Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Plutarch
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Plut. Sol. 18,5 -Original
ἔτι μέντοι μᾶλλον οἰόμενος δεῖν ἐπαρκεῖν τῇ τῶν πολλῶν ἀσθενείᾳ, παντὶ λαβεῖν δίκην ὑπὲρ τοῦ κακῶς πεπονθότος ἔδωκε. Καὶ γὰρ πληγέντος ἑτέρου καὶ βιασθέντος ἢ βλαβέντος ἐξῆν τῷ δυναμένῳ καὶ βουλομένῳ γράφεσθαι τὸν ἀδικοῦντα καὶ διώκειν,ὀρθῶς ἐθίζοντος τοῦ νομοθέτου τοὺς πολίτας ὥσπερ ἑνὸς μέρη σώματος συναισθάνεσθαι καὶ συναλγεῖν ἀλλήλοις. Τούτῳ δὲ τῷ νόμῳ συμφωνοῦντα λόγον αὐτοῦ διαμνημονεύουσιν. Ἐρωτηθεὶς γάρ, ὡς ἔοικεν, ἥτις οἰκεῖται κάλλιστα τῶν πόλεων, ‘ἐκείνη,’ εἶπεν ‘ἐν ᾗ τῶν ἀδικουμένων οὐχ ἧττον οἱ μὴ ἀδικούμενοι προβάλλονται καὶ κολάζουσι τοὺς ἀδικοῦντας.’
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Übersetzung: Bernadotte Perrin
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Text Übersetzung
Moreover, thinking it his duty to make still further provision for the weakness of the multitude, he gave every citizen the privilege of entering suit in behalf of one who had suffered wrong. If a man was assaulted, and suffered violence or injury, it was the privilege of any one who had the ability and the inclination, to indict the wrong-doer and prosecute him. The law-giver in this way rightly accustomed the citizens, as members of one body, to feel and sympathize with one another’s wrongs. And we are told of a saying of his which is consonant with this law. Being asked, namely, what city was best to live in, ‘That city’ he replied, ‘in which those who are not wronged, no less than those who are wronged, exert themselves to punish the wrongdoers.’
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Tobias Nowitzki
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Plut. Sol. 18,5
Leitfragen:
1) Welche Neuerung wird Solon hier von Plutarch zugeschrieben?
2) Welche Folgen hat die sogenannte Popularklage möglicherweise für das Rechtssystem?
3) Inwiefern unterscheidet sich das hier beschriebene System Athens von dem moderner Staaten wie beispielsweise den Mitgliedern der EU?
Kommentar:
Von Solon (geb. ca. 640 v. Chr.), Athens sicher berühmtestem Gesetzesgeber, ist eine Reihe von sogenannten Fragmenten seines Gesetzeswerkes erhalten: wörtliche Zitate oder Paraphrasen seiner Gesetze durch spätere Autoren, wie in diesem Fall Plutarch (45-125 n. Chr.). Fragmente sind aufgrund ihres fehlenden Kontextes und der oft unklaren Überlieferungsgeschichte stets schwierig zu interpretieren. In diesem Fall liegen zwischen Solon und dem Zitat durch Plutarch etwa 700 Jahre. Dennoch wissen wir, dass es die Popularklage in dieser Form gab, denn sie ist auch in anderen Quellen belegt.
Was ist nun die Popularklage? Im Text findet sie sich in den griechischen Worten τῷ δυναμένῳ καὶ βουλομένῳ (jedem, der die Fähigkeit und den Willen hat). Es kann also jeder Bürger Athens, das bedeutet jeder männliche, freie Einwohner mit Bürgerrecht, einen anderen bei bestimmten Vergehen anklagen. Aus heutigem Blickwinkel betrachtet, mutet dies seltsam an, denn die meisten modernen Staaten haben im Bereich des Strafrechts für diese Zwecke Staatsanwälte. In Athen gab es jedoch keinen Staatsbediensteten, der als eine Art Staatsanwalt fungiert hätte.
Plutarch liefert die Begründung für Solons Schritt sogleich mit: Um die Schwächeren der Gesellschaft zu schützen, habe man dieses Recht eingeführt, damit auch deren Recht durchgesetzt werde, wenn sie es vielleicht selbst nicht konnten. Dies war zwar ein wichtiger Schritt Solons, um den sozialen Frieden in Athen wiederherzustellen (siehe hierzu den Podcast zur Krise der Polis –> Link), doch brachte die Popularklage auch mehrere Probleme mit sich.
Zum einen konnte so jeder einen Feind bestimmter Vergehen anklagen, wenn er sich traute und sich gute Erfolgschancen ausrechnete. Dies trug nicht unwesentlich zur in der Antike fast schon sprichwörtlichen Prozesssucht der Athener bei, gegen welche die Athener auch mit harten Gesetzen vorzugehen versuchten. Zum anderen konnte auch die Popularklage die Hemmschwelle, besonders mächtige Bürger anzuklagen, nicht senken. Als Alkibiades, bekannt für seine Rücksichtslosigkeit, seine Frau, die die Scheidung einreichen wollte, an den Haaren über die Agora zurück ins Haus zog, klagte ihn niemand an (wenige Tage später war sie tot!). Und schließlich hing mit der Popularklage alles von den rhetorischen Fähigkeiten des Klägers ab, welche die unteren Schichten zumeist nicht besaßen. Vor Gericht konnte aber nur bestehen, wer hoffen konnte, die Richter mit geschickter Beweisführung und Rhetorik zu überzeugen.
Zum athenischen Rechtssystem siehe auch die Losmaschine von der Agora und die Lysiasrede. Zur athenischen Verfassung auch den Bericht zu den kleisthenischen Reformen.