Der Machtkampf zwischen Kleisthenes und Isagoras

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Herodot
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Hdt. 5. 66 – 72.2 – Original:

Ἀθῆναι, ἐοῦσαι καὶ πρὶν μεγάλαι, τότε ἀπαλλαχθεῖσαι τυράννων ἐγίνοντο μέζονες: ἐν δὲ αὐτῇσι δύο ἄνδρες ἐδυνάστευον, Κλεισθένης τε ἀνὴρ Ἀλκμεωνίδης, ὅς περ δὴ λόγον ἔχει τὴν Πυθίην ἀναπεῖσαι, καὶ Ἰσαγόρης Τισάνδρου οἰκίης μὲν ἐὼν δοκίμου, ἀτὰρ τὰ ἀνέκαθεν οὐκ ἔχω φράσαι: θύουσι δὲ οἱ συγγενέες αὐτοῦ Διὶ Καρίῳ. [2] οὗτοι οἱ ἄνδρες ἐστασίασαν περὶ δυνάμιος, ἑσσούμενος δὲ ὁ Κλεισθένης τὸν δῆμον προσεταιρίζεται. μετὰ δὲ τετραφύλους ἐόντας Ἀθηναίους δεκαφύλους ἐποίησε, τῶν Ἴωνος παίδων Γελέοντος καὶ Αἰγικόρεος καὶ Ἀργάδεω καὶ Ὅπλητος ἀπαλλάξας τὰς ἐπωνυμίας, ἐξευρὼν δὲ ἑτέρων ἡρώων ἐπωνυμίας ἐπιχωρίων, πάρεξ Αἴαντος: τοῦτον δὲ ἅτε ἀστυγείτονα καὶ σύμμαχον, ξεῖνον ἐόντα προσέθετο.

[…]

ὡς γὰρ δὴ τὸν Ἀθηναίων δῆμον πρότερον ἀπωσμένον τότε πάντων πρὸς τὴν ἑωυτοῦ μοῖραν προσεθήκατο, τὰς φυλὰς μετωνόμασε καὶ ἐποίησε πλεῦνας ἐξ ἐλασσόνων: δέκα τε δὴ φυλάρχους ἀντὶ τεσσέρων ἐποίησε, δέκαχα1δὲ καὶ τοὺς δήμους κατένειμε ἐς τὰς φυλάς: ἦν τε τὸν δῆμον προσθέμενος πολλῷ κατύπερθε τῶν ἀντιστασιωτέων.
ἐν τῷ μέρεϊ δὲ ἑσσούμενος ὁ Ἰσαγόρης ἀντιτεχνᾶται τάδε: ἐπικαλέεται Κλεομένεα τὸν Λακεδαιμόνιον γενόμενον ἑωυτῷ ξεῖνον ἀπὸ τῆς Πεισιστρατιδέων πολιορκίης: τὸν δὲ Κλεομένεα εἶχε αἰτίη φοιτᾶν παρὰ τοῦ Ἰσαγόρεω τὴν γυναῖκα. τὰ μὲν δὴ πρῶτα πέμπων ὁ Κλεομένης ἐς τὰς Ἀθήνας κήρυκα ἐξέβαλλε Κλεισθένεα καὶ μετ᾽ αὐτοῦ ἄλλους πολλοὺς Ἀθηναίων, τοὺς ἐναγέας ἐπιλέγων: ταῦτα δὲ πέμπων ἔλεγε ἐκ διδαχῆς τοῦ Ἰσαγόρεω. οἱ μὲν γὰρ Ἀλκμεωνίδαι καὶ οἱ συστασιῶται αὐτῶν εἶχον αἰτίην τοῦ φόνου τούτου, αὐτὸς δὲ οὐ μετεῖχε οὐδ᾽ οἱ φίλοι αὐτοῦ.

[…]

Κλεομένης δὲ ὡς πέμπων ἐξέβαλλε Κλεισθένεα καὶ τοὺς ἐναγέας, Κλεισθένης μὲν αὐτὸς ὑπεξέσχε, μετὰ δὲ οὐδὲν ἧσσον παρῆν ἐς τὰς Ἀθήνας ὁ Κλεομένης οὐ σὺν μεγάλῃ χειρί, ἀπικόμενος δὲ ἀγηλατέει ἑπτακόσια ἐπίστια Ἀθηναίων, τά οἱ ὑπέθετο ὁ Ἰσαγόρης. ταῦτα δὲ ποιήσας δεύτερα τὴν βουλὴν καταλύειν ἐπειρᾶτο, τριηκοσίοισι δὲ τοῖσι Ἰσαγόρεω στασιώτῃσι τὰς ἀρχὰς ἐνεχείριζε. [2] ἀντισταθείσης δὲ τῆς βουλῆς καὶ οὐ βουλομένης πείθεσθαι, ὅ τε Κλεομένης καὶ ὁ Ἰσαγόρης καὶ οἱ στασιῶται αὐτοῦ καταλαμβάνουσι τὴν ἀκρόπολιν. Ἀθηναίων δὲ οἱ λοιποὶ τὰ αὐτὰ φρονήσαντες ἐπολιόρκεον αὐτοὺς ἡμέρας δύο: τῇ δὲ τρίτῃ ὑπόσπονδοι ἐξέρχονται ἐκ τῆς χώρης ὅσοι ἦσαν αὐτῶν Λακεδαιμόνιοι.

[…]

τοὺς δὲ ἄλλους Ἀθηναῖοι κατέδησαν τὴν ἐπὶ θανάτῳ, ἐν δὲ αὐτοῖσι καὶ Τιμησίθεον τὸν Δελφόν, τοῦ ἔργα χειρῶν τε καὶ λήματος ἔχοιμ᾽ ἂν μέγιστα καταλέξαι.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Übersetzung: A. D. Godley
Lizenz: CC-BY-NC-SA

Übersetzung:

Athens, which had been great before, now grew even greater when her tyrants had been removed. The two principal holders of power were Cleisthenes an Alcmaeonid, who was reputed to have bribed the Pythian priestess, and Isagoras son of Tisandrus, a man of a notable house but his lineage I cannot say. His kinsfolk, at any rate, sacrifice to Zeus of Caria. [2] These men with their factions fell to contending for power, Cleisthenes was getting the worst of it in this dispute and took the commons into his party. Presently he divided the Athenians into ten tribes instead of four as formerly. He called none after the names of the sons of Ion—Geleon, Aegicores, Argades, and Hoples—but invented for them names taken from other heroes, all native to the country except Aias. Him he added despite the fact that he was a stranger because he was a neighbor and an ally.

[…]

When he had drawn into his own party the Athenian people, which was then debarred from all rights, he gave the tribes new names and increased their number, making ten tribe-wardens in place of four, and assigning ten districts to each tribe. When he had won over the people, he was stronger by far than the rival faction.
Isagoras, who was on the losing side, devised a counter-plot, and invited the aid of Cleomenes, who had been his friend since the besieging of the Pisistratidae. It was even said of Cleomenes that he regularly went to see Isagoras‘ wife. Then Cleomenes first sent a herald to Athens demanding the banishment of Cleisthenes and many other Athenians with him, the Accursed, as he called them. This he said in his message by Isagoras‘ instruction, for the Alcmeonidae and their faction were held to be guilty of that bloody deed while Isagoras and his friends had no part in it.
When Cleomenes had sent for and demanded the banishment of Cleisthenes and the Accursed, Cleisthenes himself secretly departed. Afterwards, however, Cleomenes appeared in Athens with no great force. Upon his arrival, he, in order to take away the curse, banished seven hundred Athenian families named for him by Isagoras. Having so done he next attempted to dissolve the Council, entrusting the offices of government to Isagoras‘ faction. [2] The Council, however, resisted him, whereupon Cleomenes and Isagoras and his partisans seized the acropolis. The rest of the Athenians united and besieged them for two days. On the third day as many of them as were Lacedaemonians left the country under truce.

[…]

As for the rest, the Athenians imprisoned them under sentence of death. Among the prisoners was Timesitheus the Delphian, whose achievements of strength and courage were quite formidable.

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Projekttitel: eManual Alte Geschichte
Modul [optional]:
Autor_in: Agnes von der Decken
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Hdt. 5. 66 – 72.2

Leitfragen:

1) Wovon handelt der Quellentext?

2) Wer war alles am Machtkampf zwischen Isagoras und Kleisthenes beteiligt?

3) Welche Rückschlüsse auf Kleinsthenesʼ Vorgehen zeigt die Entwicklung der Ereignisse?

Kommentar:

In dieser Quellenstelle beschreibt der griechische Historiker Herodot die innerathenischen Machtkämpfe und die damit einhergehenden dramatischen Ereignisse, die sich Ende des 6. Jh. v. Chr. in Athen zutrugen. Die Protagonisten der Auseinandersetzung um die Macht in Athen waren der Alkmeonide Kleisthenes und sein Kontrahent Isagoras, Sohn des Teisandros. Herodot berichtet, dass Kleisthenes anfänglich unterlag und es Isagoras gelang, sich das Archontenamt für das Jahr 508/507 zu sichern. Später konnte Kleisthenes jedoch durch eine Phylenreform, mit welcher er aus vier bestehenden Phylen zehn neue Phylen schuf, das Volk der Athener, wie Herodot schreibt, gänzlich auf seine Seite bringen. Isagoras, der die von Kleistehens beantragte Verfassungsänderung fürchtete, sah sich gezwungen, gegen den drohenden Machtverlust vorzugehen. Deswegen rief er den spartanischen König Kleomenes, der sein Gastfreund war, zur Hilfe. Dieser forderte auf Geheiß des Isagroas die Verbannung des Kleisthenes und seiner athenischen Anhänger. Begründet wurde diese Forderung mit der Schuld, die sich das Geschlecht des Kleistehens drei Generationen vorher mit dem sogenannten Kylonischen Frevel aufgeladen hatte. So musste der „fluchbeladene“ Kleisthenes die Stadt verlassen und seine politischen Anhänger, 700 athenische Familien, wurden von Kleomenes‘ Heer vertrieben. Isagoras und Kleomenes versuchten daraufhin, den von Kleisthenes gegründeten Rat in Athen aufzulösen und durch eigene Anhänger zu ersetzen. Weil sich der Rat jedoch widersetzte, besetzten Kleomenes und Isagoras die Akropolis. Hier wurden sie jedoch zwei Tage lang belagert, bis sie schließlich am dritten Tag die Stadt verlassen mussten. Die übrigen Anhänger Isagoras‘ wurden von den Athenern festgenommen und hingerichtet.

Herodot berichtet zu Beginn der oben angeführten Quellenstelle, dass Kleisthenes im anfänglichen Machtkampf seinem Kontrahenten und dessen Gefolgschaft unterlag. Danach, so Herodot, habe Kleisthenes den Demos zu seiner Hetairie hinzugewonnen. Im Machtkampf zwischen Kleisthenes und Isagoras waren also auch Gruppen von Menschen beteiligt, die sich auf die eine oder die andere Seite stellten. Dabei handelte es sich um sogenannte Hetairien, also adlige Gefährten der einzelnen Kontrahenten. Die Hetairien waren ein ausgewählter Kreis adliger Tischgenossen von etwa zehn Personen. Es war ein gängiges Prinzip, dass einzelne Adlige mit Unterstützung der Familien, ihrer Verwandtschaft aber eben auch ihrer Hetairoi versuchten, politischen Einfluss in den jeweiligen Poleis zu erlangen. Wahrscheinlich ist, dass Isagoras und anfänglich auch Kleisthenes ebenfalls auf diesem Wege versuchten, den Kampf für sich zu entscheiden. Interessant ist jedoch, dass Herodot darüber hinaus auch von Freunden bzw. Parteigängern (συστασιῶται) der Männer spricht. Dies lässt Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Anhängerschaft von Isagoras und Kleisthenes zu. So nennt Herodot insgesamt 300 Parteifreunde des Isagoras und 700 befreundete Familien des Kleisthenes. Diese Zahlen können nicht auf die oben erwähnten ursprünglichen Hetairien der Kontrahenten zurückgehen. Es kann deswegen davon ausgegangen werden, dass sich den beiden Gegenspielern jeweils mehrere Hetairien anschlossen, als sich der Konflikt zuspitzte. Vermutlich handelte es sich insgesamt um eine größere und komplexere Struktur der Anhängerschaften, die in den Machtkampf zwischen Isagoras und Kleisthenes involviert waren. Der innere Zirkel bestand aber wohl nach wie vor aus dem engsten Freundeskreis, den Hetairoi.

Wie Herodot berichtet, war es Kleisthenes anfangs offenbar nicht gelungen, den Machtkampf für sich zu entscheiden. Isagoras hingegen erreichte, für das Jahr 508/507 zum Archon gewählt zu werden. Kleistehens muss daraufhin erkannt haben, dass seine bisherigen Mittel zur Einflussname ihren Zweck nicht erfüllten. Wahrscheinlich nahm er dies zum Anlass, sein Vorgehen zu ändern. Herodot schildert anschaulich, dass der vorerst unterlegene Kleisthenes nun versuchte, das Volk auf seine Seite zu ziehen. Und es gelang ihm wohl, in relativ kurzer Zeit auch breitere Kreise der Mittel- und Unterschicht für sich zu gewinnen. Wie war das möglich? Denkbar ist, dass Kleisthenes schon zu diesem Zeitpunkt, lange bevor seine Reformen endgültig umgesetzt wurden, seine Konzeption einer politischen Neuordnung Attikas der Öffentlichkeit (vielleicht in der Volksversammlung) vorstellte und diese dabei – weil sie von relevantem Interesse für den Demos waren – Zustimmung fanden. Nicht anders ist auch der von Herodot beschriebene, ungewöhnlich starke Widerstand des Demos gegen die militärische Intervention des Kleomenes und die Obstruktion des Isagoras zu erklären. Kleisthenes muss dem Demos eine politische Neuordnung Attikas vorgeschlagen haben, die eine attraktive Alternative zum Bestehenden dargestellt haben muss. Der Widerstand des Demos gegen Isagoras und Kleomenes war damit auch eine Absage an die alte Ordnung und das Verhalten der Aristokraten, das man in Isagoras und seinen Anhänger klassischerweise verkörpert sah.

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Podcast-Hinweise
Sehen Sie zu dieser Quelle auch den Podcast „Die Kleisthenischen Reformen / Die athenische Außenpolitik des 5. Jahrhunderts“. Um einen breiteren Einblick in die Klassik zu erhalten, sehen Sie auch die Podcastreihe „Griechische Geschichte II – Klassik“.
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