlich Aristokraten an, da sie die aristokratische Lebensweise und Gedankenwelt widerspiegeln. Dafür spricht auch die sorgfältige Arbeit der Kanne. Die Chigi-Kanne ist eine der am reichsten und feinsten bemalten Exemplare ihrer Art. Besonders ist dabei auch ihr polychromer Charakter: Der Tongrund ist elfenbeinfarben, darüber finden sich die Farben Purpur, Weiß, Gelb, Braun und Glanzton. Besonderes Augenmerk soll hier auf das oben abgebildete Schulterfries der obersten Zone der Kanne geworfen werden, auf welchem zwei Armeen dargestellt sind, die in engen Reihen gegeneinander marschieren. Vom Henkel aus gegen den Uhrzeigersinn betrachtet, sind zwei sich rüstende Kämpfer zu erkennen. Links daneben marschieren sieben Kämpfer mit geschulterten Speeren in dichter Formation. Dahinter ist ein schwarzgekleideter Flötenspieler, ein Aulet, zu erkennen, der die marschierenden Soldaten im Gleichschritt hält. Er wirft seinen Kopf in den Nacken und bläst einen Doppelaulos, eine Oboenart. In der Mitte des Frieses begegnen sich zwei Formationen (etwa vier bis fünf Kämpfer). Die Soldaten in den vordersten Reihen treffen bereits aufeinander und kreuzen ihre Speere. Die Schilde der von links anrückenden Soldaten sind von innen zu sehen, die der Gegner von außen. Diese Schilde sind reich verziert. Hinter der rechten Formation rücken weitere Krieger nach. Die Rüstung der Kämpfer besteht aus Helmen, Panzern und Beinschienen sowie Speeren und Rundschilden. Der Künstler hat also zeitlich verschiedene Vorgänge in einem Bild vereinigt. Wichtig war es ihm dabei wohl, die dichte Formation der Kämpfer darzustellen, da es keine Kampfszene gibt, in welcher diese Formation aufgelöst gewesen wäre.
Die Rüstung der Soldaten und ihre Formation zeigen eindeutig, dass es sich bei den Dargestellten um Hopliten (Schwerbewaffnete) handelt, die in der Phalanx (Schlachtreihe) aneinanderrücken. Neben ihrem besonderen ästhetischen Wert ist die Chigi- Kanne vor allem wegen dieser Phalanx-Darstellung von großer Bedeutung, denn hier ist die älteste bekannte Darstellung einer Hoplitenphalanx zu sehen. Die Chigi-Kanne ist damit eines der wichtigsten nichtschriftlichen Quellenzeugnisse im Zusammenhang mit der Erforschung der Hoplitenphalanx. Die Hoplitenphalanx war zwar schon in Ansätzen bei Homer bekannt, wurde jedoch erst später (besonders in Sparta) taktisch verbessert. Der Erfolg der Phalanx lag dabei im Zusammenhalt der Schlachtenreihen während des Aufmarsches und im Kampf, wobei die Feinde durch die Wucht des Zusammenpralles zurückgedrängt und in die Flucht geschlagen werden sollten. Wahrscheinlich greifen wir bei der Darstellung auf der Vase noch eine Frühform der Phalanx, bei welcher die Kriegsreihen noch nicht so eng geschlossen sind, wie es später der Fall war. Dies könnte jedoch auch auf den Versuch des Künstlers zurückgehen, die Reihen der Phalanx und die Verzierung der Schilde bildlich darzustellen. Interessant sind darüber hinaus eben jene verzierten Schilde der Kämpfer. Hierbei kann es sich um Embleme zur Identifizierung und Hervorhebung der durch die Rüstung anonymisierten Träger handeln. Dies könnte aufzeigen, dass in dem hier repräsentierten Frühstadium der Phalanx vorrangig Aristokraten kämpften. Auch wenn die Vasendarstellung der Hoplitenphalanx also vermutlich nicht identisch ist mit späteren antiken literarischen Beschreibungen einer Phalanx, werden die wesentlichen Elemente der Phalanx von dem Vasenmaler aufgegriffen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Phalanx zum Zeitpunkt der Herstellung der Vase, also spätestens 650 v. Chr., in Griechenland schon eingeführt war und die Betrachter der Vase insofern die Darstellung verstehen konnten.
Die Chigi-Kanne gibt dem modernen Betrachter damit einen Einblick in die antike griechische Militärorganisation zur Zeit der Herstellung der Vase. Vielleicht hatte der Vasenmaler einen bestimmten, eben geführten Krieg vor Augen, schließlich lassen sich zwei gegnerischen Parteien der Schlachtenreihen erkennen. Jedoch ist völlig unklar, wer hier abgebildet ist. Auch zusätzliche Informationen, wie sie durch die Darstellung von Landschaften gegeben werden könnten, fehlen auf der Kanne. Wir können heute also (und wahrscheinlich konnte man es ebenso wenig in der Antike) auf Grundlage der Darstellung auf der Vase nicht mehr sagen, als dass hier Hopliten gegen Hopliten kämpfen. Dies ist typisch für die Darstellung von Schlachtenreihen auf Vasen. Selten sind diese individuell oder geben Auskunft über eine bestimmte historische Szene. Insofern ist die Chigi-Kanne ein Beispiel für die Darstellung eines im Wesentlichen sich wiederholenden Geschehens. Die Botschaft der Darstellung auf der Chigi-Kanne liegt daher vermutlich vielmehr im Aufzeigen der Prinzipien einer guten Phalanx: Eine dichte Formation, Gleichschritt und Gleichklang (wie der Flötenbläser zeigt), Zusammenhalt im Kampf und Disziplin.