Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Werner Rieß
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Römische Geschichte I: Die Republik
02 – Das Zeitalter der Ständekämpfe
Nach der Beseitigung der Königsherrschaft standen sich zwei große soziale Gruppen antagonistisch gegenüber: Die reichen Patrizier, die bereits begannen, sich zu einer Art Kaste abzuschließen und die Plebejer, die in ökonomischer, sozialer und politischer Hinsicht von den Patriziern abhängig waren. Dabei waren die Plebejer durchaus eine sehr heterogene Gruppe. Die Armen unter ihnen forderten einen weitgehenden Schuldenerlass, insbesondere die Abschaffung der Schuldknechtschaft, zudem eine Neuverteilung des Landes und mehr Rechtssicherheit, weil die Patrizier offenbar die mündlich tradierten Gesetze in ihrer Funktion als Richter zu ihren Gunsten auslegten. Die reicheren Plebejer hatten andere Ziele: Durch die Einführung der Kampfweise der Phalanx hatten sie als schwerbewaffnete Fußsoldaten nun die Hauptlast im Krieg zu tragen. Dies stärkte ihr Selbstbewusstsein und sie strebten nach mehr politischer Partizipation, um beispielsweise über Krieg und Frieden mitentscheiden zu können. Als die Notlage durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren immer unerträglicher wurde, solidarisierten sich die verschiedenen Interessensgruppen der Plebejer zu Beginn des fünften Jahrhunderts und konnten sich auf ein konzertiertes Vorgehen gegen die Patrizier verständigen. Durch Machteinbußen in Latium nach dem Rückzug der Etrusker muss die Verschuldung zugenommen haben. Das demographische Wachstum führte dazu, dass es immer mehr grundbesitzlose Menschen gab. Die Erbteilung tat ein Übriges, um die Lebensgrundlage vieler Menschen weiter zu unterminieren. Die wirtschaftliche Ausbeutung durch die Patrizier, die als Kreditgeber auftragen, ist ein wichtiger Faktor, ebenso wie ihre ungerechte Rechtsprechung. Wenn Bauern nach Missernten geliehenes Kapital nicht mehr zurückzahlen konnten und immer weiter in den Strudel der Verschuldung hineingezogen wurden, drohte die Schuldknechtschaft, also die Versklavung des bankrotten Schuldners, eine Entwicklung, die wir in ganz ähnlicher Weise im Griechenland der archaischen Zeit kennengelernt hatten. Die Plebejer waren jedoch keine Revolutionäre; in ihrer Mehrheit waren sie für Reformen, nicht für einen grundlegenden Umsturz. Doch die Patrizier zeigten sich nicht kompromissbereit. Der Kampf begann, als günstige Faktoren zusammenkamen: Nach der Vertreibung des letzten etruskischen Königs hatte Rom auch die etruskische Schirmherrschaft verloren und war auswärtigen Feinden ausgesetzt, denen man nun selbst Herr werden musste, wie etwa den Einwohnern von Veji oder den Volskern und Äquern. Die Plebejer wussten sehr wohl, dass die Patrizier in diesen Abwehrkämpfen auf sie angewiesen waren, sie bildeten ja schließlich das Rückgrat der Infanterie. Eine Art Generalstreik, der legendäre Auszug der Plebs aus der Stadt Rom auf den nahe gelegenen Hügel Aventin 494 v. Chr., bildete als secessio plebis das Fanal für den Beginn der Ständekämpfe.
Bevor ich versuchen werde, den Verlauf der Ständekämpfe in Grundzügen nachzuzeichnen, möchte ich kurz auf ihre Bedeutung für die römische Republik eingehen und auf eine mögliche Gliederung dieser langen Epoche in verschiedene Phasen. Das politische Produkt der Ständekämpfe sozusagen war die ungeschriebene Verfassung der römischen Republik, die um ca. 300 v. Chr. voll ausgebildet war. Sie sollte sich in den Samnitenkriegen und in den Punischen Kriegen bestens bewähren. Unter Erweiterungen und Modifizierungen sollte sie bis zu Caesars Diktatur im Wesentlichen in Kraft bleiben.
Sozialpolitisch ist die Genese der Nobilität von Bedeutung, einer neuen Elite innerhalb des Senats, die aus den Patriziern und den führenden Kreisen der Plebejer zusammenwuchs. Diese Herrschaftselite ist von Matthias Gelzer eindringlich beschrieben worden. Sie bestimmte die Geschicke der Republik ganz wesentlich.
Grob einteilen lässt sich diese Epoche in zwei distinkte Phasen. Eine erste Phase bildet das fünfte und das erste Drittel des vierten Jahrhunderts, wo sich scharfe Fronten herausbildeten und sich ein Zweiständestaat ausbildete. In der zweiten Phase, den 60ern des vierten Jahrhunderts und dem Anfang des dritten Jahrhunderts, kam es zu einem Ausgleich der Führungsgruppen der Plebejer und der Patrizier, die neue Elite der Nobilität entstand. In diesem komplexen Prozess löste sich das archaische Sozialgefüge auf; es kam zu einer Differenzierung, ein neues Gesellschaftsgefüge entstand. Das Volk war nicht mehr unmündig, die formalen Standesgrenzen waren aufgehoben, ohne aber einer egalitären Gesellschaft den Weg zu ebnen.
Gründe für den Erfolg der Plebejer waren ihr entschlossenes, gemeinsames Handeln sowie die Kompromissbereitschaft des Adels unter außenpolitischem Druck. Ein Wort zur Außenpolitik an dieser Stelle: Sozialer Wandel ist hier untrennbar mit einer offensiven Außenpolitik verbunden. Offenbar lag es im Interesse aller, soziale und innenpolitische Probleme durch Expansion, also auf Kosten Dritter, zu bewältigen, was die Probleme jedoch nicht löste, sondern nur verschob. Der Begriff des Sozialimperialismus, der für das 19. Jh. entwickelt wurde, ist hier durchaus anwendbar. Die gentilizischen Bindungen sind nun nicht mehr das entscheidende Gliederungsprinzip der Gesellschaft, die Unterscheidung Patrizier – Plebejer nicht mehr die Grundlage der Sozialordnung.
Das dichotomische Zwei Stände-System wurde von einem neuen, differenzierteren sozialen Modell abgelöst. Und dieses Sozialmodell wurde durch die Expansion auf Millionen von Menschen in Italien und schließlich im ganzen Römischen Reich übertragen. Die höchst heterogenen Gruppen wurden in einer aristokratischen Sozialordnung mit begrenzten Aufstiegsmöglichkeiten zusammengehalten. Es kam dabei nicht zu einer Demokratisierung, weil 1. das Klientelwesen intakt blieb und
2. die reichen Plebejer nie die Adelsherrschaft abschaffen wollten, sondern eben nach einer Beteiligung strebten. Die neuen Gegensätze, die sich nun herausbildeten, sollten die Geschichte der Republik entscheidend prägen, die Dichotomie zwischen einer dünnen herrschenden Schicht und immer neuen proletarischen Gruppen, die Dichotomie zwischen Römern und unterdrückten Verbündeten und die Dichotomie zwischen Herren und immer mehr Sklaven, eine Spannung, die sich schließlich in den Sklavenaufständen der Späten Republik entlud.
Nun aber zu den wichtigsten Ereignissen in aller Kürze. In der ersten secessio plebis, legendäres Datum ist 494, richteten die Plebejer eine eigene Versammlung ein, das concilium plebis, dessen Beschlüsse mit der Zeit Gesetzescharakter annehmen sollten. Außerdem wählte die plebs nun zwei Volkstribunen und zwei plebejische Ädilen, Magistrate, die ihre Interessen vertreten sollten. Insbesondere die Volkstribunen sind von besonderer Bedeutung. Sie werden vom Volk für unantastbar, für sakrosankt erklärt, um sie vor Übergriffen der Patrizier zu schützen. Sie werden außerdem mit dem ius intercessionis und dem ius auxilii ausgestattet, also mit dem Recht, einzuschreiten, wenn ein Plebejer Repressalien von Seiten der Patrizier ausgesetzt war, und ihm Hilfe zu bringen. Ebenso bekamen die Volkstribunen das Vetorecht, also das Recht, Beschlüsse des Senats blockieren zu können. Allerdings wird es gedauert haben, bis die Patrizier diese Kompetenzen der neuen Magistrate überhaupt anerkannten.
Weitere Meilensteine auf dem Weg der Emanzipation der Plebejer sind das Zwölftafelgesetz von vielleicht 450 v. Chr. (die Datierungen gehen hier weit auseinander) und die lex Canuleia von 445 v. Chr., die das conubium, also das Recht zur Eheschließung zwischen Patriziern und Plebejern festschrieb. In der Zwölftafelgesetzgebung wurden das geltende Privat-, Straf- und Sakralrecht aufgezeichnet.
Diese Gesetze zeugen von einer einfachen agrarischen Gesellschaft. Inwiefern unteritalische Griechen bei dieser Niederschrift der Gesetze Hilfe leisteten, lässt sich nicht sagen. Das Zwölftafelrecht unterscheidet zwischen Besitzenden und Proletariern, d.h. das Vermögen wurde als Kriterium der sozialen Schichtung berücksichtigt. Die Plebejer werden hier nicht aufgewertet, erlangen aber zumindest durch die Verschriftlichung mehr Rechtssicherheit. Das Nachbarrecht sowie das Schuldrecht werden geregelt, die Testierfreiheit festgeschrieben. Der nächtliche Erntediebstahl, Brandstiftung, Mord und falsches Zeugnis ablegen, sind Kapitalverbrechen. Der Patron, der seine Pflichten gegenüber den Klienten vernachlässigt, wird geächtet. Bei Leichenbegängnissen gibt es Aufwandsbeschränkungen. Jeder Bürger hat Anrecht auf einen Verteidiger. Prinzipien, die wir noch heute kennen, werden hier erstmals formuliert: nulla poena sine lege oder auch nulla quaestio sine auctore.
445 ermöglicht die lex Canuleia das conubium, also die Eheschließung zwischen Patriziern und Plebejern. Eine wichtige privatrechtliche Schranke war damit beseitigt. Die reichen Plebejer konnten nun endlich in Patrizierfamilien einheiraten. Das Resultat war das Verschmelzen der Patrizier mit den führenden plebejischen Familien und damit die Herausbildung der Nobilität. 409 ist übrigens der erste Plebejer in der Quästur bezeugt, bezeichnenderweise im niedrigsten senatorischen Amt.
Um etwa 400 beschleunigen sich die Dinge, der Ständekampf gewinnt an Schärfe. Das weitere Bevölkerungswachstum sowie der Keltensturm bringen das römische Sozialgefüge massiv in Bedrängnis. Die Oberschicht der Plebejer will nun, nachdem sie schon durch conubium mit den Patriziern verbunden war, endlich eine Beteiligung an der Staatsleitung. Die Niederlage der Römer gegen die Gallier in der Schlacht an der Allia 387 v. Chr. hatte die ganze Schwäche des patrizischen Staates allen deutlich vor Augen geführt.
Die Masse will eine Begrenzung der Okkupationsrechte der Patrizier, die Unterschicht plädiert nach wie vor für einen Schuldenerlass. Schließlich vermitteln Caius Licinius Stolo und Lucius Sextius Lateranus einen Kompromiss, die sogenannten leges Liciniae Sextiae von 367 v. Chr. Sie begründen in den Worten Bleickens die Konsulatsverfassung. Statt sechs Konsulartribunen stehen nun zwei Konsuln an der Spitze des Staates, von denen einer ein Plebejer sein muss. Die Plebejer können sich nun auch um die Diktatur und Zensur bewerben, d.h. sie haben nun den Aufstieg in die höchsten Staatsämter geschafft. Die comitia centuriata, also die Heeresversammlung, wählt nun die Konsuln, Prätoren und Zensoren, ebenso die sechs Militärtribunen. Die Zenturiatskomitien entscheiden auch über Krieg und Frieden. Die Okkupationsgrenze wird auf 500 iugera, etwa 125 ha festgesetzt, eine Bestimmung, die allerdings nicht in die Tat umgesetzt wurde. Zu einem Schuldenerlass kommt es noch nicht, nur die Zinsen werden erlassen, d.h. es handelt sich bei den Licinisch-Sextischen Gesetzen zwar um einen politischen, aber noch nicht um einen ökonomisch-sozialen Neubeginn. Der cursus honorum, die Ämterlaufbahn der Republik, steht nun fest, die Plebejer haben Zugang zu allen Ämtern. Und bis 337 dringen sie tatsächlich in alle Ämter vor. Mit Abschluss der Samnitenkriege hatte sich nicht nur diese Verfassung voll ausgebildet, sondern sich auch die Nobilität als Amtsadel und neue Oberschicht fest etabliert.
Weitere Gesetze folgen: Die lex Publilia von 339 zeigt, dass sich die Patrizier das Heft nicht ganz aus der Hand nehmen lassen: Gesetze benötigen auch die Zustimmung des Senats, die patrum auctoritas. Allerdings müssen sie Bedenken gegen Gesetzesvorhaben schon vor der Abstimmung äußern. Die lex Poetelia Papiria von 326 dehnt die Wehrpflicht auch auf die ganz Mittellosen aus; diese Plebejer werden nun auch in die comitia centuriata aufgenommen, das ist ein Schritt zur vollen Integration der plebs in die res publica. Nun wird die Schuldknechtschaft endlich abgeschafft. Livius spricht von einem Neubeginn der Freiheit. In der Praxis zeigte diese Maßnahme keine große Wirkung mehr, vielleicht war es nur noch selten zur Versklavung von Schuldnern gekommen. Allmählich stellten die Großgrundbesitzer ohnehin auf die Sklavenwirtschaft um. Die lex Ovinia von 312 schreibt den Zensoren nun explizit die Formierung des Senats aus den Besten beider Stände vor. Den plebejischen Senatoren, den conscripti (den Dazugeschriebenen), wird nun das Stimmrecht eingeräumt, patrizische und plebejische Senatoren sind damit gleichgestellt. Das ius Flavianum von 304 schreibt die einheitliche Behandlung eines jeden Bürgers vor Gericht vor. Die lex Ogulnia von 300 öffnet nun auch die höchsten Priesterkollegien der pontifices und der augures den Plebejern.
Nach Erreichen der vollen politischen Partizipation verlagern sich die Ständekämpfe auf die wirtschaftliche und die soziale Seite. Das Problem der Verschuldung wurde immer drängender. Der juristische Bereich ist zuerst Gegenstand von Neuregelungen: Die lex Valeria de provocatione von 300 v. Chr. stuft das Vorgehen eines Magistrates gegen Leib und Leben eines Bürgers ohne Gerichtsverfahren, also die Verhängung der Kapitalstrafe ohne ordentliches Gerichtsverfahren, als Unrecht ein. Jeder Bürger hat nun das Recht, an die Zenturiatskomitien zu appellieren (provocatio ad populum). Nicht mehr die obersten Magistrate sind für eine Anklage zuständig, sondern Tribunen und Ädile klagen nun vor der Volksversammlung an.
Die Ständekämpfe werden 287 v. Chr. durch die lex Hortensia abgeschlossen, eine „Generalbereinigung“, wie Alfred Heuss sie nennt. Die Beschlüsse des concilium plebis erhalten nun volle Gesetzeskraft, wie die Beschlüsse der Kuriats- oder Zenturiatskomitien. Damit wird das concilium plebis enorm aufgewertet und zu einer regulären Volksversammlung. Die Volkstribunen erhalten Zutritt zum Senat, werden also ein reguläres Amt, Teil der Ämterlaufbahn und damit voll anerkannt. In der Regel bekleiden auch später noch nur plebejische Familien der Senatsaristokratie das Amt des Volkstribunats. Nun kommt es endlich zu der seit langem geforderten Schuldentilgung. Die Tribuseinteilung übernehmen die Zensoren.
Damit sind mit der lex Hortensia die beinahe 200 Jahre währenden Ständekämpfe abgeschlossen, und das römische Gemeinwesen auf eine solide Grundlage gestellt, die es den Römern erlauben sollte, auch in der Zukunft allen Herausforderungen gewachsen zu sein.