01 – Augustus

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Autor_in:
Werner Rieß
Lizenz:
CC-BY-NC-SA

Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

01 – Augustus

Im letzten Podcast zur Republik hatten wir uns mit dem politischen und militärischen Aufstieg Octavians zum Alleinherrscher beschäftigt. Wir wollen heute nachvollziehen, warum Octavian, der ab 27 v. Chr. Augustus genannt wurde, an der Macht bleiben konnte und wie er es schaffte, im Laufe der Zeit das politische System der Republik zu einer Monarchie umzubauen und gleichzeitig nicht erfolglos den Anschein erweckte, die Republik wiederhergestellt zu haben.
Vom Krieg nach Hause zurückgekehrt, kümmerte sich Octavian erst einmal um den Senat, weil viele Senatoren in den Kämpfen bzw. in den Proskriptionen ums Leben gekommen waren. Ca. 190 Senataren schloss Octavian aus der noblen Institution aus, angeblich wegen Unwürdigkeit, in Wahrheit wurden politische Gegner kaltgesellt. Andere, Octavians Freunde, erhielten Zugang als Lohn für ihre Verdienste um ihn im Krieg. Schon durch diese Maßnahmen änderte sich die Zusammensetzung des Senats so entscheidend, dass Octavian die beste Show seines Lebens vorbereiten konnte. Wir sprechen vom Staatsakt, der am 13. und 16. Januar 27 v. Chr. stattfand und der umfassend und von langer Hand vorbereitet gewesen sein muss. In der Senatssitzung vom 13. Januar gab Octavian feierlich alle seine Machtbefugnisse, also auch die triumviralen, an Senat und Volk von Rom zurück. Für einen Augenblick also waren Senat und Volk von Rom wieder souverän. Sofort beschworen die Senatoren Octavian, sie und Rom nicht im Stich zu lassen und die schwere Last der Verantwortung für den römischen Staat und das römische Volk zu übernehmen. Nach gespieltem Zögern gab Octavian schweren Herzens nach und entsprach damit den allgemeinen Erwartungen.
Das Erstaunliche ist nun seine verfassungsmäßige Stellung. Er war nicht mehr als Konsul, und das Konsulat musste jährlich erneuert werden. Außerdem hatte er ein imperium proconsulare, eine zehn Jahre währende Befehlsgewalt über sieben wichtige und immer noch nicht befriedete Provinzen, u.a. Spanien, Gallien, Syrien und Ägypten, nicht zufällig die Provinzen, in denen Truppen stationiert waren, um eventuelle Aufstände niederzuschlagen. Diese Provinzen wurden nun, obwohl dort senatorische Statthalter tätig waren, kaiserliche genannt; sie unterstanden also direkt der kaiserlichen Befehlsgewalt, im Gegensatz zu den sogenannten senatorischen Provinzen unter der Schirmherrschaft des Senats, wo fast keine Truppen stationiert waren, da diese Provinzen als befriedet betrachtet wurden. Nach dem Buchstaben des Gesetzes übte Octavian also ein Amt nur für eine begrenzte Zeit aus, eine Aufgabe, die ihm von Senat und Volk anvertraut war. Es ist auch dieser zeitlich limitierte und informelle Charakter dieser Position, welche die Tatsache verschleiern half, dass die Republik nicht mehr existierte und dass stattdessen eine Monarchie etabliert worden war. Angeblich war die Republik sogar wiederhergestellt, auf Latein: res publica restituta! Eine republikanische Fassade wurde also benutzt, um die Realitäten der Macht zu verschleiern.
Die Machtbasis des ersten Mannes war jedoch grundsolide: Das Kommando über die Truppen in den Provinzen, seine finanzielle Macht und seine enorme Klientel im ganzen Reich.
Drei Tage später (16.1. 27 v. Chr.) wurden Octavian besondere Ehren zugestanden: Er bekam den Beinamen Augustus verliehen, was der Erhabene bedeutet. Sein voller Name war jetzt Imperator Caesar Augustus. Über dem Eingang seines Hauses auf dem Palatin wurde ein Eichenkranz befestigt als Zeichen für seine Errettung römischer Bürger, und Lorbeerbäume wurden neben seiner Tür gepflanzt. Diese Ehrungen hoben Augustus in eine höhere, ja sakrale Sphäre. Im Sitzungssaal des Senats wurde ein goldener Schild aufgestellt, auf dem die vier Kardinaltugenden eingraviert waren, die Augustus besonders am Herzen lagen, sie sollten zu kaiserlichen Tugenden avancieren. Eine steinerne Kopie dieses Schildes wurde im südfranzösischen Arles gefunden: Virtus, Tugend im Sinne militärischer Tüchtigkeit, clementia, Gnade, eine Eigenschaft, die Augustus sicher als von Caesar ererbt empfand, iustitita, die Gerchtigkeit, die er gerade als oberster Richter des Reiches brauchte, und pietas, Frömmigkeit, d.h. das korrekte religiöse Verhalten gegenüber Göttern und Menschen und insbesondere gegenüber den eigenen Eltern.
Wie war dieser kometenhafte Aufstieg möglich? Um diese entscheidende Frage zu beantworten, sollten wir uns mit seiner Persönlichkeit, seinem politischen Stil und mit seinen Prinzipien beschäftigen, die seinen Problemlösungen zugrunde liegen.
Meines Erachtens gibt es drei persönliche Eigenschaften, die Augustus mit größtem Geschickt miteinander verband, wozu auch eine Portion Glück gehörte.
Da ist zunächst sein gnadenloser Einsatz von Gewalt. Überraschenderweise hatte Augustus eine schwache persönliche Konstitution, was am Anfang schon ein Handicap gegenüber dem gesunden, starken und erfahrenen Marcus Antonius darstellte. In dieser Hinsicht war der junge Octavian also benachteiligt, und gerade deshalb seine Durchsetzungskraft und sein letztlicher Erfolg umso erstaunlicher. Trotz dieser gesundheitlichen Einschränkung oder vielleicht gerade wegen ihr war Octavian fest entschlossen, Alleinherrscher des Imperiums zu werden. Sein untrüglicher politischer Instinkt und die Rücksichtslosigkeit in der Verfolgung seiner Ziele machten die körperliche Schwäche mehr als wett. Er scheute sich nicht, seine politischen Gegner zu betrügen, Verträge jederzeit zu brechen, wenn es ihm zum kleinsten Vorteil gereichte, oder seine Gegner physisch zu eliminieren, wirkliche und eingebildete gleichermaßen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Proskriptionen von 43 v. Chr., in denen Cicero den Schergen der Triumvirn zum Opfer fiel, und die Unterdrückung der Verschwörung von 23 v. Chr.. Augustus wusste, wie man Widerstand brach. Die Überlebenden lebten in Furcht und wagten es nicht, das neue System und seinen obersten Repräsentanten in Frage zu stellen, dessen Macht immerhin auf einer ihm absolut loyalen Armee beruhte, so dass wir Augustus‘ Herrschaft und die aller römischen Kaiser durchaus auch als Militärdiktaturen bezeichnen könnten.
Typisch für die augusteiche Art und Weise Politik zu betreiben ist zweitens der Umstand, dass Augustus sehr gewissenhaft und immer bereit war, aus der Vergangenheit zu lernen, um die Fehler seiner Vorgänger zu vermeiden. Er beweist dabei ein großes Geschichtsbewusstsein. Anders als Sulla trat er nicht von seiner Macht zurück, nachdem er sie einmal errungen hatte. Anders als Caesar, unternahm er alles, um den Eindruck zu vermeiden, er strebe nach einer lebenslangen Diktatur, nach der Tyrannis oder nach dem Königstitel, den die Römer von Beginn der Republik an so hassten. Caesar zahlte einen hohen Preis für seine Fehler, und Augustus war entschlossen, diese Fehler nicht zu begehen. Augustus‘ größte politische Leistung war es, die Menschen Glauben zu machen, dass er in der Tat die alte Republik wiederhergestellt hatte. Das politische Schlagwort von der wiederhergestellten Monarchie (res publica restituta) funktionierte, weil die Leute an diesen Traum glauben wollten und Augustus der größte Showmaster war, den die Welt bis dahin gesehen hatte, indem er die Propagandamedien, die ihm zur Verfügung standen, meisterhaft beherrschte. Es war unmöglich, zu den alten Tagen der Senatsherrschaft zurückzukehren, weil das Imperium einen starken Mann brauchte, was die Geschichte der vergangenen 100 Jahre auf so dramatische Art und Weise gezeigt hatte. Es gab eigentlich nur eine Lösung: Eine republikanische Fassade mit einem Alleinherrscher dahinter. In dieser Situation konnte Augustus sehr vom römischen Konservativismus profitieren, vom Glauben der Römer, dass alles Althergebrachte irgendwelchen Neuerungen überlegen war. Die alten Standards hochzuhalten, die Sitten und Gebräuche der Vorväter zu pflegen, den sogenannten mos maiorum, war die beste Legitimationsquelle. Dieses konservative politische Modell erforderte Senatstreffen, Magistrate und Wahlen, aber natürlich geschah alles orchestriert nach dem Willen einer einzigen Person.
Und schließlich spielte er, nachdem er alle Formen der Opposition ausgeschaltet und die entscheidenden Fehler vermieden hatte, die moralische Karte, gerade noch rechtzeitig, bevor er als blutdürstiger Tyrann gelten und als solcher in die Geschichtsbücher eingehen würde. Diese moralische Karte bezog sich auf Politik, Religion und persönliche Moralvorstellungen.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die politische Ebene: Die Illusion der wiederhergestellten Republik war den Römern aufs höchste willkommen, die die Leiden und Katastrophen, die sie zu erdulden gehabt hatten, auf eine sündhafte Vernachlässigung alter römischer Traditionen zurückführten. Nur die alte Form der Götterverehrung sicherte ein glückliches Leben und bewerkstelligte Sicherheit für Rom. Genau dafür stand Augustus: Die Rückkehr zu den Sitten der Vorväter mit ihm selbst als Über-Vater, als Patron, der sich für alle verantwortlich fühlte, sich um alles kümmerte, wobei er sich auf die existierenden Sozialstrukturen stützte. Am besten drückte sich dies im Titel patronus omnium aus, Patron aller. Am wichtigsten war jedoch sein neuer Titel, er nannte sich nicht rex, König, nicht etwa Diktator, wie Caesar oder Sulla, sondern einfach princeps, erster Mann im Staat. Ein neuer Terminus ohne negative Konnotationen war in die römische Politik eingeführt worden.
Moral und Religion können in einer höchst religiösen Gesellschaft nicht voneinander getrennt werden. Augustus betont in den Res Gestae, seinem Tatenbericht, dass Tempel wieder geöffnet wurden, viele wurden auch restauriert. Er gab vor, die alten italischen Werte zu repräsentieren, den mos maiorum; er wurde nicht müde, die Bedeutung der Religion zu betonen und er erließ sogar Gesetze gegen Ehebruch. Er brachte die Dinge mit vier Schlagworten auf den Punkt, virtus, clementia, iustitia und pietas, um alle kaiserlichen Tugenden bündig zusammenzufassen.
Das sind also die drei Prinzipen der Herrschaft des Augustus: Rücksichtsloser Einsatz von Gewalt, Bereitschaft von der Vergangenheit zu lernen und das Ausspielen der moralischen Karte. Er war klug genug, um zu wissen, dass er seine Macht in den Köpfen der Untertanen verankern musste, indem er die beste Propaganda benutzte, die die vormoderne Welt je gesehen hatte. Auch auf diesem Gebiet war Augustus ein Genie. Voller Kreativität nutzte er alle zur Verfügung stehenden Medien: Inschriften, Tempel, Meilensteine, Gebäude und Statuenprogramme. Rom wurde die augusteische Stadt par excellence, geschmückt mit vielen großartigen Gebäuden. Eines der berühmtesten ist das Pantheon auf dem Marsfeld, den Göttern geweiht und eines der am besten erhaltenen antiken Monumente Roms. Allerdings sehen wir das Gebäude heute im hadrianischen Umbau des frühen zweiten Jahrhunderts n. Chr. Außen prangte die größte Inschrift des Reiches. Innen erwarteten den Besucher Statuen viele Götter sowie Agrippas, Augustus‘ und des vergöttlichten Caesar. Es war eine Art dynastischer Tempel.
Der große Pluspunkt, den der neue Herrscher für sich verbuchen konnte, war, dass er die Bürgerkriege beenden und damit dem Reich Frieden bringen konnte, die berühmte pax Augusta. Zumindest stimmte dieser Anspruch für diejenigen, die das jahrzehntelange Blutvergießen überlebt hatten; sie waren bereit, diesem bemerkenswerten Mann an der Spitze beinahe unbegrenztes Vertrauen einzuräumen. Und warum sollten sie ein Problem damit haben, einem Herrn zu dienen, der Frieden, die öffentliche Ordnung und v.a. die althergebrachte Republik garantieren konnte? Mit Gewalt und Charme, wir würden sagen, mit Zuckerbrot und Peitsche zwang Augustus die Menschen in sein neues System, so dass sie sich rasch einfügten und einige es sogar bewundern lernten. Augustus Propaganda in allen Lebensbereichen war so effektiv, dass sogar noch heute viele Historiker der Meinung sind, dass die ersten beiden Jahrhunderte n. Chr. eine friedliche Epoche waren, was natürlich nur teilweise stimmt.

Die Lösung der drängendsten Probleme, die ersten Maßnahmen

Werfen wir nun einen Blick darauf, wie Augustus seine politischen Prinzipien mit ganz konkreten Maßnahmen in die Tat umsetzte. Zuallererst musste er sein persönliches Regime legalisieren und konsolidieren. Er bewerkstelligte das, indem er seine neue Herrschaft in eine neue Form einkleidete, womit er die Akzeptanz und das Vertrauen der meisten Zeitgenossen gewann. Es ist diese Überschneidung von Alt und Neu, von Kontinuität und Wandel, die so typisch ist für die augusteische Ära. Im Jahr 27 v. Chr. war dieser Prozess jedoch noch nicht abgeschlossen. Da Augustus jedes Jahr Konsul war, was den republikanischen Traditionen widersprach, bedrohte eine höchst gefährliche Verschwörung seine Herrschaft im Jahr 23 v. Chr. Er musste reagieren und gab dem Senat das Konsulat zurück, so dass ein Senator an seiner statt in der Zukunft Konsul sein konnte. Um diesen Machtverlust zu kompensieren, ließ sich Augustus mit der vollen tribunizischen Amtsgewalt auf Lebenszeit ausstatten, inklusive des Rechts, gegen einen Magistraten zu intervenieren, Gesetze zu initiieren und den Senat einzuberufen. Außerdem wurde sein imperium proconsulare über die kaiserlichen Provinzen, also die Provinzen, die direkt seiner Herrschaft unterstanden, erweitert zu einem imperium proconulare maius, also ein größeres, umfassendes Kommando, das ihm auch das Recht verlieh, in senatorischen Provinzen einzugreifen. Die Existenz eines imperium proconsulare maius ist in der Forschung umstritten; der Terminus taucht so in den Quellen nicht auf, aber etwas so Ähnliches muss er gehabt haben.
Zweitens musste er zu einem Ausgleich mit dem Senat kommen. In mehreren Wellen säuberte er die Körperschaft, indem er die Anzahl der Senatoren stark reduzierte, womit er jede Form der Opposition ausschaltete. Nach Actium gab es etwa 1000 Senatoren. Im Jahre 28 wurden nur 190 „unwürdige“ Mitglieder ausgeschlossen, aber im Jahr 18 wurde die Zahl auf 600 verringert, wie in den alten Tagen, eine radikale Maßnahme, die natürlich auf starke Opposition stieß. Aber die verbliebenen Senatoren waren umso stolzer, dem noblen Haus anzugehören und hatten nun noch mehr Grund, ihrem Patron dankbar zu sein.
Gleichzeitig war Augustus auf das Know-how der Senatoren angewiesen. Nur sie verfügten über die Fähigkeiten, die Erfahrung und die Tradition, ein riesiges Imperium zu verwalten. Ohne sie hätte Augustus keinen einzigen Tag regieren können. Daher war es oberste Staatsräson, die neue Regierungsform mit dem traditionellen Denken der Senatoren in Kategorien des Wettbewerbs untereinander zu versöhnen. Augustus bemühte sich, ihre republikanische Denkungsart mit seiner Alleinherrschaft zu verschmelzen und war damit eher der politische Erbe Sullas als Caesars. Aber anders als Sulla restaurierte er nicht nur die alte Ordnung, sondern schuf eine neue; anders als Caesar vernachlässigte er nicht die Senatoren und ihre Vorstellungen von politischer Partizipation. Als junger Mann hatte er gesehen, was mit Caesar passiert war, der die Vorstellungen und Forderungen der aristokratischen Kreise nicht verstanden bzw. nicht verstehen hatte wollen. Augustus jedoch war bereit, aus der Vergangenheit zu lernen und schaffte es, die Senatoren für sich einzunehmen, indem er ihnen konkrete Aufgaben und Pflichten übertrug und sie das Imperium verwalten ließ. Ihre Ambitionen wurden mit vielen Posten in Rom, in Italien und den Provinzen befriedigt. Jeder dieser Posten befand sich in einer Hierarchie, stand also unter oder über einem anderen Posten. Auf diese Weise lebte der alte Wettbewerb unter den führenden Familien in zivilisierter Form unter der Kontrolle des Monarchen weiter. Anstatt also diese mächtige Institution gegen sich zu haben, arbeitete diese Körperschaft, bestehend aus hochgebildeten und fähigen Männern, für Augustus und stellte die beste Legitimationsquelle für seine Herrschaft dar. Das Gleiche gilt für die Ritter, die zweite führende Gruppe in der römischen Gesellschaft. Beide Stände waren mit der Restitution ihrer Ränge und ihren garantierten Privilegien hoch zufrieden.
Drittens musste Augustus nach der langen Periode der Bürgerkriege Italien entmilitarisieren. Viel zu viele Männer befanden sich unter Waffen, so dass Augustus die Zahl der Legionen von mehr als 60 auf 28 reduzierte. Ungefähr 300.000 Mann standen also unter Waffen, von denen er mehr als die Hälfte entließ. Bevor wir auf das Versorgungs- bzw. Abfindungsproblem eingehen, sei ein Blick auf die verbliebenen Truppen gestattet: Um zu verhindern, dass sie im Inneren des Reiches Problem verursachten (Augustus muss unter dem Gespenst eines potentiellen zukünftigen Bürgerkriegs gelitten haben), stationierte er sie an den Grenzen des Reiches, womit er eine Lösung für zwei Probleme fand: Die Verteidigung des Reiches gegen Barbaren und eine geeignete Beschäftigung für seine Soldaten, die die Grenzgebiete gegen jeden Angriff von außen sicherten. Aber wie konnte er Tausende von loyalen Soldaten entlassen, die ihn an die Macht brachten? Als Patron war er für sie verantwortlich. Sie erwarten von ihm, dass er sich um sie kümmere. Er musste sie entlohnen. Er gab den Veteranen entweder Geld oder er gründete Kolonien für sie auf fruchtbarem Land, in Gallien, im mediterranen Teil von Africa, Sizilien, Makedonien, Achaia, Spanien, Asia und Syrien inklusive 28 Kolonien in Italien, ein Prozess, den wir Kolonisierung nennen. Andernfalls wären die Veteranen und die Italiker, die in den Bürgerkriegen alles verloren hatten, in der Hauptstadt geblieben und hätten die Anzahl von Armen und Obdachlosen nach oben schnellen lassen. Um eine solche Konzentration von Massen in der Hauptstadt zu vermeiden, entsandte er auch Arme aus Rom in die neuen Kolonien und ermöglichte ihnen, dort ein Auskommen zu finden.
Aus diesen Maßnahmen wird ersichtlich, dass die Armee, die Bevölkerung Roms (einschließlich der Senatoren und Ritter) und die Italiker die soziale Basis bildeten, auf die Augustus sein Imperium aufbaute. Er fühlte sich als Patron all dieser Gruppen, und sie waren alle seine Klienten, eine urrömische Idee, die ihm und allen Untertanen wohlvertraut war.
Aber es waren nicht nur römische Bürger, die von den Errungenschaften des neuen Regimes profitierten, sondern auch die Bewohner der Provinzen. Augustus betrachtete sich auch als Patron der Provinzen. Bis in die augusteische Zeit hatten die Provinzialen nur unter der Herrschaft Roms gelitten. Die führenden Familien der römischen Aristokratie sahen nur einen Grund für die Eroberung und Unterwerfung fremder Völker: Sie auszubeuten zum Ruhme Roms, v. a. aber auch zu ihrem eigenen. Auch hier lernte Augustus aus den Fehlern der Vergangenheit: Viele Aufstände hatten das Imperium während der Republik erschüttert; die kleinen oligarchischen Kreise von, sagen wir, fünfzehn untereinander konkurrierenden Familien, waren unfähig und auch unwillens, eine effektive Provinzialverwaltung aufzubauen und die Provinzen somit zu einem integralen Teil Roms zu machen. Augustus vertraute seinem politischen Instinkt und rationalisierte die römische Herrschaft im Ausland, indem er die Provinzialen mehr an die römische Kultur heranführte, sie attraktiv für die Unterworfenen machte. Sogar die ersten Senatoren aus den Provinzen kamen unter Augustus in die noble Körperschaft, in einem Wort, ein Prozess, den wir Romanisierung zu nennen gelernt haben, begann zu der Zeit. Und jetzt sehen wir, wie die Dinge ineinander greifen: All dies war nur möglich, weil die Senatoren als kaiserliche Magistrate in den Provinzen handelten und mit konkreten Rechten und Pflichten ausgestattet, kaiserliche Missionen erfüllten.
Der Anbruch einer neuen Ära musste allen auf sichtbarste und dauerhafteste Form gezeigt werden, und so schmückten bald herrliche Gebäude, sakraler und profaner Natur, Städte und Landschaften und zeugten von einem übergeordneten Willen, Recht und Gesetz sowie Frieden und Sicherheit zu garantieren, eine Propaganda, die ihr Ziel erreichte, nämlich die Menschen die blutigen Anfänge der usurpierten Macht vergessen zu machen.
Wenn man die heftigsten Konflikte der späten Republik mit den Maßnahmen des Augustus vergleicht, sieht man, dass die Krise der Republik nicht in erster Linie eine ökonomische oder soziale Krise war. Die römische Gesellschaft und Wirtschaft änderten sich kaum vom ersten vor- zum ersten nachchristlichen Jahrhundert. Es war eher eine politische Krise insofern, als die schiere Größe des Reiches die Kapazitäten des ursprünglich kleinen Stadtstaates und seiner kleinen Herrschaftselite bei weitem überforderte. Die führenden römischen Familien, alle Mitglieder der Nobilität, der herausragenden Gruppe innerhalb des Senats, vermochten es nicht, sich an die völlig veränderte Situation anzupassen. Sie konnten eine Supermacht mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln nicht regieren. Sie kämpften ständig untereinander um die Macht. Das oligarchische Regime glitt ab ins Chaos und rief viele Langzeitkonflikte hervor:
Die Rivalität unter diesen Familien,
Den Ausschluss Ehrgeiziger, die unbedingt den sozialen Aufstieg schaffen wollten,
Das beinahe tragisch zu nennende Verhältnis zwischen Rom und seinen Verbündeten, das schließlich in den Bundesgenossenkrieg mündete,
Die Unterdrückung der Provinzen, welche schwere Aufstände auslöste, weil sie von römischen Gouverneuren nicht nur vernachlässigt, sondern vielmehr brutal ausgebeutet wurden,
Die vollständige Teilnahmslosigkeit der herrschenden Eliten an diesen Katastrophen führte zu endlosen Kriegen und zur Verarmung der römischen Bauern.

Vergegenwärtigt mach sich nun die augusteischen Maßnahmen, dann sieht man sofort, dass Augustus weder die Gesellschaft noch ihre Wirtschaft veränderte. Seine Ideen und Taten stellten sich als geeignete Maßnahmen zur Lösung der mannigfachen Konflikte heraus. Die noblen Familien durften weiterhin um Posten konkurrieren, innerhalb des hierarchisch gegliederten Rahmens, den Augustus vorgab. Auf diese Weise wurden die Ambitionen vom ersten Prinzeps streng kontrolliert. Menschen aus unteren gesellschaftlichen Schichten konnten unter gewissen Umständen und mit Einverständnis des Kaisers die Karriereleiter emporklettern in einem genau fest gelegten Schema an Posten. Die Italiker wurden mit Geschenken und weiterer Urbanisierung versöhnt. Die Provinzen wurden besser als jemand zuvor verwaltet, weil viele senatorische Posten Aufgaben außerhalb Roms waren. Und weil die Kriege geendet hatten, konnte die Sicherheit im Grunde wieder garantiert werden. Die Infrastruktur erholte sich allmählich, so dass ein stabiles monetäres System, die Anlage von Straßen und Häfen, der Fernhandel und groß angelegte Bauprogramme zu einem höheren Lebensstandard beitrugen. Es war eher durch Instinkt als durch intentionales Planen, dass Augustus Antworten auf die drängendsten Fragen seiner Zeit fand. Dieser Instinkt für die Nöte der Untertanen liegt Augustus‘ Ideen und Konzepten zu Grunde, die er über die langen Jahrzehnte seiner Herrschaft entwickeln konnte und die das Antlitz des römischen Reiches für Jahrhunderte prägen sollten. Seine Nachfolger konnten von den großen Bahnen, die Augustus vorgezeichnet hatte, nicht abweichen, und so blieben die meisten seiner Maßnahmen bis ins 3. Jh. Chr. hinein in Kraft. Diese Regularien betreffen die Aussöhnung mit dem Senat, die darin bestand, dass die Reichsadministration der altehrwürdigen Körperschaft anvertraut wurde, die Rolle und die Einsatzgebiete der Armee, die humanere Behandlung der Provinzen und am nachhaltigsten: Die Errichtung einer neuen Regierungsform.

II. Zusammenfassung

Abschließend möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf drei Punkte lenken:

Augustus war nicht von Anfang an Augustus. Die Situation war ziemlich lang offen. Erst nach Actium, nach der Ausschaltung von Marc Anton und Kleopatra, war er Alleinherrscher. Von diesem Moment an konnte er die Dinge nach seinen Vorstellungen gestalten, aber es gab noch kein Konzept, keine konsistente Ideologie, keine systematische Etablierung einer neuen Verfassung. Er brauchte vielmehr ein Leben, um diese neuen Konzepte zu entwerfen und zu verfeinern und v.a. um sie in die Tat umzusetzen. Er war erfolgreich aufgrund seiner hohen Intelligenz, Grausamkeit und Flexibilität und, nicht zu vergessen, er hatte das Glück, sehr lange zu leben. Kreativität in verfassungsrechtlichen Fragen, seine Großzügigkeit, seine Eroberungen, finanzielle Potenz und sein für andere unerreichbares Prestige trugen zur festen Konsolidierung seiner Herrschaft bei.
Die augusteische Zeit ist einer der besten Testfälle, an denen man die Interaktion und Interdependenz zwischen Struktur und Person untersuchen kann, ein wichtiger Faktor beim historischen Denken und bei der historischen Quelleninterpretation. Augustus ist nicht denkbar ohne die Krise der römischen Republik, die Bemühungen, sie zu lösen und deren letztliches Scheitern. Er muss also in einem größeren Kontext gesehen werden. Einerseits kann sein Denken und Handeln nicht ohne ein vertieftes Verständnis römischer Verhaltens- und politischer Handlungsmuster verstanden werden. Andererseits schuf er Strukturen auch selbst, die zum Teil Jahrhunderte Bestand hatten. Wenn wir als heutige Historiker eine rein biographische Geschichtsschreibung vermeiden wollen, müssen wir eher die langlebigen Folgen seiner Herrschaft und ihrer Errungenschaften analysieren als seine Persönlichkeit, so faszinierend und unerklärlich sie uns auch scheinen mag.
Ganz eindeutig steht fest: Dieser sensible und brutale Mann, dieser Mann von höchster Kultur und bösartigstem Misstrauen, ausgestattet mit einem untrüglichen Sinn für Macht, ist eine der größten politischen Figuren der Weltgeschichte. Er legte die Grundlagen für das, was das römische Reich und die römische Kaiserzeit werden sollten, auf den Gebieten der Politik, der Verwaltung, der Armee und der Kultur und formte so ganz entscheidend die damals bekannte Welt für Jahrhunderte.

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Quellen-Hinweise
Sehen Sie zu diesem Podcast auch die Quellen zu Augustus. Alle Quellen enthalten einen Leitfragen- und Kommentarbereich zum besseren Verständnis des Textes.
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