Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Plutarch
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Plut. Them. 22,4 – Original:
ἤδη δὲ καὶ τῶν πολιτῶν διὰ τὸ φθονεῖν ἡδέως τὰς διαβολὰς προσιεμένων ἠναγκάζετο λυπηρὸς εἶναι τῶν αὑτοῦ πράξεων πολλάκις ἐν τῷ δήμῳ μνημονεύων: καὶ πρὸς τοὺς δυσχεραίνοντας ‘τί κοπιᾶτε,’ εἶπεν, ‘ὑπὸ τῶν αὐτῶν πολλάκις εὖ πάσχοντες;’ ἠνίασε δὲτοὺς πολλοὺς καὶ τὸ τῆς Ἀρτέμιδος ἱερὸν εἱσάμενος, ἣν Ἀριστοβούλην μὲν προσηγόρευσεν, ὡς ἄριστα τῇ πόλει καὶ τοῖς Ἕλλησι βουλευσάμενος, [2] πλησίον δὲ τῆς οἰκίας κατεσκεύασεν ἐν Μελίτῃ τὸ ἱερὸν, οὗ νῦν τὰ σώματα τῶν θανατουμένων οἱ δήμιοι προβάλλουσι καὶ τὰ ἱμάτια καὶ τοὺς βρόχους τῶν ἀπαγχομένων καὶ καθαιρεθέντων ἐκφέρουσιν. Ἔκειτο δὲ καὶ τοῦ Θεμιστοκλέους εἰκόνιον ἐν τῷ ναῷ τῆς Ἀριστοβούλης ἔτι καθ᾽ ἡμᾶς: καὶ φαίνεταί τις οὐ τὴν ψυχὴν μόνον, ἀλλὰ καὶ τὴν ὄψιν ἡρωϊκὸς γενόμενος. [3] τὸν μὲν οὖν ἐξοστρακισμὸν ἐποιήσαντο κατ᾽ αὐτοῦ κολούοντες τὸ ἀξίωμα καὶ τὴν ὑπεροχήν, ὥσπερ εἰώθεσαν ἐπὶ πάντων, οὓς ᾤοντο τῇ δυνάμει βαρεῖς καὶ πρὸς ἰσότητα δημοκρατικὴν ἀσυμμέτρους εἶναι. Κόλασις γὰρ οὐκ ἦν ὁ ἐξοστρακισμός, ἀλλὰ παραμυθία φθόνου καὶ κουφισμὸς ἡδομένου τῷ ταπεινοῦν τοὺς ὑπερέχοντας καὶ τὴν δυσμένειαν εἰς ταύτην τὴν ἀτιμίαν ἀποπνέοντος.
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: Bernadotte Perrin
Lizenz: CC-BY-NC-SA
Übersetzung
And at last, when even his fellow-citizens were led by their jealousy of his greatness to welcome such slanders against him, he was forced to allude to his own achievements when he addressed the Assembly, till he became tiresome thereby, and he once said to the malcontents: ‘Why are ye vexed that the same men should often benefit you?’ He offended the multitude also by building the temple of Artemis, whom he surnamed Aristoboule, or Best Counsellor, intimating thus that it was he who had given the best counsel to the city and to the Hellenes. [2] This temple he established near his house in Melite, where now the public officers cast out the bodies of those who have been put to death, and carry forth the garments and the nooses of those who have dispatched themselves by hanging. A portrait-statue of Themistocles stood in this temple of Aristoboule down to my time, from which he appears to have been a man not only of heroic spirit, but also of heroic presence. [3] Well then, they visited him with ostracism, curtailing his dignity and pre-eminence, as they were wont to do in the case of all whom they thought to have oppressive power, and to be incommensurate with true democratic equality. For ostracism was not a penalty, but a way of pacifying and alleviating that jealousy which delights to humble the eminent, breathing out its malice into this disfranchisement.
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Tobias Nowitzki
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Plut. Them. 22,4
Leitfragen:
1) Was sind die Gründe für die Ostrakisierung des Themistokles?
2) Was lässt sich über die Haltung der Athener zu ihren führenden Männern sagen, wenn man Themistokles‘ Leistungen mit einbezieht?
3) Welche Folgen hat diese Haltung für Athen?
Kommentar:
Plutarch gibt uns hier Auskunft über einen Vorfall, der zur Abfassungszeit seines Werkes schon etwa 600 Jahre vergangen war – allerdings sind wir auch durch andere Quellen darüber informiert, dass sich diese Ereignisse zugetragen haben. Da Plutarch seine Vergleichsbiographien berühmter griechischer und römischer Persönlichkeiten (in diesem Fall des Themistokles) auch zu erzieherischen Zwecken schrieb, müssen wir bei dieser Quelle besonders auf die Wertungen achten, die der Autor hat einfließen lassen.
Aber zuerst ein Blick auf die Fakten, die Plutarch uns berichtet. Themistokles, der berühmte Stratege aus der Zeit der Perserkriege, hatte mit seiner Flottenstrategie 480 v. Chr. maßgeblich dazu beigetragen, Athen vor der persischen Armee zu retten (Schlacht von Salamis 480 v. Chr.). Sein Fokus auf die Flotte als Macht und „hölzerne Mauern“ von Athen legte gleichzeitig einen der Grundsteine für Athens Großmachtstellung im späteren fünften Jahrhundert. Ungefähr zehn Jahre später, das genaue Jahr ist nicht gesichert, wurde er mittels eines Ostrakismos aus Athen verbannt. Ein Ostrakismos oder Scherbengericht (ostrakon=Tonscherbe), war eine Besonderheit Athens. Die Volksversammlung konnte beschließen, einmal im Jahr eine solche Abstimmung abzuhalten. Bei der Abstimmung schrieb jeder Bürger einen Namen auf eine Tonscherbe, den Namen eines Mannes, den er verbannt sehen wollte. Wer am Ende der Zählung die meisten Nennungen hatte, musste die Stadt für zehn Jahre verlassen. Da theoretisch jeder Bürger benannt werden konnte, war es schwer vorherzusehen, wen ein Ostrakismos treffen würde; als politisches Mittel für die führenden Männer war er daher immer gefährlich. So traf es um 415 Hyperbolos, der den Ostrakismos eigentlich einberufen hatte, um einen seiner Widersacher loszuwerden.
Gemessen an der damaligen Lebenserwartung war eine Verbannung auf zehn Jahre eine harte Strafe. Ursprünglich gedacht war sie wohl dazu, die Politiker loszuwerden, die Ambitionen zeigten, die für die Demokratie gefährlich werden konnten. Doch nicht immer traf es Oligarchen oder potentielle Tyrannen – bei Themistokles sind sich die Forscher bis heute nicht über die Gründe seiner Verbannung einig geworden. Plutarch liefert uns jedoch einen anderen Grund: Neid und Missgunst. Wer den Unwillen der Masse auf sich geladen hatte, wie im Fall des Themistokles durch zu offene Zurschaustellung der eigenen Stellung und des Reichtums, der musste damit rechnen, verbannt zu werden. Es war dabei nicht nur so, dass es auch diejenigen treffen konnte, die der Gemeinschaft gute Dienste geleistet hatten, diese Personen traf es sogar besonders häufig. Denn die Athener misstrauten erfolgreichen Generälen und Admirälen sehr, schließlich wurden sie durch ihren Ruhm zu sehr aus der Masse herausgehoben, was für die Demokratie gefährlich werden konnte. So sieht Plutarch den Ostrakismos auch: nicht als Strafe, sondern als Ventil für soziale Spannungen.
Es stellt sich jedoch die Frage, weshalb sich überhaupt noch Athener bereitfanden, Ämter und Verantwortung zu übernehmen. Machte man seine Sache schlecht, dann konnte einen der Zorn des Volkes treffen, selbst wenn es unverschuldet passiert war, wie im Fall der Admiräle, die nach dem Sieg bei den Arginusen hingerichtet wurden, weil sie in einem Sturm Seeleute nicht hatten retten können. Zu gut durfte man seine Sache aber ebenfalls nicht machen. Themistokles rettete die Stadt vor dem Untergang und nicht einmal zehn Jahre später war er im Exil.
Ironischerweise fand Themistokles gerade bei Athens Feinden Zuflucht: den Persern, die er zuvor besiegt hatte. In deren Diensten starb er schließlich auch. Das gespaltene Verhältnis der Athener zu ihren eigenen Anführern ist ein besonders intensiv erforschtes und diskutiertes Thema.
Zur Problematik der Unberechenbarkeit von Entscheidungen des Volkes siehe auch das mytilenische Psephisma. Zu den Leistungen des Themistokles siehe auch das Themistoklesdekret.