03 – Der Untergang des Westreiches

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Römische Geschichte III: Die Spätantike

03 – Der Untergang des Westreichs

In diesem Podcast werden wir in geraffter Form die Geschichte von Honorius bis zum Ende des Westreichs behandeln. Als Honorius nach dem Tod des Theodosius 395 n. Chr. Kaiser des Westreichs wird, ist er gerade einmal zehn Jahre alt. Ab jetzt gibt es viele Kinderkaiser, die unter der Obhut ihrer Mütter stehen; die Politik wird im Westen meist von germanischen Heermeistern gestaltet. Bis 408 leitet der Vandale Stilicho die Geschäfte, dem Theodosius seine Söhne und auch das Reich anvertraut hatte.
Alarich und seine Westgoten sind neben Hunnen und Marcomannen die größte Bedrohung in jenen Jahren. Hinzu kommen Differenzen zwischen Stilicho und dem Ostkaiser Arcadius, der Alarich sogar zum magister militum per Illyricum macht! Nachdem Alarich in Griechenland geplündert hatte, fällt er 401 in Italien ein, belagert Honorius in Mailand und verheert Norditalien. Rom zieht nun Truppen aus Britannien und vom Rhein ab, was praktisch einer Aufgabe dieser Gebiete gleichkommt. Die gallische Reichspräfektur zieht von Trier nach Arles um, 394 gibt es keinen Kaiserhof in Gallien mehr! Stilicho gelingt es in mehreren Schlachten, die Goten nach Illyricum abzudrängen, der Hof zieht von Mailand nach Ravenna. Die Germanen drängen weiter über den Rhein: Mainz, Worms, Reims und Trier werden von ihnen eingenommen, Gallien wird großflächig geplündert, Burgunder siedeln sich bei Worms an.
407 n. Chr. erhebt sich ein gewöhnlicher Soldat als Constantin III zum Kaiser. Stilicho versucht, Alarich in Illyrien einzubinden, ernennt ihn zum General und gibt ihm den Auftrag, Illyricum für den Westen zu halten. Allerdings fordert Alarich dafür Geld, das Stilicho tatsächlich beim Senat locker machen kann. Allerdings setzt sich am Hof eine germanenfeindliche Richtung durch, Stilicho verliert bei Honorius an Rückhalt. 408 stirbt Arcadius im Osten. Stilicho und Honorius wollen nun nach Osten, um den siebenjährigen Theodosius II in ihre Obhut zu nehmen. Stilicho will, dass Honorius gemeinsam mit dem eingebunden Alarich gegen den Usurpator Constantin III. vorgeht. Es kommt aber zur Meuterei. Freunde von Stilicho werden umgebracht, Honorius wechselt die Seiten und lässt Stilicho fallen, seine Leibwache wird getötet, er selbst sucht Zuflucht in einer Kirche in Ravenna und wird dort ermordet. Das Bindeglied zu Alarich ist nun weg. Honorius lehnt ein Friedensangebot Alarichs ab, worauf dieser 408 Rom belagert. Nach Zahlung einer großen Summe zieht er erst einmal ab, steht aber 409 wieder vor Rom, weil Honorius ihm die geforderte Heermeisterstelle nicht gegeben hatte. Neuerliche Verhandlungen scheitern, so dass Alarich 410 n. Chr. drei Tage lang Rom plündert! Die psychologische Erschütterung im Reich war gewaltig. Rom war zum letzten Mal 387 v. Chr. von den Kelten geplündert worden. Viele Aristokraten fielen in die Hände der Goten, unter ihnen auch Galla Placidia. Zu diesem Zeitpunkt waren die Donauprovinzen und Britannien schon nicht mehr beim Reich, nur in Südgallien und in Spanien fühlten sich einzelne Städte noch als zum Römischen Reich gehörig. Constantin III., der Usurpator, etablierte sich fester in Gallien, Honorius hat keine Handhabe gegen ihn. Allerdings ernennt Honorius einen gewissen Flavius Constantius zum Nachfolger Stilichos. Er hat die Aufgabe, Gallien zurückzugewinnen. Spanien wird bereits unter Germanen aufgeteilt. Constantius wird zum patricius ernannt, ab jetzt bekommt jeder Reichsfeldherr diesen Ehrentitel. 413 lassen sich Burgunder dauerhaft in der Gegend um Worms, Mainz und Speyer nieder.
Der Nachfolger Alarichs, Athavulf, heiratet Galla Placidida und besetzt Südgallien. Die Westgoten ziehen 415 nach Spanien weiter. Als Athavulf 415 stirbt, erlaubt Honorius Constantius, Galla Placidia zu heiraten, und bindet ihn damit fester ans Kaiserhaus. 419 bringt sie Valentinian III. zur Welt.
Kurz zur schillernden Persönlichkeit Galla Placididas: Ihr Vater war Theodosius I., sie war eine Enkelin Valentinians I. und ist ab 419 Mutter von Valentinian III. Constantius weist den Westgoten 418 Siedlungsland in Aquitanien zu, so dass jetzt das Tolosanische Westgotenreich entsteht, das von 418-507 Bestand hat. Auf ehemals römischem Boden leben jetzt Römer unter der Herrschaft gotischer Krieger. Das Beispiel sollte Schule machen. Constantius steigt bis zum zweiten Augustus im Westen auf, seine Frau wird nun Placidia Augusta genannt, doch Constantius stirbt 421. Placidia streitet sich jetzt mit ihrem Halbbruder Honorius und geht mit ihren Kindern nach Konstantinopel. 423 stirbt auch Honorius. Der Westen ist nun kaiserlos bzw. Theodosius II. ist nominell Alleinherrscher, kann aber das Reich nicht alleine verwalten. Galla Placidida will nun in den Westen, doch Theodosius II. blockt das noch ab. Im Westen erhebt sich ein gewisser Johannes als Usurpator. Erst jetzt reagiert Theodosius: Er schickt seine Tante Placidia, deren Sohn Valentinian III. und seine eigene Tochter Licinia Eudoxia, die er mit Valentinian verlobt, nach Ravenna. Die Mitglieder der Kaiserfamilie können sich sogleich durchsetzen, Johannes wird hingerichtet. Bis 455 ist nun Valentinian III. Kaiser im Westen, bis 437 steht er jedoch ganz unter dem Einfluss seiner Mutter. Sie kann nicht verhindern, dass 429 Tausende von Vandalen unter Geiserich in Africa einfallen. Sie belagern 430 Hippo Regius, währenddessen Augustinus stirbt. 439 erobern die Vandalen Karthago, 440 plündern sie Sizilien. Sie finden weder in Africa noch in Sizilien eine römische Gegenwehr vor.
Ab den 420ern steigt Flavius Aëtius auf, ein Römer, dessen Vater schon magister militum war. Es gelingt ihm 429, Reichsfeldherr zu werden, doch er wird mehrmals gegen Bonifatius, den comes Africae, ausgespielt. Er flieht schließlich zu den Hunnen, zu denen er aufgrund seiner Geiselhaft bei ihnen als Kind ein gutes Verhältnis hatte und erzwingt mit einem Heer seine Anerkennung, 433 ist er endlich Heermeister, 435 patricius. Als patricius et magister utriusque militiae ist er bis 454 der starke Mann des Westens.
436/7 werden die Burgunder von den Hunnen überrannt (im Auftrag des Aëtius) und 443 in Savoyen angesiedelt. Diese Niederlage gegen die Hunnen ist übrigens der Kern der Nibelungensage. Aëtius gelingt es, in Italien und Südgallien das Zentrum des Reiches zu bewahren. Mit Geiserich schließt er 435 ein foedus ab. 442 muss Valentinian III. Geiserich als unabhängigen König anerkennen, der auch selbständig Münzen prägt. Der Katholizismus wird im Vandalenreich verboten. Die Vandalen siedeln also nicht mehr nur auf römischem Boden, sondern haben damit ihren eigenen Staat gegründet.
In Spanien herrscht Rom nur noch über wenige Städte im Osten. Im Nordwesten sitzen die Sweben, bald beherrschen sie auch die Baetica und die Carthageniensis, im Osten herrschen die Westgoten. Britannien geht dem Reich bis 450 endgültig verloren. Mehrfach waren in den vergangenen Jahrzehnten Truppen abgezogen worden. Honorius schrieb den Provinzialen sogar, dass er keine Truppen mehr schicken könne. 446 erging ein letztes Hilfegesuch an Aëtius wegen der einfallenden Sachsen, aber Aëtius antwortete gar nicht mehr. In Gallien gelingt es ihm nur, Arles zu halten. Die Franken plündern zum vierten Mal Trier und expandieren nach Südwesten. Obwohl Aëtius einen sehr guten Draht zu den Hunnen hatte, verfing seine Diplomatie bei ihnen nicht mehr wegen Attila. Dieser zog viele Verbündete aus Germanengruppen zusammen und plünderte in den Donauprovinzen. 451 ließen sich er und Aëtius in einen Erbstreit bei den Franken hineinziehen. Ein Bruder bat Attila um Hilfe, der andere Aëtius. 451 kam es zu einer Vielvölkerschlacht auf den Katalaunischen Feldern. Anders als in der älteren Sekundärliteratur dargestellt, war das keine Entscheidungsschlacht zwischen Römern und Hunnen, sondern gemischte Verbände kämpften aus politischen Gründen auf beiden Seiten, so z. B. Frankenverbände. Die Schlacht ging unentschieden aus, die Hunnen zogen aber ab, und Attila war in seiner Stellung stark geschwächt. Die Hunnen zerstörten dann noch 452 Aquileia, doch Papst Leo konnte einen Vorstoß nach Rom abwenden. Attila zog in die Theiß-Ebene, wo er 453 starb. Seine Söhne konnten das Reich nicht mehr zusammenhalten.
Aëtius steht nun am Gipfel seiner Macht. Er stellt sich gut mit den Senatoren und auch mit der Kirche. Er möchte nun auch verwandtschaftliche Bande zum Kaiserhaus knüpfen. Doch Valentinian III. glaubt nun, nach dem Tod Attilas, auf Aëtius verzichten zu können und bringt ihn eigenhändig auf dem Palatin um, 454 n. Chr.. Der Konflikt zwischen Kaiser und Heermeister hat sich also zum dritten Mal wiederholt (nach Valentinian II. – Arbogast 392, Honorius – Stilicho 408). Die Truppen des Aëtius sind entsetzt, in Dalmatien brechen Meutereien gegen den Kaiser aus. Er hatte offenbar seine Position weit überschätzt. Der Schwiegersohn des Aëtius nimmt Rache und ermordet Valentinian III. 455. Ab jetzt trudelt das Westreich dem Untergang entgegen, denn es gibt keinen volljährigen fähigen Herrscher mehr, der die zentrifugalen Kräfte noch einmal zusammenbinden hätte können.
Ab 400 n. Chr. gründen Germanen eigene Reiche auf römischem Boden, die Westgoten und die Vandalen, Britannien geht, wie gesagt, verloren. Die Stellung der germanischen Heermeister wird im Verhältnis zum Kaisertum immer wichtiger, ständige Spannungen waren die Folge. Die oftmals jugendlichen Kaiser waren auf die germanischen Militärs angewiesen, doch ein tieferes Vertrauensverhältnis bestand offenbar nicht. Die Kommunikationswege zwischen Ost und West wurden immer wieder unterbrochen, die Reichshälften lebten sich auseinander.
Nach der Ermordung Valentinians III. 455 wird der Senator Petronius Maximus Kaiser, der Licinia Eudoxia, die Witwe Valentinians, zwingt, ihn zu heiraten, um irgendwie eine dynastische Legitimation zu bekommen. Die Witwe ruft Geiserich zu Hilfe, der sich das nicht zweimal sagen lässt. Maximus wird auf der Flucht erschlagen, Geiserich plündert mit seinen Vandalen Rom 14 Tage lang! Von diesem Ereignis rührt das Wort „Vandalismus“ her. Nach der Plünderung durch die Westgoten im Jahr 410 war dies nun die zweite Plünderung Roms innerhalb von nur 45 Jahren!
Maximus hatte Flavius Eparchius Avitus zum Heermeister ernannt, ungewöhnlicherweise keinen Germanen, sondern einen Gallorömer aus der senatorischen Oberschicht. Er wird schließlich in Gallien zum Kaiser ausgerufen und wartet lange und erfolglos auf die Anerkennung durch den Osten. Geiserich plündert unterdessen mit seiner Flotte die italischen Küsten und erhebt selbst Anspruch auf den Kaiserthron. In den Kriegen gegen die Vandalen kommt der Germane Rikimer nach oben, der Avitus schließlich besiegen kann. Rikimer ist nun der starke Mann im Westen, ein interessanter Versuch startet: Vielleicht kann der Westen ja ohne Kaiser, d.h. nur mit einem Reichsfeldherrn, regiert werden. Leo, der oströmische Kaiser, macht Rikimer jedenfalls zum patricius (457). Rikimer ist es schließlich selbst, der einen Kaiser bestimmt, einen Offizier aus Illyricum namens Flavius Julianus Maiorianus. Der Osten versagt ihm die Anerkennung. Maiorianus ist tatkräftig und regiert 457-461. Er verhandelt mit Burgundern und Westgoten und kann Arles wieder römisch machen (459). Er macht Aegidius zum Heermeister für Gallien und besucht als letzter römischer Kaiser Spanien. Mit Geiserich schließt er einen wenig glücklichen Frieden, so dass Rikimer den Kaiser 461 hinrichten lässt! Aegidius ist nun offen gegen Rikimer eingestellt, der wieder als Kaisermacher fungiert: Er ernennt noch 461 Libius Severus zum Kaiser, der jedoch keinerlei Einfluss mehr hat. Dieser Severus stirbt 465, Aegidius war schon 464 gestorben. Rikimer handelt nun umsichtiger und bittet um einen Kaiser aus dem Osten, damit er auch anerkannt wäre. Leo macht einen gewissen Anthemius zum Kaiser, der seine Tochter mit Rikimer verheiratet. Anders als früher, als die Heermeister ins Kaiserhaus einheiraten wollten, möchte sich nun der Kaiser mit dem Heermeister verbinden, auf den er angewiesen war! Im Westen ist Eurich von 466 bis 484 König der Westgoten. Für ihn spielt das Föderatenverhältnis zu Rom keinerlei Rolle mehr.
Beide Kaiser versuchen, Geiserich zu besiegen, der ständig die Kornzufuhr nach Rom blockierte, doch das Unternehmen misslingt völlig. Auch in Gallien büßt Rom immer mehr die Kontrolle ein, Childerich dehnt das Frankenreich aus, Gundowech das Burgunderreich. Die gallo-römische Senatorenschicht kann sich nur noch in der Provence halten. Wie mit Maiorianus, überwirft sich Rikimer auch mit Anthemius. Ein Neffe Rikimers tötet den Kaiser, Rom wird zum dritten Mal geplündert, doch auch Rikimer stirbt 472.
Nun gibt es für kurze Zeit erst einmal keinen Westkaiser mehr. 473 kommt ein gewisser Glycerius ans Ruder, der vom Osten nicht anerkannt wird; Leo macht sich für Julius Nepos stark, der in Rom auch Kaiser wird. Glycerius wird Bischof. Leo ist schließlich gezwungen, mit Geiserich Frieden zu schließe und das Vandalenreich anzuerkennen. Nepos ernennt in dichter Reihenfolge zwei Reichsfeldherrn, der zweite heißt Orestes und stammt aus Pannonien. Er erhebt sich gegen den legitimen Kaiser Nepos, der flieht und 480 ermordet wird. Der Reichsfeldherr Orestes macht nun seinen eigenen Sohn zum Kaiser, das war ein Schritt, der bislang gefehlt hatte. Doch Orestes bekommt es mit einem starken Germanenführer zu tun, Odoaker, der 476 mit seinen Herulern, Skiren und Thüringern eine gewaltige Landforderung vorträgt: Die Germanen wollen ein Drittel Italiens zugewiesen bekommen, was Orestes ablehnt. Es kommt zum Kampf. Odoaker siegt, erschlägt Orestes und setzt dessen Sohn Romulus Augustulus als Kaiser ab und schickt ihn auf ein Landgut bei Neapel. Odoaker war von seinen Mannen zum König ausgerufen worden, er fühlt sich nicht mehr bemüßigt, einen Kaiser auszurufen, damit endet 476 n. Chr. die politische Geschichte des Weströmischen Reiches, aber natürlich nicht die kulturelle. Für die Zeitgenossen war die Absetzung des letzten römischen Kaisers kein großer Einschnitt, denn auch schon vorher hatten die Kaiser nichts mehr zu sagen, da die Reichsfeldherrn regierten. Odoaker zog hier nur die letzte Konsequenz, indem er den letzten römischen Schattenkaiser absetzte.
482 stirbt der Heilige Severin von Noricum, dem Ododaker begegnet war. Die Donaugrenze ist nicht mehr zu halten, Ufernoricum wird aufgegeben. In der Vita Sancti Severini stellt der Autor Eugippius die Geschehnisse so dar, als ob Odoaker den Rückzug aller Romanen nach Italien angeordnet habe. Der Sarg Severins wird tatsächlich nach Neapel gebracht; viele Menschen mögen ihm gefolgt sein, doch selbstverständlich blieben viele Romanen nördlich der Alpen wohnen. In Gallien expandierten die Franken weiter tatkräftig, 474 wurde Theoderich König der Ostgoten; es ist unklar, warum sie von Pannonien aufbrachen und bald Odoaker gefährlich wurden. In Gallien bildeten die alten senatorischen Eliten nach wie vor eine kulturell bedeutsame Oberschicht. Oftmals bekleideten Männer aus diesen senatorischen Familien das Bischofsamt. Und weil sich die Reichsstrukturen aufgelöst hatten, und sich die Franken auf gewachsene lokale Strukturen verließen, gewannen die Bischöfe als Fürsprecher der Bevölkerung großen Einfluss, wir sind nun also im frühen Mittelalter angelangt.

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02 – Valentinian bis Theodosius

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Römische Geschichte III: Die Spätantike

02 – Valentinian bis Theodosius (364-378, 379-395)

Nach dem Tod Julians wird ein gewisser Jovianus zum Kaiser ausgerufen, der einen sogenannten Schmachfrieden mit den Persern schließt. Er war Christ und erneuerte sofort die Privilegien der Kirche. Er stirbt 364. Der Offiziersrat bestimmt Flavius Valentinianus zum Nachfolger, der noch im Jahre 364 seinen Bruder Flavius Valens zum Augustus erhebt. Die Brüder teilen sich die Verwaltung des Reiches an der Sprachgrenze auf (Große Syrte – Save), Valentinian regiert von Mailand, Paris und Trier aus, Valens von Konstantinopel. Die Reichseinheit bleibt aber gewahrt, alle offiziellen Beschlüsse ergehen im Namen beider Kaiser. Valentinian führt im Westen schwere Kämpfe gegen Franken und Alemannen, auch in Britannien gilt es, das Reich gegen Picten und Scoten zu verteidigen. Der Hadrianswall wird zum letzten Mal befestigt. In Africa greifen Berbernomaden ständig Tripolitanien an, v.a. Leptis Magna hat zu leiden. Valentinian betritt Rom nie und versteht den Senatorenstand nicht, es kommt 368-371 zu Prozessen gegen Senatoren. Die Militärs werden dagegen aufgewertet, die magistri militum werden zu viri ilustrissimi erhoben und mit den Präfekten gleichgestellt. Valentinian ist katholisch, aber religiös ist es im Westen viel ruhiger als im Osten. 375 verhandelt er mit Quaden in Pannonien; er bekommt in diesen Verhandlungen einen solchen Tobsuchtsanfall, dass er an den Folgen eines Blutsturzes stirbt.
367 hatte er aber schon seinen ältesten Sohn Gratian als Achtjährigen zum Mitkaiser im Westen ausrufen lassen. Allerdings hatte Valentinian noch einen zweiten Sohn, Valentinian II., den die Heermeister Merobaudes und Equitius in Aquincum zum Kaiser ausriefen. Valentinian II. war damals erst vier Jahre alt. Gratian, jetzt 16, ist damit einverstanden, das Westreich wird zwischen den beiden Halbbrüdern aufgeteilt: Illyricum, Italien und Africa sollen Valentinian II gehören, Gallien Gratian. Er ist Vormund für seinen Halbbruder. In den Jahren 375-383 regiert Gratian von Trier aus, das jetzt als Hauptstadt eine Blütephase erlebt. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass Gratian von dem Rhetoriklehrer Ausonius erzogen wurde, der seinen Zögling wieder zu einer senatsfreundlichen Politik bewegen konnte. Ausonius gewinnt als Vertrauter des Kaisers besonderen Einfluss am Hof. Er wird quaestor sacri palatii, dann praefectus praetorio und schließlich, 379, Konsul. In die Literaturgeschichte ist Ausonius aufgrund seines berühmten Gedichtes auf die Mosel, Mosella, eingegangen. Während Valentinian und Gratian im Westen die Germanen in Schach halten konnten, hat Valens im Osten große Probleme:
Nach erfolgreichen Gotenkriegen an der unteren Donau in den späten 360ern befestigt Valens die Donaugrenze. Valens ist, wie Constantius II. vor ihm, Arianer, während die drei großen kappadokischen Kirchenväter, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa und Basilius für die Orthodoxie streiten, v.a. Basilius wendet sich persönlich gegen Valens. Er schickt Athanasius zum fünften Mal ins Exil, er darf aber 366 nach Alexandria zurück, wo er 373 stirbt. Unter seinen vielen Schriften ragt besonders die Vita Antonii heraus, die das östliche Mönchtum auch an den Westen vermittelt. Wie Valentianian I. ist auch Valens gegenüber den Heiden tolerant, viel toleranter als es später Theodosius sein würde. Unter dieser offiziellen Ebene konnte Valens jedoch die Fanatiker im Osten, v.a. in Ägypten, nicht daran hindern, in quasi bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen aufeinander loszugehen.
Schwerwiegend für die Folgezeit werden die Probleme mit den Goten. Sie kamen ursprünglich aus Schweden und siedelten ab 200 n. Chr. am Schwarzen Meer. Als die Hunnen, abgelenkt von der Chinesischen Mauer, nach Westen drängten, setzten sie die Goten in Bewegung. Die Ostgoten werden von den Hunnen unterworfen, auch die Westgoten werden vernichtend geschlagen. Sie kommen an die Donau und bitten um Siedlungsplätze innerhalb des römischen Reiches, sie schicken sogar eine Bittgesandtschaft an Valens, der zu dem Zeitpunkt in Antiochia weilt. Valens kamen die Goten nicht ungelegen, sie konnten einen Puffer gegenüber den Hunnen bilden und waren sogar arianischen Glaubens. Valens hat wohl Kontingente erteilt; die Römer wollten beim Grenzübergang zählen, wie viele Goten ins Reich übersiedelten, aber die Grenzposten verloren die Kontrolle: Tag und Nacht setzten die Goten in Schiffen über die Donau über, auch Ostgoten schlossen sich an, das Zählen war unmöglich geworden. Bald kam es auf römischer Seite zu Versorgungsengpässen, die römischen Offiziere waren korrupt, den Goten wurde der Zugang zum Markt von Marcianopel verwehrt, es kam zu ersten Rangeleien. Die Römer machten die Anführer der Goten verantwortlich. Ein comes Thraciae wird jetzt von den Goten geschlagen, sie erbeuten römische Waffen. Die Situation gerät nun allmählich außer Kontrolle. Gotische Hilfstruppen, die seit Jahren in römischen Diensten gestanden hatten, sowie germanische Sklaven schlossen sich den Goten bei Plünderungszügen durch Thrakien an. Valens eilt nach Konstantinopel. Hunnen und Alanen schließen sich nun den Goten an. Gratian möchte zu Hilfe eilen und marschiert nach Osten. Er steht bei Sirmium. Die Heermeister, die er voraussendet, sind noch nicht bei Valens eingetroffen, als dieser, auch aufgrund einer Fehlinformation über die Stärke des feindlichen Heeres und trotz der Warnungen Gratians, auf ihn zu warten, am 9. August 378 die Schlacht bei Adrianopel wagt. Das Westgotenheer war mittlerweile durch den Zustrom von Taifalen, Hunnen, Alanen und Ostgoten zu einer gewaltigen Streitmacht angewachsen, der sich die Römer nicht gewachsen zeigten: Zwei Drittel des römischen Heeres werden aufgerieben, zwei magistri militum fallen, auch Valens findet den Tod. Obwohl die Goten Adrianopel und Konstantinopel nicht erobern können, bedeutet diese vernichtende Niederlage der Römer eine tiefe Zäsur in der römischen Geschichte, vielleicht ist diese Niederlage sogar der Anfang vom Ende des römischen Reiches. Der Osten des Reiches lag nun vollkommen offen, er hat kein intaktes römisches Heer mehr. Manche Althistoriker gehen heute davon aus, dass das römische Reich nicht aufgrund innenpolitischer Strukturdefekte unterging, sondern von außen zerstört wurde, wozu die Goten ganz wesentlich beigetragen hätten. Den Zeitgenossen war die Bedeutung der Schlacht auch bewusst: Ammian vergleicht die Schlacht von Adrianopel mit der von Cannae und beschließt hier sein großes Geschichtswerk, Hieronymus beendet hier seine Chronik.
Die Westgoten beherrschen nun den Balkan. Gratian macht 379 Flavius Theodosius zum neuen Kaiser über den Osten. Sein Vater hatte als Heermeister für Valentinian gekämpft. Er hatte eine immens schwierige Aufgabe zu bewältigen, d.h. die römische Herrschaft auf dem Balkan wiederherzustellen. Die Römer fahren zweigleisig: Immer wieder werden Goten angesiedelt, gegen die Hunnen wird gekämpft. Gratian überstellt Theodosius gallische Truppen; der versucht, wieder ein römisches Heer aufzubauen, für das er auch Goten anwirbt. Auch Veteranen werden wieder einberufen. Theodosius kommt 380 nach Konstantinopel und schließt 382 einen bedeutenden Frieden mit den Westgoten. Goten werden hier zum ersten Mal als freie Krieger auf Reichsgebiet, in Niedermösien, angesiedelt. Sie erhalten Grundbesitz steuerfrei und dienen unter eigenen Anführern. Dafür erkennen sie die Oberhoheit der Römer an, insbesondere respektieren sie den Kaiser als höchste Autorität, dienen aber faktisch ihren Königen. Im Notfall stellen sie Truppen gegen Bezahlung. Faktisch verschwimmen hier Innen und Außen des Reiches, das Beispiel sollte Schule machen.
Theodosius ist erzkatholisch und verzichtet, wie auch Gratian, auf den Titel pontifex maximus. Unter dem Einfluss des Ambrosius hebt Theodosius 379 die von Gratian verkündete Toleranz auf und richtet einen Erlass an alle Völker, zum katholischen Glauben überzutreten. Der Streit um den Arianismus war um diese Zeit schon abgeklungen, Konstantinopel war aber noch in der Hand eines arianischen Bischofs, den Theodosius nun aber ausweist. 381 wird das Nizänische Glaubensbekenntnis von 325 noch einmal für verbindlich erklärt. Im Zweiten Ökumenischen Konzil wird der Patriarch von Konstantinopel denen von Antiochia und Alexandria übergeordnet und nur dem römischen untergeordnet. Ab 381/382 ist das Christentum Staatsreligion, ab jetzt herrscht Glaubenszwang. Es hat also rund 70 Jahre gedauert von der Erlaubnis, Christ zu sein bis hin zur Etablierung des Christentums als verbindliche Religion, die nun daranging, andere Kulte zu unterdrücken.
383 erhob sich ein gewisser Magnus Maximus in Britannien zum Kaiser. Gratian eilt ihm entgegen, wird aber bei Paris von einem Heermeister des Maximus ermordet. Maximus residiert in Trier und kämpft energisch gegen die Germanen. Theodosius anerkennt Maximus in gewisser Weise. Bis 388 regiert Maximus den Westen.
In Italien liefern sich Christen und heidnische Senatoren noch große rhetorische Auseinandersetzungen. Gratian hatte den Victoria-Altar aus der Curie entfernen lassen. Der heidnische Senator Symmachus erbittet nun in seiner Funktion als Stadtpräfekt 384 von Valentinian die Rückkehr des Altares. In seiner berühmten Dritten Relatio begründet der hochgebildete Symmachus mit allen Registern der antiken Rhetorik die Sinnhaftigkeit des alten Glaubens. Er scheitert jedoch am streitbaren Bischof von Mailand, Ambrosius, der dem jungen Kaiser die Exkommunikation androht, sollte er den Heiden in irgendeiner Weise entgegenkommen.
Die Streitigkeiten eskalieren weiter um die Basilica Portiana, denn der Kaiser, der Arianer geworden ist, verlangt ein arianisches Gotteshaus in Mailand. Ambrosius wehrt sich mit allen Mitteln und lässt alle Kirchen Mailands Tag und Nacht besetzen; die Truppen Valentinians II. weigern sich, gegen die Gläubigen vorzugehen, wieder muss der Kaiser nachgeben! Seine Stellung ist in Mailand stark geschwächt, er weicht nach Aquileia aus.
Als Valentinian Probleme mit Barbaren in Pannonien hat, ruft er Maximus zu Hilfe. Weil dieser katholisch ist, schlägt ihm in Italien viel Sympathie entgegen. Valentinian II. sucht bei Theodosius in Thessaloniki Zuflucht. Theodosius rüstet nun zum Krieg gegen den Usurpator Maximus. Theodosius siegt, Maximus wird geköpft. Zum letzten Mal ist die Reichsgewalt in einer Hand, nämlich in der des Theodosius. Jedoch gerät er, wie vor ihm Valentinian II., in Mailand in einen heftigen Konflikt mit dem streitbaren Ambrosius. Ein Bischof am Euphrat hatte eine Synagoge zerstört, worauf Theodosius Schadenersatz für die jüdische Gemeinde verlangte. Nach heftigem Protest des Ambrosius nahm Theodosius diese Schadensersatzforderung zurück. Doch noch Gravierenderes geschah: In Thessaloniki war ein Wagenlenker verhaftet worden, die Fans stürmten das Gefängnis und töteten auch einen Heermeister. Zur Strafe ließ Theodosius tausende Menschen niedermachen. Ambrosius forderte ihn daraufhin auf, öffentlich Buße zu tun. Bis dahin wäre er von der Kommunion ausgeschlossen. Theodosius wollte diese öffentliche Demütigung unbedingt vermeiden, doch es blieb ihm nichts anderes übrig: 390 wurde er wieder zu Weihnachten in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen und kehrte 391 nach Konstantinopel zurück. Die Parallele zu Canossa ist deutlich zu greifen. Die Welt hatte sich grundlegend verändert. Kein römischer Kaiser unter dem Prinzipat war aufgrund religiöser Überzeugungen so in Schwierigkeiten geraten und wurde so von einem Priester gemaßregelt und gedemütigt.
Noch gab es viele Heiden unter den Senatoren und auch unter den Offizieren, die Universitäten waren neuplatonisch geprägt. Christliche Bildungseinrichtungen gab es noch nicht. Theodosius verschärfte nun aber den Kampf gegen die Heiden: Die Ehe zwischen Juden und Christen wird 388 verboten. Opfer und Magie werden unter strenge Strafe gestellt. 391 wird jede Form der alten Religionsausübung verboten. Fanatische Mönche fühlen sich nun den Heiden überlegen und ermuntert, Götterbilder und Tempel zu zerstören. In Alexandria kam es zu schweren Auseinandersetzungen, in deren Folge Theophilos mit seinen Mönchshorden das Serapeion, das Herz der Alexandriner Universität und eines der schönsten Gebäude im ganzen Osten, vollkommen zerstörte. Um diese Zeit kommen altehrwürdige Einrichtungen der alten Religion zum Erliegen, z. B. das Orakel von Delphi, die Olympischen Spiele und auch die eleusinischen Mysterien sowie der Vesta-Kult in Rom.
Doch das Heidentum war immer noch nicht gebrochen. Es kam eher aus politischen Gründen zu einer kurzen Nachblüte. Wahrscheinlich ließ der Heermeister Arbogast Valentinian II. ermorden. Als Theodosius keinen Kaiser nach Westen schickte, machte Arbogast kurzerhand den Rhetor Flavius Eugenius zum Kaiser des Westens. Es war das erste Mal, dass ein germanischer Heermeister einen Kaiser einsetzte. Theodosius ignorierte diese Entscheidung und machte jetzt seinen Sohn Honorius zum Mitkaiser. Arbogast und Eugenius konnten sich der Unterstützung der heidnischen Senatoren versichern. Führend bei dieser kurzen heidnischen Renaissance war der Prätorianerpräfekt Nicomachus Flavianus. Sogar die Victoria wurde wieder in die Curie zurückgebracht. Theodosius rüstet zum Krieg gegen die beiden Herrscher des Westens und überträgt seinem Sohn Arcadius den Osten. Am Frigidus kam es 394 zur Entscheidungsschlacht. Theodosius siegt, Arbogast nimmt sich das Leben, Eugenius wird erschlagen. Das Heidentum war in Gestalt einer politischen Opposition gegen Theodosius zum letzten Mal gescheitert. Honorius kam mittlerweile mit seiner Stiefschwester Galla Placidia in Mailand an, um die Herrschaft im Westen anzutreten. Theodosius starb 395 in Mailand, wo Ambrosius die Leichenrede auf ihn hielt.
Das Konzil von Chalkedon nannte Theodosius 451 n. Chr. zum ersten Mal den Großen. Seine Verdienste sind nicht gering: Es gelang ihm, nach der Schlacht von Adrianopel den Osten zu stabilisieren. Er sah sich als Kaiser des Ostens und stand der valentinianischen Dynastie absolut loyal gegenüber, indem er keine Usurpatoren im Westen akzeptierte. Er handelte immer im Sinne eines dynastisch legitimierten Mehrkaisertums. Bzgl. der Germanen zeichnete ihn Einsicht in das Machbare aus. Die Germanen wurden soweit wie möglich integriert, indem sie Siedlungsplätze zugewiesen bekamen und in die römische Armee aufgenommen wurden. Um den Preis der Unterdrückung Andersgläubiger machte die Festigung des Katholizismus Fortschritte. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb kam es in konservativen römischen Kreisen zu einer Spätblüte des Heidentums in den Kreisen um Symmachus und Nicomachus Flavianus. Bedenklich mutet an, dass Theodosius im Osten den Caesaropapismus mit großer Rigorosität vertreten konnte (allerdings war dieser schon von Constantin vorgeprägt worden), während er sich im Westen mehrmals in demütigender Weise der Kirche beugen musste, was sicher auch mit der überragenden Autorität und Streitbarkeit des Ambrosius zu tun hat.
Nach dem Tod des Theodosius 395 n. Chr. regierte im Westen Honorius, im Osten Arcadius. Wieder handelte es sich um keine Reichsteilung, sondern um eine Kontinuität der Verwaltungsteilung.

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01 – Diokletian, Konstantin und die konstantinische Dynastie

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01 – Diokletian, Konstantin und die konstantinische Wende

Der letzte Soldatenkaiser war der dynamische Diokletian aus Dalmatien, der sich in der Armee hochgedient hatte. Er wird von einem Rat von Offizieren zum Kaiser ernannt und sticht vor dem versammelten Heer einen Konkurrenten nieder, um sich die Herrschaft zu sichern. Er nimmt nun eine folgenschwere Maßnahme vor, indem er seinen Landsmann Maximian zum Mitkaiser macht (285/6 n. Chr.). Er nennt sich selbst so wie seinen Kollegen Augustus. Der Herrschaftsausbau geht weiter. 293 macht Diokletian Constantius Chlorus und Galerius zu Mitkaisern und nennt sie Caesares. Das System der sogenannten Tetrarchie war geboren. Maximian adoptiert Constantius Chlorus als Unterkaiser, Diokletian Galerius. Durch Heiraten werden die Bande zwischen den Tetrarchen gestärkt. Es wird also, unabhängig von leiblichen Geburten, eine fiktive Dynastie aufgebaut. Vorgesehen ist, dass, wenn die Augusti einmal abdanken, die Caesares aufrücken und ihrerseits neue Caesares ernennen.
Obwohl es zu einer Aufteilung nach regionalen Zuständigkeiten kommt, regiert jeder Augustus grundsätzlich über eine Reichshälfte, der jeweilige Caesar hilft ihm dabei. Als das Modell steht, beherrscht Diokletian Thrakien, Kleinasien, Syrien, Ägypten und Libyen, von der Hauptstadt Nicomedia aus. Galerius regiert Illyricum, Griechenland, Dalmatien, Pannonien. Seine Residenzstädte sind Sirmium und Thessaloniki. Maximian ist der Kaiser des Westens, er ist verantwortlich für Italien, Raetia, Spanien und Africa und regiert von Mailand bzw. Aquileia aus. An Constantius Chlorus gehen Gallien und Britannien. Dieses System der Tetrarchie, das aufgrund der Aufgabenteilung tatsächlich zu mehr Effizienz und Stabilität führt (trotz zahlreicher Kriege in Ost und West gegen Sassaniden und Germanen wird die große Krise des dritten Jahrhunderts überwunden), hat jedoch nur kurz Bestand. Die leiblichen Söhne der Tetrarchen sind nicht bereit, auf einen dynastischen Erbanspruch zu verzichten. Der berühmteste Fall ist Constantin, der Sohn des Constantius Chlorus, der sich nicht damit abfindet, im tetrarchischen System übergangen zu werden. Ihm wird es in Bürgerkriegen gelingen, alle Konkurrenten auszuschalten und eine neue Dynastie, die konstantinische Dynastie, zu begründen. Nach dem Adoptivkaisertum des zweiten Jahrhunderts n. Chr. ist also wieder ein Versuch gescheitert, ein leistungsbasiertes Herrschaftssystem zu errichten. Sobald leibliche Erben da sind, setzt sich der mental tief verankerte dynastische Gedanke durch. Auf die einzelnen Usurpationen und die vielen Kaiser und Gegenkaiser der folgenden Jahre kann hier nicht eingegangen werden, nur ein kurzes Schlaglicht: Im Jahre 310 gab es insgesamt sieben Augusti im Reich!
Doch zurück in die 90er Jahre des dritten Jahrhunderts. Am Niederrhein dehnen sich die Franken aus, fränkischen Wehrbauern (laeti) wird Siedlungsland an der Mosel und im späteren Burgund zugewiesen. Das Dekumatenland wird dauerhaft von Alemannen besetzt, die ja schon 213 und 233 eingedrungen waren. An der mittleren Donau wird wie unter Marc Aurel gegen Sarmaten, Jazygen, Goten, Marcomannen und andere gekämpft. Im Osten wird Armenien als römischer Klientelstaat von den Persern anerkannt. Um ca. 300 ist überall im Reich der Frieden, wenn auch ein brüchiger, leidlich wiederhergestellt.
Diokletian unternimmt nun auf vielen Ebenen tatkräftige Reformen, er gilt als einer der größten Gestalter der Antike. Problematisch ist, dass wir oft nicht wissen, ob er oder aber Constantin bestimmte Maßnahmen ergriffen, daher sprechen wir lieber vorsichtiger von den diokletianisch-konstantinischen Reformen. Das Hofzeremoniell wird ausgebaut und entrückt den Kaiser immer mehr von seinen Untertanen: Sein Seidengewand wird mit Gold und Edelsteinen bestückt, Menschen, die sich ihm nähern, müssen ihn als dominus et deus (Herr und Gott) ansprechen und vor ihm die Proskynese, also einen Kniefall vollziehen. In der Zentralverwaltung werden sogenannte scrinia, Spezialabteilungen, eingerichtet, die Provinzialverwaltung wird ganz neu geordnet: Italien verliert seinen Sonderstatus und wird in das Provinzialsystem eingegliedert, der Unterschied zwischen kaiserlichen und senatorischen Provinzen, so von Augustus installiert, fällt nun ganz weg. Die alte Prätorianergarde wird aufgelöst, der praefectus praetorio wird nun höchster ziviler Beamte und ist Stellvertreter des Kaisers. Es gibt demnach vier Reichspräfekturen, verwaltet von je einem praefectus praetorio. Darunter stehen zwölf Diözesen, die von je einem vicarius verwaltet werden. 95-120 Provinzen (das ist übrigens eine Verdoppelung der Provinzzahl im Vergleich zum Prinzipat) werden auf die zwölf Diözesen verteilt. Asia und Achaia unterstehen nach wie vor senatorischen Prokonsuln, alle anderen Provinzen werden von ritterlichen praesides verwaltet. Die Senatoren spielen im Militär überhaupt keine Rolle mehr, die alte Zweiteilung von senatorischer und ritterlicher Laufbahn verschwindet. Dafür wird streng zwischen zivilen und militärischen Funktionen unterschieden. Einhergehend mit der Provinzverkleinerung kommt es zu einer massiven Aufstockung des Heeres von einstmals 300.000 Mann zu nun ca. 500.000 Mann. Es ist nun also ein ganz anderer Zugriff auf die Reichsbevölkerung möglich als vorher. Diese administrative Effizienzsteigerung machte sich v.a. bei der Steuereintreibung bemerkbar, die Klagen der Reichsbevölkerung nehmen in den Quellen merklich zu. Die duces sind Militärkommandeure größerer Grenzabschnitte, sie ersetzen die vorherigen legati Augusti pro praetore.
Auf wirtschaftlichem Gebiet ist die Finanz-, Münz- und Preisreform in ihrer Bedeutung gar nicht zu überschätzen. Wegen der anhaltenden Inflation nimmt Diokletian eine Finanzreform vor, Provinzialprägungen werden verboten, eine einheitliche Reichsprägung wird eingeführt mit 14 Prägestätten. Als Antwort auf die Inflation erlässt Diokletian sein berühmtes Preisedikt von 301 n. Chr., auch Maximaltarif genannt. Die Antike erkennt volkswirtschaftliche Zusammenhänge noch nicht. Der Kaiser ist der Meinung, dass er die Höchstpreise für Waren, Dienstleistungen und Löhne ein für alle Mal festsetzen und damit die Preissteigerungen stoppen kann. Minutiös werden 1400 Preise verzeichnet, für uns eine einmalige Quelle, weil wir die Rangordnungen der Berufe ablesen können. Auch das Steuersystem wird grundlegend reformiert. Die Staatsbetriebe, also Münzen, Legionsziegeleien, Steinbrüche, Waffen- und Textilfabriken nehmen an Zahl zu.
In religiösen Dingen ist Diokletian ein konservativer Hardliner. Als im Kaiserpalast von Nicomedien ein Staatsopfer misslingt, sieht er die Schuld bei Christen, die beim Opfer anwesend waren. In mehreren Wellen kommt es nun zu den massivsten Christenverfolgungen, die es je im Reich gegeben hatte. Kirchen werden zerstört, heilige Schriften verbrannt. Christen verlieren ihre Ämter, Würden und sogar ihre Rechtsfähigkeit. Freigelassene im kaiserlichen Dienst verlieren ihre Freiheit. Kleriker werden ins Gefängnis geworfen und müssen opfern. Wenn sie dies nicht tun, werden sie gefoltert. Schließlich wird ein allgemeines Opfergebot an die gesamte Reichsbevölkerung erlassen mit dem Ziel, die Christen zum Abfall zu zwingen.
Drei Dinge erscheinen mir in diesem Zusammenhang wichtig:
1. Das Rad der Geschichte konnte nicht mehr zurückgedreht werden. Die Christen waren zu weit verbreitet, in allen Regionen des Reichs, in allen Gesellschaftsschichten, Berufen und Altersgruppen. Die Verfolgung war von vornherein zum Scheitern verurteilt.
2. Die Maßnahmen wurden von den Tetrarchen in ihren Reichsteilen höchst unterschiedlich umgesetzt. Während es unter Maximian Prozesse in Italien und Africa gab, ließ Constantius Chlorus nur die Kirchen schließen. Die Verfolgungen endeten erst 311 mit dem Toleranzedikt des Galerius, die meisten Opfer waren übrigens in Ägypten zu beklagen.
3. In der Christenverfolgung des Diokletian greifen wir eine neue Qualität der Begründung. Nero suchte einen Sündenbock für den Brand Roms, Decius handelte aus rein politischen Gründen, er wollte mit dem reichsweiten Opfergebot einen Loyalitätsakt für das Reich erzwingen, die private Religionsausübung war ihm egal. Diokletian will jedoch die Christen zum Abfall zwingen, er handelt wirklich aus religiöser Überzeugung heraus, er entfernt sich daher von der Toleranz des Polytheismus, wie er in der Prinzipatszeit noch vorgeherrscht hat.
Als Diokletian 305 abdankt, geht die Herrschaft nicht reibungslos an die beiden Caesares über. 20 Jahre Bürgerkrieg sind die Folge, an deren Ende es Constantin gelingt, eine neue Dynastie zu errichten. Constantins Mutter war eine Konkubine des Chlorus. Als junger Mann hatte Constantin in der Reiterei des Galerius gedient, der ihn jetzt auch (gegen das Reglement) als Caesar gelten lässt. Auch Maxentius, der Sohn Maximians, macht sich zum Kaiser, d.h. in Italien, wo er große Anerkennung genießt. 308 beruft der alte Diokletian, der um sein Erbe fürchtet, eine Kaiserkonferenz in Carnuntum ein, an der Galerius und Maximian teilnehmen. Maximian wird zur Abdankung bewegt, Maxentius wird nicht anerkannt. Licinius, der vorher nicht auf der Bildfläche war, wird im Westen Augustus. Constantin soll sich mit dem Caesarentitel bescheiden. Galerius und Daia regieren im Osten, Licinius und Constantin im Westen, schwere Konflikte sind vorprogrammiert. Constantin kämpft zunächst gegen die Franken am Rhein, sichert sich dann Britannien und Gallien bevor er nach Italien zieht, um Maxentius in Rom zu bekämpfen. Galerius stirbt 311 und erlässt vorher noch das Toleranzedikt in Serdica. Constantin nähert sich Licinius an, Maxentius verbündet sich mit Daia.
Constantin erringt Siege in Norditalien und marschiert nun in Eilmärschen nach Rom, wo es 312 zur berühmten Schlacht an der Milvischen Brücke kommt. Constantin erringt einen fulminanten Sieg, den er in der Rückschau wohl durch seine Hinwendung zum Christentum als einen Sieg des Christengottes verklärt. Zwei Quellen, von Lactanz und Euseb, schildern die Ereignisse vor der Schlacht unterschiedlich, es ist von einem Traum bzw. von einer Vision die Rede, die Constantin veranlasst haben soll, das Kreuz auf den Schilden der Soldaten anzubringen. Ob es sich hier (und in den Folgejahren) um eine persönliche Bekehrung des Kaisers zum Christentum handelte, oder ob er aus opportunistischen Gründen handelte, so wirkmächtig von Jacob Burkhardt gedeutet, wird sich nie mehr klären lassen. Fest zu stehen scheint jedoch, dass Sol Invictus, der Kult für den Sonnengott, eine Brücke zwischen dem Heidentum und dem christlichen Monotheismus darstellte.
In Rom entstehen die ersten bedeutenden Kirchen, noch vor 315 die Lateranbasilika auf dem Gelände der Kaserne der equites singulares, 324-326 die Petersbasilika auf dem ager Vaticanus. Auf vielfältige Art und Weise unterstützt und fördert Constantin nun in seiner legislativen Tätigkeit das Christentum und die Kirche. 313 trifft er sich in Mailand mit Licinius, Ergebnis ist das sogenannte Mailänder Edikt, das kein wirkliches Gesetz darstellt, sondern eher eine Abmachung. Die Christen werden geduldet, die Verfolgten sollen entschädigt werden. Licinius besiegt den immer noch die Christen verfolgenden Daia und verkündet noch einmal ein Toleranzedikt in Nicomedia, Daia macht es ihm auf der Flucht nach, begeht dann aber bei Tarsos Selbstmord. Constantin ist nun unumstrittener Herrscher im Westen (313-324), Licinius im Osten. 324 kommt es zur Entscheidungsschlacht bei Adrianopel, nachdem vorher auch Phasen des Einvernehmens zwischen Constantin und Licinius geherrscht hatten. Constantin siegt und ist nun Alleinherrscher des Reiches.
Er hatte sich in den Jahren seit 312 immer mehr der Kirche angenähert, konnte aber die innerkirchlichen Zwistigkeiten lange Zeit nicht beilegen, d.h. im Westen den Donatistenstreit und im Osten den Streit um den Arianismus, der mehrmals eskaliert. Arius aus Alexandria war der Meinung, dass Gott Vater und Gott Sohn nicht wesensgleich, sondern nur wesensähnlich seien. Dem widersprach sein streitbarer Widersacher Athanasius heftig. Auch das Reichskonzil von Nicaea 325, das Constantin einberief und persönlich leitete und das die Wesensgleichheit im Glaubensbekenntnis von Nicaea festschrieb, konnte den Konflikt nicht dauerhaft lösen. Mehrmals wurden beide Kontrahenten ins Exil geschickt und auch wieder rehabilitiert. Das Konzil von Nicaea ist jedoch nicht nur bedeutsam für die vielen Beschlüsse, die dort gefasst wurden, sondern auch weil die Rolle des Kaisers als Oberhaupt und Schutzherr der Kirche hier sinnfällig vor Augen trat. Constantin initiiert hier, was man später Caesaropapismus nennen sollte. Die Monarchie wird zum Spiegel des Monotheismus, im Prinzip sind wir hier in einem theokratischen System, in welchem dem Kaiser eine heilsgeschichtliche Bedeutung zukommt. Dennoch dauert die Kontinuität von heidnischen Symbolen weiter an, so ist Constantin immer noch pontifex maximus, vielleicht ein Zugeständnis an die vielen Heiden, die es ja immer noch im Reich gab, insbesondere in der konservativen senatorischen Oberschicht. Auch die alten Staatskulte wurden weiter gepflegt.
326 kommt es zu einer folgenschweren Gewaltorgie in der Familie Constantins. Er lässt seinen Sohn Crispus, seine Stiefmutter Fausta, seinen Neffen und viele „Freunde“ ermorden. Vielleicht fühlte sich der Kaiser in seiner Entourage bedroht durch einen zu ungeduldigen Nachfolger. Als Rom sich geschockt von Constantin abwendet, plant er, eine neue Hauptstadt zu errichten, die seinen Namen tragen sollte. Die Wahl fiel auf Byzanz, das 330 als Konstantinopel eingeweiht wurde. Es unterstand nicht der Provinzialverwaltung, zahlte keine Tribute, hatte einen eigenen Senat, die Bevölkerung wird auch hier mit Getreide versorgt, es handelte sich also um eine Kopie Roms im Osten. Zielstrebig baut Constantin nun seine Dynastie auf zu einem dynastischen Mehrkaisertum: Crispus war vor seinem Tod seit 318 Caesar in Gallien, ab 328 nimmt Constantin II. diese Rolle wahr. Der Neffe Dalmatius regiert über Thrakien und Griechenland. Constantius II. ist seit 335 im Orient, Constans ebenfalls ab 335 in Italien.
Constantin ist es wohl, der die Neudefinition der praefectura praetorii vornimmt und eine neue Garde der scholae aufbaut. Die Trennung von Zivil- und Militärgewalt geht weiter. Grenz- und Feldarmee werden ebenfalls getrennt, hierzu dann mehr in einem späteren Podcast. Constantin führt außerdem neue Steuern ein und ordnet das Steuer- und Geldwesen neu. Viele Gesetze sind christlich beeinflusst, dennoch gilt weiterhin ein brutales Strafrecht. 337 lässt sich Constantin taufen und stirbt kurz darauf.
Constantin ist mit Sicherheit der umstrittenste Kaiser der Spätantike. Unter seiner langen Regierungszeit werden Tendenzen sichtbar, welche die ganze Spätantike prägen sollten, v.a. ein Hang zur Bürokratisierung und Zentralisierung, welche die Reichsspitze immer mehr von der Bevölkerung entfernte. Constantin vermochte es, auch in Folge der diokletianischen Reformen, mehr Ressourcen als je zuvor zu mobilisieren und damit die Grundlagen für ein relativ stabiles 4. Jh. zu schaffen.
Beim Tode Constantins steht die Reichseinheit auf dem Spiel, denn 337 lassen sich alle drei Constantin-Söhne zum Augustus ausrufen. 338 treffen sich die Brüder in Viminacium an der Donau, um den Osten aufzuteilen. Constantin II. geht leer aus, was zu Konflikten führt. Bei Aquileia fällt er. Constans ist fortan Herrscher des Westens, Constantius regiert im Osten. Constans muss ständig mit den Germanen kämpfen und geht 343 nach Britannien, um den Hadrianswall wiederherzustellen. Er ist übrigens der letzte römische Kaiser, der sich in Britannien blicken lässt. Constans ist extrem katholisch, begünstigt die Kirche in vielerlei Hinsicht und verfolgt Juden, Heiden und Donatisten. Insgesamt agiert er wenig glücklich, der Ämterkauf nimmt zu, das Militär behandelt er dilettantisch, die Steuern treibt er hart ein. Als sich ein gewisser Magnentius 350 gegen ihn erhebt, kommt er auf der Flucht ums Leben. Magnentius kann sich im Westen rasch etablieren, auch Italien und Numidien gehören bald zu seinem Herrschaftsbereich. Constantius, der noch im Osten weilt, fühlt sich vom Usurpator herausgefordert und kann ihn in zwei Schlachten schlagen, Magnentius begeht 353 Selbstmord, damit ist die Reichseinheit unter Constantius II. wiederhergestellt.
355 erobern die Franken Köln. Es wird wieder klar, dass sich ein Kaiser nicht um alle Schauplätze gleichzeitig kümmern kann. Constantius erhebt seinen Vetter Julian zum Caesar für Gallien. Als Constantius verlustreiche Kämpfe im Osten führt, fordert er von Julian Truppen an, diese wollen jedoch nicht nach Osten marschieren und erheben Julian zum Gegenkaiser. Doch wir greifen der Entwicklung schon ein wenig voraus.
Wodurch zeichnet sich die Politik des Constantius im Wesentlichen aus? Der Hang zur Bürokratie nimmt zu, wobei er den Einfluss des Militärs zu beschneiden versucht. Die Germanen werden extrem begünstigt und kommen verstärkt über den Rhein, Konstantinopel wird massiv gefördert. Im Osten kommt es durch christliche Fanatiker zu Tempelzerstörungen. Da Constantius selbst Arianer ist, darf Athanasius wieder aus dem Exil zurückkehren, dann wird er wieder abgesetzt, 346 darf er wieder zurückehren, 350 wird er wieder abgesetzt, das Problem der Glaubenseinheit bleibt also virulent. Constantius verhilft den Arianern in Alexandria mit militärischer Gewalt zum Sieg. 359 wird auf einer Doppelsynode unter größten Mühen die Glaubenseinheit wiederhergestellt, doch auf beiden Seiten bleiben viele Bischöfe renitent. Erst Theodosius sollte es 380 gelingen, die Orthodoxie durchzusetzen, Constantius II. wird dann sogar als arianischer Ketzer eingestuft. Die Randvölker werden zunehmend christianisiert, Wulfila missioniert die Goten und tauft sie arianisch. Er übersetzt übrigens die Bibel ins Gotische, Teile dieser Übersetzung sind im Codex argenteus bewahrt, der in Uppsala aufbewahrt wird. 361 befindet sich Constantius noch einmal in Persien, als er sich gegen seinen aufrührerischen Vetter wenden muss, er stirbt 361 im Alter von nur 43 Jahren.
Julian ist nun Kaiser. Er wird auch Apostatata genannt, weil er sich wieder bewusst zu einem neuplatonisch geprägten Heidentum bekennt. Er ist der Enkel des Constantius Chlorus und der letzte Kaiser der konstantinischen Dynastie. In jungen Jahren studiert er griechische Literatur und Rhetorik, liest aber auch die Bibel. Als er von Constantius als Caesar in Gallien eingesetzt wird, ist die Lage desolat. Die Franken hatten Köln erobert, im linksrheinischen Gallien siedelten schon Alemannen. Es gelingt Julian, sie 357 bei Straßburg zu schlagen, den Salfranken überlässt er jedoch Toxandrien. Er stellt die Grenze auf der ganzen Rheinlänge bis Ende der 50er Jahr wieder her und errichtet mit Fleiß und einem asketischen Lebensstil eine funktionierende Verwaltung.
Als Constantius 360 Truppen von ihm anfordert, weigern sich die Foederaten, nach Persien zu ziehen und erheben stattdessen Julian zum Gegenkaiser. Er ist auf dem Marsch nach Osten, als ihn die Nachricht erreicht, dass Constantius in Kilikien gestorben war. Julian wird sofort als Kaiser anerkannt. Er gibt sich als bürgernaher Kaiser in stoischer Tradition des Marc Aurel, damit einher geht eine Vereinfachung des Hofzeremoniells; in seiner Umgebung wird diese Geste der Bescheidenheit nicht mehr verstanden. Er senkt Steuern und erlässt vielen Städten die Schulden.
Am bezeichnendsten für seine kurze Regierungszeit ist die Wiederbelebung des alten Glaubens, wobei er den Christen tolerant gegenübersteht. Tempel werden überall restauriert. Viele Begünstigungen des Klerus werden zurückgefahren. Teilweise kommt es zu Konfiszierungen des Kirchengutes. Er unterstützt auch Sonderkirchen, wie etwa die Donatisten, um Keile zwischen verschiedene kirchliche Strömungen zu treiben. 362 erlässt er sein berühmtes und umstrittenes Rhetorenedikt. Zum ersten Mal mischt sich ein Kaiser in die Lebensführung und die Religionsausübung von Lehrern ein. Sie müssen tugendhaft leben, ihre Lehren müssen mit ihrer Lebenspraxis in Einklang stehen. Eine Gesinnungsethik ist anvisiert, die nun auch Gesinnungsprüfungen nach sich zieht. Julian erkennt, dass die Christen, die Galiläer, wie er sie nennt, v.a. auf sozialer Ebene dem Polytheismus den Rang abgelaufen haben, so initiiert er z. B. den Bau von heidnischen Hospizen. Zum ersten Mal wird im antiken Polytheismus eine soziale Note erkennbar. 363 stirbt er an einer Verwundung an der Perserfront mit nur 32 Jahren. Für die Heiden war das ein schwerer Schlag, hatten sie doch viele Hoffnungen in ihn gesetzt. Der Senat konsekriert ihn sofort, auch seine breite literarische Hinterlassenschaft wird gesammelt. Nach Cicero, Marc Aurel und Augustinus ist er daher die am besten bekannte Persönlichkeit aus der Antike. Julian regierte viel zu kurz als dass man die Früchte seiner Bemühungen hätte erkennen können. Klar ist aber, dass auch er in Bezug auf das Christentum das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen hätte können.

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Quellen-Hinweise
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06 – Die Literatur der Kaiserzeit

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Werner Rieß
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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

06 – Die Literatur der Kaiserzeit

In der Kaiserzeit gelangen alle literarischen Gattungen außer dem Drama zu einer Blüte, und dies sowohl im lateinischen als auch im griechischen Bereich. Es ist hier ganz unmöglich, alle Autoren und Werke auch nur zu nennen, aber es soll zumindest ein erster Einblick in das reiche Schaffen der Literaten in den ersten beiden Jahrhunderten gegeben werden. Ich möchte zuerst auf einige lateinische, dann auf griechische Autoren eingehen. Grundsätzlich gilt, dass sich die anspruchsvolle Literatur der Kaiserzeit auf welche Weise auch immer mit dem neuen Regierungssystem des Prinzipats auseinandersetzt, und die Intellektuellen ganz verschiedene Antworten auf die veränderte Rolle der politischen Eliten finden, denen sie selbst oft angehörten.
Im Bereich des Epos schafft Vergil mit seiner Aeneis zu Beginn des Prinzipats ein Nationalepos, das in seiner Wirkmächtigkeit gar nicht überschätzt werden kann. Er gibt den Römern eine bedeutende mythologische Herkunft (von den Trojanern) und stellt sie damit auf eine Stufe mit den Griechen. Vergil avancierte im Mittelalter zum Dichterfürsten schlechthin. An seinen Texten lernten Generationen von Schülern im Mittelalter Latein.
Im Bereich der Lyrik lotet Horaz mit seinen Oden und Epoden die Grenzen dessen aus, was in der lateinischen Sprache ausgedrückt werden kann. Die Elegien des Properz und Tibull gehören zur Weltliteratur. Ovid hat mit seinen Metamorphosen einen bleibenden Beitrag zur Kanonisierung antiker Mythologie geliefert. Mit seiner schlüpfrigen Ars amatoria zog er jedoch den Groll des Augustus auf sich und musste ins Exil nach Tomi am Schwarzen Meer. Persius, der sich Horaz zum Vorbild nimmt, schreibt sechs glänzende Satiren und verstirbt jung unter Nero. Lucans Pharsalia, eigentlich de bello civili, ist ein grausiges, groß angelegtes Epos über den Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius. Nicht etwa Actium wird gefeiert, sondern Pharsalos kommemoriert, nicht Caesar gehuldigt, sondern der unterlegene Cato. Kühn für ein Epos baut er keinen Götterapparat ein. Möglicherweise da er den Neid Neros auf sich zog bzw. in die Pisonische Verschwörung verwickelt war, wurde er zum Selbstmord gezwungen. Martial aus Hispanien ist der Meister des knappen Epigramms, der bissigen Pointe, der in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts bei allen Kaisern antichambrierte, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Juvenal schließlich ist der Meister der lateinischen Satire. Berühmt ist seine sogenannte Weibersatire, die sich wohl nicht auf alle Frauen, sondern lediglich auf die Angehörigen der Oberschichten bezieht.
Im Bereich der Historiographie schafft Livius, der in augusteischer Zeit schreibt, das, was Vergil in der Epik leistet. Er nimmt die älteren annalistischen Traditionen auf und schreibt die bis heute allgemeingültige Geschichte der römischen Republik als eine Art Nationalgeschichtsschreibung zur Erbauung seiner Leser. Livius‘ Werk überhöht und schönt die römische Frühgeschichte und die Republik, sie stellt die Tugenden der Vorfahren deutlich heraus und will somit für die Gegenwart Exempla liefern. Quintus Curtius Rufus schreibt mit seiner Geschichte Alexanders des Großen in lateinischer Sprache eher Unterhaltungsliteratur. Die Epitome des Florus, der aus Africa stammte, ist ein wichtiges Geschichtswerk hadrianischer Zeit und liefert eine Ereignis- und Kriegsgeschichte der Römer bis Augustus. Der ebenfalls aus Nordafrika stammende Sueton legte eine Biographiensammlung der iulisch-claudischen Kaiser und der Flavier vor, die immer nach dem gleichen Schema aufgebaut sind. Obwohl hier auch viel Klatsch enthalten ist (Sueton schrieb bewusst zur Unterhaltung), sind die Informationen doch eine wichtige Quelle für das erste Jahrhundert und unerlässlich für den Abgleich mit Tacitus und Cassius Dio.
Mit Tacitus greifen wir den Höhepunkt der lateinischen Historiographie überhaupt. Er ist an eine Seite mit Thukydides im griechischen Bereich zu stellen, was stilistische Brillanz, gedankliche Durchdringung des Stoffes, methodische Ansprüche und Wahrheitsanspruch angeht. Quasi als Fingerübung beginnt er mit kleineren Werken, dem Agricola, eine Schrift, die seinem Schwiegervater und dessen militärischen Aktionen in Britannien huldigt, der Germania, einer kurzen ethnographischen Schrift, die ein idealisiertes Germanenbild entwirft, um den dekadenten Römern einen Spiegel vorzuhalten, und schließlich dem Dialogus de oratoribus, im ciceronischen Stil verfasst, der das Wesen der Redekunst unter dem Prinziapt analysiert. Tacitus‘ große Geschichtswerke sind die Historien, in denen der Bürgerkrieg des Vierkaiserjahres geschildert wird sowie die Annalen, welche die iulisch-claudisch Zeit zum Gegenstand haben. Die Annalen stellen unsere Hauptquelle für die römische Geschichte des ersten Jahrhunderts n. Chr. dar. In beiden Werken offenbart sich Tacitus‘ zutiefst pessimistisches Geschichts- und Menschenbild. Er sieht die Strukturschwächen des Prinzipats und bedauert den Verlust der Republik, weiß aber auch, dass das Rad der Geschichte nicht mehr zurückgedreht werden kann. Der nostalgische Blick in die Vergangenheit bringt nichts, denn eine Rückkehr zur Republik würde sofort wieder Bürgerkriege auslösen, nichts wäre gewonnen. Aus dem Dilemma, einer bedrückenden Gegenwart keine Alternative gegenüberstellen zu können, gibt es keinen Ausweg, die Annalen enden in der Aporie.
Kennzeichen der Zeit sind auch Sammelleidenschaft und enzyklopädische Interessen. Immer wieder versuchen Intellektuelle, das Wissen der Zeit zu bestimmten Themen aufzubereiten und somit einen Beitrag zum kulturellen Leben ihrer Zeit zu leisten. Quintilian sortiert und bietet das gesamte rhetorische Wissen der Antike in seiner groß angelegten Ars oratoria dar. Plinius der Ältere legt in seiner Naturkunde, naturalis historia, eine immense Stofffülle zur Natur vor. Aulus Gellius schließlich kleidet als Enzyklopäde das Wissen der Zeit nicht in eine Abhandlung ein, sondern in Gelehrtengespräche, die anlässlich eines fiktiven Gastmahls stattfinden, den sogenannten Noctes Atticae.
Die Epistolographie erreicht in der Kaiserzeit mit Plinius dem Jüngeren ihren Höhepunkt, der uns zehn Bücher Briefe in rhetorisch brillantem Latein hinterlassen hat. Neun Bücher davon sind Privatkorrespondenz, die aber sehr wohl auch zur Publikation gedacht waren und einige Schätze enthalten, so etwa Briefe an Sueton, Tacitus, die Schilderungen seiner Landvillen und, Weltliteratur, die Beschreibung des Vesuvausbruchs und des Todes seines Onkels Plinius des Älteren. Bedeutsam für die Verwaltungs- und Provinzialgeschichte des römischen Reiches ist das zehnte Buch, der Briefwechsel, den Plinius als Statthalter und Sondergesandter des Kaisers in Bithynien und Pontos mit Kaiser Trajan geführt hat. Wir erleben hautnah die Sorgen eines Statthalters, die Themen, mit denen er sich beschäftigen muss und seine Unsicherheiten, deretwegen er sich an den Kaiser wendet. Und spektakulärerweise sind uns hier auch viele Antworten Trajans erhalten, die einzigen direkten Stellungnahmen eines römischen Kaisers zur Provinzialverwaltung, die wir haben. Höhepunkt des zehnten Buches ist der Briefwechsel, den Plinius mit Trajan über die Christenfrage in Bithyinien und Pontos führt.
Mit dem aus Spanien stammenden Seneca greifen wir den bedeutendsten lateinisch schreibenden stoischen Philosophen der Kaiserzeit. Er wirkte als Prinzenerzieher Neros, bis dieser sich von ihm emanzipierte. In seinen Dialogen und Epistulae morales ad Lucilium vertritt er ein humanes und kosmopolitisches Menschenbild. Er sieht z. B. die Sklaven als Menschen an. Aufgrund seiner angeblichen Teilnahme an der Pisonischen Verschwörung wurde er von Nero gezwungen, sich das Leben zu nehmen.
Zeitgenosse Senecas war auch Petron, der als arbiter elegantiae, also als Kenner in Stilfragen, als Party-Organisator am neronischen Hof tätig war. Seine literarhistorische Leistung liegt in der Schaffung des, soweit wir wissen, ersten lateinischen Romans, eines pikaresken Romans, der uns leider nur in Fragmenten erhalten ist. In diesem Satyricon ist der steinreiche Freigelassene Trimalchio innerhalb der Cena Trimalchionis, des Gastmahls des Trimalchio, eine Satire auf ungebildete Neureiche und arrogante Parvenüs, die offenbar typisch für die Zeit waren. In einigen Zügen Trimalchios lassen sich Charaktereigenschaften Neros erkennen, auch die Architektur seiner Villa mit einer drehbaren Rotunde spielt wohl auf Neros Goldenes Haus an. Es ist unklar, ob Nero Teile des umfangreichen Textes kannte und wenn ja, ob er die Anspielungen verstand. Fakt ist, dass auch Petron, wie sein stoischer Gegenpart Seneca, Selbstmord begehen musste. Der zweite lateinische Romancier, dem wir den einzigen vollständig erhaltenen lateinischen Roman, die Metamorphosen oder den Goldenen Esel, zu verdanken haben, ist Apuleius. Aus dem nordafrikanischen Madauros stammend wirkte er später als Anwalt in Rom. Sein Schelmenroman handelt vom jungen und neugierigen Lucius, der aufgrund eines Fehlers bei der Magieausübung in einen Esel verwandelt wird. Als solcher erlebt er mannigfache Abenteuer und schildert uns ein Kaleidoskop von provinzialem Leben in der römischen Kaiserzeit. Im berühmten 11. Buch wird Lucius aufgrund seiner Hinwendung zur Göttin Isis in menschliche Gestalt zurückverwandelt. Der Roman kann auf unterschiedlichste Art und Weise interpretiert werden, v.a. das 11. Buch, das sich mit dem Isis-Kult beschäftigt, gibt nach wie vor große interpretatorische Rätsel auf.
Apuleius gilt als Exponent der sogenannten Zweiten Sophistik im lateinischen Westen. Im griechischen Osten gab es jedoch viel mehr Sophisten, also Intellektuelle, die bewusst die Sprache des klassischen Attisch des 5. und 4. Jhs. v. Chr. nicht nur literarisch, sondern auch mündlich nachahmten. Starredner zogen von Stadt zu Stadt und deklamierten in attischem Griechisch zu klassischen Themen, etwa zu den Perserkriegen, was die Zeitgenossen aber kaum mehr verstanden. Es geht hier beileibe nicht nur um Bildungsdünkel, um die Zurschaustellung der eigenen kulturellen Überlegenheit über die Zuhörer, sondern auch um die Performanz und damit die Affirmation des hohen sozialen Status, den diese Redner genossen. Indem die Zuhörer diese Redner bewunderten, festigten sie deren gesellschaftlich und kulturell überlegene Position. Bedeutende Redner aus Kleinasien, die uns viel hinterlassen haben, sind Dio Chrysostomos und Aelius Aristeides, der einen Lobpreis auf Rom verfasst hat. Philostrat verfasste unter den Severern sogar eine Sammlung von Biographien über die Sophisten und ihre Errungenschaften.
In der Philosophie galt Epiktet als wichtiger Lehrer der Stoa. Sein Handbüchlein der Moral war wichtige Erbauungsliteratur in Spätantike und Früher Neuzeit. Fragmente wurden von Arrian überliefert. Ebenso zur Stoa zählen die Selbstbetrachtungen Marc Aurels, des einzigen Kaisers, von dem wir philosophische Gedankengänge überliefert haben. Marc Aurel rang sich diese unzusammenhängenden und zum Teil auch widersprüchlichen Aphorismen im Feldlager ab, denn die meiste Zeit musste er als Kaiser an der Nordgrenze gegen die Markomannen kämpfen. Eben weil diese Sentenzen private Aufzeichnungen und nicht zur Publikation bestimmt waren, ermöglichen sie uns einen unverstellten Einblick in das Denken Marc Aurels. Führungskräfte von Friedrich dem Großen bis Helmut Schmidt haben die Selbstbetrachtungen immer mit Gewinn gelesen.
Im Osten blühte aber auch die historische Prosa. Arrian beschrieb in seiner groß angelegten Anabasis den Zug Alexanders des Großen. Schon im Titel spielt Arrian auf Xenophons Anabasis an und suchte diese zu übertreffen. Appian schreibt im 2. Jh. 24 Bücher Rhomaika, eine Geschichte der Mittelmeerregionen bis zur römischen Eroberung. Hauptsächlich ist das eine Geschichte Italiens von den Gracchen bis 36 v. Chr. und damit eine wichtige Quelle für die Bürgerkriegszeit. Große Historiker sind weiter Flavius Josephus, der im Jüdischen Krieg die äußerst brutale und folgenreiche Auseinandersetzung Roms mit dem Judentum 66-70 n. Chr. beschreibt inklusive der Zerstörung Jerusalems und des Tempels sowie der Senator Cassius Dio, der unter den Severern eine groß angelegte römische Geschichte schrieb, die neben Tacitus und Sueton unsere Hauptquelle für das römische Kaisertum darstellt.
Besondere Erwähnung verdienen noch Plutarch, Pausanias und Lukian von Samosata. Plutarch war ein Polyhistor, einer der ganz großen Gelehrten des Altertums, der ein beinahe unüberschaubares Werk hinterlassen hat. Historisch wichtig sind v.a. seine Parallelbiographien, in denen er einem großen Griechen jeweils einen großen Römer gegenüberstellt. Auch ihm kommt es auf moralische Geschichtsschreibung an, auf die Zurschaustellung von exempla, anhand derer sich die Leser schulen können. Gerade das Aufeinanderbeziehen von griechischen und römischen Politikern zeigt, wie weit das Reich im zweiten Jahrhundert zusammengewachsen war und zumindest auf kultureller Ebene doch eine gewisse Koine, eine Einheit darstellte.
Pausanias schließlich hinterließ uns in seiner Periegesis kunsthistorische Schilderungen der wichtigsten Denkmäler Griechenlands, die er auf seinen Reisen besichtigte. Er gilt als Baedeker der Antike. Viele Denkmäler, die nicht mehr existent sind, wie etwa die Zeusstatue von Olympia, kennen wir oft nur durch ihn.
Lukian von Samosata am Euphrat ist einer der größten Spötter griechischer Zunge. Im zweiten Jahrhundert reiste er bis Gallien. Er verfasste Satiren, v.a. satirische Dialoge der Götter- und Hetärengespräche sowie Parodien. Weil seine Texte voller Ironie sind, die wir gar nicht immer erkennen, ist die Interpretation seiner Werke bis heute schwierig und oft umstritten.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Literatur der Kaiserzeit in Ost wie West von folgenden vier Zügen gekennzeichnet ist:
1. Einer Auseinandersetzung, oftmals indirekt, mit dem neuen Regierungssystem.
2. Einer akribischen Sammlertätigkeit, die oftmals in Werken von enzyklopädischer Breite dargeboten wird, offenbar um sich des Wissensstandes der Zeit zu vergewissern.
3. Einer eindringlichen Reflexion über die Vergangenheit.
4. Einer oftmaligen Hinwendung zu archaisierenden Themen und Motiven. Das Archaisieren geht oft bis in die Sprache hinein, so dass wir im zweiten Jahrhundert immer noch im Wesentlichen Attisch lesen, obwohl die Menschen bereits ganz anders sprachen. Auch diese thematische und sprachliche Rückschau, bzw. der Konservativismus, der sich hierin ausdrückt, dient wohl der Orientierungsfindung in einer immer unübersichtlicher werdenden „globalisierten“ Welt.

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05 – Die Gesellschaft der Kaiserzeit

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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

05 – Die Gesellschaft der Kaiserzeit

Die römische Gesellschaft war seit den Tagen der Republik eine äußerst konservative Gesellschaft, in der sich sozialer Wandel nur sehr langsam vollzog. Da die Krise der römischen Republik primär eine politische war, änderte sich nur der politische Rahmen dieser Gesellschaft (aus einer Republik wurde eine Monarchie), die gesellschaftlichen Strukturen wurden aber im wesentlich beibehalten und überdauerten die Zeiten bis zu den großen Wandlungen in der Spätantike. Wir wollen uns in diesem Podcast mit den wesentlichen sozialen Gruppen befassen, das wären, von unten nach oben, die Sklaven, die Freigelassenen, die Provinzialen, die freien römischen Bürger, die Munizipalaristokratie, die Ritter, die Senatoren und schließlich das Kaiserhaus, die domus Augusta oder domus principis.
Ganz unten in der gesellschaftlichen Hierarchie standen die Sklaven. Ein Sklave war als Eigentum eines anderen rechtlos, ein bloßes Ding, lat. res. Die Zahl der Sklaven ging zwar im Prinzipat leicht zurück, da es keine Eroberungskriege mehr gab, dafür nahm aber die Zahl der hausgeborenen Sklaven zu, ebenso wohl die Zahl der Selbstversklavungen. Die Kindesaussetzungen taten ein Übriges, die Sklavenzahl relativ stabil zu halten. Wichtig ist, dass, sozial gesehen, die Sklaven keine homogene Schicht bildeten. Grundsätzlich ist zwischen Sklaven auf dem Land und solchen in der Stadt zu unterscheiden. Letzteren ging es in der Regel besser, weil sie einen direkten Kontakt zu ihrem Herrn hatten. Am schlimmsten erging es den Bergwerkssklaven, die, oftmals zur Bergwerksarbeit verurteilt, einen langsamen und qualvollen Tod starben. Auf dem Land waren ihre Einsatzgebiete vielfältig. Die Qualifizierten konnten sich bis zum Verwalter eines Landgutes hocharbeiten. Daneben gab es Experten für Obst-, Wein- und Olivenanbau und die Hirten, die besonders arm waren. Eigene Gruppen bildeten die Gladiatoren, unter denen sich allerdings nicht nur Sklaven, sondern auch Verbrecher und Kriegsgefangene befanden, und die Sklaven am Kaiserhof, die sogenannte familia Caesaris. Von ihnen gab es tausende.
Bei manchen kaiserzeitlichen Autoren findet sich ein Trend hin zur Humanisierung. Vor allem bei Seneca und Plinius dem Jüngeren finden sich verständnisvolle Töne und die feste Überzeugung, dass Sklaven Menschen wie Freie seien. Doch sind diese Stimmen der philosophischen Richtung der Stoa zuzuschreiben und vertreten wohl eine Minderheitenmeinung. Andererseits war das Leben von Sklaven aber nicht nur von exzessiver Brutalität und Ausbeutung geprägt, denn Sklaven waren immer auch teuer und wurden daher durchaus auch als kostbares Gut betrachtet. Eine zusätzliche Dimension der römischen Sklavenhaltergesellschaft stellt das Faktum dar, dass viele Sklavenbesitzer in ständiger Angst vor ihren eigenen Sklaven lebten.
Kommen wir zu den Freigelassenen, den liberti. In der Kaiserzeit nahm ihre Zahl zu, ihre Kinder galten dann bereits als Freigeborene. Viele Sklaven konnten sich durch die Ansparung einer gewissen Summe (peculium) von ihrem Herrn loskaufen, indem sie ihm den Kaufpreis zurückerstatteten. Es gibt fünf Freilassungsformen: Die sehr häufige manumissio testamento, also die Freilassung per Testament, die manumissio censu, vor dem Zensor, die manumissio vindicta, ein fiktiver Freilassungsprozess vor einem Magistrat und dann die häufigen manumissio inter amicos (also mündlich vor Zeugen) sowie die manumissio per epistulam. In den meisten Fällen behielten die Freigelassenen die beruflichen Tätigkeiten bei, die sie auch schon als Sklaven ausgeübt hatten. Das strikte Abhängigkeitsverhältnis zum dominus. zum Herrn, veränderte sich zu einem Klientelverhältnis zwischen Patron und Klient. Der Freigelassene schuldete seinem ehemaligen Herrn lebenslange Treue. Ikonographisch berühmt sind die vielen Freigelassenenreliefs von Ostia aus claudischer Zeit. Stolz zeigen sie den Freigelassenen, der mit seiner rechten Hand die rechte Hand seiner Frau ergreift. Hier wird betont, dass mit der Freilassung aus einem illegitimen Verhältnis zwischen zwei Sklaven eine anerkannte Ehe wurde. Die uxor legitima wird somit auch mit ins Bild gesetzt.
Für die römische Sozialgeschichte wichtig ist die Rolle der Freigelassenen im Kaiserkult. Sie gehören oft den seviri Augustales an. Bedeutenden Einfluss übten begabte Freigelassene zudem manchmal am Kaiserhof aus, nämlich immer dann, wenn der Kaiser den Senatoren misstraute und andere Loyalitäten brauchte, suchte und fand. Dies war unter Nero und Caligula der Fall, aber v.a. unter Claudius, unter dem Pallas und Narzissus teilweise die Regierungsgeschäfte de facto führten. Wieder sieht man, wie bei den Sklaven, dass Rechts- und Sozialstatus nicht unbedingt miteinander einhergingen.
Bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung des Römischen Reiches von ca. 60 Millionen Menschen beim Tod des Augustus waren nur ca. fünf Millionen römische Bürger. D.h. die überwiegende Mehrzahl der Reichsbevölkerung bestand aus freien Provinzialen, auch Peregrine genannt. Je nach Region unterschieden sie sich kulturell stark. Die römische Verwaltung musste sich aufgrund ihrer Ressourcenknappheit nur auf Hauptaufgaben beschränken; dies war die Schaffung von Ruhe und Ordnung, der Schutz von Leben und Eigentum und die Garantie der lokalen und regionalen Selbstverwaltung, auf die Rom unbedingt angewiesen war. In der Praxis bedeutete dies, dass Rom die lokalen Eliten in ihrem Herrschaftsanspruch stützte, Rom also als Garantiemacht der einheimischen Eliten fungierte. Rom legte also nur eine dünne Suprastruktur über die indigenen sozialen und rechtlichen Strukturen, die fortbestanden. Dank der papyrologischen Zeugnisse aus Ägypten erkennen wir, wie sich dort verschiedene Rechtskreise überlagerten, der altägyptische, der ptolemäische und der römische. In Trier wurde bis in die Spätantike hinein Keltisch gesprochen. Besonders in religiösen Dingen übten die Römer völlige Toleranz.
Auf der anderen Seite war progressiv denkenden Einheimischen klar, dass für sie und ihre Söhne ein sozialer Aufstieg nur innerhalb des römischen Systems möglich war. Langsam etablierten sich also römische Strukturen, lernten immer mehr Menschen Latein und bildeten sich regionale Mischkulturen aus, also einheimische Kulturen, die sich mehr oder weniger vom römischen way of life beeinflussen ließen, was wir auch in den archäologischen Quellen sehen. Und da immer mehr Menschen das römische Bürgerrecht erlangten, wurde die Großgruppe der römischen Bürger immer heterogener. Der Endpunkt war schließlich im Jahr 212/13 n. Chr. mit der Constitutio Antoniniana Caracallas erreicht, die allen Reichsbewohnern das römische Bürgerrecht verlieh. Fortan gab es also keine Provinzialen mehr.
Damit sind wir jetzt bei den römischen Bürgern angelangt: Seit den Expansionskriegen der hohen Republik fühlten sich die Römer als etwas Besonderes, sie waren gegenüber den unterworfenen Provinzialen sozial, wirtschaftlich, privat- und auch strafrechtlich privilegiert. Sie genossen aktives und passives Wahlrecht, die Volkstribunen schützten sie vor dem spontanen Zugriff von Magistraten auf Leib und Leben, sie durften an der Kolonisation teilnehmen, nur sie durften in den Legionen dienen, den Eliteeinheiten im römischen Heer, sie bekamen den Großteil der Kriegsbeute und nur sie hatten einen Anspruch auf Getreideversorgung in Rom. Es ist klar, dass diese Privilegien Neid bei den Italikern im 1. Jh. v. Chr. weckten, der sich im Bundesgenossenkrieg entlud. Als wichtigstes Ergebnis dieses Krieges ist festzuhalten, dass alle Italiker auf einen Schlag zu römischen Bürgern wurden. Caesar weitete das Bürgergebiet dann auf Norditalien aus, v.a. um auch dort Legionäre ausheben zu können. Schon vorher konnten Gruppen, die loyal zu Rom standen bzw. Einzelne, die sich um die Sache Roms verdient gemacht hatten, mit dem Bürgerrecht belohnt werden. Hier vermittelten entweder die Statthalter, oder die Militärpotentaten der späten Republik nahmen diese Verleihungen vor. In der Kaiserzeit waren also die Angehörigen der plebs urbana und der plebs rustica Italiens römische Bürger, ferner die Bewohner römischer Kolonien in den Provinzen, alle Legionäre, die Munizipalaristokratie sowie die örtlichen Honoratioren, sofern sie sich für die Sache Roms engagierten. Sobald jemand sich z. B. in einer latinischen Kolonie oder in einem Munizipium, das sich eine „römische“ Verfassung gegeben hatte, in ein Amt wählen ließ, bekam er meist automatisch das römische Bürgerrecht.
Die Munizipalaristokratie organisierte sich in Stadträten und bildete den sogenannten ordo decurionum, dem in den ca. 1000 Städten des Reiches wohl max. 150.000 Mitglieder angehörten. Die Zusammensetzung der Stadträte war äußerst heterogen. Während im römischen Augsburg ein Schweinehändler aufgenommen wurde, wäre das im vornehmen Alexandria undenkbar gewesen. Vor Ort gab es normalerweise eine Volksversammlung, zumindest noch im 1. Jh. n. Chr., welche die Magistrate wählte, die sich im Rat zusammenfanden, dem die Beamten rechenschaftspflichtig waren. Der Weg in den Rat erfolgte über die Bekleidung der städtischen Wahlämter, der sogenannten honores. Um sich zur Wahl aufstellen zu können, musste man freier Bürger der betreffenden Stadt sein, ein Mindestvermögen vorweisen können, in Karthago waren das z. B. 100.000 Sesterzen, andernorts sehr viel weniger, einer ehrbaren Tätigkeit nachgehen und in der Lage sein, vor dem Amtsantritt eine summa honoraria zu zahlen, also eine Art Eintrittsgebühr in die städtische Laufbahn. Die curia vor Ort bildete den Senat im Kleinen ab: Es gab einen Quaestor, einen Ädil und über diesen als eine Art Bürgermeister die duoviri oder auch quattuorviri. Alle fünf Jahre wurden die Oberbeamten duoviri quinquennales gennant, weil sie zensorische Aufgaben zu erfüllen hatten, d.h. z. B. die Bürgerverzeichnisse zu prüfen und die Mitgliedschaften im Rat festzuhalten sowie das album decurionum auf den neuesten Stand zu bringen. Für Canusium in Apulien ist uns aus dem Jahr 223 so ein album decurionum inschriftlich erhalten, das uns einen sensationellen Einblick in die soziale Zusammensetzung eines solchen Stadtrates bietet. Die Dekurionen, also die Mitglieder des städtischen Rates, aus dem sich auch die Magistrate speisten, waren für die städtische Selbstverwaltung zuständig und bildeten somit das Rückgrat der urbanen Kultur des römischen Reiches. Sie garantierten das Funktionieren der Verwaltung vor Ort und wurden von der Zentrale in ihren Privilegien geschützt. Allerdings wurde von den Dekurionen eine enorme Leistungs- und Spendenbereitschaft erwartet. Der sogenannte Euergetismus, die Wohltätigkeit, finanzierte die meisten Annehmlichkeiten vor Ort: Die städtischen Bauten, wie Fora, Bäder und Theater, Getreidespenden, Spiele, die städtische Gerichtsbarkeit, die Entlohnung von Ärzten und Lehrern sowie die Finanzierung ständiger Gesandtschaften an den Statthalter und den Kaiser, um sich den goodwill der Oberen gegenüber der Stadt zu erhalten. Ohne diesen Euergetismus, der über Jahrhunderte funktionierte, wäre die Blüte des Reiches im 2. Jh. nicht denkbar gewesen. Die Mentalität dieser städtischen Eliten unterschied sich von unserer fundamental. Man war stolz, diese Leistungen für die Heimatstadt erbringen zu können, ja man konkurrierte geradezu um diese Ämter, um seine eigene Freigebigkeit (munificentia) unter Beweis stellen zu können. Natürlich erwarteten die Spender und Stifter eine Gegenleistung der Bürger in Form von Dank und Anerkennung, die sich in tausenden von Ehreninschriften mit Ehrenstatuen niederschlugen. Das Studium der Inschriften, also die Epigraphik, hat uns das Funktionieren des Euergetismus gelehrt. Im 2. Jh. wurden jedoch keine Rücklagen gebildet. Die Städte, v.a. im Osten, wetteiferten um die schönsten städtischen Bauten und verschuldeten sich hoch. Immer mehr Belastungen wurden vom Statthalter auf die munizipalen Eliten abgewälzt, sie gelangten an den Rand ihrer finanziellen Belastbarkeit. Gleichzeitig wurden durch die Verleihung von Privilegien immer mehr Gruppen von den Leistungsverpflichtungen (munera) befreit, wie etwa hohe Beamte, Senatoren, langgediente Soldaten und Offiziere, Veteranen, Ärzte, städtisch angestellte Lehrer, Priester u.a.m.. Das heißt, immer weniger Honoratioren hatten immer größere Aufwendungen zu bestreiten. In der ausgehenden Spätantike kollabierte das System schließlich, immer mehr Dekurionen zogen sich in Klöster zurück bzw. konnten die Zahlungen einfach nicht mehr leisten. Als Folge zerfiel langsam auch die städtische Infrastruktur, die antiken Strukturen lösten sich auf.
Als Dekurion konnte man auch in den Ritterstand aufsteigen. Der ordo equester spielte in der Reichsverwaltung eine ganz entscheidende Rolle, denn viele Ritter, wenn auch keineswegs alle, waren im militärischen oder im zivilen Bereich im Reichsdienst tätig. Der Ritterstand war im Gegensatz zum Senatorenstand ein Personenstand, d.h. der Sohn eines Ritters war nicht automatisch Ritter. Er musste sich erst selbst verdient machen, um vom Kaiser in den ordo equester erhoben zu werden. Voraussetzungen waren die freie Geburt seit mindestens zwei Generationen, was oft missachtet wurde, sowie ein Mindestvermögen von 400.000 Sesterzen. Dem Stand gehörten aber nicht nur Menschen an, die sich für den Staat engagierten, sondern auch Großgrundbesitzer, reiche Dekurionen, Literaten, Intellektuelle und Juristen. Martial und Sueton waren genauso Ritter wie Pontius Pilatus und der Jurist Ulpian. Die Zahl der Ritter im Reichsdienst nahm ständig zu, weil die Aufgaben immer mehr wurden. Unter Augustus gab es ca. 300 Stellen für ritterliche Offiziere, im 2. Jh. waren es wohl ca. 500. Die meisten Provinzen wurden jedoch von senatorischen Statthaltern verwaltet. Beim Tod des Augustus 14 n. Chr. standen acht von 31 Provinzen unter ritterlichen Statthaltern, um 150 n. Chr. waren es 13 von 46. Der Reichsdienst begann typischerweise mit den sogenannten tres militiae equestres, also drei aufeinander aufbauenden militärischen Rangstufen. Ab dem 2. Jh. kam noch eine vierte hinzu. Nach dieser langen Zeit beim Militär an den Grenzen folgte der zivile Dienst in einer Vielzahl von Stellen in den Provinzen, wiederum in unterschiedlichen Rangstufen. Die höchsten ritterlichen Ämter waren der praefectus classis, der Flottenkommandant, der praefectus vigilum in Rom (Chef der Nachtwachen und Feuerwehr), der praefectus Aegypti (der Statthalter von Ägypten war seit Augustus grundsätzlich ein Ritter, um den Aufbau senatorischer Macht in dieser reichen Provinz zu vermeiden), der praefectus annonae, der für die Getreideversorgung zuständig war sowie der praefectus praetorio, der Chef der Prätorianergarde in Rom. Statussymbole der Ritter waren der schmale Purpurstreifen an der Toga (angustus clavus), eine Paradadeuniform und Ehrensitze im Theater.
Eine Konkurrenz zu den Senatoren gab es zu keinem Zeitpunkt, im Gegenteil, zahlreiche Ritter- und Senatorenfamilien waren durch Heiraten verwandtschaftlich verbunden. Und somit sind wir auch schon beim höchsten Stand angelangt, beim ordo senatorius. Schon unter Augustus hatten die Senatoren ihre politischen Kompetenzen weitgehend verloren, doch ihr Sozialprestige blieb unangefochten. Eine Million Sesterzen war der Mindestzensus, um in die vornehme Körperschaft aufgenommen zu werden. Wichtig ist, dass sich der Senat seit der Späten Republik immer mehr zu einem Stand entwickelte, ein Prozess der erst in claudischer Zeit abgeschlossen sein sollte, d.h. der Sohn eines Senators gehörte zwar als Minderjähriger noch nicht dem Gremium „Senat“ an, aber er war bereits im Senatorenstand geboren. Auch Frauen gehörten dem Senatorenstand an, ohne der Körperschaft anzugehören.
Nach den wiederholten Säuberungen des Senats durch Augustus und seiner Aufstockung mit Weggefährten und loyalen Freunden gehörten ihm etwa 600 Mitglieder an. Schon unter Tiberius hatten die meisten Senatoren die Republik nicht mehr selbst erlebt. Die Erinnerung an das republikanische Erbe schwand zunehmend. Durch die Bürgerkriege und die Beseitigung von monarchiekritischen Stimmen hatte sich die Zusammensetzung des Senats stark verändert, nur noch ganz wenige Familien konnten sich auf republikanische Vorfahren zurückführen. Doch obwohl der Senat politisch entmachtet war, konnte der Kaiser auf ihn nicht verzichten. Die Senatoren waren es, die für ihn das Reich verwalteten, die, wie oben erwähnt, die meisten Statthalter in den Provinzen stellten und auch die hohen militärischen Kommandos innehatten. Nur bei den Senatoren waren die Bildung und das Know-how vorhanden, den Reichsdienst im Wesentlichen zu tragen. Somit ergab sich eine sensible Balance, welche die Kaiser mit dem Senat erhalten mussten. Auf den eigenen Herrschaftsanspruch wollten und konnten die Kaiser nicht verzichten, aber sie mussten ihn so verbrämen, dass die stolzen Senatoren keinen Anstoß daran nahmen; die Kommunikation musste so subtil sein, dass sich die Senatoren wertgeschätzt fühlten, auch wenn sie de facto die Leitlinien der Politik nicht bestimmen konnten. Bei weitem nicht alle Kaiser beherrschten diesen Drahtseilakt so gut wie Augustus. Die sogenannten schlechten Kaiser, wie Caligula oder Nero, hatten permanent Probleme mit dem Senat und bekamen von diesem schlechte Presse, die bis heute nachwirkt. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass die Senatoren die Geschichtsschreiber waren. Für gut befanden sie die Kaiser, die mit dem Senat gut auskamen, als schlecht, bösartig und geradezu wahnsinnig wurden diejenigen charakterisiert, welche die Rechte des Senats nicht zu achten wussten.
Nach wie vor gab es eine Ämterhierarchie innerhalb des Senats, den cursus honorum, der nun von den Kaisern reguliert und normiert wurde. Die alte republikanische Konkurrenz der führenden Familien um die Ehrenstellungen im Staat fand jetzt unter veränderten Vorzeichen statt. Der Kaiser überwachte diesen Wettbewerb, er legte die Spielregeln des Wettkampfes fest und er traf letztendlich alle Personalentscheidungen, wenn auch zu Anfang des Prinzipats noch Wahlen durch die Volksversammlungen stattfanden (wobei der Prinzeps bestimmte, wer zur Wahl aufgestellt wurde!).
Die Ämter, die die Senatoren bekleideten waren sowohl im militärischen als auch im zivilen Sektor angesiedelt. Sie wurden also in beiden Bereichen ausgebildet. Als Statthalter einer Provinz vertraten sie den Kaiser vor Ort und bildeten somit die militärische, administrative und jurisdiktionelle Spitze einer Provinz. Ronald Syme nannte diese Männer daher treffend all-round gentlemen.
Der Senat war grundsätzlich ethnisch offen. Im Laufe des zweiten Jahrhunderts wurden immer mehr reiche Bürger aus den Provinzen zu Senatoren, v.a. aus dem griechischen Osten. Keine Senatoren sind aus Britannien, den beiden germanischen Provinzen, Rätien und Noricum belegt, offenbar griff die Romanisierung hier nicht so tiefgreifend wie in der Gallia Narbonensis, Hispanien und Kleinasien und Africa.
An der Spitze der Gesellschaftspyramide stand der princeps mit seiner Familie, der domus principis. Beim Kaiser liefen alle Fäden der Politik und der Administration zusammen. Verfassungsrechtlich lässt sich seine Position nur schwer bestimmen. Seine Machtfülle übersteigt die Kumulation von Amtsgewalten, die Augustus vorgenommen hatte. Römisch ausgedrückt besteht die Machtbasis des Prinzeps aus einer Vielzahl von Klientelbeziehungen. Der Kaiser war der oberste Patron der Soldaten, der plebs urbana sowie der römischen Bürger generell und auch der Provinzialen. Eine größere Klientel war nicht vorstellbar. Egon Flaig bezeichnet dieses Reich als ein Akzeptanzsystem. Und um diese Akzeptanz der verschiedenen sozialen Gruppen musste der Kaiser stets bemüht sein. Der Kaiser besaß zudem das größte Vermögen des Reiches und er hatte auch allen militärischen Ruhm auf seine Person monopolisiert. Siege seiner Generäle wurden ihm zugeschrieben. Die Loyalität der Armee wie der Prätorianergarde war die ganz konkrete Grundlage und Absicherung dieser Militärmonarchie.
Und eben weil der Kaiser die soziale wie politische Spitzenposition einnahm, hatte er eine enorme Aufgabenfülle zu bewältigen. Er musste hunderte von Personalentscheidungen im Jahr fällen, eine ausführliche Korrespondenz mit seinen Statthaltern pflegen, mit Hilfe seiner Kanzlei Bittgesuche und Anfragen beantworten, Dutzende von Gesandtschaften empfangen, Entscheidungen über Schenkungen, Stiftungen, Steuererleichterungen und v.a. über Krieg und Frieden treffen. Hinzu kam eine aufwändige Gerichtsbarkeit, denn der Kaiser war oberste Appellationsinstanz. Ein zum Tode verurteilter römischer Bürger konnte immer den Kaiser anrufen. Wir wissen, dass die fähigen und verantwortungsvollen Kaiser rund um die Uhr arbeiteten. Das Funktionieren des Reiches war nur möglich, wenn sich der Kaiser auf fähige und loyale Menschen in seiner Umgebung verlassen konnte, d.h. sowohl in seiner eigenen Famile, der domus principis, als auch im weiteren Umfeld der familia Caesaris, die ein sehr weitgespannter Personenkreis war, der durch die Einbeziehung von kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen tausende von Mitgliedern umfasste. Unter schwachen Kaisern entstand an der Spitze ein Machtvakuum, das sofort von anderen Gruppen ausgefüllt wurde, das waren in erster Linie andere Mitglieder der Kaiserfamilie, v.a. auch ehrgeizige Frauen, und fähige Freigelassene, die die Geschicke des Reiches leiteten, ohne dass es zu größeren Verwerfungen kam. Gefährlich wurde es für den Prinzeps immer dann, wenn er seine Nachfolge nicht selbst regelte, sondern einen Kampf um sein Erbe zuließ. Potentielle Kandidaten und ihre Entourage kämpften dann mit allen Mitteln, die bis hin zum Mord in der kaiserlichen Familie und zum Attentat auf den Kaiser selbst reichten. Dass die existentielle Bedrohung des Lebens des Prinzeps meist nicht von den Senatoren, sondern gerade von seinen eigenen Familienmitgliedern ausging, verdeutlicht vielleicht mehr als alles andere die extrem personale Regierungsform des Prinzipats und die wahren Machtverhältnisse. Die Struktur des Prinzipats wurde nicht in Frage gestellt, der Senat erwog weder die Rückkehr zur Republik noch etwaige Reformen. Schlechte Verhältnisse wurden ausschließlich auf die Person des Kaisers selbst zurückgeführt. Besserung versprach nach dieser Auffassung eben nur seine Beseitigung und Ersetzung durch einen geeigneteren Kandidaten. Angesichts dieser stets labilen Verhältnisse erstaunen die Stabilität und Langlebigkeit des Reiches. Erst mit den Reformen Diokletians wurde das Wesen des Prinzipats grundlegend umgestaltet.

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04 – Das 3. Jh. n. Chr: Severer, Soldatenkaiser, Sassaniden und Germanen

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Werner Rieß
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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

04 – Das 3. Jh. n. Chr.:
Die Severer, Soldatenkaiser, Sassaniden und Germanen

Als Commodus am letzten Tag des Jahres 192 ermordet wurde, wurde noch in der gleichen Nacht der Stadtpräfekt Publius Helvius Pertinax zum Kaiser gemacht. Anfänglich gewann er die Prätorianer wie den Senat durch Bestechung, doch fortan setzte er zum Wohlgefallen der Senatoren auf Korrektheit und Integrität; er wollte sich offenbar von den Prätorianern unabhängiger machen. Diese waren mit dieser Politik nicht einverstanden und töteten ihn nach nur drei Monaten im Amt. Es kam jetzt zu einer der unwürdigsten Szenen der römischen Geschichte überhaupt: Der Prinzipat wurde an den Meistbietenden versteigert! Den Zuschlag bekam der reiche Senator Didius Iulianus, der das Kaisertum für 25.000 Sesterzen pro Prätorianer kaufte. Die Grenzheere lehnten sich dagegen auf: Die syrische Armee erhob Pescennius Niger, das Donauheer setzte auf Septimius Severus, der der Begründer einer neuen Dynastie werden sollte, und Britannien schickte Clodius Albinus in das blutige Rennen um den Kaiserthron. Wieder zeigt sich nach Abbruch einer legitimen Erbfolge, wie beim Ende der iulisch-claudischen Dynastie, dass der Kaiser auf dem Schlachtfeld des Bürgerkrieges gemacht wurde. Auch die Räume der Truppenerhebungen waren ähnlich wie im ersten Jahrhundert, nur dass sich nun die Schlagkraft aufgrund der Markomannenkriege sehr zugunsten des Donauheers verschoben hatte.

Unter den drei Thronprätendenten war Severus wahrscheinlich der fähigste, derjenige, der eine gewisse Vision für das Reich zu haben schien, wie sich an seiner Herrschaft zeigen würde. Severus war kein Unbekannter, er stammte aus einer konsularen Familie aus Nordafrika und war vor seinem Kaisertum Quaestor in der Baetica und auf Sardinien, Legat des Proconsuls in Africa, dann Legionslegat, schließlich Statthalter der Gallia Lugdunensis und ab 191 Legat von Oberpannonien, als ihn die Nachricht von der Ermordung des Pertinax erreichte. Er setzt sich sofort in Marsch, kommt ohne Widerstand bis Ravenna und erreicht im Juni 193 Rom. Iulianus war schon vorher ermordet worden. Nach der Sicherung Roms macht er geschickt den Mitkonkurrenten Clodius Albinus zum Mitkaiser und wendet sich nach Osten, um gegen Pescennius Niger zu kämpfen. Niger fällt in der Entscheidungsschlacht von Issos 194 n. Chr.. Severus drängt nun weiter nach Osten: Er geht über den Euphrat und stößt bis zum Tigris vor. Er nimmt die Siegerbeinamen Arabicus und Adiabenicus an. Doch er kann den Osten nicht weiter sichern, weil sich Albinus im Westen wieder offen gegen ihn wendet. Severus reiht sich fiktiv in die Abstammungslinie Marc Aurels ein, indem er seinen Sohn Bassianus (später bekannt als Caracalla) M. Aurelius Antoninus nennt. Severus zieht in Gewaltmärschen nach Westen, sichert die Alpenpässe und hält sich kurz in Rom auf, bevor es 197 zur Entscheidungsschlacht bei Lugdunum kommt. Albinus verliert die Schlacht und nimmt sich selbst das Leben. Die Bürgerkriege hatten also von 193 bis 197 gedauert.

Auf die weiteren Expansionsbestrebungen im Osten können wir in diesem Rahmen nicht eingehen. Wichtiger ist vielmehr, welche Leistungen Severus für das Reich erbrachte und wie es sich unter seiner Herrschaft veränderte. Viele Entwicklungen weisen auch schon Tendenzen der Spätantike auf. Die alte Prätorianergarde wird aufgelöst und mit Männern aus der Donauarmee besetzt. Das Militär gewinnt generell unter Severus an Bedeutung, der Senat verliert an Einfluss. Der Prinzipat verhärtet sich und wird autoritärer. „Polizeikräfte“ werden aufgestockt und durch gelegentliche Provinzverkleinerungen auch effektiver. Rache an politischen Gegnern wird systematisiert. Am meisten profitieren die Truppen, ihre Lebensbedingungen verbessern sich. Bei der Besetzung von Verwaltungsstellen werden Ritter und Offiziere bevorzugt. In den Grenzräumen reussieren neue Gruppen, die alten Eliten Italiens verlieren an Bedeutung. In einer Abkehr von der augusteischen Politik wird Italien remilitarisiert, die Macht des Kaisers konsolidiert sich weiter. Die Rechtsprechung funktioniert gut, oftmals gibt es Urteile zugunsten der Unterschichten. Gefördert wird v.a. der Urbanismus in Nordafrika, v.a. die Heimatstadt des Severus, Leptis Magna, wo ein Severerbogen, eine neues Forum, eine Basilika und andere Gebäude entstehen. Aber auch in anderen Teilen des Reiches, wie etwa Rätien, scheint der Urbanismus erst jetzt, unter den Severern, den Höhepunkt erreicht zu haben.

Bei Severus‘ Tod in Britannien kommt es sofort zum Konflikt zwischen seinen Söhnen, Caracalla und Geta. Caracalla lässt seinen Bruder 212 ermorden und erlässt noch im selben Jahr, vielleicht um von dieser Untat abzulenken, seine berühmte Constitutio Antoniniana, die alle Reichsbewohner zu römischen Bürgern machte.

Die senatorisch geprägten Quellen überliefern uns wieder einmal das Bild eines verrückten, oder zumindest megolamonen Kaisers. Riesige Bauprojekte, wie etwa die Caracalla-Thermen in Rom, mögen darauf hindeuten. Wenn es richtig ist, dass Caracalla ein Bewunderer Alexanders des Großen war und aus diesem Grund eine Phalanx für den Partherkrieg in historischer Tracht aufstellen ließ, so mutet dies in der Tat bedenklich an. Andererseits ergreift er durchaus sinnvolle Maßnahmen. Außenpolitisch ist auch er aktiv. Er schlägt 213 die Alemannen und lässt den rätischen Limes mit einer Steinmauer sichern. Für mehrere Jahrzehnte herrscht nun Ruhe im Norden. Auf seinem Weg nach Osten lässt er in Alexandria Tausende töten. Sein Partherfeldzug wird zum Fiasko. Seine Werbung um die Königstochter scheitert, 216 öffnet und plündert er die Gräber der Könige von Adiabene. Ein Jahr später wird er völlig überraschend von einem seiner Soldaten getötet.

Der Prätorianerpräfekt Marcus Opellius Macrinus wird für kurze Zeit Kaiser, er erleidet gleich eine Niederlage gegen die Parther bei Nisibis. Die syrische Verwandtschaft des Severus, v.a. die Frauen greifen nun ein in das Spiel um die Macht. Die Schwester Iulia Domnas war Iulia Maesa. Ihre beiden Töchter, Iulia Soaemias und Iulia Mamaea, waren mit Syrern verheiratet. Beide hatten Söhne, Iulia Soaemias den Elagabal, Iulia Mamaea den Severus Alexander. Mit den Frauen kam auch der Kult des syrischen Sonnengottes Elagabal nach Rom und zwar in Form eines großen Meteoriten, dem nun Verehrung gebührte. Doch noch einmal zurück in den Osten: Iulia Maesa verbreitete unter den Truppen das Gerücht, dass Elagabal ein Sohn von Caracalla sei und Bestechungen der Legionäre taten das ihrige, um Elagabal von den Truppen 218 zum Kaiser küren zu lassen. Es kommt zu einem kurzen Bürgerkrieg, in dem Macrinus und sein Sohn den Tod finden. Die Frauen ziehen mit ihren Söhnen in Rom ein. Die Senatoren und Ritter müssen Elagabals Verehrungen des Steins zusehen, er tanzt halbnackt hinter ihm her. Elagabal ist des Weiteren sexsüchtig, macht einen Tänzer zum Prätorianerpräfekten und einen Friseur zum Präfekt der Getreideversorgung. Es kam, wie es kommen musste: Soaemias und Elagabal werden ermordet, der minderjährige Severus Alexander, schwächlich, aber hochgebildet, wird unter der Regentschaft seiner Mutter und eines Staatsrates aus Senatoren und Rittern zum Kaiser. Mamaea hatte aus den Fehlern der Schwester gelernt und erzog ihren Sohn nach griechisch-römischer Manier. Im Juristen Ulpian und im Senator und Geschichtsschreiber Cassius Dio standen Severus Alexander fähige Männer zur Seite.

Rom befindet sich wieder im Zweifrontenkrieg gegen die Alemannen und die Perser. Der erste Sassanide Ardaschir ist ein äußerst dynamischer Herrscher, der bis nach Thrakien vordringen wollte. In Kappadokien plünderten bereits persische Reiter. Nur unter größten Mühen gelingt es Severus Alexander, der das Oberkommando übernimmt, Ardaschir zu schlagen. Doch er muss die römischen Truppen zurückziehen, da es im Norden schwere Germaneneinfälle gab, auf dem Rückmarsch erleiden die Römer enorme Verluste. Severus eilt nach Mogontiacum, dem heutigen Mainz. Er will mit den Germanen verhandeln und bietet auch Tributzahlungen an, doch er hatte ausgespielt, die Truppen wandten sich von ihm ab, Mamaea und ihr Sohn Alexander werden bei Mainz ermordet. Der Anführer der Meuterer, Maximinus Thrax, ein Thraker, wird von den Truppen zum Kaiser ausgerufen. Damit ist die severische Dynastie zu Ende.

In den folgenden Jahrzehnten wird das römische Reich von innen- und außenpolitischen Problemen gebeutelt. Die Forschung hat zwar gezeigt, dass man nicht mehr pauschal von „der“ Krise des römischen Reiches sprechen sollte, denn manche Reichsteile blieben von Verwüstungen verschont, wie etwa Africa, doch sind krisenhafte Phänomene beispielsweise in den Grenzregionen nicht zu leugnen. Das Römische Reich verändert sich in dieser Umbruchsphase. Die Kaiser lösen sich nun in rascher Reihenfolge ab, es sind Truppenführer, die aus der Armee kommen und oftmals Rom nicht einmal gesehen haben. Keinem von ihnen gelingt es aufgrund ihrer kurzen Regierungszeiten (sie sterben alle eines unnatürlichen Todes) eine Dynastie zu errichten. Wir sprechen daher von der Zeit der Soldatenkaiser. Erst am Ende des dritten Jahrhunderts sollte es dann Aurelian und v.a. Diokletian gelingen, die Dinge wieder zu konsolidieren. Und erst mit Konstantin sollte eine neue Dynastie entstehen, doch dann sind wir bereits in der Geschichte der Spätantike.

Betrachten wir nun in aller Kürze die Hauptereignisse zwischen 235 und 284 n. Chr. Wir können nicht auf jeden Kaiser eingehen, Kaiserlisten geben jederzeit Auskunft. Maximinus Thrax, der von den Truppen bei Mainz zum Kaiser ausgerufen wurde, war ein typischer Soldatenkaiser, der Rom nie betreten hat. Er geht brutal gegen die Germanen vor und schafft damit für etwa 20 Jahre Ruhe an der Rheingrenze. Innenpolitisch erhebt Thrax so drastisch die Steuern, dass sich eine Gegenbewegung in Nordafrika formiert, Gordian I. und Gordian II. werden zu Kaisern ausgerufen, können sich aber nicht halten. Der Senat ruft zwei eigene Kaiser aus, Pupienus und Balbinus, die sogenannten Senatskaiser. Maximinus Thrax marschiert nach Süden und belagert Aquileia, die italische Munizipalaristokratie steht geschlossen gegen ihn, er und sein Sohn werden getötet. D.h. alleine auf die Armee gestützt konnte ein Usurpator auch nicht regieren, der Basiskonsens musste breiter sein. Balbinus, Pupienus und Gordian III., der Enkel von Gordian I., ziehen im Triumph ein, doch die beiden Senatskaiser werden im Prätorianerlager ermordet. Gordian III. ist nun kurz Alleinherrscher.

Als der Sassanide Schapur I. 241 eine Großoffensive gegen Rom einleitet, führt ein enger Vetrauter Gordians, Timesitheus, die Gegenoffensive ab 243 recht erfolgreich durch. Doch er stirbt, und Kommandant wird nun der Araberscheich Philippus Arabs, der nun nicht mehr hinter dem Kaiser zurückstehen will. Als die Armee meutert, wird Gordian 244 bei Zaitha erschlagen, damit ist Philippus Arabs Kaiser, ein Orientale, der ganz in seinen Clan-Strukturen denkt und aus Misstrauen vor Fremden Familienangehörigen wichtige Positionen zuschanzt. Diese Vetternwirtschaft wird natürlich genau beobachtet und auch beargwöhnt. Mit Spannung wird er in Rom erwartet. Mit den Sassaniden hat er einen Kompromissfrieden geschlossen, nun bemüht er sich um die Anerkennung durch den Senat. Als Karpen und Goten in das Reich einfallen, kommt es in Folge auch zu Usurpationen. Gegen einen Usurpator in Pannonien schickt Arabs seinen Stadtpräfekten Decius, der Erfolge gegen die Goten erringt. Mit ihm fühlen sich die Soldaten viel mehr verbunden als mit dem Orientalen. 249 küren die Truppen Decius zum Kaiser, es kommt zu einer Schlacht gegen Arabs bei Verona, in der Arabs fällt, sein Sohn wird in Rom ermordet.

Decius war um 200 in Unterpannonien geboren worden, der Senat erkennt ihn sofort an und ehrt ihn. Decius ging in die Geschichte ein aufgrund seiner restaurativen Religionspolitik, die sicher auch den Problemen des Reiches geschuldet war. 250 erlässt er ein Opferedikt für die gesamte Reichsbevölkerung, d.h. jeder Reichsbewohner musste vor einem Standbild des Kaisers ein kleines Opfer darbringen, um religiöse und damit auch politische Loyalität dem Kaiser gegenüber zu bezeugen. Obwohl die Maßnahme nicht per se gegen die Christen gerichtet war, waren sie die Gruppe, die dieses Opfergebot nicht befolgen konnte. Da Nicht-Opfernde mit Schikanen aller Art bis hin zu Folter und Todesstrafe rechnen konnten, kam es de facto zur ersten großen Christenverfolgung.

250 errangen die Goten große Erfolge, sie beherrschten den Balkan. 251 kam es zu einer großen Schlacht bei Abrittus in der Dobrudscha, in der Decius und sein Sohn fielen. Die untere Donau war nun entblößt, die Goten plünderten wie sie wollten und zogen sich dann mit vielen Gefangenen wieder über die Donau zurück. Rom muss zusätzlich Tribute zahlen. In den nächsten Jahren überschlagen sich die Ereignisse, Kaiser lösen sich in schneller Reihenfolge ab, Hostilianus, Trebonianus Gallus, Aemilianus, Valerian, der 253 in Rom einzieht und sehr fähig und hoch respektiert ist. Es brennt an allen Grenzen, er erhebt seinen Sohn Gallienus zum Augustus, Valerian geht in den Osten. Dura Europos geht in erbitterten Kämpfen an die Sassaniden verloren. 260 gerät Valerian in persische Gefangenschaft und wird wohl zu Tode gefoltert. Ein Felsrelief aus Naqsch-i-Rustam nördlich von Persepolis hält die Niederlage Valerians fest.

Die Sassaniden überrennen nun den ganzen Osten, doch einige römische Widerstandsnester können sich halten, z. B. Palmyra. Unter Zenobia dehnt sich der Einflussbereich der Stadt bis zum Bosporus aus, doch das geht nur so lange gut, wie sie Roms Schwäche im Westen ausnutzen kann. Aurelian macht dem Palmyrenischen Sonderreich 271/72 ein Ende.

260 war ein gewisser Höhepunkt der Krise erreicht. Die Gefangennahme Valerians hatte auch die Stellung seines Sohnes Gallienus im Westen stark geschwächt. Es gibt wieder eine große Zahl von Gegenkaisern. Gallienus schickt seinen Sohn Saloninus nach Köln und stellt ihm den loyalen Silvanus an die Seite. Zwischen den beiden und dem Statthalter von Obergermanien, Postumus, entsteht ein Konflikt um Beute. Er belagert Köln, Saloninus und Silvanus werden ermordet, Postumus kreiert sofort ein Gallisches Sonderreich, das ca. 15 Jahre existierte. Postumus war ein ungemein fähiger Herrscher, der die Germanen auf Distanz halten konnte und damit die Gallier aller sozialen Schichten integrieren konnte. Seine Residenzen waren Trier und Köln. Zunächst geht er nicht nach Italien, um Gallienus herauszufordern, sondern bringt zeitweise auch Spanien und Britannien unter seine Kontrolle. Gallienus ist zunächst noch auf dem Balkan und in Ägypten gebunden, ab 263 bricht dann der Kampf zwischen den beiden aus. Gallienus wird von seinen eigenen Leuten getötet, Postumus dann aber auch, weil er seinen Soldaten nicht erlaubt hatte, Mainz nach der Zurückeroberung zu plündern.

Gallienus‘ Kaisertum fällt zwiespältig aus. Er regierte 253-260 neben seinem Vater, von 260-268 dann als Alleinherrscher. Bedeutsam ist, dass seine Militärreform Bestand haben sollte. Die Senatoren verlieren die militärischen Posten, die Rittern anvertraut werden, damit geht ein Machtverlust der Senatoren einher, das Berufssoldatentum gewinnt an Bedeutung. Wie Decius war auch Gallien überzeugter Heide. Die Sonderreiche lösen sich bald danach auf und werden dem Reichsverband wieder eingegliedert.

Unter Claudius Gothicus, der von 268 bis 270 regiert, gelingen einige Erfolge, die Alemannen werden am Gardasee besiegt, ein großer Sieg wird über die Goten im Moravatal errungen, doch Gothicus stirbt in Sirmium an der Pest. Der Senat ruft gleich einen Kaiser aus, Quintillus, der aber bei den Truppe nicht beliebt ist, die Aurelian zum Kaiser küren. Er ist, wie Claudius Gothicus, ein fähiger Kommandeur, der binnen drei Jahren Ordnung ins Chaos bringt, eine enorme Leistung, wenn man bedenkt, dass Germanen bis Umbrien plündernd durchs Land zogen. Sie begingen den Fehler, dass sie sich in kleine Gruppen aufteilten, so dass sie Aurelian leichter ausschalten konnte. Rom wird nun neu befestigt, mit der berühmten Aurelianischen Mauer, die noch heute über lange Strecken gut erhalten ist. Große Probleme gab es aber weiterhin an der Donau, so dass sich Aurelian gezwungen sah, Dakien zu räumen. Südlich der Donau entstehen zwei neue, kleinere Provinzen, Dacia Ripensis und Dacia Mediterrania. 271/72 wird das Palmyrenische Sonderreich wieder eingegliedert, 273/74 das Gallische Sonderreich beseitigt. 274 feiert Aurelian einen großen Triumph mit Gefangenen aus allen Weltteilen, Zenobia und Tetricus sind mit dabei, Aurelian bekommt den Beinamen restitutor orbis, Wiederhersteller des Erdkreises. Doch er wird, eigentlich grundlos, 275 von eigenen Leuten getötet.

Der Senat setzt einen alten Mann ein, einen gewissen Tacitus, der kurz später stirbt. Probus, wie Aurelian ein Illyrer aus Sirmium, kann sich behaupten. Er regiert 276-282 und muss ständig gegen Usurpatoren und Germanen Krieg führen. Schließlich wird er selbst ermordet.

In Rätien wird anschließend Carus ausgerufen, wieder ein Illyrer. Seine beiden Söhne sind Carinus und Numerianus. Carus stirbt unter ungeklärten Umständen im Osten, Numerianus folgt ihm im Osten nach, doch der Prätorianerpräfekt Aper ist der starke Mann vor Ort. Auch Numerian wird ermordert, Aper greift nach der Macht. Doch die Armee unterstützt den Troupier Diokles, den Kommandanten der Leibwache. Er tötet Aper vor der Heeresversammlung, in aller Öffentlichkeit. 285 findet bei Belgrad eine Entscheidungsschlacht zwischen Diokles und Carinus statt. Doch obwohl Carinus siegt, wird er von einem Offizier aus privaten Gründen ermordet, damit ist Diokles Kaiser. Und hier mit dem Kaiser, der sich kurz später Diokletian nennen sollte, beginnt die Spätantike.

Es war nun bei der Ereignisgeschichte des dritten Jahrhunderts viel die Rede von den Hauptgegnern der Römer im Norden und Westen, den Germanen, und den Sassaniden im Osten. Um die Bedrängnis der Römer das ganze dritte Jahrhundert hindurch zu verstehen, müssen wir uns nun ein wenig mit diesen beiden Hauptfeinden befassen.

Kurz zur Geschichte des Ostens: Die persische Dynastie der Achämeniden war im Alexanderzug untergegangen. Um 250 v. Chr. drangen die Parther, ein Reitervolk, aus dem Nordosten ein, das Geschlecht der Arsakiden übernahm die Herrschaft. Religiös waren die Parther tolerant, sie hellenisierten sich zusehends, oftmals tolerierten sie die Präsenz der Römer im Osten, obwohl es immer wieder zu Kriegen und Auseinandersetzungen kam. Die Situation änderte sich grundlegend, als ein gewisser Sasan westlich von Persepolis als Oberpriester den Kult Ahuramazdas in der Tradition Zarathustras zu Beginn des dritten Jahrhunderts pflegte. Das alte religiöse und kulturelle Selbstbewusstsein der Perser erwachte wieder. Sein Enkel Ardaschir betreibt nun eine Dynastiebildung und schlägt den Partherkönig Artabanos V., einen Arsakiden, vernichtend. Zwei Jahre später ist Ardaschir König, die alten persischen Traditionen werden wiederbelebt. Ardaschir I (224-241) und Schapur I (241-272) sind äußerst dynamische Herrscher, die ein Großreich errichten, das bis an den Aralsee und weit ins heutige Pakistan hineinreichte. Schapur I. dehnte den Einflussbereich der Sassaniden sogar bis an den Indus aus. Dieses neupersische Reich hatte bis zum Vordringen des Islam im 7. Jh. Bestand.

Religiös sind die Sassaniden intolerant, sie verfolgten Andersgläubige; Feueraltäre spielen eine große Rolle, die auch auf Münzen abgebildet werden. Vom Aufbau ihrer Gesellschaft wissen wir wenig. Offenbar behielten einige parthische Adelsfamilien, die sich mit dem neuen Regime arrangierten, ihre gehobenen Stellungen bei. Alles war zentralistisch auf den König hin ausgerichtet, straffer als bei den Parthern. Sieben besonders herausgehobene Familien bildeten die Hocharistokratie. Den Römern lehrten sie durch die Panzerreiterei das Fürchten. Sie hatten die Kataphrakten, die Panzerreiter, von den Parthern übernommen, aber weiterentwickelt. Militärisch waren diese den Römern meist überlegen.

Im Westen ist die bedeutendste Entwicklung, dass sich Germanengruppen zu neuen Großverbänden zusammenschließen, den Alemannen, Franken und den Goten. Der erste Einfall der Alemannen ins Dekumatenland erfolgt 213. 233 erfolgt der nächste Einbruch in die römische Provinz Rätien bis zum Bodensee und nach Oberschwaben, und dieser Einfall der Alemannen stellte eine Zäsur dar. Zwar werden die Alemannen zurückgedrängt, aber das Dekumatenland ist nun nicht mehr rein römisches Siedlungsgebiet, die Herrschaft der Römer geht im Südwesten Deutschlands allmählich verloren, 259/60 gibt es keine römische Defensive mehr. Die Alemannen stehen 260 sogar vor Mailand, wo sie aber von Gallienus zurückgedrängt werden. Die Siedlungsstruktur ändert sich. Die Menschen siedeln nun oft in befestigten Höhensiedlungen, die großen Lager haben ausgedient, die Römer setzen nun auf kleinere Verbände, die auch im Hinterland als mobile Eingreiftruppen dienen können. Die militärischen Strukturen der Spätantike deuten sich hier schon an.

Am Niederrhein schließen sich Brukterer, Chamaven und Salier zum Großverband der Franken zusammen. Um 230 und 250 stehen sie am Mittelrhein, werden aber von Postumus zurückgedrängt. Sie zerstören Utrecht, und es gelingt ihnen die Ansiedlung auf linksrheinischem Gebiet. Zahlreiche Einfälle in Gallien zerstören teilweise die römische Kultur. An der unteren Donau sind die Karpen gefährliche Gegner, doch weit gefährlicher und für die Zukunft bedeutsam sind die Goten. Die Gotenzüge stellen die vierte Migrationswelle skandinavischer Völker dar, die schon am Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. begonnen hatte. Im dritten Jahrhundert n. Chr. trennt der Dnjestr die Ostgoten von den Westgoten. Um 250 siedeln sich Goten auf der Krim an, die sog. Krimgoten. Im Kontakt mit den Jazygen und den Alanen entwickeln die Goten eine schlagkräftige Reiterei. Von nun an fallen die Goten ständig ins Römische Reich ein, all das, noch einmal, parallel zu den Einfällen von Franken und Alemannen im Westen und der ständigen Bedrohung durch die Sassaniden im Osten. Die Goten plünderten schließlich auch in Griechenland, die römische Ordnungsmacht drohte sich im dritten Jahrhundert im Osten bereits aufzulösen. Die Römer müssen weitreichende Zugeständnisse machen: Sie zahlen Tribute an die Goten, ziehen sich aus Dakien zurück und siedeln teilweise Germanen im Grenzgebiet an. Die römischen Städte verändern ihr Bild, viele Städte werden nun aufgrund der unruhigen Zeiten befestigt, so Straßburg unter Konstantin oder auch Rom durch Aurelian mit der Aurelianischen Mauer. Vor allem in Italien (Pisaurum, Verona) und Griechenland verschanzen sich viele Menschen hinter Mauern. Das bedeutet vielerorts einen Bruch mit der offenen Siedlungsweise der römischen Kaiserzeit. Auch hier deuten sich im Leben der Menschen bereits Tendenzen der Spätantike an.

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03 – Die Adoptivkaiser

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Werner Rieß
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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

03 – Die Adoptivkaiser

Mit der Ermordung Domitians war die flavische Dynastie zu Ende. Der alte Aristokrat Nerva wurde zum Kaiser ausgerufen, hatte aber eine schwache Stellung, so dass er den jungen und fähigen Trajan 97 n. Chr. adoptierte, der zu der Zeit Statthalter von Obergermanien war. Er stammte gebürtig aus Italica in der Baetica, war aber kein Provinziale, sondern gehörte einer italischen Kolonistenfamilie an, die von Scipio 205 v. Chr. dort angesiedelt worden war. Seinen Aufstieg hatte er beim Militär gemacht. Als Nerva 98 starb, trat Trajan nahtlos die Nachfolge an. Trajan konnte keine dynastische Legitimation vorweisen, daher wurde die Adoption durch Nerva ideologisch verbrämt, der Beste solle von nun an immer Kaiser werden. Plinius der Jüngere sollte in seinem großen Panegyricus auf Kaiser Trajan diese Ideologie des Adoptivkaisertums literarisch ausgestalten. Dass die nächsten Kaiser, Hadrian, Antoninus Pius und Marc Aurel alle von ihren jeweiligen Vorgängern adoptiert wurden, ist jedoch nur auf den historischen Zufall zurückzuführen, dass sie keine männlichen Erben hatten. Der erste Kaiser, der wieder einen Sohn hatte, Marc Aurel, wich dann sofort von der Ideologie des Adoptivkaisertums ab und designierte wie selbstverständlich seinen Sohn Commodus als Kaiser.
Doch zurück zu Trajan: Um sich von Domitian zu distanzieren, betonte Trajan die alten Tugenden der Bescheidenheit und Mäßigung und setzte auf ein gutes Einvernehmen mit dem Senat, der allerdings de facto nichts mehr zu sagen hatte. Das Postulat, dass der Beste zum Kaiser gekürt worden war, setzte Trajan natürlich unter Erfolgsdruck und löste einen gewissen Aktionismus bei ihm aus. In mehreren Kriegen mit schweren Verlusten auf römischer Seite werden die Daker unterworfen und weite Gebiete im Osten annektiert. Der Dakerkönig Decebalus hatte nach dem Tod Domitians expandiert. Trajan wollte diesem Expansionsdrang ein für alle Mal einen Riegel vorschieben und, wenn möglich, die römische Herrschaft bis zum Karpatenbogen vorschieben. Damit wäre dann die Kontrolle des Vorfeldes der Donau gut möglich gewesen; die Vorfeldkontrolle entsprach guter alter römischer Tradition. Trajan zog enorme Truppenstärken zusammen, offenbar zielte er auf eine dauerhafte Lösung ab, die wohl die Zerschlagung des Dakerreiches zum Ziel hatte. Dementsprechend erbittert fiel der Widerstand des Decebalus und der Daker aus. Das Ende des ersten Dakerkrieges bedeutete nur einen Waffenstillstand, eine Etappe für die weiteren Auseinandersetzungen. Schon 105 brach der zweite Dakerkrieg aus, der mit größter Erbitterung geführt wurde. Decebalus und viele seiner Getreuen begingen Selbstmord, 106 wurden die letzten Widerstandsnester ausgehoben. Dakien, das nun fast menschenleer ist, wird sofort provinzialisiert, römische Veteranen werden angesiedelt, was den Grundstein für die spätere romanische Sprache Rumänisch bildete. Die Beute aus den Dakerkriegen war enorm, Trajan veranstaltete prächtige Spiele in Rom und lancierte ein großes Bauprogramm, er stand am Zenit seiner Macht.
Gleich danach, schon im Jahr 106, wendet sich Trajan nach Osten. Als der letzte nabatäische König stirbt, besetzt Trajan das Land ohne auf Widerstand zu stoßen und richtet die Provinz Arabia ein. Damit war das Vorfeld von Ägypten und Syrien gesichert. Bei allen Kolonisationsbestrebungen in Dakien und auch in Nordafrika ließ Trajan Italien nicht zu kurz kommen: Er legte fest, dass jeder, der sich um eine Magistratur in Rom bewirbt, ein Drittel seines Grundbesitzes in Italien anlegen musste, um eine gefühlsmäßige Verbindung zum Kernland herzustellen. In Rom selbst schuf Trajan Großbauten, wie etwa das Trajansforum mit Reiterstandbild und der berühmten Trajanssäule. Der Hafen von Ostia wurde ausgebaut, ein reichsweiter Straßenbau setzte ein. Der Briefwechsel mit Plinius dem Jüngeren, der in Bithynien und Pontos als Statthalter Sonderaufgaben im Auftrag des Kaisers übernahm, zeigt, wie involviert Trajan in die Provinzialverwaltung war.
Ab 110 beginnen dann die großen und verlustreichen Offensiven gegen die Parther. 114 werden Großarmenien, Kleinarmenien und Teile Kappadokiens zur Provinz Armenia vereinigt. Trajan nennt sich jetzt optimus princeps, also bester Prinzeps. 115 wird Mesopotamien angegriffen und provinzialisiert; Trajan nennt sich jetzt auch Parthicus. Trajan zieht weiter den Tigris hinunter, besetzt Assur und Babylon, schließlich auch Seleukia und Ktesiphon. Man ist drauf und dran, die Provinz Assyria einzurichten. Trajan stößt sogar zum Persischen Golf vor, als im Rücken schwere jüdische Aufstände losbrechen, deren Auslöser wir nicht genau kennen. In Nordmesopotamien bricht die römische Herrschaft zusammen; Einheimische, Juden und Parther hatten sich gegen Rom verbündet. Trajan reagiert mit äußerster Härte, doch die Römer werden von den Parthern besiegt, Besatzungen werden vernichtet, Trajan muss sich aus Mesopotamien zurückziehen; ganz klar hatte Trajan die Kräfte des Reiches überspannt. Alle römischen Truppen müssen für die Niederschlagung des jüdischen Aufstands eingesetzt werden. Trajan erkrankt schwer, schafft es noch bis Kilikien, stirbt dann aber 117 in Selinunt. Die Einschätzung Trajans muss zwiespältig ausfallen: Er war einer der größten Militärs, die Rom je hatte, ihm gelang es nach den Flaviern, das Reich wieder zu stabilisieren, den Senat zu achten, Dacia und Arabia als Provinzen einzurichten und eine neue Herrschaftsideologie aufzubauen; er war in allen Schichten anerkannt. Auf der anderen Seite scheiterte er im Osten, insbesondere im Umgang mit den Juden. Er überspannte die Ressourcen des Reiches, worunter die Nachfolger noch zu leiden hatten. Weitere Expansionen im Osten (unter Marc Aurel, den Severern, den Soldatenkaisern und Julian) scheiterten ebenfalls.
Hadrians Adoption durch Trajan, für die es keine Beweise gibt, wurde in Antiochia bekannt gegeben. Auch Hadrian war in Italica geboren. Obwohl ihn Trajan systematisch aufbaute und förderte, blieb eine gewisse Fremdheit zwischen den beiden, da Hadrian mehr literarisch-philosophische Interessen als Trajan hatte. Die Abwendung von der Expansionspolitik Trajans erfolgte sogleich: Mesopotamien wird aufgegeben, Armenien wird wieder zum Klientelstaat und ist damit keine römische Provinz mehr. Diese Beschränkung entsprang sicher Hadrians Realismus, er sah ein, dass die Ressourcen Roms endlich waren. Hadrians Grenzkonzeption ist defensiv. Der Limes in Obergermanien ist eine Demarkationslinie, 122 beginnt man mit dem Bau des Hadrianswalles, der befestigter und geschlossener ist als der germanische Limes. Für die Weggefährten Trajans, v.a. die Militärs, stellte diese Abwendung von den trajanischen Prämissen nicht nur eine herbe Enttäuschung dar, sondern sogar Verrat, so dass sich eine Verschwörung, die sogenannte Verschwörung der vier Konsulare, gegen Hadrian bildete, die jedoch durch Hinrichtungen unterdrückt werden konnte.
Für die Moderne bleibt Hadrian vielleicht der schillerndste Kaiser: Er konnte als Militär äußerst brutal vorgehen, wie wir noch sehen werden, gleichzeitig war er sensibel und hochgebildet, viele nannten ihn verächtlich Graeculus, Griechling, auch deshalb, weil er im Gegensatz zum glatt rasierten Trajan den griechischen Philosophenbart trug. Er bestieg sogar den Ätna, um den Sonnenaufgang zu erleben, ein romantischer Zug, der den Zeitgenossen fremd war.
Hadrian wollte die griechische und lateinische Reichshälfte gleichermaßen fördern; unter ihm wuchsen Ost und West eigentlich erst richtig zu einem einheitlichen Reich zusammen. Innere Konsolidierung war ihm wichtiger als außenpolitische Expansion. Seine nie versiegende Neugier und seine Sorge um das Reich machten ihn zu dem Reisekaiser der römischen Geschichte: Von 21 Regierungsjahren verbrachte er nur neuneinhalb in Rom und Italien. Den Rest der Zeit lernte er die Weiten des Reiches aus eigener Anschauung kennen, kümmerte sich um die Verwaltung und die Rechtsprechung, inspizierte aber auch die Truppen, die er in ständiger Alarmbereitschaft hielt. Hadrian feiert seine Herrschaft als goldenes Zeitalter, die Münzen sprechen von pax, iustitia, clementia, mehr als zuvor.
Die Schattenseite ist, dass Hadrian, der weltoffene Kosmopolit, mit dem Judentum nicht zu Rande kam. Der Bar Kochba-Aufstand (132-135 n. Chr.) in Palästina gehört zu den schwersten Herausforderungen seiner Regierungszeit. Nur unter großen Opfern und mit äußersten Mühen gelang es den Römern, die Juden ein letztes Mal niederzuringen; es handelte sich um einen regelrechten Vernichtungskrieg, den die Römer gegen die jüdischen Partisanen führten. Sie verloren endgültig ihr geistliches Zentrum Jerusalem, das Hadrian in Aelia Capitolina umbenannte; an Stelle des jüdischen Tempes wurde ein Jupiter-Tempel gebaut. Die Juden wurden zu tausenden versklavt und deportiert, für die Juden beginnt jetzt endgültig die Zeit der Diaspora. Judaea wird als Provinz Syria Palaestina eingerichtet, Hadrian nimmt eine zweite imperatorische Akklamation an, hält aber bezeichnenderweise keinen Triumphzug ab.
Hadrian schuf durch die Ausdifferenzierung des Ritterstandes eine regelrechte Beamtenhierarchie. Einer der beiden Prätorianerpräfekten, die Ritter waren, musste nun Jurist sein. Hiermit legt Hadrian den Grundstein für die Systematisierung des römischen Rechts, v.a. des Privatrechts, das später in den Digesten gesammelt werden sollte. Es galt zunehmend das Leistungsprinzip. Der Übergang vom Ritter- in den Senatorenstand wurde systematisiert und erleichtert.
In Rom und Athen errichtet Hadrian Repräsentativbauten, das Pantheon erhält seine endgültige, heutige Form, die Engelsburg wurde sein Mausoleum. Die Villa Adriana in Tivoli bildete die bedeutendsten Bauten des Reiches in einer mediterranen Parklandschaft en miniature ab. Noch heute zeugen die Ruinen von der einstigen Atmosphäre dieser einzigartigen Anlage, die das Reich im Kleinen abbilden sollte. Hadrian wird schließlich schwer krank und zieht sich nach Tivoli zurück. Er adoptiert schließlich Antoninus Pius, einen älteren und anständigen Senator, und zwingt ihn, seinerseits Marc Aurel und Lucius Verus zu adoptieren. Hadrian stirbt schließlich 138 n. Chr.
Der erfahrende Senator Antoninus Pius stammte aus einer Großgrundbesitzerfamilie, er hatte als Jurist eine reine Zivilkarriere durchlaufen, schon gleich ab 138 führt er den Beinmanen Pius. Es beginnt nun eine Zeit der weiteren Konsolidierung und Friedenspolitik, die Hadrian offenbar so wichtig war, dass er in Antoninus Pius sein Erbe gewahrt sah. Die römische Administration, Finanzverwaltung und auch Provinzialverwaltung erreichen nun gemeinsam mit der römischen Jurisprudenz ihren absoluten Höhepunkt. Antoninus Pius setzte auf Kontinuität, wenn sich Dinge bewährten. Fähige Statthalter und andere Magistrate behielt er im Amt. Pius enthält sich größerer militärischer Aktionen; an den Grenzen strebt er oft nach der kürzeren Linie, die manchmal militärisch wenig Sinn machte. Der Antoninuswall schob die römische Nordgrenze in Britannien ca. 160 km über den Hadrianswall hinaus, der aber weiter besetzt blieb. Der schnurgerade äußere Limes in Obergermanien führte durch dichten Nadelwald und war wohl eher eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Truppen als zu Verteidigungszwecken gedacht. Pius verließ ganz im Gegensatz zu seinem reiselustigen Vorgänger Italien nie. Offenbar erwartete die Bevölkerung keine Expansion mehr, keine Erweiterung des pomerium, der traditionellen Stadtgrenze Roms, sondern die Garantie von Frieden und Glück. Für Karl Christ ist hier der Höhepunkt des Prinzipats erreicht. Antoninus Pius starb einen ruhigen Tod und wurde in der Engelsburg beigesetzt, seine Konsekration geschah mit allgemeinem Konsens.
Mit dem Amtsantritt Marc Aurels 161 wurden nun Probleme virulent, von denen Antoninus Pius noch verschont geblieben war. Zeit seines Lebens musste Marc Aurel einen Zweitfrontenkrieg führen, an der Donau gegen die Markomannen und andere Germanenstämme, im Osten gegen die Parther. Seiner Natur nach war Marc Aurel aber sensibel und philosophisch orientiert, er durchlitt eher sein Kaisertum und empfand es also große Bürde und Verpflichtung, der er sich aber voll und ganz stellte. Er trug einen Philosophenbart und lebte asketisch, indem er z. B. auf dem Boden schlief und oft fastete.
Der Partherkönig Volagaeses III erklärte 162 Rom den Krieg und drang in Armenien ein. Er stieß bis Kappadokien vor und bekam Syrien in seine Hand. Es dauert, bis es zum römischen Gegenschlag kommt: Armenien kann aber 163 wiedergewonnen werden, die Truppen dringen bis Seleukia vor. Doch in Seleukia herrscht die Pest, und die römischen Soldaten stecken sich an. Auf ihrer Rückkehr ins Reich bringen sie die Pest mit. Eine ungeheure Pestwelle kommt über das ganze Imperium und kostet unzählige Menschenleben, bis 189 sind einzelne Seuchenherde zu verfolgen.
166 überwinden Germanen die Donaugrenze, die Markomannenkriege sind die ersten Vorboten der Völkerwanderung. Ganz klar vollzieht sich im freien Germanien eine Ethnogenese, schlossen sich Kampfverbände zu größeren Gruppen zusammen, um erfolgreicher agieren zu können. Gleichzeitig geben die Markomannen Druck weiter: Von Osten her kommen die Alanen, im Norden beginnt die Südwanderung der Goten. Die Markomannen geben also nur fremden Druck weiter. Der Markomannenkönig Ballomar war ganz sicher eine wichtige Figur, aber es ist unklar, ob die Einfälle vom heutigen Regensburg bis hinunter zur Donaumündung koordiniert waren. Viele Völker rannten gegen die römische Grenze an, Markomannnen, Quaden, Langobarden, Jazygen, Roxolanen, Kostoboken und Alanen. Es ist auch unklar, inwieweit diese Gruppen miteinander verbündet waren. 166 stehen die Markomannen vor Verona, plündern das offene Land und wollen sich sogar ansiedeln! Mit letzter Kraft (sogar Sklaven werden bewaffnet) gelingt es den Römern, die Eindringlinge wieder aus Italien zu vertreiben. 170 dringen Kostoboken weit nach Griechenland vor, 171 stehen die Markomannen vor Aquileia. Marcus versteigert in Rom seine Wertsachen und macht Carnuntum (Bad Deutsch Altenburg in Niederösterreich) zu seinem Hauptquartier, von wo aus er die Gegenoffensive leitet, 172-175. Diese schweren Kämpfe gegen Markomannen, Quaden und Naristen sind auf der Marc Aurel-Säule abgebildet. 175 muss Marcus mit den Stämmen Frieden schließen, weil er im Osten gegen einen Usurpator vorgehen muss, den fähigen Caius Avidius Cassius, der weite Teile Kleinasiens, Syriens und Ägyptens gewinnen konnte. Noch bevor Marc Aurel gegen ihn kämpfen kann, wird der Widersacher nach drei Monaten von einem Centurio ermordet.
Ab 178 spricht man vom zweiten Markomannenkrieg, Marcus‘ Sohn Commodus ist jetzt mit dabei. 179 wird Castra Regina bezogen, das ist das Gründungsdatum Regensburgs. Ein Jahr später stirbt Marc Aurel, die Herrschaft geht problemlos an seinen Sohn Commodus über, die Konzeption des Adoptivkaisertums ist damit Geschichte.
Marc Aurels bleibendes Vermächtnis ist nicht so sehr die noch einmal knapp gelungene Behauptung der römischen Herrschaft an der Donau, sondern seine Aphorismensammlung in griechischer Sprache, eis hauton, an sich selbst, eine Grundlektüre für stoisches Gedankentum. Die Überlegungen sind impressionistisch hingeworfen, was ihren Charme ausmacht, oftmals widersprüchlich und zeigen tagebuchartigen Charakter. Marc Aurel hat sich diese Gedanken im Lagerleben abgerungen, sie sollten ihm wohl Trost spenden bzw. Zeugnis seines Denkens abgeben. Die Selbstbetrachtungen, wie wir sie im Deutschen nennen, wurden eine Lieblingslektüre der Aufklärer, allen voran Friedrichs des Großen, und sind auch heute noch hoch geschätzt, wie die Aussagen Helmut Schmidts belegen, dem die Gedanken Marc Aurels oftmals Orientierung boten.
Commodus, der ungeeignet für die Kaiserrolle war, wurde schon 177 zum Augustus ernannt. Commodus teilte den Ernst seines Vaters nicht. Er beendet die Kämpfe an der Donau, nicht aufgrund irgendeiner Strategie, sondern aus mangelndem Interesse für Außenpolitik. Schon bald machten sich Verschwendung und Korruption sowie Günstlingswirtschaft breit. Commodus bricht viele Tabus und überhöht seine Person in anstößiger Weise: Rom soll in Colonia Commodiana umbenannt werden, alle Legionen sowie die 12 Monate sollen seinen Namen tragen! Er tritt als kahlgeschorener Isispriester öffentlich auf, aber auch als Gladiator, weil er die Gladiatur liebte. Sein Lieblingsgott ist Herkules, er selbst stilisiert sich als Invictus Hercules Romanus, auf Münzen trägt er den Löwenhelm; Löwenfell und Keule wurden immer vor ihm hergetragen. Als er das Konsulat 193 als Gladiator antreten wollte, ließen ihn sein Kammerdiener und seine Geliebte Marcia im Bad erwürgen. Über ihn wird die damnatio memoriae verhängt. 197 jedoch sollte Septimius Severus wieder an ihn anknüpfen, weil Severus Legitimität brauchte. Severus ließ den ungeliebten Vorgänger sogar konsekrieren.
Marc Aurels größter Fehler war seine Nachfolgeregelung. Commodus zeigte sich den Belastungen des Prinzipats in keiner Weise gewachsen. Die Verhältnisse verschlimmerten sich, Preissteigerungen trieben viele Menschen in bittere Armut, Aufstände waren vielerorts die Folge. Die Zeitgenossen nahmen ihr Zeitalter als ein Zeitalter der Krise und der tiefgreifenden Veränderungen durchaus wahr. Bezeichnenderweise spricht Cassius Dio denn auch von einer Epoche von Eisen und Rost.

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02 – Die iulisch – claudische Dynastie, die Flavier

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Werner Rieß
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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

02 – Die iulisch-claudische und die flavische Dynastie

In diesem Podcast soll es im Wesentlichen um das 1. Jh. n. Chr. gehen, um die Zeit vom Tod des Augustus 14 n. Chr. bis zum Tod Domitians, dem letzten Flavier. Es versteht sich von selbst, dass die Kaiserpersönlichkeiten in diesem Rahmen nur kurz angesprochen und die wichtigsten Ereignisse nur erwähnt werden können.
Augustus hatte schon früh die Errichtung einer Dynastie geplant. Bzgl. der Nachfolge entfernte er sich also am weitesten weg von der Republik. Leider starben ihm im Laufe der Jahre alle designierten Nachfolger weg, so dass am Ende nur noch Tiberius, der Sohn Livias aus erster Ehe, übrig blieb. Tiberius war also kein leiblicher Sohn des Augustus und war trotz seiner sorgfältigen Ausbildung und seiner militärischen Fähigkeiten und Erfolge immer als „fünftes Rad am Wagen“ behandelt worden, was ihn Zeit seines Lebens prägen sollte. Die Herrschaft ging auf ihn beim Tod des Augustus problemlos über, allerdings hatte er enorme Schwierigkeiten, in die großen Fußstapfen des Augustus zu treten. Er war beim Herrschaftsantritt 56 Jahre alt und dachte altrömisch-aristokratisch, wollte also gar kein Kaiser sein. Er war keine gewinnende Persönlichkeit und kein guter Kommunikator, wir würden sagen, er war schlecht in der Außendarstellung, und so wurde eine der ersten Senatssitzungen gleich eine Peinlichkeit. Er wollte nur Teile der Aufgaben eines Prinzeps übernehmen. Im Gegensatz zu Augustus meinte er aber diesen teilweisen Machtverzicht ernst, was die Senatoren nicht verstanden. Sie trugen ihm die vollen Machtbefugnisse wieder an, die er dann nolens volens annehmen musste. Die primus inter pares-Idee, also dass er nur der Erste unter den ihm gleichgestellten Senatoren sei, ist also sofort gescheitert. Tacitus zeichnet ein sehr widersprüchliches Bild vom zweiten Kaiser, teilweise stellt er die Widersprüche kontrapunktisch nebeneinander. Er lehnt den Titel Imperator und die kultische Verehrung seiner Person ab. Er betreibt eine strenge Sparpolitik und initiiert keine großen Baumaßnahmen in Rom. Bei Naturkatastrophen ist er großzügiger als alle anderen Kaiser nach ihm. In der Außenpolitik verfolgt er eine defensive Linie, v.a. in Germanien. Er beruft Germanicus, den Großneffen des Augustus, aus Germanien ab und überträgt ihm ein großes Kommando im Osten, um Armenien und Kappadokien neu zu ordnen. Im Osten kommt der charismatische und sehr beliebte Germanicus, auf den Tiberius sicher neidisch war, in Konflikt mit dem Statthalter von Syrien, Piso. Germanicus stirbt 19 n. Chr. unter ungeklärten Umständen. Zwei inschriftliche Zeugnisse, die Tabula Siarensis und die Tabula Hebana, haben uns die Ehrungen für Germanicus überliefert, in die Tiberius widerwillig einwilligen musste. Ab 24 n. Chr. gab es viele Majestätsprozesse, in denen Senatoren ums Leben kamen. In der Oberschicht herrschte Angst und gegenseitiges Misstrauen; Haß auf Tiberius verbreitete sich. Tiberius zog sich immer mehr aus den Amtsgeschäften zurück und überließ sie in zunehmendem Maße dem ehrgeizigen Prätorianerpräfekten Sejan. Dieser wurde immer mächtiger, vielleicht plante er am Ende sogar eine Verschwörung gegen Tiberius. Wie auch immer, Sejan fiel in Ungnade und wurde hingerichtet. Aller Vertrauten beraubt und zutiefst verbittert starb Tiberius 37. n. Chr. in Misenum. Selbst nach seinem Tod erkennen wir, dass die römische Öffentlichkeit ein widersprüchliches Bild von ihm hatte. Tiberius wurde vielfach gehasst, verfiel aber nicht der damnatio memoriae, also der Tilgung des Namens aus allen öffentlichen Dokumenten. Stattdessen bekam er ein Staatsbegräbnis, allerdings ohne Konsekration.
Unter den nächsten Kaisern der iulisch-claudischen Dynastie, Caligula, Claudius und Nero werden die Verhältnisse prekärer. Caligula war durch seine Jugend und mit seinen überspannten Ideen ein starker Kontrast zu Tiberius. Er war Sohn des Germanicus und Agrippinas der Älteren. Die Prätorianer riefen ihn zum Kaiser aus, was der Senat bestätigte. Am Anfang machte er sich durch volksfreundliche Maßnahmen beliebt, allerdings erkrankte er dann schwer und lebte danach nur noch seinen Launen und Gelüsten. Sein Gebahren wurden zunehmend autokratischer; er forderte, ganz im Gegensatz zu Tiberius, kultische Verehrung für sich und geriet dadurch auch in Konflikt mit dem Judentum. Der Luxus am Hof nahm noch nie dagewesene Formen an, so wurde zwischen Puteoli und Bauli eine Schiffsbrücke erbaut. Feldzüge im Westen, an denen er teilnahm, waren lächerliche Unternehmungen. Die so gefürchteten Majestätsprozesse wurden wieder aufgenommen. Er zwang den Prätorianerpräfekten Macro, der ihm zum Thron verholfen hatte, sowie viele Senatoren zum Selbstmord. Die Anekdote, dass er sein Lieblingspferd zum Konsul machte, wird heute unterschiedlich gedeutet. Aloys Winterling betont in seiner Biographie über Caligula, dass er gerade nicht wahnsinnig oder völlig irrational gehandelt habe, sondern dass er die tatsächlichen Machtverhältnisse mit ihm als allmächtigem Potentaten und einem völlig machtlosen Senat schonungslos offenbarte. Verschiedene Verschwörerkreise bildeten sich, so dass Caligula 41 n. Chr. einem Attentat, verübt durch Gardetribune, zum Opfer fiel.
In diesem Moment diskutiert der Senat zum letzten Mal die Möglichkeit der Rückkehr zur Republik, aber die Prätorianer schufen sofort Fakten: Sie zogen Claudius, den Onkel des Caligula und Bruder des Germanicus, hinter einem Vorhang hervor und riefen ihn zum Kaiser auf; dem Senat blieb nichts anderes übrig als zuzustimmen. Claudius galt als intelligent, aber er stotterte und galt auch aufgrund seiner historischen, philologischen und antiquarischen Interessen als verschroben. Er schrieb Bücher über etruskische und karthagische Geschichte und unternahm eine Rechtschreibreform, indem er drei neue Buchstaben ins lateinische Alphabet einführte, die sich aber nicht durchsetzten.
Persönlich war Claudius schwach, deshalb brauchte er außenpolitische Erfolge. Mit einer großen Invasionsarmee wird Britannien zwar erobert, doch der Ausbau zur Provinz nahm noch Jahrzehnte in Anspruch. Am Ende der Regierungszeit des Claudius sollten sechs neue Provinzen hinzugekommen sein, Britannien und die beiden Mauretanien waren ganz neue Provinzen, Lycia, Thracia und Judaea waren schon vorher abhängig, aber wurden jetzt vollends provinzialisiert. Ganz klar liegen die Verdienste in der Außenpolitik bei fähigen Kommandeuren. In der Innenpolitik ist schwerer zu unterscheiden, welche Initiativen vom Kaiser bzw. von seinen mächtigen Freigelassenen ausging: Narcissus war als ab epistulis für alle offiziellen Verfügungen zuständig, Pallas war als a rationibus eine Art Finanzminister, Polybios als a studiis eine Art Archivleiter und Kallistos bearbeitete als a libellis die Bittgesuche an den Kaiser. Diese vier Männer waren mit ihren Stäben offenbar sehr fähig und effektiv und trugen wesentlich zu einer weiteren Versachlichung der Herrschaft und zu einer weiteren Bürokratisierung bei. Claudius selbst war sehr aktiv in der Rechtsprechung. Im Jahre 47/48 n. Chr. bekleidete er die Zensur, in deren Rahmen er den gallischen Notablen das ius honorum verlieh, also das Recht, sich um einen Sitz im Senat zu bewerben.
Auch sonst ist seine Bürgerrechtspolitik großzügiger als die des Augustus oder Tiberius. Unter Claudius beginnt offenbar die Praxis der Ausstellung der sogenannten Militärdiplome. Auxiliarsoldaten bekamen nach Ablauf ihrer Dienstzeit das römische Bürgerrecht, eine richtungsweisende Entscheidung, welche das römische Militär zu einem Integrationsmotor machte.
Privat war Claudius schwach, er war sehr von seinen Frauen abhängig. In dritter Ehe war er mit der nymphomanen Messalina verheiratet. Sie ging unerschrocken parallel zu ihrer Ehe mit Claudius eine zweite Ehe ein. Narcissus schritt schließlich ein und richtete sie sowie ihren neuen Ehemann hin. Pallas bestimmte dann für den Prinzeps die nächste Ehefrau. Die Wahl fiel auf die ehrgeizige Agrippina die Jüngere, die älteste Tocher des Germanicus, eine Nichte des Claudius. In die Ehe brachte sie ihren Sohn Nero mit und tat fortan alles, um ihrem Sohn den Weg zum Thron zu ebnen.
Die Bilanz der Regierungszeit des Claudius muss also zwiespältig ausfallen. Persönlich war der Kaiser schwach, aber in einigen Bereichen wurden richtungsweisende Weichen gestellt: Mehr Ritter kamen in den Reichsdienst, die Verwaltung hatte sich verbessert, sechs Provinzen waren hinzugewonnen wurden, die Bürgerrechtspolitik wurde liberaler. Bei all dem ist für uns jedoch schwer erkennbar, inwieweit der Kaiser selbst für diese Maßnahmen verantwortlich war oder aber seine fähigen Freigelassenen.
Die Machtübernahme Neros wurde von seiner Mutter, Agrippina der Jüngeren, von langer Hand vorbereitet: Sie überredete Claudius, Nero zu adoptieren und ihn mit Octavia, der Tochter des Claudius, zu verheiraten. Seneca wurde zurückgeholt und zum Prinzenerzieher gemacht, ein gewisser Burrus zum Prätorianerpräfekten erhoben, alles Männer, deren Loyalität sich Agrippina sicher sein konnte. Claudius fiel schließlich einem Giftanschlag zum Opfer, der Weg für Nero war frei!
Am Anfang stand er ganz unter dem Einfluss seiner Mutter, Senecas und Burrus‘, so dass ein gemäßigtes Regime die Folge war. Doch allmählich emanzipierte sich der junge Prinzeps von seinen Förderern. Die ersten Opfer waren übrigens Narcissus und Pallas, womit Nero mit der Verwaltungstradition seines Vorgängers brach. Er interessierte sich fast ausschließlich für alle Formen von Kunst und glaubte fest an seine Mission als begabter Sänger. Er liebte Auftritte und das „Sich selbst in Szene-Setzen“. Als großer Fan des Griechentums begab er sich schließlich auf eine große Griechenlandtournee, wobei die Städte, die musische Wettkämpfe veranstalteten, ihm schon im Voraus die Siegerkränze schickten.
Rücksichtslos entledigte sich Nero aller Menschen in seiner Umgebung, die seinem autokratischen Regierungsstil im Wege stehen hätten können. Er lässt im Jahre 55 Britannicus vergiften, 62 ermordet er seine Frau Octavia; am spektakulärsten schildert Tacitus jedoch die Ermordung seiner eigenen Mutter (59), die nur in mehreren Anläufen zu bewerkstelligen war. Diese sinistren Passagen im Werk des Tacitus sind zweifelsohne Teil der Weltliteratur. Spätestens jetzt war klar, dass Nero der Obhut Senecas und Burrus‘ entglitten war, ja dass sie selbst desavouiert waren.
Im Jahre 64 kam es zum berühmten Brand Roms. Tacitus erwähnt Gerüchte, dass Nero diesen Brand gelegt habe, doch beweisen lässt sich hier nichts. Man suchte und fand schnell einen Sündenbock, die Christen, die mittlerweile auch in Rom lebten. Nero statuierte an ihnen die grausamsten Exempel. Tacitus ist weit davon entfernt, eine Lanze für die Christen zu brechen, doch schreibt er, dass die Leiden der Christen bei den Zuschauern Mitleid erregt hätten. Auf der abgebrannten riesigen Fläche entstand in der Folgezeit, auf teuerstem Stadtgebiet, die domus aurea, das Goldene Haus, ein riesiger Palastkomplex für Nero mit modernsten architektonischen Raffinessen wie einer drehbaren Kuppel.
Die Opposition gegen Nero nahm zu. Die Pisonische Verschwörung, der wohl auch Seneca angehörte, wurde 65 n. Chr. aufgedeckt, Senca musste sich das Leben nehmen. Burrus war schon 62 n. Chr. gestorben, so dass es für Nero nun kein Halten mehr gab, er aber auch seine wichtigsten Berater verloren hatte. Der Anfang vom Ende hatte begonnen. Im Jahre 66 n. Chr. brach im Osten der große Jüdische Aufstand los, bei dessen Niederschlagung durch die Römer sich Vespasian besonders auszeichnete. Als im Jahre 68 sich alle von Nero abwandten, Galba auch in Rom zum Kaiser ausgerufen wurde, der Senat Nero absetzte und ächtete, blieb ihm nur noch der Selbstmord. Die iulisch-claudische Dynastie war zu Ende.
Die Ereignisse des Vierkaiserjahres, in dem Galba, Otho, Vitellius und Vespasian um die Kaiserwürde kämpften, können im Rahmen dieses Podcasts nicht nachvollzogen werden. Es sei auf Tacitus‘ Historien verwiesen, welche diese Umbruchszeit mit all den Greueltaten ausführlich schildern. Wichtig ist aber, dass Tacitus erkennt, worin die arcana imperii liegen, also das Geheimnis des Kaiserreichs, nämlich darin, dass das Kaisertum, ähnlich wie im Hellenismus, auf dem Schlachtfeld gewonnen wird. Im Prinzip wird ähnlich wie in der Bürgerkriegssituation der 40er und 30er v. Chr. die faktische Macht mit Hilfe des Militärs usurpiert, eines Militärs, das sich nicht einer res publica oder einem abstrakten Kaisertum verpflichtet fühlt, sondern einzig und allein einem starken General, für den man auch bereit war, gegen Mitbürger zu kämpfen. Diese Situation des Bürgerkriegs nach Abbruch einer Dynastie wird uns im Laufe des Durchgans durch die römische Geschichte noch öfter beschäftigen.
Blenden wir ans Ende des Vierkaiserjahres. Flavische Truppen erobern in schweren Straßenkämpfen Rom, Vitellius kommt dabei um. Domitian, der Sohn Vespasians, führt Säuberungsaktionen durch, sein Vater kommt erst im Sommer 70 aus dem Osten nach Rom.
Vespasian und seine Familie konnten auf keine illustre Ahnenreihe zurückblicken. Der Großvater stammte aus Reate im Sabinerland. Seinen Aufstieg verdankte er seinen militärischen Fähigkeiten, er fiel in die Zeit des Caligula und Claudius. Den Oberbefehl über den Krieg in Judaea bekam er von Nero, weil er als zuverlässig galt. Sein Sohn Titus eroberte Jerusalem im Jahre 70 mit ungeheuren Massakern. Die Beute wurde demonstrativ im Jahre 71 bei einem Triumphzug in Rom zur Schau gestellt, darunter auch der berühmte siebenarmige Leuchter, der auf dem Titusbogen abgebildet ist. Aus der Beute wurde übrigens auch das Kolosseum finanziert, genau an der Stelle, wo der See im Goldenen Haus Neros war, ein deutliches Statement des neuen Kaisers, dass er der Stadt diesen Raum wieder als öffentlichen Raum zurückgab.
Da Vespasian mit der iulisch-claudischen Dynastie nicht verwandt war, stellte sich nun das Problem der Legitimation. In der sogenannten lex de imperio Vespasiani, die wir inschriftlich erhalten haben, ließ sich Vespasian alle Machtbefugnisse und Kompetenzen der Vorgänger übertragen. Auch formaljuristisch war Vespasian nun vollkommen legitimiert. Der Prinzipat war nun zu einer Verfassungsform geworden. Gemeinsam mit Titus, den er sogleich zum Mitregenten erhoben hatte, bekleidete er 73/74 die Zensur, stieß Gegner aus Senat und Ritterschaft aus und ergänzte die Reihen mit treuen Leuten aus Italien und auch aus den Westprovinzen. Bedeutsam für die Geschichte der römischen Provinzen ist der Umstand, dass Vespasian 74 n. Chr. ganz Spanien das latinische Recht verlieh. Die Armee wurde neu organisiert, eine neue Phase des sachlichen Bauens begann, wie wir die architektonische Entwicklung beschreiben würden. Ähnlich wie unter Augustus ging es um die Restaurierung von Kapitol, Jupitertempel und Vestatempel. Ein neuer Tempel des Friedens wurde gebaut. Auf allen Ebenen fand eine Konsolidierung statt. Vespasians Nüchternheit, Bodenständigkeit und Sparsamkeit wurden sprichwörtlich. Als er selbst die Benutzung öffentlicher Latrinen besteuerte und ihm das vorgehalten wurde, soll er gesagt haben: pecunia non olet, Geld stinkt nicht. Ganz in Abkehr vom überspannten Nero verkörperte Vespasian bewusst die wertkonservative, altitalische Art.
Als Vespasian 79 starb, übernahm Titus die Herrschaft problemlos, von vornherein war er von Vespasian als Nachfolger designiert und aufgebaut worden. Ähnlich wie Germanicus war Titus begabt und v.a. charismatisch und beim Volk beliebt. Dass er einen so glänzenden Sieg in Judaea zustande gebracht hatte, nötigte allen Respekt ab. Einzig und allein wurde ihm angekreidet, dass er die jüdische Königin Berenike als seine Geliebte nach Rom brachte, von der er sich allerdings bei seiner Thronbesteigung trennte. Gleich in seinem ersten Regierungsjahr musste er eine Naturkatastrophe lindern helfen: Der Vesuv hatte die Städte Pompeji, Herculaneum und Stabiae verschüttet und Tausende von Überlebenden mussten versorgt werden. Er regierte während seiner kurzen Regierungszeit ganz im Sinne seines Vaters und starb überraschend im Jahr 81 n. Chr.
Domitian, Titus‘ Bruder, kam ohne Probleme an die Macht. Seine Position ist durchaus mit der des Tiberius vergleichbar. Zeit seines Lebens stand er im Schatten seines Bruders, wurde Titus ihm vorgezogen. Domitian war ein überaus fähiger Verwalter und Militär, allerdings hat sich sein Bild durch schlechte senatorische Presse sehr verdunkelt. Fakt ist, dass Domitian anfangs eine Expansion in Britannien unterstützte, auch eine Eroberung Irlands schien möglich. Schließlich scheint Domitian dann aber doch zu einer realistischen Einschätzung der Ressourcen Roms gekommen zu sein, denn er berief Agricola, den Schwiegervater des Tacitus, ab, der ganz im republikanischen Stil die Grenzen des Imperiums ausdehnen wollte. Tacitus macht aus einer wahrscheinlich rationalen Entscheidung, die sich nicht gegen Agricola persönlich richtete, die Aktion eines Tyrannen, der auf den militärischen Erfolg des Agricola nur neidisch war. 83 leitet Domitian persönlich einen Feldzug gegen die Chatten von Mainz aus und stößt dabei in die Wetterau und den Taunus vor. Bei dieser Gelegenheit lässt er Schneisen in die Wälder schlagen, sogenannte limites. Sie dienen der Grenzmarkierung und erleichtern die Kontrolle des Vorfeldes. Auch der später ausgebaute obergermanisch-rätische Limes war nie ein eiserner Vorhang, sondern eine Demarkationslinie, an der intensiv Handel getrieben wurde zwischen den Germanen und den an der Grenze stationierten Römern. Wie die neuere Forschung gezeigt hat, entstand gerade in diesen Grenzregionen ein florierender Wirtschaftsraum, der auf die Germanen geradezu eine Magnetwirkung ausübte.
Vor 90 n. Chr. wurden die Heeresbezirke von Ober- und Niedergermanien offenbar in Provinzen umgewandelt. Mit der allmählichen Entstehung des obergermanisch-rätischen Limes wurde das Reich im Norden konsolidiert, die Expansionspläne des Germanicus wurden aufgegeben, die Politik des Tiberius wurde verwirklicht. Im Osten gestalteten sich die Dinge weniger vorteilhaft. Schwere Dakerkriege zeigten den Römern die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit auf, sie erlitten Niederlagen, Offensiven gerieten ins Stocken, Domitian musste mit dem Dakerkönig Decebalus einen Komromissfrieden schließen. Während am Rhein Ruhe herrschte, blieb der Donauraum unruhig. Domitian leitete eine Defensivpolitik ein, die Hadrian wieder fortsetzen sollte. Im Prinzip sollte Trajan mit seiner Offensivpolitik eine Ausnahme bleiben.
Wichtig ist, dass Domitian ein neues Selbstverständnis von seiner Herrschaft entwickelte. Er übernahm 85 die Zensur auf Lebenszeit und nahm die Erneuerung der altrömischen Werte sehr ernst. Er war ein fähiger Herrscher, der aber auch sehr misstrauisch war und sich mit dem Senat schwer tat, u.a. auch, weil er seine Position im Zeremoniell überhöhte: So ließ er sich beispielsweise als dominus et deus, Herr und Gott, ansprechen, wobei er aber keine Verehrung als Gott verlangte wie Caligula. Er trug Triumphalgewand im Senat, ließ von sich viele Gold- und Silberstatuen aufstellen, baute Triumphbögen, nannte die Monate September und Oktober um in Germanicus und Domitianus. Aus all diesen Gründen bekam er schlechte senatorische Presse. Wir müssen bedenken, dass die meisten unserer Quellen von Senatoren geschrieben wurden, und die ordneten Domitian unter die „schlechten Kaiser“ ein. Zur Entmachtung des Senats trug auch noch bei, dass Entscheidungen nicht mehr in Senatssitzungen fielen, sondern vielmehr im viel kleineren Kreis des consilium principis. Opposition regte sich, Domitian reagierte mit aller Härte. In den Jahren 83, 87 u 88/89 kam es zu großen Verfolgungswellen gegen Senatoren. Der Verschwörung von 96 fiel er schließlich zum Opfer. Mit ihm erlosch auch die flavische Dynastie.
Dass die Meinungen über ihn schon bei den Zeitgenossen weit auseinander ging, zeigt allein schon die Tatsache, dass die Senatoren die damnatio memoriae über ihn verhängen, während die Prätorianer, um die er sich immer gekümmert hatte, ihn konsekrieren lassen wollten. Domitian hinterließ nicht nur repräsentative Bauten in Rom, die seiner Herrschaftsvorstellung entsprachen, wie etwa einen neuen Tempel der Flavier, ein Domitiansforum, das später in Nervaforum umbenannt wurde, seinen Palast auf dem Palatin und ein Stadion, dessen Grundriss heute als Piazza Navona weltberühmt ist. Seine Stilisierung als unnahbarer Herrscher weist voraus in die Spätantike, ebenso die Entscheidungsfindung im kleinen Kreis und die enge Kooperation mit der Armee, die auch für Trajan und Septimius Severus so charakteristisch werden sollte. Die Einrichtung der beiden germanischen Provinzen und der Beginn des Limesbaus waren ebenfalls zukunftsweisend und zeigen uns im Gegensatz zu den literarischen Quellen einen Kaiser, der an einer Achsenzeit Entscheidendes leistete und für die Zukunft durchaus prägend wurde.

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01 – Augustus

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Werner Rieß
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Römische Geschichte II: Die Kaiserzeit

01 – Augustus

Im letzten Podcast zur Republik hatten wir uns mit dem politischen und militärischen Aufstieg Octavians zum Alleinherrscher beschäftigt. Wir wollen heute nachvollziehen, warum Octavian, der ab 27 v. Chr. Augustus genannt wurde, an der Macht bleiben konnte und wie er es schaffte, im Laufe der Zeit das politische System der Republik zu einer Monarchie umzubauen und gleichzeitig nicht erfolglos den Anschein erweckte, die Republik wiederhergestellt zu haben.
Vom Krieg nach Hause zurückgekehrt, kümmerte sich Octavian erst einmal um den Senat, weil viele Senatoren in den Kämpfen bzw. in den Proskriptionen ums Leben gekommen waren. Ca. 190 Senataren schloss Octavian aus der noblen Institution aus, angeblich wegen Unwürdigkeit, in Wahrheit wurden politische Gegner kaltgesellt. Andere, Octavians Freunde, erhielten Zugang als Lohn für ihre Verdienste um ihn im Krieg. Schon durch diese Maßnahmen änderte sich die Zusammensetzung des Senats so entscheidend, dass Octavian die beste Show seines Lebens vorbereiten konnte. Wir sprechen vom Staatsakt, der am 13. und 16. Januar 27 v. Chr. stattfand und der umfassend und von langer Hand vorbereitet gewesen sein muss. In der Senatssitzung vom 13. Januar gab Octavian feierlich alle seine Machtbefugnisse, also auch die triumviralen, an Senat und Volk von Rom zurück. Für einen Augenblick also waren Senat und Volk von Rom wieder souverän. Sofort beschworen die Senatoren Octavian, sie und Rom nicht im Stich zu lassen und die schwere Last der Verantwortung für den römischen Staat und das römische Volk zu übernehmen. Nach gespieltem Zögern gab Octavian schweren Herzens nach und entsprach damit den allgemeinen Erwartungen.
Das Erstaunliche ist nun seine verfassungsmäßige Stellung. Er war nicht mehr als Konsul, und das Konsulat musste jährlich erneuert werden. Außerdem hatte er ein imperium proconsulare, eine zehn Jahre währende Befehlsgewalt über sieben wichtige und immer noch nicht befriedete Provinzen, u.a. Spanien, Gallien, Syrien und Ägypten, nicht zufällig die Provinzen, in denen Truppen stationiert waren, um eventuelle Aufstände niederzuschlagen. Diese Provinzen wurden nun, obwohl dort senatorische Statthalter tätig waren, kaiserliche genannt; sie unterstanden also direkt der kaiserlichen Befehlsgewalt, im Gegensatz zu den sogenannten senatorischen Provinzen unter der Schirmherrschaft des Senats, wo fast keine Truppen stationiert waren, da diese Provinzen als befriedet betrachtet wurden. Nach dem Buchstaben des Gesetzes übte Octavian also ein Amt nur für eine begrenzte Zeit aus, eine Aufgabe, die ihm von Senat und Volk anvertraut war. Es ist auch dieser zeitlich limitierte und informelle Charakter dieser Position, welche die Tatsache verschleiern half, dass die Republik nicht mehr existierte und dass stattdessen eine Monarchie etabliert worden war. Angeblich war die Republik sogar wiederhergestellt, auf Latein: res publica restituta! Eine republikanische Fassade wurde also benutzt, um die Realitäten der Macht zu verschleiern.
Die Machtbasis des ersten Mannes war jedoch grundsolide: Das Kommando über die Truppen in den Provinzen, seine finanzielle Macht und seine enorme Klientel im ganzen Reich.
Drei Tage später (16.1. 27 v. Chr.) wurden Octavian besondere Ehren zugestanden: Er bekam den Beinamen Augustus verliehen, was der Erhabene bedeutet. Sein voller Name war jetzt Imperator Caesar Augustus. Über dem Eingang seines Hauses auf dem Palatin wurde ein Eichenkranz befestigt als Zeichen für seine Errettung römischer Bürger, und Lorbeerbäume wurden neben seiner Tür gepflanzt. Diese Ehrungen hoben Augustus in eine höhere, ja sakrale Sphäre. Im Sitzungssaal des Senats wurde ein goldener Schild aufgestellt, auf dem die vier Kardinaltugenden eingraviert waren, die Augustus besonders am Herzen lagen, sie sollten zu kaiserlichen Tugenden avancieren. Eine steinerne Kopie dieses Schildes wurde im südfranzösischen Arles gefunden: Virtus, Tugend im Sinne militärischer Tüchtigkeit, clementia, Gnade, eine Eigenschaft, die Augustus sicher als von Caesar ererbt empfand, iustitita, die Gerchtigkeit, die er gerade als oberster Richter des Reiches brauchte, und pietas, Frömmigkeit, d.h. das korrekte religiöse Verhalten gegenüber Göttern und Menschen und insbesondere gegenüber den eigenen Eltern.
Wie war dieser kometenhafte Aufstieg möglich? Um diese entscheidende Frage zu beantworten, sollten wir uns mit seiner Persönlichkeit, seinem politischen Stil und mit seinen Prinzipien beschäftigen, die seinen Problemlösungen zugrunde liegen.
Meines Erachtens gibt es drei persönliche Eigenschaften, die Augustus mit größtem Geschickt miteinander verband, wozu auch eine Portion Glück gehörte.
Da ist zunächst sein gnadenloser Einsatz von Gewalt. Überraschenderweise hatte Augustus eine schwache persönliche Konstitution, was am Anfang schon ein Handicap gegenüber dem gesunden, starken und erfahrenen Marcus Antonius darstellte. In dieser Hinsicht war der junge Octavian also benachteiligt, und gerade deshalb seine Durchsetzungskraft und sein letztlicher Erfolg umso erstaunlicher. Trotz dieser gesundheitlichen Einschränkung oder vielleicht gerade wegen ihr war Octavian fest entschlossen, Alleinherrscher des Imperiums zu werden. Sein untrüglicher politischer Instinkt und die Rücksichtslosigkeit in der Verfolgung seiner Ziele machten die körperliche Schwäche mehr als wett. Er scheute sich nicht, seine politischen Gegner zu betrügen, Verträge jederzeit zu brechen, wenn es ihm zum kleinsten Vorteil gereichte, oder seine Gegner physisch zu eliminieren, wirkliche und eingebildete gleichermaßen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Proskriptionen von 43 v. Chr., in denen Cicero den Schergen der Triumvirn zum Opfer fiel, und die Unterdrückung der Verschwörung von 23 v. Chr.. Augustus wusste, wie man Widerstand brach. Die Überlebenden lebten in Furcht und wagten es nicht, das neue System und seinen obersten Repräsentanten in Frage zu stellen, dessen Macht immerhin auf einer ihm absolut loyalen Armee beruhte, so dass wir Augustus‘ Herrschaft und die aller römischen Kaiser durchaus auch als Militärdiktaturen bezeichnen könnten.
Typisch für die augusteiche Art und Weise Politik zu betreiben ist zweitens der Umstand, dass Augustus sehr gewissenhaft und immer bereit war, aus der Vergangenheit zu lernen, um die Fehler seiner Vorgänger zu vermeiden. Er beweist dabei ein großes Geschichtsbewusstsein. Anders als Sulla trat er nicht von seiner Macht zurück, nachdem er sie einmal errungen hatte. Anders als Caesar, unternahm er alles, um den Eindruck zu vermeiden, er strebe nach einer lebenslangen Diktatur, nach der Tyrannis oder nach dem Königstitel, den die Römer von Beginn der Republik an so hassten. Caesar zahlte einen hohen Preis für seine Fehler, und Augustus war entschlossen, diese Fehler nicht zu begehen. Augustus‘ größte politische Leistung war es, die Menschen Glauben zu machen, dass er in der Tat die alte Republik wiederhergestellt hatte. Das politische Schlagwort von der wiederhergestellten Monarchie (res publica restituta) funktionierte, weil die Leute an diesen Traum glauben wollten und Augustus der größte Showmaster war, den die Welt bis dahin gesehen hatte, indem er die Propagandamedien, die ihm zur Verfügung standen, meisterhaft beherrschte. Es war unmöglich, zu den alten Tagen der Senatsherrschaft zurückzukehren, weil das Imperium einen starken Mann brauchte, was die Geschichte der vergangenen 100 Jahre auf so dramatische Art und Weise gezeigt hatte. Es gab eigentlich nur eine Lösung: Eine republikanische Fassade mit einem Alleinherrscher dahinter. In dieser Situation konnte Augustus sehr vom römischen Konservativismus profitieren, vom Glauben der Römer, dass alles Althergebrachte irgendwelchen Neuerungen überlegen war. Die alten Standards hochzuhalten, die Sitten und Gebräuche der Vorväter zu pflegen, den sogenannten mos maiorum, war die beste Legitimationsquelle. Dieses konservative politische Modell erforderte Senatstreffen, Magistrate und Wahlen, aber natürlich geschah alles orchestriert nach dem Willen einer einzigen Person.
Und schließlich spielte er, nachdem er alle Formen der Opposition ausgeschaltet und die entscheidenden Fehler vermieden hatte, die moralische Karte, gerade noch rechtzeitig, bevor er als blutdürstiger Tyrann gelten und als solcher in die Geschichtsbücher eingehen würde. Diese moralische Karte bezog sich auf Politik, Religion und persönliche Moralvorstellungen.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die politische Ebene: Die Illusion der wiederhergestellten Republik war den Römern aufs höchste willkommen, die die Leiden und Katastrophen, die sie zu erdulden gehabt hatten, auf eine sündhafte Vernachlässigung alter römischer Traditionen zurückführten. Nur die alte Form der Götterverehrung sicherte ein glückliches Leben und bewerkstelligte Sicherheit für Rom. Genau dafür stand Augustus: Die Rückkehr zu den Sitten der Vorväter mit ihm selbst als Über-Vater, als Patron, der sich für alle verantwortlich fühlte, sich um alles kümmerte, wobei er sich auf die existierenden Sozialstrukturen stützte. Am besten drückte sich dies im Titel patronus omnium aus, Patron aller. Am wichtigsten war jedoch sein neuer Titel, er nannte sich nicht rex, König, nicht etwa Diktator, wie Caesar oder Sulla, sondern einfach princeps, erster Mann im Staat. Ein neuer Terminus ohne negative Konnotationen war in die römische Politik eingeführt worden.
Moral und Religion können in einer höchst religiösen Gesellschaft nicht voneinander getrennt werden. Augustus betont in den Res Gestae, seinem Tatenbericht, dass Tempel wieder geöffnet wurden, viele wurden auch restauriert. Er gab vor, die alten italischen Werte zu repräsentieren, den mos maiorum; er wurde nicht müde, die Bedeutung der Religion zu betonen und er erließ sogar Gesetze gegen Ehebruch. Er brachte die Dinge mit vier Schlagworten auf den Punkt, virtus, clementia, iustitia und pietas, um alle kaiserlichen Tugenden bündig zusammenzufassen.
Das sind also die drei Prinzipen der Herrschaft des Augustus: Rücksichtsloser Einsatz von Gewalt, Bereitschaft von der Vergangenheit zu lernen und das Ausspielen der moralischen Karte. Er war klug genug, um zu wissen, dass er seine Macht in den Köpfen der Untertanen verankern musste, indem er die beste Propaganda benutzte, die die vormoderne Welt je gesehen hatte. Auch auf diesem Gebiet war Augustus ein Genie. Voller Kreativität nutzte er alle zur Verfügung stehenden Medien: Inschriften, Tempel, Meilensteine, Gebäude und Statuenprogramme. Rom wurde die augusteische Stadt par excellence, geschmückt mit vielen großartigen Gebäuden. Eines der berühmtesten ist das Pantheon auf dem Marsfeld, den Göttern geweiht und eines der am besten erhaltenen antiken Monumente Roms. Allerdings sehen wir das Gebäude heute im hadrianischen Umbau des frühen zweiten Jahrhunderts n. Chr. Außen prangte die größte Inschrift des Reiches. Innen erwarteten den Besucher Statuen viele Götter sowie Agrippas, Augustus‘ und des vergöttlichten Caesar. Es war eine Art dynastischer Tempel.
Der große Pluspunkt, den der neue Herrscher für sich verbuchen konnte, war, dass er die Bürgerkriege beenden und damit dem Reich Frieden bringen konnte, die berühmte pax Augusta. Zumindest stimmte dieser Anspruch für diejenigen, die das jahrzehntelange Blutvergießen überlebt hatten; sie waren bereit, diesem bemerkenswerten Mann an der Spitze beinahe unbegrenztes Vertrauen einzuräumen. Und warum sollten sie ein Problem damit haben, einem Herrn zu dienen, der Frieden, die öffentliche Ordnung und v.a. die althergebrachte Republik garantieren konnte? Mit Gewalt und Charme, wir würden sagen, mit Zuckerbrot und Peitsche zwang Augustus die Menschen in sein neues System, so dass sie sich rasch einfügten und einige es sogar bewundern lernten. Augustus Propaganda in allen Lebensbereichen war so effektiv, dass sogar noch heute viele Historiker der Meinung sind, dass die ersten beiden Jahrhunderte n. Chr. eine friedliche Epoche waren, was natürlich nur teilweise stimmt.

Die Lösung der drängendsten Probleme, die ersten Maßnahmen

Werfen wir nun einen Blick darauf, wie Augustus seine politischen Prinzipien mit ganz konkreten Maßnahmen in die Tat umsetzte. Zuallererst musste er sein persönliches Regime legalisieren und konsolidieren. Er bewerkstelligte das, indem er seine neue Herrschaft in eine neue Form einkleidete, womit er die Akzeptanz und das Vertrauen der meisten Zeitgenossen gewann. Es ist diese Überschneidung von Alt und Neu, von Kontinuität und Wandel, die so typisch ist für die augusteische Ära. Im Jahr 27 v. Chr. war dieser Prozess jedoch noch nicht abgeschlossen. Da Augustus jedes Jahr Konsul war, was den republikanischen Traditionen widersprach, bedrohte eine höchst gefährliche Verschwörung seine Herrschaft im Jahr 23 v. Chr. Er musste reagieren und gab dem Senat das Konsulat zurück, so dass ein Senator an seiner statt in der Zukunft Konsul sein konnte. Um diesen Machtverlust zu kompensieren, ließ sich Augustus mit der vollen tribunizischen Amtsgewalt auf Lebenszeit ausstatten, inklusive des Rechts, gegen einen Magistraten zu intervenieren, Gesetze zu initiieren und den Senat einzuberufen. Außerdem wurde sein imperium proconsulare über die kaiserlichen Provinzen, also die Provinzen, die direkt seiner Herrschaft unterstanden, erweitert zu einem imperium proconulare maius, also ein größeres, umfassendes Kommando, das ihm auch das Recht verlieh, in senatorischen Provinzen einzugreifen. Die Existenz eines imperium proconsulare maius ist in der Forschung umstritten; der Terminus taucht so in den Quellen nicht auf, aber etwas so Ähnliches muss er gehabt haben.
Zweitens musste er zu einem Ausgleich mit dem Senat kommen. In mehreren Wellen säuberte er die Körperschaft, indem er die Anzahl der Senatoren stark reduzierte, womit er jede Form der Opposition ausschaltete. Nach Actium gab es etwa 1000 Senatoren. Im Jahre 28 wurden nur 190 „unwürdige“ Mitglieder ausgeschlossen, aber im Jahr 18 wurde die Zahl auf 600 verringert, wie in den alten Tagen, eine radikale Maßnahme, die natürlich auf starke Opposition stieß. Aber die verbliebenen Senatoren waren umso stolzer, dem noblen Haus anzugehören und hatten nun noch mehr Grund, ihrem Patron dankbar zu sein.
Gleichzeitig war Augustus auf das Know-how der Senatoren angewiesen. Nur sie verfügten über die Fähigkeiten, die Erfahrung und die Tradition, ein riesiges Imperium zu verwalten. Ohne sie hätte Augustus keinen einzigen Tag regieren können. Daher war es oberste Staatsräson, die neue Regierungsform mit dem traditionellen Denken der Senatoren in Kategorien des Wettbewerbs untereinander zu versöhnen. Augustus bemühte sich, ihre republikanische Denkungsart mit seiner Alleinherrschaft zu verschmelzen und war damit eher der politische Erbe Sullas als Caesars. Aber anders als Sulla restaurierte er nicht nur die alte Ordnung, sondern schuf eine neue; anders als Caesar vernachlässigte er nicht die Senatoren und ihre Vorstellungen von politischer Partizipation. Als junger Mann hatte er gesehen, was mit Caesar passiert war, der die Vorstellungen und Forderungen der aristokratischen Kreise nicht verstanden bzw. nicht verstehen hatte wollen. Augustus jedoch war bereit, aus der Vergangenheit zu lernen und schaffte es, die Senatoren für sich einzunehmen, indem er ihnen konkrete Aufgaben und Pflichten übertrug und sie das Imperium verwalten ließ. Ihre Ambitionen wurden mit vielen Posten in Rom, in Italien und den Provinzen befriedigt. Jeder dieser Posten befand sich in einer Hierarchie, stand also unter oder über einem anderen Posten. Auf diese Weise lebte der alte Wettbewerb unter den führenden Familien in zivilisierter Form unter der Kontrolle des Monarchen weiter. Anstatt also diese mächtige Institution gegen sich zu haben, arbeitete diese Körperschaft, bestehend aus hochgebildeten und fähigen Männern, für Augustus und stellte die beste Legitimationsquelle für seine Herrschaft dar. Das Gleiche gilt für die Ritter, die zweite führende Gruppe in der römischen Gesellschaft. Beide Stände waren mit der Restitution ihrer Ränge und ihren garantierten Privilegien hoch zufrieden.
Drittens musste Augustus nach der langen Periode der Bürgerkriege Italien entmilitarisieren. Viel zu viele Männer befanden sich unter Waffen, so dass Augustus die Zahl der Legionen von mehr als 60 auf 28 reduzierte. Ungefähr 300.000 Mann standen also unter Waffen, von denen er mehr als die Hälfte entließ. Bevor wir auf das Versorgungs- bzw. Abfindungsproblem eingehen, sei ein Blick auf die verbliebenen Truppen gestattet: Um zu verhindern, dass sie im Inneren des Reiches Problem verursachten (Augustus muss unter dem Gespenst eines potentiellen zukünftigen Bürgerkriegs gelitten haben), stationierte er sie an den Grenzen des Reiches, womit er eine Lösung für zwei Probleme fand: Die Verteidigung des Reiches gegen Barbaren und eine geeignete Beschäftigung für seine Soldaten, die die Grenzgebiete gegen jeden Angriff von außen sicherten. Aber wie konnte er Tausende von loyalen Soldaten entlassen, die ihn an die Macht brachten? Als Patron war er für sie verantwortlich. Sie erwarten von ihm, dass er sich um sie kümmere. Er musste sie entlohnen. Er gab den Veteranen entweder Geld oder er gründete Kolonien für sie auf fruchtbarem Land, in Gallien, im mediterranen Teil von Africa, Sizilien, Makedonien, Achaia, Spanien, Asia und Syrien inklusive 28 Kolonien in Italien, ein Prozess, den wir Kolonisierung nennen. Andernfalls wären die Veteranen und die Italiker, die in den Bürgerkriegen alles verloren hatten, in der Hauptstadt geblieben und hätten die Anzahl von Armen und Obdachlosen nach oben schnellen lassen. Um eine solche Konzentration von Massen in der Hauptstadt zu vermeiden, entsandte er auch Arme aus Rom in die neuen Kolonien und ermöglichte ihnen, dort ein Auskommen zu finden.
Aus diesen Maßnahmen wird ersichtlich, dass die Armee, die Bevölkerung Roms (einschließlich der Senatoren und Ritter) und die Italiker die soziale Basis bildeten, auf die Augustus sein Imperium aufbaute. Er fühlte sich als Patron all dieser Gruppen, und sie waren alle seine Klienten, eine urrömische Idee, die ihm und allen Untertanen wohlvertraut war.
Aber es waren nicht nur römische Bürger, die von den Errungenschaften des neuen Regimes profitierten, sondern auch die Bewohner der Provinzen. Augustus betrachtete sich auch als Patron der Provinzen. Bis in die augusteische Zeit hatten die Provinzialen nur unter der Herrschaft Roms gelitten. Die führenden Familien der römischen Aristokratie sahen nur einen Grund für die Eroberung und Unterwerfung fremder Völker: Sie auszubeuten zum Ruhme Roms, v. a. aber auch zu ihrem eigenen. Auch hier lernte Augustus aus den Fehlern der Vergangenheit: Viele Aufstände hatten das Imperium während der Republik erschüttert; die kleinen oligarchischen Kreise von, sagen wir, fünfzehn untereinander konkurrierenden Familien, waren unfähig und auch unwillens, eine effektive Provinzialverwaltung aufzubauen und die Provinzen somit zu einem integralen Teil Roms zu machen. Augustus vertraute seinem politischen Instinkt und rationalisierte die römische Herrschaft im Ausland, indem er die Provinzialen mehr an die römische Kultur heranführte, sie attraktiv für die Unterworfenen machte. Sogar die ersten Senatoren aus den Provinzen kamen unter Augustus in die noble Körperschaft, in einem Wort, ein Prozess, den wir Romanisierung zu nennen gelernt haben, begann zu der Zeit. Und jetzt sehen wir, wie die Dinge ineinander greifen: All dies war nur möglich, weil die Senatoren als kaiserliche Magistrate in den Provinzen handelten und mit konkreten Rechten und Pflichten ausgestattet, kaiserliche Missionen erfüllten.
Der Anbruch einer neuen Ära musste allen auf sichtbarste und dauerhafteste Form gezeigt werden, und so schmückten bald herrliche Gebäude, sakraler und profaner Natur, Städte und Landschaften und zeugten von einem übergeordneten Willen, Recht und Gesetz sowie Frieden und Sicherheit zu garantieren, eine Propaganda, die ihr Ziel erreichte, nämlich die Menschen die blutigen Anfänge der usurpierten Macht vergessen zu machen.
Wenn man die heftigsten Konflikte der späten Republik mit den Maßnahmen des Augustus vergleicht, sieht man, dass die Krise der Republik nicht in erster Linie eine ökonomische oder soziale Krise war. Die römische Gesellschaft und Wirtschaft änderten sich kaum vom ersten vor- zum ersten nachchristlichen Jahrhundert. Es war eher eine politische Krise insofern, als die schiere Größe des Reiches die Kapazitäten des ursprünglich kleinen Stadtstaates und seiner kleinen Herrschaftselite bei weitem überforderte. Die führenden römischen Familien, alle Mitglieder der Nobilität, der herausragenden Gruppe innerhalb des Senats, vermochten es nicht, sich an die völlig veränderte Situation anzupassen. Sie konnten eine Supermacht mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln nicht regieren. Sie kämpften ständig untereinander um die Macht. Das oligarchische Regime glitt ab ins Chaos und rief viele Langzeitkonflikte hervor:
Die Rivalität unter diesen Familien,
Den Ausschluss Ehrgeiziger, die unbedingt den sozialen Aufstieg schaffen wollten,
Das beinahe tragisch zu nennende Verhältnis zwischen Rom und seinen Verbündeten, das schließlich in den Bundesgenossenkrieg mündete,
Die Unterdrückung der Provinzen, welche schwere Aufstände auslöste, weil sie von römischen Gouverneuren nicht nur vernachlässigt, sondern vielmehr brutal ausgebeutet wurden,
Die vollständige Teilnahmslosigkeit der herrschenden Eliten an diesen Katastrophen führte zu endlosen Kriegen und zur Verarmung der römischen Bauern.

Vergegenwärtigt mach sich nun die augusteischen Maßnahmen, dann sieht man sofort, dass Augustus weder die Gesellschaft noch ihre Wirtschaft veränderte. Seine Ideen und Taten stellten sich als geeignete Maßnahmen zur Lösung der mannigfachen Konflikte heraus. Die noblen Familien durften weiterhin um Posten konkurrieren, innerhalb des hierarchisch gegliederten Rahmens, den Augustus vorgab. Auf diese Weise wurden die Ambitionen vom ersten Prinzeps streng kontrolliert. Menschen aus unteren gesellschaftlichen Schichten konnten unter gewissen Umständen und mit Einverständnis des Kaisers die Karriereleiter emporklettern in einem genau fest gelegten Schema an Posten. Die Italiker wurden mit Geschenken und weiterer Urbanisierung versöhnt. Die Provinzen wurden besser als jemand zuvor verwaltet, weil viele senatorische Posten Aufgaben außerhalb Roms waren. Und weil die Kriege geendet hatten, konnte die Sicherheit im Grunde wieder garantiert werden. Die Infrastruktur erholte sich allmählich, so dass ein stabiles monetäres System, die Anlage von Straßen und Häfen, der Fernhandel und groß angelegte Bauprogramme zu einem höheren Lebensstandard beitrugen. Es war eher durch Instinkt als durch intentionales Planen, dass Augustus Antworten auf die drängendsten Fragen seiner Zeit fand. Dieser Instinkt für die Nöte der Untertanen liegt Augustus‘ Ideen und Konzepten zu Grunde, die er über die langen Jahrzehnte seiner Herrschaft entwickeln konnte und die das Antlitz des römischen Reiches für Jahrhunderte prägen sollten. Seine Nachfolger konnten von den großen Bahnen, die Augustus vorgezeichnet hatte, nicht abweichen, und so blieben die meisten seiner Maßnahmen bis ins 3. Jh. Chr. hinein in Kraft. Diese Regularien betreffen die Aussöhnung mit dem Senat, die darin bestand, dass die Reichsadministration der altehrwürdigen Körperschaft anvertraut wurde, die Rolle und die Einsatzgebiete der Armee, die humanere Behandlung der Provinzen und am nachhaltigsten: Die Errichtung einer neuen Regierungsform.

II. Zusammenfassung

Abschließend möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf drei Punkte lenken:

Augustus war nicht von Anfang an Augustus. Die Situation war ziemlich lang offen. Erst nach Actium, nach der Ausschaltung von Marc Anton und Kleopatra, war er Alleinherrscher. Von diesem Moment an konnte er die Dinge nach seinen Vorstellungen gestalten, aber es gab noch kein Konzept, keine konsistente Ideologie, keine systematische Etablierung einer neuen Verfassung. Er brauchte vielmehr ein Leben, um diese neuen Konzepte zu entwerfen und zu verfeinern und v.a. um sie in die Tat umzusetzen. Er war erfolgreich aufgrund seiner hohen Intelligenz, Grausamkeit und Flexibilität und, nicht zu vergessen, er hatte das Glück, sehr lange zu leben. Kreativität in verfassungsrechtlichen Fragen, seine Großzügigkeit, seine Eroberungen, finanzielle Potenz und sein für andere unerreichbares Prestige trugen zur festen Konsolidierung seiner Herrschaft bei.
Die augusteische Zeit ist einer der besten Testfälle, an denen man die Interaktion und Interdependenz zwischen Struktur und Person untersuchen kann, ein wichtiger Faktor beim historischen Denken und bei der historischen Quelleninterpretation. Augustus ist nicht denkbar ohne die Krise der römischen Republik, die Bemühungen, sie zu lösen und deren letztliches Scheitern. Er muss also in einem größeren Kontext gesehen werden. Einerseits kann sein Denken und Handeln nicht ohne ein vertieftes Verständnis römischer Verhaltens- und politischer Handlungsmuster verstanden werden. Andererseits schuf er Strukturen auch selbst, die zum Teil Jahrhunderte Bestand hatten. Wenn wir als heutige Historiker eine rein biographische Geschichtsschreibung vermeiden wollen, müssen wir eher die langlebigen Folgen seiner Herrschaft und ihrer Errungenschaften analysieren als seine Persönlichkeit, so faszinierend und unerklärlich sie uns auch scheinen mag.
Ganz eindeutig steht fest: Dieser sensible und brutale Mann, dieser Mann von höchster Kultur und bösartigstem Misstrauen, ausgestattet mit einem untrüglichen Sinn für Macht, ist eine der größten politischen Figuren der Weltgeschichte. Er legte die Grundlagen für das, was das römische Reich und die römische Kaiserzeit werden sollten, auf den Gebieten der Politik, der Verwaltung, der Armee und der Kultur und formte so ganz entscheidend die damals bekannte Welt für Jahrhunderte.

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Quellen-Hinweise
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06 – Der Untergang der Römischen Republik

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Werner Rieß
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Römische Geschichte I: Die Republik

06 – Der Untergang der Römischen Republik

Im letzten Podcast haben wir davon gehandelt, wie das erste Triumvirat die politischen Machtverhältnisse in Rom verschob, weg von der Senatsherrschaft hin zu einer Militärdiktatur, ausgeübt von drei Männern. Durch den Gallischen Krieg war Caesar nun an Macht und Prestige Pompeius ebenbürtig. Es war offenkundig, dass sie um die Macht konkurrieren würden.
Offiziell ging es darum, wie Caesar nach dem Ablauf seine Kommandos in Gallien seine Machtposition behalten können würde. Er war nicht bereit, seine Armee aufzulösen und als Privatmann nach Rom zu kommen, denn dann hätten ihm Anklagen gedroht. Es begann ein diplomatisches und juristisches Tauziehen um prozedurale Fragen. Am Ende schafft es Caesar, die Schuld am Ausbruch des Bürgerkrieges der Senatspartei zuzuweisen. Als er den Rubicon überschritt und auf Rom marschierte, war Pompeius schlechter gerüstet als Caesar. Die Republikaner um Pompeius waren sofort in der Defensive und flohen nach Griechenland. Caesar wandte sich zuerst nach Spanien und schaltete dort Legionen des Pompeius aus, um dann den Rücken für den Kampf im Osten frei zu haben. Im Sommer 48 besiegt er Pompeius in der Schlacht von Pharsalos. Pompeius flieht nach Ägypten und wird dort von Ptolemaios XIII. ermordet. Damit ist die Senatspartei aber immer noch nicht geschlagen.
Im Alexandrinischen Krieg, in dessen Verlauf auch die berühmte Bibliothek von Alexandria abbrannte, sicherte sich Caesar Ägypten und wandte sich dann nach Asien, wo er im Jahre 47 Pharnakes, den Sohn des Mithridates, in der Schlacht von Zela in Pontos besiegte. Mittlerweile hatte Metellus Scipio eine neue optimatische Streitmacht in Africa aufgestellt. In der Schlacht von Thapsus besiegte Caesar die Republikaner, Africa Nova wurde als neue Provinz eingerichtet, deren erster Statthalter der spätere Historiker Sallust wurde.
Nach der Schlacht von Munda in Spanien gegen Gnaeus Pompeius, den Sohn des Magus, und Titus Labienus, war Caesar der Herr der Welt und nannte sich Befreier, liberator. Caesars Ehrungen überstiegen nun alle Maßen, im Jahre 45 erklärte er sich zum dictator perpetuus; im Prinzip war das die offizielle Einführung der Monarchie. Seine Statue wurde auf dem Kapitol neben den Statuen der legendären Könige der Frühzeit aufgestellt. Es war klar, dass diese Selbstverherrlichung nicht von allen Kreisen positiv gesehen wurde.
Caesar hatte das alte Spiel der Aristokraten um die Macht monopolisiert, ihre libertas, d.h. ihre Freiheit, im freien Kräfteringen miteinander auszuloten, wem die höchsten Würden zukamen, an sich gerissen. Spätestens mit Caesars Stellung als Alleinherrscher war diese libertas zum Erliegen gekommen, die alten republikanischen Spielregeln des Machterwerbs und Machterhalts waren außer Kraft gesetzt. Das wollten und konnten konservativ gesinnte republikanische Kreise nicht hinnehmen. Eine Verschwörung gegen Caesar brauchte sich zusammen. Anders als später Octavian, hat Caesar zu wenig auf die Meinungen innerhalb der Senatsaristokratie geachtet, verstand er es nicht, seine überragende Stellung mit der Republik zu versöhnen. Es sieht nicht so aus, als ob Caesar hier ein Konzept gehabt hätte, eine Vision davon, wie er dauerhaft seine Stellung absichern und legitimieren können würde. Cicero bat ihn inständig, sich nun um die Innenpolitik zu kümmern, eine funktionsfähige Reichsverwaltung aufzubauen, idealiter die Republik wieder herzustellen. Doch Caesar fühlte sich innenpolitisch nicht auf gewohntem Terrain. Seine Welt war die des Krieges und des Militärs, dort fühlte er sich zu Hause, hier lagen seine Stärken als brillanter Stratege und Organisator von groß angelegten Feldzügen. So verwundert es nicht, dass Caesar mit seiner Stellung in Rom wenig anzufangen wusste und einen großen Partherfeldzug plante, um die Niederlage des Crassus zu rächen und die römischen Feldzeichen zurückzuholen.
In der älteren Forschung gab es eine lebhafte Diskussion um die Frage, ob Caesar nun ein Staatsmann gewesen sei (so Matthias Gelzer) oder ob ihm diese Bezeichnung nicht zukomme (so Hermann Strasburger). Christian Meier hat für die paradoxe Situation, in der sich Caesar nach seinem Sieg befand, ein, wie ich meine, treffendes Oxymoron gefunden: Er spricht von der „Ohnmacht des allmächtigen Diktators Caesar“. Kurz vor seinem Aufbruch nach Osten wurde Caesar an den Iden des März 44 v. Chr. von ca. dreißig Verschwörern ermordet. Doch ihre Rechnung ging nicht auf: Das Attentat stellte die Republik nicht etwa wieder her, sondern hinterließ ein Machtvakuum, längst waren die staatlichen Strukturen monarchisch geprägt. Caesar war beim Volk beliebt und v.a. bei seinen Soldaten und seinem Freund Marcus Antonius. So waren die Verschwörer sofort in der Defensive und mussten aus der Stadt fliehen. Immerhin erreichte man im Senat einen Kompromiss: Alle Amtshandlungen Caesars behielten ihre Gültigkeit, das bedeutete de facto einen Verzicht der Attentäter auf ihre Ziele. Andererseits galt nun eine Amnestie für die Mörder. Doch die Verhältnisse waren kompliziert: Marcus Antonius, der Konsul des Jahres 44, brachte den Nachlass Caesars an sich. Gleichzeitig erhob der neunzehnjährige Caius Octavius, den Caesar adoptiert hatte, Anspruch auf das Erbe. Sofort stand er in Rivalität zu Antonius. Diese Grundrivalität (zwei Erben waren einer zu viel) bestand immer fort und sollte erst in der Schlacht von Actium ihre Auflösung finden.
Zwischenzeitlich kooperierten die beiden jedoch, um sich gemeinsam an den Caesarmördern zu rächen. Generell verstand es Octavian immer, aus opportunistischen Gründen die Seiten zu wechseln. Er hatte in der komplizierten Situation von 44 die Wahl, entweder gleich in die offene Rivalität zu Antonius zu treten, dann brauchte er jedoch die Hilfe des Senats, oder zuerst mit Antonius gemeinsame Sache gegen die Caesarmörder zu machen, dann wäre er aber nur der Juniorpartner des Antonius gewesen.
Octavian verfügte mit seinen 19 Jahren über keinerlei militärische Erfahrung, seine Stellung musste erst legitimiert werden, und das konnte nur durch und über den Senat geschehen. Seinen großen Förderer und Fürsprecher fand er in Cicero, der glaubte, ihn gegen Antonius und somit für die Republik aufbauen zu können, eine gründliche Fehleinschätzung des erfahrenen Politikers. Durch einen Provinztausch wollte Antonius Norditalien in Besitz nehmen, doch der Statthalter der Gallia Cisalpina, Decimus Iunius Brutus, einer der Verschwörer, weigerte sich, die Provinz an Antonius herauszugeben. Antonius marschierte nach Norden und belagerte Brutus in Mutina, wieder war also ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Die beiden Konsuln, Hirtius und Pansa, sowie Octavian bekamen den Auftrag, den Belagerungsring um Mutina zu sprengen und so Decimus Iunius Brutus zu entsetzen. Dies gelang, doch beide Konsuln fielen in der Schlacht, und Octavian ließ Antonius fliehen, sein Seitenwechsel deutete sich hier bereits an. Octavian fordert nun sogleich, gegen alle Regeln der Verfassung, den Konsulat für sich. Der Senat lehnte ab und Octavian marschierte auf Rom und besetzte es. Mit der Hand am Schwertknauf erzwang er sich das höchste Amt im Staat. Es war nun klar, dass dieser junge Mann sich von niemandem würde kontrollieren lassen. Der Seitenwechsel vollzog sich nun rasch: Eine lex Pedia ächtete die Caesarmörder in ihrer Abwesenheit, Antonius vereinigte sich im Westen mit den Heeren des Marcus Aemilius Lepidus, Lucius Munatius Plancus sowie Caius Asinius Pollio. Der gesamte Westen war somit in der Hand der Caesarianer.
Lepidus vermittelte zwischen Antonius und Octavian und die drei Männer kamen schnell überein: In Bononia wurde im November 43 das Zweite Triumvirat besiegelt, für fünf Jahre. Die Militärdiktatur wurde gesetzlich abgesichert durch eine lex Titia, anders als das Erste Triumvirat, das nur eine private coitio war, ein privates Zusammengehen dreier führender Männer. Die drei Männer teilten sich das Reich in Interessenssphären auf: Octavian war hier eindeutig nur Juniorpartner, er bekam Africa, Sizilien, Sardinien und Korsika. Antonius ging als der Stärkste aus dieser Vereinbarung hervor. Man beschloss nun den gemeinsamen Krieg gegen die Caesarmörder sowie Rache an den politischen Feinden. Zum zweiten Mal in der römischen Geschichte wurden Proskriptionslisten erstellt: 300 Senatoren sowie 2000 Ritter fanden den Tod, damit war die alte Aristokratie physisch vernichtet. Ganz oben auf der Liste muss Cicero gestanden haben, der Erz-Republikaner, der Antonius in den Philippischen Reden so vehement geschmäht und verunglimpft hatte. Octavian tat nichts, um seinen alten Gönner und Förderer zu retten. Cicero hatte sich zeit seines Lebens als Bewahrer der Republik verstanden, gegen Ende seines Lebens sich gar als Verkörperung der Republik gesehen. Seine Ermordung führt vor Augen, dass er mit dieser sehr selbstbewussten Einschätzung seiner selbst nicht ganz Unrecht hatte. Mit ihm war ein großer Mahner und Befürworter der Republik für immer verstummt.
Im Herbst 42 suchten Caesarianer und Republikaner die Entscheidung im Osten. In der Doppelschlacht von Philippi verloren die Republikaner, Cassius und Brutus begingen Selbstmord. Damit war die Rache für Caesar erfüllt, aber noch keineswegs bedeutete dies das Ende des Bürgerkrieges. Nach Erledigung der gemeinsamen Aufgabe wuchs nun die Rivalität zwischen Antonius und Octavian wieder ungebremst. Antonius sicherte die Herrschaft der Triumvirn im Osten, wo er als neuer Dionysos begrüßt wurde, während Octavian im Westen große Probleme bei der Veteranenversorgung hatte und sich sehr unbeliebt machte. Lucius Antonius, der Bruder des Triumvirn, zettelte sogar einen Krieg gegen Octavian an, den Perusinischen Krieg um Perugia. Octavian nahm die Stadt ein, übte aus politischen Gründen jedoch Rücksicht und schob Lucius Antonius nach Spanien ab.
Ein weiteres Problem stellte Sextus Pompeius auf Sizilien dar, der Sohn des Magnus, der im westlichen Mittelmeer geradezu eine Seeherrschaft etabliert hatte und durch das Kappen der Getreidelieferungen nach Rom empfindlichen Druck auf Octavian ausüben konnte. In mehreren Verträgen suchte Octavian nun die gegensätzlichen Interessen auszutarieren:
Im Vertrag von Brundisium (40) kam es zu einem Ausgleich zwischen Octavian und Antonius. Antonius bekommt den gesamten Osten, Octavian den Westen, Lepidus erhält Africa als Abfindung. Italien steht allen Triumvirn für Rekrutierungen offen. Der Vertrag wird noch durch eine Eheschließung bekräftigt: Antonius, dessen Frau Fulvia mittlerweile gestorben war, heiratete Octavia, die Schwester Octavians.
Im Jahre 39 wurde ein Vertrag mit Sextus Pompeius geschlossen, der Vertrag von Misenum, der Italien in Jubel versetzte, denn dadurch schien eine militärische Auseinandersetzung abgewendet: Sextus Pompeius garantiert nun Getreide aus Sizilien für Rom, dafür hat er weiterhin das Kommando über die Inseln. Er verpflichtet sich, keine weiteren flüchtigen Sklaven mehr aufzunehmen, dafür erkennen die Triumvirn die Sklaven in seiner Flotte als frei an. Proskribierte, die sich bei Pompeius befanden, durften zurückkehren und konnten ein Viertel ihres Vermögens wieder erlangen.
Als Antonius für seinen Partherfeldzug Truppen brauchte (er wollte nun den Feldzug endlich umsetzen, zu dem Caesar nicht mehr gekommen war), mussten sich die die Triumvirn wieder verständigen. Im Vertrag von Tarent wurde 37 v. Chr. das Triumvirat verlängert. Antonius wurden 20.000 Soldaten aus Italien zugesagt, Octavian im Gegenzug 120 Kriegsschiffe aus Antonius‘ Flotte.
Sextus Pompeius, der den Vertrag von Misenum gebrochen hatte und wieder Druck auf Italien ausübte, konnte vom Freund des Augustus, Marcus Vipsanius Agrippa, in der Schlacht von Mylae und Naulochos geschlagen werden. Im Kontext dieser Auseinandersetzungen machte sich Lepidus selbständig und beanspruchte Sizilien für sich. Octavian konnte jedoch seine Soldaten gewinnen und so legte Lepidus, isoliert, seine triumvirale Gewalt nieder. Lepidus wurde mit dem Oberpontifikat abgespeist; Octavian nahm nun, ganz unerwartet, Africa in Besitz, ein gewaltiger Machtzuwachs und Prestigegewinn. Octavian und Marcus Antonius waren nun die alleinigen Kontrahenten. Octavian arbeite von jetzt an geschickt propagandistisch auf die finale Auseinandersetzung zu, wobei ihm Antonius diese Aufgabe aber auch leicht machte. Aufgrund seines Verhältnisses zu Cleopatra hatte sich das Verhältnis zu Octavian merklich abgekühlt, schließlich hatte Antonius seine Ehefrau Octavia betrogen. Mit Cleopatra hatte Antonius sogar drei Kinder, die Zwillinge Alexander Helios und Cleopatra Selene und dann noch Ptolemaios Philadelphos. Antonius schenkte Cleopatra und den gemeinsamen Kindern Syria Coele, Phönikien, Zypern und Teile von Kilikien. Statt der 20.000 Soldaten stellte Octavian Antonius nur 2000 zur Verfügung. Octavia sollte sie ihm persönlich übergeben, doch Antonius lehnte das Treffen mit Octavia ab, ein schwerer familiärer und auch politischer Affront.
Es kam zu einer weiteren Brüskierung des römischen Staates: Antonius feierte nach einem Armenienfeldzug einen Triumph in Alexandria, bei dem er als Neuer Dionysos, Cleopatra als Neue Isis auftraten; auch mythologisch wurde also ihre enge Verbindung unterstrichen. In den Jahren 33/32 mobilisierte Octavian die öffentliche Meinung gegen Antonius. Dem angeblich orientalischen und dekadenten Antonius setzte er eine italisch-nationale Propaganda entgegen, die ganz auf die konservativen, altrömischen Werte setzte. Die Fronten verhärteten sich, 300 Senatoren gingen nach Ephesos, der Ausbruch eines weiteren Bürgerkrieges stand unmittelbar bevor. Als Antonius einen Scheidebrief an Octavia schickte, ließ Octavian das Testament des Antonius erbrechen, das bei den Vestalinnen hinterlegt war, und im Senat verlesen. Wir wissen nicht, ob das wirklich das Testament des Antonius war oder ein von Octavian fabrizierter Text, aber er hat seine Wirkung nicht verfehlt: Antonius wollte in Alexandria beigesetzt werden, gewaltige Zuwendungen an Cleopatra und die gemeinsamen Kinder waren vorgesehen. Daraufhin wurde Cleopatra, wohlgemerkt nicht Antonius, der Krieg erklärt. Der weitere Verlauf der Geschichte ist wohlbekannt. Octavian ließ die Bevölkerung Italiens und der Westprovinzen einen Eid auf sich schwören. Dieser consensus universorum, ein Begriff, den Cicero geprägt hatte, war fortan Octavians Herrschaftslegitimation. Antonius tat es ihm im Osten gleich.
Nach der verlorenen Schlacht von Actium, dem Selbstmord der Cleopatra und des Antonius und der Eroberung Ägyptens durch Octavian, kannte die Welt nur noch einen Herrscher: Octavian, der sich ab 27 v. Chr. Augustus nennen würde. Die Republik war damit zu Ende.

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