05 – Sulla und das Zeitalter der Bürgerkriege

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Römische Geschichte I: Die Republik

05 – Sulla und das Zeitalter der Bürgerkriege

Im letzten Podcast haben wir von den gescheiterten Reformen der Gracchen gehört. In Rom herrschte dadurch Reformstau. Die Probleme verschlimmerten sich dadurch zusehends, die Stimmung wurde immer explosiver. Außenpolitische Bedrohungen taten das Ihrige, das System der Republik immer mehr zu destabilisieren. Der Krieg gegen König Jugurtha von Numidien in den Jahren 111-105 drohte zum Debakel zu werden.
Einmal mehr offenbarte sich nach den schweren Kämpfen um Numantia die Unfähigkeit der römischen Führungsschicht. Marius gelang es schließlich, Jugurtha niederzuwerfen, dem jungen Sulla gelang seine Auslieferung.
Parallel zu den Kämpfen in Nordafrika braute sich im Norden eine große Gefahr zusammen. Die Germanenstämme der Kimbern und Teutonen schlugen 113 ein römisches Heer in Noricum, besiegten 109 ein konsularisches Heer an der Rhône und vernichteten 105 bei Arausio, dem heutigen Orange, zwei konsularische Heere. Damit lag Italien offen, in Rom brach eine Angstpsychose aus. Doch da die Germanen nach Spanien weiterzogen, gewann Rom Zeit. Marius führte eine grundlegende Heeresreform durch und es gelang ihm, die Germanen in zwei Schlachten getrennt zu schlagen. Die Heeresreform des Marius ist insofern grundlegend, als ihre sozialpolitischen Folgen die kommenden Jahrzehnte entscheidend prägten und die Krise militarisierten. Da der italische Bauernstand geschwächt war und sich aus dieser Schicht nicht mehr genügend Soldaten rekrutieren ließen, öffnete Marius das Heer denen, die gar nichts hatten außer ihren Nachkommen, den Proletariern, und rüstete sie auf Staatskosten aus. Tausende von Freiwilligen strömten nun zu den Waffen; damit war aber das römische Heer kein Milizheer mehr. Der Feldherr rückte für die Soldaten in die Position eines Patrons ein, der für ihr Wohlergehen verantwortlich war. In anderen Worten, die Feldherren gewannen nun eine immense, bewaffnete Klientel, die durchaus auch für eigene Zwecke einsetzbar war. Infolge dieser Reform proletarisierte und professionalisierte sich das Heer, aber es politisierte sich auch. Die Heeresklientel der Späten Republik diente schließlich nur noch den politischen Zielen ihres Patrons, nicht mehr dem Abstraktum Republik. Der Besitzerwerb dieser Soldaten erfolgte durch Sold, Beute und Landzuweisungen als Veteran, für alle drei Säulen war der Feldherr verantwortlich.
Wir könnten sagen, dass die Notwendigkeit der Bewältigung von umfassenden Herrschaftsaufgaben und natürlich auch der Reformstau das Milizwesen zerstört hatte, und die veränderte Heeresstruktur ihrerseits zum Untergang der Republik nicht unwesentlich beitrug. Die politisierenden Heerführer militarisierten mit der ihnen treu ergebenen Heeresklientel die Innenpolitik, das Zeitalter der Bürgerkriege war angebrochen.
Konkret rüstete Marius alle Soldaten gleich aus und schaffte damit die Dreitreffenordnung ab. Um den germanischen Haufen standhalten zu können, fasste er die beweglichen Manipel zu einer neuen taktischen Einheit zusammen, der Kohorte, damit war nun das römische Aufgebot so beweglich wie zuvor, aber gleichzeitig auch stärker aufgestellt. Caesar sollte die Kohortenstruktur dann zur Vollendung führen. Marius unterwarf seine Soldaten einem eisernen Drill und kümmerte sich persönlich um alles. Damit wurde er zu einer charismatischen Identifikationsfigur, der in der Folgezeit entscheidende Siege gelangen.
Mit den außenpolitischen Erfolgen waren die innenpolitischen Probleme jedoch keineswegs beseitigt. Lucius Appuleius Saturninus spielte als Volkstribun in den Jahren nach 100 eine höchst zweifelhafte Rolle. Einerseits war Marius bei der Veteranenversorgung auf ihn angewiesen, andererseits billigte selbst Marius die rabiaten Methoden des Volkstribunen nicht. Schließlich erließ der Senat ein senatus consultum ultimum, sprach also den Staatsnotstand aus, und Saturninus wurde getötet. Marius‘ Ruf war damit schwer beschädigt, es folgten Jahre der konservativen Reaktion.
Marcus Livius Drusus war schließlich ein Hoffnungsträger, dem man aufgrund seiner familiären Herkunft zutraute, die tiefe Kluft zwischen Optimaten und Popularen zu überwinden. Sein Vater war 122 gegen Caius Gracchus vorgegangen, er selbst begann seine Karriere als gemäßigter Optimat, wurde dann jedoch Popular und versuchte die Probleme umfassend zu lösen, insbesondere plädierte er für das römische Bürgerrecht für alle Italiker. Als er jedoch 91 v. Chr. einem geheimen Mordanschlag zum Opfer fiel, waren alle Hoffnungen begraben; das Attentat war das Fanal für das Ausbrechen des Bundesgenossenkrieges 91-89 v. Chr. Ursprünglich war es den Bundesgenossen um die Erringung des römischen Bürgerrechts gegangen, doch als dies über Jahrzehnte ein bloßer Wunschtraum blieb, wandten sie sich tief frustriert einem anderen Ziel zu, der Gründung eines Staates der Italiker, unabhängig von Rom. Sogar eine Hauptstadt erkor man sich, Corfinium. In Analogie zum römischen Senat gründete man einen italischen Senat von 500 Mitgliedern, man wählte zwei Oberbeamte und 12 Prätoren. Sogar eigene Münzen wurden geprägt mit dem Kopf der Italia mit oskischer Beischrift. Der Krieg wurde mit äußerster Erbitterung geführt, offenbar gab es fanatische Kräfte, die ihn schon seit geraumer Zeit vorbereitet hatten. Gefährlich war natürlich auch, dass die Bundesgenossen die römische Kampfweise ja bestens kannten, sie kämpften selbst wie die Römer. Diese mussten anfangs empfindliche Niederlagen einstecken. Gnaeus Pompeius Strabo gelang es schließlich Asculum einzunehmen.
Aber auch gesetzgeberisch kamen die Römer den Aufständischen entgegen und spalteten sie geschickt auf. Die lex Iulia de civitate sociis danda verlieh allen Latinern und Bundesgenossen, die nicht gegen Rom kämpften, das römische Bürgerrecht. Ein Jahr später ermöglichte die lex Plautia Papiria allen freien Bundesgenossen bis zum Po Bürger zu werden, sofern sie innerhalb von 60 Tagen die Waffen niederlegten. Dieses Gesetz hatte durchschlagenden Erfolg, die Kämpfe flauten hierauf rasch ab. Im gleichen Jahr ergänzte eine lex Pompeia noch diese Italikergesetzgebung, alle Bundesgenossen nördlich des Po bekamen nun das latinische Recht, das ius Latii. D.h. wer ein politisches Amt in einer Stadt bekleidete, wurde automatisch römischer Bürger. Politisches Engagement lohnte sich also ganz konkret.
Das vielschichtige Bundesgenossensystem war damit entscheidend nivelliert. Von nun an sprach man, wenn man von den italischen Gemeinden sprach, nur noch von municipia et coloniae. Das politische Leben zentralisierte sich nun noch mehr in Rom, das Staatsgebiet der urbs war mit dem Gebiet Italiens bis zum Po identisch geworden. Und obwohl die meisten Neubürger ihre politischen Rechte in der Hauptstadt nicht ausüben konnten, entstand ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl der Vollbürger der italischen Halbinsel.
Im Jahre 88 war Sulla zum Konsul gewählt worden, da erreichte Rom eine schockierende Nachricht: Mithridates VI. Eupator von Pontos hatte an einem Tag angeblich 80.000 Römer und Italiker in Kleinasien ermorden lassen. Sulla erhielt den Oberbefehl gegen Mithridates, doch war diese Entscheidung nicht unumstritten. Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus drängte Sulla in Straßenkämpfen aus der Stadt und brachte den Oberbefehl für Marius durch. Daraufhin sammelte Sulla seine Truppen und marschierte von Nola aus mit vier Legionen auf Rom. Zum ersten Mal in der Geschichte Roms marschierte also ein römischer Feldherr mit feindlicher Absicht auf Rom. Damit war ganz offenbar, dass eine Berufsarmee auch gegen den Staat einsetzbar war. Sulla brach den Widerstand rasch. Rufus wurde auf der Flucht getötet, Marius floh nach Afrika.
Da Sulla rasch gegen Mithridates ziehen wollte, nahm er sich nur wenig Zeit für die Innenpolitik. Er hob aber die sulpicischen Gesetze auf und ließ Lucius Cornelius Cinna, den Konsul für 87, der ihm suspekt war, einen feierlichen Eid schwören, dass er in seiner Abwesenheit nichts gegen den neuen Kurs unternehmen würde. Von 87-84 ging Sulla in den Osten. Seine Kämpfe gegen Mithridates und die Eroberung Athens müssen hier außen vor bleiben. Konzentrieren wir uns auf die weitere Entwicklung in Rom und Italien.
Sobald Sulla außer Landes war, erklärte Cinna ihn zum Staatsfeind und beging Greueltaten an den Optimaten. Bis 84 beherrschte Cinna Rom, was für die Konservativen eine Schreckensherrschaft darstellte. Für die Massen stellte sich seine Regentschaft wohl positiver dar: Es gab einen großzügigen Schuldenerlass, die Währung stabilisierte sich, die Neubürger wurden auf alle 35 Tribus verteilt. Als Sulla 83 v. Chr. in Italien landete, kam es zum offenen Bürgerkrieg. Cinna wurde bei einer Meuterei von seinen eigenen Leuten getötet.
Für Etrusker und Samniten war dieser Bürgerkrieg eine Neuauflage des Bundesgenossenkrieges. Im Jahre 82 kam es zur Entscheidungsschlacht an der Porta Collina gegen die Samniten, die Sulla quasi vollständig vernichtete. Für die Jahre 82 und 81 war Rom ohne Konsuln; wir sehen also, wie sehr die Verfassung durch die Ereignisse in Mitleidenschaft gezogen war. In dieser Situation schuf sich Sulla eine Ausnahmemagistratur auf unbeschränkte Zeit zur Neuordnung des Staates. Er nennt sich nun dictator legibus scribundis et rei publicae constituendae. Grundlage ist nicht mehr der Senat, sondern der angebliche consensus universorum, ein interessantes Konzept, dessen sich auch Augustus bedienen wird. Diese neue Form der Diktatur ist sozusagen das innerstaatliche Gegenstück zur alten Diktatur bei äußeren Notlagen.
Zu Sullas Maßnahmen: Zunächst systematisierte Sulla die Rache an seinen politischen Gegnern in einem bis dahin unbekanntem Ausmaße. Tausende von unliebsamen Personen wurden auf die berüchtigten Proskriptionslisten gesetzt, also für vogelfrei erklärt. Sie durften ungestraft getötet werden, ihr Eigentum fiel an den Staat, sprich an die Günstlinge Sullas. Gegen „populare“ Städte wurde brutal vorgegangen, sie mussten Land für Sullas Veteranen bereitstellen. In den leges Corneliae ordnete Sulla den Staat in seinem Sinn neu. Die Zahl der Senatoren wurde durch die Aufnahme von Rittern von 300 auf 600 erhöht, damit die Bedeutung des Ritterstandes weiter geschwächt. Das Volkstribunat wurde stark beschnitten, insbesondere durfte ein gewesener Volkstribun kein weiteres Amt mehr bekleiden, was das Volkstribunat für ehrgeizige junge Männer völlig unattraktiv machte. Nur die Zenturiatskomitien dürfen noch über Gesetzesanträge entscheiden, nachdem sie der Senat genehmigt hatte; die Gesetzgebung war also ganz beim Senat monopolisiert, ebenso wie die Rechtsprechung. Sechs ständige Gerichtshöfe wurden eingerichtet, der cursus honorum festgelegt: Nach Bekleidung der Quästur erfolgt automatisch die Aufnahme in den Senat. Die Zahl der Prätoren erhöht sich von sechs auf acht. Damit geht eine Neuregelung der Provinzialverwaltung einher, die sogenannte lex Cornelia de provinciis ordinandis, die von einigen Althistorikern als unhistorisch eingeschätzt wird. Demnach werden die zehn Provinzen nun von den zehn Promagistraten verwaltet, also von zwei Proconsules und acht Proprätores. Was also ein Provisorium gewesen war, wird zur Dauereinrichtung. Nach dem Dienstjahr in Rom gehen die Magistrate nun als Statthalter in die Provinzen. Italien wird entmilitarisiert, Statthalter dürfen nur in ihrer eigenen Provinz Krieg führen. Damit versucht Sulla einen erneuten Bürgerkrieg zu verhindern. Größere Aufgaben, die provinzüberschreitendes Handeln erfordert hätten, konnten aber damit nicht bewältigt werden. D.h. auch die sullanische Ordnung trug dazu bei, dass der Staat immer wieder außerordentliche Kommanden verleihen musste und genau die unterhöhlten die Verfassung der Republik immer mehr. Um als zweiter Romulus zu gelten, erweitert Sulla das Pomerium. Auch den Jupitertempel baut er neu. Obwohl die konservativsten Regelungen bald nach seinem Tod rückgängig gemacht wurden, insbesondere wurde das Volkstribunat wiederhegestellt, blieben die meisten seiner Maßnahmen bis in die Kaiserzeit hinein in Kraft. Im Jahre 79 legte Sulla seine Diktatur aus freien Stücken nieder, die Gründe kennen wir nicht. Selbst den Zeitgenossen blieb er ein Rätsel.
Bei aller Brutalität kann man ihm eine gewisse gestalterische Kraft nicht absprechen. Es bleibt jedoch das Paradoxon, dass Sulla mit brachialer Gewalt Ordnung stiften wollte. Er verstand Gewalt als Mittel zum Zweck, um mit ihr eine bessere, d.h. konservativere Ordnung zu schaffen.
Die Entwicklung bis in die 50er Jahre soll hier nur in ganz groben Strichen nachgezeichnet werden. Die sullanische Ordnung erwies sich in ihren konservativsten Teilen als künstlich, das Rad der Geschichte konnte nicht mehr zurückgedreht werden. Als Pompeius und Crassus im Jahre 70 Konsuln waren, herrschte ein popularer Wind; in die sullanische Ordnung wurden Breschen geschlagen. Pompeius hatte sich seine Sporen im Krieg gegen Sertorius in Spanien verdient, 77-72 v. Chr.. Sertorius war ein römischer Offizier und Cinna-Anhänger, der 88 an der Wahl zum Volkstribunat gescheitert war. Als Prätor der Hispania Citerior baute er gute Beziehungen zu den Einheimischen auf und ab 80 fungierte er als Anführer der Lusitaner gegen die sullanische Verwaltung. Bald fanden sich viele Populare, Cinna-Anhänger und Marianer bei ihm ein. Wir sehen hier eine interessante Entwicklung: Konfliktfelder beginnen sich zu überlappen. Unmut in den Provinzen konnte mit innenpolitischen Kämpfen verknüpft werden. Letzten Endes wurde Sertorius von Perperna ermordet, dieser von Pompeius besiegt, im Grunde gab es doch eine Interessendivergenz zwischen Keltiberern und den römischen Anhängern des Sertorius.
In den Jahren 73-71 gelang es Crassus und Pompeius den Spartacus-Aufstand niederzuschlagen. Nie vorher und nie nachher lehnten sich so viele Sklaven und Arme gegen die römische Herrschaft auf. Wieder siegten die konservativen Kräfte.
Pompeius hatte sich immer wieder als fähiger Stratege erwiesen, ihm traute man große Dinge zu, auch im Jahre 67 den Kampf gegen die Seeräuberplage. Trotz Bedenken des Senates bekam Pompeius mit der lex Gabinia von 67 ein außerordentliches Kommando, mit dem er es schaffte, in angeblich 40 Tagen das Mittelmeer von den Seeräubern zu befreien. Das ist natürlich pompeianische Propaganda, Seeräuber gab es auch in der Kaiserzeit, gemeint ist wohl, dass er viele Piratennester an den Küsten niederbrennen konnte. So ausgewiesen, war Pompeius zu noch höherem berufen: Die lex Manilia, für die Cicero ausdrücklich plädierte, vertraute Pompeius den Krieg gegen Mithridates an, der immer noch nicht geschlagen war. In den Jahren 66 bis 62 operierte Pompeius im Osten, er war nun am Zenit seiner Macht und wuchs über die Beschränkungen der Republik hinaus. Er besiegte Mithridates und ordnete den Osten quasi neu. Syria und „Bithynia und Pontos“ wurden als zwei neue Provinzen eingerichtet. Im Falle des Pompeius sehen wir das Dilemma der Republik ganz deutlich: Sie war auf fähige Männer wie Pompeius angewiesen; ohne die außerordentlichen Kommandos waren die Dinge nicht mehr zu regeln, andererseits wuchsen diese Militärpotentaten gerade durch diese irregulären Kommandos aus der Republik hinaus und gebärdeten sich immer monarchischer. In Anlehnung an Alexander den Großen nannte er sich schließlich Pompeius Magnus, der Große, er fühlte sich außer- oder überhalb der Verfassung. Umso härter war die Konfrontation mit der Realität bei seiner Rückkehr.
In Rom war Pompeius eben kein Monarch, die Optimaten verwehrten ihm die Ratifizierung seiner Neuordnung im Osten und insbesondere die Versorgung seiner Veteranen mit Land. Diese Obstruktionspolitik von Seiten des Senats war alles andere als klug, drängte sie doch Pompeius dazu, sich andere Partner zu suchen, jenseits des Senats. Die Gründung des Ersten Triumvirats 60 v. Chr., bestehend aus Pompeius, Crassus und dem aufsteigenden Caesar, änderte das Kräftefeld der Politik. Mit vereinten Kräften konnten sie nun ihre Politik ungeniert am Senat vorbei machen, eine Zäsur, denn damit wurde deutlich, dass die Republik nicht mehr funktionierte. Zudem hatte sich ein Wandel im politischen Kraftfeld vollzogen: Früher waren außerordentliche Kommanden objektiv notwendig und hatten eine Wirkung auf die Innenpolitik, also einen sekundären Effekt (so bei Pompeius), jetzt drehte sich die Dynamik um: Um sich innenpolitisch aufzubauen, d.h. um sich eine starke Heeresklientel zu schaffen, brauchte man ein außerordentliches Kommando, es musste also eines künstlich, ohne Not, geschaffen werden, aus einer innenpolitischen Dynamik heraus. Im Prinzip war die alte populare Thematik bedeutungslos geworden, es gab nur noch ihre Fassade, ein Argumentationsmuster gegen innenpolitische Gegner, Optimaten, die noch an der überkommenen, aber sich allmählich auflösenden Ordnung festhielten.
Überspitzt könnte man also sagen: Caesars Kommando in Gallien, das er nach seinem Konsulat 59 v. Chr. durch die lex Vatinia bekam und das den Gallischen Krieg auslöste, war nur dazu gedacht, seine innenpolitische Stellung zu erhöhen. Nach dem Gallischen Krieg, der aus Caesars Sicht wohl nur Mittel zum Zweck war, hatte er also eine Machtstellung erreicht, die ihn auf einen Rang mit Pompeius hob, mit dem er nun in ein Kräftemessen eintreten konnte. Das Zeitalter der Bürgerkriege hatte begonnen.

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04 – Das Ausgreifen nach Osten, der Ausbruch der Krise, das Zeitalter der Gracchen

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Römische Geschichte I: Die Republik

04 – Das Ausgreifen nach Osten, der Ausbruch der Krise, das Zeitalter der Gracchen

Im letzten Podcast haben wir von der Expansion Roms im Westen gehandelt. Wir wollen uns heute dem Ausgreifen Roms nach Osten zuwenden, aber auch die Folgen in den Blick nehmen. Es wird deutlich werden, dass die ständigen Kriege in West und Ost nicht ohne verheerende Wirkungen im Inneren waren. Es ist kein Zufall, dass im Jahre des Sieges über Numantia (133 v. Chr.) Tiberius Gracchus als Volkstribun energische Reformen fordert; die Krise der Römischen Republik ist damit für jeden offenkundig geworden. Aber der Reihe nach: Auch dem Eingreifen Roms im Osten lag kein bewusster Plan zugrunde. Wie so oft zuvor, ließ sich Rom in Verwicklungen hineinziehen. Um 200 befand sich das Ptolemäerreich in der Krise. Ptolemaios V. Epiphanes war noch minderjährig, innere Wirren beutelten Ägypten. Die Folge war, dass die beiden anderen hellenistischen Großreiche, die Seleukiden und die Antigoniden die Chance sofort erkannten und zugriffen. Vielleicht sprachen sich Antiochos III. und Philipp V. sogar in einem Geheimvertrag ab. Wie dem auch immer sei, sie fielen über die ptolemäischen Außenbesitzungen an den Dardanellen, in der Ägäis, in Kleinasien und Syrien hier. Leidtragende waren aber auch die Mittelstaaten Pergamon und Rhodos. Diese beiden Mächte fühlten sich zunehmend bedroht und informierten den Senat in Rom. Dieser befürchtete eine große Koalition gegen Rom, und gegenüber Philipp V. war man sowieso misstrauisch. Sein Verhalten im Zweiten Illyrischen und v.a. während des Zweiten Punischen Krieges hatte man niemals vergessen. Die genauen Ursachen für den Ausbruch des Zweiten Makedonischen Krieges (er brach im Jahre 200 aus), so kurz nach dem Ende des Hannibalkrieges, sind nach wie vor umstritten. Nach anfänglichen gescheiterten Aktionen gelang es Titus Quinctius Flamininus 197 v. Chr., in der Schlacht von Kynoskephalai Philipp zu besiegen.
Flamininus bediente sich der alten hellenistischen Propaganda und erklärte die griechischen Städte an den Isthmischen Spielen von 196 für frei, d.h. von der Oberhoheit der Makedonen befreit. Bis 194 ordnet Flaminius die griechischen Verhältnisse, dann zieht er sich zurück. Die Römer wollen die Dinge natürlich in ihrem Sinne beeinflussen, doch denken sie noch nicht daran, eine formelle Herrschaft im Osten zu errichten. Nicht alle Griechen waren mit dem Ergebnis zufrieden: Die Ätoler beispielsweise waren enttäuscht, dass Makedonien immer noch existierte. Sie wandten sich nun an den Seleukiden Antiochos III., damit er für die Freiheit der Griechen gegenüber Rom eintrete, und dadurch braute sich bereits der nächste Konflikt zusammen. Antiochos hatte ab 212 massiv im Osten expandiert. Er träumte von der Wiedererrichtung des Alexanderreiches. Als Makedonien im Zweiten Römisch-Makedonischen Krieg zusammenbrach, witterte er sofort die Chance, in dieses Machtvakuum hineinzustoßen.
Die Einladung der Ätoler und anderer Griechen, sie gegen Rom zu unterstützen, kam ihm also sehr gelegen. 192 setzte er nach Griechenland über und löste so den Antiochos-Krieg aus, der also eine Folge des Krieges Roms gegen Makedonien war. Antiochos hatte sich verschätzt. Er hatte es den Römern wohl nicht zugetraut, länger im Osten agieren zu können. 190 überschritten die Römer zum ersten Mal den Hellespont und schlugen Antiochos vernichtend bei Magnesia am Mäander. Damit war Rom nun faktisch Herrin über die Ökumene, die damals bekannte Welt. Im Frieden von Apameia 188 wurde die Macht des Antiochos gebrochen, die Mittelstaaten Rhodos und Pergamon aufgebaut, um ein Gleichgewicht im Osten zu erhalten. Das Makedonen- und Seleukidenreich waren nun von Rom abhängig, das Ptolemäerreich war nach wie vor labil. Damit war die alte hellenistische Ordnung zerstört. Die neue Ordnung, die auf den Mittelstaaten als Parteigänger Roms beruhte, war künstlich.
Rom reagierte indirekt über Senatsgesandtschaften und Parteigänger in den Städten, das Denunziantentum blühte, ein Klima der Angst und der Unsicherheit griff um sich. Allmählich wurde den Griechen ihre Lage bewusst. Das Ansehen der Römer, denen sie vorher wohl zugetraut hatten, sie von den Makedonen zu befreien, sank; man empfand allmählich Mitleid mit den von Rom Geschlagenen. Als Perseus, der Sohn Philipps V., 179 die Thronfolge antrat, trug ihn eine Woge der Sympathie. Um eine gewisse anti-römische Stimmung zu erzeugen, erließ er eine Amnestie und einen Schuldenerlass. Delphi, die Seleukiden, ja sogar Rhodos und Pergamon brachten ihm Sympathie entgegen. 178 heiratete er Laodike, eine Tochter des Seleukos IV.. Auf die Römer wirkte diese Hochzeit wie ein Zusammengehen des besiegten Makedonen- mit dem besiegten Seleukidenreich. Obwohl Perseus nichts gegen Rom unternahm, nahmen die Römer Perseus als Bedrohung wahr.
Eumenes von Pergamon besann sich dann doch auf seine Verpflichtung gegenüber Rom und denunzierte Perseus. Obwohl also kein Kriegsgrund vorlag, kam es 171 zum Ausbruch des Dritten Makedonischen Krieges, den Lucius Aemilius Paullus 168 in der Schlacht von Pydna für Rom gewann. Rom war neurotisch geworden und fühlte sich von den unterworfenen Völkern immer mehr eingekreist und bedroht, obgleich dies ja nicht den Tatsachen entsprach. Nur so erklären sich die harten Maßnahmen der Römer bei Kriegsende. Makedonien wird in vier Teile zerschlagen, in Epirus werden 70 Städte geplündert. Das zeitweise perseusfreundliche Rhodos verliert Lykien und Karien und muss hinnehmen, dass Delos zum Freihandelshafen wird, ein Schlag, von dem sich die Handelsmacht Rhodos nie mehr erholen würde. Überall finden Säuberungsaktionen statt. Danach ist der griechisch-kleinasiatische Raum keine selbständige politische Größe mehr, es war offenbar Roms Ziel, die Verhältnisse dauerhaft zu destabilisieren.
146 verweigert der Achäische Bund Rom die Gefolgschaft, der Aufstand trägt auch eine soziale Note. Wieder reagiert Rom mit äußerster Härte und Brutalität: L. Mummius zerstört Korinth (im selben Jahr wird ja auch Karthago zerstört), Korinth wird geplündert, viele Kunstschätze nach Rom gebracht, der Achäische Bund wird aufgelöst, Griechenland wird nun vom Statthalter Makedoniens aus mitverwaltet. Mitte des zweiten Jahrhunderts ist Rom damit Herrin des gesamten Mittelmeerraumes.
Doch was war gewonnen? Die Rückwirkungen auf die Mehrzahl der Bevölkerung waren alles andere als positiv. Die dauernden Kriege hatten tiefe Wunden geschlagen. Das römische Heer war ein Milizheer. Die Bauern, die jahrelang in der Armee dienten, konnten nach ihrer Heimkehr, sofern sie überhaupt überlebten, ihre Felder kaum mehr bestellen. Reiche Senatoren wurden immer reicher und kauften den Kleinbauern ihre Höfe oft zu einem Spottpreis ab. Die Folge war die Proletarisierung der Bauern auf der einen Seite und die Herausbildung großer Latifundien auf der anderen Seite, die die Großgrundbesitzer von Heerscharen von Sklaven bewirtschaften ließen. Durch die unablässigen Eroberungskriege standen Sklaven v.a. aus dem Osten massenhaft zur Verfügung. Ihre billige Arbeitskraft verdrängte die Bauern oftmals sogar als Tagelöhner. Die vielen Bauern, die alles verloren hatten, strömten nach Rom und bildeten dort ein Unruhepotential. Sie waren immer weniger bereit, auf den weit entfernten Schlachtfeldern für Rom zu bluten. Im Kontext der enormen Schwierigkeiten, mit denen Rom vor Numantia zu kämpfen hatte, hören wir von Rekrutierungsschwierigkeiten. Die ersten Intellektuellen wurden nachdenklich. Um die Armee aufrechterhalten zu können, bedurfte es eines kräftigen Bauernstandes. Er musste also wieder gefördert werden, sofern man nicht auf ein anders militärisches System umsteigen wollte.
Die folgenden Jahrzehnte wurden von der politischen Auseinandersetzung darüber beherrscht, ob man den Bauern nun entgegenkommen sollte oder nicht. Gerade die konservativen Hardliner waren strikt dagegen, machten aber auch keine Alternativvorschläge, wie die militärische Schlagkraft Roms ohne grundlegende Reformen erhalten bleiben könnte. Rom war politisch in eine Sackgasse geraten. Es hatten sich fünf Hauptkonfliktfelder herausgebildet, die zum Teil parallel liefen, sich aber natürlich gegenseitig verstärkten:
Durch die zunehmenden Erfolge einzelner herausragender Familien, wie der Scipionen, knirschte es innerhalb der Nobilität. Es kam zu Macht- und Verteilungskämpfen. Zweitens versuchte sich die Nobilität gegenüber Aufsteigern im Senat, den sogenannten homines novi, abzugrenzen. Generell gilt, dass sich die Krise durch mangelnde soziale Mobilität verschärfte. Ein drittes Konfliktfeld zeichnete sich ab zwischen der alten Oligarchie und Neureichen aus dem Ritterstand, die sich in der Gracchenzeit immer mehr politisierten. Zwischen den Herrschenden in Rom und den italischen Verbündeten taten sich Abgründe auf. Die Forderungen der Bündner nach mehr Teilhabe prallten jahrzehntelang an der Mehrzahl der Senatoren ab, was zu enormer Frustration auf Seiten der socii führte. Und schließlich war das Verhältnis zwischen Herren und Sklaven niemals vorher und später so schlecht wie während der Hohen Republik, eben weil Sklaven aufgrund ihres billigen Preises schamlos ausgebeutet werden konnten.
Die Verelendung des römischen Bauerntums und die Unterdrückung der Bevölkerung in den Provinzen waren zusätzlicher Konfliktstoff. Die Krise verschärfte sich durch weitere destabilisierende Faktoren: Die mangelnde soziale Mobilität wurde bereits erwähnt. Es gab ein Stadt-Land-Gefälle. Die Mängel im Herrschaftssystem, das für einen Stadtstaat entworfen worden war, waren nicht mehr zu übersehen. Die Römer hatten nun ein Weltreich ohne Verwaltung!
Der griechische Einfluss auf persönlicher und gesamtgesellschaftlicher Ebene unterminierte das alte Normen- und Wertesystem. Die Krise wurde von den Zeitgenossen nicht primär als eine politische angesehen, wie wir das heute tun, sondern in den Deutungsparametern der moralisierenden Geschichtsschreibung als Dekadenz, als moralischer Verfall gedeutet. Die Kurzsichtigkeit vieler Politiker tat ein Übriges, um die Krise immer wieder eskalieren zu lassen. Aus der Furcht vor Reformen klammerten sie sich an eine unproduktive Obstruktionspolitik, die nur die eigenen Pfründe zu bewahren helfen sollte. Alte Gesetze, wie die gegen den Luxus oder das Gesetz zum Mindestalter bei Ämtern, wurden nicht mehr beachtet. Am Ende wurde in blutigen Bürgerkriegen der Monarchie der Weg geebnet, der Rahmen der Republik, der dem Reich offenbar nicht mehr angemessen war, wurde vernichtet; das Sozialsystem blieb jedoch bestehen, der Beweis dafür, dass es sich im Kern um eine politische Krise handelte, die natürlich viele soziale Komponenten beinhaltete.
Die oben genannten Konfliktfelder entluden sich blutig in vier Hauptkonflikten: Sklavenkriege suchten die Republik ab den 190ern heim. Der Widerstand der geschundenen Provinzialen führte zu massiven Aufständen gegen Rom. Die Italiker führten schließlich den sogenannten Bundesgenossenkrieg (91-89 v. Chr.), der die Landkarte Italiens noch einmal entscheidend veränderte. Der Hauptkonflikt innerhalb des römischen Bürgertums fand zwischen den konservativen Optimaten und den Popularen statt, ebenfalls Aristokraten, die allerdings Politik über die Volksversammlungen, also am Senat vorbei, betrieben. Seit den 80ern des ersten Jahrhunderts ging es dann nicht mehr um die Stärkung des italischen Bauerntums, sondern nur noch um die Macht zwischen Militärpotentaten.
Nach der Eroberung Korinths und Karthagos 146, der Einnahme Numantias unter hohen Verlusten 133 und vorausgegangenen Sklavenkriegen spitzte sich die Lage in den 130ern gefährlich zu. Als Tiberius Sempronius Gracchus 133 Volkstribun wurde, nahm er sich vor, Reformen durchzuführen, die er umsichtig plante. Die alte Bestimmung, nach der niemand mehr als 500 iugera (125 ha) vom ager publicus in Besitz haben dürfte, mit 250 mehr für max. zwei erwachsene Söhne, wurde wieder eingeschärft. Der darüber hinausgehende Mehrbesitz fiel zurück an den Senat, allerdings mit einer Entschädigungszahlung für die, die Grund abgeben mussten. Das zur Verfügung stehende Staatsland wurde dann zu dreißig iugera an mittellose Bürger verteilt und zwar als unveräußerlicher Besitz in Erbpacht. Eine Ackerkommission, der beide Gracchen und Appius Claudius Pulcher angehörten, organisierte die Reform, die auf stärksten Widerstand im Senat stieß.
Dabei war das Ziel nicht revolutionär, die Stärkung des italischen Bauernstandes, um die Rekrutierungsbasis zu erhalten. Aber die Methode, über die Volksversammlung zu gehen, war revolutionär. Die Dinge schaukelten sich hoch. Ein Optimat, Marcus Octavius, legte als Volkstribun sein Veto gegen den Kollegen ein. Daraufhin verbot Tiberius Gracchus allen Magistraten bis zur Abstimmung die Amtsführung und strich die Klausel über die Entschädigung der Großgrundbesitzer, woraufhin diese Trauerkleidung anlegten.
Alle 35 Tribus stimmten für die Amtsenthebung des Marcus Octavius, was illegal war, denn Volkstribunen waren ja sakrosankt. Die lex Sempronia agraria ging aber durch und Zehntausende wurden mit Land versorgt. Weitere Gesetzesvorhaben scheiterten jedoch, Tiberius hatte Angst, nach seiner Amtszeit angeklagt und verurteilt zu werden, weswegen er, auch illegalerweise, seine Widerwahl für das Jahr 132 betrieb. Damit war das Prinzip der Annuität verletzt. Die Optimaten warfen Tiberius nun das Streben nach der Königswürde vor. Bei der Wiederwahl kam es zu Gewalt, ein senatus connsultum ultimum, also der Staatsnotstand, wurde ausgerufen, Tiberius und 300 seiner Anhänger wurden getötet.
Zehn Jahre später wurde sein Bruder Caius Gracchus Volkstribun. Er war noch überzeugter als sein Bruder, dass die Macht der konservativen Senatoren gebrochen werden musste, um Reformen zum Durchbruch zu verhelfen. Sein Instrument hierzu waren die leges frumentariae und die Rittergesetze, Gesetze, die den Rittern eine Teilhabe an den Gerichten als Geschworene sicherten. Es ist interessant, dass nur diese Mittel zum Zweck erhalten bleiben sollte, nicht aber das Reformwerk des Caius, das nach seinem Tod demontiert wurde. Das Richteramt und die Vergabe der Steuerpacht an die Ritter machten diese zur zweiten staatstragenden Schicht neben den Senatoren. Mit populären Maßnahmen für die plebs, dem Bau von Speichern, Straßenbau in ganz Italien und dem Verbot der Aushebung unter Siebzehnjähriger betrieb er seine Wiederwahl für 122. Sein Vorhaben jedoch, die Kolonisationstätigkeit wiederzubeleben, indem er eine Kolonie auf dem Boden des zerstörten Karthago plante, schaffte böses Blut. Er unterschätzte das italozentrische Denken vieler Bauern, v.a. aber wurde die Beteiligung von Italikern abgelehnt. Die Optimaten versuchten nun, Caius mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und lancierten über Marcus Livius Drusus ebenfalls volksfreundliche Projekte, auf die wiederum Caius reagierte. Seine weitgehenden Vorschläge, den Latinern das volle Bürgerrecht zu geben und den Bundesgenossen zu erlauben, an den Abstimmungen in Rom teilzunehmen, ihnen also faktisch das latinische Recht zu geben, entfremdeten Caius von der plebs wie von den Rittern. Hätte man zu diesem Zeitpunkt noch auf Caius Gracchus gehört, wäre der spätere Bundesgenossenkrieg wohl noch vermeidbar gewesen. Caius wurde für das dritte Tribunatsjahr nicht wiedergewählt, damit war er politisch gescheitert.
Als der Konsul Lucius Opimius schließlich daran ging, die Reformen von 123/22 zu demontieren, griff Caius zu einer symbolträchtigen Aktion: Er besetzte den Aventin, den heiligen Hügel der plebs, woraufhin wieder der Staatsnotstand ausgerufen wurde. Caius beging Selbstmord, 250 seiner Anhänger wurden getötet, mehr als dreitausend Menschen kamen bei den Säuberungsaktionen ums Leben. Als schließlich Ruhe herrschten, errichteten die Nobiles einen Concordia-Tempel!
Die Folgen waren verheerend: 111 schaffte eine neue lex agraria die Pachtzinsregelung ab, das Land wurde damit in volles Privateigentum umgewandelt und konnte somit wieder von den Großgrundbesitzern aufgekauft werden. Das Hauptziel des Reformprogramms war damit gescheitert. In der Bundesgenossenfrage hatte sich gar nichts bewegt. Immer mehr geriet der Kampf zwischen Optimaten und Popularen zum reinen Machtkampf zwischen Aristokraten, die sich lediglich auf unterschiedliche Machtbasen stützten. Auf popularer Seite geriet der Bezug auf die Ständekämpfe zur Romantik. Das Volk wurde von den Aristokraten nur instrumentalisiert.
Von den Gracchen blieben nur ihre Instrumente übrig, die Getreide- und die Rittergesetze. Ritter hatte es natürlich schon vor den Gracchen gegeben, doch dadurch, dass sie nun in den Geschworenengerichten zu einer staatstragenden Schicht wurden, entwickelten sie erst ein bleibendes Standesbewusstsein, ein wichtiges, wenn auch nicht intendiertes Vermächtnis der Gracchen.
Und die Gracchenzeit hatte noch gravierendere Folgen: Gewalt in der Innenpolitik war zu einem probaten Mittel geworden, politische Kämpfe auszutragen. Vor Mord und Totschlag wurde fortan bei der Verfolgung der eigenen Ziele nicht mehr zurückgeschreckt. Die Konflikte zwischen Optimaten und Popularen eskalierten in den folgenden Jahrzehnten zu Bürgerkriegen, die erst Octavian beenden sollte.

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03 – Die Unterwerfung Italiens, das Ausgreifen nach Westen

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Werner Rieß
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Römische Geschichte I: Die Republik

03 – Die Unterwerfung Italiens, das Ausgreifen nach Westen

Ein wesentliches Merkmal der Römischen Republik ist das ungeheure Ausgreifen Roms, zuerst in Italien, dann sogar in den gesamten Mittelmeerraum. Diese Geschichte der Expansion kann hier nur in den allergröbsten Umrissen nachgezeichnet werden, v.a. geht es mir jedoch um eine Bewertung dieser Vorgänge, was die Ursachen für diese fortlaufende Expansion waren, wie sie überhaupt erst möglich wurde und was dies für Rom und die unterworfenen Völker eigentlich bedeutete. Bis zur Eroberung Süditaliens können wir grob drei Phasen unterscheiden, 1. bis zur Kelteninvasion von 387, die zweite Phase bis zur Unterwerfung Latiums 338 und schließlich bis zur Unterwerfung Süditaliens 264.
Um diese gewaltige Expansion zu erklären, wurden viele Theorien vorgebracht. Im Wesentlichen kann man drei Argumentationslinien ausmachen, die ihrerseits wieder viele Verästelungen aufweisen.
Die Römer selbst waren überzeugt, dass sie nur reagierten und sich verteidigten, dass also die Sicherheitspolitik notwendigerweise eine immer weitere Ausdehnung des Herrschaftsgebietes nach sich zog. Man könnte also von einem defensiven Imperialismus sprechen. Natürlich fehlt es nicht an Stimmen moderner Forscher, die sehr wohl von einer planmäßigen Expansion ausgehen und den Römern intentionales Handeln unterstellen. Ein dritter Erklärungsversuch bezieht die innenpolitischen Verhältnisse mit ein: Die Ständekämpfe machten immer wieder Landverteilungen notwendig, und die römische Oberschicht glaubte wohl, die sozialen Probleme am besten durch Expansion, also auf Kosten Dritter, lösen zu können. Die Expansion würde sich also nach dieser Theorie aus einer innenpolitischen Dynamik heraus begründen. Der Begriff des Sozialimperialismus, der aus der Imperialismus-Forschung stammt und dort das 19. Jh. charakterisiert, würde dann also angewandt werden können.
Wie dem auch immer sei, ein so komplexes Phänomen wie die römische Expansion lässt sich auf keinen Fall monokausal erklären. Natürlich hatten die Römer zu Beginn nicht vor Augen, das gesamte Mittelmeergebiet zu beherrschen. Planmäßig war jedoch ihr Vorgehen gegen die immer neuen Nachbarn, wenn ihre Interessen in irgendeiner Weise bedroht zu sein schienen. Dass die Römer oft reagierten und auch aus innenpolitischen Impulsen heraus handelten, wird man nicht leugnen können. Alle Theorien haben also etwas für sich. Nur in der Kombination der verschiedenen Erklärungsansätze wird man der Erklärung der römischen Expansion ein Stück näher kommen können.
Das 5. Jh. war von Kämpfen um Veji und von Kämpfen Roms gegen die Latiner und sabellisch-oskischen Stämmen geprägt, die von den Apenninen immer wieder in die fruchtbaren Ebenen Kampaniens und Latiums hinunterdrängten. Insgesamt sehen wir jedoch bis zu den Kelteneinfällen eine erste Konsolidierung des römischen Machtbereichs.
Gehen wir ganz kurz auf die Latiner, die Kelten, die Samniten und die Etrusker ein und schließlich den Krieg gegen Tarent und König Pyrrhos von Epirus. Damit sind wir dann kurz vor dem Ausbruch des ersten Punischen Krieges angelangt. Um den Erfolg der Römer in den Punischen Kriegen zu verstehen, müssen wir uns auch den Umgang der Römer mit den Unterworfenen vergegenwärtigen und die Grundzüge des Bundesgenossensystems skizzieren.
Mit den Latinern ist Rom in einem frühen Vertrag, dem sogenannten Foedus Cassianum verbunden, der traditionellerweise auf 493 datiert wird; andere Datierungen sind jedoch möglich. Allmählich kommt es zu Konflikten, die im Latinerkrieg 340-338 eskalieren. Rom gewinnt diesen Krieg und verdreifacht dadurch sein Gebiet. Die Latiner werden integriert, dadurch verdoppelt sich das Wehrpotential Roms. Einige Latinerstädte behalten ihren selbständigen Status, die meisten jedoch werden voll in das römische Staatsgebiet integriert. Somit hat Rom nun, anders als die meisten griechischen Stadtstaaten, ein Territorium mit zahlreichen kleineren städtischen Siedlungen.
Die Kelten dringen zu Beginn des vierten Jahrhunderts in die Poebene vor. König Brennus kann die Römer in der Schlacht an der Allia 387 entscheidend schlagen; für die Römer war das ein Trauma bis in die Tage Caesars. Die Gallier nahmen nicht nur die Poebene in Besitz, sondern zerstörten Rom bis auf das Kapitol. Camillus konnte die Invasoren jedoch auf dem Boden der zerstörten Stadt schlagen und die Übersiedlung der Römer nach Veji verhindern. Nach weiteren Vorstößen der Gallier nach 360 sicherten sich die Römer durch einen Vertrag ab. 283 schlugen die Römer Kelten und Etrusker am Vadimonischen See, Dentatus eroberte das Gebiet der Senonen an der Adria und richtete den ager Gallicus als Pufferzone zwischen dem römischen Italien und dem keltischen Oberitalien ein.
Bzgl. der Samniten unterscheidet die Annalistik drei Kriege, 343-341, 326-304 und schließlich 298-290 den Dritten Samnitenkrieg, der auch als Italischer Krieg bezeichnet wird. Vor allem der Zweite Samnitenkrieg (326-304) ist nicht nur aufgrund seiner Dauer wichtig. Die Römer erlitten 321 eine demütigende Niederlage bei Caudium. Das Heer beider Konsuln wurde unter das Joch, das sogenannte Kaudinische Joch geschickt, eine Schmach, die die Römer nie vergaßen. Da die starre Phalanx der Römer im unwegsamen Berggelände Schwierigkeiten hatte, kam es zu einer folgenreichen Heeresreform. Die Römer gaben die Phalanx auf und führten die Drei-Treffen-Ordnung ein (hastati, principes, triarii), übernahmen den samnitischen Wurfspeer, das pilum, als Angriffswaffe und führten die lockere Manipel-Ordnung ein. 30 Manipel bildeten fortan eine Legion. Mit dieser neuen Militärordnung gelang es den Römern schließlich, die Samniten niederzuringen. Große Gebiete Samniums wurden annektiert, Samnium wurde durch römische Koloniegründungen von drei Seiten eingeklammert. Nach dem Dritten Samnitenkrieg, in dem auch die Sabiner unterworfen wurden, waren die Samniten heerespflichtige Bundesgenossen. Rom war nun durch das Festungsnetz und das Bundesgenossensystem unbestrittene Hegemonialmacht in Mittelitalien. Als die Samniten sich König Pyrrhos von Epirus anschlossen, schloss Rom ein Bündnis mit Karthago, um dieser Gefahr Herr zu werden. Nach dem Sieg über Pyrrhos wurde der samnitische Bund endgültig aufgelöst, Vertragsschlüsse mit Rom wurden aufoktroyiert, die Samniten mussten ein Drittel ihres Gebietes abtreten. Die Römer sicherten das Gebiet durch Straßenbau und Koloniegründungen, an erster Stelle ist hier Beneventum zu nennen.
Die Kämpfe gegen die Etrusker ziehen sich von 477 bis 264 hin. Die gens Fabia unternahm 477 einen Privatkrieg gegen Veji und wurde praktisch vernichtet. Die Fabier mussten einsehen, dass die Zeit der Privatfehden ohne das römische Hauptaufgebot vorbei war. 474 verloren die Etrusker schwer gegen Hieron I. von Syrakus in der Seeschlacht von Cumae, worauf sie ihren Einfluss in Kampanien und Latium einbüßten. Mit Rom schlossen sie daher einen Waffenstillstand. In einem zehnjährigen Entscheidungskampf (406-396) rang Rom schließlich den alten Rivalen Veji nieder. Weitere Kriege folgten, insbesondere schlossen sich die Etrusker in den Samnitenkriegen gerne den Samniten an. 310 und 283 wurden die Etrusker von den Römern am Vadimonischen See geschlagen. 264 schließlich gelang es den Römern, Volsinii Veteres, das heutige Orvieto, zu zerstören und damit das religiöse Zentrum der Etrusker.
Noch während dieser Kämpfe braute sich in Unteritalien eine Gefahr zusammen. Tarent hatte 282 v. Chr. römische Schiffe vor der Küste versenkt, die allerdings vertragswidrig im Golf von Tarent gekreuzt waren. Zudem griff Tarent Thurii an, zwang die dortige römische Besatzung zur Kapitulation und behandelte römische Gesandte schimpflich. Erschwerend kam hinzu, dass König Pyrrhos von Epirus, der wenig Aussichten auf den makedonischen Königsthron hatte, als Sachwalter der Griechen in Unteritalien auftrat. In einer ersten Schlacht bei Heraclea 280 gelang ihm mit seinen Kriegselefanten ein Sieg über die Römer. Die Folge war, dass Samniten, Lukaner und Bruttier von Rom abfielen, aber die ganz große Abfallbewegung blieb aus.
Wie später im Krieg gegen Hannibal, bewährte sich das römische Festungs- und Bundesgenossensystem. Nach der Schlacht von Asculum, in der Pyrrhos einen verlustreichen Sieg errang (Pyrrhos-Sieg), und der unentschiedenen Schlacht von Beneventum kehrte Pyrrhos nach Epirus zurück. Ein epirotischer Kommandant übergab Tarent an die Römer, damit war Rom nun auch Herrin über Süditalien, die Magna Graecia wurde in das römische Herrschaftssystem eingegliedert, die griechischen Städte als socii navales zur Gestellung von Schiffen verpflichtet. Somit war Rom von einem Tag auf den anderen auch Seemacht. In dieser neuen Stellung als Hegemonialmacht über Süditalien war Rom nun aber auch für die Probleme der Griechenstädte verantwortlich und d.h. Rom musste sich auch irgendwann mit Karthago auseinandersetzen, das in Westsizilien präsent war.
Bevor wir jedoch auf die Punischen Krieg eingehen, müssen wir in aller Kürze das Römische Bundesgenossensystem skizzieren, das nicht nur Folge der Expansion war, sondern deren Ergebnis auch herrschaftspolitisch absicherte. Dabei war das Bundesgenossensystem keine Ordnung, die künstlich auf dem Reißbrett in überlegter Planung entstanden wäre. Die Römer waren Pragmatiker und verschriftlichten den Umgang mit ihren Bündnern kaum. Jede Stadt wurde, je nachdem wie sie in den Kriegen zu Rom stand, unterschiedlich behandelt. Ein Flickenteppich mit sehr diversen Verhältnissen der Landstädte zu Rom entstand organisch, aus der jeweiligen Situation heraus.
Nun kurz zu den verschiedenen Statusgruppen, von oben nach unten. Römische Bürger, cives Romani, waren außerhalb Roms drei Gruppen: In der Frühzeit beteiligten sich nur Bürger an Koloniegründungen; diese Siedler blieben römische Bürger und erhielten eine begrenzte Selbstverwaltung. Im vierten und dritten Jahrhundert wurden diese Siedlungen ausschließlich an der Küste gegründet, wie etwa Antium oder Ostia. Sie hießen daher entweder coloniae civium Romanorum oder coloniae maritimae.
Dann gab es die municipia, Gemeinden der jeweiligen ortsansässigen Bevölkerung mit vollem römischen Bürgerrecht und kommunaler Selbstverwaltung, sie waren voll integriert. Die dritte Stufe waren die civitates sine suffragio, wie Caere und Capua. Die Einwohner dieser Gemeinden hatten das römische Bürgerrecht außer dem Recht, an der Wahl römischer Magistrate mitzuwirken, sie waren also auch nicht Teil der Tribusordnung. Diese civitates genossen volle innere Autonomie, mussten allerdings Soldaten stellen. Diese Halbbürgergemeinden, wie Mommsen sie etwas missverständlich bezeichnete, trugen durch diese Teilintegration wesentlich zur Romanisierung Italiens bei. Die meisten waren bis zum zweiten Jahrhundert voll in den römischen Bürgerverband integriert. Am Ende der Republik gab es also nur noch coloniae und municipia.
Gehen wir nun zu den Latinern: Hier unterscheidet man die prisci Latini, also die alten Latiner, d.h. die nach dem Latinerkrieg selbständig gebliebenen Städte, von den berühmten coloniae Latinae, die auf ehemals feindlichem Territorium gegründet wurden. Römer, die dorthin zogen, verloren zwar ihr römisches Bürgerrecht und bekamen das der latinischen Kolonie, das das Heirats- und Handelsrecht mit Rom einschloss, genossen dafür aber volle innere Souveränität. Bei einer Übersiedlung nach Rom lebte das römische Bürgerrecht wieder auf. Diese latinischen Kolonien hatten oftmals festungsartigen Charakter, sie zernierten z. B. Samnium. Livius bezeichnet sie auch als propugnacula, als Bollwerke Roms in Italien. Da diese Städte autonom waren und eigene Verfassungsorgane hatten, waren sie im Notfall rasch handlungsfähig. Die latinischen Kolonien, die ganz wesentlich zur Romanisierung Italiens beitrugen, waren also nicht historisch gewachsen, sondern eine künstliche Konstruktion, die die Idee des antiken Stadtstaates zugunsten der Idee der territorialen Herrschaft sprengte. Man war nun nicht mehr Bürger einer bestimmten Stadt, sondern Träger eines bestimmten Typus von Bürgerrecht. Die Rechtstellung war abstrakt und hob die städtische Individualität auf. Diese coloniae Latinae waren nicht nur wegen ihrer exponierten Lage im Feindesland auf Gedeih und Verderb mit Rom verbunden; auch in ihrem ganzen Charakter und dem Gefühl ihre Bewohner nach waren sie zu Rom gehörig.
Ganz unten standen die Bundesgenossen, die socii, deren Territorium fünf Sechstel Italiens ausmachte. Nominell behielten sie ihre Souveränität, insbesondere auch ihr eigenes Bürgerrecht und ihre Selbstverwaltung, allerdings waren sie Rom gegenüber zur Truppenstellung verpflichtet und verloren damit ihre außenpolitische Unabhängigkeit. Die Gemeinden der Bundesgenossen waren in bilateralen Verträgen, die immer anders aussehen konnten, an Rom gebunden.
Das Bundesgenossensystem war ein einmaliges Konstrukt und ein hoch kompliziertes Geflecht. Es gab keinen Bundeswillen, der in einer Bundesorganisation seinen Ausdruck hätte finden können. Rom war stets Vormacht, nicht Partner, die Verbündeten damit Abhängige. Die bilateralen Verträge mit Rom waren unauflöslich. Abgefallene wurden von Rom hart bestraft. Nach dem Prinzip divide et impera, teile und herrsche, hatten die Römer ein fast perfektes Herrschaftsinstrument zur Verfügung. Mit sechs Millionen Menschen war das römische Bundesgenossensystem im Mittelmeerraum ein unvergleichlicher Machtfaktor. Damit war vorgezeichnet, dass Rom in der Lage sein würde, schließlich die ganze damals bekannte Welt zu beherrschen. Aber noch ein anderer Faktor ist wichtig:
Durch seine Herrschaftsorganisation bringt Rom seine Kultur und Zivilisation nach ganz Italien. Rom wird zum Vorbild der italischen Eliten, der Magistratsordnung und auch der Landwirtschaft. Die alten Gegensätze der verschiedenen Stämme verloren zunehmend an Bedeutung. Man spricht auch von der Munizipalisierung Italiens unter der Römischen Republik. Wir stehen zeitlich nun am Ende des Pyrrhos-Krieges und vor dem Ausbruch des Ersten Punischen Krieges.
Es mutet seltsam an, dass sich die Römer nur wenige Jahre nach dem verlustreichen Sieg über Pyrrhos auf das nächste außenpolitische Abenteuer einließen. Das kann nur bedeuten, dass sie ihr Engagement auf Sizilien für die sogenannten Mamertiner, kampanische Söldner oskischer Herkunft, als zeitlich begrenzte Aktion angesehen haben müssen. In was für ein Wespennest sie in Sizilien hineinstechen würden, und welch zähes Ringen mit Karthago die Folge sein würde, konnten sie wohl nicht abschätzen.
Da die Ereignisgeschichte der drei Punischen Kriege sehr gut bekannt ist, möchte ich hier nur auf die Bedeutung der jeweiligen römischen Siege eingehen. Im Ersten Punischen Krieg (264-241) wird Rom notgedrungenerweise zur Seemacht. Karthago muss gemäß dem Lutatius-Vertrag große Kriegskontributionen leisten, alle Gefangenen ausliefern und die Liparischen und Ägatischen Inseln räumen. 237 besetzen die Römer Sardinien, weil sie karthagische Söldner nicht in ihrem Vorfeld dulden wollten und richteten Sardinien und Korsika 227 als Provinz ein. Das Gleiche passiert auch mit Sizilien. Damit ist Rom Herrin über das Tyrrhenische Meer. Um den Verlust des Krieges auszugleichen, expandieren die Karthager unter der Familie der Barkiden, der auch Hannibal angehören sollte, verstärkt in Spanien. Die Römer betrachteten diese Machtausdehnung der Karthager mit Argwohn und hatten wohl insbesondere Angst, dass sich die karthagische Einflusssphäre immer mehr an Südgallien heranschob. Damit hätte für die Karthager die Möglichkeit bestanden, sich mit den Kelten gegen Rom zu verbünden.
Die Gründe für den Ausbruch des Zweiten Punischen Krieges sind in der Forschung aufgrund der Sagunt- und Ebrofrage höchst umstritten. Der Verlauf des Hannibal-Krieges ist gut bekannt. Es kann nur spekuliert werden, warum Hannibal nach der vernichtenden Niederlage der Römer bei Cannae nicht auf Rom direkt marschierte. Er überschätzte wohl das noch zur Verfügung stehende Abwehrpotential der Römer. Nur aufgrund des vorhin skizzierten Bundesgenossensystems konnte sich Rom schließlich mit größter Mühe durchsetzen, Hannibal zum Abzug aus Italien zwingen und die Karthager in der Schlacht von Zama 202 besiegen. Der Frieden, den Rom Karthago diktierte, stellte die karthagische Souveränität in Frage und legte somit die Grundlage für den Dritten Punischen Krieg. Karthago musste auf alle Besitzungen außerhalb Afrikas verzichten. Das größte historische Ergebnis des Zweiten Punischen Krieges ist sicher, dass die Römer nun voll auf Spanien zugreifen konnten. Und obwohl es dort massive Probleme bis Augustus gab, beginnt hier doch die frühe und intensive Romanisierung Spaniens. Die Karthager müssen des Weiteren ein vergrößertes numidisches Reich unter König Massinissa dulden, der als Aufpasser der Römer vor Ort fungiert. Sie müssen ihre ganze Flotte bis auf 10 Schiffe ausliefern, eine Schmach für die einstmals so stolze Handelsnation. Eine gewaltige Kriegskontribution muss gezahlt werden, dazu müssen 100 vornehme Geiseln gestellt werden. Jede Kriegführung außerhalb Afrikas wird Karthago verboten, innerhalb Afrikas wird sie von der Zustimmung der Römer abhängig gemacht. Ab ca. 150 wehrt sich Karthago gegen diese aufoktroyierten Bestimmungen. Rom sieht den Friedensvertrag von 201 verletzt und erklärt nur zu gerne den Krieg. Die Karthager sind fast zu allem bereit, um den Frieden zu bewahren, sogar einer Entwaffnung hätten sie offenbar zugestimmt. Doch der römischen Aufforderung, die Stadt aufzugeben und landeinwärts zu siedeln, konnten sie nicht Folge leisten. Es entspann sich ein mehrjähriger Verzweiflungs- und Existenzkampf. Scipio Aemilianus, der 133 auch noch über Numantia in Spanien siegen sollte, erobert 146 Karthago und macht die Stadt dem Erdboden gleich.
Parallel zu dieser Entwicklung im Westen, wurde Rom auch immer aktiver im Osten. Diese Expansion im Osten wird Gegenstand des nächsten Podcasts sein. Es wird auch deutlich werden, dass die ständigen Kriege in West und Ost nicht ohne verheerende Wirkungen im Inneren waren. Es ist kein Zufall, dass im Jahre des Sieges über Numantia (133 v. Chr.) Tiberius Gracchus als Volkstribun energische Reformen fordert; die Krise der Römischen Republik ist damit für jeden offenkundig geworden.

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02 – Das Zeitalter der Ständekämpfe

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Römische Geschichte I: Die Republik

02 – Das Zeitalter der Ständekämpfe

Nach der Beseitigung der Königsherrschaft standen sich zwei große soziale Gruppen antagonistisch gegenüber: Die reichen Patrizier, die bereits begannen, sich zu einer Art Kaste abzuschließen und die Plebejer, die in ökonomischer, sozialer und politischer Hinsicht von den Patriziern abhängig waren. Dabei waren die Plebejer durchaus eine sehr heterogene Gruppe. Die Armen unter ihnen forderten einen weitgehenden Schuldenerlass, insbesondere die Abschaffung der Schuldknechtschaft, zudem eine Neuverteilung des Landes und mehr Rechtssicherheit, weil die Patrizier offenbar die mündlich tradierten Gesetze in ihrer Funktion als Richter zu ihren Gunsten auslegten. Die reicheren Plebejer hatten andere Ziele: Durch die Einführung der Kampfweise der Phalanx hatten sie als schwerbewaffnete Fußsoldaten nun die Hauptlast im Krieg zu tragen. Dies stärkte ihr Selbstbewusstsein und sie strebten nach mehr politischer Partizipation, um beispielsweise über Krieg und Frieden mitentscheiden zu können. Als die Notlage durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren immer unerträglicher wurde, solidarisierten sich die verschiedenen Interessensgruppen der Plebejer zu Beginn des fünften Jahrhunderts und konnten sich auf ein konzertiertes Vorgehen gegen die Patrizier verständigen. Durch Machteinbußen in Latium nach dem Rückzug der Etrusker muss die Verschuldung zugenommen haben. Das demographische Wachstum führte dazu, dass es immer mehr grundbesitzlose Menschen gab. Die Erbteilung tat ein Übriges, um die Lebensgrundlage vieler Menschen weiter zu unterminieren. Die wirtschaftliche Ausbeutung durch die Patrizier, die als Kreditgeber auftragen, ist ein wichtiger Faktor, ebenso wie ihre ungerechte Rechtsprechung. Wenn Bauern nach Missernten geliehenes Kapital nicht mehr zurückzahlen konnten und immer weiter in den Strudel der Verschuldung hineingezogen wurden, drohte die Schuldknechtschaft, also die Versklavung des bankrotten Schuldners, eine Entwicklung, die wir in ganz ähnlicher Weise im Griechenland der archaischen Zeit kennengelernt hatten. Die Plebejer waren jedoch keine Revolutionäre; in ihrer Mehrheit waren sie für Reformen, nicht für einen grundlegenden Umsturz. Doch die Patrizier zeigten sich nicht kompromissbereit. Der Kampf begann, als günstige Faktoren zusammenkamen: Nach der Vertreibung des letzten etruskischen Königs hatte Rom auch die etruskische Schirmherrschaft verloren und war auswärtigen Feinden ausgesetzt, denen man nun selbst Herr werden musste, wie etwa den Einwohnern von Veji oder den Volskern und Äquern. Die Plebejer wussten sehr wohl, dass die Patrizier in diesen Abwehrkämpfen auf sie angewiesen waren, sie bildeten ja schließlich das Rückgrat der Infanterie. Eine Art Generalstreik, der legendäre Auszug der Plebs aus der Stadt Rom auf den nahe gelegenen Hügel Aventin 494 v. Chr., bildete als secessio plebis das Fanal für den Beginn der Ständekämpfe.
Bevor ich versuchen werde, den Verlauf der Ständekämpfe in Grundzügen nachzuzeichnen, möchte ich kurz auf ihre Bedeutung für die römische Republik eingehen und auf eine mögliche Gliederung dieser langen Epoche in verschiedene Phasen. Das politische Produkt der Ständekämpfe sozusagen war die ungeschriebene Verfassung der römischen Republik, die um ca. 300 v. Chr. voll ausgebildet war. Sie sollte sich in den Samnitenkriegen und in den Punischen Kriegen bestens bewähren. Unter Erweiterungen und Modifizierungen sollte sie bis zu Caesars Diktatur im Wesentlichen in Kraft bleiben.
Sozialpolitisch ist die Genese der Nobilität von Bedeutung, einer neuen Elite innerhalb des Senats, die aus den Patriziern und den führenden Kreisen der Plebejer zusammenwuchs. Diese Herrschaftselite ist von Matthias Gelzer eindringlich beschrieben worden. Sie bestimmte die Geschicke der Republik ganz wesentlich.
Grob einteilen lässt sich diese Epoche in zwei distinkte Phasen. Eine erste Phase bildet das fünfte und das erste Drittel des vierten Jahrhunderts, wo sich scharfe Fronten herausbildeten und sich ein Zweiständestaat ausbildete. In der zweiten Phase, den 60ern des vierten Jahrhunderts und dem Anfang des dritten Jahrhunderts, kam es zu einem Ausgleich der Führungsgruppen der Plebejer und der Patrizier, die neue Elite der Nobilität entstand. In diesem komplexen Prozess löste sich das archaische Sozialgefüge auf; es kam zu einer Differenzierung, ein neues Gesellschaftsgefüge entstand. Das Volk war nicht mehr unmündig, die formalen Standesgrenzen waren aufgehoben, ohne aber einer egalitären Gesellschaft den Weg zu ebnen.
Gründe für den Erfolg der Plebejer waren ihr entschlossenes, gemeinsames Handeln sowie die Kompromissbereitschaft des Adels unter außenpolitischem Druck. Ein Wort zur Außenpolitik an dieser Stelle: Sozialer Wandel ist hier untrennbar mit einer offensiven Außenpolitik verbunden. Offenbar lag es im Interesse aller, soziale und innenpolitische Probleme durch Expansion, also auf Kosten Dritter, zu bewältigen, was die Probleme jedoch nicht löste, sondern nur verschob. Der Begriff des Sozialimperialismus, der für das 19. Jh. entwickelt wurde, ist hier durchaus anwendbar. Die gentilizischen Bindungen sind nun nicht mehr das entscheidende Gliederungsprinzip der Gesellschaft, die Unterscheidung Patrizier – Plebejer nicht mehr die Grundlage der Sozialordnung.
Das dichotomische Zwei Stände-System wurde von einem neuen, differenzierteren sozialen Modell abgelöst. Und dieses Sozialmodell wurde durch die Expansion auf Millionen von Menschen in Italien und schließlich im ganzen Römischen Reich übertragen. Die höchst heterogenen Gruppen wurden in einer aristokratischen Sozialordnung mit begrenzten Aufstiegsmöglichkeiten zusammengehalten. Es kam dabei nicht zu einer Demokratisierung, weil 1. das Klientelwesen intakt blieb und
2. die reichen Plebejer nie die Adelsherrschaft abschaffen wollten, sondern eben nach einer Beteiligung strebten. Die neuen Gegensätze, die sich nun herausbildeten, sollten die Geschichte der Republik entscheidend prägen, die Dichotomie zwischen einer dünnen herrschenden Schicht und immer neuen proletarischen Gruppen, die Dichotomie zwischen Römern und unterdrückten Verbündeten und die Dichotomie zwischen Herren und immer mehr Sklaven, eine Spannung, die sich schließlich in den Sklavenaufständen der Späten Republik entlud.
Nun aber zu den wichtigsten Ereignissen in aller Kürze. In der ersten secessio plebis, legendäres Datum ist 494, richteten die Plebejer eine eigene Versammlung ein, das concilium plebis, dessen Beschlüsse mit der Zeit Gesetzescharakter annehmen sollten. Außerdem wählte die plebs nun zwei Volkstribunen und zwei plebejische Ädilen, Magistrate, die ihre Interessen vertreten sollten. Insbesondere die Volkstribunen sind von besonderer Bedeutung. Sie werden vom Volk für unantastbar, für sakrosankt erklärt, um sie vor Übergriffen der Patrizier zu schützen. Sie werden außerdem mit dem ius intercessionis und dem ius auxilii ausgestattet, also mit dem Recht, einzuschreiten, wenn ein Plebejer Repressalien von Seiten der Patrizier ausgesetzt war, und ihm Hilfe zu bringen. Ebenso bekamen die Volkstribunen das Vetorecht, also das Recht, Beschlüsse des Senats blockieren zu können. Allerdings wird es gedauert haben, bis die Patrizier diese Kompetenzen der neuen Magistrate überhaupt anerkannten.
Weitere Meilensteine auf dem Weg der Emanzipation der Plebejer sind das Zwölftafelgesetz von vielleicht 450 v. Chr. (die Datierungen gehen hier weit auseinander) und die lex Canuleia von 445 v. Chr., die das conubium, also das Recht zur Eheschließung zwischen Patriziern und Plebejern festschrieb. In der Zwölftafelgesetzgebung wurden das geltende Privat-, Straf- und Sakralrecht aufgezeichnet.
Diese Gesetze zeugen von einer einfachen agrarischen Gesellschaft. Inwiefern unteritalische Griechen bei dieser Niederschrift der Gesetze Hilfe leisteten, lässt sich nicht sagen. Das Zwölftafelrecht unterscheidet zwischen Besitzenden und Proletariern, d.h. das Vermögen wurde als Kriterium der sozialen Schichtung berücksichtigt. Die Plebejer werden hier nicht aufgewertet, erlangen aber zumindest durch die Verschriftlichung mehr Rechtssicherheit. Das Nachbarrecht sowie das Schuldrecht werden geregelt, die Testierfreiheit festgeschrieben. Der nächtliche Erntediebstahl, Brandstiftung, Mord und falsches Zeugnis ablegen, sind Kapitalverbrechen. Der Patron, der seine Pflichten gegenüber den Klienten vernachlässigt, wird geächtet. Bei Leichenbegängnissen gibt es Aufwandsbeschränkungen. Jeder Bürger hat Anrecht auf einen Verteidiger. Prinzipien, die wir noch heute kennen, werden hier erstmals formuliert: nulla poena sine lege oder auch nulla quaestio sine auctore.
445 ermöglicht die lex Canuleia das conubium, also die Eheschließung zwischen Patriziern und Plebejern. Eine wichtige privatrechtliche Schranke war damit beseitigt. Die reichen Plebejer konnten nun endlich in Patrizierfamilien einheiraten. Das Resultat war das Verschmelzen der Patrizier mit den führenden plebejischen Familien und damit die Herausbildung der Nobilität. 409 ist übrigens der erste Plebejer in der Quästur bezeugt, bezeichnenderweise im niedrigsten senatorischen Amt.
Um etwa 400 beschleunigen sich die Dinge, der Ständekampf gewinnt an Schärfe. Das weitere Bevölkerungswachstum sowie der Keltensturm bringen das römische Sozialgefüge massiv in Bedrängnis. Die Oberschicht der Plebejer will nun, nachdem sie schon durch conubium mit den Patriziern verbunden war, endlich eine Beteiligung an der Staatsleitung. Die Niederlage der Römer gegen die Gallier in der Schlacht an der Allia 387 v. Chr. hatte die ganze Schwäche des patrizischen Staates allen deutlich vor Augen geführt.
Die Masse will eine Begrenzung der Okkupationsrechte der Patrizier, die Unterschicht plädiert nach wie vor für einen Schuldenerlass. Schließlich vermitteln Caius Licinius Stolo und Lucius Sextius Lateranus einen Kompromiss, die sogenannten leges Liciniae Sextiae von 367 v. Chr. Sie begründen in den Worten Bleickens die Konsulatsverfassung. Statt sechs Konsulartribunen stehen nun zwei Konsuln an der Spitze des Staates, von denen einer ein Plebejer sein muss. Die Plebejer können sich nun auch um die Diktatur und Zensur bewerben, d.h. sie haben nun den Aufstieg in die höchsten Staatsämter geschafft. Die comitia centuriata, also die Heeresversammlung, wählt nun die Konsuln, Prätoren und Zensoren, ebenso die sechs Militärtribunen. Die Zenturiatskomitien entscheiden auch über Krieg und Frieden. Die Okkupationsgrenze wird auf 500 iugera, etwa 125 ha festgesetzt, eine Bestimmung, die allerdings nicht in die Tat umgesetzt wurde. Zu einem Schuldenerlass kommt es noch nicht, nur die Zinsen werden erlassen, d.h. es handelt sich bei den Licinisch-Sextischen Gesetzen zwar um einen politischen, aber noch nicht um einen ökonomisch-sozialen Neubeginn. Der cursus honorum, die Ämterlaufbahn der Republik, steht nun fest, die Plebejer haben Zugang zu allen Ämtern. Und bis 337 dringen sie tatsächlich in alle Ämter vor. Mit Abschluss der Samnitenkriege hatte sich nicht nur diese Verfassung voll ausgebildet, sondern sich auch die Nobilität als Amtsadel und neue Oberschicht fest etabliert.
Weitere Gesetze folgen: Die lex Publilia von 339 zeigt, dass sich die Patrizier das Heft nicht ganz aus der Hand nehmen lassen: Gesetze benötigen auch die Zustimmung des Senats, die patrum auctoritas. Allerdings müssen sie Bedenken gegen Gesetzesvorhaben schon vor der Abstimmung äußern. Die lex Poetelia Papiria von 326 dehnt die Wehrpflicht auch auf die ganz Mittellosen aus; diese Plebejer werden nun auch in die comitia centuriata aufgenommen, das ist ein Schritt zur vollen Integration der plebs in die res publica. Nun wird die Schuldknechtschaft endlich abgeschafft. Livius spricht von einem Neubeginn der Freiheit. In der Praxis zeigte diese Maßnahme keine große Wirkung mehr, vielleicht war es nur noch selten zur Versklavung von Schuldnern gekommen. Allmählich stellten die Großgrundbesitzer ohnehin auf die Sklavenwirtschaft um. Die lex Ovinia von 312 schreibt den Zensoren nun explizit die Formierung des Senats aus den Besten beider Stände vor. Den plebejischen Senatoren, den conscripti (den Dazugeschriebenen), wird nun das Stimmrecht eingeräumt, patrizische und plebejische Senatoren sind damit gleichgestellt. Das ius Flavianum von 304 schreibt die einheitliche Behandlung eines jeden Bürgers vor Gericht vor. Die lex Ogulnia von 300 öffnet nun auch die höchsten Priesterkollegien der pontifices und der augures den Plebejern.
Nach Erreichen der vollen politischen Partizipation verlagern sich die Ständekämpfe auf die wirtschaftliche und die soziale Seite. Das Problem der Verschuldung wurde immer drängender. Der juristische Bereich ist zuerst Gegenstand von Neuregelungen: Die lex Valeria de provocatione von 300 v. Chr. stuft das Vorgehen eines Magistrates gegen Leib und Leben eines Bürgers ohne Gerichtsverfahren, also die Verhängung der Kapitalstrafe ohne ordentliches Gerichtsverfahren, als Unrecht ein. Jeder Bürger hat nun das Recht, an die Zenturiatskomitien zu appellieren (provocatio ad populum). Nicht mehr die obersten Magistrate sind für eine Anklage zuständig, sondern Tribunen und Ädile klagen nun vor der Volksversammlung an.
Die Ständekämpfe werden 287 v. Chr. durch die lex Hortensia abgeschlossen, eine „Generalbereinigung“, wie Alfred Heuss sie nennt. Die Beschlüsse des concilium plebis erhalten nun volle Gesetzeskraft, wie die Beschlüsse der Kuriats- oder Zenturiatskomitien. Damit wird das concilium plebis enorm aufgewertet und zu einer regulären Volksversammlung. Die Volkstribunen erhalten Zutritt zum Senat, werden also ein reguläres Amt, Teil der Ämterlaufbahn und damit voll anerkannt. In der Regel bekleiden auch später noch nur plebejische Familien der Senatsaristokratie das Amt des Volkstribunats. Nun kommt es endlich zu der seit langem geforderten Schuldentilgung. Die Tribuseinteilung übernehmen die Zensoren.
Damit sind mit der lex Hortensia die beinahe 200 Jahre währenden Ständekämpfe abgeschlossen, und das römische Gemeinwesen auf eine solide Grundlage gestellt, die es den Römern erlauben sollte, auch in der Zukunft allen Herausforderungen gewachsen zu sein.

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01 – Das frühe Rom und die Etrusker

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Römische Geschichte I: Die Republik

01 – Das frühe Rom und die Etrusker

Die Geschichte des frühen Roms ist ohne die Etrusker nicht zu verstehen, denn die Stadtwerdung Roms vollzieht sich ganz innerhalb der etruskischen Kultur. Wir werden uns deshalb im heutigen Podcast ein wenig mit diesem in vielerlei Hinsicht immer noch rätselhaften Volk beschäftigen, um die Grundlagen für die Beschäftigung mit der frühen Geschichte Roms zu schaffen. Die Etrusker sind ein vor-indoeuropäisches Volk, weswegen wir von ihrer Sprache nur wenig verstehen. Andere vorindogermanische Gruppen auf der Apenninenhalbinsel waren die Ligurer im Norden und die Sikaner auf Sizilien, ebenso die Terramare Kultur in Norditalien, die wir etwa von 1600 bis 1200 greifen können.
Ab 1000 werden für uns indoeuropäische Gruppen greifbar, deren Wanderzüge in der Forschung hoch umstritten sind. Anhand ihrer Sprache unterscheidet man drei Großgruppen, die latino-faliskische, die am Unterlauf des Tiber siedelte, die umbrisch-sabellische bzw. oskisch-umbrische Gruppe, zu denen auch die Samniten gehören sollten, in den Bergen sowie die Illyrer entlang der Adria. Während im Süden der italischen Halbinsel ab dem 8. Jh. Griechen in Folge der Großen griechischen Kolonisation siedelten, greifen wir die Etrusker ab dem 7. Jh. zwischen Arno und Po. In einem letzten Einwanderungsschub kamen die Kelten, die sich an der Wende vom 5. zum 4. Jh. in Norditalien ansiedelten.
Obwohl nun die Etrusker vorindoeuropäischen Ursprungs sind, ist ihre Herkunft noch immer ungeklärt. Es ist nämlich ganz und gar nicht klar, ob sie tatsächlich autochthon, also einheimisch in Italien sind. Befürworter dieser These sehen eine Kontinuität von der Villanova Kultur (12.-7. Jh. v. Chr.) zu den Etruskern, insbesondere was die Bestattung anbelangt. Eine andere These geht von einer Einwanderung aus dem Osten aus, eine Theorie, die sich auf Herodot stützt, der die Herkunft der Etrusker in Lydien sieht. Ihr plötzliches Auftreten in Italien, ihre Siedlungsweise in Städten sowie die Verwendung der Mantik, Techniken der Zukunftsschau, sprechen für diese herodoteische These. Eine dritte Theorie bildet sozusagen einen Kompromiss aus den beiden vorhergehenden: Die Etrusker seien in einer Ethnogenese entstanden. Zugezogene aus dem Osten hätten sich mit einem einheimischen Substrat verbunden und etwas Neues hervorgebracht. Die Etrusker sind fähige Leute, sehr aktiv im Erzbergbau, aber auch im Handwerk und im Handel, selbstverständlich treiben sie auch Piraterie. Ihre Kultur ist sehr expressiv und griechenabhängig. Oft kann man bei den wunderbaren Vasenmalereien und den Fresken in den Tumuli-Gräbern nicht sagen, ob etruskische oder griechische Meister am Werk waren.
Schon bald expandieren die Etrusker nach Norden in die oberitalische Tiefebene hinein und nach Süden, ins spätere Latium und Kampanien, was natürlich zu Auseinandersetzungen mit den dort ansässigen Griechen führte. Sinnvollerweise verbündeten sich die Etrusker mit den Karthagern und konnten daher die griechischen Phokäer in der Seeschlacht von Alalia vor der Ostküste Korsikas besiegen (um 540 v. Chr.). Offenbar planten die Etrusker, die Griechen ganz aus Kampanien zu vertreiben, was allerdings nicht gelingen sollte. Gegen Kyme erlitten die Etrusker 474 eine so schwere Niederlage, dass eine Art Machtvakuum in Mittelitalien entstand, von dem die Osker im Binnenland und die Latiner am Unterlauf des Tiber profitierten. Die Etrusker verloren allmählich ihre Vormachtstellung in Kampanien und Latium und damit auch ihre Dominanz über die latinischen Ansiedlungen im späteren Rom.
Der dortige etruskische König wurde entweder gestürzt, was die Sage von Tarquinius Superbus bewahrt hat, oder aber langsam entmachtet. Der einheimische Adel übernahm die Herrschaft, und damit sind wir auch schon mittendrin in der römischen Frühgeschichte, die wir nun nicht mythologisch, sondern auf der Basis der archäologischen Befunde nachskizzieren wollen.
Nach wie vor ist es umstritten, ob die Dörfer auf den Hügeln allmählich zusammenwuchsen oder sich in einem Synoikismos vereinten, also in einem formellen Gründungsakt. Klar ist jedoch, dass sich aufgrund der günstigen geopolitischen Lage Menschen ab dem 13. Jh., also in der mittleren Bronzezeit, an den Aventin-Höhlen und an der Tiberfurt ansiedelten. Der Übergang wurde noch zusätzlich durch die Tiberinsel erleichtert, ideale Bedingungen also für die Salzstraße von Etrurien nach Kampanien. Die frühesten Funde stammen vom Forum Boarium, unter der Kirche S. Omobono und vom Südhang des Kapitols. Im 10. Jh. sind wir am Ende der Bronzezeit; eine Siedlung am Forum Romanum ist greifbar. Wir sehen dort Urnen-, aber auch Körperbestattung. In der Eisenzeit, ab dem 9. Jh., sind der Palatin und der Quirinal besiedelt, ab dem 8. Jh. der Esquilin, es gibt nun auch einen Hafen an der Tiberfurt. Im 6. Jh. ist Rom eindeutig eine wohlgeordnete Stadt etruskischen Zuschnitts. Die Siedlungen auf den Hügeln sind nun vereint.
Lange Zeit ging man davon aus, dass zwei Kulturkreise in Rom zusammenwuchsen, zum einen wegen des Doppelcharakters mancher archaischer religiöser Institutionen, wie die der Priesterschaften der Salii Palatini und der Salii Collini, zum anderen schienen archäologische Befunde diese distinkten Kulturkreise zu bestätigen: Man fand Brandgräberleute auf dem Palatin und dem Caelius, die man für Latiner hielt, und Bestattungsgräberleute auf dem Esquilin, dem Quirinal und dem Viminal, die als Osker, Sabeller und Sabiner firmierten. Neuere Forschungen liefern jedoch ein differenziertes und komplizierteres Bild und brachten diese alte These zum Einsturz.
Klar ist jedoch, welche Gruppen auch immer in Rom siedelten, dass sie stark von der etruskischen Kultur beeinflusst waren. Die Stadtwerdung selbst ist ohne die Etrusker nicht denkbar, die spätestens seit dem 7. Jh. urbane Strukturen kannten. Die Etrusker brachten den Römern die Schrift, wohl nicht die Griechen direkt, d.h. die Etrusker dienten auch hier als Transmissionsriemen für die Weitergabe griechischer Kulturtechniken an die Römer. Das dreigliedrige römische Namenssystem (praenomen, nomen gentile, cognomen) geht auf die etruskische Nomenklatur zurück. Die Herrschaftsinsignien der römischen Magistrate, wie Purpurtoga, Purpurmantel, Schnabelschuhe, goldener Kranz, sella curulis (Elfenbeinsessel) sowie die Liktoren mit ihren fasces (Rutenbündel) sind etruskischer Herkunft. Die Gladiatorenkämpfe stammen aus etruskischen Begräbnisritualen. Die Etrusker waren Meister der Mantik, d.h. der Zeichendeutung zum Zweck der Weissagung. Kern der disciplina etrusca war die Eingeweide- v.a. die Leberschau. Diese Spezialisten waren die haruspices. Andere Deuter widmeten sich der Deutung des Vogelflugs, dem auspicium. Auch aus Blitz und Donner meinte man, Aussagen über die Zukunft herleiten zu können(ars fulguratoria).
Auch in den Institutionen lehnen sich die Römer an etruskische Strukturen an: Die gentilizische Kurieneinteilung, die vorerst gentilizische Einteilung in drei Tribus, die die etruskischen Namen Tities, Ramnes und Luceres tragen. Der Senat und das Wahlkönigtum waren schon etruskische Verfassungseinrichtungen.
Wichtige Maßnahmen der Frühzeit schreiben sogar die späteren römischen Historiker legendären etruskischen Königen zu. So habe Tarquinius Priscus das Pomerium, d.h. die heilige Grenze um Rom gezogen. Er habe zusätzlich zu den gentilizischen Kurien vier lokale Tribus eingerichtet, die Suburana oder Sucusana, die Esquilina, sowie die Collina und Palatina. Auf diesen lokalen Tribus, die vermehrt werden, wird später ein Teil des römischen Wahlsystems aufbauen. Priscus soll außerdem einen Abwasserkanal, also eine cloaca gebaut und den Bau der Regia/Curia begonnen haben. Sein Nachfolger Servius Tullius soll die sogenannte servianische Mauer gebaut haben, eine Stadtmauer, die Archäologen heute ins frühe vierte vorchristliche Jahrhundert datieren. Interessant ist aber, dass die späteren römischen Historiographen diese Stadtmauer als urbanes Symbol einem legendären Etruskerkönig attribuierten. Der Sage nach soll er auch eine Schatzung der Bürger durchgeführt und die Zenturiatskomitien eingeführt haben, die man wohl eher in das Zeitalter der Ständekämpfe datiert. Vielleicht hat er und nicht schon Tarquinius Priscus die Regioneneinteilung der Tribus aufs Land übertragen. Der letzte etruskische König über Rom, der berühmt-berüchtigte Tarquinius Superbus, soll den Jupitertempel auf dem Kapitol weitergebaut, wenn nicht vollendet haben.
Die archaische Sozialstruktur der Römer ist ganz etruskisch geprägt. Die Rolle der gentes, der Geschlechter, bestehend aus mehreren Familien gleicher Abstammung, im weiteren Sinne auch mit ihren Klienten, war entscheidend. Die größere gentilizische Einheit war die curia. Es hat wohl ursprünglich 30 Kurien gegeben. Je zehn Kurien bildeten eine Tribus, also einen gentilizischen Personenverband, der zunächst auch militärische Bedeutung hatte. Die etruskischen Namen dieser drei Tribus kennen wir bereits, Ramnes, Tities, Luceres. Das können drei Gentilnamen sein oder aber auch drei Gruppen bezeichnen, etwa Sabiner, Etrusker und Latiner, aber das wissen wir nicht. Die 30 Kurien kamen zweimal pro Jahr auf dem Comitium, dem Volksversammlungsplatz zusammen. Wir sprechen von den comitia curiata, der ältesten Art der Volksversammlung. Die 30 curiae waren wiederum auf die drei ursprünglichen Tribus verteilt, jede Tribus beinhaltete also zehn Kurien.
An der Spitze der Gesellschaft stand ein Geburts- und Grundbesitzeradel, die sogenannten Patrizier, die auch die Reiter stellten, die equites. Ihnen waren mehr oder weniger abhängige Bauern als Klienten zugeordnet, die Plebejer. In diesem Klientelverhältnis fungierte der Patrizier als patronus, der die Interessen des Klienten z. B. auch vor Gericht vertreten musste. Ab den Ständekämpfen schließen sich die Plebejer zu einem Stand ab, was bei den Patriziern schon früher der Fall gewesen sein muss. Ab dem 5. Jh., also zur Zeit der Ständekämpfe, wurden die oben erwähnten ersten vier regionalen Tribus geschaffen, städtische Bezirke, die 241 v. Chr. ihre endgültige Zahl, 35, erreichen sollten. Jeder römische Bürger wurde dann in eine dieser 35 Wahlkörperschaften eingeschrieben. Die Macht des Familienvaters, die patria potestas, erstreckte sich nicht nur auf seine Frau, seine Kinder und seine Sklaven, sondern sogar noch auf die verheirateten erwachsenen Söhne und deren Ehefrauen (anders als im klassischen Athen).
Zusammenfassend kann man also sagen, dass die römische Gesellschaft horizontal in Familien, gentes, curiae und tribus gegliedert ist, vertikal in einen Adel, von dem das Volk sozial, politisch, ökonomisch, rechtlich, religiös und militärisch abhängig ist. Bald sollte das Volk nach mehr politischer Partizipation und nach einer Verbesserung der ökonomischen Lage streben, die Ausgangslage für die Ständekämpfe, die sich über Jahrhunderte hinziehen und an deren Ende das gewachsene politische System der Römischen Republik stehen sollte.
Die Sklaverei war noch nicht differenziert wie später. Sklaven waren noch Familienmitglieder, mit denen man am gleichen Tisch aß. Bis ins 4. Jh. wurden auch Mitglieder des eigenen Volkes versklavt, Rechtsgrundlage hierfür war die Schuldknechtschaft (nexum), die erst als ein Ergebnis der Ständekämpfe abgeschafft werden sollte. Noch gab es keine Sklavenaufstände.
Die politische Struktur baut nun auf der sozialen auf, sie ist also auch gentilizisch. Die Adeligen wählen aus ihren Kreisen einen König. Das Wahlkönigtum bedeutet bereits eine allmähliche Entmachtung des Königs. Er vertritt das Gemeinwesen gegenüber den Göttern, ist ein Heerkönig und leitet die Sitzungen des Adelsrates (Senat) und der Volksversammlungen.
Die Kuriatkomitien, die sich zweimal im Jahr versammeln, bestätigen den König in seiner Machtfülle, sanktionieren Akten bzgl. der Familie und der Geschlechter, erlassen Sakralgesetze, wählen ursprünglich die Magistrate und entscheiden über Krieg und Frieden.
Auch der Senat war nach Kurien zusammengesetzt, zehn patres je Kurie, also insgesamt 300 patres, also patrizische Senatoren. Dieser Adelsrat beriet den König. Beim Tod des Königs wählte der Senat einen interrex für fünf Tage, der Adel stellte auch die Magistrate. Nach der sogenannten servianischen Schatzung fungierte auch die Heeresversammlung, die comitia centuriata, als eine zusätzliche Volksversammlung. Auf sie werden wir dann im nächsten Podcast eingehen.

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06 – Religiöse Entwicklungen im Hellenismus

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Griechische Geschichte III: Der Hellenismus

06 – Religiöse Entwicklungen im Hellenismus

Wir wollen uns heute im abschließenden Podcast dieser Vorlesung den religiösen Entwicklungen in der hellenistischen Zeit zuwenden. Durch die enorme Ausweitung des griechischen Horizontes kamen die Griechen nun mit neuen, fremden Völkern und Religionen in Berührung. Östliche Religionen versprachen mehr Innerlichkeit, gerade weil sie fremd und exotisch anmuteten. Im Hellenismus wird der Grundstein gelegt für den Synkretismus der Kaiserzeit, in der die alten Polisreligionen des Westens mit den Mysterien- und Erlösungsreligionen des Ostens verschmolzen. Gleichzeitig erlebten die Menschen eine enorme Unsicherheit in ihren persönlichen Lebenslagen. Die Dinge waren schnelllebiger und unsicherer geworden, sobald man die schützende heimatliche Polis verließ. Das Schicksal, die unvorhersehbaren Wechselfälle des Lebens, wurden als Tyche umschrieben, die dann selbst als Göttin verehrt wurde, so war sie z. B. Stadtgöttin in Antiochia.
Bezüglich der Verehrung von Herrschern gibt es zwei Tendenzen, einmal die Einrichtung von Kulten von oben und persönliche Frömmigkeit von unten. Beides ging nicht unbedingt Hand in Hand, konnte sich jedoch ergänzen. Gehen wir also auf die Dynastiegottheiten und den städtischen Herrscherkult kurz ein.
Die Herrscher mussten sich legitimieren und brauchten Schutzgötter, die sie im Bereich der Olympier suchten und fanden: Die Antigoniden behaupteten, von Herakles abzustammen und prägten die Keule auf ihre Münzen. Sie betonen auch ihre fiktive Verwandtschaft mit Philipp II. und Alexander dem Großen. Die Seleukiden leiten sich von Apollon ab. Seleukos I. Nikator sah sich als Sohn Apollons und wird auch in Inschriften so angesprochen und verehrt. Die Ptolemäer verbinden sich mit Dionysos, was ja auch Alexander selbst getan hatte.
Außer in Makedonien, war die Annahme dieser Schutzgötter oft mit der Einrichtung des Herrscherkults für die verstorbenen und später auch für die lebenden Herrscher verbunden. Sie bekamen Altäre, Opfer, Preislieder und Feste, die nach ihnen benannt wurden. Lysander, der spartanische König, der den Peloponnesischen Krieg für Sparta siegreich beendet hatte, wurde als erster wie ein Gott verehrt. Alexander wurde auch schon zu Lebzeiten wie ein Gott verehrt, was das aber genau bedeutete, ist in der Forschung stark umstritten.
Die direkte Vergöttlichung geht bei den Ptolemäern am weitesten, dann folgen in absteigender Reihenfolge die Seleukiden, die Attaliden und schließlich die Antigoniden, die in Makedonien natürlich andere Voraussetzungen hatten.
Wieder sehen wir, wie immer in der Alten Welt, die Verquickung von Religion und Politik. Die Herrscher initiierten die Kulte nicht nur, sondern kamen auch einem gewissen Bedürfnis der Untertanen entgegen, die oft von sich aus gottähnliche Ehrungen für ihre Herrscher beschlossen. Die Athener richten 307 einen Kult für Antigonos und Demetrios ein, 294 oder 291 bekommt Demetrios seinen eigenen Kult mit Hymnen, ziemlich unglaublich und das alles in Athen! Offenbar herrscht geistige Orientierungslosigkeit, ein Gefühl der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins (ein grundsätzliches Lebensgefühl im Hellenismus), und wer die Position eines hellenistischen Herrschers mit seiner fast unbegrenzten Machtfülle innehatte, der musste wohl von den Göttern oder zumindest von Tyche besonders begünstigt, begnadigt erscheinen, so dass seine Verehrung schon Sinn machte.
Bei den Seleukiden war die Entwicklung langsamer und uneinheitlich und geschah lange nur auf Initiative der Städte. Seleukos I. wurde in Ilion als von Apoll abstammend anerkannt, er wurde aber nicht wirklich als Gott bezeichnet, war aber nah dran: Es gibt ein Fest, einen heiligen Bezirk, Altar, Opfer, Prozession, Spiele, Hymnen, goldene Kränze für ihn. Antiochos I. macht seinen Vater zum Gott, aber Antiochos III. (223-187) ging viel weiter: Er richtete einen Kult für sich selbst und für alle seine Vorfahren ein sowie für seine Frau Laodike.
Anders als die Seleukiden erfuhren die Attaliden zu ihren Lebzeiten keine Vergöttlichung, wurden aber kultisch in vielen Städten Kleinasiens anerkannt.
Der Grad der Religiosität bei den Herrscherkulten ist nur schwer zu messen. Oft ging die Initiative von den Städten aus, das ist also die Bewegung von unten. Sie wollten sich des Wohlwollens des Herrschers in besonderer Weise versichern, oft aber sind diese städtischen Kulte Ausdruck wahrer Dankbarkeit.
Die Reichskulte wurden von den Herrschern initiiert. Aber das war nicht nur Strategie und Berechnung. Der Beiname lautet oft „Theos“, was aber nicht nur Gott bedeutet, sondern auch als Adjektiv, „göttlich“ aufgefasst werden kann.

Religion des Individuums
Die alten Poliskulte leisteten für die Menschen in der Fremde, die wohl oft unter sozialer Isolation und Entwurzelung litten, nicht mehr das, was sie früher einmal leisteten. Die Menschen wandten sich nun verstärkt Erlösungsreligionen zu. Die Mysterienkulte boten geheime Initiationsriten an, was die Eingeweihten aneinanderschweißte und so zu festen Sozialkontakten führte. Der Kult von Eleusis (Demeter), die Riten der Kabiren auf Samothrake, der Asklepios-Kult in Epidauros erreichen jetzt ihren Höhepunkt. Die Offenbarung sollte irrational und emotional ansprechend sein. Es geht bei den Mysterienkulten immer um Tod und Auferstehung, also um Erlösung vom Irdischen. Die Teilnehmer betrachten sich als egalitär, also Bürger, Frauen und Sklaven standen auf einer Stufe. Die geheimen Initiationen vermittelten ein Gefühl der Exklusivität. Gesucht wurden wohl ekstatische Erfahrungen und Trance-Zustände. Das war bei den Bacchantinnen des Dionysos der Fall und auch im Kybele-Kult. Der Kybele-Kult wurde immer populärer, der Höhepunkt war dann in der römischen Kaiserzeit erreicht.
Die Philosophen banden die Götter in ihre Systeme ein, als oberstes Gut, als Tugend oder Weisheit oder Weltprinzip. Sie waren peinlich darum bemüht, die Existenz der Götter nicht ganz zu leugnen. Auch gab es die Tendenz hin zur Verehrung von abstrakten Prinzipien, am wichtigsten die bereits erwähnte Tyche, die weithin verehrt wurde. Wie weit die Personalisierung aber emotional wirksam wurde, können wir nicht sagen.
Immer mehr Menschen wenden sich den ägyptischen Göttern zu, die offenbar mehr Hilfe versprachen als die einheimischen. Wir sehen ein massives Vordringen der östlichen Kulte auch nach Griechenland hinein. Sarapis war sehr beliebt, den Ptolemaios I. Soter einführte, der Sarapis-Kult war also eigentlich ein ptolemäischer Reichskult.
Der Isiskult verbreitet sich v.a. im 2. Jh. v. Chr., bekommt unter Sulla sogar schon in Rom einen Tempel, und Isis wird in der Kaiserzeit zu einer der führenden Gottheiten. Schon zu Herodots Zeiten war sie so etwas wie eine Hauptgöttin in Ägypten. Die Griechen identifizierten Isis sinnvollerweise mit Demeter, Osiris mit Dionysos. Isis konnte viele andere Götter in sich vereinigen, was der Ausbreitung ihres Kultes natürlich zum Vorteil gereichte. Der synkretistische Prozess ist hier also sehr wichtig. Weil Isis nicht ortsgebunden war, konnte sie bald Demter den Rang ablaufen, da ihre Mysterien nur in Eleusis stattfanden.
Auch andere orientalische Gottheiten wurden nun in Griechenland verehrt und mit griechischen, später mit römischen Göttern gleichgesetzt:
Kybele, magna mater, eine anatolische Muttergöttin, wird von Attis begleitet,
Atargatis und Hadad aus Assyrien (Aphrodite und Zeus),
Melqart (Herakles),
Astarte (Aphrodite).
All diese Götter umranken natürlich Mythen. Es kam zu einer interpretatio graeca; diese schillernden Gottheiten wurden v.a. in den kosmopolitischen Metropolen verehrt, später auch im Westen, v.a. in Rom und Karthago. Wichtig für die Menschen wird das Weiterleben nach dem Tode und die persönliche Bindung. In diese Welt hinein stößt später das Christentum vor, das schließlich Isis und Mithras ausstechen kann, aber das sind Entwicklungen, mit denen wir uns dann in der Vorlesung über die Römische Kaiserzeit befassen werden.
Mithras war ursprünglich ein iranischer Gott, der Licht- und Sonnengott der Krieger, die für das Gute kämpfen. Die Tötung des Stiers ermöglicht das Leben. Wichtig ist dieser Kult in Pontos, Kappadokien und Kommagene. In der röm. Kaiserzeit wurde der Mithras-Kult dann eine Soldatenreligion, in der es nach einem Blutopfer um Erlösung ging. Auch in dieser Religion waren alle Kultteilnehmer gleich, wieder sehen wir also das egalitäre Element. Mithras stammt wohl ursprünglich aus der iranischen Mysterientradition; hellenisierte Magier haben dann den Kult langsam nach Westen gebracht, vieles liegt hier im Dunkeln und ist daher sehr umstritten.
Zu den Gemeinsamkeiten der Mysterienreligionen: Die Kultgemeinschaft war nicht mehr auf eine Polis beschränkt, sondern international, es gibt Vereinssatzungen, hauptamtliche Priester, die die komplizierten Kultrituale erlernen, pflegen und bewahren. Die Eingeweihten oder Mysten bekleiden verschiedene Ränge je nach Grad der Einweihungsstufe, also auch hier ist wieder Raum für den Agon, für einen Aufstieg, der in der Gesellschaft so nicht zu leisten war. Die Eingeweihten nannten sich Brüder, es entsteht also ein Gemeinschaftsgefühl; soziale Schranken im Kult werden weitgehend abgebaut. Was in den Initiationen geschah, wissen wir nicht, aber es muss zu kathartischen Wirkungen gekommen sein, die entlastend auf den Einzelnen wirkten. Auf Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit, Schatten, folgten Jubel, Tanz, Ausgelassenheit, Licht, ein Festschmaus, Tanzen, Hymnen-Singen usw.. Ein extremer Wandel, eine Peripatie, wurde also in Szene gesetzt, was emotional sehr eindrucksvoll gewesen sein muss und die Menschen affektiv und spirituell ansprach. Hinzu kam die Aussicht auf Erlösung im Jenseits. Reinheit war ganz wichtig für die Initiation, hier werden alte griechischen Vorstellungen wieder aufgriffen und nun verinnerlicht. Die Sünde wird nun beschmutzend, befleckend, eine ethische Verfehlung wird also materialisiert und in die Metaphorik der Verunreinigung und Reinheit gebracht.

Das Judentum im Hellenismus
Zentral wichtig ist die Entwicklung des Judentums im Hellenismus und v.a. der Aufstand der Hasmonäer/Makkabäer gegen die Seleukidenherrschaft um ca. 150 v. Chr. aus religiösen und politischen Gründen. Die Juden waren bereits im ganzen Vorderen Orient verteilt und hielten streng an ihrer monotheistischen und doch recht exklusiven Religion fest. Das Zusammenleben mit den Griechen fiel ihnen oft schwer, zu unterschiedlich waren die Riten, der allgemeine Lebensvollzug und die Einstellung zu den hellenistischen Herrschern, mit denen sie aufgrund des Herrscherkultes irgendwann in Konflikt kommen mussten. Zumindest für die Orthodoxen traf dies zu, weniger für die liberalen Strömungen, die es v.a. in der Diaspora auch gab. Viele Juden in Alexandria waren zum Teil von Alexander angesiedelt worden, zum Teil hatten sie sich als ptolemäische Söldner dort niedergelassen, zum Teil waren sie schon vorher dort, v.a. in Elephantine. Ab ca. 150 schlossen sich die Juden in Alexandria in einem Ghetto ein. Die meisten Juden in Alexandria waren hellenisiert und sprachen Hebräisch kaum mehr. Für sie wurde die Übersetzung der Thora entscheidend. Diese Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, die in Alexandria geleistet wurde, nennen wir Septuaginta und stellt eine der größten Leistungen des Hellenismus dar. Viele Juden konnten nun wieder die heiligen Schriften lesen.
Antiochos III. erobert 200 Jerusalem, vorher war ganz Palästina bei den Ptolemäern. Zunächst gab es wenig Unterschied zu vorher. Es kam zu einer gewissen Hellenisierung, doch die Orthodoxen leisteten fanatischen Widerstand und hielten strikt am Wortlaut der mosaischen Gesetze fest. Wir haben es also mit einer kulturellen und religiösen Widerstandsbewegung gegen die Seleukiden zu tun. Judas Makkabaios erhob sich schließlich, als Seleukos IV. versuchte, sich der Einnahmen des Tempels zu bemächtigen. Antiochos IV. machte den hellenisierten Juden Iason für Geld zum Hohepriester, der einen grundlegenden Hellenisierungsschub vornahm, ein Gymnasion und ein Ephebeion gründen und aus Jerusalem eine griechische Polis machen wollte.
Viele hellenisierte Juden waren sehr dafür, es gab also sehr heterogene Gruppen innerhalb des Judentums, eine Spannung zwischen dem Willen, die jüdische Identität zu bewahren, und der Anziehungskraft der griechischen „Leitkultur“. Antichos IV., der 168 v. Chr. von dem Römer Caius Popilius Laenas gedemütigt und zum Rückzug aus Ägypten gezwungen und damit entscheidend geschwächt worden war, übte nun Druck aus und wollte sein verbliebenes Reich verstärkt hellenisieren. Er brauchte Geld und griff daher auf die Tempelschätze zu. Menelaos, der neue Oberpriester, erwies sich als eifriger Handlanger des Antiochos. Die Plünderung und Entweihung des Tempels, das Verbot der Beschneidung, des Sabbats und der traditionellen Opfer für Jahwe waren die Folge. Stattdessen wurden die Juden gezwungen, Schweine zu opfern, das war ganz und gar verabscheuenswürdig, auch zur Einführung heidnischer Kulte kam es. Diese Vorgänge führten dann direkt zum Aufstand gegen die seleukidische Oberhoheit. Zuerst war es ein Guerilla-Krieg der niederen Priester und der Landbevölkerung, dann stellen die Juden unter Makkabaios ganze Heere auf und gewinnen 164 den Tempel wieder zurück, den sie reinigen mussten, weil Antiochos darin, aus böswilliger Absicht, ein Schwein geopfert hatte. Die seleukidischen Gesetze wurden annulliert. Der Krieg ging trotzdem weiter. Orthodoxe Juden radikalisierten sich und hatten schließlich auch die hellenisierten Juden gegen sich, d.h. eine tiefe Spaltung ging jetzt quer durch das Judentum, die man im Prinzip noch heute beobachten kann. Aus den Makkabäern entwickelt sich die Dynastie der Hasmonäer heraus, ein eigener jüdischer Staat entsteht, aber trotz all der Widerstände in hellenistischer Manier. Schon hier wird deutlich: Bald wurde dieser weiterschwelende Konflikt eine Angelegenheit der römischen Expansion. Die orthodoxen Juden machten weiterhin Aufstände, 70 n. Chr. wurde Jerusalem schließlich von den flavischen Truppen zerstört, Bar Kochba unternahm dann unter Hadrian den letzten Versuch, der in einer Katastrophe mündete. Hier beginnt die jüdische Diaspora.
Neben den orthodoxen Fanatikern gab es aber auch die hellenisierten Juden und in diesem Umfeld entstanden die griechisch verfassten Schriften des Neuen Testaments. Dies war ein großes Glück für das Christentum, denn das Griechische war die Kultursprache, in der alles ausgedrückt werden konnte, die griechische Sprache bot das philosophische Vokabular, mit dem Paulus seine unerhörte Theologie entfalten konnte. Über das philosophische Griechisch gewannen die Christen schließlich die gebildeten Hellenen und konnten so das Christentum nach Westen tragen. So wurde das Christentum intellektuell und für die griechischen Eliten attraktiv. Ohne zu telelogisch werden zu wollen, denke ich, dass es nicht falsch ist zu sagen, dass es ohne die Hellenisierung des Nahen Ostens das Christentum nicht gegeben und es den Aufstieg zur Staatsreligion in der Spätantike nicht geschafft hätte.

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05 – Das Alltagsleben und das Leben am Hof

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Werner Rieß
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Griechische Geschichte III: Der Hellenismus

05 – Das Alltagesleben und das Leben am Hof

Die griechische Kultur, obwohl bis nach Indien reichend, gravitierte doch zum Mittelmeer hin. Schon Seleukos gab die östlichsten Gebiete auf, auch Baktrien löste sich aus dem Seleukidenreich. Antiocheia wurde schließlich wichtiger als Seleukeia am Tigris. Die Zentren des hellenistischen urbanen Lebens blieben Athen, Alexandria, Pergamon und Antiocheia, das Mittelmeer bildete also das Zentrum, um den herum sich urbanes, d.h. griechisches Leben abspielte.
Die hellenistische Zeit zeichnet sich durch höhere Mobilität aus als je zuvor, v.a. Söldner sind in großen Zahlen unterwegs. Sie kommen aus allen Himmelsrichtungen; unter den Griechen sind v.a. die Kreter als Söldner begehrt, die oft ihren Lebensunterhalt als Piraten verdingten. Piraterie und Söldnerwesen sind die wichtigsten Einnahmequellen für viele und wohl auch austauschbar.
Außerdem sind ständig viele Gesandte unterwegs in den unterschiedlichsten Missionen, v.a. aber korrespondierten die Städte untereinander und mit den Königen, später verhandelte man ständig mit Rom. Man löste so Konflikte und tauschte natürlich die vielfältigen Ehren aus, die oftmals inschriftlich erhalten sind.
Ebenfalls unterwegs sind die professionellen Schauspieler, die im Rahmen der großen religiösen Feste Theateraufführungen darboten. Die dionysischen Techniten, wohl die berühmteste Gruppe, reisten von Einsatzort zu Einsatzort. Offiziell waren sie religiöse Körperschaften und nicht sehr angesehen, weil sie immer unterwegs waren.
Ebenfalls unterwegs sind Ärzte; die werden von Städten manchmal an andere Städte ausgeliehen, manche Städte setzen Steuern fest (iatrikon), um gute Ärzte bezahlen zu können. Viele Ärzte wurden auf Kos ausgebildet, am dortigen Asklepieion.
Eine bedeutende Rolle spielten auch Sportler, die in der ganzen hellenischen Welt an internationalen Wettkämpften teilnahmen. Bei Siegen wurden sie hoch geehrt und auf vielfältige Art und Weise gefeiert. Ruhm erwarben sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Heimatpolis, sie wurden also als Superstars verehrt.
Auch Künstler, Lehrer, Musiker, Dichter, Ingenieure und Baumeister ziehen durch die Lande und hoffen auf Aufträge, v.a. suchen sie natürlich die großen Höfe auf, wo immer Bedarf an fähigen Leuten bestand. Auch Richter, Schiedsmänner und Pilger, die zu den Orakelstätten reisten, fuhren umher.

Griechische Vereine
Vereine und Assoziationen prägten schon das Leben in den Mutterstädten, nun aber, in der Fremde mit gemischter Bevölkerung sind sie noch notwendiger als vorher. Eranoi oder Thiasoi heißen die Vereinsmitglieder, die sich an eine bestimmte Gottheit anschließen. Mitgliedsbeiträge finanzieren verschiedene soziale Zwecke, wie anständige Beerdigungen, das Clubhaus, gemeinsame Feiern; hier konnte man gleich soziale Kontakte schließen, wenn man neu zuzog. Die Vereine prägten also entscheidend das soziale wie private Leben. Sie waren weniger exklusiv und griechisch als die Gymnasien. Sie nahmen Männer und Frauen, Griechen wie Barbaren, Arme wie Reiche auf, Freie wie Sklaven. Die Oberschichten blieben rein griechisch und makedonisch. Wenn man hier von Homogenität spricht, dann meinen wir nur die dünne graeco-makedonische Oberschicht. Hier gab es in der Tat soziale Vermischung. Landsmannschaftliche Verschiedenheiten spielten in der Fremde keine große Rolle mehr. Man fühlte sich nun griechisch und nicht mehr thebanisch, athenisch, milesisch oder ephesisch. Damit grenzte man sich von den Mehrheiten vor Ort bewusst ab. Die Könige rekrutierten nur diese Oberschichtgriechen für die gehobenen Posten und die Zentralverwaltung. Sie zeichneten sich durch ein weiteres kulturelles Merkmal aus, nämlich den Besuch eines mehrjährigen Gymnasion. Und auf das Gymnasion und seine Rolle müssen wir nun kurz eingehen.

Gymnasion
Die Philosophenschulen wären ohne städtische Bildung nicht möglich gewesen, so sehr die Intellektuellen auch an den Höfen gefördert wurden. Die Erziehung fand für die Oberschichten-Jungen in den städtischen Gymnasien statt. Zunächst waren sie erst einmal wichtig für die sportliche Ertüchtigung, aber die Musen wurden nie vernachlässigt. Das Gymnasion von Pergamon hatte drei Ebenen, eine für die Knaben, eine für die Epheben und eine für junge Männer. Es gab Lesezimmer, Säulenhallen, wo man diskutierte, und Bibliotheken. In Teos gab es Koedukation, hier waren auch Mädchen zum Gymnasion zugelassen. Es ging vornehmlich um literarische Bildung, d.h. Rhetorik und das Studium Homers und Euripides‘. In Teos gab es drei Lehrer, zwei paidotribai, also Sportlehrer, und einen Lyraspieler, der für die musikalische Unterweisung verantwortlich war. Die Lehrer waren sozial nicht hochstehend, aber die Bürger schätzten ihre Gymnasien sehr. Paidonomoi passten auf die Schüler auf, der Gymnasiarch war eine Art Direktor. Die höheren Beamten in den Städten waren unbezahlt und damit aus den Oberschichten selbst, sie waren sehr angesehen. Der Gymnasiarch, also der Direktor, war für die gesamte Organisation der Einrichtung und auch für die Opfer und die Wettkämpfe verantwortlich. Nun wurden nicht mehr die städtischen Beamten so oft geehrt, weil ihre politische Bedeutung abgenommen hatte, sondern die Gymnasiarchen. Das war also ein neues Betätigungsfeld für die Elite, die ja immer nach Distinktion und Auszeichnung strebt. Auch die Könige unterstützten die Gymnasien. Aus Inschriften kennen wir die Gewinner bei den Wettkämpfen, eine Art Sportfeste mit verschiedenen, eben auch musischen Disziplinen, wie etwa die Komposition von Liedern, das Spielen auf der Kithara, das Singen zur Kithara, Malerei, Arithmetik usw. Hier wurden die griechischen Bildungswerte, der Bildungskanon vermittelt, der eben von Athen über Pergamon, Alexandria, Antochia und Seleukeia bis nach Indien der gleiche war. Körperliche und geistige Übungen inklusive Literatur machten den Menschen zum Gebildeten, zum hellenischen Menschen, zum pepaidomenos, ein ganz wichtiges Konzept dann in der Zweiten Sophistik der römischen Kaiserzeit. Die pepaidomenoi, die diese Schulung durchlaufen hatten, sahen sich im Verhältnis zu allen anderen Völkern als überlegen an und betrachteten diese als Barbaren. Man konnte nun auch außerhalb Griechenlands Kulturgrieche werden, indem man an ein Gymnasion ging, dort perfekt Griechisch lernte, griechische Umgangsformen annahm und den Bildungskanon verinnerlichte, also dem ganzen Habitus nach Grieche wurde. Somit war man Hellene und hatte Zugang zur griechischen Kultur.

Landwirtschaft
Die Griechenstädte waren im Osten eigentlich Fremdkörper. Das Land gehörte im Prinzip dem König. Wir sehen wenige Innovationen in der Landwirtschaft. Allerdings kam nun viel Geld in Umlauf, weil Alexander die Schatzkammern des Großkönigs öffnete. Das führte aber auch zur Inflation. Anfangs gab es verschiedene regionale Währungssysteme, langsam kam es aber zu einer Harmonisierung, Antigoniden und Seleukiden prägten und benutzten die beliebte Tetradrachme mit 17g. Die Ägypter machten nicht mit, da die Ptolemäer ein monetarisches Monopol anstrebten. Die Monetarisierung war aber nur in den Städten stark. Auf dem Land herrschten weiterhin Tauschhandel und Steuerabgaben in Naturalien vor, was den Herrschern nur Recht war. Städte richteten eigene Fonds ein, um Getreide auch in mageren Zeiten kaufen zu können, z. B. Samos. Die Könige sahen aber diese Sparwünsche nicht gern und verwiesen auf ihre königlichen Güter, die auch zur Versorgung der Stadtbevölkerung bei Engpässen beitragen konnten.

Auch im Gewerbe und im Handel gab es keine fundamentalen Änderungen. Manche Städte schafften es, durch einen blühenden Handel reich zu werden, so z.B. die Kaufmannsaristokratie auf Rhodos. Bis 168 v. Chr., dem Zusammenstoß mit Rom, sicherte Rhodos sich in der Außenpolitik ab und institutionalisierte eine gewisse Wohltätigkeit im Inneren. Die rhodische Oligarchie gab den Armen bewusst, um Unruhen zu verhindern. In Tyros und Sagalassos gab es berühmte Färbereien. In Sidon war die Glasproduktion berühmt, Tarsos produzierte Leinen. Aber es gab keine Produktionssteigerungen zu vorher, nirgends kam es zu einer wirklichen Massenproduktion. Der Handel fühlte sich massiv eingeschränkt durch die ständig virulente Piraterie, für die v.a. Kreta berühmt-berüchtigt war. Die Piraten versorgten den Sklavenmarkt mit immer neuen gefangengenommenen Menschen. Vor allem in den alten Griechenstädten des Mutterlands und in Kleinasien war die Wirtschaft auf Sklaven angewiesen, weniger im Osten. Piraterie und Söldnerwesen waren, wie vorhin dargelegt, die Haupterwerbsquelle für die Männer, die kein landwirtschaftliches Grundstück erbten. Der Weg von der Piraterie zum Söldnerwesen war nach beiden Seiten hin offen, sehr typisch für die Vormoderne.

Wirtschaft der Städte
Die Städte waren nun nicht mehr selbständig, die meisten müssen Tribute an die Könige zahlen, außer diejenigen, die davon expressis verbis per Dekret ausgenommen waren. Immer wieder wurden die Städte auch wegen der Kriege zur Kasse gebeten oder mussten verschiedene Leistungen erbringen. Oft konnten diese Summen nur mit Hilfe der örtlichen Euergetai, der reichen Wohltäter, aufgebracht werden. Diese hatten ihren Reichtum meist im Sklavenhandel erworben und paktierten mit den skythischen und thrakischen Barbarenfürsten. Sie bekamen Sklaven, die Städte zahlten Schutzgelder, die z.T. aber von den Euergetai selbst aufgebracht wurden. Also eine Hand wäscht die andere, ein sehr korruptes System. Manchmal erwiesen sich die hellenistischen Könige aber auch großzügig, um ihr Image etwas aufzupolieren, indem sie Schenkungen an Städte machten und Geld bereitstellten für Bauten, Tempel, Säulenhallen, Bäder und Theater. Gelder wurden also auch zu Prestigezwecken ausgegeben, zur ostentativen Zurschaustellung des eigenen Reichtums, also wieder sehen wir die Wichtigkeit der Performanz. Reichtum wurde nicht in die Wirtschaft gesteckt, um diese anzukurbeln, ein wirtschaftspolitisches Denken fehlte.

Problem der Entvölkerung
Viele heirateten nicht mehr, auch der Kindsmord war allgemein üblich. Die Folge war die Entvölkerung ganzer Städte und Landstriche, angeblich, so Polybios, in Wahrheit war die Kinderlosigkeit wohl ein Phänomen der Oberschicht. Es gab wohl zu wenig Land, nicht zu wenig Menschen. Indizien dafür sind etwa die Piraterie und das Söldnerwesen auf Kreta sowie die ständige Forderung nach einer Neuverteilung des Landes, also wollen die Bauern pflügen, aber sie haben zu wenig Land zur Verfügung. Der Geburtenrückgang in der Oberschicht erklärt sich wohl dadurch, dass das Leben allgemein als sehr unsicher empfunden wurde. Not und Elend herrschten durch Kriege, Landknappheit und Verschuldung bei gleichzeitiger Verprassung der Ressourcen durch die Reichen, also ein Dritte Welt-Szenario. Wenn die Bauern nicht mehr konnten, wie oft in Ägypten belegt, liefen sie weg, wurden Söldner oder gleich Piraten und Banditen oder suchten Zuflucht in den großen Städten, wo sie als Bettler noch eher auf die Munifizenz der Könige hoffen konnten als auf dem flachen Land. Diese Entwicklungen erklären also die Entvölkerung vieler kleiner Städte und dass sie dringend Neubürger brauchten, denen dann auch gleich das Bürgerrecht verliehen wurde.

Gesellschaftliche Konflikte:
Sozialrevolutionäre Unruhen sind v.a. für Griechenland und Kleinasien belegt, von den Weiten des Ostens haben wir wenig Zeugnisse. Die alten Städte profitierten von der Ausbreitung nach Osten eigentlich kaum. In Ägypten war der Widerstand gegen die Obrigkeiten oft „nationalistisch“ angehaucht, weil die Oberschichten eben Makedonen und Griechen waren. Die Formeln „Neuverteilung des Landes“ (anadesmos ges) und „Aufhebung der Schulden“ wurden oft in die Bürgereide mit aufgenommen, dass man danach nicht trachten dürfe. Die Formel begegnet uns schon bei Solon, d.h. die sozialen Probleme Griechenlands waren eigentlich nie gelöst worden. Tatsächlich gab es immer wieder Unruhen, staseis, wobei man oft nicht sagen kann, ob die Ursachen allein in den desolaten inneren Verhältnissen zu suchen sind oder auch von außen befördert wurden. Beides blendet ineinander, Innen- und Außenpolitik sind oftmals unentwirrbar miteinander verwoben. Ätoler z. B. fördern gerne Umstürze in achäischen Städten. In den meisten Fällen verliefen die Erhebungen ohne Erfolg, sie verschlimmerten nur die ohnehin schon prekäre Situation, es gab Ermordungen, Verbannungen, Enteignungen wie eh und je. Die Sklaven waren von diesen Bewegungen ausgeschlossen, denn um sie ging es den freien Griechen nicht. Dass es nicht mehr Revolten gab, ist der „freiwilligen“ Wohltätigkeit der Reichen geschuldet, die mir ihren Almosen den schlimmsten Zorn der Armen eindämmen konnten.

Die Höfe
Der griechische Geist und die griechische dynamis verbreiteten sich gen Osten, aber natürlich gab es auch Konzentrationsprozesse an den Höfen, wie Pergamon und Alexandria. Die energischste Kulturpolitik betrieben die ersten drei Ptolemäer durch die Gründung des Museion und der Bibliothek. Es ist unklar, wann genau die Bibliothek gegründet wurde, vielleicht unter Ptolemaios I. Soter oder durch Ptolemaios II. Philadelphos. Unsummen wurden für Bücher ausgegeben und um die besten Köpfe nach Alexandria zu holen. Zuletzt besaß die Bibliothek 500.000 Schriftrollen. Das Museion war das an die Bibliothek angegliederte Forschungsinstitut, wo v.a. Philologie betrieben wurde. Der erste Leiter des Mueseion war Philitas von Kos. Zenodotos von Ephesos (ein Schüler des Philitas) ist der erste Bibliotheksleiter, er besorgt die erste Edition Homers. Auch Aristophanes von Byzanz und Aristarchos von Samothrake widmeten sich v.a. Homer, hier entsteht die Homerphilologie. Manche heutige Forscher wie z. B. Greg Nagy vermuten, dass die homerischen Epen eigentlich erst hier ihre endgültige Gestalt bekamen. Hier liegen die Grundlagen für die philologischen Forschungen ab der Renaissance. Alexander aus Aitolien und Lykophron von Chalkis, beide Dichter, beschäftigen sich philologisch mit der Tragödie und Komödie.
Theokrit von Syrakus, der große Hirtendichter, verweilte nur kurz in Alexandria, wir wissen nicht warum. Sein Idyll 15, ein Dialog zweier Syrakusanerinnen, die ausgehen, um am Adonis-Fest teilzunehmen, vermittelt den Flair einer kosmopolitischen Urbanität. Kallimachos wird der Meister der Kleinform und ist der Vertreter der Alexandrinischen Dichterschule; Wortwitz und Kürze, Prägnanz sind hier wichtig. Im Gegensatz dazu steht Apollonios Rhodios, der sein Epos über die Argonauten in Alexandria schreibt, eine Zeitlang war er der Chefbibliothekar. Er propagierte genau das Gegenteil einer Kleinform, weswegen er in Konflikt mit Kallimachos geriet und schließlich Alexandria verließ.
In Pergamon gab es im 2. Jahrhundert v. Chr. einen ähnlichen Musenhof. Die Bibliothek dort war die zweitgrößte der Alten Welt nach Alexandria. Krates von Mallos ist der große Homergelehrte in Pergamon, der oft eine allegorische Deutung schwieriger Passagen vorschlägt. Bei einer Reise nach Rom brach er sich dort ein Bein, musste dann einige Zeit in Rom bleiben, hielt dort Vorträge und erweckte ein gewisses Interesse an der Homer-Philologie. Die Historiker schrieben überall, nicht nur an den Höfen: Hieronymos von Kardia schreibt in Pella, Timaios in Athen, Polybios notgedrungenerweise als Geisel in Rom und auch zu Hause in Megalopolis.

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04 – Die Seleukiden und die Ptolemäer

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Werner Rieß
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Griechische Geschichte III: Der Hellenismus

04 – Die Seleukiden und Ptolemäer

Ich möchte heute versuchen, die Reiche der Seleukiden und Ptolemäer in aller Kürze etwas zu charakterisieren. Bei den Seleukiden gibt es drei Kategorien von Untertanen:
1. Die Dynasten, hohe weltliche und geistliche Herren, die faktisch unabhängig sind.
2. Die griechischen Poleis (de facto sind sie relativ autonom, sie stehen außerhalb der Territorialverwaltung, ihr Verhältnis zum Reich regelt formal ein Vertrag).
3. Die Völkerschaften; nur sie unterstehen den Seleukiden direkt (durch Statthalter).
Alle drei Gruppen sind aber steuerpflichtig. Die Größe des Gesamtgebiets schwankte enorm zwischen 312, als Seleukos I. Babylon an sich riss und 129, als nur noch ein kleines Gebiet in Nordsyrien übrig war. Das Seleukidenreich zeichnet sich durch eine enorme Vielfalt an Völkern und Kulturen aus, ganz im Unterschied zum Reich der Antigoniden und Ägypten, wo nur zwei Kulturen aufeinander prallten. In Kleinasien lebten an den Küsten die Griechen in ihrer Poliskultur, im Zentrum die Kelten, mehr oder weniger in Clans organisiert. In Palästina lebten die Juden mit ihrer ganz eigenen, distinkten Kultur und Religion, im Süden die Araber; das Zweistromland war immer noch von den uralten Hochkulturen geprägt. Im Osten lebten iranische Reiternomaden, aber es gab auch vereinzelt griechische Neugründungen, die gewissermaßen isoliert im Niemandsland lagen.
Auch die Seleukdien regieren mit ihren philoi, Freunden, und einer griechisch-makedonischen Oberschicht. Zwei Generationen lang waren Einheimische ganz von Verwaltungsämtern ausgeschlossen, dann machen sie im Verwaltungspersonal nur 2,5% aus. Alexanders Idee einer Verschmelzung war von seinem direkten Umfeld wohl nie verstanden worden.
Das Seleukidenreich war in 25-30 Satrapien gegliedert, darunter gab es Hyparchien und Toparchien. Die Satrapen regierten wie kleine Könige. Den makedonischen kam die volle Militärgewalt zu, den einheimischen wurde ein makedonischer Militärbefehlshaber zur Seite gestellt (so in Babylonien, Kappadokien, Kilikien).
An der Spitze der Finanzverwaltung stand ein epi ton prosodon, ihm unterstanden Finanzfunktionäre in den Satrapien und deren Untergliederungen, also auch hier gab es ein großes Interesse am Füllen der Staatskasse, aber nicht so einheitlich und durchgeplant wie im Ptolemäerreich. Bei den Seleukiden gibt es einen Stellvertreter des Königs, einen Großwesir, epi ton pragmaton, also Geschäftsführer. Diese Struktur spiegelte sich auf der Ebene der Satrapien wieder. Der Satrap war also ziviles und militärisches Oberhaupt seiner Provinz und stand damit ganz in der Tradition des Achaimenidenreiches. Antiochos III. war dann der große Reorganisator, er stellte das gesamte Reich auf Strategien um. Der Stratege ist deren oberster Militär- u Zivilbefehlshaber. Ihm zur Seite steht ein Finanzminister, der dioiketes.
Die Könige hatten riesige Domänen, auf denen Scharen von „hörigen“ Bauern (laoi) und Sklaven (oiketai) arbeiteten, allerdings war die Sklaverei auf dem Land nicht weit verbreitet. Die laoi lebten in Dörfern und unterstanden manchmal einem Komarchen oder einem Grundherren, um dessen Wehrturm herum sie siedelten. Sie mussten dem Grundherren Abgaben und Dienste leisten. Bei einem Besitzwechsel der Ländereien gehörten sie einfach mit zum Inventar, selbst wenn sie schon weggezogen waren. Den Verpflichtungen am alten Wohnort war aber immer noch nachzukommen.
Aus inschriftlich erhaltenen Briefen wissen wir, dass es verschiedene Rechte an Grundstücken gab: Privateigentum, Erbpacht, Schenkungen vom König. Offenbar gab es viele Formen und Möglichkeiten des Grundbesitzes. Der Seleukidenkönig wuchs hier in die gewachsenen orientalischen Strukturen hinein, d.h. theoretisch gehört alles Land ihm, weil speergewonnen, aber faktisch kann er dann doch Land in unterschiedlicher Art und Weise vergeben. Letztendlich lag jedoch der Vorbehalt eines letzten Eigentumsrechts beim König.

Katoikiai sind Militärsiedlungen für Soldaten und Reservisten. Kleroi heißen die Parzellen, die dafür vorgesehen sind. Manchmal sind diese kleroi erblich. Katoikiai sind ganze Siedlungen von Veteranen auf kleroi. Katoikoi sind die Soldaten, die dort siedeln. Katoikoi sind also die Inhaber von kleroi. Die katoikoi haben drei Funktionen:
Reservisten für den Notfall
Wehrbauern als eine Art Garnison, die die Ordnung aufrechterhielt.
Landbebauung.

Städte:
Bei Städtegründungen wurde das Stadtland aus dem Königsland herausgenommen; hier war dann wirklich Erwerb von Grundeigentum möglich. Die Städtegründungen bleiben in griechischer Tradition, die die Herrscher nicht nur respektieren, sondern immer wieder implementieren. D.h. es gibt völlig verschiedene Eigentumsstrukturen und damit auch verschiedene Untertanengruppen. An eine Vereinheitlichung war überhaupt nicht gedacht. Städte wurden bis an den Indus gegründet, eine große zivilisatorische Leistung des Seleukidenreiches. Vor allem die ersten drei Seleukiden betätigten sich als Städtegründer, Seleukos I. (312-281), Antiochos I. (281-261) und Antiochos II. (261-246). Die meisten Städtenamen sind makedonisch oder nordgriechisch. Von diesen Orten im Mutterland kamen wohl die meisten neuen Einwohner, die eben zur Erinnerung an die alte Heimat den Namen mitnahmen, wie viele Europäer, die als Auswanderer in den USA ihr Glück suchten.
Es gibt vier Großstädte in Nordsyrien, das Seleukos sich als Kernland wählte: Antiochia am Orontes, Seleukeia in Pierien (am Anfang die zweitwichtigste Stadt nach Seleukeia am Tigris), Laodikeia am Meer und Apameia am mittleren Orontes, wo die Reiterei und die Kriegselefanten stationiert waren. Wir sehen also ein großes Bemühen um die Infrastruktur und Förderung des Handels. Dabei gab es sehr unterschiedliche Typen von Städten:
Alte griechische Städte an der kleinasiatischen Westküste, wie Smyrna oder Ephesos.
Neugründungen wie Seleukeia am Tigris.
Einheimische Städte, die dynastische Namen bekamen; Jerusalem heißt dann auch einmal Antiocheia.
Einheimische Städte, die völlig hellenisiert wurden, werden zu Verwaltungszentren und Garnisonen.
Selbst die Neugründungen waren mehr oder weniger makedonisch, je nachdem wie viele einheimische Orientalen die Könige dort ansiedelten.
Alle Städte hatten Beamte und die typischen Verfassungsorgane einer griechischen Stadt, Phylen, Rat, Volksversammlung, Magistrate, Demen, Stadtrecht, Finanzverwaltung sowie eine Stadtmauer.
Nach außen agierten sie frei, erließen Dekrete und schickten Gesandte hin und her, doch waren sie in Wirklichkeit ganz von den Herrschern abhängig, die in absolutistischer Manier schalteten und walteten. Dennoch pochten sie immer wieder auf ihre Befreierrolle und betonten die Freiheit der Städte, was meist lediglich Propaganda war. Die Schlagworte „Freiheit“, „Demokratie“ und „Selbständigkeit“, die immer wieder in den Dekreten auftauchen, sind austauschbar und sagen nicht mehr viel, auf alle Fälle weniger als im 5. und 4. Jh. v. Chr. Normalerweise übten die Herrscher unumschränkte Macht über die Städte aus. Nur der Grad an Abhängigkeit variierte. Wenn eine Stadt keine Steuern zahlen musste und auch keine Garnison hatte, dann war sie am besten dran. Andere Städte zahlten Steuern, hatten aber keine Garnison. Ganz arm dran waren die Städte, die tributpflichtig waren und eine Garnison beherbergen mussten. Das Verhältnis zwischen König und Stadt ist sehr komplex. Der König brauchte den goodwill der Städte, um überhaupt regieren zu können; es gibt gegenseitige Verpflichtungen und Loyalitäten. Er finanziert viel, die Städte erweisen sich im Gegenzug loyal und dankbar und errichten ihm Ehrenstatuen und richten Kulte für ihn ein. Antiochos III. bat die Städte sogar, alle seine Anordnungen zu ignorieren, falls sie mit den städtischen Gesetzen in Widerspruch stünden. Seine Anordnung wäre dann nur aus Unkenntnis der lokalen Gegebenheiten erlassen worden, nach dem Prinzip „Stadtrecht bricht Reichsrecht“. Hier sehen wir wieder, in welchem Ausmaß die hellenistische Monarchie ein Akzeptanzsystem war. Die Könige respektieren bewusst die lokale Vielfältigkeit, sie machten aus der Not eine Tugend, anders wäre der Vielvölkerstaat mit sehr disparaten Kulturen nicht zu regieren gewesen.
Da die Hellenisierung ein urbanes Phänomen war, wurde die Kluft zwischen hellenisierten Städten und dem flachen Land, wo die oben beschriebenen Katöken oder Periöken saßen, immer tiefer. Diese Bauern gehörten noch dazu meist anderen Ethnien an. Dazu kommt eine zunehmende Aristokratisierung der Reichen in den Städten, die immer reicher wurden, indem sie vom zunehmenden Handel profitierten und immer mehr Land an sich brachten. Die soziale Schere ging also auseinander. Ein dringendes Forschungsdesiderat ist die Untersuchung der Kommunikation zwischen den Königen und der Bevölkerung der Hauptstädte (ähnlich wie bei Rom zwischen Kaiser und plebs von Rom).

Das Ptolemäerreich
Ptolemaios I. wollte Ägypten zu seiner Basis ausbauen und hatte offenbar, anders als Antigonos, nie das Ziel, das Gesamtreich für sich zu gewinnen. Der Ptolemäer sah sich als Nachfolger des Pharao, Ägypten als seinen persönlichen oikos. Das Ptolemäerreich war viel einheitlicher als das Seleukidenreich, viel straffer organisiert. Eine makedonisch-griechische Oberschicht herrschte über die einheimischen Fellachen. Die griechische Bürokratie verband sich sehr erfolgreich mit pharaonischen Traditionen. Städtegründung waren kaum nötig, nur in Oberägypten, in der Thebais, gründet Ptolemaios I. Ptolemais, das Verwaltungszentrum für die Thebais wurde. Er selbst verlegt die Hauptstadt von Memphis nach Alexandria und schließt hier sehr bewusst an das Erbe Alexanders an.
Die Verwaltung war ganz auf die Generierung von Geld ausgerichtet: „Zentralismus“ und „Merkantilismus“, extreme „Planwirtschaft“ sind die besten Termini, um das wirtschaftliche Verhalten der Ptolemäer zu beschreiben. In Ägypten durften nur ptolemäische Münzen benutzt werden. Ziel war ein geschlossenes monetäres System. Es gab eine strenge Produktions- und Steuerkontrolle, um die Schatzkammern des Königs zu füllen. Die Steuerpacht wurde hier im großen Stil eingesetzt und später von den Römern übernommen (publicani, die Zöllner stehen im Neuen Testament für „Sünder“). Sie war neu in Ägypten und gegen dieses neue System der Steuerpacht regte sich auch massiver Widerstand von Seiten der Fellachen.
Verwalter des Reiches war an der Spitze der dioiketes. Das Land war in ca. 40 Gaue (nomoi) unterteilt, an der Spitze jeden Nomos´ steht der Stratege (militärischer Befehlshaber, später waren die epistrategoi fürs Militär verantwortlich; die Strategen unterstanden direkt dem König, hatten auch Aufgaben in der Rechtspflege, wurden im 2. Jh. v. Chr. zu den Häuptern der Nomos-Verwaltung und waren dann fast nur noch mit zivilen Dingen befasst) mit dem oikonomos, der für die Finanzen verantwortlich ist, und dem nomarch, der die Aufsicht über das Ackerland hat. Neben ihnen stehen der antigrapheus (ein Kollege des oikonomos) und der basilikos grammateus (verantwortlich für Registrierung und Buchführung), jeder mit einer Vielzahl von Untergebenen.
Es gab jede erdenkliche Art von Steuern, Ägypten war wohl die am besten organisierte Region der Antike.
Unter den Gauen waren die Toparchien (toparchos, topogrammateus) und darunter die Dörfer (komarchos, komogrammateus). Die unteren Ämter waren alle von Ägyptern besetzt, da sie ja mit den Fellachen in deren Muttersprache kommunizieren mussten.
Zwei Rechsordnungen waren parallel in Kraft: Es gab Gerichtshöfe für die Einheimischen und die Griechen.
Das Heer bestand aus Makedonen und Söldnern. Starke Garnisonen standen in Alexandria, Pelusion und Elephantine (Grenzen). Um die Söldner ans Land zu binden, hat man sie als Kolonisten im Fajum angesiedelt (als Kleruchen, später katoikoi genannt). Erst Ende des 3. Jahrhunderts werden auch Einheimisch aufgeboten. Sie werden selbstbewusster, so dass im 2. Jh. die Eingeborenenaufstände nicht mehr abreißen.
Diese Aufstände liegen wohl nicht in ethnischen oder gar „nationalen“ partikularen Tendenzen begründet, sondern haben meist soziökonomische Ursachen; die meisten Armen waren eben einheimische Ägypter, die meisten Reichen waren Griechen, so dass diese soziökonomischen Ursachen dann auch von ethnischen Ressentiments überlagert werden konnten.

Es gibt sechs Kategorien von Land; der König betrachtet alles Land als sein persönliches Eigentum; das machen auch die anderen hellenistischen Herrscher so.
Pachtland, das königliche Bauern (Kronbauern) bestellen; sie wirtschaften unter Aufsicht königlicher Funktionäre, meist ist dieses Land nur kurzfristig verpachtet.
Konzediertes Land, dort waren keine Abgaben an die Krone nötig, es handelte sich also um geschenktes Land an Tempel, aber auch an verdiente Einzelpersonen.
Tempelland: Priester verhalten sich wie bodensässige Adelige, ab dem 2. Jh. wurden sie immer mächtiger, konnten ihr Tempelland sogar vergrößern. Der König war immer auf den goodwill der Priester angewiesen, denn sie verkörperten die alten, indigenen Eliten, sie hatten das kulturelle Gedächtnis Ägyptens gespeichert; es war unmöglich, ohne einen Konsens mit ihnen über Ägypten zu regieren.
Kleruchenland für Reservesoldaten und Veteranen (ab 217 wurden sie als katoikoi bezeichnet). Sie mussten das Land bebauen und im Notfall auch im Heer dienen. Der Kleruch konnte seine Parzelle auch wieder verpachten, v.a. wenn er zum Kriegsdient einberufen wurde. Allmählich wurden die Landparzellen (kleroi) erblich, blieben also innerhalb der Familie. Das Kleruchenland wird also immer mehr zum Privateigentum. Auch die Kleruchen zahlen natürlich dieselben Steuern und Abgaben wie die Kronbauern. Allerdings zahlen die Kleruchen, die ja meist Griechen waren, kaum Pacht, weil sie Militärdienst leisteten; sie hatten wohl ein etwas erträglicheres Los als die Kronbauern, die Fellachen waren.
Lehnsland für hohe Würdenträger des Königs.
Privatland.
Alle Kategorien werfen reiche Erträge für den König ab; die Ptolemäer sind daher die reichste Dynastie im Osten (Landwirtschaft, Wirtschaft, Handel). Beschwerden der arbeitenden Bevölkerung an die Behörden sind überliefert: Es gab also massive Probleme und drückende Armut. Durch die Papyri gewinnen wir hier einen besseren Einblick in das Alltagsleben antiker Menschen als in jeder anderen Region der antiken Welt. Der rigorose Zentralismus interessierte sich nicht für diese Menschen, sondern nur für das Füllen der Staatskasse, so dass die kostspieligen Kriege finanziert werden konnten.

Griechenstädte: Alexandria, Naukratis, Ptolemais (in der Thebais), später Antinuopolis.
Alexandria: Die herrschende Schicht bestand aus Griechen und Makedonen. In Ägypten gab es sowieso nur wenige Städte. Alexandria wurde durch die Verlagerung der Hauptstadt durch Ptolemaios I. zur kosmopolitischen Weltstadt, einer Verwaltungszentrale und zu einem Handelsknotenpunkt, wo sich Menschen aus aller Herren Länder ansiedelten, Griechen, Makedonen, einheimische Ägypter, Juden und andere. Die Verkehrssprache war Griechisch. Alexandria wurde durch den Hof auch zum geistigen, literarischen und kulturellen Zentrum der östlichen Mittelmeerwelt. Hier konzentrierten sich die Intellektuellen, hier entstand die antike Philologie in der Auseinandersetzung mit den alten Homertexten und den Texten der athenischen Tragiker und Redner, die hier zum ersten Mal ediert und kommentiert wurden. All dies geschah im Umfeld der großen und in der Antike einzigartigen Bibliothek von Alexandria. Ptolemaios war ein Buchbesessener, er ließ jedes ankommende Schiff in Ägypten auf Bücher hin untersuchen. Wenn welche gefunden wurden, wurden sie sofort konfisziert und der Bibliothek einverleibt.
Naukratis war eine alte Griechenstadt, über die die Pharaonen mit der Mittelmeerwelt Handel trieben.
Ptolemais in Oberägypten ist die einzige ptolemäische Stadtgründung, insgesamt gab es also nur drei wirkliche griechische Städte.

Ein grundsätzliches Problem stellte das Miteinander der beiden großen Volksgruppen der einheimischen Ägypter und der zugewanderten Griechen und Makedonen dar, die immer in der Minderheit waren. Die Ägypter behielten ihre eigenen Gesetzte und Gerichte. Die Griechen gingen vor griechische Gerichte. Es ist interessant zu sehen, wie hier zwei Rechtskreise und Rechtskulturen nebeneinander bestanden.
Im Laufe der Zeit konnten Ägypter auch die Verwaltungslaufbahn einschlagen, wenn sie Griechisch konnten; es gab also eine verstärkte Integration des einheimischen Elements. Trotz Konflikten und Reibungsflächen kann man schon in einem gewissen, begrenzten Maße von einem Zusammenwachsen der Kulturen sprechen. Die Inschriften zeigen auch, dass verstärkt griechische und ägyptische Götter gleichgesetzt wurden, also eine interpretatio graeca stattfand. Nun kam es auch verstärkt zu Mischehen, die aber eher begrenzt auf die Unterschichten blieben. Die Oberschichtgriechen hielten sich nach wie vor von Ägypterinnen fern. Kleopatra VII., die letzte ptolemäische Herrscherin, war eine große Ausnahme: Sie war die erste Ptolemäerin, die die einheimische Sprache beherrschte, was nicht verwundert, da sie angeblich neun Sprachen gesprochen haben soll.

Schon früh gab es massive Auflösungstendenzen. Die Korruption blühte, und die einheimische Bevölkerung lehnte den makedonischen Zwangsapparat immer ab. Die Könige verloren immer mehr Macht an die Priester und an lokale strongmen, die den Armen Schutz geben konnten. Der Untergang hat viele Gründe:
Eine verfehlte Außenpolitik mit ständigen Kriegen und, damit verbunden, katastrophalen ökonomischen Folgen.
Zu wenige auswärtige Märkte, der Staatsdirigismus war eine große Fessel für die Wirtschaft.
Innere Unruhen und Bürgerkriege, wie der Abfall von Oberägypten und die Unruhen im Delta. Es handelte sich nicht nur um ethnische Konflikte, sondern sie wurden immer auch von sozio-kulturellen Konflikten überlagert.
Eine repressive Regierung, die auch aus einem kulturellen Überlegenheitsgefühl heraus die Mehrheit der Bevölkerung beinahe in einen Hörigenstatus hinabdrückte.
Korrupte Beamte.
Inflation.

Mit dem Selbstmord Kleopatras nach der Schlacht von Actium (31 v. Chr.) und der Einverleibung Ägyptens in das römische Reich durch Octavian war die Geschichte des letzten hellenistischen Teilreiches beendet.

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03 – Die Antigoniden und die Bünde

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Werner Rieß
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Griechische Geschichte III: Der Hellenismus

03 – Die Antigoniden und die Bünde

Im Gegensatz zum Reich der Ptolemäer und v.a. zum Seleukidenreich, ist das Reich der Antigoniden ethnisch einheitlich. Von 276, also von Antigonos II. Gonatas, bis 168 v. Chr. wird Makedonien von der Antigonidendynastie regiert. Die Feudalstruktur, die die Argeaden geschaffen hatten, lebte fort. Nach wie vor waren die vielen kleinen Landbesitzer wichtig, die als Pezhetairen in der Landwirtschaft eingesetzt wurden und die in der makedonischen Heeresversammlung gewisse Mitspracherechte hatten. Diese makedonische Heeresversammlung ist eine Art Volksversammlung. Wie oft sie einberufen wurde, wissen wir nicht, es sind auch keine Dekrete epigraphisch erhalten, was wohl kein Zufall ist.
Das Heer bestimmt theoretisch den neuen König. Und jeder König war seinerseits auf den goodwill des Heeres angewiesen, das auch über Fälle von Hochverrat richtet. Die philoi, die Freunde des Königs, rekrutierten sich anders als bei den Seleukiden und Ptolemäern nicht aus den fähigen Leuten der ganzen griechischen Welt, sondern ausschließlich aus dem einheimischen Adel. Manchmal erwähnen Inschriften ein koinon der Makedonen, also einen Bund, aber der war nur schwach ausgeprägt. Der makedonische König regierte autoritär. Der König schloss Verträge allein. Erwähnenswert ist auch, dass die Makedonen niemals einen Herrscherkult für einen ihrer Könige einrichteten.
316 gründete Kassander Kassandreia auf der Halbinsel Pallene am Ort des alten Poteidaia, das von Philipp II. zerstört worden war, sowie Thessaloniki. Kassandreia hat einen Rat, Thessaloniki einen Rat und eine Volksversammlung, hier werden also die Polisstrukturen des Südens nachgeahmt. Dennoch kontrollieren königliche Vorsteher, epistatai, alles im Namen des Königs, wobei Finanzbeamte ihnen dabei halfen. Die Städte übten aber eine lokale Selbstverwaltung aus, hatten eigene Geldmittel und konnten das Bürgerrecht ihrer Stadt an andere Makedonen verleihen. Die Zentralverwaltung spielte bei den Antigoniden eine weniger wichtige Rolle als bei den Ptolemäern und Seleukiden. Die obersten Magistrate rekrutierten sich nicht aus dem Verwaltungsapparat. D.h. es gab keinen Aufstieg in die Spitzenämter. Diese blieben den philoi, den Freunden des Königs vorbehalten, der seine Getreuen damit auszeichnete. Er konnte sie aber natürlich auch jederzeit wieder absetzen.
Den Antigoniden gelang es nicht, die Außenbesitzungen mit dem Mutterland zu verschmelzen. Die Griechen empfanden die makedonische Suprematie immer als Zwangsherrschaft. 196 war sie mit der Freiheitsdeklamation des Titus Quinctius Flamininus zu Ende, dennoch blieb das makedonische Volksheer ein wichtiger Machtfaktor bis zum Untergang Makedoniens in der Schlacht von Pydna 168 v. Chr.
Eine Betrachtung der Wirtschaft Makedoniens muss bei Philipp II. ansetzen. Er unternahm gewaltige Anstrengungen, um die Infrastruktur zu verbessern. Er machte aus den Makedonen erst Bauern und auch Städter. Er integrierte Thraker, Skythen und Illyrer, er ließ Dämme bauen und viele Gebiete entwässern und roden. Allerdings stellten die Abwanderung großer Bevölkerungsteile in den Orient und die ständigen Kriege einen gewaltigen Aderlass für Makedonien dar. Unter Antigonos Gonatas kam es zu einem gewissen, bescheidenem Wohlstand. Als Philipp V. jedoch im Zweiten Makedonischen Krieg gegen die Römer verlor, musste er 1000 Talente Reparationszahlungen leisten, was ihn zwang, neue Geldquellen zu erschließen: Er führte die Bodensteuer ein, Hafenzölle, legte mehr Bergwerke an und siedelte Thraker an, also eine ganz ähnliche Politik, wie sie Philipp II. betrieben hatte. Perseus setzte dann die Politik seines Vaters fort. Die Urbanisierung schritt rasch voran, was die Archäologie belegt. Zwischen 200 und 150 wird Demetrias in Thessalien eine blühende Hafenstadt. Sie war 293 von Demetrios I. gegründet worden und genoss daher immer das besondere Wohlwollen der Antigoniden. Der Königsplast dort ist auch archäologisch gut belegt. Abgesehen von Haussklaven scheint die Sklaverei in Makedonien nicht sehr verbreitet gewesen zu sein. Makedonien war niemals so reich wie Ägypten oder das Seleukidenreich.
Makedoniens Verhältnis zum südlichen Griechenland war immer komplex. Einerseits war es Bollwerk gegen die Balkanvölker im Norden, ein Schutzschild für die im Süden lebenden Griechen. Andererseits war das südliche Griechenland für die Makedonen das Tor zur Welt. Man wollte es von den Ätolern, Ptolemäern und auch vom Einfluss Pergamons freihalten. Nach wie vor war im südlichen Griechenland umstritten, wie man sich zu Makedonien stellen sollte, mit Makedonien gegen die eigenen Nachbarn oder mit den Nachbarn gegen die Makedonen. Die Geschichte des 3. und 2. Jahrunderts zeigt, dass diese Grundsatzfrage nicht gelöst war, Demosthenes und seine Gegner fanden Nachfolger in der hellenistischen Zeit!
Die makedonische Oberhoheit wurde immer wieder von verschiedenen Völkern als etwas Fremdartiges und als von außen aufoktroyiert empfunden. Nach dem Chremonideischen Krieg, den ein Bündnis der südlichen Griechen gegen die Makedonen verloren hatte, formierte sich die Opposition in Gestalt des Achäischen Bundes, der einen Tyrann nach dem anderen vertrieb; ab dem 3. Jh. wurde dieser Bund so stark wie der Ätolerbund in Mittelgriechenland. Antigonos hatte nicht die Mittel, die Tyrannen von seinen Gnaden zu schützen. Ab 239 war der Ätolische Bund mit dem Achäischen Bund gegen Makedonien verbündet, eine sehr mächtige Koalition. Als Demetrios II. (239-229) starb, war sein Sohn Philipp erst acht Jahre alt, Makedonien damit in großen Schwierigkeiten. Die Granden Makedoniens wählen in dieser prekären Situation Antigonos III. Doson zum König, der machtvoll wieder viel wettmachen kann. Er hatte das große Glück, dass ein neuer König in Sparta, Kleomenes III., eine soziale Revolution anzetteln und massiv auf der Peloponnes auf Kosten des Achäischen Bündes expandieren wollte. Dies konnte Aratos nicht zulassen. Er fühlte sich von Kleomenes stärker bedroht als von Makedonien und vollzog nun eine in den Augen vieler Zeitgenossen schändliche Kehrtwendung seiner bisherigen Politik: Er rief nun die Makedonen, die er zeit seines Lebens bekämpft hatte, auf die Peloponnes, um gegen die spartanischen Expansionsgelüste vorzugehen.
224 v. Chr. war Antigonos Doson wieder Herr über Korinth. Er starb 221, Nachfolger wurde nun Philipp V., den er sozusagen vertreten hatte. Philipp V. kehrt nun zur alten Bündnispolitik seiner Vorfahren zurück; nun aber schließt er Bündnisse mit Konföderationen, nicht mehr nur Stadtstaaten. Eine neue Symmachie geht er ein mit Achaiern, Thessalern, Epiroten, Akarnaniern, Boiotern und Phokern. Die Entscheidungen mussten von allen Mitgliedsstaaten gebilligt werden, das ist bereits ein Gründungsfehler, denn damit war diese Symmachie immer kraftlos. Zwar war das ein Verzicht auf das Tyrannensystem des Antigonos Gonatas, aber eben nur ein schwacher Kompromiss zwischen dem Freiheitsdenken der Griechen und dem Kontrollwunsch der Makedonen.
Die Symmachie schaffte es, den Ätolischen Bund zu umzingeln, führte dann jedoch einen ergebnislosen Krieg gegen ihn 220-217. Philipps Niederlage gegen die Römer in der Schlacht von Kynoskephalai 197 warf ihn dann ganz auf Makedonien zurück. Philipp begreift die Zeitläufte und kämpft dann auf Seiten Roms gegen Antiochos III., so dass er einige Gebiete in Thessalien inklusive Demetrias wieder zurückgewinnen kann, allerdings nehmen ihm die Römer diese Gebiete nach und nach wieder ab. Im Dritten Makedonischen Krieg zwischen Perseus und den Römern endet in der Schlacht von Pydna 168 v. Chr. das Reich der Antigoniden als erstes der drei hellenistischen Großreiche.
Die Bünde waren schon mehrmals angesprochen worden, auf sie gilt es jetzt näher einzugehen. Die Bünde sind eine Form des Föderalismus, mehrere Städte schließen sich zu einem größeren Bund zusammen und übertragen einige ihrer Rechte an diesen Bund. Die wichtigsten Bünde der hellenistischen Zeit sind der Ätolische und der Achäische Bund. Ziel war es, ein Gegengewicht zu den Monarchien zu bilden. Den Teilnehmern war klar, dass sie als einzelne Poleis nur noch schwach waren. Der Ätolische Bund ist seit 367, der Achäische seit 280 v. Chr. bezeugt. Es gibt ein Bundesbürgerrecht und daneben natürlich immer noch das Bürgerrecht der Heimatpolis, d.h. Grunderwerb ist auch woanders möglich, auch Eheschließungen sind möglich.
Es gibt aktives und passives Wahlrecht im ganzen Bund, dennoch bildet sich keine Zentralgewalt aus, keine richtige Hauptstadt. Auf die Bedeutung der Zentralorte werden wir gleich noch eingehen. Es gibt immer eine Bundesversammlung als Primärversammlung, wo die Teilnehmer direkt mitreden konnten, abgestimmt wird aber korporativ, also nach Mitgliedsstaaten. Durch die Abtretung der Außenpolitik an den Bund kann man durchaus von Bundesstaaten sprechen. Der Ort der Primärversammlung wechselte. Es gab dann immer auch einen Bundesrat (Synhedrion, Boule, Mitglieder unterlagen keinem Kontinuations- oder Iterationsverbot, hier sind oligarchische Strukturen deutlich) und Bundesmagistraten, proportional aus den Mitgliedsstaaten zusammengesetzt. Die Magistraturen werden jedes Jahr neu besetzt. Der Bundesrat als Repräsentativorgan (proportional aus den Mitgliedspoleis zusammengesetzt) wurde im Verhältnis zur Bundesversammlung immer wichtiger.
Im Achäischen Bund gab es eine Verlagerung der Kompetenzen nach oben: Alle Bundesbeschlüsse inklusive Gesetzgebung, außer der Entscheidung über Krieg und Frieden, wurden von der Bundesversammlung an den Bundesrat delegiert. In allen Bünden werden die Räte (und Magistrate) gestärkt auf Kosten der Primärversammlungen, das ist ein Trend hin zur Oligarchisierung und Aristokratisierung der Politik.
Aus Zeitgründen können wir hier nur etwas näher auf den Achäischen Bund eingehen. Die Städte an der Nordküste der Peloponnes bildeten schon früh einen Verbund, der aber unter Alexander zerfiel. Um 280 kam es zur Neugründung. Eine prägende Gestalt wurde Arat von Sikyon, der 251 den Tyrann aus seiner Heimatstadt vertrieb und sie an den Bund anschloss. 243 luchste man Antigonos Gonatas Korinth ab. Und weil Arat eine sehr dynamische Politik betrieb, wurden auch andere Staaten am Isthmos und Arkadien und Argos zu Mitgliedern. Dann aber wurde der Bund vom Spartanerkönig Kleomnes III. bedroht, weswegen Arat den höchst umstrittenen Seitenwechsel hin zu Makedonien vollzog.
Damit war der Achäische Bund von 224 bis 199 eigentlich unter der Kontrolle Makedoniens und nahm auch am Ersten Römisch-Makedonischen Krieg gegen Rom teil. Beim Ausbruch des Zweiten Römisch-Makedonischen Krieges stand der Bund klugerweise dann auf Seiten Roms und erhielt von Rom die Erlaubnis, alle Staaten der Peloponnesischen in den Achäischen Bund aufzunehmen. Dann gab es aber Streit mit den Römern um Sparta. Einem Ultimatum von Seiten Roms folgte 147 ein kurzer Vernichtungskrieg. Korinth wurde von den Römern zerstört, der Bund aufgelöst. Polybios, der in Megalopolis in Arkadien aufgewachsen war und treu in den Diensten des Bundes gestanden hatte, stand ihm natürlich sehr wohlwollend gegenüber und schildert uns in seinem großen Geschichtswerk die Ideale des Bundes in geradezu enkomiastischer Weise.
Noch einige Charakteristika des Bundes: Ab 255 gab es einen gemeinsamen Feldherrn sowie gemeinsame Beamte, ab 190 gab es gemeinsame Bundesmünzen. Die Kompetenzen der Bundesversammlung, die viermal im Jahr zusammenkam, sind umstritten. Auch eine Boule für Männer ab dreißig Jahren gab es. Zu den Vollversammlungen hatten alle erwachsenen Männer Zutritt. Die Magistrate kamen allerdings aus wenigen Familien und auch aus wenigen Städten, hier ist also ein gewisser oligarchischer Zug erkennbar. Wichtige Fragen der Außenpolitik, v.a. zum Verhältnis mit Rom, wurden auf Sondervollversammlungen diskutiert. Mehr als hundert Jahre lang war der Achäische Bund also bedeutsam für die Geschichte Griechenlands.
Neben dem Achäischen und dem Ätolischen Bund gab es aber noch andere Bünde, die z.T. wesentlich älter waren:
447 Böotischer Bund; seine Verfassung ist beschrieben in der Hellenika von Oxyrhynchos,
spätes 5./frühes 4. Jh: Chalikidischer Städtebund und
nach 371 Arkadischer Bund (koinon).
Wichtig sind auch noch der Nesiotenbund (meist unter ptolemäischem Protektorat), der Euböische Bund sowie der Lykische Bund in Kleinasien, aus 23 Poleis bestehend.
Die Tendenz, sich zu Bundesstaaten zusammenzuschließen, deutet gerade nicht auf einen Niedergang der Pols hin, die Polis blieb ja unterste Organisationseinheit, sondern auf den Realitätssinn, sich zu größeren Entitäten zusammenschließen zu müssen, um den Monarchien ein Gegengewicht entgegensetzen zu können. Gerade die steigende Urbanisierung förderte den bundesstaatlichen Prozess. Die Stammesstrukturen wandelten sich um in Polisstrukturen. Nun entstehen auch in Stammesgebieten städtische Zentren mit urbanem Stadtbild (Gymnasien, Agorai, Säulenhallen, Verwaltungsgebäuden, Tempeln, Theatern usw. das, was wir als griechische Polis bezeichnen).
Die Balance zwischen Bundesebene, also der Zentralgewalt, und den Mitgliedspoleis, musste immer wieder neu austariert werden; die Lösung sah in den verschiedenen Bünden immer ein wenig anders aus, aber es gibt feste Grundprinzipien, die überall in Geltung waren: Alle Mitgliedspoleis waren grundsätzlich gleichgestellt. Die Zentralgewalt durfte nicht zu stark werden und die Polisebene dominieren. Oft wurde die Bundeshauptstadt gerade nicht der Hauptort einer Gegend. Die Arkader lösten das Problem ganz radikal, indem sie Megalopolis als Hauptstadt des Arkadischen Bundes ganz neu gründeten, das Konzept scheiterte aber. Aigion wird Hauptort des Achäischen Bundes, Thermon mit seinem Apollon Heiligtum zum Hauptort des Ätolischen Bundes. Onchestos wird Hauptort des Böotischen Bundes und eben nicht Theben (nach 338). Bundesversammlungen finden manchmal auch in wechselnden Städten statt.
Diese Form des Föderalismus durch die Bünde war eine interessante Entwicklung, die die Vereinzelung der individuellen Polis aufhob und sich wesentlich durch ihre viel demokratischeren Strukturen von den hellenistischen Monarchien unterschied. Leider scheiterten diese Bünde letztlich an Rom, so dass sie keine eigentliche Wirkmächtigkeit entfalten konnten.

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02 – Grundzüge der Ereignisgeschichte bis ca. 200 v. Chr.

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Werner Rieß
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Griechische Geschichte III: Der Hellenismus

02 – Grundzüge der Ereignisgeschichte bis ca. 200 v. Chr.

Alexander der Große hatte bei seinem Tode die Nachfolge nicht geregelt. Viele fühlten sich berufen das Erbe anzutreten, so dass heftige Kriege, die sogenannten sechs Diadochenkriege die Folge waren. „Diadochos“ heißt Nachfolger. Es ist in der Kürze einer Podcast-Aufnahme nicht möglich, die komplizierte Ereignisgeschichte von 323 bis ca. 200 v. Chr. nachzuzeichnen, weswegen ich mich nur auf die groben Züge beschränken werde.
In den Diadochenkriegen geht die Reichseinheit verloren, allmählich bilden sich die drei großen Territorialreiche der Antigoniden in Makedonien und Griechenland, das Reich der Ptolemäer in Ägypten und das Reich der Seleukiden in Kleinasien und im Vorderen Orient aus. Wichtig ist, dass die hellenistischen Könige ihre Herrschaft als rein personal verstanden, es war ein Heerkönigtum, das man ständig gegen die Konkurrenten verteidigen bzw. gegen sie erweitern musste. Die Krone wurde auf dem Schlachtfeld gewonnen; die Fähigkeit ein Heer zu führen, musste ständig unter Beweis gestellt werden. Diese Ausgangssituation war in gewisser Hinsicht ein Fehler im System, der Kriege immer wieder „notwendig“ machte. Kriege gehörten also intrinsisch zu diesem System.
Man versteht die raschen Koalitionswechsel der hellenistischen Geschichte, wenn man sich vor Augen hält, dass kein Herrscher stark genug war, die anderen zu überwinden. Und: Sobald ein König übermächtig zu werden drohte, verbündeten sich die anderen gegen ihn. Damit entstand allmählich ein gewisses Gleichgewicht der Mächte, wenn auch ein stets fragiles. Immer wieder traten auch charismatische Herrscher auf, die aufgrund ihrer Energie, ihrer weit gespannten Ambitionen, ihrer Skrupellosigkeit, diplomatischen Raffinesse und militärischen Kunst die Kräfteverhältnisse eine Zeit lang zu ihren Gunsten beeinflussen konnten und die Welt durch ihren rastlosen Tatendrang in Atem hielten. Zu diesen berühmten Herrschern zählt der Antigonide Demetrios Poliorketes, der eine Zeit lang sogar ohne Reich als eine Art freier Satellit die Ägäiswelt beunruhigte, aber immer wieder zu Macht und Einfluss kam. Bedeutende Gestalten sind auch Antigonos Gonatas, der ca. 40 Jahre lang als gebildetster Herrscher seiner Zeit die Geschichte Makedoniens gestaltete, Ptolemaios III. von Ägypten und natürlich der Seleukide Antiochos III., der Große.
Am Ende des 3. Jahrhunderts geriet die hellenistische Außenwelt immer mehr ins außenpolitische Fahrwasser Roms, das die Spielregeln der Politik rasch zu seinen Gunsten veränderte. Am Ende sollte Rom alle hellenistischen Dynastien vernichten und die riesigen Landmassen des Ostens seinem Imperium Romanum einverleiben.
Von den sechs Diadochenkriegen um das Erbe Alexanders war schon die Rede. Syrien war stets ein Zankapfel zwischen dem Ptolemäer- und dem Seleukidenreich. Dieser nicht enden wollende Territorialstreit löste insgesamt sechs Syrische Kriege aus. Drei makedonisch-römische Kriege besiegelten schließlich 168 v. Chr. in der Schlacht von Pydna das Ende der Antigonidendynastie, indem der Makedonenkönig Perseus vernichtend geschlagen wurde. Rom rang dann noch in drei Kriegen gegen Mithridates von Pontos auch diesen Herrscher nieder.
Nun zu den allerwichtigsten Ereignissen, die die Geschichte des Hellenismus entscheidend beeinflussten: Im Lamischen Krieg 323/2 versuchten die Athener noch einmal erfolglos, die makedonische Oberhoheit abzuschütteln. Der Versuch misslang: Das Jahr 322 markiert das Ende der athenischen Demokratie. 321/0 kam es zu den Regelungen von Triparadeisos, die die Interessenssphären der führenden Männer absteckten. 317 wird Philipp III. Arrhidaios, der geisteskranke Halbbruder Alexanders ermordet. Der gebildete Demetrios von Phaleron wird makedonischer Statthalter in Athen. Unter ihm erlebt die Stadt bis zu seiner Absetzung 307 durch Demetrios Poliorketes eine Nachblüte. Menander soll mit ihm befreundet gewesen sein. 316 tötet Kassander Alexanders Mutter Olympias, gründet Kassandreia und Thessaloniki.
Der dritte Diadochenkrieg endet 311 im sogenannten Diadochenfrieden, in dem sich die Diadochen gegenseitig als Herrscher anerkennen. Damit ist die Reichseinheit endgültig begraben. 313 verlegt Ptolemaios die Hauptstadt Ägyptens von Memphis nach Alexandria. Da er die mumifizierte Leiche Alexanders an sich bringen und in Alexandria ausstellen kann, beansprucht er für seine Herrschaft ein ganz besonderes Prestige. Nach weiteren Kämpfen erklären sich 306/5 alle Diadochen zu Königen, keiner wollte hinter dem anderen zurückstehen, man spricht vom Jahr der Könige. 305/4 belagert Demetrios, der Sohn des Antigonos Monophthalmos, Rhodos erfolglos, woraufhin er den Spitznamen „Poliorketes“ erhält, der Städtebelagerer.
In der berühmten Schlacht von Ipsos 301 kämpfen Lysimachos und Seleukos (Ptolemaios nominell auch, doch er hält sich im Hintergrund) gegen Antigonos Monophthalmos und seinen Sohn Demetrios Poliorketes. Antigonos fällt achtzigjährig im Kampf, Demetrios muss fliehen und verliert erst einmal seine Herrschaft. Die großen Gewinner sind Lysimachos und Seleukos. 283 stirbt Ptolemaios I., ebenso Demetrios in der Gefangenschaft des Seleukos. Dieser geht nun gegen seinen Rivalen Lysimachos vor. In der Schlacht von Kurupedion 281 siegt Seleukos, Lysimachos findet den Tod. Seleukos kann sich jedoch seines Kriegsglücks nicht lange erfreuen, er wird schon kurz später ermordet. Sein Sohn Antiochos I. Soter ist nun alleiniger König im Seleukidenreich.
Antigonos II. Gonatas besiegt bei Lysimacheia die Kelten, die von Norden eingefallen waren. Er wird 272 König von Makedonien und wird jahrzehntelang die Großmachtpolitik prägen. Auch Antiochos siegt über die Kelten in Kleinasien (275), muss jedoch viele von ihnen im Inneren Kleinasiens ansiedeln, hier liegen die Anfänge des Galaterreiches. Ab 274 kämpfen Ptolemäer und Seleukiden in sechs Syrischen Kriegen um Syrien.
Im sogenannten Chremonideischen Krieg versuchen Athen und Sparta mit Hilfe des Ptolemaios II. noch einmal, die makedonische Oberhoheit loszuwerden, sie verlieren jedoch gegen Antigonos II. Gonatas, der Athen sogar erobert, vielleicht 261. Vergessen wir nicht, dass Rom zu dieser Zeit im Ersten Punischen Krieg gegen die Karthager steht.
Im Jahre 251 befreit Aratos von Sikyon seine Heimatstadt von den Makedonen und schließt sie dem Achäischen Bund an, der unter seiner Führung zu einem gewichtigen Machtfaktor in Mittel- und Südgriechenland wird. Schon 243 erobert Arat Korinth von den Makedonen, die Antigoniden verlieren in Folge die Kontrolle über viele Städte in Mittelgriechenland. 239 folgt Demetrios II. von Makedonien Antigonos II. Gonatas nach. Sogleich bricht der sogenannte Demetrios-Krieg aus, Makedonien gegen den Achäerbund, der sich 10 Jahre bis 229 hinzieht.
In Kleinasien erringt Attalos I. von Pergamon in Kämpfen gegen die Kelten und den Seleukiden Antiochos Hierax allmählich die Herrschaft über einen großen Teil Kleinasiens. 227 führt Kleomenes III. von Sparta eine Art Staatstreich durch. Sparta träumt noch einmal den Traum von der Großmacht. Die Achäer fühlen sich dadurch so unter Druck, dass sie eine außenpolitische Kehrtwendung vollziehen und sich mit den Makedonen verständigen (225/4). Antigonos III. Doson wird somit zum Oberbefehlshaber eines gesamtgriechischen Heeres, er initiiert wieder einmal einen Hellenenbund und besiegt Sparta 222 in der Schlacht von Sellasia.
Ein Jahr zuvor hatte Antiochos III. die Herrschaft im Seleukidenreich angetreten, ein äußerst fähiger und dynamischer Herrscher, der bedeutende Territorialgewinne für das Seleukidenreich erringt.
Das Bündnis zwischen Philipp V. von Makedonien mit Hannibal führt 215 zum ersten Römisch-Makedonischen Krieg, den Rom parallel zum Zweiten Punischen Krieg führt, der sich ja überwiegend in Italien abspielte. Während Philipp V. also Richtung Westen gebunden ist, kann sich Antiochos III. in seiner berühmten Anabasis nach Osten wenden und in den Jahren 212-204 verloren gegangene Gebiete im Osten zurückerobern, was jedoch nur von befristetem Erfolg war. Zurück im Westen setzt sich Antiochos in den Besitz der Territorien von Pergamon und verbündet sich, offenbar in einem Geheimvertrag, mit Philipp V. gegen Ägypten. Während Philipp in der Ägäis gegen die Ptolemäer agiert, führt Antiochos III. einen fünften Syrischen Krieg gegen Ptolemaios V. Er siegt im Jahre 200 am Paneion und erobert auch Koilesyrien, aber auch Ägypten kann Teile Syriens gewinnen.
Im zweiten Römisch-Makedonischen Krieg fällt Philipp in Attika ein, das von den Römern und den Attaliden verteidigt wird. Man merkt jetzt, wie sich Rom allmählich in die Auseinandersetzungen der hellenistischen Welt einmischt. Der römische Sieg über Philipp 197 bei Kynoskephalai bedeutet das Ende der makedonischen Vorherrschaft in Griechenland. Ein Jahr später übernimmt der römische Feldherr Titus Quinctius Flamininus die propagandistische Rhetorik der hellenistischen Könige und verkündet die Freiheit der griechischen Städte am Isthmos von Korinth. Philipp hält sich in der Folgezeit zurück und konzentriert sich auf den Wiederaufbau Makedoniens. Um diese Zeit festigt Antiochos III. seine Machtbasis in Kleinasien, indem er ehemals ptolemäische Territorien gewinnt, Karien, Lykien und Kilikien. Der Achäische Bund unter der Führung des Philopoimen besiegt Sparta und zwingt die traditionsreiche Polis in den Achäischen Bund. Die Souveränität Spartas ist hier zu Ende, 188 wird die alte Verfassung Spartas abgeschafft!
Auch weiter im Osten zeichnen sich große Kräfteverschiebungen ab. Antiochos verliert gegen Rom 191 an den Thermopylen und 189 bei Magnesia am Berg Sipylos, 188 sieht er sich gezwungen, mit den Römern den Frieden von Apameia zu schließen: Er verliert Kleinasien; Pergamon und Rhodos werden von Rom als Mittelmächte aufgebaut. In Makedonien folgt 179 Perseus auf Philipp V. Er ist beliebt, charismatisch, und die Griechen sehen in ihm einen Hoffnungsträger gegen Rom. Rom reagiert neurotisch und sieht sich unbegründeterweise vom neuen Makedonenkönig bedroht. Im dritten Römisch-Makedonischen Krieg, dem sogenannten Perseus-Krieg, besiegt Lucius Aemilius Paullus Perseus in der Schlacht von Pydna 168 v. Chr. Dieser römische Sieg besiegelt das Ende der Antigonidenherrschaft. Das erste hellenistische Teilreich ist damit gefallen. Makedonien wird in vier Teile zerschlagen, achäische Geiseln, unter ihnen Polybios, werden nach Rom deportiert. In Epirus hinterlassen die Römer eine Einöde, es kommt zu Massenversklavungen. Wie sehr sich die Kräfteverhältnisse geändert hatten, zeigt ein Vorfall ganz symptomatisch: Im sechsten Syrischen Krieg war Antiochos IV. Epiphanes in Ägypten eingefallen. Bei Eleusis in Ägypten traf der hellenistische Herrscher auf den römischen Bevollmächtigten, Quintus Popilius Laenas, der von Antiochos IV. die sofortige Räumung Ägyptens verlangte. Als dieser sich Bedenkzeit ausbat, zog Laenas mit einem Stock einen Kreis um Antiochos. Er müsse sich entscheiden, bevor er den Kreis verlasse. Antiochos verstand, was dies bedeutete und willigte in dieses demütigende Ultimatum ein. Noch nie zuvor war ein hellenistischer Herrscher, der sich in der Nachfolge Alexanders als Beherrscher des Seleukidenreiches bis weit in den Osten hinein sah, so schimpflich von einer auswärtigen Macht behandelt worden. So konnte Rom also mit den hellenistischen Königen umspringen! Der Prestige- und Gesichtsverlust für Antiochos IV. war immens. Nicht nur durch den Makkabäeraufstand in Judäa gegen Antiochos, auf den hier nicht weiter eingegangen werden kann, desintegrierte das Seleukidenreich in der Folge immer mehr. Auch im Ptolemäerreich kam es immer häufiger zu Thronstreitigkeiten und damit zu einer zunehmenden Labilität der Herrschaft. Die Endphase der hellenistischen Teilreiche war eingeleitet.

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