Flaig, E., Politisierte Lebensführung und ästhetische Kultur: eine semiotische Untersuchung am römischen Adel, in: Historische Anthropologie 1, 1993, 193-217.
Der folgende Artikel markiert in herausragender Weise die Wende zur Kulturanthropologie in der Alten Geschichte und wurde deshalb ausgewählt. Später musste der Autor nach einem Forschungsdiskurs, der sich um diesen Artikel entspann, jedoch einige Hypothesen zurücknehmen. Die Ergebnisse dieser Forschungsdiskussionen schlugen sich nieder in folgender Publikation: Flaig, E., Ritualisierte Politik: Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004
Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in: Jan Seehusen
Lizenz: CC-BY-NC-SA
1) Fassen Sie in höchstens fünf Sätzen das Thema des Aufsatzes zusammen, das E. Flaig im ersten Kapitel beschreibt (1. Politisches System und plebeischer Gehorsam, Textseiten 193-197).
2) Beschreiben Sie, wie ein römischer Adliger in der Öffentlichkeit stets seine Toga zu tragen hatte und erläutern Sie, inwiefern die Toga seitens der römischen Adligen ein „semiotisches Angebot an die Unterschichten“ (S. 202) war (Textseiten 202-203).
3) Definieren Sie das römische Klientel wie seine Besonderheiten (Textseite 210) und stellen Sie die ersten zwei Konsequenzen dar, die sich für den Patron im Umgang mit dem Beherrschten ergeben (Textseite 211).
4) Auf der Basis der römischen Klientel stellt Flaig sieben verschiedene Verhaltensweisen dar, mit denen der römische Adel sich das Wohlwollen der Plebs sichern und zu militärischen Opfern anspornen konnte (Textseiten 211-213). Beschreiben Sie die Verhaltensweisen unter 4., 5. und 6. und erklären Sie, wie diese Verhaltensweisen den Adligen zum Wohlwollen der Plebs verhalfen.
5) Viele Forscher sprechen davon, dass sich das Militärwesen in der Zeit der Krise der Römischen Republik entscheidend veränderte: Feldherren rüsteten besitzlose Proletarier zu Soldaten aus, sicherten deren Versorgung und wurden demnach zu deren Patronen, die Proletarier wiederum zur Klientel der Feldherren (vgl. Podcast V: Sulla und die Bürgerkriege). Erläutern Sie vor dem Hintergrund des Aufsatzes von E. Flaig die Auswirkungen, die diese Veränderung des Militärwesens für die Interessen der Feldherren mit sich brachte. Nennen Sie danach ein Beispiel für eine solche Beziehung in der Krise der Römischen Republik.
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Autor_in: Jan Seehusen
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Forschungstradition des Autors
Prof. Dr. em. Egon Flaig war bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2014 auf dem Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Universität Rostock tätig. Kennzeichnend für Flaigs Forschung ist insbesondere sein interdisziplinäres Arbeiten, das Theorien aus der Soziologie und Anthropologie für die Alte Geschichte fruchtbar zu machen sucht. Aufgrund von Flaigs Beschäftigung mit der politischen Geschichte im Römischen Reich wird seine Herangehensweise daher auch als ‚politische Anthropologie‘ bezeichnet. Flaig nimmt neben seiner fachlichen Arbeit äußerst rege an öffentlichen Diskursen teil; beispielhaft sei an dieser Stelle nur sein Essay ‚Der Islam will die Welteroberung‘ genannt, der die Öffentlichkeit polarisierte.
Im vorliegenden Aufsatz ist von großer Bedeutung, dass der Verfasser das Konzept der Semiotik (d.h. der Zeichenlehre) auf die Epoche der Römischen Republik anwendet. Wie können bestimmte politische Handlungsweisen des Römischen Adels als zeichenhaft, d.h. symbolisch, verstanden werden? Der Autor erhofft sich durch die Anwendung dieser Theorien ein tieferes Verständnis der politischen Kommunikation und römischen Kultur (vgl. Textseite 193).
Erläuterung missverständlicher, schwieriger und wichtiger Stellen für das Textverständnis
Als Ausgangspunkt einer Erklärung für die militärische Opferbereitschaft der Plebs fokussiert Flaig sich auf ‚Performanzen‘ des Adels, d.h. dessen öffentliche Inszenierung, die das Ziel hatte, die Plebs von der Rechtmäßigkeit der adligen Herrschaft zu überzeugen und die Opferbereitschaft für die militärischen Unternehmungen des Adels aufrecht zu erhalten (Textseite 197). Im Folgenden betrachtet Flaig pro Kapitel verschiedene Felder dieser Performanzen, welche die Zeichenhaftigkeit der politischen Kultur in der Römischen Republik verdeutlichen.
Voraussetzungsreich ist dabei das Kapitel ‚2. Agonalität und Rangklassensystem‘, in dem man den Unterschied zwischen dem griechischen und römischen Adel verstehen muss. Der griechische Adel war im Gegensatz zum römischen von der Archaik an durch ‚Agonalität‘ geprägt, d.h. durch die Konkurrenz der Adelsmitglieder in verschiedenen Bereichen (Kampf, Sport, musische Künste). Da sich ein römischer Adliger nicht durch diese Agonalität, sondern durch das von ihm innegehabte Amt im Zuge der Ämterlaufbahn (cursus honorum) qualifizierte, meint Flaig, dass sich „Konkurrenz, Rivalität und Streit“ (S. 198) in Rom auf die politischen Ämter beschränkt hätten und damit von Anfang an stärker limitiert gewesen seien als in Griechenland.
Flaig versucht auch in den anderen Kapiteln, Unterschiede zwischen dem antiken Griechenland und Rom und die daraus folgende Zeichenhaftigkeit der Inszenierung des römischen Adels deutlich werden zu lassen. Nachfolgend wird auf einzelne Kapitel verwiesen: Römische Kleidung sei im Gegensatz zu griechischer differenzierter gewesen und habe auf den sozialen Status und das politische Amt ihres Trägers hingedeutet (Kapitel 3); darüber hinaus sei die römische Ahnenverehrung im Gegensatz zum griechischen Totenkult durch den Vergleich eines römischen Adligen mit seinen Vorfahren geprägt gewesen (Kapitel 4). Im Rahmen dessen wurde der römische Adlige seitens der römischen Aristokratie und der Plebs an seinen Verdiensten um die res publica, d.h. den römischen Staat, im Vergleich mit seinen Vorfahren gemessen. Das Bemühen der adligen Nachfahren, es ihren Verwandten gleichzutun, inszenierte den römischen Adel in den Augen der Plebs als Träger einer umfassenden politischen Fürsorge wie Verantwortung für die Gemeinschaft (Textseiten 203-207).
Das Kernstück von Flaigs Artikel ist das römische Klientelwesen, auf dessen Definition der Autor nur kurz zu sprechen kommt (Textseite 210), welches aber für das Verständnis der römischen Gesellschaft von eminent wichtiger Bedeutung ist. Das zentrale Merkmal des römischen Klientelwesens ist das wechselseitige Nah- und Treuverhältnis zwischen einem Patron und einem Klienten. Der Patron (Schirmherr) wahrte die Interessen seines Klienten, z.B. vor Gericht, während der Klient sich zu Dienstleistungen, wie dem leiblichen Schutz des Patron, verpflichtete. Flaig meint nun, in sieben verschiedenen „charakteristischen Gesten“ (S. 211) des römischen Adels, die im oben genannten Sinne als zeichenhaft zu verstehen sind, zeige sich das römische Klientelwesen. Diese sieben Gesten erläutert er auf den Folgeseiten (Textseiten 211-213).