03 – Die Adoptivkaiser

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Werner Rieß
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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

03 – Die Adoptivkaiser

Mit der Ermordung Domitians war die flavische Dynastie zu Ende. Der alte Aristokrat Nerva wurde zum Kaiser ausgerufen, hatte aber eine schwache Stellung, so dass er den jungen und fähigen Trajan 97 n. Chr. adoptierte, der zu der Zeit Statthalter von Obergermanien war. Er stammte gebürtig aus Italica in der Baetica, war aber kein Provinziale, sondern gehörte einer italischen Kolonistenfamilie an, die von Scipio 205 v. Chr. dort angesiedelt worden war. Seinen Aufstieg hatte er beim Militär gemacht. Als Nerva 98 starb, trat Trajan nahtlos die Nachfolge an. Trajan konnte keine dynastische Legitimation vorweisen, daher wurde die Adoption durch Nerva ideologisch verbrämt, der Beste solle von nun an immer Kaiser werden. Plinius der Jüngere sollte in seinem großen Panegyricus auf Kaiser Trajan diese Ideologie des Adoptivkaisertums literarisch ausgestalten. Dass die nächsten Kaiser, Hadrian, Antoninus Pius und Marc Aurel alle von ihren jeweiligen Vorgängern adoptiert wurden, ist jedoch nur auf den historischen Zufall zurückzuführen, dass sie keine männlichen Erben hatten. Der erste Kaiser, der wieder einen Sohn hatte, Marc Aurel, wich dann sofort von der Ideologie des Adoptivkaisertums ab und designierte wie selbstverständlich seinen Sohn Commodus als Kaiser.
Doch zurück zu Trajan: Um sich von Domitian zu distanzieren, betonte Trajan die alten Tugenden der Bescheidenheit und Mäßigung und setzte auf ein gutes Einvernehmen mit dem Senat, der allerdings de facto nichts mehr zu sagen hatte. Das Postulat, dass der Beste zum Kaiser gekürt worden war, setzte Trajan natürlich unter Erfolgsdruck und löste einen gewissen Aktionismus bei ihm aus. In mehreren Kriegen mit schweren Verlusten auf römischer Seite werden die Daker unterworfen und weite Gebiete im Osten annektiert. Der Dakerkönig Decebalus hatte nach dem Tod Domitians expandiert. Trajan wollte diesem Expansionsdrang ein für alle Mal einen Riegel vorschieben und, wenn möglich, die römische Herrschaft bis zum Karpatenbogen vorschieben. Damit wäre dann die Kontrolle des Vorfeldes der Donau gut möglich gewesen; die Vorfeldkontrolle entsprach guter alter römischer Tradition. Trajan zog enorme Truppenstärken zusammen, offenbar zielte er auf eine dauerhafte Lösung ab, die wohl die Zerschlagung des Dakerreiches zum Ziel hatte. Dementsprechend erbittert fiel der Widerstand des Decebalus und der Daker aus. Das Ende des ersten Dakerkrieges bedeutete nur einen Waffenstillstand, eine Etappe für die weiteren Auseinandersetzungen. Schon 105 brach der zweite Dakerkrieg aus, der mit größter Erbitterung geführt wurde. Decebalus und viele seiner Getreuen begingen Selbstmord, 106 wurden die letzten Widerstandsnester ausgehoben. Dakien, das nun fast menschenleer ist, wird sofort provinzialisiert, römische Veteranen werden angesiedelt, was den Grundstein für die spätere romanische Sprache Rumänisch bildete. Die Beute aus den Dakerkriegen war enorm, Trajan veranstaltete prächtige Spiele in Rom und lancierte ein großes Bauprogramm, er stand am Zenit seiner Macht.
Gleich danach, schon im Jahr 106, wendet sich Trajan nach Osten. Als der letzte nabatäische König stirbt, besetzt Trajan das Land ohne auf Widerstand zu stoßen und richtet die Provinz Arabia ein. Damit war das Vorfeld von Ägypten und Syrien gesichert. Bei allen Kolonisationsbestrebungen in Dakien und auch in Nordafrika ließ Trajan Italien nicht zu kurz kommen: Er legte fest, dass jeder, der sich um eine Magistratur in Rom bewirbt, ein Drittel seines Grundbesitzes in Italien anlegen musste, um eine gefühlsmäßige Verbindung zum Kernland herzustellen. In Rom selbst schuf Trajan Großbauten, wie etwa das Trajansforum mit Reiterstandbild und der berühmten Trajanssäule. Der Hafen von Ostia wurde ausgebaut, ein reichsweiter Straßenbau setzte ein. Der Briefwechsel mit Plinius dem Jüngeren, der in Bithynien und Pontos als Statthalter Sonderaufgaben im Auftrag des Kaisers übernahm, zeigt, wie involviert Trajan in die Provinzialverwaltung war.
Ab 110 beginnen dann die großen und verlustreichen Offensiven gegen die Parther. 114 werden Großarmenien, Kleinarmenien und Teile Kappadokiens zur Provinz Armenia vereinigt. Trajan nennt sich jetzt optimus princeps, also bester Prinzeps. 115 wird Mesopotamien angegriffen und provinzialisiert; Trajan nennt sich jetzt auch Parthicus. Trajan zieht weiter den Tigris hinunter, besetzt Assur und Babylon, schließlich auch Seleukia und Ktesiphon. Man ist drauf und dran, die Provinz Assyria einzurichten. Trajan stößt sogar zum Persischen Golf vor, als im Rücken schwere jüdische Aufstände losbrechen, deren Auslöser wir nicht genau kennen. In Nordmesopotamien bricht die römische Herrschaft zusammen; Einheimische, Juden und Parther hatten sich gegen Rom verbündet. Trajan reagiert mit äußerster Härte, doch die Römer werden von den Parthern besiegt, Besatzungen werden vernichtet, Trajan muss sich aus Mesopotamien zurückziehen; ganz klar hatte Trajan die Kräfte des Reiches überspannt. Alle römischen Truppen müssen für die Niederschlagung des jüdischen Aufstands eingesetzt werden. Trajan erkrankt schwer, schafft es noch bis Kilikien, stirbt dann aber 117 in Selinunt. Die Einschätzung Trajans muss zwiespältig ausfallen: Er war einer der größten Militärs, die Rom je hatte, ihm gelang es nach den Flaviern, das Reich wieder zu stabilisieren, den Senat zu achten, Dacia und Arabia als Provinzen einzurichten und eine neue Herrschaftsideologie aufzubauen; er war in allen Schichten anerkannt. Auf der anderen Seite scheiterte er im Osten, insbesondere im Umgang mit den Juden. Er überspannte die Ressourcen des Reiches, worunter die Nachfolger noch zu leiden hatten. Weitere Expansionen im Osten (unter Marc Aurel, den Severern, den Soldatenkaisern und Julian) scheiterten ebenfalls.
Hadrians Adoption durch Trajan, für die es keine Beweise gibt, wurde in Antiochia bekannt gegeben. Auch Hadrian war in Italica geboren. Obwohl ihn Trajan systematisch aufbaute und förderte, blieb eine gewisse Fremdheit zwischen den beiden, da Hadrian mehr literarisch-philosophische Interessen als Trajan hatte. Die Abwendung von der Expansionspolitik Trajans erfolgte sogleich: Mesopotamien wird aufgegeben, Armenien wird wieder zum Klientelstaat und ist damit keine römische Provinz mehr. Diese Beschränkung entsprang sicher Hadrians Realismus, er sah ein, dass die Ressourcen Roms endlich waren. Hadrians Grenzkonzeption ist defensiv. Der Limes in Obergermanien ist eine Demarkationslinie, 122 beginnt man mit dem Bau des Hadrianswalles, der befestigter und geschlossener ist als der germanische Limes. Für die Weggefährten Trajans, v.a. die Militärs, stellte diese Abwendung von den trajanischen Prämissen nicht nur eine herbe Enttäuschung dar, sondern sogar Verrat, so dass sich eine Verschwörung, die sogenannte Verschwörung der vier Konsulare, gegen Hadrian bildete, die jedoch durch Hinrichtungen unterdrückt werden konnte.
Für die Moderne bleibt Hadrian vielleicht der schillerndste Kaiser: Er konnte als Militär äußerst brutal vorgehen, wie wir noch sehen werden, gleichzeitig war er sensibel und hochgebildet, viele nannten ihn verächtlich Graeculus, Griechling, auch deshalb, weil er im Gegensatz zum glatt rasierten Trajan den griechischen Philosophenbart trug. Er bestieg sogar den Ätna, um den Sonnenaufgang zu erleben, ein romantischer Zug, der den Zeitgenossen fremd war.
Hadrian wollte die griechische und lateinische Reichshälfte gleichermaßen fördern; unter ihm wuchsen Ost und West eigentlich erst richtig zu einem einheitlichen Reich zusammen. Innere Konsolidierung war ihm wichtiger als außenpolitische Expansion. Seine nie versiegende Neugier und seine Sorge um das Reich machten ihn zu dem Reisekaiser der römischen Geschichte: Von 21 Regierungsjahren verbrachte er nur neuneinhalb in Rom und Italien. Den Rest der Zeit lernte er die Weiten des Reiches aus eigener Anschauung kennen, kümmerte sich um die Verwaltung und die Rechtsprechung, inspizierte aber auch die Truppen, die er in ständiger Alarmbereitschaft hielt. Hadrian feiert seine Herrschaft als goldenes Zeitalter, die Münzen sprechen von pax, iustitia, clementia, mehr als zuvor.
Die Schattenseite ist, dass Hadrian, der weltoffene Kosmopolit, mit dem Judentum nicht zu Rande kam. Der Bar Kochba-Aufstand (132-135 n. Chr.) in Palästina gehört zu den schwersten Herausforderungen seiner Regierungszeit. Nur unter großen Opfern und mit äußersten Mühen gelang es den Römern, die Juden ein letztes Mal niederzuringen; es handelte sich um einen regelrechten Vernichtungskrieg, den die Römer gegen die jüdischen Partisanen führten. Sie verloren endgültig ihr geistliches Zentrum Jerusalem, das Hadrian in Aelia Capitolina umbenannte; an Stelle des jüdischen Tempes wurde ein Jupiter-Tempel gebaut. Die Juden wurden zu tausenden versklavt und deportiert, für die Juden beginnt jetzt endgültig die Zeit der Diaspora. Judaea wird als Provinz Syria Palaestina eingerichtet, Hadrian nimmt eine zweite imperatorische Akklamation an, hält aber bezeichnenderweise keinen Triumphzug ab.
Hadrian schuf durch die Ausdifferenzierung des Ritterstandes eine regelrechte Beamtenhierarchie. Einer der beiden Prätorianerpräfekten, die Ritter waren, musste nun Jurist sein. Hiermit legt Hadrian den Grundstein für die Systematisierung des römischen Rechts, v.a. des Privatrechts, das später in den Digesten gesammelt werden sollte. Es galt zunehmend das Leistungsprinzip. Der Übergang vom Ritter- in den Senatorenstand wurde systematisiert und erleichtert.
In Rom und Athen errichtet Hadrian Repräsentativbauten, das Pantheon erhält seine endgültige, heutige Form, die Engelsburg wurde sein Mausoleum. Die Villa Adriana in Tivoli bildete die bedeutendsten Bauten des Reiches in einer mediterranen Parklandschaft en miniature ab. Noch heute zeugen die Ruinen von der einstigen Atmosphäre dieser einzigartigen Anlage, die das Reich im Kleinen abbilden sollte. Hadrian wird schließlich schwer krank und zieht sich nach Tivoli zurück. Er adoptiert schließlich Antoninus Pius, einen älteren und anständigen Senator, und zwingt ihn, seinerseits Marc Aurel und Lucius Verus zu adoptieren. Hadrian stirbt schließlich 138 n. Chr.
Der erfahrende Senator Antoninus Pius stammte aus einer Großgrundbesitzerfamilie, er hatte als Jurist eine reine Zivilkarriere durchlaufen, schon gleich ab 138 führt er den Beinmanen Pius. Es beginnt nun eine Zeit der weiteren Konsolidierung und Friedenspolitik, die Hadrian offenbar so wichtig war, dass er in Antoninus Pius sein Erbe gewahrt sah. Die römische Administration, Finanzverwaltung und auch Provinzialverwaltung erreichen nun gemeinsam mit der römischen Jurisprudenz ihren absoluten Höhepunkt. Antoninus Pius setzte auf Kontinuität, wenn sich Dinge bewährten. Fähige Statthalter und andere Magistrate behielt er im Amt. Pius enthält sich größerer militärischer Aktionen; an den Grenzen strebt er oft nach der kürzeren Linie, die manchmal militärisch wenig Sinn machte. Der Antoninuswall schob die römische Nordgrenze in Britannien ca. 160 km über den Hadrianswall hinaus, der aber weiter besetzt blieb. Der schnurgerade äußere Limes in Obergermanien führte durch dichten Nadelwald und war wohl eher eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Truppen als zu Verteidigungszwecken gedacht. Pius verließ ganz im Gegensatz zu seinem reiselustigen Vorgänger Italien nie. Offenbar erwartete die Bevölkerung keine Expansion mehr, keine Erweiterung des pomerium, der traditionellen Stadtgrenze Roms, sondern die Garantie von Frieden und Glück. Für Karl Christ ist hier der Höhepunkt des Prinzipats erreicht. Antoninus Pius starb einen ruhigen Tod und wurde in der Engelsburg beigesetzt, seine Konsekration geschah mit allgemeinem Konsens.
Mit dem Amtsantritt Marc Aurels 161 wurden nun Probleme virulent, von denen Antoninus Pius noch verschont geblieben war. Zeit seines Lebens musste Marc Aurel einen Zweitfrontenkrieg führen, an der Donau gegen die Markomannen und andere Germanenstämme, im Osten gegen die Parther. Seiner Natur nach war Marc Aurel aber sensibel und philosophisch orientiert, er durchlitt eher sein Kaisertum und empfand es also große Bürde und Verpflichtung, der er sich aber voll und ganz stellte. Er trug einen Philosophenbart und lebte asketisch, indem er z. B. auf dem Boden schlief und oft fastete.
Der Partherkönig Volagaeses III erklärte 162 Rom den Krieg und drang in Armenien ein. Er stieß bis Kappadokien vor und bekam Syrien in seine Hand. Es dauert, bis es zum römischen Gegenschlag kommt: Armenien kann aber 163 wiedergewonnen werden, die Truppen dringen bis Seleukia vor. Doch in Seleukia herrscht die Pest, und die römischen Soldaten stecken sich an. Auf ihrer Rückkehr ins Reich bringen sie die Pest mit. Eine ungeheure Pestwelle kommt über das ganze Imperium und kostet unzählige Menschenleben, bis 189 sind einzelne Seuchenherde zu verfolgen.
166 überwinden Germanen die Donaugrenze, die Markomannenkriege sind die ersten Vorboten der Völkerwanderung. Ganz klar vollzieht sich im freien Germanien eine Ethnogenese, schlossen sich Kampfverbände zu größeren Gruppen zusammen, um erfolgreicher agieren zu können. Gleichzeitig geben die Markomannen Druck weiter: Von Osten her kommen die Alanen, im Norden beginnt die Südwanderung der Goten. Die Markomannen geben also nur fremden Druck weiter. Der Markomannenkönig Ballomar war ganz sicher eine wichtige Figur, aber es ist unklar, ob die Einfälle vom heutigen Regensburg bis hinunter zur Donaumündung koordiniert waren. Viele Völker rannten gegen die römische Grenze an, Markomannnen, Quaden, Langobarden, Jazygen, Roxolanen, Kostoboken und Alanen. Es ist auch unklar, inwieweit diese Gruppen miteinander verbündet waren. 166 stehen die Markomannen vor Verona, plündern das offene Land und wollen sich sogar ansiedeln! Mit letzter Kraft (sogar Sklaven werden bewaffnet) gelingt es den Römern, die Eindringlinge wieder aus Italien zu vertreiben. 170 dringen Kostoboken weit nach Griechenland vor, 171 stehen die Markomannen vor Aquileia. Marcus versteigert in Rom seine Wertsachen und macht Carnuntum (Bad Deutsch Altenburg in Niederösterreich) zu seinem Hauptquartier, von wo aus er die Gegenoffensive leitet, 172-175. Diese schweren Kämpfe gegen Markomannen, Quaden und Naristen sind auf der Marc Aurel-Säule abgebildet. 175 muss Marcus mit den Stämmen Frieden schließen, weil er im Osten gegen einen Usurpator vorgehen muss, den fähigen Caius Avidius Cassius, der weite Teile Kleinasiens, Syriens und Ägyptens gewinnen konnte. Noch bevor Marc Aurel gegen ihn kämpfen kann, wird der Widersacher nach drei Monaten von einem Centurio ermordet.
Ab 178 spricht man vom zweiten Markomannenkrieg, Marcus‘ Sohn Commodus ist jetzt mit dabei. 179 wird Castra Regina bezogen, das ist das Gründungsdatum Regensburgs. Ein Jahr später stirbt Marc Aurel, die Herrschaft geht problemlos an seinen Sohn Commodus über, die Konzeption des Adoptivkaisertums ist damit Geschichte.
Marc Aurels bleibendes Vermächtnis ist nicht so sehr die noch einmal knapp gelungene Behauptung der römischen Herrschaft an der Donau, sondern seine Aphorismensammlung in griechischer Sprache, eis hauton, an sich selbst, eine Grundlektüre für stoisches Gedankentum. Die Überlegungen sind impressionistisch hingeworfen, was ihren Charme ausmacht, oftmals widersprüchlich und zeigen tagebuchartigen Charakter. Marc Aurel hat sich diese Gedanken im Lagerleben abgerungen, sie sollten ihm wohl Trost spenden bzw. Zeugnis seines Denkens abgeben. Die Selbstbetrachtungen, wie wir sie im Deutschen nennen, wurden eine Lieblingslektüre der Aufklärer, allen voran Friedrichs des Großen, und sind auch heute noch hoch geschätzt, wie die Aussagen Helmut Schmidts belegen, dem die Gedanken Marc Aurels oftmals Orientierung boten.
Commodus, der ungeeignet für die Kaiserrolle war, wurde schon 177 zum Augustus ernannt. Commodus teilte den Ernst seines Vaters nicht. Er beendet die Kämpfe an der Donau, nicht aufgrund irgendeiner Strategie, sondern aus mangelndem Interesse für Außenpolitik. Schon bald machten sich Verschwendung und Korruption sowie Günstlingswirtschaft breit. Commodus bricht viele Tabus und überhöht seine Person in anstößiger Weise: Rom soll in Colonia Commodiana umbenannt werden, alle Legionen sowie die 12 Monate sollen seinen Namen tragen! Er tritt als kahlgeschorener Isispriester öffentlich auf, aber auch als Gladiator, weil er die Gladiatur liebte. Sein Lieblingsgott ist Herkules, er selbst stilisiert sich als Invictus Hercules Romanus, auf Münzen trägt er den Löwenhelm; Löwenfell und Keule wurden immer vor ihm hergetragen. Als er das Konsulat 193 als Gladiator antreten wollte, ließen ihn sein Kammerdiener und seine Geliebte Marcia im Bad erwürgen. Über ihn wird die damnatio memoriae verhängt. 197 jedoch sollte Septimius Severus wieder an ihn anknüpfen, weil Severus Legitimität brauchte. Severus ließ den ungeliebten Vorgänger sogar konsekrieren.
Marc Aurels größter Fehler war seine Nachfolgeregelung. Commodus zeigte sich den Belastungen des Prinzipats in keiner Weise gewachsen. Die Verhältnisse verschlimmerten sich, Preissteigerungen trieben viele Menschen in bittere Armut, Aufstände waren vielerorts die Folge. Die Zeitgenossen nahmen ihr Zeitalter als ein Zeitalter der Krise und der tiefgreifenden Veränderungen durchaus wahr. Bezeichnenderweise spricht Cassius Dio denn auch von einer Epoche von Eisen und Rost.

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02 – Die iulisch – claudische Dynastie, die Flavier

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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

02 – Die iulisch-claudische und die flavische Dynastie

In diesem Podcast soll es im Wesentlichen um das 1. Jh. n. Chr. gehen, um die Zeit vom Tod des Augustus 14 n. Chr. bis zum Tod Domitians, dem letzten Flavier. Es versteht sich von selbst, dass die Kaiserpersönlichkeiten in diesem Rahmen nur kurz angesprochen und die wichtigsten Ereignisse nur erwähnt werden können.
Augustus hatte schon früh die Errichtung einer Dynastie geplant. Bzgl. der Nachfolge entfernte er sich also am weitesten weg von der Republik. Leider starben ihm im Laufe der Jahre alle designierten Nachfolger weg, so dass am Ende nur noch Tiberius, der Sohn Livias aus erster Ehe, übrig blieb. Tiberius war also kein leiblicher Sohn des Augustus und war trotz seiner sorgfältigen Ausbildung und seiner militärischen Fähigkeiten und Erfolge immer als „fünftes Rad am Wagen“ behandelt worden, was ihn Zeit seines Lebens prägen sollte. Die Herrschaft ging auf ihn beim Tod des Augustus problemlos über, allerdings hatte er enorme Schwierigkeiten, in die großen Fußstapfen des Augustus zu treten. Er war beim Herrschaftsantritt 56 Jahre alt und dachte altrömisch-aristokratisch, wollte also gar kein Kaiser sein. Er war keine gewinnende Persönlichkeit und kein guter Kommunikator, wir würden sagen, er war schlecht in der Außendarstellung, und so wurde eine der ersten Senatssitzungen gleich eine Peinlichkeit. Er wollte nur Teile der Aufgaben eines Prinzeps übernehmen. Im Gegensatz zu Augustus meinte er aber diesen teilweisen Machtverzicht ernst, was die Senatoren nicht verstanden. Sie trugen ihm die vollen Machtbefugnisse wieder an, die er dann nolens volens annehmen musste. Die primus inter pares-Idee, also dass er nur der Erste unter den ihm gleichgestellten Senatoren sei, ist also sofort gescheitert. Tacitus zeichnet ein sehr widersprüchliches Bild vom zweiten Kaiser, teilweise stellt er die Widersprüche kontrapunktisch nebeneinander. Er lehnt den Titel Imperator und die kultische Verehrung seiner Person ab. Er betreibt eine strenge Sparpolitik und initiiert keine großen Baumaßnahmen in Rom. Bei Naturkatastrophen ist er großzügiger als alle anderen Kaiser nach ihm. In der Außenpolitik verfolgt er eine defensive Linie, v.a. in Germanien. Er beruft Germanicus, den Großneffen des Augustus, aus Germanien ab und überträgt ihm ein großes Kommando im Osten, um Armenien und Kappadokien neu zu ordnen. Im Osten kommt der charismatische und sehr beliebte Germanicus, auf den Tiberius sicher neidisch war, in Konflikt mit dem Statthalter von Syrien, Piso. Germanicus stirbt 19 n. Chr. unter ungeklärten Umständen. Zwei inschriftliche Zeugnisse, die Tabula Siarensis und die Tabula Hebana, haben uns die Ehrungen für Germanicus überliefert, in die Tiberius widerwillig einwilligen musste. Ab 24 n. Chr. gab es viele Majestätsprozesse, in denen Senatoren ums Leben kamen. In der Oberschicht herrschte Angst und gegenseitiges Misstrauen; Haß auf Tiberius verbreitete sich. Tiberius zog sich immer mehr aus den Amtsgeschäften zurück und überließ sie in zunehmendem Maße dem ehrgeizigen Prätorianerpräfekten Sejan. Dieser wurde immer mächtiger, vielleicht plante er am Ende sogar eine Verschwörung gegen Tiberius. Wie auch immer, Sejan fiel in Ungnade und wurde hingerichtet. Aller Vertrauten beraubt und zutiefst verbittert starb Tiberius 37. n. Chr. in Misenum. Selbst nach seinem Tod erkennen wir, dass die römische Öffentlichkeit ein widersprüchliches Bild von ihm hatte. Tiberius wurde vielfach gehasst, verfiel aber nicht der damnatio memoriae, also der Tilgung des Namens aus allen öffentlichen Dokumenten. Stattdessen bekam er ein Staatsbegräbnis, allerdings ohne Konsekration.
Unter den nächsten Kaisern der iulisch-claudischen Dynastie, Caligula, Claudius und Nero werden die Verhältnisse prekärer. Caligula war durch seine Jugend und mit seinen überspannten Ideen ein starker Kontrast zu Tiberius. Er war Sohn des Germanicus und Agrippinas der Älteren. Die Prätorianer riefen ihn zum Kaiser aus, was der Senat bestätigte. Am Anfang machte er sich durch volksfreundliche Maßnahmen beliebt, allerdings erkrankte er dann schwer und lebte danach nur noch seinen Launen und Gelüsten. Sein Gebahren wurden zunehmend autokratischer; er forderte, ganz im Gegensatz zu Tiberius, kultische Verehrung für sich und geriet dadurch auch in Konflikt mit dem Judentum. Der Luxus am Hof nahm noch nie dagewesene Formen an, so wurde zwischen Puteoli und Bauli eine Schiffsbrücke erbaut. Feldzüge im Westen, an denen er teilnahm, waren lächerliche Unternehmungen. Die so gefürchteten Majestätsprozesse wurden wieder aufgenommen. Er zwang den Prätorianerpräfekten Macro, der ihm zum Thron verholfen hatte, sowie viele Senatoren zum Selbstmord. Die Anekdote, dass er sein Lieblingspferd zum Konsul machte, wird heute unterschiedlich gedeutet. Aloys Winterling betont in seiner Biographie über Caligula, dass er gerade nicht wahnsinnig oder völlig irrational gehandelt habe, sondern dass er die tatsächlichen Machtverhältnisse mit ihm als allmächtigem Potentaten und einem völlig machtlosen Senat schonungslos offenbarte. Verschiedene Verschwörerkreise bildeten sich, so dass Caligula 41 n. Chr. einem Attentat, verübt durch Gardetribune, zum Opfer fiel.
In diesem Moment diskutiert der Senat zum letzten Mal die Möglichkeit der Rückkehr zur Republik, aber die Prätorianer schufen sofort Fakten: Sie zogen Claudius, den Onkel des Caligula und Bruder des Germanicus, hinter einem Vorhang hervor und riefen ihn zum Kaiser auf; dem Senat blieb nichts anderes übrig als zuzustimmen. Claudius galt als intelligent, aber er stotterte und galt auch aufgrund seiner historischen, philologischen und antiquarischen Interessen als verschroben. Er schrieb Bücher über etruskische und karthagische Geschichte und unternahm eine Rechtschreibreform, indem er drei neue Buchstaben ins lateinische Alphabet einführte, die sich aber nicht durchsetzten.
Persönlich war Claudius schwach, deshalb brauchte er außenpolitische Erfolge. Mit einer großen Invasionsarmee wird Britannien zwar erobert, doch der Ausbau zur Provinz nahm noch Jahrzehnte in Anspruch. Am Ende der Regierungszeit des Claudius sollten sechs neue Provinzen hinzugekommen sein, Britannien und die beiden Mauretanien waren ganz neue Provinzen, Lycia, Thracia und Judaea waren schon vorher abhängig, aber wurden jetzt vollends provinzialisiert. Ganz klar liegen die Verdienste in der Außenpolitik bei fähigen Kommandeuren. In der Innenpolitik ist schwerer zu unterscheiden, welche Initiativen vom Kaiser bzw. von seinen mächtigen Freigelassenen ausging: Narcissus war als ab epistulis für alle offiziellen Verfügungen zuständig, Pallas war als a rationibus eine Art Finanzminister, Polybios als a studiis eine Art Archivleiter und Kallistos bearbeitete als a libellis die Bittgesuche an den Kaiser. Diese vier Männer waren mit ihren Stäben offenbar sehr fähig und effektiv und trugen wesentlich zu einer weiteren Versachlichung der Herrschaft und zu einer weiteren Bürokratisierung bei. Claudius selbst war sehr aktiv in der Rechtsprechung. Im Jahre 47/48 n. Chr. bekleidete er die Zensur, in deren Rahmen er den gallischen Notablen das ius honorum verlieh, also das Recht, sich um einen Sitz im Senat zu bewerben.
Auch sonst ist seine Bürgerrechtspolitik großzügiger als die des Augustus oder Tiberius. Unter Claudius beginnt offenbar die Praxis der Ausstellung der sogenannten Militärdiplome. Auxiliarsoldaten bekamen nach Ablauf ihrer Dienstzeit das römische Bürgerrecht, eine richtungsweisende Entscheidung, welche das römische Militär zu einem Integrationsmotor machte.
Privat war Claudius schwach, er war sehr von seinen Frauen abhängig. In dritter Ehe war er mit der nymphomanen Messalina verheiratet. Sie ging unerschrocken parallel zu ihrer Ehe mit Claudius eine zweite Ehe ein. Narcissus schritt schließlich ein und richtete sie sowie ihren neuen Ehemann hin. Pallas bestimmte dann für den Prinzeps die nächste Ehefrau. Die Wahl fiel auf die ehrgeizige Agrippina die Jüngere, die älteste Tocher des Germanicus, eine Nichte des Claudius. In die Ehe brachte sie ihren Sohn Nero mit und tat fortan alles, um ihrem Sohn den Weg zum Thron zu ebnen.
Die Bilanz der Regierungszeit des Claudius muss also zwiespältig ausfallen. Persönlich war der Kaiser schwach, aber in einigen Bereichen wurden richtungsweisende Weichen gestellt: Mehr Ritter kamen in den Reichsdienst, die Verwaltung hatte sich verbessert, sechs Provinzen waren hinzugewonnen wurden, die Bürgerrechtspolitik wurde liberaler. Bei all dem ist für uns jedoch schwer erkennbar, inwieweit der Kaiser selbst für diese Maßnahmen verantwortlich war oder aber seine fähigen Freigelassenen.
Die Machtübernahme Neros wurde von seiner Mutter, Agrippina der Jüngeren, von langer Hand vorbereitet: Sie überredete Claudius, Nero zu adoptieren und ihn mit Octavia, der Tochter des Claudius, zu verheiraten. Seneca wurde zurückgeholt und zum Prinzenerzieher gemacht, ein gewisser Burrus zum Prätorianerpräfekten erhoben, alles Männer, deren Loyalität sich Agrippina sicher sein konnte. Claudius fiel schließlich einem Giftanschlag zum Opfer, der Weg für Nero war frei!
Am Anfang stand er ganz unter dem Einfluss seiner Mutter, Senecas und Burrus‘, so dass ein gemäßigtes Regime die Folge war. Doch allmählich emanzipierte sich der junge Prinzeps von seinen Förderern. Die ersten Opfer waren übrigens Narcissus und Pallas, womit Nero mit der Verwaltungstradition seines Vorgängers brach. Er interessierte sich fast ausschließlich für alle Formen von Kunst und glaubte fest an seine Mission als begabter Sänger. Er liebte Auftritte und das „Sich selbst in Szene-Setzen“. Als großer Fan des Griechentums begab er sich schließlich auf eine große Griechenlandtournee, wobei die Städte, die musische Wettkämpfe veranstalteten, ihm schon im Voraus die Siegerkränze schickten.
Rücksichtslos entledigte sich Nero aller Menschen in seiner Umgebung, die seinem autokratischen Regierungsstil im Wege stehen hätten können. Er lässt im Jahre 55 Britannicus vergiften, 62 ermordet er seine Frau Octavia; am spektakulärsten schildert Tacitus jedoch die Ermordung seiner eigenen Mutter (59), die nur in mehreren Anläufen zu bewerkstelligen war. Diese sinistren Passagen im Werk des Tacitus sind zweifelsohne Teil der Weltliteratur. Spätestens jetzt war klar, dass Nero der Obhut Senecas und Burrus‘ entglitten war, ja dass sie selbst desavouiert waren.
Im Jahre 64 kam es zum berühmten Brand Roms. Tacitus erwähnt Gerüchte, dass Nero diesen Brand gelegt habe, doch beweisen lässt sich hier nichts. Man suchte und fand schnell einen Sündenbock, die Christen, die mittlerweile auch in Rom lebten. Nero statuierte an ihnen die grausamsten Exempel. Tacitus ist weit davon entfernt, eine Lanze für die Christen zu brechen, doch schreibt er, dass die Leiden der Christen bei den Zuschauern Mitleid erregt hätten. Auf der abgebrannten riesigen Fläche entstand in der Folgezeit, auf teuerstem Stadtgebiet, die domus aurea, das Goldene Haus, ein riesiger Palastkomplex für Nero mit modernsten architektonischen Raffinessen wie einer drehbaren Kuppel.
Die Opposition gegen Nero nahm zu. Die Pisonische Verschwörung, der wohl auch Seneca angehörte, wurde 65 n. Chr. aufgedeckt, Senca musste sich das Leben nehmen. Burrus war schon 62 n. Chr. gestorben, so dass es für Nero nun kein Halten mehr gab, er aber auch seine wichtigsten Berater verloren hatte. Der Anfang vom Ende hatte begonnen. Im Jahre 66 n. Chr. brach im Osten der große Jüdische Aufstand los, bei dessen Niederschlagung durch die Römer sich Vespasian besonders auszeichnete. Als im Jahre 68 sich alle von Nero abwandten, Galba auch in Rom zum Kaiser ausgerufen wurde, der Senat Nero absetzte und ächtete, blieb ihm nur noch der Selbstmord. Die iulisch-claudische Dynastie war zu Ende.
Die Ereignisse des Vierkaiserjahres, in dem Galba, Otho, Vitellius und Vespasian um die Kaiserwürde kämpften, können im Rahmen dieses Podcasts nicht nachvollzogen werden. Es sei auf Tacitus‘ Historien verwiesen, welche diese Umbruchszeit mit all den Greueltaten ausführlich schildern. Wichtig ist aber, dass Tacitus erkennt, worin die arcana imperii liegen, also das Geheimnis des Kaiserreichs, nämlich darin, dass das Kaisertum, ähnlich wie im Hellenismus, auf dem Schlachtfeld gewonnen wird. Im Prinzip wird ähnlich wie in der Bürgerkriegssituation der 40er und 30er v. Chr. die faktische Macht mit Hilfe des Militärs usurpiert, eines Militärs, das sich nicht einer res publica oder einem abstrakten Kaisertum verpflichtet fühlt, sondern einzig und allein einem starken General, für den man auch bereit war, gegen Mitbürger zu kämpfen. Diese Situation des Bürgerkriegs nach Abbruch einer Dynastie wird uns im Laufe des Durchgans durch die römische Geschichte noch öfter beschäftigen.
Blenden wir ans Ende des Vierkaiserjahres. Flavische Truppen erobern in schweren Straßenkämpfen Rom, Vitellius kommt dabei um. Domitian, der Sohn Vespasians, führt Säuberungsaktionen durch, sein Vater kommt erst im Sommer 70 aus dem Osten nach Rom.
Vespasian und seine Familie konnten auf keine illustre Ahnenreihe zurückblicken. Der Großvater stammte aus Reate im Sabinerland. Seinen Aufstieg verdankte er seinen militärischen Fähigkeiten, er fiel in die Zeit des Caligula und Claudius. Den Oberbefehl über den Krieg in Judaea bekam er von Nero, weil er als zuverlässig galt. Sein Sohn Titus eroberte Jerusalem im Jahre 70 mit ungeheuren Massakern. Die Beute wurde demonstrativ im Jahre 71 bei einem Triumphzug in Rom zur Schau gestellt, darunter auch der berühmte siebenarmige Leuchter, der auf dem Titusbogen abgebildet ist. Aus der Beute wurde übrigens auch das Kolosseum finanziert, genau an der Stelle, wo der See im Goldenen Haus Neros war, ein deutliches Statement des neuen Kaisers, dass er der Stadt diesen Raum wieder als öffentlichen Raum zurückgab.
Da Vespasian mit der iulisch-claudischen Dynastie nicht verwandt war, stellte sich nun das Problem der Legitimation. In der sogenannten lex de imperio Vespasiani, die wir inschriftlich erhalten haben, ließ sich Vespasian alle Machtbefugnisse und Kompetenzen der Vorgänger übertragen. Auch formaljuristisch war Vespasian nun vollkommen legitimiert. Der Prinzipat war nun zu einer Verfassungsform geworden. Gemeinsam mit Titus, den er sogleich zum Mitregenten erhoben hatte, bekleidete er 73/74 die Zensur, stieß Gegner aus Senat und Ritterschaft aus und ergänzte die Reihen mit treuen Leuten aus Italien und auch aus den Westprovinzen. Bedeutsam für die Geschichte der römischen Provinzen ist der Umstand, dass Vespasian 74 n. Chr. ganz Spanien das latinische Recht verlieh. Die Armee wurde neu organisiert, eine neue Phase des sachlichen Bauens begann, wie wir die architektonische Entwicklung beschreiben würden. Ähnlich wie unter Augustus ging es um die Restaurierung von Kapitol, Jupitertempel und Vestatempel. Ein neuer Tempel des Friedens wurde gebaut. Auf allen Ebenen fand eine Konsolidierung statt. Vespasians Nüchternheit, Bodenständigkeit und Sparsamkeit wurden sprichwörtlich. Als er selbst die Benutzung öffentlicher Latrinen besteuerte und ihm das vorgehalten wurde, soll er gesagt haben: pecunia non olet, Geld stinkt nicht. Ganz in Abkehr vom überspannten Nero verkörperte Vespasian bewusst die wertkonservative, altitalische Art.
Als Vespasian 79 starb, übernahm Titus die Herrschaft problemlos, von vornherein war er von Vespasian als Nachfolger designiert und aufgebaut worden. Ähnlich wie Germanicus war Titus begabt und v.a. charismatisch und beim Volk beliebt. Dass er einen so glänzenden Sieg in Judaea zustande gebracht hatte, nötigte allen Respekt ab. Einzig und allein wurde ihm angekreidet, dass er die jüdische Königin Berenike als seine Geliebte nach Rom brachte, von der er sich allerdings bei seiner Thronbesteigung trennte. Gleich in seinem ersten Regierungsjahr musste er eine Naturkatastrophe lindern helfen: Der Vesuv hatte die Städte Pompeji, Herculaneum und Stabiae verschüttet und Tausende von Überlebenden mussten versorgt werden. Er regierte während seiner kurzen Regierungszeit ganz im Sinne seines Vaters und starb überraschend im Jahr 81 n. Chr.
Domitian, Titus‘ Bruder, kam ohne Probleme an die Macht. Seine Position ist durchaus mit der des Tiberius vergleichbar. Zeit seines Lebens stand er im Schatten seines Bruders, wurde Titus ihm vorgezogen. Domitian war ein überaus fähiger Verwalter und Militär, allerdings hat sich sein Bild durch schlechte senatorische Presse sehr verdunkelt. Fakt ist, dass Domitian anfangs eine Expansion in Britannien unterstützte, auch eine Eroberung Irlands schien möglich. Schließlich scheint Domitian dann aber doch zu einer realistischen Einschätzung der Ressourcen Roms gekommen zu sein, denn er berief Agricola, den Schwiegervater des Tacitus, ab, der ganz im republikanischen Stil die Grenzen des Imperiums ausdehnen wollte. Tacitus macht aus einer wahrscheinlich rationalen Entscheidung, die sich nicht gegen Agricola persönlich richtete, die Aktion eines Tyrannen, der auf den militärischen Erfolg des Agricola nur neidisch war. 83 leitet Domitian persönlich einen Feldzug gegen die Chatten von Mainz aus und stößt dabei in die Wetterau und den Taunus vor. Bei dieser Gelegenheit lässt er Schneisen in die Wälder schlagen, sogenannte limites. Sie dienen der Grenzmarkierung und erleichtern die Kontrolle des Vorfeldes. Auch der später ausgebaute obergermanisch-rätische Limes war nie ein eiserner Vorhang, sondern eine Demarkationslinie, an der intensiv Handel getrieben wurde zwischen den Germanen und den an der Grenze stationierten Römern. Wie die neuere Forschung gezeigt hat, entstand gerade in diesen Grenzregionen ein florierender Wirtschaftsraum, der auf die Germanen geradezu eine Magnetwirkung ausübte.
Vor 90 n. Chr. wurden die Heeresbezirke von Ober- und Niedergermanien offenbar in Provinzen umgewandelt. Mit der allmählichen Entstehung des obergermanisch-rätischen Limes wurde das Reich im Norden konsolidiert, die Expansionspläne des Germanicus wurden aufgegeben, die Politik des Tiberius wurde verwirklicht. Im Osten gestalteten sich die Dinge weniger vorteilhaft. Schwere Dakerkriege zeigten den Römern die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit auf, sie erlitten Niederlagen, Offensiven gerieten ins Stocken, Domitian musste mit dem Dakerkönig Decebalus einen Komromissfrieden schließen. Während am Rhein Ruhe herrschte, blieb der Donauraum unruhig. Domitian leitete eine Defensivpolitik ein, die Hadrian wieder fortsetzen sollte. Im Prinzip sollte Trajan mit seiner Offensivpolitik eine Ausnahme bleiben.
Wichtig ist, dass Domitian ein neues Selbstverständnis von seiner Herrschaft entwickelte. Er übernahm 85 die Zensur auf Lebenszeit und nahm die Erneuerung der altrömischen Werte sehr ernst. Er war ein fähiger Herrscher, der aber auch sehr misstrauisch war und sich mit dem Senat schwer tat, u.a. auch, weil er seine Position im Zeremoniell überhöhte: So ließ er sich beispielsweise als dominus et deus, Herr und Gott, ansprechen, wobei er aber keine Verehrung als Gott verlangte wie Caligula. Er trug Triumphalgewand im Senat, ließ von sich viele Gold- und Silberstatuen aufstellen, baute Triumphbögen, nannte die Monate September und Oktober um in Germanicus und Domitianus. Aus all diesen Gründen bekam er schlechte senatorische Presse. Wir müssen bedenken, dass die meisten unserer Quellen von Senatoren geschrieben wurden, und die ordneten Domitian unter die „schlechten Kaiser“ ein. Zur Entmachtung des Senats trug auch noch bei, dass Entscheidungen nicht mehr in Senatssitzungen fielen, sondern vielmehr im viel kleineren Kreis des consilium principis. Opposition regte sich, Domitian reagierte mit aller Härte. In den Jahren 83, 87 u 88/89 kam es zu großen Verfolgungswellen gegen Senatoren. Der Verschwörung von 96 fiel er schließlich zum Opfer. Mit ihm erlosch auch die flavische Dynastie.
Dass die Meinungen über ihn schon bei den Zeitgenossen weit auseinander ging, zeigt allein schon die Tatsache, dass die Senatoren die damnatio memoriae über ihn verhängen, während die Prätorianer, um die er sich immer gekümmert hatte, ihn konsekrieren lassen wollten. Domitian hinterließ nicht nur repräsentative Bauten in Rom, die seiner Herrschaftsvorstellung entsprachen, wie etwa einen neuen Tempel der Flavier, ein Domitiansforum, das später in Nervaforum umbenannt wurde, seinen Palast auf dem Palatin und ein Stadion, dessen Grundriss heute als Piazza Navona weltberühmt ist. Seine Stilisierung als unnahbarer Herrscher weist voraus in die Spätantike, ebenso die Entscheidungsfindung im kleinen Kreis und die enge Kooperation mit der Armee, die auch für Trajan und Septimius Severus so charakteristisch werden sollte. Die Einrichtung der beiden germanischen Provinzen und der Beginn des Limesbaus waren ebenfalls zukunftsweisend und zeigen uns im Gegensatz zu den literarischen Quellen einen Kaiser, der an einer Achsenzeit Entscheidendes leistete und für die Zukunft durchaus prägend wurde.

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01 – Augustus

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Werner Rieß
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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

01 – Augustus

Im letzten Podcast zur Republik hatten wir uns mit dem politischen und militärischen Aufstieg Octavians zum Alleinherrscher beschäftigt. Wir wollen heute nachvollziehen, warum Octavian, der ab 27 v. Chr. Augustus genannt wurde, an der Macht bleiben konnte und wie er es schaffte, im Laufe der Zeit das politische System der Republik zu einer Monarchie umzubauen und gleichzeitig nicht erfolglos den Anschein erweckte, die Republik wiederhergestellt zu haben.
Vom Krieg nach Hause zurückgekehrt, kümmerte sich Octavian erst einmal um den Senat, weil viele Senatoren in den Kämpfen bzw. in den Proskriptionen ums Leben gekommen waren. Ca. 190 Senataren schloss Octavian aus der noblen Institution aus, angeblich wegen Unwürdigkeit, in Wahrheit wurden politische Gegner kaltgesellt. Andere, Octavians Freunde, erhielten Zugang als Lohn für ihre Verdienste um ihn im Krieg. Schon durch diese Maßnahmen änderte sich die Zusammensetzung des Senats so entscheidend, dass Octavian die beste Show seines Lebens vorbereiten konnte. Wir sprechen vom Staatsakt, der am 13. und 16. Januar 27 v. Chr. stattfand und der umfassend und von langer Hand vorbereitet gewesen sein muss. In der Senatssitzung vom 13. Januar gab Octavian feierlich alle seine Machtbefugnisse, also auch die triumviralen, an Senat und Volk von Rom zurück. Für einen Augenblick also waren Senat und Volk von Rom wieder souverän. Sofort beschworen die Senatoren Octavian, sie und Rom nicht im Stich zu lassen und die schwere Last der Verantwortung für den römischen Staat und das römische Volk zu übernehmen. Nach gespieltem Zögern gab Octavian schweren Herzens nach und entsprach damit den allgemeinen Erwartungen.
Das Erstaunliche ist nun seine verfassungsmäßige Stellung. Er war nicht mehr als Konsul, und das Konsulat musste jährlich erneuert werden. Außerdem hatte er ein imperium proconsulare, eine zehn Jahre währende Befehlsgewalt über sieben wichtige und immer noch nicht befriedete Provinzen, u.a. Spanien, Gallien, Syrien und Ägypten, nicht zufällig die Provinzen, in denen Truppen stationiert waren, um eventuelle Aufstände niederzuschlagen. Diese Provinzen wurden nun, obwohl dort senatorische Statthalter tätig waren, kaiserliche genannt; sie unterstanden also direkt der kaiserlichen Befehlsgewalt, im Gegensatz zu den sogenannten senatorischen Provinzen unter der Schirmherrschaft des Senats, wo fast keine Truppen stationiert waren, da diese Provinzen als befriedet betrachtet wurden. Nach dem Buchstaben des Gesetzes übte Octavian also ein Amt nur für eine begrenzte Zeit aus, eine Aufgabe, die ihm von Senat und Volk anvertraut war. Es ist auch dieser zeitlich limitierte und informelle Charakter dieser Position, welche die Tatsache verschleiern half, dass die Republik nicht mehr existierte und dass stattdessen eine Monarchie etabliert worden war. Angeblich war die Republik sogar wiederhergestellt, auf Latein: res publica restituta! Eine republikanische Fassade wurde also benutzt, um die Realitäten der Macht zu verschleiern.
Die Machtbasis des ersten Mannes war jedoch grundsolide: Das Kommando über die Truppen in den Provinzen, seine finanzielle Macht und seine enorme Klientel im ganzen Reich.
Drei Tage später (16.1. 27 v. Chr.) wurden Octavian besondere Ehren zugestanden: Er bekam den Beinamen Augustus verliehen, was der Erhabene bedeutet. Sein voller Name war jetzt Imperator Caesar Augustus. Über dem Eingang seines Hauses auf dem Palatin wurde ein Eichenkranz befestigt als Zeichen für seine Errettung römischer Bürger, und Lorbeerbäume wurden neben seiner Tür gepflanzt. Diese Ehrungen hoben Augustus in eine höhere, ja sakrale Sphäre. Im Sitzungssaal des Senats wurde ein goldener Schild aufgestellt, auf dem die vier Kardinaltugenden eingraviert waren, die Augustus besonders am Herzen lagen, sie sollten zu kaiserlichen Tugenden avancieren. Eine steinerne Kopie dieses Schildes wurde im südfranzösischen Arles gefunden: Virtus, Tugend im Sinne militärischer Tüchtigkeit, clementia, Gnade, eine Eigenschaft, die Augustus sicher als von Caesar ererbt empfand, iustitita, die Gerchtigkeit, die er gerade als oberster Richter des Reiches brauchte, und pietas, Frömmigkeit, d.h. das korrekte religiöse Verhalten gegenüber Göttern und Menschen und insbesondere gegenüber den eigenen Eltern.
Wie war dieser kometenhafte Aufstieg möglich? Um diese entscheidende Frage zu beantworten, sollten wir uns mit seiner Persönlichkeit, seinem politischen Stil und mit seinen Prinzipien beschäftigen, die seinen Problemlösungen zugrunde liegen.
Meines Erachtens gibt es drei persönliche Eigenschaften, die Augustus mit größtem Geschickt miteinander verband, wozu auch eine Portion Glück gehörte.
Da ist zunächst sein gnadenloser Einsatz von Gewalt. Überraschenderweise hatte Augustus eine schwache persönliche Konstitution, was am Anfang schon ein Handicap gegenüber dem gesunden, starken und erfahrenen Marcus Antonius darstellte. In dieser Hinsicht war der junge Octavian also benachteiligt, und gerade deshalb seine Durchsetzungskraft und sein letztlicher Erfolg umso erstaunlicher. Trotz dieser gesundheitlichen Einschränkung oder vielleicht gerade wegen ihr war Octavian fest entschlossen, Alleinherrscher des Imperiums zu werden. Sein untrüglicher politischer Instinkt und die Rücksichtslosigkeit in der Verfolgung seiner Ziele machten die körperliche Schwäche mehr als wett. Er scheute sich nicht, seine politischen Gegner zu betrügen, Verträge jederzeit zu brechen, wenn es ihm zum kleinsten Vorteil gereichte, oder seine Gegner physisch zu eliminieren, wirkliche und eingebildete gleichermaßen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Proskriptionen von 43 v. Chr., in denen Cicero den Schergen der Triumvirn zum Opfer fiel, und die Unterdrückung der Verschwörung von 23 v. Chr.. Augustus wusste, wie man Widerstand brach. Die Überlebenden lebten in Furcht und wagten es nicht, das neue System und seinen obersten Repräsentanten in Frage zu stellen, dessen Macht immerhin auf einer ihm absolut loyalen Armee beruhte, so dass wir Augustus‘ Herrschaft und die aller römischen Kaiser durchaus auch als Militärdiktaturen bezeichnen könnten.
Typisch für die augusteiche Art und Weise Politik zu betreiben ist zweitens der Umstand, dass Augustus sehr gewissenhaft und immer bereit war, aus der Vergangenheit zu lernen, um die Fehler seiner Vorgänger zu vermeiden. Er beweist dabei ein großes Geschichtsbewusstsein. Anders als Sulla trat er nicht von seiner Macht zurück, nachdem er sie einmal errungen hatte. Anders als Caesar, unternahm er alles, um den Eindruck zu vermeiden, er strebe nach einer lebenslangen Diktatur, nach der Tyrannis oder nach dem Königstitel, den die Römer von Beginn der Republik an so hassten. Caesar zahlte einen hohen Preis für seine Fehler, und Augustus war entschlossen, diese Fehler nicht zu begehen. Augustus‘ größte politische Leistung war es, die Menschen Glauben zu machen, dass er in der Tat die alte Republik wiederhergestellt hatte. Das politische Schlagwort von der wiederhergestellten Monarchie (res publica restituta) funktionierte, weil die Leute an diesen Traum glauben wollten und Augustus der größte Showmaster war, den die Welt bis dahin gesehen hatte, indem er die Propagandamedien, die ihm zur Verfügung standen, meisterhaft beherrschte. Es war unmöglich, zu den alten Tagen der Senatsherrschaft zurückzukehren, weil das Imperium einen starken Mann brauchte, was die Geschichte der vergangenen 100 Jahre auf so dramatische Art und Weise gezeigt hatte. Es gab eigentlich nur eine Lösung: Eine republikanische Fassade mit einem Alleinherrscher dahinter. In dieser Situation konnte Augustus sehr vom römischen Konservativismus profitieren, vom Glauben der Römer, dass alles Althergebrachte irgendwelchen Neuerungen überlegen war. Die alten Standards hochzuhalten, die Sitten und Gebräuche der Vorväter zu pflegen, den sogenannten mos maiorum, war die beste Legitimationsquelle. Dieses konservative politische Modell erforderte Senatstreffen, Magistrate und Wahlen, aber natürlich geschah alles orchestriert nach dem Willen einer einzigen Person.
Und schließlich spielte er, nachdem er alle Formen der Opposition ausgeschaltet und die entscheidenden Fehler vermieden hatte, die moralische Karte, gerade noch rechtzeitig, bevor er als blutdürstiger Tyrann gelten und als solcher in die Geschichtsbücher eingehen würde. Diese moralische Karte bezog sich auf Politik, Religion und persönliche Moralvorstellungen.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die politische Ebene: Die Illusion der wiederhergestellten Republik war den Römern aufs höchste willkommen, die die Leiden und Katastrophen, die sie zu erdulden gehabt hatten, auf eine sündhafte Vernachlässigung alter römischer Traditionen zurückführten. Nur die alte Form der Götterverehrung sicherte ein glückliches Leben und bewerkstelligte Sicherheit für Rom. Genau dafür stand Augustus: Die Rückkehr zu den Sitten der Vorväter mit ihm selbst als Über-Vater, als Patron, der sich für alle verantwortlich fühlte, sich um alles kümmerte, wobei er sich auf die existierenden Sozialstrukturen stützte. Am besten drückte sich dies im Titel patronus omnium aus, Patron aller. Am wichtigsten war jedoch sein neuer Titel, er nannte sich nicht rex, König, nicht etwa Diktator, wie Caesar oder Sulla, sondern einfach princeps, erster Mann im Staat. Ein neuer Terminus ohne negative Konnotationen war in die römische Politik eingeführt worden.
Moral und Religion können in einer höchst religiösen Gesellschaft nicht voneinander getrennt werden. Augustus betont in den Res Gestae, seinem Tatenbericht, dass Tempel wieder geöffnet wurden, viele wurden auch restauriert. Er gab vor, die alten italischen Werte zu repräsentieren, den mos maiorum; er wurde nicht müde, die Bedeutung der Religion zu betonen und er erließ sogar Gesetze gegen Ehebruch. Er brachte die Dinge mit vier Schlagworten auf den Punkt, virtus, clementia, iustitia und pietas, um alle kaiserlichen Tugenden bündig zusammenzufassen.
Das sind also die drei Prinzipen der Herrschaft des Augustus: Rücksichtsloser Einsatz von Gewalt, Bereitschaft von der Vergangenheit zu lernen und das Ausspielen der moralischen Karte. Er war klug genug, um zu wissen, dass er seine Macht in den Köpfen der Untertanen verankern musste, indem er die beste Propaganda benutzte, die die vormoderne Welt je gesehen hatte. Auch auf diesem Gebiet war Augustus ein Genie. Voller Kreativität nutzte er alle zur Verfügung stehenden Medien: Inschriften, Tempel, Meilensteine, Gebäude und Statuenprogramme. Rom wurde die augusteische Stadt par excellence, geschmückt mit vielen großartigen Gebäuden. Eines der berühmtesten ist das Pantheon auf dem Marsfeld, den Göttern geweiht und eines der am besten erhaltenen antiken Monumente Roms. Allerdings sehen wir das Gebäude heute im hadrianischen Umbau des frühen zweiten Jahrhunderts n. Chr. Außen prangte die größte Inschrift des Reiches. Innen erwarteten den Besucher Statuen viele Götter sowie Agrippas, Augustus‘ und des vergöttlichten Caesar. Es war eine Art dynastischer Tempel.
Der große Pluspunkt, den der neue Herrscher für sich verbuchen konnte, war, dass er die Bürgerkriege beenden und damit dem Reich Frieden bringen konnte, die berühmte pax Augusta. Zumindest stimmte dieser Anspruch für diejenigen, die das jahrzehntelange Blutvergießen überlebt hatten; sie waren bereit, diesem bemerkenswerten Mann an der Spitze beinahe unbegrenztes Vertrauen einzuräumen. Und warum sollten sie ein Problem damit haben, einem Herrn zu dienen, der Frieden, die öffentliche Ordnung und v.a. die althergebrachte Republik garantieren konnte? Mit Gewalt und Charme, wir würden sagen, mit Zuckerbrot und Peitsche zwang Augustus die Menschen in sein neues System, so dass sie sich rasch einfügten und einige es sogar bewundern lernten. Augustus Propaganda in allen Lebensbereichen war so effektiv, dass sogar noch heute viele Historiker der Meinung sind, dass die ersten beiden Jahrhunderte n. Chr. eine friedliche Epoche waren, was natürlich nur teilweise stimmt.

Die Lösung der drängendsten Probleme, die ersten Maßnahmen

Werfen wir nun einen Blick darauf, wie Augustus seine politischen Prinzipien mit ganz konkreten Maßnahmen in die Tat umsetzte. Zuallererst musste er sein persönliches Regime legalisieren und konsolidieren. Er bewerkstelligte das, indem er seine neue Herrschaft in eine neue Form einkleidete, womit er die Akzeptanz und das Vertrauen der meisten Zeitgenossen gewann. Es ist diese Überschneidung von Alt und Neu, von Kontinuität und Wandel, die so typisch ist für die augusteische Ära. Im Jahr 27 v. Chr. war dieser Prozess jedoch noch nicht abgeschlossen. Da Augustus jedes Jahr Konsul war, was den republikanischen Traditionen widersprach, bedrohte eine höchst gefährliche Verschwörung seine Herrschaft im Jahr 23 v. Chr. Er musste reagieren und gab dem Senat das Konsulat zurück, so dass ein Senator an seiner statt in der Zukunft Konsul sein konnte. Um diesen Machtverlust zu kompensieren, ließ sich Augustus mit der vollen tribunizischen Amtsgewalt auf Lebenszeit ausstatten, inklusive des Rechts, gegen einen Magistraten zu intervenieren, Gesetze zu initiieren und den Senat einzuberufen. Außerdem wurde sein imperium proconsulare über die kaiserlichen Provinzen, also die Provinzen, die direkt seiner Herrschaft unterstanden, erweitert zu einem imperium proconulare maius, also ein größeres, umfassendes Kommando, das ihm auch das Recht verlieh, in senatorischen Provinzen einzugreifen. Die Existenz eines imperium proconsulare maius ist in der Forschung umstritten; der Terminus taucht so in den Quellen nicht auf, aber etwas so Ähnliches muss er gehabt haben.
Zweitens musste er zu einem Ausgleich mit dem Senat kommen. In mehreren Wellen säuberte er die Körperschaft, indem er die Anzahl der Senatoren stark reduzierte, womit er jede Form der Opposition ausschaltete. Nach Actium gab es etwa 1000 Senatoren. Im Jahre 28 wurden nur 190 „unwürdige“ Mitglieder ausgeschlossen, aber im Jahr 18 wurde die Zahl auf 600 verringert, wie in den alten Tagen, eine radikale Maßnahme, die natürlich auf starke Opposition stieß. Aber die verbliebenen Senatoren waren umso stolzer, dem noblen Haus anzugehören und hatten nun noch mehr Grund, ihrem Patron dankbar zu sein.
Gleichzeitig war Augustus auf das Know-how der Senatoren angewiesen. Nur sie verfügten über die Fähigkeiten, die Erfahrung und die Tradition, ein riesiges Imperium zu verwalten. Ohne sie hätte Augustus keinen einzigen Tag regieren können. Daher war es oberste Staatsräson, die neue Regierungsform mit dem traditionellen Denken der Senatoren in Kategorien des Wettbewerbs untereinander zu versöhnen. Augustus bemühte sich, ihre republikanische Denkungsart mit seiner Alleinherrschaft zu verschmelzen und war damit eher der politische Erbe Sullas als Caesars. Aber anders als Sulla restaurierte er nicht nur die alte Ordnung, sondern schuf eine neue; anders als Caesar vernachlässigte er nicht die Senatoren und ihre Vorstellungen von politischer Partizipation. Als junger Mann hatte er gesehen, was mit Caesar passiert war, der die Vorstellungen und Forderungen der aristokratischen Kreise nicht verstanden bzw. nicht verstehen hatte wollen. Augustus jedoch war bereit, aus der Vergangenheit zu lernen und schaffte es, die Senatoren für sich einzunehmen, indem er ihnen konkrete Aufgaben und Pflichten übertrug und sie das Imperium verwalten ließ. Ihre Ambitionen wurden mit vielen Posten in Rom, in Italien und den Provinzen befriedigt. Jeder dieser Posten befand sich in einer Hierarchie, stand also unter oder über einem anderen Posten. Auf diese Weise lebte der alte Wettbewerb unter den führenden Familien in zivilisierter Form unter der Kontrolle des Monarchen weiter. Anstatt also diese mächtige Institution gegen sich zu haben, arbeitete diese Körperschaft, bestehend aus hochgebildeten und fähigen Männern, für Augustus und stellte die beste Legitimationsquelle für seine Herrschaft dar. Das Gleiche gilt für die Ritter, die zweite führende Gruppe in der römischen Gesellschaft. Beide Stände waren mit der Restitution ihrer Ränge und ihren garantierten Privilegien hoch zufrieden.
Drittens musste Augustus nach der langen Periode der Bürgerkriege Italien entmilitarisieren. Viel zu viele Männer befanden sich unter Waffen, so dass Augustus die Zahl der Legionen von mehr als 60 auf 28 reduzierte. Ungefähr 300.000 Mann standen also unter Waffen, von denen er mehr als die Hälfte entließ. Bevor wir auf das Versorgungs- bzw. Abfindungsproblem eingehen, sei ein Blick auf die verbliebenen Truppen gestattet: Um zu verhindern, dass sie im Inneren des Reiches Problem verursachten (Augustus muss unter dem Gespenst eines potentiellen zukünftigen Bürgerkriegs gelitten haben), stationierte er sie an den Grenzen des Reiches, womit er eine Lösung für zwei Probleme fand: Die Verteidigung des Reiches gegen Barbaren und eine geeignete Beschäftigung für seine Soldaten, die die Grenzgebiete gegen jeden Angriff von außen sicherten. Aber wie konnte er Tausende von loyalen Soldaten entlassen, die ihn an die Macht brachten? Als Patron war er für sie verantwortlich. Sie erwarten von ihm, dass er sich um sie kümmere. Er musste sie entlohnen. Er gab den Veteranen entweder Geld oder er gründete Kolonien für sie auf fruchtbarem Land, in Gallien, im mediterranen Teil von Africa, Sizilien, Makedonien, Achaia, Spanien, Asia und Syrien inklusive 28 Kolonien in Italien, ein Prozess, den wir Kolonisierung nennen. Andernfalls wären die Veteranen und die Italiker, die in den Bürgerkriegen alles verloren hatten, in der Hauptstadt geblieben und hätten die Anzahl von Armen und Obdachlosen nach oben schnellen lassen. Um eine solche Konzentration von Massen in der Hauptstadt zu vermeiden, entsandte er auch Arme aus Rom in die neuen Kolonien und ermöglichte ihnen, dort ein Auskommen zu finden.
Aus diesen Maßnahmen wird ersichtlich, dass die Armee, die Bevölkerung Roms (einschließlich der Senatoren und Ritter) und die Italiker die soziale Basis bildeten, auf die Augustus sein Imperium aufbaute. Er fühlte sich als Patron all dieser Gruppen, und sie waren alle seine Klienten, eine urrömische Idee, die ihm und allen Untertanen wohlvertraut war.
Aber es waren nicht nur römische Bürger, die von den Errungenschaften des neuen Regimes profitierten, sondern auch die Bewohner der Provinzen. Augustus betrachtete sich auch als Patron der Provinzen. Bis in die augusteische Zeit hatten die Provinzialen nur unter der Herrschaft Roms gelitten. Die führenden Familien der römischen Aristokratie sahen nur einen Grund für die Eroberung und Unterwerfung fremder Völker: Sie auszubeuten zum Ruhme Roms, v. a. aber auch zu ihrem eigenen. Auch hier lernte Augustus aus den Fehlern der Vergangenheit: Viele Aufstände hatten das Imperium während der Republik erschüttert; die kleinen oligarchischen Kreise von, sagen wir, fünfzehn untereinander konkurrierenden Familien, waren unfähig und auch unwillens, eine effektive Provinzialverwaltung aufzubauen und die Provinzen somit zu einem integralen Teil Roms zu machen. Augustus vertraute seinem politischen Instinkt und rationalisierte die römische Herrschaft im Ausland, indem er die Provinzialen mehr an die römische Kultur heranführte, sie attraktiv für die Unterworfenen machte. Sogar die ersten Senatoren aus den Provinzen kamen unter Augustus in die noble Körperschaft, in einem Wort, ein Prozess, den wir Romanisierung zu nennen gelernt haben, begann zu der Zeit. Und jetzt sehen wir, wie die Dinge ineinander greifen: All dies war nur möglich, weil die Senatoren als kaiserliche Magistrate in den Provinzen handelten und mit konkreten Rechten und Pflichten ausgestattet, kaiserliche Missionen erfüllten.
Der Anbruch einer neuen Ära musste allen auf sichtbarste und dauerhafteste Form gezeigt werden, und so schmückten bald herrliche Gebäude, sakraler und profaner Natur, Städte und Landschaften und zeugten von einem übergeordneten Willen, Recht und Gesetz sowie Frieden und Sicherheit zu garantieren, eine Propaganda, die ihr Ziel erreichte, nämlich die Menschen die blutigen Anfänge der usurpierten Macht vergessen zu machen.
Wenn man die heftigsten Konflikte der späten Republik mit den Maßnahmen des Augustus vergleicht, sieht man, dass die Krise der Republik nicht in erster Linie eine ökonomische oder soziale Krise war. Die römische Gesellschaft und Wirtschaft änderten sich kaum vom ersten vor- zum ersten nachchristlichen Jahrhundert. Es war eher eine politische Krise insofern, als die schiere Größe des Reiches die Kapazitäten des ursprünglich kleinen Stadtstaates und seiner kleinen Herrschaftselite bei weitem überforderte. Die führenden römischen Familien, alle Mitglieder der Nobilität, der herausragenden Gruppe innerhalb des Senats, vermochten es nicht, sich an die völlig veränderte Situation anzupassen. Sie konnten eine Supermacht mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln nicht regieren. Sie kämpften ständig untereinander um die Macht. Das oligarchische Regime glitt ab ins Chaos und rief viele Langzeitkonflikte hervor:
Die Rivalität unter diesen Familien,
Den Ausschluss Ehrgeiziger, die unbedingt den sozialen Aufstieg schaffen wollten,
Das beinahe tragisch zu nennende Verhältnis zwischen Rom und seinen Verbündeten, das schließlich in den Bundesgenossenkrieg mündete,
Die Unterdrückung der Provinzen, welche schwere Aufstände auslöste, weil sie von römischen Gouverneuren nicht nur vernachlässigt, sondern vielmehr brutal ausgebeutet wurden,
Die vollständige Teilnahmslosigkeit der herrschenden Eliten an diesen Katastrophen führte zu endlosen Kriegen und zur Verarmung der römischen Bauern.

Vergegenwärtigt mach sich nun die augusteischen Maßnahmen, dann sieht man sofort, dass Augustus weder die Gesellschaft noch ihre Wirtschaft veränderte. Seine Ideen und Taten stellten sich als geeignete Maßnahmen zur Lösung der mannigfachen Konflikte heraus. Die noblen Familien durften weiterhin um Posten konkurrieren, innerhalb des hierarchisch gegliederten Rahmens, den Augustus vorgab. Auf diese Weise wurden die Ambitionen vom ersten Prinzeps streng kontrolliert. Menschen aus unteren gesellschaftlichen Schichten konnten unter gewissen Umständen und mit Einverständnis des Kaisers die Karriereleiter emporklettern in einem genau fest gelegten Schema an Posten. Die Italiker wurden mit Geschenken und weiterer Urbanisierung versöhnt. Die Provinzen wurden besser als jemand zuvor verwaltet, weil viele senatorische Posten Aufgaben außerhalb Roms waren. Und weil die Kriege geendet hatten, konnte die Sicherheit im Grunde wieder garantiert werden. Die Infrastruktur erholte sich allmählich, so dass ein stabiles monetäres System, die Anlage von Straßen und Häfen, der Fernhandel und groß angelegte Bauprogramme zu einem höheren Lebensstandard beitrugen. Es war eher durch Instinkt als durch intentionales Planen, dass Augustus Antworten auf die drängendsten Fragen seiner Zeit fand. Dieser Instinkt für die Nöte der Untertanen liegt Augustus‘ Ideen und Konzepten zu Grunde, die er über die langen Jahrzehnte seiner Herrschaft entwickeln konnte und die das Antlitz des römischen Reiches für Jahrhunderte prägen sollten. Seine Nachfolger konnten von den großen Bahnen, die Augustus vorgezeichnet hatte, nicht abweichen, und so blieben die meisten seiner Maßnahmen bis ins 3. Jh. Chr. hinein in Kraft. Diese Regularien betreffen die Aussöhnung mit dem Senat, die darin bestand, dass die Reichsadministration der altehrwürdigen Körperschaft anvertraut wurde, die Rolle und die Einsatzgebiete der Armee, die humanere Behandlung der Provinzen und am nachhaltigsten: Die Errichtung einer neuen Regierungsform.

II. Zusammenfassung

Abschließend möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf drei Punkte lenken:

Augustus war nicht von Anfang an Augustus. Die Situation war ziemlich lang offen. Erst nach Actium, nach der Ausschaltung von Marc Anton und Kleopatra, war er Alleinherrscher. Von diesem Moment an konnte er die Dinge nach seinen Vorstellungen gestalten, aber es gab noch kein Konzept, keine konsistente Ideologie, keine systematische Etablierung einer neuen Verfassung. Er brauchte vielmehr ein Leben, um diese neuen Konzepte zu entwerfen und zu verfeinern und v.a. um sie in die Tat umzusetzen. Er war erfolgreich aufgrund seiner hohen Intelligenz, Grausamkeit und Flexibilität und, nicht zu vergessen, er hatte das Glück, sehr lange zu leben. Kreativität in verfassungsrechtlichen Fragen, seine Großzügigkeit, seine Eroberungen, finanzielle Potenz und sein für andere unerreichbares Prestige trugen zur festen Konsolidierung seiner Herrschaft bei.
Die augusteische Zeit ist einer der besten Testfälle, an denen man die Interaktion und Interdependenz zwischen Struktur und Person untersuchen kann, ein wichtiger Faktor beim historischen Denken und bei der historischen Quelleninterpretation. Augustus ist nicht denkbar ohne die Krise der römischen Republik, die Bemühungen, sie zu lösen und deren letztliches Scheitern. Er muss also in einem größeren Kontext gesehen werden. Einerseits kann sein Denken und Handeln nicht ohne ein vertieftes Verständnis römischer Verhaltens- und politischer Handlungsmuster verstanden werden. Andererseits schuf er Strukturen auch selbst, die zum Teil Jahrhunderte Bestand hatten. Wenn wir als heutige Historiker eine rein biographische Geschichtsschreibung vermeiden wollen, müssen wir eher die langlebigen Folgen seiner Herrschaft und ihrer Errungenschaften analysieren als seine Persönlichkeit, so faszinierend und unerklärlich sie uns auch scheinen mag.
Ganz eindeutig steht fest: Dieser sensible und brutale Mann, dieser Mann von höchster Kultur und bösartigstem Misstrauen, ausgestattet mit einem untrüglichen Sinn für Macht, ist eine der größten politischen Figuren der Weltgeschichte. Er legte die Grundlagen für das, was das römische Reich und die römische Kaiserzeit werden sollten, auf den Gebieten der Politik, der Verwaltung, der Armee und der Kultur und formte so ganz entscheidend die damals bekannte Welt für Jahrhunderte.

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Quellen-Hinweise
Sehen Sie zu diesem Podcast auch die Quellen zu Augustus. Alle Quellen enthalten einen Leitfragen- und Kommentarbereich zum besseren Verständnis des Textes.
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06 – Der Untergang der Römischen Republik

Projekttitel: eManual Alte Geschichte
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Werner Rieß
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Römische Geschichte I: Die Republik

06 – Der Untergang der Römischen Republik

Im letzten Podcast haben wir davon gehandelt, wie das erste Triumvirat die politischen Machtverhältnisse in Rom verschob, weg von der Senatsherrschaft hin zu einer Militärdiktatur, ausgeübt von drei Männern. Durch den Gallischen Krieg war Caesar nun an Macht und Prestige Pompeius ebenbürtig. Es war offenkundig, dass sie um die Macht konkurrieren würden.
Offiziell ging es darum, wie Caesar nach dem Ablauf seine Kommandos in Gallien seine Machtposition behalten können würde. Er war nicht bereit, seine Armee aufzulösen und als Privatmann nach Rom zu kommen, denn dann hätten ihm Anklagen gedroht. Es begann ein diplomatisches und juristisches Tauziehen um prozedurale Fragen. Am Ende schafft es Caesar, die Schuld am Ausbruch des Bürgerkrieges der Senatspartei zuzuweisen. Als er den Rubicon überschritt und auf Rom marschierte, war Pompeius schlechter gerüstet als Caesar. Die Republikaner um Pompeius waren sofort in der Defensive und flohen nach Griechenland. Caesar wandte sich zuerst nach Spanien und schaltete dort Legionen des Pompeius aus, um dann den Rücken für den Kampf im Osten frei zu haben. Im Sommer 48 besiegt er Pompeius in der Schlacht von Pharsalos. Pompeius flieht nach Ägypten und wird dort von Ptolemaios XIII. ermordet. Damit ist die Senatspartei aber immer noch nicht geschlagen.
Im Alexandrinischen Krieg, in dessen Verlauf auch die berühmte Bibliothek von Alexandria abbrannte, sicherte sich Caesar Ägypten und wandte sich dann nach Asien, wo er im Jahre 47 Pharnakes, den Sohn des Mithridates, in der Schlacht von Zela in Pontos besiegte. Mittlerweile hatte Metellus Scipio eine neue optimatische Streitmacht in Africa aufgestellt. In der Schlacht von Thapsus besiegte Caesar die Republikaner, Africa Nova wurde als neue Provinz eingerichtet, deren erster Statthalter der spätere Historiker Sallust wurde.
Nach der Schlacht von Munda in Spanien gegen Gnaeus Pompeius, den Sohn des Magus, und Titus Labienus, war Caesar der Herr der Welt und nannte sich Befreier, liberator. Caesars Ehrungen überstiegen nun alle Maßen, im Jahre 45 erklärte er sich zum dictator perpetuus; im Prinzip war das die offizielle Einführung der Monarchie. Seine Statue wurde auf dem Kapitol neben den Statuen der legendären Könige der Frühzeit aufgestellt. Es war klar, dass diese Selbstverherrlichung nicht von allen Kreisen positiv gesehen wurde.
Caesar hatte das alte Spiel der Aristokraten um die Macht monopolisiert, ihre libertas, d.h. ihre Freiheit, im freien Kräfteringen miteinander auszuloten, wem die höchsten Würden zukamen, an sich gerissen. Spätestens mit Caesars Stellung als Alleinherrscher war diese libertas zum Erliegen gekommen, die alten republikanischen Spielregeln des Machterwerbs und Machterhalts waren außer Kraft gesetzt. Das wollten und konnten konservativ gesinnte republikanische Kreise nicht hinnehmen. Eine Verschwörung gegen Caesar brauchte sich zusammen. Anders als später Octavian, hat Caesar zu wenig auf die Meinungen innerhalb der Senatsaristokratie geachtet, verstand er es nicht, seine überragende Stellung mit der Republik zu versöhnen. Es sieht nicht so aus, als ob Caesar hier ein Konzept gehabt hätte, eine Vision davon, wie er dauerhaft seine Stellung absichern und legitimieren können würde. Cicero bat ihn inständig, sich nun um die Innenpolitik zu kümmern, eine funktionsfähige Reichsverwaltung aufzubauen, idealiter die Republik wieder herzustellen. Doch Caesar fühlte sich innenpolitisch nicht auf gewohntem Terrain. Seine Welt war die des Krieges und des Militärs, dort fühlte er sich zu Hause, hier lagen seine Stärken als brillanter Stratege und Organisator von groß angelegten Feldzügen. So verwundert es nicht, dass Caesar mit seiner Stellung in Rom wenig anzufangen wusste und einen großen Partherfeldzug plante, um die Niederlage des Crassus zu rächen und die römischen Feldzeichen zurückzuholen.
In der älteren Forschung gab es eine lebhafte Diskussion um die Frage, ob Caesar nun ein Staatsmann gewesen sei (so Matthias Gelzer) oder ob ihm diese Bezeichnung nicht zukomme (so Hermann Strasburger). Christian Meier hat für die paradoxe Situation, in der sich Caesar nach seinem Sieg befand, ein, wie ich meine, treffendes Oxymoron gefunden: Er spricht von der „Ohnmacht des allmächtigen Diktators Caesar“. Kurz vor seinem Aufbruch nach Osten wurde Caesar an den Iden des März 44 v. Chr. von ca. dreißig Verschwörern ermordet. Doch ihre Rechnung ging nicht auf: Das Attentat stellte die Republik nicht etwa wieder her, sondern hinterließ ein Machtvakuum, längst waren die staatlichen Strukturen monarchisch geprägt. Caesar war beim Volk beliebt und v.a. bei seinen Soldaten und seinem Freund Marcus Antonius. So waren die Verschwörer sofort in der Defensive und mussten aus der Stadt fliehen. Immerhin erreichte man im Senat einen Kompromiss: Alle Amtshandlungen Caesars behielten ihre Gültigkeit, das bedeutete de facto einen Verzicht der Attentäter auf ihre Ziele. Andererseits galt nun eine Amnestie für die Mörder. Doch die Verhältnisse waren kompliziert: Marcus Antonius, der Konsul des Jahres 44, brachte den Nachlass Caesars an sich. Gleichzeitig erhob der neunzehnjährige Caius Octavius, den Caesar adoptiert hatte, Anspruch auf das Erbe. Sofort stand er in Rivalität zu Antonius. Diese Grundrivalität (zwei Erben waren einer zu viel) bestand immer fort und sollte erst in der Schlacht von Actium ihre Auflösung finden.
Zwischenzeitlich kooperierten die beiden jedoch, um sich gemeinsam an den Caesarmördern zu rächen. Generell verstand es Octavian immer, aus opportunistischen Gründen die Seiten zu wechseln. Er hatte in der komplizierten Situation von 44 die Wahl, entweder gleich in die offene Rivalität zu Antonius zu treten, dann brauchte er jedoch die Hilfe des Senats, oder zuerst mit Antonius gemeinsame Sache gegen die Caesarmörder zu machen, dann wäre er aber nur der Juniorpartner des Antonius gewesen.
Octavian verfügte mit seinen 19 Jahren über keinerlei militärische Erfahrung, seine Stellung musste erst legitimiert werden, und das konnte nur durch und über den Senat geschehen. Seinen großen Förderer und Fürsprecher fand er in Cicero, der glaubte, ihn gegen Antonius und somit für die Republik aufbauen zu können, eine gründliche Fehleinschätzung des erfahrenen Politikers. Durch einen Provinztausch wollte Antonius Norditalien in Besitz nehmen, doch der Statthalter der Gallia Cisalpina, Decimus Iunius Brutus, einer der Verschwörer, weigerte sich, die Provinz an Antonius herauszugeben. Antonius marschierte nach Norden und belagerte Brutus in Mutina, wieder war also ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Die beiden Konsuln, Hirtius und Pansa, sowie Octavian bekamen den Auftrag, den Belagerungsring um Mutina zu sprengen und so Decimus Iunius Brutus zu entsetzen. Dies gelang, doch beide Konsuln fielen in der Schlacht, und Octavian ließ Antonius fliehen, sein Seitenwechsel deutete sich hier bereits an. Octavian fordert nun sogleich, gegen alle Regeln der Verfassung, den Konsulat für sich. Der Senat lehnte ab und Octavian marschierte auf Rom und besetzte es. Mit der Hand am Schwertknauf erzwang er sich das höchste Amt im Staat. Es war nun klar, dass dieser junge Mann sich von niemandem würde kontrollieren lassen. Der Seitenwechsel vollzog sich nun rasch: Eine lex Pedia ächtete die Caesarmörder in ihrer Abwesenheit, Antonius vereinigte sich im Westen mit den Heeren des Marcus Aemilius Lepidus, Lucius Munatius Plancus sowie Caius Asinius Pollio. Der gesamte Westen war somit in der Hand der Caesarianer.
Lepidus vermittelte zwischen Antonius und Octavian und die drei Männer kamen schnell überein: In Bononia wurde im November 43 das Zweite Triumvirat besiegelt, für fünf Jahre. Die Militärdiktatur wurde gesetzlich abgesichert durch eine lex Titia, anders als das Erste Triumvirat, das nur eine private coitio war, ein privates Zusammengehen dreier führender Männer. Die drei Männer teilten sich das Reich in Interessenssphären auf: Octavian war hier eindeutig nur Juniorpartner, er bekam Africa, Sizilien, Sardinien und Korsika. Antonius ging als der Stärkste aus dieser Vereinbarung hervor. Man beschloss nun den gemeinsamen Krieg gegen die Caesarmörder sowie Rache an den politischen Feinden. Zum zweiten Mal in der römischen Geschichte wurden Proskriptionslisten erstellt: 300 Senatoren sowie 2000 Ritter fanden den Tod, damit war die alte Aristokratie physisch vernichtet. Ganz oben auf der Liste muss Cicero gestanden haben, der Erz-Republikaner, der Antonius in den Philippischen Reden so vehement geschmäht und verunglimpft hatte. Octavian tat nichts, um seinen alten Gönner und Förderer zu retten. Cicero hatte sich zeit seines Lebens als Bewahrer der Republik verstanden, gegen Ende seines Lebens sich gar als Verkörperung der Republik gesehen. Seine Ermordung führt vor Augen, dass er mit dieser sehr selbstbewussten Einschätzung seiner selbst nicht ganz Unrecht hatte. Mit ihm war ein großer Mahner und Befürworter der Republik für immer verstummt.
Im Herbst 42 suchten Caesarianer und Republikaner die Entscheidung im Osten. In der Doppelschlacht von Philippi verloren die Republikaner, Cassius und Brutus begingen Selbstmord. Damit war die Rache für Caesar erfüllt, aber noch keineswegs bedeutete dies das Ende des Bürgerkrieges. Nach Erledigung der gemeinsamen Aufgabe wuchs nun die Rivalität zwischen Antonius und Octavian wieder ungebremst. Antonius sicherte die Herrschaft der Triumvirn im Osten, wo er als neuer Dionysos begrüßt wurde, während Octavian im Westen große Probleme bei der Veteranenversorgung hatte und sich sehr unbeliebt machte. Lucius Antonius, der Bruder des Triumvirn, zettelte sogar einen Krieg gegen Octavian an, den Perusinischen Krieg um Perugia. Octavian nahm die Stadt ein, übte aus politischen Gründen jedoch Rücksicht und schob Lucius Antonius nach Spanien ab.
Ein weiteres Problem stellte Sextus Pompeius auf Sizilien dar, der Sohn des Magnus, der im westlichen Mittelmeer geradezu eine Seeherrschaft etabliert hatte und durch das Kappen der Getreidelieferungen nach Rom empfindlichen Druck auf Octavian ausüben konnte. In mehreren Verträgen suchte Octavian nun die gegensätzlichen Interessen auszutarieren:
Im Vertrag von Brundisium (40) kam es zu einem Ausgleich zwischen Octavian und Antonius. Antonius bekommt den gesamten Osten, Octavian den Westen, Lepidus erhält Africa als Abfindung. Italien steht allen Triumvirn für Rekrutierungen offen. Der Vertrag wird noch durch eine Eheschließung bekräftigt: Antonius, dessen Frau Fulvia mittlerweile gestorben war, heiratete Octavia, die Schwester Octavians.
Im Jahre 39 wurde ein Vertrag mit Sextus Pompeius geschlossen, der Vertrag von Misenum, der Italien in Jubel versetzte, denn dadurch schien eine militärische Auseinandersetzung abgewendet: Sextus Pompeius garantiert nun Getreide aus Sizilien für Rom, dafür hat er weiterhin das Kommando über die Inseln. Er verpflichtet sich, keine weiteren flüchtigen Sklaven mehr aufzunehmen, dafür erkennen die Triumvirn die Sklaven in seiner Flotte als frei an. Proskribierte, die sich bei Pompeius befanden, durften zurückkehren und konnten ein Viertel ihres Vermögens wieder erlangen.
Als Antonius für seinen Partherfeldzug Truppen brauchte (er wollte nun den Feldzug endlich umsetzen, zu dem Caesar nicht mehr gekommen war), mussten sich die die Triumvirn wieder verständigen. Im Vertrag von Tarent wurde 37 v. Chr. das Triumvirat verlängert. Antonius wurden 20.000 Soldaten aus Italien zugesagt, Octavian im Gegenzug 120 Kriegsschiffe aus Antonius‘ Flotte.
Sextus Pompeius, der den Vertrag von Misenum gebrochen hatte und wieder Druck auf Italien ausübte, konnte vom Freund des Augustus, Marcus Vipsanius Agrippa, in der Schlacht von Mylae und Naulochos geschlagen werden. Im Kontext dieser Auseinandersetzungen machte sich Lepidus selbständig und beanspruchte Sizilien für sich. Octavian konnte jedoch seine Soldaten gewinnen und so legte Lepidus, isoliert, seine triumvirale Gewalt nieder. Lepidus wurde mit dem Oberpontifikat abgespeist; Octavian nahm nun, ganz unerwartet, Africa in Besitz, ein gewaltiger Machtzuwachs und Prestigegewinn. Octavian und Marcus Antonius waren nun die alleinigen Kontrahenten. Octavian arbeite von jetzt an geschickt propagandistisch auf die finale Auseinandersetzung zu, wobei ihm Antonius diese Aufgabe aber auch leicht machte. Aufgrund seines Verhältnisses zu Cleopatra hatte sich das Verhältnis zu Octavian merklich abgekühlt, schließlich hatte Antonius seine Ehefrau Octavia betrogen. Mit Cleopatra hatte Antonius sogar drei Kinder, die Zwillinge Alexander Helios und Cleopatra Selene und dann noch Ptolemaios Philadelphos. Antonius schenkte Cleopatra und den gemeinsamen Kindern Syria Coele, Phönikien, Zypern und Teile von Kilikien. Statt der 20.000 Soldaten stellte Octavian Antonius nur 2000 zur Verfügung. Octavia sollte sie ihm persönlich übergeben, doch Antonius lehnte das Treffen mit Octavia ab, ein schwerer familiärer und auch politischer Affront.
Es kam zu einer weiteren Brüskierung des römischen Staates: Antonius feierte nach einem Armenienfeldzug einen Triumph in Alexandria, bei dem er als Neuer Dionysos, Cleopatra als Neue Isis auftraten; auch mythologisch wurde also ihre enge Verbindung unterstrichen. In den Jahren 33/32 mobilisierte Octavian die öffentliche Meinung gegen Antonius. Dem angeblich orientalischen und dekadenten Antonius setzte er eine italisch-nationale Propaganda entgegen, die ganz auf die konservativen, altrömischen Werte setzte. Die Fronten verhärteten sich, 300 Senatoren gingen nach Ephesos, der Ausbruch eines weiteren Bürgerkrieges stand unmittelbar bevor. Als Antonius einen Scheidebrief an Octavia schickte, ließ Octavian das Testament des Antonius erbrechen, das bei den Vestalinnen hinterlegt war, und im Senat verlesen. Wir wissen nicht, ob das wirklich das Testament des Antonius war oder ein von Octavian fabrizierter Text, aber er hat seine Wirkung nicht verfehlt: Antonius wollte in Alexandria beigesetzt werden, gewaltige Zuwendungen an Cleopatra und die gemeinsamen Kinder waren vorgesehen. Daraufhin wurde Cleopatra, wohlgemerkt nicht Antonius, der Krieg erklärt. Der weitere Verlauf der Geschichte ist wohlbekannt. Octavian ließ die Bevölkerung Italiens und der Westprovinzen einen Eid auf sich schwören. Dieser consensus universorum, ein Begriff, den Cicero geprägt hatte, war fortan Octavians Herrschaftslegitimation. Antonius tat es ihm im Osten gleich.
Nach der verlorenen Schlacht von Actium, dem Selbstmord der Cleopatra und des Antonius und der Eroberung Ägyptens durch Octavian, kannte die Welt nur noch einen Herrscher: Octavian, der sich ab 27 v. Chr. Augustus nennen würde. Die Republik war damit zu Ende.

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05 – Sulla und das Zeitalter der Bürgerkriege

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Römische Geschichte I: Die Republik

05 – Sulla und das Zeitalter der Bürgerkriege

Im letzten Podcast haben wir von den gescheiterten Reformen der Gracchen gehört. In Rom herrschte dadurch Reformstau. Die Probleme verschlimmerten sich dadurch zusehends, die Stimmung wurde immer explosiver. Außenpolitische Bedrohungen taten das Ihrige, das System der Republik immer mehr zu destabilisieren. Der Krieg gegen König Jugurtha von Numidien in den Jahren 111-105 drohte zum Debakel zu werden.
Einmal mehr offenbarte sich nach den schweren Kämpfen um Numantia die Unfähigkeit der römischen Führungsschicht. Marius gelang es schließlich, Jugurtha niederzuwerfen, dem jungen Sulla gelang seine Auslieferung.
Parallel zu den Kämpfen in Nordafrika braute sich im Norden eine große Gefahr zusammen. Die Germanenstämme der Kimbern und Teutonen schlugen 113 ein römisches Heer in Noricum, besiegten 109 ein konsularisches Heer an der Rhône und vernichteten 105 bei Arausio, dem heutigen Orange, zwei konsularische Heere. Damit lag Italien offen, in Rom brach eine Angstpsychose aus. Doch da die Germanen nach Spanien weiterzogen, gewann Rom Zeit. Marius führte eine grundlegende Heeresreform durch und es gelang ihm, die Germanen in zwei Schlachten getrennt zu schlagen. Die Heeresreform des Marius ist insofern grundlegend, als ihre sozialpolitischen Folgen die kommenden Jahrzehnte entscheidend prägten und die Krise militarisierten. Da der italische Bauernstand geschwächt war und sich aus dieser Schicht nicht mehr genügend Soldaten rekrutieren ließen, öffnete Marius das Heer denen, die gar nichts hatten außer ihren Nachkommen, den Proletariern, und rüstete sie auf Staatskosten aus. Tausende von Freiwilligen strömten nun zu den Waffen; damit war aber das römische Heer kein Milizheer mehr. Der Feldherr rückte für die Soldaten in die Position eines Patrons ein, der für ihr Wohlergehen verantwortlich war. In anderen Worten, die Feldherren gewannen nun eine immense, bewaffnete Klientel, die durchaus auch für eigene Zwecke einsetzbar war. Infolge dieser Reform proletarisierte und professionalisierte sich das Heer, aber es politisierte sich auch. Die Heeresklientel der Späten Republik diente schließlich nur noch den politischen Zielen ihres Patrons, nicht mehr dem Abstraktum Republik. Der Besitzerwerb dieser Soldaten erfolgte durch Sold, Beute und Landzuweisungen als Veteran, für alle drei Säulen war der Feldherr verantwortlich.
Wir könnten sagen, dass die Notwendigkeit der Bewältigung von umfassenden Herrschaftsaufgaben und natürlich auch der Reformstau das Milizwesen zerstört hatte, und die veränderte Heeresstruktur ihrerseits zum Untergang der Republik nicht unwesentlich beitrug. Die politisierenden Heerführer militarisierten mit der ihnen treu ergebenen Heeresklientel die Innenpolitik, das Zeitalter der Bürgerkriege war angebrochen.
Konkret rüstete Marius alle Soldaten gleich aus und schaffte damit die Dreitreffenordnung ab. Um den germanischen Haufen standhalten zu können, fasste er die beweglichen Manipel zu einer neuen taktischen Einheit zusammen, der Kohorte, damit war nun das römische Aufgebot so beweglich wie zuvor, aber gleichzeitig auch stärker aufgestellt. Caesar sollte die Kohortenstruktur dann zur Vollendung führen. Marius unterwarf seine Soldaten einem eisernen Drill und kümmerte sich persönlich um alles. Damit wurde er zu einer charismatischen Identifikationsfigur, der in der Folgezeit entscheidende Siege gelangen.
Mit den außenpolitischen Erfolgen waren die innenpolitischen Probleme jedoch keineswegs beseitigt. Lucius Appuleius Saturninus spielte als Volkstribun in den Jahren nach 100 eine höchst zweifelhafte Rolle. Einerseits war Marius bei der Veteranenversorgung auf ihn angewiesen, andererseits billigte selbst Marius die rabiaten Methoden des Volkstribunen nicht. Schließlich erließ der Senat ein senatus consultum ultimum, sprach also den Staatsnotstand aus, und Saturninus wurde getötet. Marius‘ Ruf war damit schwer beschädigt, es folgten Jahre der konservativen Reaktion.
Marcus Livius Drusus war schließlich ein Hoffnungsträger, dem man aufgrund seiner familiären Herkunft zutraute, die tiefe Kluft zwischen Optimaten und Popularen zu überwinden. Sein Vater war 122 gegen Caius Gracchus vorgegangen, er selbst begann seine Karriere als gemäßigter Optimat, wurde dann jedoch Popular und versuchte die Probleme umfassend zu lösen, insbesondere plädierte er für das römische Bürgerrecht für alle Italiker. Als er jedoch 91 v. Chr. einem geheimen Mordanschlag zum Opfer fiel, waren alle Hoffnungen begraben; das Attentat war das Fanal für das Ausbrechen des Bundesgenossenkrieges 91-89 v. Chr. Ursprünglich war es den Bundesgenossen um die Erringung des römischen Bürgerrechts gegangen, doch als dies über Jahrzehnte ein bloßer Wunschtraum blieb, wandten sie sich tief frustriert einem anderen Ziel zu, der Gründung eines Staates der Italiker, unabhängig von Rom. Sogar eine Hauptstadt erkor man sich, Corfinium. In Analogie zum römischen Senat gründete man einen italischen Senat von 500 Mitgliedern, man wählte zwei Oberbeamte und 12 Prätoren. Sogar eigene Münzen wurden geprägt mit dem Kopf der Italia mit oskischer Beischrift. Der Krieg wurde mit äußerster Erbitterung geführt, offenbar gab es fanatische Kräfte, die ihn schon seit geraumer Zeit vorbereitet hatten. Gefährlich war natürlich auch, dass die Bundesgenossen die römische Kampfweise ja bestens kannten, sie kämpften selbst wie die Römer. Diese mussten anfangs empfindliche Niederlagen einstecken. Gnaeus Pompeius Strabo gelang es schließlich Asculum einzunehmen.
Aber auch gesetzgeberisch kamen die Römer den Aufständischen entgegen und spalteten sie geschickt auf. Die lex Iulia de civitate sociis danda verlieh allen Latinern und Bundesgenossen, die nicht gegen Rom kämpften, das römische Bürgerrecht. Ein Jahr später ermöglichte die lex Plautia Papiria allen freien Bundesgenossen bis zum Po Bürger zu werden, sofern sie innerhalb von 60 Tagen die Waffen niederlegten. Dieses Gesetz hatte durchschlagenden Erfolg, die Kämpfe flauten hierauf rasch ab. Im gleichen Jahr ergänzte eine lex Pompeia noch diese Italikergesetzgebung, alle Bundesgenossen nördlich des Po bekamen nun das latinische Recht, das ius Latii. D.h. wer ein politisches Amt in einer Stadt bekleidete, wurde automatisch römischer Bürger. Politisches Engagement lohnte sich also ganz konkret.
Das vielschichtige Bundesgenossensystem war damit entscheidend nivelliert. Von nun an sprach man, wenn man von den italischen Gemeinden sprach, nur noch von municipia et coloniae. Das politische Leben zentralisierte sich nun noch mehr in Rom, das Staatsgebiet der urbs war mit dem Gebiet Italiens bis zum Po identisch geworden. Und obwohl die meisten Neubürger ihre politischen Rechte in der Hauptstadt nicht ausüben konnten, entstand ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl der Vollbürger der italischen Halbinsel.
Im Jahre 88 war Sulla zum Konsul gewählt worden, da erreichte Rom eine schockierende Nachricht: Mithridates VI. Eupator von Pontos hatte an einem Tag angeblich 80.000 Römer und Italiker in Kleinasien ermorden lassen. Sulla erhielt den Oberbefehl gegen Mithridates, doch war diese Entscheidung nicht unumstritten. Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus drängte Sulla in Straßenkämpfen aus der Stadt und brachte den Oberbefehl für Marius durch. Daraufhin sammelte Sulla seine Truppen und marschierte von Nola aus mit vier Legionen auf Rom. Zum ersten Mal in der Geschichte Roms marschierte also ein römischer Feldherr mit feindlicher Absicht auf Rom. Damit war ganz offenbar, dass eine Berufsarmee auch gegen den Staat einsetzbar war. Sulla brach den Widerstand rasch. Rufus wurde auf der Flucht getötet, Marius floh nach Afrika.
Da Sulla rasch gegen Mithridates ziehen wollte, nahm er sich nur wenig Zeit für die Innenpolitik. Er hob aber die sulpicischen Gesetze auf und ließ Lucius Cornelius Cinna, den Konsul für 87, der ihm suspekt war, einen feierlichen Eid schwören, dass er in seiner Abwesenheit nichts gegen den neuen Kurs unternehmen würde. Von 87-84 ging Sulla in den Osten. Seine Kämpfe gegen Mithridates und die Eroberung Athens müssen hier außen vor bleiben. Konzentrieren wir uns auf die weitere Entwicklung in Rom und Italien.
Sobald Sulla außer Landes war, erklärte Cinna ihn zum Staatsfeind und beging Greueltaten an den Optimaten. Bis 84 beherrschte Cinna Rom, was für die Konservativen eine Schreckensherrschaft darstellte. Für die Massen stellte sich seine Regentschaft wohl positiver dar: Es gab einen großzügigen Schuldenerlass, die Währung stabilisierte sich, die Neubürger wurden auf alle 35 Tribus verteilt. Als Sulla 83 v. Chr. in Italien landete, kam es zum offenen Bürgerkrieg. Cinna wurde bei einer Meuterei von seinen eigenen Leuten getötet.
Für Etrusker und Samniten war dieser Bürgerkrieg eine Neuauflage des Bundesgenossenkrieges. Im Jahre 82 kam es zur Entscheidungsschlacht an der Porta Collina gegen die Samniten, die Sulla quasi vollständig vernichtete. Für die Jahre 82 und 81 war Rom ohne Konsuln; wir sehen also, wie sehr die Verfassung durch die Ereignisse in Mitleidenschaft gezogen war. In dieser Situation schuf sich Sulla eine Ausnahmemagistratur auf unbeschränkte Zeit zur Neuordnung des Staates. Er nennt sich nun dictator legibus scribundis et rei publicae constituendae. Grundlage ist nicht mehr der Senat, sondern der angebliche consensus universorum, ein interessantes Konzept, dessen sich auch Augustus bedienen wird. Diese neue Form der Diktatur ist sozusagen das innerstaatliche Gegenstück zur alten Diktatur bei äußeren Notlagen.
Zu Sullas Maßnahmen: Zunächst systematisierte Sulla die Rache an seinen politischen Gegnern in einem bis dahin unbekanntem Ausmaße. Tausende von unliebsamen Personen wurden auf die berüchtigten Proskriptionslisten gesetzt, also für vogelfrei erklärt. Sie durften ungestraft getötet werden, ihr Eigentum fiel an den Staat, sprich an die Günstlinge Sullas. Gegen „populare“ Städte wurde brutal vorgegangen, sie mussten Land für Sullas Veteranen bereitstellen. In den leges Corneliae ordnete Sulla den Staat in seinem Sinn neu. Die Zahl der Senatoren wurde durch die Aufnahme von Rittern von 300 auf 600 erhöht, damit die Bedeutung des Ritterstandes weiter geschwächt. Das Volkstribunat wurde stark beschnitten, insbesondere durfte ein gewesener Volkstribun kein weiteres Amt mehr bekleiden, was das Volkstribunat für ehrgeizige junge Männer völlig unattraktiv machte. Nur die Zenturiatskomitien dürfen noch über Gesetzesanträge entscheiden, nachdem sie der Senat genehmigt hatte; die Gesetzgebung war also ganz beim Senat monopolisiert, ebenso wie die Rechtsprechung. Sechs ständige Gerichtshöfe wurden eingerichtet, der cursus honorum festgelegt: Nach Bekleidung der Quästur erfolgt automatisch die Aufnahme in den Senat. Die Zahl der Prätoren erhöht sich von sechs auf acht. Damit geht eine Neuregelung der Provinzialverwaltung einher, die sogenannte lex Cornelia de provinciis ordinandis, die von einigen Althistorikern als unhistorisch eingeschätzt wird. Demnach werden die zehn Provinzen nun von den zehn Promagistraten verwaltet, also von zwei Proconsules und acht Proprätores. Was also ein Provisorium gewesen war, wird zur Dauereinrichtung. Nach dem Dienstjahr in Rom gehen die Magistrate nun als Statthalter in die Provinzen. Italien wird entmilitarisiert, Statthalter dürfen nur in ihrer eigenen Provinz Krieg führen. Damit versucht Sulla einen erneuten Bürgerkrieg zu verhindern. Größere Aufgaben, die provinzüberschreitendes Handeln erfordert hätten, konnten aber damit nicht bewältigt werden. D.h. auch die sullanische Ordnung trug dazu bei, dass der Staat immer wieder außerordentliche Kommanden verleihen musste und genau die unterhöhlten die Verfassung der Republik immer mehr. Um als zweiter Romulus zu gelten, erweitert Sulla das Pomerium. Auch den Jupitertempel baut er neu. Obwohl die konservativsten Regelungen bald nach seinem Tod rückgängig gemacht wurden, insbesondere wurde das Volkstribunat wiederhegestellt, blieben die meisten seiner Maßnahmen bis in die Kaiserzeit hinein in Kraft. Im Jahre 79 legte Sulla seine Diktatur aus freien Stücken nieder, die Gründe kennen wir nicht. Selbst den Zeitgenossen blieb er ein Rätsel.
Bei aller Brutalität kann man ihm eine gewisse gestalterische Kraft nicht absprechen. Es bleibt jedoch das Paradoxon, dass Sulla mit brachialer Gewalt Ordnung stiften wollte. Er verstand Gewalt als Mittel zum Zweck, um mit ihr eine bessere, d.h. konservativere Ordnung zu schaffen.
Die Entwicklung bis in die 50er Jahre soll hier nur in ganz groben Strichen nachgezeichnet werden. Die sullanische Ordnung erwies sich in ihren konservativsten Teilen als künstlich, das Rad der Geschichte konnte nicht mehr zurückgedreht werden. Als Pompeius und Crassus im Jahre 70 Konsuln waren, herrschte ein popularer Wind; in die sullanische Ordnung wurden Breschen geschlagen. Pompeius hatte sich seine Sporen im Krieg gegen Sertorius in Spanien verdient, 77-72 v. Chr.. Sertorius war ein römischer Offizier und Cinna-Anhänger, der 88 an der Wahl zum Volkstribunat gescheitert war. Als Prätor der Hispania Citerior baute er gute Beziehungen zu den Einheimischen auf und ab 80 fungierte er als Anführer der Lusitaner gegen die sullanische Verwaltung. Bald fanden sich viele Populare, Cinna-Anhänger und Marianer bei ihm ein. Wir sehen hier eine interessante Entwicklung: Konfliktfelder beginnen sich zu überlappen. Unmut in den Provinzen konnte mit innenpolitischen Kämpfen verknüpft werden. Letzten Endes wurde Sertorius von Perperna ermordet, dieser von Pompeius besiegt, im Grunde gab es doch eine Interessendivergenz zwischen Keltiberern und den römischen Anhängern des Sertorius.
In den Jahren 73-71 gelang es Crassus und Pompeius den Spartacus-Aufstand niederzuschlagen. Nie vorher und nie nachher lehnten sich so viele Sklaven und Arme gegen die römische Herrschaft auf. Wieder siegten die konservativen Kräfte.
Pompeius hatte sich immer wieder als fähiger Stratege erwiesen, ihm traute man große Dinge zu, auch im Jahre 67 den Kampf gegen die Seeräuberplage. Trotz Bedenken des Senates bekam Pompeius mit der lex Gabinia von 67 ein außerordentliches Kommando, mit dem er es schaffte, in angeblich 40 Tagen das Mittelmeer von den Seeräubern zu befreien. Das ist natürlich pompeianische Propaganda, Seeräuber gab es auch in der Kaiserzeit, gemeint ist wohl, dass er viele Piratennester an den Küsten niederbrennen konnte. So ausgewiesen, war Pompeius zu noch höherem berufen: Die lex Manilia, für die Cicero ausdrücklich plädierte, vertraute Pompeius den Krieg gegen Mithridates an, der immer noch nicht geschlagen war. In den Jahren 66 bis 62 operierte Pompeius im Osten, er war nun am Zenit seiner Macht und wuchs über die Beschränkungen der Republik hinaus. Er besiegte Mithridates und ordnete den Osten quasi neu. Syria und „Bithynia und Pontos“ wurden als zwei neue Provinzen eingerichtet. Im Falle des Pompeius sehen wir das Dilemma der Republik ganz deutlich: Sie war auf fähige Männer wie Pompeius angewiesen; ohne die außerordentlichen Kommandos waren die Dinge nicht mehr zu regeln, andererseits wuchsen diese Militärpotentaten gerade durch diese irregulären Kommandos aus der Republik hinaus und gebärdeten sich immer monarchischer. In Anlehnung an Alexander den Großen nannte er sich schließlich Pompeius Magnus, der Große, er fühlte sich außer- oder überhalb der Verfassung. Umso härter war die Konfrontation mit der Realität bei seiner Rückkehr.
In Rom war Pompeius eben kein Monarch, die Optimaten verwehrten ihm die Ratifizierung seiner Neuordnung im Osten und insbesondere die Versorgung seiner Veteranen mit Land. Diese Obstruktionspolitik von Seiten des Senats war alles andere als klug, drängte sie doch Pompeius dazu, sich andere Partner zu suchen, jenseits des Senats. Die Gründung des Ersten Triumvirats 60 v. Chr., bestehend aus Pompeius, Crassus und dem aufsteigenden Caesar, änderte das Kräftefeld der Politik. Mit vereinten Kräften konnten sie nun ihre Politik ungeniert am Senat vorbei machen, eine Zäsur, denn damit wurde deutlich, dass die Republik nicht mehr funktionierte. Zudem hatte sich ein Wandel im politischen Kraftfeld vollzogen: Früher waren außerordentliche Kommanden objektiv notwendig und hatten eine Wirkung auf die Innenpolitik, also einen sekundären Effekt (so bei Pompeius), jetzt drehte sich die Dynamik um: Um sich innenpolitisch aufzubauen, d.h. um sich eine starke Heeresklientel zu schaffen, brauchte man ein außerordentliches Kommando, es musste also eines künstlich, ohne Not, geschaffen werden, aus einer innenpolitischen Dynamik heraus. Im Prinzip war die alte populare Thematik bedeutungslos geworden, es gab nur noch ihre Fassade, ein Argumentationsmuster gegen innenpolitische Gegner, Optimaten, die noch an der überkommenen, aber sich allmählich auflösenden Ordnung festhielten.
Überspitzt könnte man also sagen: Caesars Kommando in Gallien, das er nach seinem Konsulat 59 v. Chr. durch die lex Vatinia bekam und das den Gallischen Krieg auslöste, war nur dazu gedacht, seine innenpolitische Stellung zu erhöhen. Nach dem Gallischen Krieg, der aus Caesars Sicht wohl nur Mittel zum Zweck war, hatte er also eine Machtstellung erreicht, die ihn auf einen Rang mit Pompeius hob, mit dem er nun in ein Kräftemessen eintreten konnte. Das Zeitalter der Bürgerkriege hatte begonnen.

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Quellen-Hinweise
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04 – Das Ausgreifen nach Osten, der Ausbruch der Krise, das Zeitalter der Gracchen

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Römische Geschichte I: Die Republik

04 – Das Ausgreifen nach Osten, der Ausbruch der Krise, das Zeitalter der Gracchen

Im letzten Podcast haben wir von der Expansion Roms im Westen gehandelt. Wir wollen uns heute dem Ausgreifen Roms nach Osten zuwenden, aber auch die Folgen in den Blick nehmen. Es wird deutlich werden, dass die ständigen Kriege in West und Ost nicht ohne verheerende Wirkungen im Inneren waren. Es ist kein Zufall, dass im Jahre des Sieges über Numantia (133 v. Chr.) Tiberius Gracchus als Volkstribun energische Reformen fordert; die Krise der Römischen Republik ist damit für jeden offenkundig geworden. Aber der Reihe nach: Auch dem Eingreifen Roms im Osten lag kein bewusster Plan zugrunde. Wie so oft zuvor, ließ sich Rom in Verwicklungen hineinziehen. Um 200 befand sich das Ptolemäerreich in der Krise. Ptolemaios V. Epiphanes war noch minderjährig, innere Wirren beutelten Ägypten. Die Folge war, dass die beiden anderen hellenistischen Großreiche, die Seleukiden und die Antigoniden die Chance sofort erkannten und zugriffen. Vielleicht sprachen sich Antiochos III. und Philipp V. sogar in einem Geheimvertrag ab. Wie dem auch immer sei, sie fielen über die ptolemäischen Außenbesitzungen an den Dardanellen, in der Ägäis, in Kleinasien und Syrien hier. Leidtragende waren aber auch die Mittelstaaten Pergamon und Rhodos. Diese beiden Mächte fühlten sich zunehmend bedroht und informierten den Senat in Rom. Dieser befürchtete eine große Koalition gegen Rom, und gegenüber Philipp V. war man sowieso misstrauisch. Sein Verhalten im Zweiten Illyrischen und v.a. während des Zweiten Punischen Krieges hatte man niemals vergessen. Die genauen Ursachen für den Ausbruch des Zweiten Makedonischen Krieges (er brach im Jahre 200 aus), so kurz nach dem Ende des Hannibalkrieges, sind nach wie vor umstritten. Nach anfänglichen gescheiterten Aktionen gelang es Titus Quinctius Flamininus 197 v. Chr., in der Schlacht von Kynoskephalai Philipp zu besiegen.
Flamininus bediente sich der alten hellenistischen Propaganda und erklärte die griechischen Städte an den Isthmischen Spielen von 196 für frei, d.h. von der Oberhoheit der Makedonen befreit. Bis 194 ordnet Flaminius die griechischen Verhältnisse, dann zieht er sich zurück. Die Römer wollen die Dinge natürlich in ihrem Sinne beeinflussen, doch denken sie noch nicht daran, eine formelle Herrschaft im Osten zu errichten. Nicht alle Griechen waren mit dem Ergebnis zufrieden: Die Ätoler beispielsweise waren enttäuscht, dass Makedonien immer noch existierte. Sie wandten sich nun an den Seleukiden Antiochos III., damit er für die Freiheit der Griechen gegenüber Rom eintrete, und dadurch braute sich bereits der nächste Konflikt zusammen. Antiochos hatte ab 212 massiv im Osten expandiert. Er träumte von der Wiedererrichtung des Alexanderreiches. Als Makedonien im Zweiten Römisch-Makedonischen Krieg zusammenbrach, witterte er sofort die Chance, in dieses Machtvakuum hineinzustoßen.
Die Einladung der Ätoler und anderer Griechen, sie gegen Rom zu unterstützen, kam ihm also sehr gelegen. 192 setzte er nach Griechenland über und löste so den Antiochos-Krieg aus, der also eine Folge des Krieges Roms gegen Makedonien war. Antiochos hatte sich verschätzt. Er hatte es den Römern wohl nicht zugetraut, länger im Osten agieren zu können. 190 überschritten die Römer zum ersten Mal den Hellespont und schlugen Antiochos vernichtend bei Magnesia am Mäander. Damit war Rom nun faktisch Herrin über die Ökumene, die damals bekannte Welt. Im Frieden von Apameia 188 wurde die Macht des Antiochos gebrochen, die Mittelstaaten Rhodos und Pergamon aufgebaut, um ein Gleichgewicht im Osten zu erhalten. Das Makedonen- und Seleukidenreich waren nun von Rom abhängig, das Ptolemäerreich war nach wie vor labil. Damit war die alte hellenistische Ordnung zerstört. Die neue Ordnung, die auf den Mittelstaaten als Parteigänger Roms beruhte, war künstlich.
Rom reagierte indirekt über Senatsgesandtschaften und Parteigänger in den Städten, das Denunziantentum blühte, ein Klima der Angst und der Unsicherheit griff um sich. Allmählich wurde den Griechen ihre Lage bewusst. Das Ansehen der Römer, denen sie vorher wohl zugetraut hatten, sie von den Makedonen zu befreien, sank; man empfand allmählich Mitleid mit den von Rom Geschlagenen. Als Perseus, der Sohn Philipps V., 179 die Thronfolge antrat, trug ihn eine Woge der Sympathie. Um eine gewisse anti-römische Stimmung zu erzeugen, erließ er eine Amnestie und einen Schuldenerlass. Delphi, die Seleukiden, ja sogar Rhodos und Pergamon brachten ihm Sympathie entgegen. 178 heiratete er Laodike, eine Tochter des Seleukos IV.. Auf die Römer wirkte diese Hochzeit wie ein Zusammengehen des besiegten Makedonen- mit dem besiegten Seleukidenreich. Obwohl Perseus nichts gegen Rom unternahm, nahmen die Römer Perseus als Bedrohung wahr.
Eumenes von Pergamon besann sich dann doch auf seine Verpflichtung gegenüber Rom und denunzierte Perseus. Obwohl also kein Kriegsgrund vorlag, kam es 171 zum Ausbruch des Dritten Makedonischen Krieges, den Lucius Aemilius Paullus 168 in der Schlacht von Pydna für Rom gewann. Rom war neurotisch geworden und fühlte sich von den unterworfenen Völkern immer mehr eingekreist und bedroht, obgleich dies ja nicht den Tatsachen entsprach. Nur so erklären sich die harten Maßnahmen der Römer bei Kriegsende. Makedonien wird in vier Teile zerschlagen, in Epirus werden 70 Städte geplündert. Das zeitweise perseusfreundliche Rhodos verliert Lykien und Karien und muss hinnehmen, dass Delos zum Freihandelshafen wird, ein Schlag, von dem sich die Handelsmacht Rhodos nie mehr erholen würde. Überall finden Säuberungsaktionen statt. Danach ist der griechisch-kleinasiatische Raum keine selbständige politische Größe mehr, es war offenbar Roms Ziel, die Verhältnisse dauerhaft zu destabilisieren.
146 verweigert der Achäische Bund Rom die Gefolgschaft, der Aufstand trägt auch eine soziale Note. Wieder reagiert Rom mit äußerster Härte und Brutalität: L. Mummius zerstört Korinth (im selben Jahr wird ja auch Karthago zerstört), Korinth wird geplündert, viele Kunstschätze nach Rom gebracht, der Achäische Bund wird aufgelöst, Griechenland wird nun vom Statthalter Makedoniens aus mitverwaltet. Mitte des zweiten Jahrhunderts ist Rom damit Herrin des gesamten Mittelmeerraumes.
Doch was war gewonnen? Die Rückwirkungen auf die Mehrzahl der Bevölkerung waren alles andere als positiv. Die dauernden Kriege hatten tiefe Wunden geschlagen. Das römische Heer war ein Milizheer. Die Bauern, die jahrelang in der Armee dienten, konnten nach ihrer Heimkehr, sofern sie überhaupt überlebten, ihre Felder kaum mehr bestellen. Reiche Senatoren wurden immer reicher und kauften den Kleinbauern ihre Höfe oft zu einem Spottpreis ab. Die Folge war die Proletarisierung der Bauern auf der einen Seite und die Herausbildung großer Latifundien auf der anderen Seite, die die Großgrundbesitzer von Heerscharen von Sklaven bewirtschaften ließen. Durch die unablässigen Eroberungskriege standen Sklaven v.a. aus dem Osten massenhaft zur Verfügung. Ihre billige Arbeitskraft verdrängte die Bauern oftmals sogar als Tagelöhner. Die vielen Bauern, die alles verloren hatten, strömten nach Rom und bildeten dort ein Unruhepotential. Sie waren immer weniger bereit, auf den weit entfernten Schlachtfeldern für Rom zu bluten. Im Kontext der enormen Schwierigkeiten, mit denen Rom vor Numantia zu kämpfen hatte, hören wir von Rekrutierungsschwierigkeiten. Die ersten Intellektuellen wurden nachdenklich. Um die Armee aufrechterhalten zu können, bedurfte es eines kräftigen Bauernstandes. Er musste also wieder gefördert werden, sofern man nicht auf ein anders militärisches System umsteigen wollte.
Die folgenden Jahrzehnte wurden von der politischen Auseinandersetzung darüber beherrscht, ob man den Bauern nun entgegenkommen sollte oder nicht. Gerade die konservativen Hardliner waren strikt dagegen, machten aber auch keine Alternativvorschläge, wie die militärische Schlagkraft Roms ohne grundlegende Reformen erhalten bleiben könnte. Rom war politisch in eine Sackgasse geraten. Es hatten sich fünf Hauptkonfliktfelder herausgebildet, die zum Teil parallel liefen, sich aber natürlich gegenseitig verstärkten:
Durch die zunehmenden Erfolge einzelner herausragender Familien, wie der Scipionen, knirschte es innerhalb der Nobilität. Es kam zu Macht- und Verteilungskämpfen. Zweitens versuchte sich die Nobilität gegenüber Aufsteigern im Senat, den sogenannten homines novi, abzugrenzen. Generell gilt, dass sich die Krise durch mangelnde soziale Mobilität verschärfte. Ein drittes Konfliktfeld zeichnete sich ab zwischen der alten Oligarchie und Neureichen aus dem Ritterstand, die sich in der Gracchenzeit immer mehr politisierten. Zwischen den Herrschenden in Rom und den italischen Verbündeten taten sich Abgründe auf. Die Forderungen der Bündner nach mehr Teilhabe prallten jahrzehntelang an der Mehrzahl der Senatoren ab, was zu enormer Frustration auf Seiten der socii führte. Und schließlich war das Verhältnis zwischen Herren und Sklaven niemals vorher und später so schlecht wie während der Hohen Republik, eben weil Sklaven aufgrund ihres billigen Preises schamlos ausgebeutet werden konnten.
Die Verelendung des römischen Bauerntums und die Unterdrückung der Bevölkerung in den Provinzen waren zusätzlicher Konfliktstoff. Die Krise verschärfte sich durch weitere destabilisierende Faktoren: Die mangelnde soziale Mobilität wurde bereits erwähnt. Es gab ein Stadt-Land-Gefälle. Die Mängel im Herrschaftssystem, das für einen Stadtstaat entworfen worden war, waren nicht mehr zu übersehen. Die Römer hatten nun ein Weltreich ohne Verwaltung!
Der griechische Einfluss auf persönlicher und gesamtgesellschaftlicher Ebene unterminierte das alte Normen- und Wertesystem. Die Krise wurde von den Zeitgenossen nicht primär als eine politische angesehen, wie wir das heute tun, sondern in den Deutungsparametern der moralisierenden Geschichtsschreibung als Dekadenz, als moralischer Verfall gedeutet. Die Kurzsichtigkeit vieler Politiker tat ein Übriges, um die Krise immer wieder eskalieren zu lassen. Aus der Furcht vor Reformen klammerten sie sich an eine unproduktive Obstruktionspolitik, die nur die eigenen Pfründe zu bewahren helfen sollte. Alte Gesetze, wie die gegen den Luxus oder das Gesetz zum Mindestalter bei Ämtern, wurden nicht mehr beachtet. Am Ende wurde in blutigen Bürgerkriegen der Monarchie der Weg geebnet, der Rahmen der Republik, der dem Reich offenbar nicht mehr angemessen war, wurde vernichtet; das Sozialsystem blieb jedoch bestehen, der Beweis dafür, dass es sich im Kern um eine politische Krise handelte, die natürlich viele soziale Komponenten beinhaltete.
Die oben genannten Konfliktfelder entluden sich blutig in vier Hauptkonflikten: Sklavenkriege suchten die Republik ab den 190ern heim. Der Widerstand der geschundenen Provinzialen führte zu massiven Aufständen gegen Rom. Die Italiker führten schließlich den sogenannten Bundesgenossenkrieg (91-89 v. Chr.), der die Landkarte Italiens noch einmal entscheidend veränderte. Der Hauptkonflikt innerhalb des römischen Bürgertums fand zwischen den konservativen Optimaten und den Popularen statt, ebenfalls Aristokraten, die allerdings Politik über die Volksversammlungen, also am Senat vorbei, betrieben. Seit den 80ern des ersten Jahrhunderts ging es dann nicht mehr um die Stärkung des italischen Bauerntums, sondern nur noch um die Macht zwischen Militärpotentaten.
Nach der Eroberung Korinths und Karthagos 146, der Einnahme Numantias unter hohen Verlusten 133 und vorausgegangenen Sklavenkriegen spitzte sich die Lage in den 130ern gefährlich zu. Als Tiberius Sempronius Gracchus 133 Volkstribun wurde, nahm er sich vor, Reformen durchzuführen, die er umsichtig plante. Die alte Bestimmung, nach der niemand mehr als 500 iugera (125 ha) vom ager publicus in Besitz haben dürfte, mit 250 mehr für max. zwei erwachsene Söhne, wurde wieder eingeschärft. Der darüber hinausgehende Mehrbesitz fiel zurück an den Senat, allerdings mit einer Entschädigungszahlung für die, die Grund abgeben mussten. Das zur Verfügung stehende Staatsland wurde dann zu dreißig iugera an mittellose Bürger verteilt und zwar als unveräußerlicher Besitz in Erbpacht. Eine Ackerkommission, der beide Gracchen und Appius Claudius Pulcher angehörten, organisierte die Reform, die auf stärksten Widerstand im Senat stieß.
Dabei war das Ziel nicht revolutionär, die Stärkung des italischen Bauernstandes, um die Rekrutierungsbasis zu erhalten. Aber die Methode, über die Volksversammlung zu gehen, war revolutionär. Die Dinge schaukelten sich hoch. Ein Optimat, Marcus Octavius, legte als Volkstribun sein Veto gegen den Kollegen ein. Daraufhin verbot Tiberius Gracchus allen Magistraten bis zur Abstimmung die Amtsführung und strich die Klausel über die Entschädigung der Großgrundbesitzer, woraufhin diese Trauerkleidung anlegten.
Alle 35 Tribus stimmten für die Amtsenthebung des Marcus Octavius, was illegal war, denn Volkstribunen waren ja sakrosankt. Die lex Sempronia agraria ging aber durch und Zehntausende wurden mit Land versorgt. Weitere Gesetzesvorhaben scheiterten jedoch, Tiberius hatte Angst, nach seiner Amtszeit angeklagt und verurteilt zu werden, weswegen er, auch illegalerweise, seine Widerwahl für das Jahr 132 betrieb. Damit war das Prinzip der Annuität verletzt. Die Optimaten warfen Tiberius nun das Streben nach der Königswürde vor. Bei der Wiederwahl kam es zu Gewalt, ein senatus connsultum ultimum, also der Staatsnotstand, wurde ausgerufen, Tiberius und 300 seiner Anhänger wurden getötet.
Zehn Jahre später wurde sein Bruder Caius Gracchus Volkstribun. Er war noch überzeugter als sein Bruder, dass die Macht der konservativen Senatoren gebrochen werden musste, um Reformen zum Durchbruch zu verhelfen. Sein Instrument hierzu waren die leges frumentariae und die Rittergesetze, Gesetze, die den Rittern eine Teilhabe an den Gerichten als Geschworene sicherten. Es ist interessant, dass nur diese Mittel zum Zweck erhalten bleiben sollte, nicht aber das Reformwerk des Caius, das nach seinem Tod demontiert wurde. Das Richteramt und die Vergabe der Steuerpacht an die Ritter machten diese zur zweiten staatstragenden Schicht neben den Senatoren. Mit populären Maßnahmen für die plebs, dem Bau von Speichern, Straßenbau in ganz Italien und dem Verbot der Aushebung unter Siebzehnjähriger betrieb er seine Wiederwahl für 122. Sein Vorhaben jedoch, die Kolonisationstätigkeit wiederzubeleben, indem er eine Kolonie auf dem Boden des zerstörten Karthago plante, schaffte böses Blut. Er unterschätzte das italozentrische Denken vieler Bauern, v.a. aber wurde die Beteiligung von Italikern abgelehnt. Die Optimaten versuchten nun, Caius mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und lancierten über Marcus Livius Drusus ebenfalls volksfreundliche Projekte, auf die wiederum Caius reagierte. Seine weitgehenden Vorschläge, den Latinern das volle Bürgerrecht zu geben und den Bundesgenossen zu erlauben, an den Abstimmungen in Rom teilzunehmen, ihnen also faktisch das latinische Recht zu geben, entfremdeten Caius von der plebs wie von den Rittern. Hätte man zu diesem Zeitpunkt noch auf Caius Gracchus gehört, wäre der spätere Bundesgenossenkrieg wohl noch vermeidbar gewesen. Caius wurde für das dritte Tribunatsjahr nicht wiedergewählt, damit war er politisch gescheitert.
Als der Konsul Lucius Opimius schließlich daran ging, die Reformen von 123/22 zu demontieren, griff Caius zu einer symbolträchtigen Aktion: Er besetzte den Aventin, den heiligen Hügel der plebs, woraufhin wieder der Staatsnotstand ausgerufen wurde. Caius beging Selbstmord, 250 seiner Anhänger wurden getötet, mehr als dreitausend Menschen kamen bei den Säuberungsaktionen ums Leben. Als schließlich Ruhe herrschten, errichteten die Nobiles einen Concordia-Tempel!
Die Folgen waren verheerend: 111 schaffte eine neue lex agraria die Pachtzinsregelung ab, das Land wurde damit in volles Privateigentum umgewandelt und konnte somit wieder von den Großgrundbesitzern aufgekauft werden. Das Hauptziel des Reformprogramms war damit gescheitert. In der Bundesgenossenfrage hatte sich gar nichts bewegt. Immer mehr geriet der Kampf zwischen Optimaten und Popularen zum reinen Machtkampf zwischen Aristokraten, die sich lediglich auf unterschiedliche Machtbasen stützten. Auf popularer Seite geriet der Bezug auf die Ständekämpfe zur Romantik. Das Volk wurde von den Aristokraten nur instrumentalisiert.
Von den Gracchen blieben nur ihre Instrumente übrig, die Getreide- und die Rittergesetze. Ritter hatte es natürlich schon vor den Gracchen gegeben, doch dadurch, dass sie nun in den Geschworenengerichten zu einer staatstragenden Schicht wurden, entwickelten sie erst ein bleibendes Standesbewusstsein, ein wichtiges, wenn auch nicht intendiertes Vermächtnis der Gracchen.
Und die Gracchenzeit hatte noch gravierendere Folgen: Gewalt in der Innenpolitik war zu einem probaten Mittel geworden, politische Kämpfe auszutragen. Vor Mord und Totschlag wurde fortan bei der Verfolgung der eigenen Ziele nicht mehr zurückgeschreckt. Die Konflikte zwischen Optimaten und Popularen eskalierten in den folgenden Jahrzehnten zu Bürgerkriegen, die erst Octavian beenden sollte.

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03 – Die Unterwerfung Italiens, das Ausgreifen nach Westen

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Werner Rieß
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Römische Geschichte I: Die Republik

03 – Die Unterwerfung Italiens, das Ausgreifen nach Westen

Ein wesentliches Merkmal der Römischen Republik ist das ungeheure Ausgreifen Roms, zuerst in Italien, dann sogar in den gesamten Mittelmeerraum. Diese Geschichte der Expansion kann hier nur in den allergröbsten Umrissen nachgezeichnet werden, v.a. geht es mir jedoch um eine Bewertung dieser Vorgänge, was die Ursachen für diese fortlaufende Expansion waren, wie sie überhaupt erst möglich wurde und was dies für Rom und die unterworfenen Völker eigentlich bedeutete. Bis zur Eroberung Süditaliens können wir grob drei Phasen unterscheiden, 1. bis zur Kelteninvasion von 387, die zweite Phase bis zur Unterwerfung Latiums 338 und schließlich bis zur Unterwerfung Süditaliens 264.
Um diese gewaltige Expansion zu erklären, wurden viele Theorien vorgebracht. Im Wesentlichen kann man drei Argumentationslinien ausmachen, die ihrerseits wieder viele Verästelungen aufweisen.
Die Römer selbst waren überzeugt, dass sie nur reagierten und sich verteidigten, dass also die Sicherheitspolitik notwendigerweise eine immer weitere Ausdehnung des Herrschaftsgebietes nach sich zog. Man könnte also von einem defensiven Imperialismus sprechen. Natürlich fehlt es nicht an Stimmen moderner Forscher, die sehr wohl von einer planmäßigen Expansion ausgehen und den Römern intentionales Handeln unterstellen. Ein dritter Erklärungsversuch bezieht die innenpolitischen Verhältnisse mit ein: Die Ständekämpfe machten immer wieder Landverteilungen notwendig, und die römische Oberschicht glaubte wohl, die sozialen Probleme am besten durch Expansion, also auf Kosten Dritter, lösen zu können. Die Expansion würde sich also nach dieser Theorie aus einer innenpolitischen Dynamik heraus begründen. Der Begriff des Sozialimperialismus, der aus der Imperialismus-Forschung stammt und dort das 19. Jh. charakterisiert, würde dann also angewandt werden können.
Wie dem auch immer sei, ein so komplexes Phänomen wie die römische Expansion lässt sich auf keinen Fall monokausal erklären. Natürlich hatten die Römer zu Beginn nicht vor Augen, das gesamte Mittelmeergebiet zu beherrschen. Planmäßig war jedoch ihr Vorgehen gegen die immer neuen Nachbarn, wenn ihre Interessen in irgendeiner Weise bedroht zu sein schienen. Dass die Römer oft reagierten und auch aus innenpolitischen Impulsen heraus handelten, wird man nicht leugnen können. Alle Theorien haben also etwas für sich. Nur in der Kombination der verschiedenen Erklärungsansätze wird man der Erklärung der römischen Expansion ein Stück näher kommen können.
Das 5. Jh. war von Kämpfen um Veji und von Kämpfen Roms gegen die Latiner und sabellisch-oskischen Stämmen geprägt, die von den Apenninen immer wieder in die fruchtbaren Ebenen Kampaniens und Latiums hinunterdrängten. Insgesamt sehen wir jedoch bis zu den Kelteneinfällen eine erste Konsolidierung des römischen Machtbereichs.
Gehen wir ganz kurz auf die Latiner, die Kelten, die Samniten und die Etrusker ein und schließlich den Krieg gegen Tarent und König Pyrrhos von Epirus. Damit sind wir dann kurz vor dem Ausbruch des ersten Punischen Krieges angelangt. Um den Erfolg der Römer in den Punischen Kriegen zu verstehen, müssen wir uns auch den Umgang der Römer mit den Unterworfenen vergegenwärtigen und die Grundzüge des Bundesgenossensystems skizzieren.
Mit den Latinern ist Rom in einem frühen Vertrag, dem sogenannten Foedus Cassianum verbunden, der traditionellerweise auf 493 datiert wird; andere Datierungen sind jedoch möglich. Allmählich kommt es zu Konflikten, die im Latinerkrieg 340-338 eskalieren. Rom gewinnt diesen Krieg und verdreifacht dadurch sein Gebiet. Die Latiner werden integriert, dadurch verdoppelt sich das Wehrpotential Roms. Einige Latinerstädte behalten ihren selbständigen Status, die meisten jedoch werden voll in das römische Staatsgebiet integriert. Somit hat Rom nun, anders als die meisten griechischen Stadtstaaten, ein Territorium mit zahlreichen kleineren städtischen Siedlungen.
Die Kelten dringen zu Beginn des vierten Jahrhunderts in die Poebene vor. König Brennus kann die Römer in der Schlacht an der Allia 387 entscheidend schlagen; für die Römer war das ein Trauma bis in die Tage Caesars. Die Gallier nahmen nicht nur die Poebene in Besitz, sondern zerstörten Rom bis auf das Kapitol. Camillus konnte die Invasoren jedoch auf dem Boden der zerstörten Stadt schlagen und die Übersiedlung der Römer nach Veji verhindern. Nach weiteren Vorstößen der Gallier nach 360 sicherten sich die Römer durch einen Vertrag ab. 283 schlugen die Römer Kelten und Etrusker am Vadimonischen See, Dentatus eroberte das Gebiet der Senonen an der Adria und richtete den ager Gallicus als Pufferzone zwischen dem römischen Italien und dem keltischen Oberitalien ein.
Bzgl. der Samniten unterscheidet die Annalistik drei Kriege, 343-341, 326-304 und schließlich 298-290 den Dritten Samnitenkrieg, der auch als Italischer Krieg bezeichnet wird. Vor allem der Zweite Samnitenkrieg (326-304) ist nicht nur aufgrund seiner Dauer wichtig. Die Römer erlitten 321 eine demütigende Niederlage bei Caudium. Das Heer beider Konsuln wurde unter das Joch, das sogenannte Kaudinische Joch geschickt, eine Schmach, die die Römer nie vergaßen. Da die starre Phalanx der Römer im unwegsamen Berggelände Schwierigkeiten hatte, kam es zu einer folgenreichen Heeresreform. Die Römer gaben die Phalanx auf und führten die Drei-Treffen-Ordnung ein (hastati, principes, triarii), übernahmen den samnitischen Wurfspeer, das pilum, als Angriffswaffe und führten die lockere Manipel-Ordnung ein. 30 Manipel bildeten fortan eine Legion. Mit dieser neuen Militärordnung gelang es den Römern schließlich, die Samniten niederzuringen. Große Gebiete Samniums wurden annektiert, Samnium wurde durch römische Koloniegründungen von drei Seiten eingeklammert. Nach dem Dritten Samnitenkrieg, in dem auch die Sabiner unterworfen wurden, waren die Samniten heerespflichtige Bundesgenossen. Rom war nun durch das Festungsnetz und das Bundesgenossensystem unbestrittene Hegemonialmacht in Mittelitalien. Als die Samniten sich König Pyrrhos von Epirus anschlossen, schloss Rom ein Bündnis mit Karthago, um dieser Gefahr Herr zu werden. Nach dem Sieg über Pyrrhos wurde der samnitische Bund endgültig aufgelöst, Vertragsschlüsse mit Rom wurden aufoktroyiert, die Samniten mussten ein Drittel ihres Gebietes abtreten. Die Römer sicherten das Gebiet durch Straßenbau und Koloniegründungen, an erster Stelle ist hier Beneventum zu nennen.
Die Kämpfe gegen die Etrusker ziehen sich von 477 bis 264 hin. Die gens Fabia unternahm 477 einen Privatkrieg gegen Veji und wurde praktisch vernichtet. Die Fabier mussten einsehen, dass die Zeit der Privatfehden ohne das römische Hauptaufgebot vorbei war. 474 verloren die Etrusker schwer gegen Hieron I. von Syrakus in der Seeschlacht von Cumae, worauf sie ihren Einfluss in Kampanien und Latium einbüßten. Mit Rom schlossen sie daher einen Waffenstillstand. In einem zehnjährigen Entscheidungskampf (406-396) rang Rom schließlich den alten Rivalen Veji nieder. Weitere Kriege folgten, insbesondere schlossen sich die Etrusker in den Samnitenkriegen gerne den Samniten an. 310 und 283 wurden die Etrusker von den Römern am Vadimonischen See geschlagen. 264 schließlich gelang es den Römern, Volsinii Veteres, das heutige Orvieto, zu zerstören und damit das religiöse Zentrum der Etrusker.
Noch während dieser Kämpfe braute sich in Unteritalien eine Gefahr zusammen. Tarent hatte 282 v. Chr. römische Schiffe vor der Küste versenkt, die allerdings vertragswidrig im Golf von Tarent gekreuzt waren. Zudem griff Tarent Thurii an, zwang die dortige römische Besatzung zur Kapitulation und behandelte römische Gesandte schimpflich. Erschwerend kam hinzu, dass König Pyrrhos von Epirus, der wenig Aussichten auf den makedonischen Königsthron hatte, als Sachwalter der Griechen in Unteritalien auftrat. In einer ersten Schlacht bei Heraclea 280 gelang ihm mit seinen Kriegselefanten ein Sieg über die Römer. Die Folge war, dass Samniten, Lukaner und Bruttier von Rom abfielen, aber die ganz große Abfallbewegung blieb aus.
Wie später im Krieg gegen Hannibal, bewährte sich das römische Festungs- und Bundesgenossensystem. Nach der Schlacht von Asculum, in der Pyrrhos einen verlustreichen Sieg errang (Pyrrhos-Sieg), und der unentschiedenen Schlacht von Beneventum kehrte Pyrrhos nach Epirus zurück. Ein epirotischer Kommandant übergab Tarent an die Römer, damit war Rom nun auch Herrin über Süditalien, die Magna Graecia wurde in das römische Herrschaftssystem eingegliedert, die griechischen Städte als socii navales zur Gestellung von Schiffen verpflichtet. Somit war Rom von einem Tag auf den anderen auch Seemacht. In dieser neuen Stellung als Hegemonialmacht über Süditalien war Rom nun aber auch für die Probleme der Griechenstädte verantwortlich und d.h. Rom musste sich auch irgendwann mit Karthago auseinandersetzen, das in Westsizilien präsent war.
Bevor wir jedoch auf die Punischen Krieg eingehen, müssen wir in aller Kürze das Römische Bundesgenossensystem skizzieren, das nicht nur Folge der Expansion war, sondern deren Ergebnis auch herrschaftspolitisch absicherte. Dabei war das Bundesgenossensystem keine Ordnung, die künstlich auf dem Reißbrett in überlegter Planung entstanden wäre. Die Römer waren Pragmatiker und verschriftlichten den Umgang mit ihren Bündnern kaum. Jede Stadt wurde, je nachdem wie sie in den Kriegen zu Rom stand, unterschiedlich behandelt. Ein Flickenteppich mit sehr diversen Verhältnissen der Landstädte zu Rom entstand organisch, aus der jeweiligen Situation heraus.
Nun kurz zu den verschiedenen Statusgruppen, von oben nach unten. Römische Bürger, cives Romani, waren außerhalb Roms drei Gruppen: In der Frühzeit beteiligten sich nur Bürger an Koloniegründungen; diese Siedler blieben römische Bürger und erhielten eine begrenzte Selbstverwaltung. Im vierten und dritten Jahrhundert wurden diese Siedlungen ausschließlich an der Küste gegründet, wie etwa Antium oder Ostia. Sie hießen daher entweder coloniae civium Romanorum oder coloniae maritimae.
Dann gab es die municipia, Gemeinden der jeweiligen ortsansässigen Bevölkerung mit vollem römischen Bürgerrecht und kommunaler Selbstverwaltung, sie waren voll integriert. Die dritte Stufe waren die civitates sine suffragio, wie Caere und Capua. Die Einwohner dieser Gemeinden hatten das römische Bürgerrecht außer dem Recht, an der Wahl römischer Magistrate mitzuwirken, sie waren also auch nicht Teil der Tribusordnung. Diese civitates genossen volle innere Autonomie, mussten allerdings Soldaten stellen. Diese Halbbürgergemeinden, wie Mommsen sie etwas missverständlich bezeichnete, trugen durch diese Teilintegration wesentlich zur Romanisierung Italiens bei. Die meisten waren bis zum zweiten Jahrhundert voll in den römischen Bürgerverband integriert. Am Ende der Republik gab es also nur noch coloniae und municipia.
Gehen wir nun zu den Latinern: Hier unterscheidet man die prisci Latini, also die alten Latiner, d.h. die nach dem Latinerkrieg selbständig gebliebenen Städte, von den berühmten coloniae Latinae, die auf ehemals feindlichem Territorium gegründet wurden. Römer, die dorthin zogen, verloren zwar ihr römisches Bürgerrecht und bekamen das der latinischen Kolonie, das das Heirats- und Handelsrecht mit Rom einschloss, genossen dafür aber volle innere Souveränität. Bei einer Übersiedlung nach Rom lebte das römische Bürgerrecht wieder auf. Diese latinischen Kolonien hatten oftmals festungsartigen Charakter, sie zernierten z. B. Samnium. Livius bezeichnet sie auch als propugnacula, als Bollwerke Roms in Italien. Da diese Städte autonom waren und eigene Verfassungsorgane hatten, waren sie im Notfall rasch handlungsfähig. Die latinischen Kolonien, die ganz wesentlich zur Romanisierung Italiens beitrugen, waren also nicht historisch gewachsen, sondern eine künstliche Konstruktion, die die Idee des antiken Stadtstaates zugunsten der Idee der territorialen Herrschaft sprengte. Man war nun nicht mehr Bürger einer bestimmten Stadt, sondern Träger eines bestimmten Typus von Bürgerrecht. Die Rechtstellung war abstrakt und hob die städtische Individualität auf. Diese coloniae Latinae waren nicht nur wegen ihrer exponierten Lage im Feindesland auf Gedeih und Verderb mit Rom verbunden; auch in ihrem ganzen Charakter und dem Gefühl ihre Bewohner nach waren sie zu Rom gehörig.
Ganz unten standen die Bundesgenossen, die socii, deren Territorium fünf Sechstel Italiens ausmachte. Nominell behielten sie ihre Souveränität, insbesondere auch ihr eigenes Bürgerrecht und ihre Selbstverwaltung, allerdings waren sie Rom gegenüber zur Truppenstellung verpflichtet und verloren damit ihre außenpolitische Unabhängigkeit. Die Gemeinden der Bundesgenossen waren in bilateralen Verträgen, die immer anders aussehen konnten, an Rom gebunden.
Das Bundesgenossensystem war ein einmaliges Konstrukt und ein hoch kompliziertes Geflecht. Es gab keinen Bundeswillen, der in einer Bundesorganisation seinen Ausdruck hätte finden können. Rom war stets Vormacht, nicht Partner, die Verbündeten damit Abhängige. Die bilateralen Verträge mit Rom waren unauflöslich. Abgefallene wurden von Rom hart bestraft. Nach dem Prinzip divide et impera, teile und herrsche, hatten die Römer ein fast perfektes Herrschaftsinstrument zur Verfügung. Mit sechs Millionen Menschen war das römische Bundesgenossensystem im Mittelmeerraum ein unvergleichlicher Machtfaktor. Damit war vorgezeichnet, dass Rom in der Lage sein würde, schließlich die ganze damals bekannte Welt zu beherrschen. Aber noch ein anderer Faktor ist wichtig:
Durch seine Herrschaftsorganisation bringt Rom seine Kultur und Zivilisation nach ganz Italien. Rom wird zum Vorbild der italischen Eliten, der Magistratsordnung und auch der Landwirtschaft. Die alten Gegensätze der verschiedenen Stämme verloren zunehmend an Bedeutung. Man spricht auch von der Munizipalisierung Italiens unter der Römischen Republik. Wir stehen zeitlich nun am Ende des Pyrrhos-Krieges und vor dem Ausbruch des Ersten Punischen Krieges.
Es mutet seltsam an, dass sich die Römer nur wenige Jahre nach dem verlustreichen Sieg über Pyrrhos auf das nächste außenpolitische Abenteuer einließen. Das kann nur bedeuten, dass sie ihr Engagement auf Sizilien für die sogenannten Mamertiner, kampanische Söldner oskischer Herkunft, als zeitlich begrenzte Aktion angesehen haben müssen. In was für ein Wespennest sie in Sizilien hineinstechen würden, und welch zähes Ringen mit Karthago die Folge sein würde, konnten sie wohl nicht abschätzen.
Da die Ereignisgeschichte der drei Punischen Kriege sehr gut bekannt ist, möchte ich hier nur auf die Bedeutung der jeweiligen römischen Siege eingehen. Im Ersten Punischen Krieg (264-241) wird Rom notgedrungenerweise zur Seemacht. Karthago muss gemäß dem Lutatius-Vertrag große Kriegskontributionen leisten, alle Gefangenen ausliefern und die Liparischen und Ägatischen Inseln räumen. 237 besetzen die Römer Sardinien, weil sie karthagische Söldner nicht in ihrem Vorfeld dulden wollten und richteten Sardinien und Korsika 227 als Provinz ein. Das Gleiche passiert auch mit Sizilien. Damit ist Rom Herrin über das Tyrrhenische Meer. Um den Verlust des Krieges auszugleichen, expandieren die Karthager unter der Familie der Barkiden, der auch Hannibal angehören sollte, verstärkt in Spanien. Die Römer betrachteten diese Machtausdehnung der Karthager mit Argwohn und hatten wohl insbesondere Angst, dass sich die karthagische Einflusssphäre immer mehr an Südgallien heranschob. Damit hätte für die Karthager die Möglichkeit bestanden, sich mit den Kelten gegen Rom zu verbünden.
Die Gründe für den Ausbruch des Zweiten Punischen Krieges sind in der Forschung aufgrund der Sagunt- und Ebrofrage höchst umstritten. Der Verlauf des Hannibal-Krieges ist gut bekannt. Es kann nur spekuliert werden, warum Hannibal nach der vernichtenden Niederlage der Römer bei Cannae nicht auf Rom direkt marschierte. Er überschätzte wohl das noch zur Verfügung stehende Abwehrpotential der Römer. Nur aufgrund des vorhin skizzierten Bundesgenossensystems konnte sich Rom schließlich mit größter Mühe durchsetzen, Hannibal zum Abzug aus Italien zwingen und die Karthager in der Schlacht von Zama 202 besiegen. Der Frieden, den Rom Karthago diktierte, stellte die karthagische Souveränität in Frage und legte somit die Grundlage für den Dritten Punischen Krieg. Karthago musste auf alle Besitzungen außerhalb Afrikas verzichten. Das größte historische Ergebnis des Zweiten Punischen Krieges ist sicher, dass die Römer nun voll auf Spanien zugreifen konnten. Und obwohl es dort massive Probleme bis Augustus gab, beginnt hier doch die frühe und intensive Romanisierung Spaniens. Die Karthager müssen des Weiteren ein vergrößertes numidisches Reich unter König Massinissa dulden, der als Aufpasser der Römer vor Ort fungiert. Sie müssen ihre ganze Flotte bis auf 10 Schiffe ausliefern, eine Schmach für die einstmals so stolze Handelsnation. Eine gewaltige Kriegskontribution muss gezahlt werden, dazu müssen 100 vornehme Geiseln gestellt werden. Jede Kriegführung außerhalb Afrikas wird Karthago verboten, innerhalb Afrikas wird sie von der Zustimmung der Römer abhängig gemacht. Ab ca. 150 wehrt sich Karthago gegen diese aufoktroyierten Bestimmungen. Rom sieht den Friedensvertrag von 201 verletzt und erklärt nur zu gerne den Krieg. Die Karthager sind fast zu allem bereit, um den Frieden zu bewahren, sogar einer Entwaffnung hätten sie offenbar zugestimmt. Doch der römischen Aufforderung, die Stadt aufzugeben und landeinwärts zu siedeln, konnten sie nicht Folge leisten. Es entspann sich ein mehrjähriger Verzweiflungs- und Existenzkampf. Scipio Aemilianus, der 133 auch noch über Numantia in Spanien siegen sollte, erobert 146 Karthago und macht die Stadt dem Erdboden gleich.
Parallel zu dieser Entwicklung im Westen, wurde Rom auch immer aktiver im Osten. Diese Expansion im Osten wird Gegenstand des nächsten Podcasts sein. Es wird auch deutlich werden, dass die ständigen Kriege in West und Ost nicht ohne verheerende Wirkungen im Inneren waren. Es ist kein Zufall, dass im Jahre des Sieges über Numantia (133 v. Chr.) Tiberius Gracchus als Volkstribun energische Reformen fordert; die Krise der Römischen Republik ist damit für jeden offenkundig geworden.

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02 – Das Zeitalter der Ständekämpfe

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Werner Rieß
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Römische Geschichte I: Die Republik

02 – Das Zeitalter der Ständekämpfe

Nach der Beseitigung der Königsherrschaft standen sich zwei große soziale Gruppen antagonistisch gegenüber: Die reichen Patrizier, die bereits begannen, sich zu einer Art Kaste abzuschließen und die Plebejer, die in ökonomischer, sozialer und politischer Hinsicht von den Patriziern abhängig waren. Dabei waren die Plebejer durchaus eine sehr heterogene Gruppe. Die Armen unter ihnen forderten einen weitgehenden Schuldenerlass, insbesondere die Abschaffung der Schuldknechtschaft, zudem eine Neuverteilung des Landes und mehr Rechtssicherheit, weil die Patrizier offenbar die mündlich tradierten Gesetze in ihrer Funktion als Richter zu ihren Gunsten auslegten. Die reicheren Plebejer hatten andere Ziele: Durch die Einführung der Kampfweise der Phalanx hatten sie als schwerbewaffnete Fußsoldaten nun die Hauptlast im Krieg zu tragen. Dies stärkte ihr Selbstbewusstsein und sie strebten nach mehr politischer Partizipation, um beispielsweise über Krieg und Frieden mitentscheiden zu können. Als die Notlage durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren immer unerträglicher wurde, solidarisierten sich die verschiedenen Interessensgruppen der Plebejer zu Beginn des fünften Jahrhunderts und konnten sich auf ein konzertiertes Vorgehen gegen die Patrizier verständigen. Durch Machteinbußen in Latium nach dem Rückzug der Etrusker muss die Verschuldung zugenommen haben. Das demographische Wachstum führte dazu, dass es immer mehr grundbesitzlose Menschen gab. Die Erbteilung tat ein Übriges, um die Lebensgrundlage vieler Menschen weiter zu unterminieren. Die wirtschaftliche Ausbeutung durch die Patrizier, die als Kreditgeber auftragen, ist ein wichtiger Faktor, ebenso wie ihre ungerechte Rechtsprechung. Wenn Bauern nach Missernten geliehenes Kapital nicht mehr zurückzahlen konnten und immer weiter in den Strudel der Verschuldung hineingezogen wurden, drohte die Schuldknechtschaft, also die Versklavung des bankrotten Schuldners, eine Entwicklung, die wir in ganz ähnlicher Weise im Griechenland der archaischen Zeit kennengelernt hatten. Die Plebejer waren jedoch keine Revolutionäre; in ihrer Mehrheit waren sie für Reformen, nicht für einen grundlegenden Umsturz. Doch die Patrizier zeigten sich nicht kompromissbereit. Der Kampf begann, als günstige Faktoren zusammenkamen: Nach der Vertreibung des letzten etruskischen Königs hatte Rom auch die etruskische Schirmherrschaft verloren und war auswärtigen Feinden ausgesetzt, denen man nun selbst Herr werden musste, wie etwa den Einwohnern von Veji oder den Volskern und Äquern. Die Plebejer wussten sehr wohl, dass die Patrizier in diesen Abwehrkämpfen auf sie angewiesen waren, sie bildeten ja schließlich das Rückgrat der Infanterie. Eine Art Generalstreik, der legendäre Auszug der Plebs aus der Stadt Rom auf den nahe gelegenen Hügel Aventin 494 v. Chr., bildete als secessio plebis das Fanal für den Beginn der Ständekämpfe.
Bevor ich versuchen werde, den Verlauf der Ständekämpfe in Grundzügen nachzuzeichnen, möchte ich kurz auf ihre Bedeutung für die römische Republik eingehen und auf eine mögliche Gliederung dieser langen Epoche in verschiedene Phasen. Das politische Produkt der Ständekämpfe sozusagen war die ungeschriebene Verfassung der römischen Republik, die um ca. 300 v. Chr. voll ausgebildet war. Sie sollte sich in den Samnitenkriegen und in den Punischen Kriegen bestens bewähren. Unter Erweiterungen und Modifizierungen sollte sie bis zu Caesars Diktatur im Wesentlichen in Kraft bleiben.
Sozialpolitisch ist die Genese der Nobilität von Bedeutung, einer neuen Elite innerhalb des Senats, die aus den Patriziern und den führenden Kreisen der Plebejer zusammenwuchs. Diese Herrschaftselite ist von Matthias Gelzer eindringlich beschrieben worden. Sie bestimmte die Geschicke der Republik ganz wesentlich.
Grob einteilen lässt sich diese Epoche in zwei distinkte Phasen. Eine erste Phase bildet das fünfte und das erste Drittel des vierten Jahrhunderts, wo sich scharfe Fronten herausbildeten und sich ein Zweiständestaat ausbildete. In der zweiten Phase, den 60ern des vierten Jahrhunderts und dem Anfang des dritten Jahrhunderts, kam es zu einem Ausgleich der Führungsgruppen der Plebejer und der Patrizier, die neue Elite der Nobilität entstand. In diesem komplexen Prozess löste sich das archaische Sozialgefüge auf; es kam zu einer Differenzierung, ein neues Gesellschaftsgefüge entstand. Das Volk war nicht mehr unmündig, die formalen Standesgrenzen waren aufgehoben, ohne aber einer egalitären Gesellschaft den Weg zu ebnen.
Gründe für den Erfolg der Plebejer waren ihr entschlossenes, gemeinsames Handeln sowie die Kompromissbereitschaft des Adels unter außenpolitischem Druck. Ein Wort zur Außenpolitik an dieser Stelle: Sozialer Wandel ist hier untrennbar mit einer offensiven Außenpolitik verbunden. Offenbar lag es im Interesse aller, soziale und innenpolitische Probleme durch Expansion, also auf Kosten Dritter, zu bewältigen, was die Probleme jedoch nicht löste, sondern nur verschob. Der Begriff des Sozialimperialismus, der für das 19. Jh. entwickelt wurde, ist hier durchaus anwendbar. Die gentilizischen Bindungen sind nun nicht mehr das entscheidende Gliederungsprinzip der Gesellschaft, die Unterscheidung Patrizier – Plebejer nicht mehr die Grundlage der Sozialordnung.
Das dichotomische Zwei Stände-System wurde von einem neuen, differenzierteren sozialen Modell abgelöst. Und dieses Sozialmodell wurde durch die Expansion auf Millionen von Menschen in Italien und schließlich im ganzen Römischen Reich übertragen. Die höchst heterogenen Gruppen wurden in einer aristokratischen Sozialordnung mit begrenzten Aufstiegsmöglichkeiten zusammengehalten. Es kam dabei nicht zu einer Demokratisierung, weil 1. das Klientelwesen intakt blieb und
2. die reichen Plebejer nie die Adelsherrschaft abschaffen wollten, sondern eben nach einer Beteiligung strebten. Die neuen Gegensätze, die sich nun herausbildeten, sollten die Geschichte der Republik entscheidend prägen, die Dichotomie zwischen einer dünnen herrschenden Schicht und immer neuen proletarischen Gruppen, die Dichotomie zwischen Römern und unterdrückten Verbündeten und die Dichotomie zwischen Herren und immer mehr Sklaven, eine Spannung, die sich schließlich in den Sklavenaufständen der Späten Republik entlud.
Nun aber zu den wichtigsten Ereignissen in aller Kürze. In der ersten secessio plebis, legendäres Datum ist 494, richteten die Plebejer eine eigene Versammlung ein, das concilium plebis, dessen Beschlüsse mit der Zeit Gesetzescharakter annehmen sollten. Außerdem wählte die plebs nun zwei Volkstribunen und zwei plebejische Ädilen, Magistrate, die ihre Interessen vertreten sollten. Insbesondere die Volkstribunen sind von besonderer Bedeutung. Sie werden vom Volk für unantastbar, für sakrosankt erklärt, um sie vor Übergriffen der Patrizier zu schützen. Sie werden außerdem mit dem ius intercessionis und dem ius auxilii ausgestattet, also mit dem Recht, einzuschreiten, wenn ein Plebejer Repressalien von Seiten der Patrizier ausgesetzt war, und ihm Hilfe zu bringen. Ebenso bekamen die Volkstribunen das Vetorecht, also das Recht, Beschlüsse des Senats blockieren zu können. Allerdings wird es gedauert haben, bis die Patrizier diese Kompetenzen der neuen Magistrate überhaupt anerkannten.
Weitere Meilensteine auf dem Weg der Emanzipation der Plebejer sind das Zwölftafelgesetz von vielleicht 450 v. Chr. (die Datierungen gehen hier weit auseinander) und die lex Canuleia von 445 v. Chr., die das conubium, also das Recht zur Eheschließung zwischen Patriziern und Plebejern festschrieb. In der Zwölftafelgesetzgebung wurden das geltende Privat-, Straf- und Sakralrecht aufgezeichnet.
Diese Gesetze zeugen von einer einfachen agrarischen Gesellschaft. Inwiefern unteritalische Griechen bei dieser Niederschrift der Gesetze Hilfe leisteten, lässt sich nicht sagen. Das Zwölftafelrecht unterscheidet zwischen Besitzenden und Proletariern, d.h. das Vermögen wurde als Kriterium der sozialen Schichtung berücksichtigt. Die Plebejer werden hier nicht aufgewertet, erlangen aber zumindest durch die Verschriftlichung mehr Rechtssicherheit. Das Nachbarrecht sowie das Schuldrecht werden geregelt, die Testierfreiheit festgeschrieben. Der nächtliche Erntediebstahl, Brandstiftung, Mord und falsches Zeugnis ablegen, sind Kapitalverbrechen. Der Patron, der seine Pflichten gegenüber den Klienten vernachlässigt, wird geächtet. Bei Leichenbegängnissen gibt es Aufwandsbeschränkungen. Jeder Bürger hat Anrecht auf einen Verteidiger. Prinzipien, die wir noch heute kennen, werden hier erstmals formuliert: nulla poena sine lege oder auch nulla quaestio sine auctore.
445 ermöglicht die lex Canuleia das conubium, also die Eheschließung zwischen Patriziern und Plebejern. Eine wichtige privatrechtliche Schranke war damit beseitigt. Die reichen Plebejer konnten nun endlich in Patrizierfamilien einheiraten. Das Resultat war das Verschmelzen der Patrizier mit den führenden plebejischen Familien und damit die Herausbildung der Nobilität. 409 ist übrigens der erste Plebejer in der Quästur bezeugt, bezeichnenderweise im niedrigsten senatorischen Amt.
Um etwa 400 beschleunigen sich die Dinge, der Ständekampf gewinnt an Schärfe. Das weitere Bevölkerungswachstum sowie der Keltensturm bringen das römische Sozialgefüge massiv in Bedrängnis. Die Oberschicht der Plebejer will nun, nachdem sie schon durch conubium mit den Patriziern verbunden war, endlich eine Beteiligung an der Staatsleitung. Die Niederlage der Römer gegen die Gallier in der Schlacht an der Allia 387 v. Chr. hatte die ganze Schwäche des patrizischen Staates allen deutlich vor Augen geführt.
Die Masse will eine Begrenzung der Okkupationsrechte der Patrizier, die Unterschicht plädiert nach wie vor für einen Schuldenerlass. Schließlich vermitteln Caius Licinius Stolo und Lucius Sextius Lateranus einen Kompromiss, die sogenannten leges Liciniae Sextiae von 367 v. Chr. Sie begründen in den Worten Bleickens die Konsulatsverfassung. Statt sechs Konsulartribunen stehen nun zwei Konsuln an der Spitze des Staates, von denen einer ein Plebejer sein muss. Die Plebejer können sich nun auch um die Diktatur und Zensur bewerben, d.h. sie haben nun den Aufstieg in die höchsten Staatsämter geschafft. Die comitia centuriata, also die Heeresversammlung, wählt nun die Konsuln, Prätoren und Zensoren, ebenso die sechs Militärtribunen. Die Zenturiatskomitien entscheiden auch über Krieg und Frieden. Die Okkupationsgrenze wird auf 500 iugera, etwa 125 ha festgesetzt, eine Bestimmung, die allerdings nicht in die Tat umgesetzt wurde. Zu einem Schuldenerlass kommt es noch nicht, nur die Zinsen werden erlassen, d.h. es handelt sich bei den Licinisch-Sextischen Gesetzen zwar um einen politischen, aber noch nicht um einen ökonomisch-sozialen Neubeginn. Der cursus honorum, die Ämterlaufbahn der Republik, steht nun fest, die Plebejer haben Zugang zu allen Ämtern. Und bis 337 dringen sie tatsächlich in alle Ämter vor. Mit Abschluss der Samnitenkriege hatte sich nicht nur diese Verfassung voll ausgebildet, sondern sich auch die Nobilität als Amtsadel und neue Oberschicht fest etabliert.
Weitere Gesetze folgen: Die lex Publilia von 339 zeigt, dass sich die Patrizier das Heft nicht ganz aus der Hand nehmen lassen: Gesetze benötigen auch die Zustimmung des Senats, die patrum auctoritas. Allerdings müssen sie Bedenken gegen Gesetzesvorhaben schon vor der Abstimmung äußern. Die lex Poetelia Papiria von 326 dehnt die Wehrpflicht auch auf die ganz Mittellosen aus; diese Plebejer werden nun auch in die comitia centuriata aufgenommen, das ist ein Schritt zur vollen Integration der plebs in die res publica. Nun wird die Schuldknechtschaft endlich abgeschafft. Livius spricht von einem Neubeginn der Freiheit. In der Praxis zeigte diese Maßnahme keine große Wirkung mehr, vielleicht war es nur noch selten zur Versklavung von Schuldnern gekommen. Allmählich stellten die Großgrundbesitzer ohnehin auf die Sklavenwirtschaft um. Die lex Ovinia von 312 schreibt den Zensoren nun explizit die Formierung des Senats aus den Besten beider Stände vor. Den plebejischen Senatoren, den conscripti (den Dazugeschriebenen), wird nun das Stimmrecht eingeräumt, patrizische und plebejische Senatoren sind damit gleichgestellt. Das ius Flavianum von 304 schreibt die einheitliche Behandlung eines jeden Bürgers vor Gericht vor. Die lex Ogulnia von 300 öffnet nun auch die höchsten Priesterkollegien der pontifices und der augures den Plebejern.
Nach Erreichen der vollen politischen Partizipation verlagern sich die Ständekämpfe auf die wirtschaftliche und die soziale Seite. Das Problem der Verschuldung wurde immer drängender. Der juristische Bereich ist zuerst Gegenstand von Neuregelungen: Die lex Valeria de provocatione von 300 v. Chr. stuft das Vorgehen eines Magistrates gegen Leib und Leben eines Bürgers ohne Gerichtsverfahren, also die Verhängung der Kapitalstrafe ohne ordentliches Gerichtsverfahren, als Unrecht ein. Jeder Bürger hat nun das Recht, an die Zenturiatskomitien zu appellieren (provocatio ad populum). Nicht mehr die obersten Magistrate sind für eine Anklage zuständig, sondern Tribunen und Ädile klagen nun vor der Volksversammlung an.
Die Ständekämpfe werden 287 v. Chr. durch die lex Hortensia abgeschlossen, eine „Generalbereinigung“, wie Alfred Heuss sie nennt. Die Beschlüsse des concilium plebis erhalten nun volle Gesetzeskraft, wie die Beschlüsse der Kuriats- oder Zenturiatskomitien. Damit wird das concilium plebis enorm aufgewertet und zu einer regulären Volksversammlung. Die Volkstribunen erhalten Zutritt zum Senat, werden also ein reguläres Amt, Teil der Ämterlaufbahn und damit voll anerkannt. In der Regel bekleiden auch später noch nur plebejische Familien der Senatsaristokratie das Amt des Volkstribunats. Nun kommt es endlich zu der seit langem geforderten Schuldentilgung. Die Tribuseinteilung übernehmen die Zensoren.
Damit sind mit der lex Hortensia die beinahe 200 Jahre währenden Ständekämpfe abgeschlossen, und das römische Gemeinwesen auf eine solide Grundlage gestellt, die es den Römern erlauben sollte, auch in der Zukunft allen Herausforderungen gewachsen zu sein.

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01 – Das frühe Rom und die Etrusker

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Römische Geschichte I: Die Republik

01 – Das frühe Rom und die Etrusker

Die Geschichte des frühen Roms ist ohne die Etrusker nicht zu verstehen, denn die Stadtwerdung Roms vollzieht sich ganz innerhalb der etruskischen Kultur. Wir werden uns deshalb im heutigen Podcast ein wenig mit diesem in vielerlei Hinsicht immer noch rätselhaften Volk beschäftigen, um die Grundlagen für die Beschäftigung mit der frühen Geschichte Roms zu schaffen. Die Etrusker sind ein vor-indoeuropäisches Volk, weswegen wir von ihrer Sprache nur wenig verstehen. Andere vorindogermanische Gruppen auf der Apenninenhalbinsel waren die Ligurer im Norden und die Sikaner auf Sizilien, ebenso die Terramare Kultur in Norditalien, die wir etwa von 1600 bis 1200 greifen können.
Ab 1000 werden für uns indoeuropäische Gruppen greifbar, deren Wanderzüge in der Forschung hoch umstritten sind. Anhand ihrer Sprache unterscheidet man drei Großgruppen, die latino-faliskische, die am Unterlauf des Tiber siedelte, die umbrisch-sabellische bzw. oskisch-umbrische Gruppe, zu denen auch die Samniten gehören sollten, in den Bergen sowie die Illyrer entlang der Adria. Während im Süden der italischen Halbinsel ab dem 8. Jh. Griechen in Folge der Großen griechischen Kolonisation siedelten, greifen wir die Etrusker ab dem 7. Jh. zwischen Arno und Po. In einem letzten Einwanderungsschub kamen die Kelten, die sich an der Wende vom 5. zum 4. Jh. in Norditalien ansiedelten.
Obwohl nun die Etrusker vorindoeuropäischen Ursprungs sind, ist ihre Herkunft noch immer ungeklärt. Es ist nämlich ganz und gar nicht klar, ob sie tatsächlich autochthon, also einheimisch in Italien sind. Befürworter dieser These sehen eine Kontinuität von der Villanova Kultur (12.-7. Jh. v. Chr.) zu den Etruskern, insbesondere was die Bestattung anbelangt. Eine andere These geht von einer Einwanderung aus dem Osten aus, eine Theorie, die sich auf Herodot stützt, der die Herkunft der Etrusker in Lydien sieht. Ihr plötzliches Auftreten in Italien, ihre Siedlungsweise in Städten sowie die Verwendung der Mantik, Techniken der Zukunftsschau, sprechen für diese herodoteische These. Eine dritte Theorie bildet sozusagen einen Kompromiss aus den beiden vorhergehenden: Die Etrusker seien in einer Ethnogenese entstanden. Zugezogene aus dem Osten hätten sich mit einem einheimischen Substrat verbunden und etwas Neues hervorgebracht. Die Etrusker sind fähige Leute, sehr aktiv im Erzbergbau, aber auch im Handwerk und im Handel, selbstverständlich treiben sie auch Piraterie. Ihre Kultur ist sehr expressiv und griechenabhängig. Oft kann man bei den wunderbaren Vasenmalereien und den Fresken in den Tumuli-Gräbern nicht sagen, ob etruskische oder griechische Meister am Werk waren.
Schon bald expandieren die Etrusker nach Norden in die oberitalische Tiefebene hinein und nach Süden, ins spätere Latium und Kampanien, was natürlich zu Auseinandersetzungen mit den dort ansässigen Griechen führte. Sinnvollerweise verbündeten sich die Etrusker mit den Karthagern und konnten daher die griechischen Phokäer in der Seeschlacht von Alalia vor der Ostküste Korsikas besiegen (um 540 v. Chr.). Offenbar planten die Etrusker, die Griechen ganz aus Kampanien zu vertreiben, was allerdings nicht gelingen sollte. Gegen Kyme erlitten die Etrusker 474 eine so schwere Niederlage, dass eine Art Machtvakuum in Mittelitalien entstand, von dem die Osker im Binnenland und die Latiner am Unterlauf des Tiber profitierten. Die Etrusker verloren allmählich ihre Vormachtstellung in Kampanien und Latium und damit auch ihre Dominanz über die latinischen Ansiedlungen im späteren Rom.
Der dortige etruskische König wurde entweder gestürzt, was die Sage von Tarquinius Superbus bewahrt hat, oder aber langsam entmachtet. Der einheimische Adel übernahm die Herrschaft, und damit sind wir auch schon mittendrin in der römischen Frühgeschichte, die wir nun nicht mythologisch, sondern auf der Basis der archäologischen Befunde nachskizzieren wollen.
Nach wie vor ist es umstritten, ob die Dörfer auf den Hügeln allmählich zusammenwuchsen oder sich in einem Synoikismos vereinten, also in einem formellen Gründungsakt. Klar ist jedoch, dass sich aufgrund der günstigen geopolitischen Lage Menschen ab dem 13. Jh., also in der mittleren Bronzezeit, an den Aventin-Höhlen und an der Tiberfurt ansiedelten. Der Übergang wurde noch zusätzlich durch die Tiberinsel erleichtert, ideale Bedingungen also für die Salzstraße von Etrurien nach Kampanien. Die frühesten Funde stammen vom Forum Boarium, unter der Kirche S. Omobono und vom Südhang des Kapitols. Im 10. Jh. sind wir am Ende der Bronzezeit; eine Siedlung am Forum Romanum ist greifbar. Wir sehen dort Urnen-, aber auch Körperbestattung. In der Eisenzeit, ab dem 9. Jh., sind der Palatin und der Quirinal besiedelt, ab dem 8. Jh. der Esquilin, es gibt nun auch einen Hafen an der Tiberfurt. Im 6. Jh. ist Rom eindeutig eine wohlgeordnete Stadt etruskischen Zuschnitts. Die Siedlungen auf den Hügeln sind nun vereint.
Lange Zeit ging man davon aus, dass zwei Kulturkreise in Rom zusammenwuchsen, zum einen wegen des Doppelcharakters mancher archaischer religiöser Institutionen, wie die der Priesterschaften der Salii Palatini und der Salii Collini, zum anderen schienen archäologische Befunde diese distinkten Kulturkreise zu bestätigen: Man fand Brandgräberleute auf dem Palatin und dem Caelius, die man für Latiner hielt, und Bestattungsgräberleute auf dem Esquilin, dem Quirinal und dem Viminal, die als Osker, Sabeller und Sabiner firmierten. Neuere Forschungen liefern jedoch ein differenziertes und komplizierteres Bild und brachten diese alte These zum Einsturz.
Klar ist jedoch, welche Gruppen auch immer in Rom siedelten, dass sie stark von der etruskischen Kultur beeinflusst waren. Die Stadtwerdung selbst ist ohne die Etrusker nicht denkbar, die spätestens seit dem 7. Jh. urbane Strukturen kannten. Die Etrusker brachten den Römern die Schrift, wohl nicht die Griechen direkt, d.h. die Etrusker dienten auch hier als Transmissionsriemen für die Weitergabe griechischer Kulturtechniken an die Römer. Das dreigliedrige römische Namenssystem (praenomen, nomen gentile, cognomen) geht auf die etruskische Nomenklatur zurück. Die Herrschaftsinsignien der römischen Magistrate, wie Purpurtoga, Purpurmantel, Schnabelschuhe, goldener Kranz, sella curulis (Elfenbeinsessel) sowie die Liktoren mit ihren fasces (Rutenbündel) sind etruskischer Herkunft. Die Gladiatorenkämpfe stammen aus etruskischen Begräbnisritualen. Die Etrusker waren Meister der Mantik, d.h. der Zeichendeutung zum Zweck der Weissagung. Kern der disciplina etrusca war die Eingeweide- v.a. die Leberschau. Diese Spezialisten waren die haruspices. Andere Deuter widmeten sich der Deutung des Vogelflugs, dem auspicium. Auch aus Blitz und Donner meinte man, Aussagen über die Zukunft herleiten zu können(ars fulguratoria).
Auch in den Institutionen lehnen sich die Römer an etruskische Strukturen an: Die gentilizische Kurieneinteilung, die vorerst gentilizische Einteilung in drei Tribus, die die etruskischen Namen Tities, Ramnes und Luceres tragen. Der Senat und das Wahlkönigtum waren schon etruskische Verfassungseinrichtungen.
Wichtige Maßnahmen der Frühzeit schreiben sogar die späteren römischen Historiker legendären etruskischen Königen zu. So habe Tarquinius Priscus das Pomerium, d.h. die heilige Grenze um Rom gezogen. Er habe zusätzlich zu den gentilizischen Kurien vier lokale Tribus eingerichtet, die Suburana oder Sucusana, die Esquilina, sowie die Collina und Palatina. Auf diesen lokalen Tribus, die vermehrt werden, wird später ein Teil des römischen Wahlsystems aufbauen. Priscus soll außerdem einen Abwasserkanal, also eine cloaca gebaut und den Bau der Regia/Curia begonnen haben. Sein Nachfolger Servius Tullius soll die sogenannte servianische Mauer gebaut haben, eine Stadtmauer, die Archäologen heute ins frühe vierte vorchristliche Jahrhundert datieren. Interessant ist aber, dass die späteren römischen Historiographen diese Stadtmauer als urbanes Symbol einem legendären Etruskerkönig attribuierten. Der Sage nach soll er auch eine Schatzung der Bürger durchgeführt und die Zenturiatskomitien eingeführt haben, die man wohl eher in das Zeitalter der Ständekämpfe datiert. Vielleicht hat er und nicht schon Tarquinius Priscus die Regioneneinteilung der Tribus aufs Land übertragen. Der letzte etruskische König über Rom, der berühmt-berüchtigte Tarquinius Superbus, soll den Jupitertempel auf dem Kapitol weitergebaut, wenn nicht vollendet haben.
Die archaische Sozialstruktur der Römer ist ganz etruskisch geprägt. Die Rolle der gentes, der Geschlechter, bestehend aus mehreren Familien gleicher Abstammung, im weiteren Sinne auch mit ihren Klienten, war entscheidend. Die größere gentilizische Einheit war die curia. Es hat wohl ursprünglich 30 Kurien gegeben. Je zehn Kurien bildeten eine Tribus, also einen gentilizischen Personenverband, der zunächst auch militärische Bedeutung hatte. Die etruskischen Namen dieser drei Tribus kennen wir bereits, Ramnes, Tities, Luceres. Das können drei Gentilnamen sein oder aber auch drei Gruppen bezeichnen, etwa Sabiner, Etrusker und Latiner, aber das wissen wir nicht. Die 30 Kurien kamen zweimal pro Jahr auf dem Comitium, dem Volksversammlungsplatz zusammen. Wir sprechen von den comitia curiata, der ältesten Art der Volksversammlung. Die 30 curiae waren wiederum auf die drei ursprünglichen Tribus verteilt, jede Tribus beinhaltete also zehn Kurien.
An der Spitze der Gesellschaft stand ein Geburts- und Grundbesitzeradel, die sogenannten Patrizier, die auch die Reiter stellten, die equites. Ihnen waren mehr oder weniger abhängige Bauern als Klienten zugeordnet, die Plebejer. In diesem Klientelverhältnis fungierte der Patrizier als patronus, der die Interessen des Klienten z. B. auch vor Gericht vertreten musste. Ab den Ständekämpfen schließen sich die Plebejer zu einem Stand ab, was bei den Patriziern schon früher der Fall gewesen sein muss. Ab dem 5. Jh., also zur Zeit der Ständekämpfe, wurden die oben erwähnten ersten vier regionalen Tribus geschaffen, städtische Bezirke, die 241 v. Chr. ihre endgültige Zahl, 35, erreichen sollten. Jeder römische Bürger wurde dann in eine dieser 35 Wahlkörperschaften eingeschrieben. Die Macht des Familienvaters, die patria potestas, erstreckte sich nicht nur auf seine Frau, seine Kinder und seine Sklaven, sondern sogar noch auf die verheirateten erwachsenen Söhne und deren Ehefrauen (anders als im klassischen Athen).
Zusammenfassend kann man also sagen, dass die römische Gesellschaft horizontal in Familien, gentes, curiae und tribus gegliedert ist, vertikal in einen Adel, von dem das Volk sozial, politisch, ökonomisch, rechtlich, religiös und militärisch abhängig ist. Bald sollte das Volk nach mehr politischer Partizipation und nach einer Verbesserung der ökonomischen Lage streben, die Ausgangslage für die Ständekämpfe, die sich über Jahrhunderte hinziehen und an deren Ende das gewachsene politische System der Römischen Republik stehen sollte.
Die Sklaverei war noch nicht differenziert wie später. Sklaven waren noch Familienmitglieder, mit denen man am gleichen Tisch aß. Bis ins 4. Jh. wurden auch Mitglieder des eigenen Volkes versklavt, Rechtsgrundlage hierfür war die Schuldknechtschaft (nexum), die erst als ein Ergebnis der Ständekämpfe abgeschafft werden sollte. Noch gab es keine Sklavenaufstände.
Die politische Struktur baut nun auf der sozialen auf, sie ist also auch gentilizisch. Die Adeligen wählen aus ihren Kreisen einen König. Das Wahlkönigtum bedeutet bereits eine allmähliche Entmachtung des Königs. Er vertritt das Gemeinwesen gegenüber den Göttern, ist ein Heerkönig und leitet die Sitzungen des Adelsrates (Senat) und der Volksversammlungen.
Die Kuriatkomitien, die sich zweimal im Jahr versammeln, bestätigen den König in seiner Machtfülle, sanktionieren Akten bzgl. der Familie und der Geschlechter, erlassen Sakralgesetze, wählen ursprünglich die Magistrate und entscheiden über Krieg und Frieden.
Auch der Senat war nach Kurien zusammengesetzt, zehn patres je Kurie, also insgesamt 300 patres, also patrizische Senatoren. Dieser Adelsrat beriet den König. Beim Tod des Königs wählte der Senat einen interrex für fünf Tage, der Adel stellte auch die Magistrate. Nach der sogenannten servianischen Schatzung fungierte auch die Heeresversammlung, die comitia centuriata, als eine zusätzliche Volksversammlung. Auf sie werden wir dann im nächsten Podcast eingehen.

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06 – Religiöse Entwicklungen im Hellenismus

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Griechische Geschichte III: Der Hellenismus

06 – Religiöse Entwicklungen im Hellenismus

Wir wollen uns heute im abschließenden Podcast dieser Vorlesung den religiösen Entwicklungen in der hellenistischen Zeit zuwenden. Durch die enorme Ausweitung des griechischen Horizontes kamen die Griechen nun mit neuen, fremden Völkern und Religionen in Berührung. Östliche Religionen versprachen mehr Innerlichkeit, gerade weil sie fremd und exotisch anmuteten. Im Hellenismus wird der Grundstein gelegt für den Synkretismus der Kaiserzeit, in der die alten Polisreligionen des Westens mit den Mysterien- und Erlösungsreligionen des Ostens verschmolzen. Gleichzeitig erlebten die Menschen eine enorme Unsicherheit in ihren persönlichen Lebenslagen. Die Dinge waren schnelllebiger und unsicherer geworden, sobald man die schützende heimatliche Polis verließ. Das Schicksal, die unvorhersehbaren Wechselfälle des Lebens, wurden als Tyche umschrieben, die dann selbst als Göttin verehrt wurde, so war sie z. B. Stadtgöttin in Antiochia.
Bezüglich der Verehrung von Herrschern gibt es zwei Tendenzen, einmal die Einrichtung von Kulten von oben und persönliche Frömmigkeit von unten. Beides ging nicht unbedingt Hand in Hand, konnte sich jedoch ergänzen. Gehen wir also auf die Dynastiegottheiten und den städtischen Herrscherkult kurz ein.
Die Herrscher mussten sich legitimieren und brauchten Schutzgötter, die sie im Bereich der Olympier suchten und fanden: Die Antigoniden behaupteten, von Herakles abzustammen und prägten die Keule auf ihre Münzen. Sie betonen auch ihre fiktive Verwandtschaft mit Philipp II. und Alexander dem Großen. Die Seleukiden leiten sich von Apollon ab. Seleukos I. Nikator sah sich als Sohn Apollons und wird auch in Inschriften so angesprochen und verehrt. Die Ptolemäer verbinden sich mit Dionysos, was ja auch Alexander selbst getan hatte.
Außer in Makedonien, war die Annahme dieser Schutzgötter oft mit der Einrichtung des Herrscherkults für die verstorbenen und später auch für die lebenden Herrscher verbunden. Sie bekamen Altäre, Opfer, Preislieder und Feste, die nach ihnen benannt wurden. Lysander, der spartanische König, der den Peloponnesischen Krieg für Sparta siegreich beendet hatte, wurde als erster wie ein Gott verehrt. Alexander wurde auch schon zu Lebzeiten wie ein Gott verehrt, was das aber genau bedeutete, ist in der Forschung stark umstritten.
Die direkte Vergöttlichung geht bei den Ptolemäern am weitesten, dann folgen in absteigender Reihenfolge die Seleukiden, die Attaliden und schließlich die Antigoniden, die in Makedonien natürlich andere Voraussetzungen hatten.
Wieder sehen wir, wie immer in der Alten Welt, die Verquickung von Religion und Politik. Die Herrscher initiierten die Kulte nicht nur, sondern kamen auch einem gewissen Bedürfnis der Untertanen entgegen, die oft von sich aus gottähnliche Ehrungen für ihre Herrscher beschlossen. Die Athener richten 307 einen Kult für Antigonos und Demetrios ein, 294 oder 291 bekommt Demetrios seinen eigenen Kult mit Hymnen, ziemlich unglaublich und das alles in Athen! Offenbar herrscht geistige Orientierungslosigkeit, ein Gefühl der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins (ein grundsätzliches Lebensgefühl im Hellenismus), und wer die Position eines hellenistischen Herrschers mit seiner fast unbegrenzten Machtfülle innehatte, der musste wohl von den Göttern oder zumindest von Tyche besonders begünstigt, begnadigt erscheinen, so dass seine Verehrung schon Sinn machte.
Bei den Seleukiden war die Entwicklung langsamer und uneinheitlich und geschah lange nur auf Initiative der Städte. Seleukos I. wurde in Ilion als von Apoll abstammend anerkannt, er wurde aber nicht wirklich als Gott bezeichnet, war aber nah dran: Es gibt ein Fest, einen heiligen Bezirk, Altar, Opfer, Prozession, Spiele, Hymnen, goldene Kränze für ihn. Antiochos I. macht seinen Vater zum Gott, aber Antiochos III. (223-187) ging viel weiter: Er richtete einen Kult für sich selbst und für alle seine Vorfahren ein sowie für seine Frau Laodike.
Anders als die Seleukiden erfuhren die Attaliden zu ihren Lebzeiten keine Vergöttlichung, wurden aber kultisch in vielen Städten Kleinasiens anerkannt.
Der Grad der Religiosität bei den Herrscherkulten ist nur schwer zu messen. Oft ging die Initiative von den Städten aus, das ist also die Bewegung von unten. Sie wollten sich des Wohlwollens des Herrschers in besonderer Weise versichern, oft aber sind diese städtischen Kulte Ausdruck wahrer Dankbarkeit.
Die Reichskulte wurden von den Herrschern initiiert. Aber das war nicht nur Strategie und Berechnung. Der Beiname lautet oft „Theos“, was aber nicht nur Gott bedeutet, sondern auch als Adjektiv, „göttlich“ aufgefasst werden kann.

Religion des Individuums
Die alten Poliskulte leisteten für die Menschen in der Fremde, die wohl oft unter sozialer Isolation und Entwurzelung litten, nicht mehr das, was sie früher einmal leisteten. Die Menschen wandten sich nun verstärkt Erlösungsreligionen zu. Die Mysterienkulte boten geheime Initiationsriten an, was die Eingeweihten aneinanderschweißte und so zu festen Sozialkontakten führte. Der Kult von Eleusis (Demeter), die Riten der Kabiren auf Samothrake, der Asklepios-Kult in Epidauros erreichen jetzt ihren Höhepunkt. Die Offenbarung sollte irrational und emotional ansprechend sein. Es geht bei den Mysterienkulten immer um Tod und Auferstehung, also um Erlösung vom Irdischen. Die Teilnehmer betrachten sich als egalitär, also Bürger, Frauen und Sklaven standen auf einer Stufe. Die geheimen Initiationen vermittelten ein Gefühl der Exklusivität. Gesucht wurden wohl ekstatische Erfahrungen und Trance-Zustände. Das war bei den Bacchantinnen des Dionysos der Fall und auch im Kybele-Kult. Der Kybele-Kult wurde immer populärer, der Höhepunkt war dann in der römischen Kaiserzeit erreicht.
Die Philosophen banden die Götter in ihre Systeme ein, als oberstes Gut, als Tugend oder Weisheit oder Weltprinzip. Sie waren peinlich darum bemüht, die Existenz der Götter nicht ganz zu leugnen. Auch gab es die Tendenz hin zur Verehrung von abstrakten Prinzipien, am wichtigsten die bereits erwähnte Tyche, die weithin verehrt wurde. Wie weit die Personalisierung aber emotional wirksam wurde, können wir nicht sagen.
Immer mehr Menschen wenden sich den ägyptischen Göttern zu, die offenbar mehr Hilfe versprachen als die einheimischen. Wir sehen ein massives Vordringen der östlichen Kulte auch nach Griechenland hinein. Sarapis war sehr beliebt, den Ptolemaios I. Soter einführte, der Sarapis-Kult war also eigentlich ein ptolemäischer Reichskult.
Der Isiskult verbreitet sich v.a. im 2. Jh. v. Chr., bekommt unter Sulla sogar schon in Rom einen Tempel, und Isis wird in der Kaiserzeit zu einer der führenden Gottheiten. Schon zu Herodots Zeiten war sie so etwas wie eine Hauptgöttin in Ägypten. Die Griechen identifizierten Isis sinnvollerweise mit Demeter, Osiris mit Dionysos. Isis konnte viele andere Götter in sich vereinigen, was der Ausbreitung ihres Kultes natürlich zum Vorteil gereichte. Der synkretistische Prozess ist hier also sehr wichtig. Weil Isis nicht ortsgebunden war, konnte sie bald Demter den Rang ablaufen, da ihre Mysterien nur in Eleusis stattfanden.
Auch andere orientalische Gottheiten wurden nun in Griechenland verehrt und mit griechischen, später mit römischen Göttern gleichgesetzt:
Kybele, magna mater, eine anatolische Muttergöttin, wird von Attis begleitet,
Atargatis und Hadad aus Assyrien (Aphrodite und Zeus),
Melqart (Herakles),
Astarte (Aphrodite).
All diese Götter umranken natürlich Mythen. Es kam zu einer interpretatio graeca; diese schillernden Gottheiten wurden v.a. in den kosmopolitischen Metropolen verehrt, später auch im Westen, v.a. in Rom und Karthago. Wichtig für die Menschen wird das Weiterleben nach dem Tode und die persönliche Bindung. In diese Welt hinein stößt später das Christentum vor, das schließlich Isis und Mithras ausstechen kann, aber das sind Entwicklungen, mit denen wir uns dann in der Vorlesung über die Römische Kaiserzeit befassen werden.
Mithras war ursprünglich ein iranischer Gott, der Licht- und Sonnengott der Krieger, die für das Gute kämpfen. Die Tötung des Stiers ermöglicht das Leben. Wichtig ist dieser Kult in Pontos, Kappadokien und Kommagene. In der röm. Kaiserzeit wurde der Mithras-Kult dann eine Soldatenreligion, in der es nach einem Blutopfer um Erlösung ging. Auch in dieser Religion waren alle Kultteilnehmer gleich, wieder sehen wir also das egalitäre Element. Mithras stammt wohl ursprünglich aus der iranischen Mysterientradition; hellenisierte Magier haben dann den Kult langsam nach Westen gebracht, vieles liegt hier im Dunkeln und ist daher sehr umstritten.
Zu den Gemeinsamkeiten der Mysterienreligionen: Die Kultgemeinschaft war nicht mehr auf eine Polis beschränkt, sondern international, es gibt Vereinssatzungen, hauptamtliche Priester, die die komplizierten Kultrituale erlernen, pflegen und bewahren. Die Eingeweihten oder Mysten bekleiden verschiedene Ränge je nach Grad der Einweihungsstufe, also auch hier ist wieder Raum für den Agon, für einen Aufstieg, der in der Gesellschaft so nicht zu leisten war. Die Eingeweihten nannten sich Brüder, es entsteht also ein Gemeinschaftsgefühl; soziale Schranken im Kult werden weitgehend abgebaut. Was in den Initiationen geschah, wissen wir nicht, aber es muss zu kathartischen Wirkungen gekommen sein, die entlastend auf den Einzelnen wirkten. Auf Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit, Schatten, folgten Jubel, Tanz, Ausgelassenheit, Licht, ein Festschmaus, Tanzen, Hymnen-Singen usw.. Ein extremer Wandel, eine Peripatie, wurde also in Szene gesetzt, was emotional sehr eindrucksvoll gewesen sein muss und die Menschen affektiv und spirituell ansprach. Hinzu kam die Aussicht auf Erlösung im Jenseits. Reinheit war ganz wichtig für die Initiation, hier werden alte griechischen Vorstellungen wieder aufgriffen und nun verinnerlicht. Die Sünde wird nun beschmutzend, befleckend, eine ethische Verfehlung wird also materialisiert und in die Metaphorik der Verunreinigung und Reinheit gebracht.

Das Judentum im Hellenismus
Zentral wichtig ist die Entwicklung des Judentums im Hellenismus und v.a. der Aufstand der Hasmonäer/Makkabäer gegen die Seleukidenherrschaft um ca. 150 v. Chr. aus religiösen und politischen Gründen. Die Juden waren bereits im ganzen Vorderen Orient verteilt und hielten streng an ihrer monotheistischen und doch recht exklusiven Religion fest. Das Zusammenleben mit den Griechen fiel ihnen oft schwer, zu unterschiedlich waren die Riten, der allgemeine Lebensvollzug und die Einstellung zu den hellenistischen Herrschern, mit denen sie aufgrund des Herrscherkultes irgendwann in Konflikt kommen mussten. Zumindest für die Orthodoxen traf dies zu, weniger für die liberalen Strömungen, die es v.a. in der Diaspora auch gab. Viele Juden in Alexandria waren zum Teil von Alexander angesiedelt worden, zum Teil hatten sie sich als ptolemäische Söldner dort niedergelassen, zum Teil waren sie schon vorher dort, v.a. in Elephantine. Ab ca. 150 schlossen sich die Juden in Alexandria in einem Ghetto ein. Die meisten Juden in Alexandria waren hellenisiert und sprachen Hebräisch kaum mehr. Für sie wurde die Übersetzung der Thora entscheidend. Diese Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, die in Alexandria geleistet wurde, nennen wir Septuaginta und stellt eine der größten Leistungen des Hellenismus dar. Viele Juden konnten nun wieder die heiligen Schriften lesen.
Antiochos III. erobert 200 Jerusalem, vorher war ganz Palästina bei den Ptolemäern. Zunächst gab es wenig Unterschied zu vorher. Es kam zu einer gewissen Hellenisierung, doch die Orthodoxen leisteten fanatischen Widerstand und hielten strikt am Wortlaut der mosaischen Gesetze fest. Wir haben es also mit einer kulturellen und religiösen Widerstandsbewegung gegen die Seleukiden zu tun. Judas Makkabaios erhob sich schließlich, als Seleukos IV. versuchte, sich der Einnahmen des Tempels zu bemächtigen. Antiochos IV. machte den hellenisierten Juden Iason für Geld zum Hohepriester, der einen grundlegenden Hellenisierungsschub vornahm, ein Gymnasion und ein Ephebeion gründen und aus Jerusalem eine griechische Polis machen wollte.
Viele hellenisierte Juden waren sehr dafür, es gab also sehr heterogene Gruppen innerhalb des Judentums, eine Spannung zwischen dem Willen, die jüdische Identität zu bewahren, und der Anziehungskraft der griechischen „Leitkultur“. Antichos IV., der 168 v. Chr. von dem Römer Caius Popilius Laenas gedemütigt und zum Rückzug aus Ägypten gezwungen und damit entscheidend geschwächt worden war, übte nun Druck aus und wollte sein verbliebenes Reich verstärkt hellenisieren. Er brauchte Geld und griff daher auf die Tempelschätze zu. Menelaos, der neue Oberpriester, erwies sich als eifriger Handlanger des Antiochos. Die Plünderung und Entweihung des Tempels, das Verbot der Beschneidung, des Sabbats und der traditionellen Opfer für Jahwe waren die Folge. Stattdessen wurden die Juden gezwungen, Schweine zu opfern, das war ganz und gar verabscheuenswürdig, auch zur Einführung heidnischer Kulte kam es. Diese Vorgänge führten dann direkt zum Aufstand gegen die seleukidische Oberhoheit. Zuerst war es ein Guerilla-Krieg der niederen Priester und der Landbevölkerung, dann stellen die Juden unter Makkabaios ganze Heere auf und gewinnen 164 den Tempel wieder zurück, den sie reinigen mussten, weil Antiochos darin, aus böswilliger Absicht, ein Schwein geopfert hatte. Die seleukidischen Gesetze wurden annulliert. Der Krieg ging trotzdem weiter. Orthodoxe Juden radikalisierten sich und hatten schließlich auch die hellenisierten Juden gegen sich, d.h. eine tiefe Spaltung ging jetzt quer durch das Judentum, die man im Prinzip noch heute beobachten kann. Aus den Makkabäern entwickelt sich die Dynastie der Hasmonäer heraus, ein eigener jüdischer Staat entsteht, aber trotz all der Widerstände in hellenistischer Manier. Schon hier wird deutlich: Bald wurde dieser weiterschwelende Konflikt eine Angelegenheit der römischen Expansion. Die orthodoxen Juden machten weiterhin Aufstände, 70 n. Chr. wurde Jerusalem schließlich von den flavischen Truppen zerstört, Bar Kochba unternahm dann unter Hadrian den letzten Versuch, der in einer Katastrophe mündete. Hier beginnt die jüdische Diaspora.
Neben den orthodoxen Fanatikern gab es aber auch die hellenisierten Juden und in diesem Umfeld entstanden die griechisch verfassten Schriften des Neuen Testaments. Dies war ein großes Glück für das Christentum, denn das Griechische war die Kultursprache, in der alles ausgedrückt werden konnte, die griechische Sprache bot das philosophische Vokabular, mit dem Paulus seine unerhörte Theologie entfalten konnte. Über das philosophische Griechisch gewannen die Christen schließlich die gebildeten Hellenen und konnten so das Christentum nach Westen tragen. So wurde das Christentum intellektuell und für die griechischen Eliten attraktiv. Ohne zu telelogisch werden zu wollen, denke ich, dass es nicht falsch ist zu sagen, dass es ohne die Hellenisierung des Nahen Ostens das Christentum nicht gegeben und es den Aufstieg zur Staatsreligion in der Spätantike nicht geschafft hätte.

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